Read Ebook: Der Todesgruß der Legionen 1. Band by Samarow Gregor
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Ebook has 911 lines and 53369 words, and 19 pages
Der Todesgruss der Legionen.
Zeit-Roman
von
Gregor Samarow.
Erster Band.
Berlin, 1874.
Druck und Verlag von Otto Janke.
Erstes Capitel.
Am Ufer der Marne, in der N?he der kreidereichen weissen Ebene der Champagne, liegt die alte Stadt Saint-Dizier, ein kleiner Ort mit etwa f?nftausend Einwohnern, deren Industrie zum grossen Theil darin besteht die auf der Marne herabgefl?ssten Holzst?mme in Bretter zu zerschneiden--ausserdem befinden sich dort ber?hmte Manufacturen von Eisenwaaren und durch diese Gewerbth?tigkeit hat der ganze Ort trotz seiner geringen Ausdehnung, vielleicht gerade wegen derselben eine bedeutende Wohlhabenheit erreicht.
Die alte Stadt zieht sich mit ihren winkligen und ziemlich unregelm?ssigen Strassen in einer verh?ltnissm?ssig bedeutenden L?ngenausdehnung am Ufer der Marne hin. Auf dem h?chsten Punkt liegt eine alte Kirche von hohen B?umen umgeben, welche ebenso wie die Stadt selbst und deren altersgraues Rathhaus voll von historischen Erinnerungen ist, die innig mit grossen Momenten der Geschichte Frankreichs zusammenh?ngen.
Die unmittelbare Umgebung der Stadt ist flach und eben; in einiger Entfernung erheben sich kleine Anh?hen mit niedrigen Laubwaldungen und Weinpflanzungen bedeckt. Dort befindet sich eine Wasserheilanstalt, welche wegen ihrer gesunden Luft und ihrer frischen Quellenb?der von den Bewohnern der Umgegend h?ufig besucht wird und w?hrend des Sommers die kleine Stadt mit dem bewegten Leben eines Badeortes erf?llt.
Es war an einem Februarabend des Jahres 1870.
Rauh und kalt wehte der Wind ?ber die ebene Umgebung der Stadt; die Wellen der Marne vom Sturm gepeitscht schlugen an die Ufer und die dort aufgeh?uften Holzbl?cke; durch die in zerrissenen Flocken ?ber den Himmel hinjagenden Wolken blickte von Zeit zu Zeit ein Strahl des Mondlichtes und erhellte einen Augenblick die ?de und kalt daliegende Gegend.
Auf einem ebenen Wege am Flussufer, der an sch?nen Tagen f?r die Bewohner von Saint-Dizier eine beliebte Promenade bildete, gingen langsam zwei M?nner auf und nieder.
Beide waren hoch und kr?ftig gewachsen und wenn das Mondlicht vor?bergehend ihre Gesichtsz?ge beleuchtete, so konnte man in denselben jenen eigenth?mlichen Typus der norddeutschen Race erkennen. Der Eine von ihnen mochte etwa f?nfundzwanzig Jahre alt sein; seine Gestalt war geschmeidig, seine Bewegungen elastisch und nicht ohne eine gewisse nat?rliche fast elegante Anmuth, welche nicht vollst?ndig mit der Kleidung ?bereinstimmte, die er trug und die ungef?hr diejenige des franz?sischen Arbeiterstandes war.
Sein Gesicht war scharf geschnitten und dr?ckte Intelligenz, Muth und Willenskraft aus; ?ber der leicht aufgeworfenen Oberlippe kr?uselte sich ein kleiner dichter Schnurrbart, volle blonde Locken quollen unter dem kleinen runden Hut hervor und in den grossen blauen Augen lag eine gewisse schw?rmerische Tiefe, verbunden mit scharfer Beobachtung, welche zuweilen den Ausdruck listiger Schlauheit annehmen konnte. Neben ihm schritt ein bedeutend ?lterer Mann von etwa vierzig bis f?nfundvierzig Jahren. Sein Gesicht sah bereits ein wenig verwittert aus und zeigte weniger Intelligenz als das seines Begleiters, dagegen aber mehr von jener beinahe eigensinnigen Z?higkeit, welche dem norddeutschen, insbesondere dem nieders?chsischen Bauernstamme eigen ist.
Beide M?nner geh?rten der hann?verschen Emigration an, welche im Jahre 1867 ihr Heimathland verlassen und nachdem sie aus Holland und der Schweiz ausgewiesen war, ein Asyl in Frankreich gefunden hatte. Der J?ngere der beiden M?nner war der fr?here hann?versche Dragoner Cappei; der Aeltere war der fr?here Unterofficier R?hlberg, welcher das Commando ?ber die kleine Abtheilung Emigranten f?hrte, welche in Saint-Dizier stationirt waren.
"Ich sage Euch noch einmal, Cappei," sprach der Unterofficier, "?berlegt wohl, was Ihr thun wollt, denn die Sache wird ernst--ich habe den Herrn Lieutenant von Mengersen, als er das letzte Mal hier inspicirte, auf das Gewissen gefragt, ob es wirklich wahr sei, dass der K?nig die Emigration auseinander schicken und Jeden mit einer Summe von einigen hundert Francs abfinden wolle und der Herr von Mengersen, der ein braver und ehrlicher Mann ist, hat die Achseln gezuckt und mir keine rechte Antwort gegeben--er weiss mehr als er sagen will und die Kameraden in Paris haben mir geschrieben, dass dort etwas vorgeht; es sind Herren aus Hietzing dagewesen, man hat dann lange Conferenzen gehalten und die Herren Officiere sind alle sehr niedergeschlagen gewesen,--glaubt mir nur, ich t?usche mich nicht, wir werden einfach fortgeschickt werden, nachdem wir uns vier Jahre lang f?r den K?nig in der Welt herumgeschlagen haben und dann muss Jeder von uns ernstlich daran denken, wie er sich sein Brot erwerben und sich ehrlich durch's Leben bringen kann."
"Ich glaube das nicht, Herr Unterofficier," rief Cappei, indem er stehen blieb und lebhaft mit dem Fusse auf den Boden trat; "es ist unm?glich, dass Seine Majest?t seine treuen Soldaten, die in der Noth und Verbannung zu ihm gehalten haben, so einfach auseinander schickt, ohne sich um ihr Schicksal zu k?mmern.--Ich werde das nicht eher glauben, als bis es wirklich geschieht--wenn es aber je dazu kommen sollte, dann steht mein Entschluss ganz fest--ich gehe nach Hannover in die Heimath zur?ck, mag daraus entstehen was da wolle.--Die Preussen k?nnen uns doch nicht Alle todtschiessen; man wird uns bestrafen, aber dann sind wir doch wenigstens in der Heimath und haben festen Grund f?r unsere Existenz. Ich habe ein kleines Geh?ft von meinem Oheim zu erben, das wird man mir nicht nehmen und wenn man mich wirklich ein oder zwei Jahre einsperrt, so werde ich doch nachher ruhig in meinem Hause sitzen und mir eine Familie gr?nden k?nnen."
"Ihr sprecht so," erwiderte der Unterofficier, "weil Ihr verliebt seid und weil Ihr nur daran denkt, je eher je lieber die kleine Franz?sin zu heirathen, der Ihr den ganzen Tag den Hof macht; aber das ist nicht recht von einem ordentlichen Soldaten--denkt doch daran, dass Ihr noch militairpflichtig seid und dass man Euch jedenfalls, wenn Ihr zur?ckkehrt, zum Dienst einziehen wird. Wollt Ihr, ein alter hann?verscher Garde du Corps, der sich so lange der preussischen Eroberung widersetzt hat, hinterher noch die preussische Uniform anziehen und nach preussischem Commando exerciren?"
"Wenn der K?nig seine Getreuen wirklich verl?sst," rief Cappei, "was habe ich, der einzelne Mensch f?r eine Veranlassung oder f?r ein Recht mich der preussischen Herrschaft zu widersetzen? Ihr werft mir vor, dass ich verliebt sei--das ist wahr; ich bin verliebt und ich habe keinen gr?sseren Wunsch als meine kleine Luise zu heirathen, aber ich versichere Euch--Gott ist mein Zeuge--dass der K?nig und seine Sache mir h?her steht als meine Liebe und wenn der K?nig mich heute riefe um f?r ihn in's Feld zu ziehen, so w?rde ich mich nicht einen Augenblick besinnen und meine Luise w?rde nicht von mir verlangen, dass ich meiner alten Fahne untreu werden sollte--wenn aber der K?nig uns gehen l?sst, so bin ich ein einzelner freier Mensch und habe nur f?r mich zu sorgen und dann werde ich der Narr nicht sein, mich in der Welt herumzuschlagen und die Heimath aufzugeben.
"Hart wird es freilich f?r mich sein die fremde Uniform zu tragen"--sprach er seufzend,--"aber was geht es im Grunde mich an? Schickt der K?nig uns fort, dann sind wir Alle frei zu thun was wir wollen und dann allerdings werde ich mich bei meinem Entschluss nur durch meine Liebe bestimmen lassen."
"Nun," sagte der Unterofficier, "Gott gebe, dass es nicht dazu kommen m?ge. Was mich betrifft, so gehe ich nicht nach Hannover zur?ck; ich bin zu alt geworden, um in den neuen Verh?ltnissen leben zu k?nnen. Man hat uns ja eine sch?ne Ansiedelung in Algier versprochen--wenn es dahin kommt, so lasse ich meine Frau kommen und gr?nde mir dort im fernen Afrika eine neue Heimath, in der ich wenigstens nach alter Weise leben und meine Gedanken frei aussprechen kann--Ihr werdet's Euch auch noch ?berlegen, hoffe ich.--Es ist ein Ungl?ck, dass bei Euch jungen Leuten immer die Liebe mitspricht--"
Ungeduldig erwiderte Cappei:
"Ich sage Ihnen nochmals," Herr Unterofficier, "dass es nicht die Liebe ist, welche mich bestimmt--wenn der K?nig uns nach Algier schickte und uns sagen liesse: wartet dort bis ich Euch brauchen kann, ich w?rde hingehen, so wahr ich hier vor Euch stehe und wenn meine Braut nicht mit mir gehen wollte, so w?rde mich das zwar traurig machen, aber keinen Augenblick in meinem Entschluss irre werden lassen. Wenn aber der K?nig uns aufgiebt, so bin ich frei--ich habe meine Soldatenpflicht erf?llt und kann als ehrlicher Mann thun was ich will."
Um dieselbe Zeit sass in dem Wohnzimmer eines grossen, durch einen weiten Vorhof von der Strasse getrennten Hauses in der N?he der alten Kirche, welches dem Holzhofbesitzer Challier geh?rte, ein junges M?dchen von etwa siebzehn Jahren in einem tiefen Lehnstuhl vor dem flackernden Kaminfeuer; sie trug ein einfaches Hauskleid von dunklem Wollenstoff, das sich ihrer schlanken Gestalt anmuthig anschmiegte, ihr dunkles, gl?nzendes Haar war glatt gescheitelt und auf dem Hinterkopf in zwei Flechten zusammengebunden, deren reiche F?lle jeden k?nstlichen Chignon unn?thig machte; ihr etwas blasses, feines Gesicht zeigte den eigent?mlichen, scharf geistvollen, beinah etwas h?hnischen, dabei aber doch wieder zugleich sentimental gef?hlsreichen Ausdruck, der den franz?sischen Frauen eigenth?mlich ist. Ihre mandelf?rmig geschnittenen dunkeln und von scharf geschnittenen Brauen ?berw?lbten Augen blickten sinnend in die Gluth des Kaminfeuers, w?hrend ihr kleiner frischer Mund sich ein wenig sp?ttisch verzog, indem sie den lebhaften Worten eines Mannes von etwa dreissig Jahren zuh?rte, der vor ihr stand.
Dieser Mann war mittelgross und von hagerer Gestalt; sein etwas gelbliches nicht sch?nes aber intelligentes Gesicht zuckte in lebhafter Aufregung, die Blicke seiner grossen tief liegenden dunkeln Augen spr?hten in nerv?ser Unruhe hin und her, sein krausgelocktes, dichtes Haar reichte tief in die Stirn hinab und sein kleiner schwarzer Schnurrbart war in zwei geraden Spitzen aufw?rts gedreht.
"Es ist unrecht von Ihnen, Fr?ulein Luise," rief er, seine Worte mit lebhaften Gesticulationen begleitend, "es ist unrecht von Ihnen, dass Sie f?r die Versicherungen meiner Liebe nur ein h?hnisches L?cheln haben. Sie wissen, dass seit lange Ihnen mein ganzes Herz geh?rt;--meine Eisenfabrik wirft mir einen reichen Gewinn ab, mein Vater hat Nichts gegen meine Bewerbung--warum weisen Sie fortw?hrend meine Bitte zur?ck, mir Ihre Hand zu reichen?--Ich kann Ihnen eine sichere und wahrlich keine einschr?nkte Existenz bieten und was meine Person betrifft, so glaube ich sollten Sie mich genug kennen, um vertrauensvoll Ihr Schicksal mit dem meinigen zu verbinden."
"Ich habe Ihnen schon ?fter gesagt, Herr Vergier," erwiderte das junge M?dchen, "dass ich durchaus keine Eile habe mich zu verheirathen. Ich bin, Gott sei Dank, erst siebzehn Jahre und habe noch Zeit ein wenig meine Freiheit zu geniessen; ich habe Sie oft gebeten mir diese Zeit zu lassen--das ist doch in der That keine unbillige Bitte--oder f?rchten Sie, dass ich Ihnen zu alt werde," f?gte sie l?chelnd hinzu, indem sie ihre Augen mit einem schalkhaften Blick emporschlug.
"Da antworten Sie mir wieder in diesem h?hnischen Ton, den ich nicht ertragen kann," sagte Herr Vergier, indem er lebhaft mit der Hand durch die Haare fuhr; "es w?re wahrhaftig besser, wenn Sie mir auf einmal offen und ehrlich sagten, dass Sie Nichts von mir wissen wollen, als dass Sie mich auf diese Weise hinhalten und verspotten."
"Warum erf?llen Sie denn meine Bitte nicht," erwiderte Luise, "und lassen mir ruhig Zeit zur Ueberlegung? Ich habe ja Nichts von Ihnen verlangt, als dass Sie ein Jahr lang mit mir gar nicht ?ber Ihre Heirathspl?ne sprechen und ich habe Ihnen versprochen, nach Ablauf dieser Frist Ihnen ein bestimmtes 'Ja' oder 'Nein' zu sagen.--Warum dr?ngen Sie mich fortw?hrend?"
"Weil ich," rief Herr Vergier lebhaft, "t?glich deutlicher sehe, dass es nicht die Liebe zu Ihrer Freiheit ist, welche Sie die entscheidende Antwort verschieben l?sst, sondern dass sich Ihr Herz mir mehr und mehr entfremdet. Oh!" sagte er n?her zu ihr herantretend, indem er sie mit unruhigen, halb bittenden, halb zornigen Blicken betrachtete, "fr?her war das anders; fr?her als Sie fast noch ein Kind waren, sprachen Sie gern mit mir, Sie hatten Vertrauen zu mir, Sie l?chelten freundlich und widersprachen mir nicht, wenn ich Sie meine kleine Braut, meine k?nftige Frau nannte, das verstand sich Alles von selbst--und machte mich so gl?cklich; aber jetzt," fuhr er fort, die Z?hne zusammenbeissend und mit M?he einen heftigen Ausdruck zur?ckhaltend--"jetzt ist das Alles anders--seit--"
"Seit?" fragte das junge M?dchen den Kopf emporwerfend und mit einem kalten, fast hochm?thigen Blick Herrn Vergier vom Kopf bis zu den F?ssen musternd, "seit--?"
"Seit jener fremde Deutsche hierhergekommen ist," rief Herr Vergier mit brennenden Blicken, indem seine Gesichtsz?ge sich durch einen h?sslichen Ausdruck von Zorn und Hass entstellten, "jener heimathlose Fl?chtling, von dem man nicht weiss woher er kommt--seit dieser Mensch, der nur ein gemeiner Soldat war, sich in Ihr Herz eingeschlichen hat--seit jener Zeit haben Sie die Erinnerungen Ihrer Kindheit vergessen--haben Sie Ihren Vater und Frankreich vergessen, denn es ist auch ein Verbrechen an Ihrem Vaterlande einen Fremden zu lieben, noch dazu einen Fremden, welcher jener deutschen Nation angeh?rt, die stets die Feindin Frankreichs war und deren Schaaren den heiligen Boden unsers Vaterlandes mehr als einmal verw?steten.--Ich hasse die Deutschen," fuhr er mit grimmigem, dumpf gepresstem Tone fort, "ich habe sie gehasst so lange ich die Geschichte meines Landes kenne und ich hasse sie jetzt--mehr als je, seit mir Einer aus dieser Race die Hoffnung meiner Zukunft und das Gl?ck meines Lebens geraubt hat."
Bei diesen Worten, welche Herr Vergier fortgerissen von seiner inneren Erregung, in immer steigendem Affect gesprochen, hatte zuerst eine fliegende helle R?the Luisens Gesicht ?berzogen, dann ?ffneten sich ihre Augen gross und weit, das Blut verschwand aus ihren Lippen und ein Ausdruck von Verachtung und feindlichem Hohn legte sich um ihren festgeschlossenen Mund.
"Ich erinnere mich nicht," sagte sie mit zitternder Stimme, welche sie m?hsam zu ruhigem Ton zwang--"ich erinnere mich nicht, Herr Vergier, Ihnen das Recht gegeben zu haben, Vermuthungen ?ber meine Beziehungen zu andern Personen auszusprechen und an diese Vermuthungen Belehrungen und Beleidigungen zu kn?pfen. Ich habe von Ihnen Frist verlangt, um ?ber Ihre W?nsche nachzudenken und Ihnen versprochen, Ihnen demn?chst zu antworten.
"Wenn Sie sich herausnehmen in dem Ton mit mir zu sprechen, den ich so eben geh?rt, so wird die Folge davon sein, dass ich, ohne weiter einer Frist zu bed?rfen, Ihren Antrag sogleich mit einem bestimmten und unwiderruflichen 'Nein' beantworte."
Herr Vergier beugte sich unter dieser entschiedenen Erkl?rung des jungen M?dchens zusammen, er schlug die Augen nieder und zwang sich zu einem freundlichen L?cheln.
"Verzeihung, Fr?ulein Luise!" sagte er mit leiser Stimme, indem er dem jungen M?dchen n?her trat und ihr die Hand reichte, welche sie nur leicht mit den Spitzen ihrer Finger ber?hrte--"Verzeihung, ich habe mich hinreissen lassen von meinem Gef?hl, aber gerade diese Bewegung sollte Ihnen zeigen wie tief dasselbe ist."
Luise antwortete nicht, schlug die Arme ?bereinander und blickte unbeweglich in die Kaminglut.
Nach einigen Augenblicken tiefen Schweigens trat der Vater des jungen M?dchens, der Holzh?ndler Challier in den Salon.--
Herr Challier war ein Mann von sechszig Jahren, nicht hoch gewachsen, aber trotz seines Alters noch von schlanker und elastischer Gestalt; das kurze dichte Haar war durchweg grau und an den Schl?fen wie ?ber der Stirn zur?ckgestrichen, so dass das scharfgeschnittene, ausdrucksvolle Gesicht mit den lebhaft blickenden dunkeln Augen und den noch fast schwarzen Augenbrauen an jene alten K?pfe aus der Zeit des Puders erinnerte.
Der alte Herr begr?sste Herrn Vergier und seine Tochter, ohne die peinliche Gereiztheit zu bemerken, in welcher Beide sich befanden.
"Wir haben heute die Arbeit sp?t geschlossen," sagte er, "es sind so bedeutende Bestellungen von Seiten der Kriegsverwaltung gemacht, dass wir alle H?nde voll zu thun haben um denselben zu gen?gen; nach diesen Vorbereitungen sollte man fast glauben, dass grosse Ereignisse bevorstehen, w?hrend doch die Zeitungen Nichts dergleichen vermuthen lassen und alle officiellen Kundgebungen nur die zuversichtlichsten Friedensversicherungen enthalten."
"Ich glaube an diese Versicherungen wenig," sagte Herr Vergier, welcher sehr zufrieden damit zu sein schien, dass die Unterhaltung ein Gebiet ber?hrte, das so weit von dem Gegenstande entfernt war, der so eben das Gespr?ch zwischen ihm und Fr?ulein Luise gebildet hatte--"wir haben es schon ?fter erlebt, dass unmittelbar vor den grossen Conflicten in allen Tonarten der Weltfriede verk?ndet wurde und mich machen so feierliche und so bei jeder Gelegenheit wiederholte Friedensversicherungen ein wenig misstrauisch.
"Ich weiss, dass auch auf dem Gebiet meines Gesch?fts neuerdings wieder grosse Bestellungen gemacht worden sind und die ganze industrielle Welt hat das Gef?hl, dass in der schw?len Luft dieser Zeit ein grosses ersch?tterndes Gewitter sich vorbereitet, und so sehr ich," fuhr er lebhafter fort, "als Industrieller den Frieden w?nsche, so muss ich doch sagen, dass ich als Franzose mit tiefem Schmerz die passive Unth?tigkeit empfinde, zu welcher die Regierung des Kaisers Frankreich verurtheilt und durch welche die Stellung unseres Landes in Europa immer schwerer ersch?ttert und immer tiefer untergraben wird."
Der alte Challier sch?ttelte langsam den Kopf.
"Mir fehlt es wahrlich nicht an franz?sischem Nationalgef?hl," sagte er, "und gerade die B?rger von Saint-Dizier, zu denen meine Familie seit Jahrhunderten geh?rt, sind mit dem militairischen Ruhm Frankreichs eng verwachsen, aber ich sehe wahrlich nicht, dass und wie die Achtung gebietende Stellung unseres Landes bedroht w?re und ich glaube dass der Kaiser sehr wohl daran thut den kriegerischen Aufwallungen nicht nachzugeben, welche sich seit l?ngerer Zeit so oft bemerkbar machen.
"Er hat Frankreich auf eine H?he des Wohlstandes gebracht wie dieselbe kaum jemals fr?her vorhanden war; sein neues Wegesystem hat jeder Arbeit den sicheren und leichten Absatz verschafft und es w?re ohne die allergewichtigsten Ursachen geradezu ein Verbrechen unser so herrlich aufbl?hendes Land in die Gefahren eines grossen Krieges zu st?rzen. Die Nachwehen dieser mexikanischen Expedition, welche uns so viel Geld und Blut gekostet hat, sind kaum ?berwunden und ein neuer Krieg w?rde kaum zu verantworten sein."
"Aber glauben Sie denn," rief Herr Vergier lebhaft, "dass der Kaiser sich auf die Dauer wird halten k?nnen, wenn er nicht durch einen gl?cklichen und siegreichen Krieg seiner Regierung ein neues nationales Fundament giebt? Man sagt ja, dass seine besten Freunde ihm zu solchem Kriege rathen.--Ich liebe das kaiserliche Regiment nicht--ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich in der Republik die einzige Regierungsform sehe, welche Frankreich dauernd zu Gl?ck und fester Gr?sse f?hren kann und ich w?rde ohne Bedauern den Zusammenbruch dieser willk?rlichen Regierung ansehen, der wir jetzt unterworfen sind--"
"Sie thun Unrecht," fiel Herr Challier ernst und entschieden ein--"die Jugend liebt die Ver?nderung und glauben Sie mir, es ist wesentlich die Neigung zur Ver?nderung, welche die Gegner des Kaiserreichs erf?llt; ich bin kein unbedingter Bewunderer der Napoleonischen Herrschaft--die Traditionen unserer Stadt und unserer Gegend weisen uns vielmehr auf die alten legitimen K?nige von Frankreich zur?ck, mit denen unsere Vorfahren in der grossen Geschichte der Vorzeit so eng verbunden waren; aber ich erkenne an, dass das legitime K?nigthum f?r Frankreich abgeschlossen ist und dass in dem Kaiserreich die einzige Garantie f?r eine ordnungsm?ssige gesicherte Entwickelung der nationalen Wohlfahrt liegt. Dem Kaiser Schwierigkeiten zu bereiten ist nach meiner aufrichtigsten Ueberzeugung ein Unrecht gegen Frankreich selbst, um so mehr nachdem der Kaiser sich jetzt mit liberalen Institutionen umgeben und M?nner in seinen Rath berufen hat, welche das Vertrauen des Volkes besitzen."
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