Read Ebook: Der Todesgruß der Legionen 1. Band by Samarow Gregor
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Ebook has 911 lines and 53369 words, and 19 pages
"Sie thun Unrecht," fiel Herr Challier ernst und entschieden ein--"die Jugend liebt die Ver?nderung und glauben Sie mir, es ist wesentlich die Neigung zur Ver?nderung, welche die Gegner des Kaiserreichs erf?llt; ich bin kein unbedingter Bewunderer der Napoleonischen Herrschaft--die Traditionen unserer Stadt und unserer Gegend weisen uns vielmehr auf die alten legitimen K?nige von Frankreich zur?ck, mit denen unsere Vorfahren in der grossen Geschichte der Vorzeit so eng verbunden waren; aber ich erkenne an, dass das legitime K?nigthum f?r Frankreich abgeschlossen ist und dass in dem Kaiserreich die einzige Garantie f?r eine ordnungsm?ssige gesicherte Entwickelung der nationalen Wohlfahrt liegt. Dem Kaiser Schwierigkeiten zu bereiten ist nach meiner aufrichtigsten Ueberzeugung ein Unrecht gegen Frankreich selbst, um so mehr nachdem der Kaiser sich jetzt mit liberalen Institutionen umgeben und M?nner in seinen Rath berufen hat, welche das Vertrauen des Volkes besitzen."
"Das Vertrauen des Volkes?" rief Herr Vergier. "Besitzt dieser Herr Ollivier, welcher dem Portefeuille seine Ueberzeugung, die er fr?her so laut und emphatisch aussprach, St?ck f?r St?ck geopfert hat--besitzt dieser, t?glich die Farbe wechselnde Minister das Vertrauen des Volkes?--Dieser Mann, der ?usserlich den anspruchslosen und einfachen B?rger spielt und in seinem Herzen ein schlimmerer H?fling ist als die Satelliten der r?mischen Kaiser."
"Nun," sagte Herr Challier das Gespr?ch abbrechend, "ich hoffe, dass die kriegerischen Bef?rchtungen auch diesmal unbegr?ndet sein werden und dass man die steigende Wohlfahrt des Landes einem augenblicklichen militairischen Ruhm vorziehen wird."
Er blickte auf seine Uhr.
"Ist unser Diner bereit?" fragte er seine Tochter, welche fortw?hrend still in ihrem Stuhl gesessen hatte, ohne auf das Gespr?ch ihres Vaters mit Herrn Vergier zu achten.
Luise erhob sich.
"Sogleich," sagte sie, "Herr Cappei muss jeden Augenblick kommen; er hat versprochen heute bei uns zu essen," f?gte sie hinzu, indem ihr Blick sich fast herausfordernd auf Herrn Vergier richtete, welcher die Lippen zusammenbiss und sich abwendete.
Die Th?r ?ffnete sich und der junge Hannoveraner trat ein.
Herr Challier begr?sste ihn mit herzlicher Freundlichkeit; das junge M?dchen trat ihm entgegen, reichte ihm mit anmuthiger Bewegung die Hand und sprach, indem sie mit einem kalten, feindlichen Seitenblick Herrn Vergier streifte:
"Wir f?rchteten schon, dass Sie nicht kommen w?rden und w?rden Ihre Abwesenheit sehr bedauert haben."
Der junge Mann hielt Luisens Hand einige Augenblicke in der seinen, er machte eine unwillk?rliche Bewegung, als wollte er diese Hand an seine Lippen f?hren--dann trat er zur?ck und begr?sste mit einer h?flichen Verneigung Herrn Vergier.
Eine h?bsche Dienerin in der zierlichen Tracht der franz?sischen Landm?dchen ?ffnete die Th?r des anstossenden Speisezimmers. Fr?ulein Luise, welche als die einzige Tochter ihres fr?h verwittweten Vaters dem Haushalte vorstand, trat hinein, warf einen letzten Blick ?ber den einfach aber sauber und geschmackvoll gedeckten Tisch, in dessen Mitte eine kleine Schale mit frischen Blumen stand und kehrte dann zur?ck, um ihrem Vater zu sagen, dass Alles bereit sei.
Man setzte sich zu Tisch. Fr?ulein Luise machte mit der den Franz?sinnen aller St?nde so eigenth?mlichen Anmuth die Honneurs, doch wollte sich der heitere Unterhaltungston, welcher sonst in diesem kleinen Kreis heimisch war, nicht recht finden. Es lag eine gedr?ckte Stimmung auf der Gesellschaft.
Der junge Cappei blickte sinnend und fast traurig vor sich nieder; Herr Vergier beobachtete mit scharfen sp?henden Blicken den jungen Deutschen und Fr?ulein Luise schien mit besonderer Absichtlichkeit ihre ganze Aufmerksamkeit Herrn Cappei zuzuwenden. Sie legte ihm die Speisen vor, schenkte ihm Wein ein und begleitete alle diese kleinen Aufmerksamkeiten mit noch freundlicheren Blicken und Worten, indem sie dabei zuweilen mit dem Ausdruck von Trotz und h?hnischer Herausforderung zu Herrn Vergier hin?bersah.
Das Diner verlief schweigsam.
Der junge Deutsche bewies seinen Dank f?r die Aufmerksamkeiten seiner sch?nen Nachbarin mehr durch gl?ckstrahlende Blicke als durch Worte.
Herr Vergier verbarg, so gut er konnte seine innere zornige Erregung und h?rte mit gezwungenem L?cheln den scherzhaften Bemerkungen zu, durch welche Herr Challier, der eine angenehme Unterhaltung bei Tisch liebte, von Zeit zu Zeit die Conversation zu beleben suchte.
Man erhob sich endlich und kehrte in den kleinen durch eine einfache Lampe erleuchteten Salon zur?ck.
Herr Vergier empfahl sich bald unter dem Vorwande dringender Gesch?fte, die er noch zu erledigen habe und Herr Challier zog sich zur?ck, um seiner Gewohnheit gem?ss einen Augenblick "nachzudenken", wie er sagte, das heisst in dem Lehnstuhl seines Cabinets einen kleinen Schlaf zu machen.
Als die jungen Leute allein geblieben waren, zog Cappei ein kleines Tabouret neben den Lehnstuhl vor den Camin, auf welchem das junge M?dchen sich wieder niedergelassen hatte, setzte sich an ihre Seite und ergriff z?rtlich ihre Hand, die sie ihm reichte.
"Meine s?sse Luise," sagte er mit jenem fremden Accent, den die franz?sische Sprache im Munde eines Deutschen immer annimmt, "ich f?rchte, dass der Augenblick herannaht, in welchem wir uns auf eine vielleicht lange Zeit trennen m?ssen und ich bedarf der festen Zuversicht und des unersch?tterlichen Vertrauens, dass Deine Liebe mir f?r alle Wechself?lle des Schicksals gesichert bleibt."
"Kannst Du daran zweifeln?" erwiderte Luise, indem sie sanft mit der Hand ?ber sein Haar strich und ihn mit einem leuchtenden Blick ansah, "ich habe Muth und Festigkeit--ich stamme," f?gte sie l?chelnd hinzu, "von jenen alten Bragards von Saint-Dizier und wie jene die Sache ihres K?nigs und ihres Landes auf den Schlachtfeldern vertheidigten, so werde ich wenigstens ohne Zagen und Schwanken f?r meine Liebe einzustehen wissen. Der Kampf daf?r," fuhr sie, ihn immer mit entz?ckten Blicken betrachtend fort, "wird ?brigens nicht so schwer sein. Mein Vater ist Dir pers?nlich geneigt und hat eine tiefe Sympathie f?r die Sache Deines so ritterlichen ungl?cklichen K?nigs.--Er liebt mich und ich sehe nicht ein, was er unserer Verbindung entgegenstellen sollte--"
"Dein Vater," sagte Cappei ernst, "ist aber ein Mann des sichern, ruhigen Gesch?ftslebens und er wird und muss f?r die Zukunft seiner Tochter Garantieen verlangen, die ich in diesem Augenblick nicht zu geben im Stande bin--ich bin ein heimathloser Fl?chtling--"
"Du hast Deine Heimath an meinem Herzen gefunden," rief Luise lebhaft, "gen?gt Dir diese Heimath nicht?"--
Er k?sste z?rtlich ihre Hand und sagte mit innigem Ton:
"Das ist f?r mein Herz die sch?nste, die ich finden kann, die einzige, die ich suche, aber wir bed?rfen auch des festen Bodens im wirklichen Leben und dieser fehlt mir in diesem Augenblick vielleicht mehr als je--"
"Doch," unterbrach sie ihn, "warum sprachst Du davon, dass wir uns trennen sollen? Glaubst Du," fuhr sie fort, "dass der Augenblick naht, in welchem Du f?r Deinen K?nig zu Felde ziehen musst?--Glaube mir, die Trennung wird mir tiefen Schmerz bereiten, aber ich werde Dich mit Stolz hinziehen sehen und meine Gebete werden Dich im Kampfe begleiten und Gott und die heilige Jungfrau, die ich st?ndlich anrufen werde, werden Dich mir erhalten--Deine Sache wird siegen und dann--dann wird unserm Gl?ck Nichts mehr im Wege stehen."
Er blickte d?ster vor sich hin.
"W?re es so wie Du sagst," sprach er, "so w?rde ich mit froher Begeisterung und Hoffnung der Zukunft entgegensehen, aber leider f?rchte ich, dass die Zukunft sich anders gestaltet. Ich h?re, dass die Legion aufgel?st werden soll und dann werde ich gezwungen sein nach meiner Heimath zur?ckzukehren, unter die fremde Herrschaft, um mein kleines Erbe mir zu erhalten, die einzige Grundlage, auf welcher ich im Stande bin Dir eine Zukunft zu schaffen."
"Das w?re traurig," sagte Luise--"doch warum willst Du in solchem Fall in Deine Heimath zur?ckkehren? Warum willst Du nicht hier bleiben und in unserm sch?nen Frankreich Dir ein neues Vaterland gewinnen? Mein Vater," f?gte sie rasch hinzu, "ist wohlhabend genug, um uns eine Heimath zu gr?nden--"
"Nein!" rief er sich stolz aufrichtend, "ich kann ein heimathloser Fl?chtling sein, so lange ich einer grossen Sache diene--der Sache des K?nigs, dem ich einst Treue geschworen habe; wenn diese Sache f?llt, so kann ich nicht bittend vor Deinen Vater hintreten und mir von ihm eine Existenz schaffen lassen.
Ich muss dann den festen Fuss in meiner Heimath wiedergewinnen und wenn ich sie verlasse, wenn ich hierher zur?ckkehre, um dem Zuge meines Herzens zu folgen, so muss es offen und frei geschehen und ich muss auch ohne die H?lfe Deines Vaters im Stande sein, unserer Zukunft eine sichere Grundlage zu geben, m?ge dieselbe so bescheiden sein, wie sie wolle. Ich werde keine M?he scheuen, um dies Ziel zu erreichen; das Einzige was ich von Dir erbitte ist, dass Du mir vertraust und auch w?hrend meiner Abwesenheit mir Deine Liebe bewahrst."
Sie beugte sich zu ihm nieder, legte beide Arme um seine Schultern und blickte ihm tief in die Augen.
"Kannst Du daran zweifeln?" sagte sie. "Was Du beschliessest, was Du thun wirst, es wird das Rechte sein und keine Zeit, keine Abwesenheit wird jemals Dein Bild aus meinem Herzen reissen k?nnen. Man sagt, die deutschen Frauen seien fester und treuer in ihrer Liebe--ich will Dir beweisen, dass die feurigern Gef?hle, welche das Herz der Franz?sinnen bewegen, darum nicht minder treu und best?ndig sind."
Sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter und er dr?ckte seine Lippen z?rtlich auf ihr duftiges, gl?nzendes Haar!--
Rasche Tritte ert?nten auf dem Vorplatz. Luise fuhr empor und lehnte sich in ihren Sessel zur?ck.
Cappei r?ckte das Tabouret einen Schritt seitw?rts.
Der Unterofficier R?hlberg trat ein. Er begr?sste mit einer etwas steifen Verbeugung das junge M?dchen und sprach mit einer von innerer Erregung bewegten Stimme.
"Was wir bef?rchteten, geschieht. So eben als ich nach Hause kam fand ich einen Brief des Lieutenants von Mengersen vor, der mir anzeigt, dass in der n?chsten Zeit eine Commission zur Aufl?sung der Legion hier eintreffen wird. Jedem Einzelnen sollen vierhundert Francs ausgezahlt und ihm die Freiheit gelassen werden, zu gehen wohin er will.
"Nun," rief er mit bitterm Tone, "ich weiss, wohin ich gehen werde, um auf meine alten Tage ruhig und frei zu leben; wir sind schon ?ber Zweihundert, die wir uns verbunden haben, nach Algier zu gehen und Ihr thut Unrecht, Euch uns nicht anzuschliessen--aber das kommt--"
Er warf einen schnellen Seitenblick auf das junge M?dchen, biss sich auf den Schnurrbart und schwieg.
"Die Entscheidung naht," sagte der junge Mann, ernst und traurig seine Geliebte anblickend.
"Und die Liebe und Treue wird sich bew?hren," erwiderte diese leise.
"Ich bin gekommen, um Euch abzuholen," sagte der Unterofficier--"verzeihen Sie, mein Fr?ulein," schaltete er mit einer gewissen m?rrischen H?flichkeit ein--"unsere Abtheilung ist bei mir beisammen und wir wollen ein wenig unter einander die Sache besprechen."
Cappei stand auf, reichte Luise die Hand, bat sie, ihn bei ihrem Vater zu entschuldigen und verliess mit dem Unterofficier den Salon.
Das junge M?dchen blieb allein in tiefen Gedanken vor dem allm?lig erl?schenden Kaminfeuer sitzen, sinnend blickte sie vor sich nieder; doch war es kein trauriger und tr?ber Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag, ihre Seele war muthig und stolz darauf, ihrem Geliebten auch unter schweren Verh?ltnissen die Treue bewahren zu k?nnen. Der Kampf mit den Verh?ltnissen des Lebens reizte sie und ihr hoffnungsvolles Herz hatte keinen Zweifel, dass Alles endlich sich zu gl?cklichem Ausgang f?gen w?rde.
Zweites Capitel.
Eine tr?be Februarsonne schien durch die halb geschlossenen Fenstervorh?nge des Schlafzimmers des Kaisers Napoleon des Dritten in den Tuilerien.
Der Kaiser lag auf einer in der Mitte des Zimmers stehenden Chaiselongue, eingeh?llt in einen weiten Schlafrock von leichter Seide, sein Kopf war zur?ckgelehnt auf ein rundes Kissen, seine Augen waren geschlossen und die bleichen Z?ge seines Gesichts trugen den Ausdruck tiefen Leidens; sein fast ganz ergrautes Haar hing unfrisirt an den Schl?fen herab, der sonst so wohl gepflegte Bart war ungeordnet und der ganze Kopf, der sonst so ausdrucksvoll und lebendig erschien, erinnerte in seiner unbeweglichen Starrheit an eine Todtenmaske; die H?nde des Kaisers waren ausgestreckt, die Fingerspitzen bewegten sich leicht in convulsivischen Zuckungen.
Zu den F?ssen des Ruhebettes stand der Dr. Conneau, kaiserlicher Leibarzt und langj?hriger Freund; sein von einem kurz geschnittenen schmalen Backenbart umrahmtes bleiches Gesicht mit der hoch hinauf kahlen Stirn und der stark vorspringenden Nase zeigte den Ausdruck theilnehmender Besorgniss und die tief liegenden, scharfblickenden Augen schauten mit gespannter Aufmerksamkeit auf seinen wie leblos da liegenden Souverain.
An einem Seitentisch in einiger Entfernung war der Doctor N?laton besch?ftigt einige elegant gearbeitete chirurgische Instrumente von Silber und Kautschuk in ein Etui von schwarzem Sammt einzupacken. Sein geistvolles, etwas kr?nkliches Gesicht war ernst und ruhig und wenn er auch zuweilen forschend nach dem Kaiser hin?ber blickte, so schien er doch mehr mit der sorgf?ltigen Aufbewahrung seiner Instrumente als mit dem Zustande seines Patienten besch?ftigt.
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