Read Ebook: J. W. v. Goethe's Biographie by D Ring Heinrich
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 230 lines and 37667 words, and 5 pages
Einflussreich und belehrend durch seine vielseitigen Sprach- und Literaturkenntnisse ward f?r Goethe die Bekanntschaft mit dem Hofmeister eines jungen Grafen von Lindenau. Er hiess Behrisch, und war, nach Goethes eigner Schilderung, ungeachtet seines redlichen Charakters und seiner vielen l?blichen Eigenschaften, einer der gr?ssten Sonderlinge. Trotz der W?rde seines ?ussern Benehmens war er immer zu allerlei muthwilligen Possen aufgelegt. Durch seine sarkastischen Bemerkungen weckte er in Goethe den Hang zur Satyre. Zur besondern Zielscheibe seines Witzes w?hlte sich dieser den Professor Clodius, der die stylistischen Vorlesungen ?bernommen, welche Gellert, seiner Kr?nklichkeit wegen, hatte aufgeben m?ssen. Durch den Tadel eines Gedichts, mit welchem Goethe die Hochzeit eines Oheims in Frankfurt verherrlichen wollte, hatte Clodius seine Autoreitelkeit verletzt. Gemeinschaftlich mit seinem Freunde Behrisch r?chte sich Goethe durch lauten Spott ?ber die mittelm?ssigen Oden, mit denen Clodius mehrmals bei feierlichen Gelegenheiten hervorgetreten war. Die darin enthaltenen Kraftspr?che und Sentenzen benutzte Goethe zu einer Parodie. Es war ein an den damals sehr beliebten Conditor H?ndel gerichtetes Gedicht, welches zwar nicht gedruckt, doch bald in mehreren Abschriften verbreitet ward. Die Wirkung seiner Parodie verst?rkte Goethe noch durch einen satyrischen Prolog, den er bald nachher zu dem von Clodius geschriebenen Lustspiel: "Medon oder die Rache des Weisen" dichtete. Nach seiner eignen Schilderung in sp?tern Jahren hatte Goethe in jenem Prolog Harlekin mit zwei S?cken auftreten lassen, mit moralisch-?sthetischem Sande gef?llt, den die Schauspieler den Zuschauern in die Augen streuen sollten. Der eine Sack, ?usserte Harlekin, sei mit Wohlthaten gef?llt, die nichts kosteten, der andere mit allerlei hochtrabenden Sentenzen, hinter denen nichts stecke. Darum m?chten die Zuschauer ja die Augen zudr?cken u.s.w.
Getrennt von seinem Freunde Behrisch, dem seine vielseitigen Kenntnisse die Stelle eines Erziehers des Erbprinzen von Dessau verschafft hatten, sank Goethe wieder aus Mangel an Selbstst?ndigkeit in das vielfach bewegte und leidenschaftliche Treiben zur?ck, dem er durch Behrisch kaum entrissen worden war. Auf einen bessern Weg f?hrte ihn das Studium der Kunst. Bei dem ber?hmten Oeser, der als Director der Leipziger Zeichnenakademie in dem alten Schlosse Pleissenburg wohnte, nahm Goethe Unterricht im Zeichnen. Durch die Betrachtung vorz?glicher Werke und Oesers geistreiche Bemerkungen dar?ber ward sein fr?h erwachter Kunstsinn wieder vielfach angeregt und gen?hrt. Reichen Genuss verschafften ihm besonders die werthvollen Gem?lde- und Kupferstichsammlungen mehrerer Leipziger Kunstfreunde. Er vermehrte dadurch seine Kenntnisse in einem Fache, worin er, nach einer Aeusserung in sp?tern Jahren, "einst die gr?sste Zufriedenheit seines Lebens finden sollte." Von der blossen Anschauung zum Denken erhob er sich durch das Studium der Schriften d'Argenville's, Christs, Winkelmanns u.A. V?llig klar ward ihm jedoch der Unterschied zwischen den bildenden und den Redek?nsten erst durch Lessings Laokoon. Der Triumph des Sch?nen ?ber das H?ssliche zeigte sich ihm in der Vorstellung der Griechen, die sich den Tod als den Bruder des Schlafs und diesem bis zum Verwechseln ?hnlich dachten.
Einen reinen Kunstgenuss bot ihm ein kurzer Aufenthalt in Dresden und die Betrachtung der dortigen Gem?ldegallerie. Vielfache Belehrung verdankte er dem Inspector Riedel. Kurz vor seiner R?ckreise nach Leipzig lernte er auch den Director der Kunstakademie, v. Hagedorn, einen Bruder des Dichters, pers?nlich kennen. In Leipzig f?hlte Goethe, obgleich er jenen reichen Kunstgenuss dort entbehren musste, nach seinem eignen Gest?ndniss, sich ganz behaglich durch freundschaftlichen Umgang und einen Zuwachs an Kenntnissen. Beides fand er in dem Hause des Buchh?ndlers Breitkopf, der auf dem Neumarkt im silbernen B?ren wohnte. Der ?lteste Sohn jenes Mannes spielte mit ziemlicher Fertigkeit die Violine, und componirte einige von Goethe's Gedichten, die ohne Angabe des Druckorts 1768 zu Leipzig in Quart erschienen. Oft wurden in Breitkopfs Hause, dessen zweiter Sohn ebenfalls musikalisch war, Concerte veranstaltet. Manchen Genuss und Nutzen sch?pfte Goethe auch aus Breitkopfs auserlesener Bibliothek, welche vorz?glich an Werken reich war, die sich auf den Ursprung und die Fortschritte der Buchdruckerkunst bezogen.
Wichtig ward f?r Goethe die Bekanntschaft des aus N?rnberg geb?rtigen Kupferstechers Stock, der ein Mansardzimmer im Breitkopfischen Hause bewohnte. Die Technik der Kupferstecherkunst hatte f?r Goethe einen so unwiderstehlichen Reiz, dass er der Begierde nicht widerstehen konnte, sich selbst in diesem Fache zu versuchen. Zur Zufriedenheit seines Lehrers Stock radirte er einige Landschaften nach Thiele und andern K?nstlern. Erhalten haben sich aus jener Zeit noch zwei radirte Bl?tter Goethe's. Beide stellen Landschaften dar, mit kleinen Cascaden, umschlossen von Felsen und Grotten. An dem untern Rande beider Landschaften befinden sich die Worte. Peint par A. Thiele, grav? par Goethe. Das eine Blatt hatte Goethe mit den nachstehenden Worten seinem Vater gewidmet: Dedi? ? Monsieur Goethe, Conseiller actuel de S.M. Imperiale, par son fils tr?s-obeissant. Das andere Blatt f?hrt die Unterschrift: Dedi? ? Mr. le Docteur Hermann, Assesseur de la cour provinciale supr?me de justice S. A. Elect. de Saxe et S?nateur de la ville de Leipsic, par son ami Goethe. Eine genaue und ausf?hrliche Beschreibung der erw?hnten Bl?tter lieferte ein Aufsatz Karl Buchner's im Morgenblatt vom Jahr 1828. No. 3-6.
Den der Gesundheit nachtheiligen D?nsten, die sich beim Aetzen von Kupferstichen entwickelten, gab Goethe eine gef?hrliche Brustbeklemmung schuld, die er sich aber auch wohl durch den zu reichlichen Genuss des Merseburger Biers und starken Kaffees zugezogen haben mochte. Der Organismus seiner Natur ward so heftig ersch?ttert, dass er einst Nachts von einem heftigen Blutsturz erwachte. Die ?rztliche H?lfe des Doctor Reichel beschleunigte seine Genesung. Er ward wieder heiter gestimmt f?r den Umgang mit seinen Freunden, die er durch Kr?nklichkeit und ?ble Laune von sich gescheucht hatte.
Die Zeit, wo Goethe nach beendigten Studien wieder in das elterliche Haus zur?ckkehren sollte, war nahe. Kurz vor seiner Abreise ereignete sich ein Tumult zwischen den Studenten und Stadtsoldaten. Goethe hatte keinen Antheil an diesen H?ndeln. Mit jenem Nachklange akademischer Grossthaten verliess er Leipzig im September 1768. Er hatte dort manche Freundschaftsverh?ltnisse angekn?pft. Den Einfluss, den der Aufenthalt in Leipzig auf seine Bildung gehabt, konnte er nicht verkennen. Gestehen musste er sich freilich, dass er den Aussichten und Hoffnungen seiner Eltern nicht sonderlich entsprochen. Er hatte sich ganz andern Studien gewidmet, als sein Vater w?nschen mochte, der nur m?hsam den Unmuth verbarg, seinen Sohn, der nun promoviren und die ihm vorgeschriebene Bahn durchlaufen sollte, noch nicht hinl?nglich dazu vorbereitet, und ?berdiess geistig und k?rperlich leidend heimkehren zu sehen.
Goethe aber bereute nicht den selbst gew?hlten Pfad, und seine Dankbarkeit vergass nie den Mann, der ihn zuerst darauf hingeleitet. Den 9. November 1768 schrieb er nach Leipzig an Oeser: "Was bin ich Ihnen nicht alles schuldig, dass Sie mir den Weg zum Wahren und Sch?nen gezeigt, dass Sie mein Herz f?r den Reiz f?hlbar gemacht haben. Ich bin Ihnen mehr schuldig, als ich Ihnen danken k?nnte. Der Geschmack, den ich am Sch?nen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, hab' ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiss, wie einleuchtend wahr ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, dass die Werkstatt eines grossen K?nstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickle, als der H?rsaal des Weisen und des Kritikers. Lehre thut viel, aber Aufmunterung thut Alles. Aufmunterung nach dem Tadel ist Sonne nach dem Regen, fruchtbares Gedeihen. Wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen h?tten, ich w?re verzweifelt. Sie wissen, was ich war, als ich zu Ihnen kam, und was ich war, als ich von Ihnen ging. Der Unterschied ist Ihr Werk."
Als G?the diesen Brief schrieb, war er unl?ngst genesen von einer gef?hrlichen Krankheit, die durch gest?rte Verdauung und ein dadurch erzeugtes Asthma die lebhaftesten Besorgnisse seiner Eltern erregte. Unvergesslich blieb ihm die liebreiche Pflege seiner Mutter und die z?rtliche Theilnahme seiner Schwester Cornelia. Durch seine Krankheit allen irdischen Angelegenheiten entfremdet, wandte sich sein Geist dem Himmlischen zu. Mit der ganzen W?rme und Innigkeit seines Gef?hls suchte er das Unsichtbare zu ergreifen. Wie ihn als Kind vorzugsweise das Alte Testament angesprochen, so besch?ftigte er sich nun, von einem ?hnlichen schw?rmerischen Enthusiasmus ergriffen, mit den neutestamentlichen Schriften.
In dieser Geistesrichtung begegnete ihm eine seelenkranke Freundin seiner
Mutter, ein Fr?ulein von Klettenberg, aus deren Unterhaltungen und Briefen Goethe sp?ter den Stoff hernahm zu den in seinem "Wilhelm Meister" enthaltenen "Bekenntnissen einer sch?nen Seele." Sein Verh?ltniss zu dem Fr?ulein von Klettenberg blieb, ungeachtet der schw?rmerischen Richtung ihres Geistes, der dem irdischen Daseyn g?nzlich entfremdet, sich nur mit dem ewigen Heil der Seele besch?ftigte, doch nicht ohne Einfluss auf Goethe's moralische Veredlung. Jedenfalls h?tte er indess seine Zeit besser verwenden k?nnen, als zu dem Lesen von allerlei mystischen Schriften. Durch Theophrast, Paracelsus u. A. ward er in das Gebiet der Chemie gef?hrt. Mit H?lfe eines kleinen Laboratoriums machte er, nach Anleitung des Boerhave'schen Compendiums einige chemische Experimente, die, so unvollkommen sie auch ausfielen, seine Kenntnisse in mannigfacher Weise bereicherten. Auch das Zeichnen, Aetzen und Radiren trat wieder in die Reihe seiner Lieblingsbesch?ftigungen. Nach den mannigfachsten Richtungen schweifte seine Th?tigkeit, die erst eine feste Basis gewonnen zu haben schien, als er sich wieder zu philosophischen Studien wandte.
Den Weg, den seine Bildung nahm, zeigte ein Brief an die Tochter seines Freundes Oeser, vom 13. Februar 1769. "Meine gegenw?rtige Lebensart," schrieb Goethe, "ist der Philosophie gewidmet. Eingesperrt, allein, Cirkel, Papier, Feder und Dinte und zwei B?cher ist mein ganzes R?stzeug; und auf diesem einfachen Wege komme ich der Erkenntniss der Wahrheit oft so nah und weiter, als Andere mit ihrer Bibliothekswissenschaft. Ein grosser Gelehrter ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit M?he viel B?cher durchbl?ttert hat, verachtet das leichte, einfache Buch der Natur, und es ist nichts wahr, als was einf?ltig ist. Freilich eine Recommendation f?r die wahre Weisheit! Wer den einf?ltigen Weg geht, der gehe ihn, und schweige still. Demuth und Bed?chtlichkeit sind die nothwendigsten Eigenschaften unserer Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt wird. Ich danke es Ihrem lieben Vater, er hat meine Seele zuerst zu diesem Wege bereitet. Die Zeit wird meinen Fleiss segnen, dass er ausf?hren kann, was angefangen ist. Wenn man anders denkt, als grosse Geister, so ist es gew?hnlich ein Zeichen eines kleinen Geistes. Ich mag nicht gern Eins und das Andere seyn. Ein grosser Geist irrt so gut wie ein kleiner; jener, weil er keine Schranken kennt, dieser, weil er seinen Horizont f?r die Welt nimmt. O meine Freundin, das Licht ist die Wahrheit, von der doch das Licht quillt. Die Nacht ist Unwahrheit. Und was ist Sch?nheit? Sie ist nicht Licht und nicht Nacht, D?mmerung, eine Geburt von Wahrheit und Unwahrheit, ein Mittelding. In ihrem Reiche liegt ein Scheideweg, so zweideutig, so schielend, ein Herkules unter den Philosophen k?nnte sich vergreifen."
In dankbarer R?ckerinnerung an seinen "lieben Oeser" schrieb Goethe den 20. Februar 1770 an den Buchh?ndler Reich in Leipzig: "Nach Oeser und Shakspeare ist Wieland der Einzige, den ich f?r meinen ?chten Lehrer erkenne. Andere hatten mir gezeigt, dass ich fehlte; diese zeigen mir, wie ich's besser machen sollte." Der erw?hnte Brief enthielt zugleich einige charakteristische Bemerkungen ?ber Wieland. "Mein Urtheil ?ber den Diogenes von Sinope," schrieb Goethe, "werden Sie nicht verlangen. Empfinden und Schweigen ist Alles, was man bei dieser Gelegenheit thun kann, denn so gar loben soll man einen grossen Mann nicht, wenn man nicht so gross ist, wie er. Aber ge?rgert hab' ich mich schon auf Wielands Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland hat das Ungl?ck, oft nicht verstanden zu werden. Vielleicht ist manchmal die Schuld sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muss man sich ?rgern, wenn Leute ihre Missverst?ndnisse dem Publikum f?r Erkl?rungen verkaufen." Seine Verehrung Wielands sprach Goethe am Schlusse seines Briefes in den Worten aus. "Wenn Sie diesem grossen Autor schreiben oder ihn sprechen, so haben Sie die G?te, ihm einen jungen Menschen bekannt zu machen, der zwar nicht Mann's genug ist, seine Verdienste zu sch?tzen, aber doch ein genug z?rtliches Herz hat, sie zu verehren."
Wie geringen Werth Goethe seinen in Leipzig entstandenen Gedichten beimass, bewies er durch den ausgef?hrten Entschluss, den gr?ssten Theil derselben, bald nach seiner Ankunft in Frankfurt, den Flammen zu opfern. Auch mehrere unvollendete dramatische Werke traf dies Schicksal. Verschont blieben nur "die Laune des Verliebten" und "die Mitschuldigen." Das zuletzt genannte St?ck erhielt noch einige Verbesserungen. Diese poetischen Besch?ftigungen wurden unterbrochen durch seine nahe Abreise nach Strassburg. Dort sollte Goethe nach seines Vaters Wunsch, seine Studien vollenden und sich den juristischen Doctorhut erwerben. Noch immer gab Goethes Vater die Hoffnung nicht auf, aus seinem Sohne einen t?chtigen Rechtsgelehrten zu bilden.
Vom M?nster betrachtete Goethe bald nach seiner Ankunft in Strassburg, die Stadt und die Umgegend. Er pries sein Schicksal, das ihm einen so anmuthigen Aufenthalt bestimmt hatte. An der Sommerseite des Fischmarktes, einer langen und sehr belebten Strasse, bezog er eine freundliche Wohnung. Den Mittagstisch hatte er in einer sehr gebildeten Kaufmannsfamilie, an die er empfohlen worden war. Ein grosser Theil der Studirenden in Strassburg widmete sich der Arzneikunde. Dadurch gewann auch Goethe ein Interesse an der Medicin. Im zweiten Semester h?rte er Chemie bei Spielmann, und Anatomie bei Lobstein, ohne dar?ber sein Berufsfach, die Jurisprudenz, zu vernachl?ssigen. Mit H?lfe eines Repetenten, den ihm einer seiner Freunde, der Actuar Salzmann, empfahl, erg?nzte Goethe, was ihm noch fehlte, um in dem juristischen Examen mit Ehren zu bestehen.
An Zerstreuung und Zerst?ckelung seiner Studien fehlte es ihm in Strassburg eben so wenig, wie w?hrend seines Aufenthalts in Leipzig. Lockend war f?r ihn das fr?hliche Leben im Elsass. Manchen Sommerabend brachte er mit einigen Freunden in ?ffentlichen G?rten und andern Lustorten zu. Auch unternahm er h?ufig Ausfl?ge, vorz?glich in die romantischen Gebirgsgegenden. Seine anmuthige Gestalt, sein offenes Wesen empfahlen ihn ?berall, und er gewann Zutritt zu den vornehmsten Cirkeln. Den Anforderungen des akademischen Lebens entsprach er durch seine Gewandtheit im Fechten. Aber auch dem Tanz und dem Kartenspiel, das er eigentlich nicht liebte, huldigte Goethe, um nicht gegen den feinen Gesellschaftston zu verstossen.
Unstreitig das wichtigste Ereigniss w?hrend seines Aufenthalts in Strassburg war die pers?nliche Bekanntschaft mit Herder, der als Reisebegleiter des gem?thskranken Prinzen von Holstein-Eutin nach Strassburg kam. Einen lange gehegten Lieblingswunsch sah Goethe erf?llt, als ihm geg?nnt war, sich dem ber?hmten Manne zu n?hern, der durch seine "Fragmente zur deutschen Literatur", durch seine "kritischen W?lder" und andere Schriften das Interesse des gebildeten Publikums entschieden auf sich gelenkt hatte. In dem Gasthofe, wo Herder eingekehrt, machte ihm Goethe seine Aufwartung. Herder trug ein schwarzes Kleid und einen seidnen Mantel von gleicher Farbe. Sein gepudertes Haar war in eine runde Locke aufgesteckt, wodurch er einem Geistlichen ?hnlich sah. Nach der Schilderung, welche Goethe in sp?tern Jahren von Herders Pers?nlichkeit entwarf, war "sein Gesicht rund, die Stirn bedeutend, die Nase etwas stumpf, der Mund ein wenig aufgeworfen, aber h?chst individuell angenehm und liebensw?rdig. Unter schwarzen Augenbraunen blitzten ein Paar kohlschwarze Augen hervor, die ihre Wirkung nicht verfehlten, ungeachtet das eine Auge roth und entz?ndet war, und von Lobstein operirt werden sollte."
Durch einen reichen Schatz von Lebenserfahrungen, verbunden mit einer eigenth?mlichen Anziehungskraft, ?bte Herder, obgleich er nur f?nf Jahre ?lter war als Goethe, auf diesen einen so unwiderstehlichen Reiz aus, dass er ihm mit Offenheit eine treuherzige Schilderung seiner Jugendbesch?ftigungen und Liebhabereien entwarf. Herders scharfer Tadel und seine sarkastischen Bemerkungen vermochten ihn nicht in der Achtung herabzusetzen, die Goethe f?r ihn empfand. Er verdankte ihm einen grossen Zuwachs an neuen Ideen und den mannigfachsten Kenntnissen. In einem ganz andern Lichte erschien ihm das Lieblingsbuch seiner Jugend, die Bibel, durch die von Herder in seinem Werke: "Vom Geist der hebr?ischen Poesie" gesammelten Bl?then morgenl?ndischer Dichtkunst. Ueberall er?ffnete ihm Herder einen freiern Blick in das grosse Gebiet der Literatur. Besonders ward Goethe durch ihn mit den vorz?glichsten Erzeugnissen der englischen Literatur bekannt. Einen noch entschiedeneren Einfluss w?rde Herder auf Goethe's Bildung gewonnen haben, wenn er seine uners?ttliche Wissbegierde nicht oft zur?ckgeschreckt h?tte durch allerlei sarkastische Bemerkungen, die besonders Goethe's Selbstgef?lligkeit und Eitelkeit trafen. Aus Furcht vor Herders Tadel verbarg ihm Goethe daher auch sein Interesse an poetischen Gegenst?nden, und namentlich die Idee, den biedern und tapfern Ritter G?tz von Berlichingen zu einem dramatischen Helden zu w?hlen.
Zu dem Kreise, in welchem sich Goethe damals bewegte, geh?rten ausser Herder, noch einige andere, mehr oder minder ausgezeichnete Individuen. Der unter dem Namen Jung-Stilling bekannte Schriftsteller befand sich damals in Strassburg. Goethe r?hmte in sp?tern Jahren an ihm seinen Enthusiasmus f?r alles Gute, Wahre und Rechte. "Unverw?stlich, ?usserte Goethe, war sein Glaube an Gott und an eine unmittelbar von ihm ausgehende H?lfe. Sein Glaube duldete keinen Zweifel, und seine Ueberzeugung keinen Spott." Eine eigenth?mliche Treuherzigkeit und ein leichter Humor charakterisirte, nach Goethe's eignem Gest?ndniss, seinen Freund Franz Lerse. Seine Gewandtheit im Fechten qualificirte ihn zum Schieds- und Kampfrichter bei allen H?ndeln, die in der Studentenwelt sich nicht durch Worte und Erkl?rungen beseitigen liessen. Den Namen seines Freundes verewigte Goethe sp?ter in seinem "G?tz von Berlichingen." Erst in der letzten Zeit seines Aufenthalts lernte er den als genialen Sonderling bekannten Dichter Lenz kennen, der sp?ter in Geisteszerr?ttung zu Moskau starb. Die Excentricit?t Shakspeare's und den unvergleichlichen Humor des Britten zu empfinden und nachzubilden, war Niemand geeigneter, als Lenz, wie er durch seine Uebersetzung von Love's labour's lost und durch die derselben beigef?gten Anmerkungen ?ber das Theater bewies. Wie er, f?hlte sich auch Goethe nicht zur?ckgestossen durch die Derbheit in Shakspeare's Werken, vielmehr reichlich entsch?digt durch die darin herrschende Wahrheit und Natur. In ihren geselligen Cirkeln bediente Goethe mit seinen Freunden sich der von Shakspeare gebrauchten Worte und Redensarten. Er ward ihr Vorbild im Dichten, wie im Leben.
Das fr?h in Goethe erwachte Gef?hl f?r Natursch?nheiten lockte ihn in die anmuthige Umgegend Strassburgs. Mit einigen dortigen Freunden besuchte er Zabern, Buchsweiler, L?tzelstein, Saarbr?ck und andere St?dte und Flecken im Elsass. Auf diesen Excursionen lernte er mehrere Familien kennen, bei denen er eine gastfreie Aufnahme fand. Vorz?glich war diess der Fall bei dem Pfarrer Brion in dem etwa sechs Stunden von Strassburg entfernten Dorfe Sesenheim. Ein besonderes Interesse erhielt diese Bekanntschaft f?r Goethe durch ein Liebesverh?ltnis zur dritten Tochter jenes Geistlichen. Nach ?bereinstimmenden Zeugnissen war Friederike Brion ein M?dchen von sch?nem Wuchs, blondem Haar und blauen Augen. Was ihr an ?ussern Reizen abging, ersetzte sie durch Anmuth in ihrem Wesen und durch das Talent geselliger Unterhaltung. Sie hatte ihren Geist durch das Lesen der besten Schrifsteller gebildet, und war musikalisch. Oft durchwanderte Goethe mit ihr die anmuthige Gegend. Ein Buchenw?ldchen war sein Lieblingsplatz. Gesellige Zerstreuungen, mitunter Pf?nderspiele, bei denen Goethe durch seinen Witz und Humor gl?nzte, erheiterten den Kreis von Freunden und Verwandten in des Pfarrers Brion Wohnung zu Sesenheim, wenn Goethe, nach Strassburg zur?ckgekehrt, dort wieder erschien. Er verweilte mitunter mehrere Wochen in Sesenheim. Den Taumel von Zerstreuungen, in denen er sich befand, schilderten einzelne Stellen in seinen Briefen an den Actuar Salzmann in Strassburg.
"Getanzt hab' ich," schrieb er unter andern, "am Pfingstmontage von 2 Uhr nach Tisch bis zw?lf Uhr in der Nacht, in einem fort, ausser einigen Intermezzo's von Essen und Trinken. Wir hatten brave Schnurranten erwischt, da ging's wie Wetter. Das ganze Ich war in das Tanzen versunken." Er schadete durch das Uebermass seiner Gesundheit. Geplagt von einem hartn?ckigen Husten, schrieb er einige Tage sp?ter: "Man lebt doch nur halb, wenn man nicht Athem sch?pfen kann. Und doch mag ich nicht in die Stadt zur?ck. Die Bewegung und freie Luft hilft wenigstens, was zu helfen ist." Nicht ohne einen Anflug von Tr?bsinn schloss er seinen Brief mit den Worten: "Die Welt ist sch?n, so sch?n! Wer's geniessen k?nnte! Ich bin manchmal ?rgerlich dar?ber, und manchmal halte ich mir erbauliche Erbauungsstunden ?ber das Heute, ?ber diese Idee, die unserer Gl?ckseligkeit so unentbehrlich ist, und die mancher Professor der Ethik nicht fasst, und keiner gut vertr?gt."
Sein immer leidenschaftlicher gewordenes Verh?ltniss zu Friederiken fing an ihn zu beunruhigen. Goethe f?hlte, dass es sich bald, vielleicht f?r immer aufl?sen musste, da die Zeit seiner Abreise von Strassburg nahe war. Seine Besuche in Sesenheim wurden Seltener, aber sein Briefwechsel mit Friederiken dauerte fort. Goethes Zeit war freilich beschr?nkt. Er musste an die Ausarbeitung seiner Dissertation denken, die ihm die juristische Doctorw?rde verschaffen sollte. Das von ihm gew?hlte Thema war nach seiner eignen Aeusserung in sp?tern Jahren: "der Gesetzgeber sei nicht allein berechtigt, sondern verpflichtet, einen gewissen Cultus festzusetzen, von welchem weder die Geistlichkeit, noch die Laien sich lossagen d?rften." Unter dem Vorsitz der Strassburger Professoren Koch und Oberlin fand die Disputation am 6. August 1771 statt. Einige von Goethes akademischen Freunden waren die Opponenten.
Mit Thr?nen nahm Friederike von ihm Abschied, als er ihr vom Pferde herab nochmals die Hand reichte. Sie hatte ihn wahrhaft geliebt. Sie soll sp?ter mehrere Heirathsantr?ge mit der Aeusserung zur?ckgewiesen haben: "wer einmal Goethe'n geliebt, k?nne keinen Andern lieben." Ein sonderbarer Zufall begegnete ihm nach jenem schmerzlichen Abschiede auf seinem Ritt nach Drusenheim. Seine eigene Gestalt glaubte er zu erblicken, die ihm zu Pferde entgegenkam, in einem hechtgrauen, mit Gold verbr?mten Kleide, wie er es wirklich nach acht Jahren trug, als er noch einmal in Sesenheim einen Besuch machte. Friederike sah ihn seitdem nicht wieder. Sie soll jedoch, nach seinen brieflichen Aeusserungen, schon damals sich mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, auf seinen Besitz zu verzichten.
Goethe's Empfang im elterlichen Hause ?bertraf seine Erwartungen. Erfreut, seinen Sohn durch die erlangte Doctorw?rde seinem k?nftigen Beruf um einen Schritt n?her ger?ckt zu sehen, liess Goethe's Vater den Beifall, den er der Dissertation gezollt, auch auf mehrere Gedichte, Aufs?tze und Skizzen ?bergehen, die Goethe w?hrend seines Aufenthalts in Strassburg entworfen hatte. Von seinen Leipziger Bekannten fand Goethe in Frankfurt, ausser seinem Landsmann und nachherigen Schwager Schlosser, auch dessen Bruder, einen t?chtigen Juristen, der nebenher der Poesie huldigte, und die Hochzeit von Goethe's Schwester Cornelia durch ein zu Frankfurt 1773 in Folio gedrucktes Gedicht verherrlichte.
Wichtig und einflussreich ward f?r Goethe die Bekanntschaft mit Merk, der damals als Kriegszahlmeister in Darmstadt lebte, und mit mannigfachen Kenntnissen und einer vielseitigen Bildung, unersch?tterliche Redlichkeit und einen offenen, geraden Charakter verband. Lebhaft interessirte er sich in mehrfacher Hinsicht f?r Goethe und dessen Talente, und v?terlich warnte er ihn, seine Th?tigkeit nicht nach den verschiedenartigsten Richtungen zu zersplittern. Er ermunterte ihn, seine F?higkeiten und Kr?fte zu concentriren, und tadelte ihn, wenn er eine begonnene literarische Arbeit wieder aufgab, und immer nur Skizzen und Fragmente lieferte. Unter solchen Aufmunterungen entwarf Goethe die ersten Umrisse zum "Faust" und "G?tz von Berlichingen."
Durch die Besch?ftigung mit dem zuletzt genannten dramatischen Werk war Goethe in das f?nfzehnte und sechszehnte Jahrhundert zur?ckgef?hrt worden. Luthers Leben und Thaten, die in jenem Zeitraum so herrlich hervorgl?nzten, n?herten ihn wieder der heiligen Schrift und der Betrachtung religi?ser Gef?hle und Meinungen. Er ?bte seinen Scharfsinn an dem Alten und Neuen Testament in exegetisch kritischen Untersuchungen. Zu einem besondern Studium machte er das Dogma von der Erbs?nde. Ausf?hrlich er?rterte er diese Lehre in einem dem Druck ?bergebenen Briefe, den er unter der Maske eines Landgeistlichen an seinen Amtsbruder richtete. Ebenfalls angeblich von einem Landpfarrer in Schwaben verfasst, war der von Goethe herausgegebene "Versuch einer gr?ndlichen Beantwortung einiger bisher uner?rterten biblischen Fragen." Ueber den Inhalt der zuletzt genannten Schrift legte Goethe selbst in sp?tern Jahren das offene Bekenntniss ab: "Ich gerieth damals auf die wunderlichsten Einf?lle. Ich glaubte gefunden zu haben, dass nicht unsere zehn Gebote auf den Tafeln Moses gestanden, dass die Israeliten keine vierzig Jahre, sondern nur kurze Zeit durch die W?ste gewandert w?ren u.s.w. Auch das Neue Testament war vor meinen Untersuchungen nicht sicher. Ich verschonte es nicht mit meiner Sonderungslust, und glaubte auch in dieser Region allerlei Entdeckungen zu machen. Die Gabe der Sprachen am Pfingstfest in Glanz und Klarheit ertheilt, deutete ich mir auf eine etwas abstruse Weise, nicht geeignet, sich viele Theilnahme zu verschaffen." Die erw?hnten kleinen Schriften, ein Verlagsartikel des Buchh?ndlers Eichenberg in Frankfurt am Main, erschienen 1773 ohne Angabe des Druckorts und Verlegers, und wurden in die neuesten Ausgaben von Goethe's Werken aufgenommen. Aus diesem Ideenkreise ward er wieder entfernt durch das wachsende Interesse an seinem Ritterschauspiel "G?tz von Berlichingen." Manche historische Studien waren ihm dabei unerl?sslich. Dem Werke von Datt: de pace publica verdankte er manche Aufkl?rung der dunkeln Zeitperiode, in der sein St?ck spielte. Seine Stimmung, w?hrend er mit seinem dramatischen Werke besch?ftigt war, schilderte er den 28. November 1771 in einem Briefe an seinen Freund, den Actuar Salzmann in Strassburg. "Sie kennen mich so gut," schrieb er, "und dennoch wett' ich, Sie errathen nicht, warum ich nicht schreibe. Es ist eine Leidenschaft, eine ganz unerwartete Leidenschaft; Sie wissen, dass mich dergleichen in ein Cirkelchen werfen kann, dass ich Sonne, Mond und die lieben Sterne dar?ber vergesse. Ich kann nicht ohne das seyn, Sie wissen es lange, und koste es was es wolle, ich st?rze mich drein. Diessmal sind keine Folgen zu bef?rchten. Mein ganzer Genius liegt auf einem Unternehmen, wor?ber Homer und Shakspeare und Alles vergessen werden. Ich dramatisire die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven Mannes, und die viele Arbeit, die mich's kostet, macht mir einen wahren Zeitvertreib, den ich so n?thig habe. Es ist traurig, an einem Orte zu leben, wo unsere ganze Wirksamkeit in sich selbst summen muss. Ich ziehe mit mir selbst auf dem Felde und auf dem Papier herum. Es w?re aber eine traurige Gesellschaft, wenn ich nicht alle St?rke die ich in mir f?hle, auf ein Object w?rfe, und das zu packen und zu tragen suchte, so viel mir m?glich, und was nicht geht, das schleppe ich. Ich hoffe Sie nicht wenig zu vergn?gen, wenn ich Ihnen einen edlen Vorfahren, die wir leider nur von ihren Grabsteinen kennen, im Leben darstelle. Wie oft w?nsche ich Sie hierher, um Ihnen ein St?ckchen Arbeit zu lesen und Urtheil und Beifall von Ihnen zu h?ren. Hier ist Alles um mich herum todt. Frankfurt bieibt das Nest, Nidus, wenn Sie wollen, wohl um V?gel auszubr?ten, sonst auch fig?rlich Spelunca. Gott helfe aus diesem Elend, Amen." In einem sp?tern Briefe an Salzmann vom 3. Februar 1772 dankte Goethe dem Freunde f?r den Beifall, den er den ihm mitgetheilten Proben des G?tz von Berlichingen zollte, und f?gte hinzu. "Das Diarium meiner Umst?nde ist, wie Sie wissen, f?r den geschwindesten Schreiber unm?glich. Inzwischen haben Sie aus dem Drama gesehen, dass die Intentionen meiner Seele dauernder werden, und ich hoffe, sie soll sich nach und nach bestimmen. Aussichten erweitern sich t?glich, und Hindernisse r?umen sich weg. Ein Tag mag bei dem andern in die Schule gehen; denn einmal f?r allemal, die Minorennit?t l?sst sich doch nicht ?berspringen."
So stark auch das Interesse an seinem dramatischen Werke seyn mochte, liess sich doch der andere Eindruck auf Goethe's Gef?hl dadurch nicht beschwichtigen. Tief ergriffen hatte ihn ein Brief aus Sesenheim. Er f?hlte Friederikens Schmerz, ohne ihn lindern zu k?nnen. Losreissen musste er sich von der d?stern Stimmung, die sich seiner bem?chtigte und seine ganze Th?tigkeit zu l?hmen drohte. Er bedurfte der Zerstreuung. Erst in der freien Natur f?hlte er sich wieder wohler. Seine Freunde nannten ihn den Wanderer, weil er oft mehrere Tage in der Umgegend von Frankfurt umherstrich, und bisweilen selbst den Weg nach Darmstadt und Homburg einschlug. Auf diesen einsamen Wanderungen entstanden mehrere seiner lyrischen Poesieen, unter denen sich nur das Gedicht: "Wanderers Sturmlied", das er, w?hrend er einem furchtbaren Wetter entgegenging, vor sich hin recitirte, in seinen Werken erhalten hat. Bisweilen beschr?nkte er seine Streifz?ge blos auf Frankfurt und die Vorst?dte dieses Orts. Er kam dadurch mit den verschiedenen St?nden und Volksklassen in Ber?hrung. In einem Briefe vom ersten Juni 1773 erz?hlte Goethe, wie er r?stig Wasser herbeigeschleppt, um ein Nachts in der Judengasse ausgebrochenes Feuer l?schen zu helfen. "Die wundersamsten, innigsten, mannigfachsten Empfindungen", schrieb er, "haben mir meine M?he auf der Stelle belohnt. Ich habe bei dieser Gelegenheit das gemeine Volk wieder kennen gelernt und bin ?berzeugt worden, dass es doch die besten Menschen sind."
Durch seine scheinbar zerstreute Lebensweise ward Goethe's Th?tigkeit nicht unterbrochen. Wenigstens entging ihm keine der neuern literarischen Erscheinungen in dem Gebiete der Literatur. Von dem Eindruck, den Herders "?lteste Urkunde des Menschengeschlechts" auf ihn gemacht, konnte er sich selbst kaum Rechenschaft geben. In einem Briefe an einen Freund des elterlichen Hauses, an den damals in Algier lebenden d?nischen Consul Sch?nborn, vom 8. Juni 1773, nannte er Herder's Werk "ein so mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der F?lle verschlungener Aeste lebende Welt, dass weder eine Zeichnung nach verj?ngtem Massstabe einigen Ausdruck der Riesengestalt nach?ffen, noch eine treue Silhouette einiger Theile melodisch und mit sympatethischem Klang in der Seele anschlagen k?nnte. Herder", f?gte er hinzu, "ist in die Tiefen seiner Empfindung hinabgestiegen, hat darin alle die hohe heilige Kraft der simpeln Natur aufgew?hlt, und f?hrt sie nun in d?mmerndem, wetterleuchtendem, hie und da morgenfreundlich l?chelnden orphischem Gesange vom Aufgange herauf ?ber die neue Welt, nachdem er vorher die Lasterbrut der neuern Geister, Deisten, Atheisten, Philologen, Textverbesserer, Orientalisten u. s. w. mit Feuer und Schwert und Fluthsturm ausgetilgt."
Mit dieser gl?henden Begeisterung f?r Herder contrastirte ein in diesem Briefe enthaltener heftiger Ausfall gegen Wieland, der durch eine nicht sonderlich g?nstige Beurtheilung des G?tz von Berlichingen im deutschen Merkur Goethe's Autoreitelkeit gekr?nkt hatte und dadurch in seiner fr?hern Achtung sehr gesunken war. Klopstock ward Goethe's Lieblingsdichter. Die Messiade hatte ihn schon in seiner Jugend begeistert. Sorgf?ltig schrieb er sich aber auch die einzelnen Oden und Elegien jenes S?ngers ab, und freute sich sehr, als die Landgr?fin Caroline von Hessen-Darmstadt die erste Sammlung von Klopstocks Gedichten veranstaltete. Auch f?r die von diesem Schriftsteller damals herausgegebene "Deutsche Gelehrtenrepublik" interessirte sich Goethe lebhaft. "Dies herrliche Werk", schrieb er, "hat mir neues Leben in die Seele gegossen. Die einzige Poetik aller Zeiten und V?lker, die einzigen Regeln, die m?glich sind! Das heisst Geschichte des Gef?hls, wie es sich nach und nach festigt und l?utert, und wie mit ihm Ausdruck und Sprache sich bilden. Und die biedersten Aldermans-Wahrheiten von dem, was edel und menschlich ist am Dichter, alles das aus dem tiefsten Herzen, eigenster Erfahrung, mit einer bezaubernden Simplicit?t hingeschrieben. Der unter den J?nglingen, den das Ungl?ck unter die Recensentenschaar gef?hrt hat, und der nun, wenn er dies Werk liest, nicht seine Feder wegwirft, alle Kritik und Kritelei verschw?rt, sich nicht wie ein Quietist zur Contemplation seiner selbst niedersetzt, aus dem wird nichts; denn hier fliessen die beiden Quellen bildender Empfindung lauter aus dem Thron der Natur."
Eine der eigenth?mlichsten Erscheinungen in der damaligen literarischen Welt war Lavater. Es hiess, er werde nach Frankfurt kommen. Diesen merkw?rdigen Mann kennen zu lernen, war f?r Goethe von hohem Interesse. In einem Briefe an Sch?nborn vom 8. Juni 1773 beklagte er Lavater's "Mangel an selbstst?ndigem Gef?hl," und entwarf von ihm eine Art von Charakteristik in den Worten: "Die beste Seele wird von dem Menschenschicksal so innig gepeinigt, weil ein kranker K?rper und ein schweifender Geist ihm die collective Kraft entzogen und so der besten Freude des Wohnens in sich selbst, beraubt hat. Es ist unglaublich, wie schwach er ist, und wie man ihm, der doch den sch?nsten, schlichtesten Menschenverstand hat, sogleich R?thsel und Mysterien spricht, wenn man aus dem in sich und durch sich lebenden und wirkenden Herzen redet."
Sein Urtheil ?ber Lavater ?nderte Goethe, als er ihn bald nachher pers?nlich kennen lernte. "Er war", schrieb er den 4. Juli 1773, "vier Tage bei uns, und ich habe wieder gelernt, dass man ?ber Niemand reden soll, wenn man ihn noch nicht gesehen hat. Wie ganz anders ward doch Alles! Lavater sagt so oft, dass er schwach sei, und ich habe noch Niemand gekannt, der sch?nere St?rken gehabt h?tte, als er. In seinem Element ist er unerm?det th?tig, fertig, entschlossen, und eine Seele voll der herrlichste Liebe und Unschuld. Ich habe ihn nie f?r einen Schw?rmer gehalten, und er hat noch weniger Einbildungskraft, als ich mir vorstellte. Aber weil seine Empfindungen ihm die wahrsten, so sehr verkannten Verh?ltnisse der Natur in seine Seele pr?gen, er daher jede Terminologie wegwirft, aus vollem Herzen spricht und handelt, und seine Zuh?rer in eine fremde Welt zu versetzen scheint, indem er sie in die ihnen unbekannten Winkel ihres eignen Herzens f?hrt,--kann er dem Vorwurf eines Phantasten nicht entgehen.--Seine Physiognomik giebt ein weitl?ufiges Werk mit vielen Kupfern. Es wird grosse Beitr?ge zur bildenden Kunst enthalten, und dem Historien- und Portraitmaler unentbehrlich seyn."
W?hrend Goethe die deutsche Literatur und ihre Vertreter mit scharfem Blick beobachtete, ruhte nicht seine eigene literarische Th?tigkeit. Einige Auskunft ?ber mehrere schriftstellerische Arbeiten gab er in einem Briefe an Sch?nborn vom 1. Juni 1773. "Allerlei Neues," schrieb er, "hab' ich gemacht. Eine Geschichte des Titels: Die Leiden des jungen Werthers, darin ich einen jungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen reinen Empfindung und wahrer Penetration begabt, sich in schw?rmende Tr?ume verliert, sich durch Speculation untergr?bt, bis er zuletzt durch dazu tretende Leidenschaften, besonders eine endlose Liebe zerr?ttet, sich eine Kugel vor den Kopf schiesst. Dann hab' ich ein Trauerspiel gearbeitet: Clavigo, eine moderne Anecdote dramatisirt, mit m?glichster Simplicit?t und Herzenswahrheit. Mein Held ist ein unbestimmter, halb gross, halb kleiner Mensch, der Pendant zum Weislinger im G?tz, vielmehr Weislinger selbst in der ganzen Rundung einer Hauptperson. Auch finden sich hier Scenen, die ich im G?tz, um das Hauptinteresse nicht zu schw?chen, nur andeuten konnte. Noch einige Pl?ne zu grossen Dramen hab' ich gefunden und in meinem Herzen."
In diesem Briefe gestand Goethe, dass er "zwar nicht aus Frankfurt gekommen, doch ein so verworrenes Leben gef?hrt habe, dass es ihm an neuen Empfindungen und Ideen nie gemangelt." Der Zeitpunkt war indess nahe, wo er, nach seines Vaters Wunsch, Frankfurt wieder verlassen, und sich nach Wetzlar begeben sollte, um sich in dem dortigen Reichskammergericht in der juridischen Praxis zu ?ben. Dieser Ortswechsel hatte wenig Lockendes f?r ihn. Er f?rchtete, dass in Wetzlar, ausser dem Civil- und Staatsrecht, ihm nichts Wissenschaftliches entgegen treten, und dass besonders seine Liebe zur Poesie dort wenig Nahrung finden m?chte. In letzterer Hinsicht sorgte das Schicksal f?r ihn, indem es ihm in Wetzlar zur Bekanntschaft Gotter's verhalf. Die entschiedene Vorliebe dieses Dichters f?r die franz?sischen Dramatiker konnte Goethe zwar nicht theilen. Gleichwohl fand zwischen ihm und Gotter ein lebhafter Ideenaustausch statt. Durch seinen neuen Freund ward Goethe zu mehreren lyrischen Gedichten angeregt, die zum Theil, wie unter andern das treffliche Gedicht: "der Wanderer," in dem G?ttinger Musenalmanach aufgenommen wurden. Dadurch kam Goethe in n?here Ber?hrung mit dem G?ttinger Dichterbunde, zu welchem die Grafen Stolberg, Voss, B?rger, H?lty u.A. geh?rten. Die hohe Verehrung, welche die genannten Dichter Klopstock zollten, konnte Goethe nicht in gleichem Masse theilen. Seine fr?here Begeisterung f?r den S?nger des Messias hatte eine Grenze gefunden, seit Klopstock in seinen Oden, statt der griechischen Mythologie, die Nomenclatur der nordischen G?tterlehre eingef?hrt hatte.
Unter seinen mannigfachen poetischen Besch?ftigungen, besonders einem eifrigen Studium des Homer, ward Goethe durch t?glich wiederkehrende Gespr?che ?ber den Zustand des Visitationsgerichts und ?ber so manche dabei obwaltende Hindernisse und M?ngel auf unangenehme Weise daran erinnert, dass er sich in Wetzlar befand. Das kleinliche Detail von Nachl?ssigkeiten, Vers?umnissen, Ungerechtigkeiten, Bestechungen u.s.w. erm?dete ihn. Zerstreut durch ?ffentliche Amtsgesch?fte, wollte ihm keine ?sthetische Arbeit gelingen. Erw?nscht kam ihm die durch Merk in Darmstadt an ihn ergangene Aufforderung zu Beitr?gen f?r die Frankfurter gelehrten Anzeigen. Goethe's Schwager, Schlosser, war der Herausgeber jenes Blattes. Die von Goethe f?r die Frankfurter gelehrten Anzeigen gelieferten Recensionen waren grossentheils Nachkl?nge seiner akademischen Jahre. Ueberall zeigte sich darin die frisch hervorbrechende Naturkraft des Dichters, die allem trocknen Theorieenwesen abhold, sich in jeder Weise Luft zu machen suchte. Heftig bek?mpfte er alles Falsche, Schiefe und Unnat?rliche in jenen Recensionen, die kaum eine Spur enthielten von der in sp?tern Jahren ihm eignen Ruhe und Besonnenheit.
Willkommene Zerstreuung fand er auf einer Rheinreise, zu der ihn Merk in Darmstadt aufgefordert hatte. In Coblenz lernte er Wielands Jugendfreundin Sophie la Roche, und ausser ihr besonders den durch seine anziehende Unterhaltungsgabe bekannten Schriftsteller Leuchsenring kennen, dessen Charakter Goethe sp?ter mit vielem Humor in seinem Fastnachtsspiel "Pater Brey" schilderte. Manche Ausfl?ge unternahm Goethe in die Umgegend, unter andern nach Ehrenbreitstein.
Seine schriftstellerische Th?tigkeit hatte eine Zeit lang geruht. Erst als er Wetzlar verlassen und wieder nach Frankfurt zur?ckgekehrt war, gestaltete sich der Stoff zum "G?tz von Berlichingen", den er lange mit sich herumgetragen, zu einem eigentlichen Ganzen. Dies Sujet hatte sich vor seiner Einbildungskraft so weit ausgedehnt, dass es die Grenzen der dramatischen Form v?llig zu ?berschreiten drohte. Seine Schwester Cornelia konnte die Vollendung des Werks kaum erwarten. Sie ?usserte oft ihre Zweifel an Goethe's Beharrlichkeit. Wie er in sp?tern Jahren erz?hlte, war er mit seiner Arbeit in sechs Wochen fertig. Weder Merk's, noch Herder's Urtheil, denen er sein Manuscript mittheilte, befriedigte ihn. Wie er selbst ?ber sein dramatisches Product dachte, schilderte Goethe in sp?tern Jahren. Mit den ersten Acten seines Schauspiels war er im Allgemeinen zufrieden; in den folgenden aber, besonders gegen das Ende, habe ihn, meinte er, eine wunderbare Leidenschaft unbewusst hingerissen.
"Ich hatte," gestand Goethe, "indem ich mich bem?hte, Adelheid liebensw?rdig zu schildern, mich selbst in sie verliebt. Unwillk?rlich war meine Feder nur ihr gewidmet. Das Interesse an ihrem Schicksal nahm ?berhand, und wie ohnehin gegen das Ende des St?cks G?tz ausser aller Th?tigkeit gesetzt, nur zu einer ungl?cklichen Theilnahme am Bauernkriege zur?ckkehrte, so war nichts nat?rlicher, als dass eine reizende Frau ihn bei mir ausstach. Diesen Mangel, oder vielmehr diesen tadelhaften Ueberfluss erkannt' ich bald. Ich suchte daher meinem Werke immer mehr historischen und nationalen Gehalt zu geben, und das, was daran fabelhaft oder blos leidenschaftlich war, auszul?schen, wobei ich freilich manches aufopferte. So hatte ich mir z. B. etwas Rechtes zu Gute gethan, indem ich in einer grausen n?chtlichen Zigeunerscene Adelheid auftreten, und ihre sch?ne Gegenwart Wunder thun liess. Eine n?here Pr?fung verbannte diese Scene, so wie auch der im vierten und f?nften Act umst?ndlich ausgef?hrte Liebeshandel zwischen Franz und seiner gn?digen Frau sich in's Enge zog, und nur in seinen Hauptmomenten hervorleuchtete."
Goethe entschloss sich zu einer Umarbeitung seines Schauspiels, die er in einigen Wochen vollendete. In seinen gesammelten Werken findet man auch den "G?tz von Berlichingen" in seiner urspr?nglichen Gestalt und eine sp?tere Theaterbearbeitung jenes Schauspiels vom Jahr 1804. Niemand war jedoch unzufriedener mit dieser Umformung seines St?cks, als Merk. Er drang auf die Herausgabe des Schauspiels, und erbot sich, als Goethe, wie schon fr?her bei den "Mitschuldigen," keinen Verleger finden konnte, die Druckkosten zu ?bernehmen, wenn Goethe f?r die Anschaffung des Papiers sorgen wollte. So ward der "G?tz von Berlichingen" 1773 zu Hamburg gedruckt und bereits im n?chsten Jahre neu aufgelegt in der Vaterstadt des Dichters, der sich, nach seinem eignen Gest?ndnisse aus sp?terer Zeit, "bei sehr ersch?pfter Casse in grosser Verlegenheit befand, wie er das Papier bezahlen sollte, auf welchem er die Welt mit seinem Talent bekannt gemacht hatte."
Der Stoff, den Goethe gew?hlt, war zu einer weit verbreiteten Wirkung geeignet. Indem er seinem eignen Freiheitsgef?hl Luft machte, hatte er den deutschen Patriotismus gen?hrt, der durch Klopstocks "Hermannsschlacht" und die Bardenlieder geweckt worden war. Der Antheil des Publikums an jener "wilden dramatischen Skizze," wie Goethe sein Schauspiel in sp?tern Jahren nannte, war um so gr?sser, je edler und einnehmender die poetische Gestalt des historischen G?tz von ihm gezeichnet worden war, der in einer wilden, gesetzlosen Zeit kein Bedenken trug, zur Selbsth?lfe zu greifen. Unter dem Lobe, das dem Dichter sowohl der Schilderung der einzelnen Charaktere, als auch des Styls wegen gespendet ward, traf ihn auch mancher bittere Tadel, besonders der Vorwurf, das Faustrecht mit zu gl?nzenden Farben geschildert, und der gesetzlosen Willk?hr dadurch das Wort geredet zu haben. Goethe schien sich um die ?ber sein dramatisches Product gef?llten Urtheile wenig zu k?mmern. Belustigend aber war f?r ihn die Idee eines Buchh?ndlers, der ihn aufforderte, ein Dutzend solcher St?cke zu schreiben, und sie gut zu honoriren versprach.
Mit Goethe's mannigfachen poetischen Entw?rfen harmonirten nicht die v?llig heterogenen Gesch?fte, denen er sich in Wetzlar widmen musste. Die kalte Wirklichkeit, die seine Ideale zerst?rte, erzeugte in ihm einen tiefen Unmuth und beinahe v?lligen Lebens?berdruss, der noch verst?rkt ward durch die leidenschaftliche Neigung zu einem ihm versagten Gegenstande. Durch den vertrauten Umgang mit Charlotte Buff, der Tochter eines Amtmanns in Wetzlar, die mit dem dort sich aufhaltenden Bremischen Gesandschaftssecret?r Kestner verlobt war, suchte Goethe die Leere auszuf?llen, die das aufgel?ste Verh?ltniss mit der Pfarrerstochter in Sesenheim in seinem Herzen zur?ckgelassen hatte. Oft allein mit dem Gegenstande seiner Neigung, im Garten und auf einsamen Spazierg?ngen, f?hlte er das Verderbliche seiner wachsenden Leidenschaft. Das Leben ward ihm gleichg?ltig, da seine hochfliegende Phantasie ?berall an die Schranken einer b?rgerlichen Existenz im gew?hnlichsten Sinne des Worts stiess, die ihm keinen heitern Blick in die Zukunft gew?hrte. In seiner unmuthigen Stimmung kam ihm sogar einige Mal der Gedanke, sich selbst das Leben zu nehmen. Um so ersch?tternder wirkte auf ihn der Selbstmord eines seiner Bekannten. Es war Karl Wilhelm Jerusalem, ein Sohn des bekannten Braunschweiger Theologen. Gepeinigt von einer unbefriedigten Leidenschaft zu eben dem Gegenstande, welchem Goethe nicht ohne harten Kampf entsagt, hatte jener ungl?ckliche junge Mann sein Leben durch eine Kugel geendet.
Tief ergriffen von der genauen Schilderung jenes tragischen Ereignisses, unternahm es Goethe, in seinem "Werther" den qualvollen Zustand zu schildern, den er aus eigner Erfahrung kannte. Was er selbst empfunden, setzte sein Gem?th in eine leidenschaftliche Bewegung, und so geschah es, dass er seinem Roman das Feuer und die Gluth einhauchte, die keinen Unterschied zul?sst zwischen der Dichtung und der Wirklichkeit. Nach Goethe's eignem Gest?ndniss in sp?terer Zeit schrieb er, jede ?ussere St?rung so viel als m?glich vermeidend, den "Werther" in vier Wochen, ohne zuvor einen eigentlichen Plan entworfen oder einzelne Theile seines Romans ausgef?hrt zu haben. Er ward beinahe verg?ttert wegen seines Werks, fand aber auf der andern Seite auch zahlreiche Gegner, besonders als das ungl?ckliche Ende seines schw?rmerischen Helden manche zu gleicher That reizte.
Dem vielfachen Unheil, dass man jenem Roman mit und ohne Grund beimass, w?re zuf?lliger Weise beinahe vorgebeugt worden, wenn Goethe, verstimmt durch die Gleichg?ltigkeit Merk's bei der Mittheilung seines Romans, den Entschluss ausgef?hrt h?tte, ihn sofort zu verbrennen. Mit dem Buchh?ndler Weygand in Leipzig war Goethe ?ber den Verlag seines Romans einig geworden. Gerade an dem Hochzeitstage seiner Schwester Cornelia kam der Brief Weygands an, der ihn aufforderte, das Manuscript nach Leipzig zu senden. Der "Werther" erschien 1774, und bereits im n?chsten Jahre eine neue Ausgabe mit einigen Zus?tzen und mit einigen sp?terhin weggelassenen Versen auf dem Titelblatte der beiden Theile des Romans.
Goethe war, als er sein Werk vollendet, wieder heiterer geworden. Er hatte sich, nach seinem eignen Gest?ndniss in sp?tern Jahren, "aus einem st?rmischen Element gerettet auf dem er durch eigene und fremde Schuld, durch zuf?llige und gew?hlte Lebensweise, durch Vorsatz und Uebereilung umhergetrieben worden war."
In Bezug auf die zahllosen Nachahmungen, Kritiken und Parodien seines Werks ?usserte er sich unmuthig in einem Briefe vom 6. M?rz 1775 mit den Worten: "Ich bin des Ausgrabens und Secirens meines Werther herzlich satt. Der Eine schilt, der Andere lobt, der Dritte sagt, es gehe doch noch an, und so hetzt mich Einer wie der Andere. Nimmt mir's doch," f?gte er hinzu, "nichts von meinem Ganzen, r?hrt's und r?ckt mich's doch nicht in meinen Arbeiten, die immer nur die aufbewahrten Freuden und Leiden meines Lebens sind." An einer von dem Berliner Buchh?ndler Friedrich Nicolai herausgegebenen Schrift, "die Freuden des jungen Werther" betitelt, r?chte sich Goethe durch ein satyrisches Gedicht: "Nicolai an Werthers Grabe" und durch einen in Prosa geschriebenen Dialog zwischen Lotte und Werther. Beide Producte blieben ungedruckt.
Den mannigfachen Fragen, die ?ber das Leben und den Charakter des ungl?cklichen J?nglings, den er in seinem Roman geschildert, an ihn gerichtet wurden, suchte Goethevergebens auszuweichen. Die Neugier des Publikums befriedigte einigermassen der unbekannte Verfasser einer damals erschienenen Schrift: "Berichtigung der Geschichte des jungen Werthers." Ungeachtet der ihm l?stigen Zudringlichkeit f?hlte sich Goethe doch als Autor geschmeichelt, dass mehrere talentvolle junge M?nner seine Bekanntschaft suchten oder den Umgang mit ihm erneuerten. Am innigsten schloss sich, als er wieder nach Frankfurt zur?ckgekehrt war, der Dichter Lenz an ihn an, den er schon, wie fr?her erw?hnt, in Strassburg kennen gelernt hatte. Er zeigte ihm mehrere seiner dramatischen Produkte, den "Hofmeister," den "neuen Mendoza" u.a.m. Auch Wagner, der als Doctor der Rechte und Advokat in Frankfurt, gleichfalls der Poesie huldigte, kam dem Verfasser des G?tz und Werther mit treuherziger Offenheit entgegen. Er t?uschte jedoch Goethe's Vertrauen, der ihm mehrere seiner dramatischen Pl?ne mitgetheilt hatte. Gretchens Katastrophe im Faust benutzte Wagner unter andern f?r ein von ihm geschriebenes Trauerspiel, "die Kindesm?rderin" betitelt. Reiner und inniger war das Verh?ltniss Goethe's zu seinem Landsmann, dem Dichter Klinger.
Mit Lavater hatte Goethe schon l?ngere Zeit in Briefwechsel gestanden, und ihm, ausser mehreren literarischen Entw?rfen, den "Werther" im Manuscript mitgetheilt. Den 20. August 1774 schrieb er an Lavater: "Du wirst grossen Antheil nehmen an den Leiden des lieben Jungen, den ich darstelle. Wir gingen neben einander, an die sechs Jahre, ohne uns zu n?hern; und nun hab' ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen, und so macht's ein wunderliches Ganze." In Bezug auf seine Th?tigkeit bemerkte er in diesem Briefe: "Ich bin nicht lass; so lange ich auf der Erde bin, erobere ich gewiss meinen Schritt Landes t?glich." Ueber seine Besch?ftigungen ertheilte er einige Auskunft in einem sp?tern Schreiben vom 18. October 1774. "Meine Arbeit," ?usserte er, "hat bisher in Portraits im Grossen und in kleinen Liebesliedern bestanden. Ich habe seit drei Tagen mit dem mir m?glichsten Fleisse gearbeitet, und bin noch nicht fertig. Es ist gut, dass man einmal Alles thue, was man thun kann." Lavaters Vorw?rfe ?ber die Zersplitterung seiner Zeit und Kr?fte fertigte Goethe mit den Worten ab: "Was neckst Du mich wegen meiner Am?sements? Ich wollte, ich h?tte eine h?here Bestimmung, so wollte ich weder meine Handlungen Am?sements nennen, noch mich, statt zu handeln, am?siren."
Eine fortw?hrende Anregung gab dem Briefwechsel Goethe's mit Lavater, ausser den Artikeln, die jener f?r dessen Physiognomik lieferte, besonders Lavaters Lieblingsthema, der Streit zwischen Wissen und Glauben. Ein Brief Goethe's, vom 24. November 1774, an Lavater und dessen Freund, den Diakonus Pfenninger in Z?rich zugleich gerichtet, enthielt in dieser Hinsicht einige charakteristische Bemerkungen. Mit Herzlichkeit und in dem vertraulichen Tone schrieb Goethe: "Glaube mir, lieber Bruder, es wird die Zeit kommen, da wir uns verstehen werden. Du redest mit mir, wie mit einem Ungl?ubigen, der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat; und von alle dem ist gerade das Gegentheil in meinem Herzen.--Bin ich nicht resignirter im Begreifen und Beweisen, als ihr? Ich bin vielleicht ein Thor, dass ich euch nicht den Gefallen thue, mich mit euren Worten auszudr?cken, und dass ich nicht einmal durch eine reine Experimental-Psychologie meines Innern euch darlege, dass ich ein Mensch bin, daher nicht anders sentiren kann, als andere Menschen, und dass Alles, was unter uns Widerspruch scheint, nur Wortstreit ist, der daraus entsteht, weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentire, und darum, ihre Relativit?t ausdr?ckend, sie anders benennen muss, welches aller Controversen Quelle ewig war und ewig bleiben wird.--Und dass du mich ewig mit Zeugnissen qu?len willst! Wozu das? Brauch ich Zeugniss, dass ich bin? Zeugniss, dass ich f?hle? Nur so sch?tze, liebe, bete ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie Tausend oder Einer vor mir eben das gef?hlt haben, was mich kr?ftigt und st?rkt. Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes, m?gen's Pfaffen oder Huren gesammelt, und es zum Kanon gerollt oder als Fragmente hingestreut haben. Und mit inniger Seele fall' ich dem Bruder um den Hals--Moses! Prophet! Evangelist! Apostel! Spinoza oder Macchiavell! Darf aber auch zu Jedem sagen: Lieber Freund, geht dir's doch wie mir. Im Einzelnen sentirst Du kr?ftig und herrlich; das Ganze aber ging in deinen Kopf so wenig, als in den meinigen."
Der briefliche Ideenaustausch Goethe's mit Lavater verwandelte sich, als dieser 1774 wieder nach Frankfurt kam, in m?ndliche Ueberlieferung. Das Phantastische in Lavaters Natur verkannte Goethe nicht, aber er fand es, wie er in einem fr?her erw?hnten Briefe sich ausgedr?ckt hatte, "mit dem sch?nsten, schlichtesten Menschenverstande gepaart." Ihn fesselte damals jede Natur, mochte sie auch von der seinigen noch so verschieden seyn. Nach Ems, wohin sich Lavater begab, begleitete ihn Goethe. Kaum wieder nach Frankfurt zur?ckgekehrt, traf er dort mit Basedow zusammen, der damals in der P?dagogik ein helleres Licht angez?ndet hatte, doch in allerlei seltsamen religi?sen Ansichten befangen war, die er aufs Lebhafteste vertheidigte. Durch das Cynische in seinem Aeussern und ganzen Wesen f?hlte sich Goethe zur?ckgestossen, besonders durch den Geruch des schlechten Tabaks, den Basedow auf der Reise nach Ems, wohin ihn Goethe begleitete, fortw?hrend in die Luft blies. In mehrfacher Weise st?rte Basedow die gesellige Unterhaltung in dem Hause der Frau v. Stein zu Nassau. Als Goethe mit Lavater und Basedow wieder nach Frankfurt zur?ckkehrte, und, wie er in einem noch erhaltenen Gedicht sagt: "als das Weltkind zwischen zwei Propheten sass," benutzte er Basedows entschiedene Abneigung gegen die Trinitatslehre zu einer lustigen Rache. Er hiess den Kutscher schnell vor?berfahren bei einem Wirthshause, in welchem Basedow seinen brennenden Durst stillen wollte. Indem Goethe auf das mit zwei verschr?nkten Triangeln versehene Gasthofsschild hinwiess, ?usserte er schalkhaft, dass Basedow, der schon ?ber Einen Triangel ausser Fassung gerathe, bei diesem Anblick geradezu verr?ckt h?tte werden m?ssen.
In der Gem?ldegallerie zu D?sseldorf, wohin Goethe mit den Gebr?dern Jacobi gereist war, fand sein Kunstsinn volle Befriedigung. Mit einem seiner Strassburger Bekannten, mit Jung-Stilling, traf Goethe in Elberfeld zusammen. Heinse, der Verfasser des Ardinghello, den er dort kennen lernte, bewunderte, nach einer brieflichen Aeusserung, an dem damals f?nf und zwanzigj?hrigen Goethe "das Genie, vom Wirbel bis zur Zehe, den Geist mit Adlersfl?geln."
Nach den verschiedenartigsten Richtungen verlor sich, als er wieder nach Frankfurt zur?ckgekehrt war, Goethe's literarische Th?tigkeit. Er ?usserte sich dar?ber in einem damaligen Briefe: "Geschrieben hab' ich allerlei, gewissermassen wenig, im Grunde nichts. Wir sch?pfen den Schaum von dem grossen Strom der Menschheit mit unsern Kielen, und bilden uns ein, wenigstens schwimmende Inseln gefangen zu haben." So bezeichnete Goethe seine mannigfachen literarischen Entw?rfe, von denen fast keiner ausgef?hrt ward. L?ngere Zeit besch?ftigte ihn die Idee, das Leben Mahomet's dramatisch zu behandeln. Mehrere Scenen wurden theils skizzirt, theils vollendet. Erhalten hat sich jedoch von jenem St?ck nichts weiter, als das in Goethe's Werken aufbewahrte Gedicht: "Mahomet's Gesang." Die bekannte Geschichte von dem ewigen Juden, die sich ihm schon fr?h durch die Volksb?cher eingepr?gt hatte, wollte er zu einem Epos benutzen. Auch die Fabel vom Prometheus hielt er f?r eine dramatische Bearbeitung geeigenet, von der sich jedoch nichts weiter erhalten hat, als das in Goethe's Werken aufbewahrte Gedicht "Prometheus." Vollendet ward von Goethe um diese Zeit nur das Trauerspiel "Clavigo", wozu ihm die von Beaumarchais geschriebenen Memoiren die n?chste Veranlassung gegeben hatten. Gleichzeitig ver?ffentlichte Goethe aber auch unter dem Titel einer Far?e seine dramatische Dichtung: "G?tter, Helden und Wieland." In den Anmerkungen zu seiner Uebersetzung Shakspeare's hatte Wieland den grossen Britten scharf getadelt. Durch diesen Tadel und die zu moderne Behandlung der griechischen G?tter in dem von Wieland geschriebenen Singspiel "Alceste" gereizt und aufgeregt, schrieb Goethe jenes satyrische Product, das seinen bisherigen Verh?ltnissen unvermuthet eine ganz andere und f?r sein sp?teres Leben einflussreiche Wendung gab.
Durch jene Posse hatte Goethe die Aufmerksamkeit eines jungen F?rsten erregt, der sich f?r den Verfasser des G?tz und Werther bereits lebhaft interessirt hatte. Es war der damalige Erbprinz und nachheriger Grossherzog Carl August von Sachsen-Weimar, der begleitet von seinem j?ngern Bruder, dem Prinzen Constantin und dessen Erzieher v. Knebel, auf einer damalichen Reise Frankfurt ber?hrte. Goethe ward den beiden F?rsten auf deren Wunsch, vorgestellt und bald nachher, im November 1775, als geheimer Legationsrath nach Weimar gerufen, wo er im damaligen geheimen Consilium Sitz und Stimme erhielt. Sein neues Verh?ltniss schilderte er in einem Briefe an Lavater vom 21. December 1775 mit den Worten: "Ich bin hier in Weimar wie unter den Meinigen. Der Herzog wird mir immer werther, und ich ihm immer verbundener." In einem sp?tern Briefe vom 22. Januar 1778 meldete Goethe seinem Freunde Merk: "Ich bin nun ganz in alle Hof- und politische H?ndel verwickelt. Meine Lage ist vorteilhaft genug, und die Herzogth?mer Weimar und Eisenach sind immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesichte steht."
Mit vielem Humor charakterisirte Goethe seinen heterogenen Gesch?ftskreis in einem Briefe an Merk vom 5. August 1778. "Im Innern", schrieb er, "geht mir alles nach Wunsch. Das Element, in dem ich schwebe, hat alle Aehnlichkeit mit dem Wasser; es zieht Jeden an, und doch versagt dem, der auch nur bis an die Brust hineinspringt, im Anfange der Athem. Muss er nun gar gleich tauchen, so verschwinden ihm Himmel und Erde. H?lt man's dann eine Weile aus, und kriegt das Gef?hl, das einem das Element tr?gt, und dass man doch nicht untersinkt, wenn man gleich nur mit der Nase hervor guckt, nun so findet sich im Menschen auch Glied und Geschick zum Froschwesen, und man lernt mit wenig Bewegung viel thun."
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page