Read Ebook: Briefe an eine Freundin by Humboldt Wilhelm Von
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Ebook has 482 lines and 113940 words, and 10 pages
Es ist sehr lange, dass ich ohne Nachricht von Ihnen bin, es tut mir leid, ja es schmerzt mich, so ganz von Ihnen vergessen zu sein, w?hrend ich Ihrer oft gedachte. Schreiben Sie mir, liebe Charlotte, sobald Sie diese Zeilen empfangen haben, wie es Ihnen ergangen hat und ergeht? Es mahnte mich schon lange, Ihnen zu schreiben und um Nachricht zu bitten. Vielleicht bin ich selbst schuld an Ihrem Schweigen. Meine kurzen Briefe k?nnen Sie eingesch?chtert haben, Sie mochten besorgen, mir l?stig zu werden. Adressieren Sie Ihren Brief nach Burg?rner bei Eisleben; ich bin hier auf einem der G?ter meiner Frau. Leben Sie wohl und antworten mir gleich. H.
Ich lasse meinem kurzen Briefe, den ich Ihnen, liebe Charlotte, vor ein paar Tagen schrieb, einen zweiten folgen. Einmal, weil ich sehr mich nach Zeilen von Ihrer Hand sehne und es mir leid tut, dass ich so lange schwieg; dann auch, um noch einen andern Weg einzuschlagen, damit mein Brief sicher in Ihre H?nde komme. Ich weiss Ihre Adresse nicht genau, ja ich weiss nicht einmal, ob Sie noch in Kassel sind. Das aber darf ich mit Zuversicht hoffen, dass Sie mich nicht vergessen haben. Ich vergesse Sie nie. Ihr H.
Ich habe Ihre beiden lieben Briefe vom 24. und 26. April empfangen, und sage Ihnen, liebste Charlotte, auf der Stelle meinen herzlichsten Dank. Sie haben mich recht sehr dadurch erfreut und ganz meinen Erwartungen entsprochen. Nie k?nnte ich irre an Ihnen werden oder den Glauben an die Ausdauer und die Treue Ihrer Gesinnungen und Empfindungen verlieren. Das sagte ich Ihnen schon neulich, und es ist nur nat?rlich. Wenn uns jemand eine so lange Reihe von Jahren, ohne irgend ein Zeichen des Andenkens empfangen zu haben, die tiefen Empfindungen eines edlen und zarten Gem?ts bewahrte, so w?re es wahrer und hoher Undank, daran ferner zu zweifeln. Es ist gewiss ein seltenes Gl?ck f?r einen Mann, dass ihm ein weibliches Gem?t die ersten Empfindungen der jugendlichen Brust heilig und vertrauungsvoll bewahrt, und ich bin mir bewusst, dass ich dies Gl?ck, so wie es ist, w?rdige und sch?tze. Aber ich sage ohne Stolz, der mir wahrlich nicht eigen ist, allein auch ohne eine kindische Bescheidenheit, es kann auch Ihnen durch mich vieles kommen, was Ihr Leben bereichert, erheitert und versch?nert. Wenn das Schicksal so etwas f?r zwei Menschen aufbewahrt hat, muss man es nicht hinwelken lassen, sondern erhalten und in Vereinigung bringen mit allen ?usseren und inneren Verh?ltnissen, da auf diese Harmonie allein alle Zartheit der Gef?hle und alle Ruhe der Seele gegr?ndet sein kann. Weil nun kein pers?nlicher Umgang unter uns stattfinden kann, so wollen wir einen brieflichen beginnen und feststellen. Ich schreibe zwar nicht gern und klage mich zum voraus an, Sie werden sehr oft Nachsicht, Geduld und Grossmut zu ?ben haben, aber ich lese sehr gern Briefe, besonders die Ihrigen, nicht nur, weil ich gern lese, was Sie schreiben, sondern noch mehr, weil mich Ihr ?usseres und noch mehr Ihr inneres Leben in der innersten Teilnahme interessiert. Sollte ich also einmal seltener schreiben, so lassen Sie sich das nicht hindern. Schreiben Sie mir immer den 15., so habe ich immer einen Tag, auf den ich mich freue. Wenn Sie mir in der Zwischenzeit schreiben, so ist das eine liebe Zugabe, die ich stets mit Dank empfangen werde.
Ihr Gartenleben und schon die Wahl desselben hat etwas, das mir ungemein gef?llt. Es spricht Ihre Neigungen charakteristisch aus und vereint Einsamkeit und Annehmlichkeit. Die erste passt zu Ihrem Charakter, Ihren Empfindungen und Ihrer Lage; die letzte erheitert und versch?nert Ihr Leben. Es ist mir daher am liebsten, Sie so zu denken, zu denken, dass Sie nur selten in die Stadt kommen. Besuche, das f?hle ich, k?nnen Sie nicht vermeiden, und es ist auch gut, in einigen Verbindungen zu bleiben, besonders da Sie mir sagen, dass diese Verbindungen meist bew?hrte alte Freunde sind.
Dass Sie am liebsten in Kassel leben, wo Ihre Jugend, wenn auch nicht immer schmerzlose, doch auch frohe und heitere Erinnerungen zur?ckliess, begreife ich ganz. Auch ist die Gegend sch?n, und eine gr?ssere Stadt bietet, wie Sie sehr richtig bemerken, vor allen anderen, Freiheit zu leben, wie es die Neigungen fordern, und daneben, ohne grossen Aufwand, manche Gen?sse, welche in kleinen St?dten versagt sind. Ich billige also ganz Ihren Entschluss, dort ferner zu wohnen. Sorgen Sie aber vor allem in Ihrer l?ndlichen Wohnung f?r Ihre Gesundheit. Zu wenig sagen Sie mir dar?ber, und doch sind Ihre Ruhe, Ihre Gesundheit, Ihr Gl?ck das, worauf es mir ankommt. In selbsts?chtigen W?nschen und Absichten habe ich mich Ihnen nicht wieder gen?hert, wenn ich auch einen Wunsch hege, den ich Ihnen n?chstens aussprechen werde.
Ich schliesse jetzt, ich bin seit vierzehn Tagen garnicht wohl, leide zwar nur an einem katarrhalischen Fieber, da ich aber in Jahren nicht krank war, ist es mir l?stig. Mit den herzlichsten, unwandelbarsten Gesinnungen der Ihrige. H.
Ich sage Ihnen heute zuerst, liebe Charlotte, dass ich wieder vollkommen wohl bin, damit Sie sich nicht beunruhigen. Es geht sehr eigen mit unserm Briefwechsel. Er fing so an, dass Sie selten Briefe von mir zu bekommen glaubten, und jetzt muss ich mich ?ber Ihr Stillschweigen beklagen. Sie hatten mir in Ihrem letzten Briefe versprochen, mir unmittelbar nach dem 15. jedes Monats zu schreiben, das m?ssen Sie aber nicht getan haben, da sonst Ihr Brief l?ngst in meinen H?nden sein m?sste, und ich habe weder am vorigen Posttage noch heute das Geringste bekommen. Es beunruhigt mich, da Sie krank sein k?nnen, ich suche alles auf, was Sie verhindert haben k?nnte. Wie dem sei, so dr?ngt es mich, Ihnen zu sagen, dass ich sehr nach einem Briefe verlange, und die, welche ich habe, oft wieder durchgelesen habe, und immer in dankbarer Erinnerung an Ihre mir so wunderbar erhaltenen Gesinnungen. Man k?nnte das wohl Eitelkeit nennen, k?nnte es wohl nur dem Gef?hl, sich geschmeichelt und gehuldigt zu sehen, zuschreiben, wenn man sich durch die Bewahrung dieser Empfindungen begl?ckt f?hlt. Allein es w?re das doch ein zu harter Ausspruch, und gegen mich wirklich ein ungerechter, da Eitelkeit mir nie eigen war. Schwerlich hat jemand je sich selbst so unparteiisch beurteilt und so wenig schonend behandelt, schwerlich je einer so kalt und richtig erkannt, was an den Lobspr?chen anderer abzuschneiden und an dem, wor?ber sie schweigen, zu tadeln war. Und einem gewissen Misstrauen in meine Kr?fte und die mir hier und da beigelegten Vorz?ge verdanke ich sogar die vorz?glichsten der Erfolge, die ich in Privat- und ?ffentlichen Verh?ltnissen gehabt habe. Allein ich gestehe gern, dass ich immer einen vorz?glichen Wert darauf gelegt habe, die innere Stimmung zu besitzen und zu bewahren, die auf ein weibliches Gem?t Eindruck zu machen f?hig ist. Ich w?rde nicht so t?richt sein mir einzubilden, dass sie mir jetzt noch eigen sein k?nnte. Wenn man nun aber auf eine so wahre, nat?rliche, so ergreifende Weise, als sich in Ihren Briefen ausspricht, ?berzeugt wird, dass man jenen Eindruck tief und dauernd erregt hat, so liegt darin ein doppeltes, die Empfindung s?ss erhebendes Gef?hl, das des Selbstbewusstseins, und das des edlen, tiefen Gem?ts, welches diese Empfindungen zart zu sondern und fest aufzubewahren verstand. Darum freut mich die Erneuerung unsers Briefwechsels unendlich, und ich schmeichle mir, dass sie auch Ihnen wohlt?tig sein wird; mir k?nnte sie nie anders sein. Ihr Bild ist mir ein ganzes Leben hindurch geblieben, in allen, auch den wechselvollsten Verh?ltnissen, stand es mir freundlich und licht, wie ich Ihnen neulich schrieb, vor. Ich glaubte nie wieder etwas von Ihnen zu erfahren. Die Zeit, wie Sie sich mir wieder nahten, trat gerade in die bewegteste meines Lebens. Diese ist vor?ber, und so mahnte es mich schon lange, Ihnen zu schreiben. Da wir uns nach so langer Zeit nur durch einzelne Briefe nahe gewesen sind, so kann es nicht fehlen, dass wir in manchen Ideen abweichend denken m?ssen, ?ber die wir uns bei ruhigem und stillem Ideen-Umtausch leicht verst?ndigen werden.
Sie erinnern mich daran, liebe Charlotte, welchen Schatz ein weibliches Herz bewahrt, und fordern mich auf, Vertrauen zu Ihnen zu haben. Glauben Sie gewiss, dass ich ein unbegrenztes Vertrauen in Sie, in Ihre Wahrheit, Ihre Treue und die Zartheit Ihrer Empfindungen setze, wie w?rde ich Ihnen sonst selbst so offen und wahr schreiben. Vertrauen Sie aber auch mir fest. Seien Sie sicher, dass das, was Sie mir vertrauensvoll sagen, bei mir wie im Grabe ruht und verschlossen ist. Glauben Sie auch fest, dass ich es herzlich gut mit Ihnen meine, immer meinte und immer meinen werde; vertrauen Sie mir auch dann, wenn Sie mich nicht gleich verstehen. ?berlassen Sie mir die Sorgfalt f?r die Erhaltung unsers gegenseitigen Verh?ltnisses, f?r die Entfernung jedes st?renden Einflusses. Ich will niemandem, aber am wenigsten Ihnen, auch nur eine meiner Meinungen aufdringen. Ich habe die unzerst?rbare ?berzeugung, dass Sie nie weder mich noch irgend eine Idee von mir zu verkennen imstande sind, ja, ich weiss, und sie haben es mir recht schmeichelnd wiederholt, dass sie immer gern und mit Freuden sich von mir, wie Sie g?tig sich ausdr?cken, >>berichtigen<< lassen.
Es ist mir lieb, dass Sie niemanden sagen, dass Sie Briefe von mir empfangen. Es geht niemanden was an, dass wir einander schreiben; was heilig in sich ist, muss man nicht gemein machen.
Leben Sie herzlich wohl und rechnen Sie fest auf die Unwandelbarkeit meiner Gesinnungen.
Ihr H.
Ich will Ihnen, beste Charlotte, heute einen Wunsch, eine Bitte aussprechen, durch deren Erf?llung Sie mir grosse Freude machen werden, die ich gewiss recht dankbar empfange. Ihre Lebensgeschichte, besonders auch die Entwicklung und seltene Ausbildung Ihres inneren Lebens, m?chte ich gern im Zusammenhange ?bersehen und genau kennen. Dieser Wunsch ist schon durch Ihre fr?heren Briefe in mir erregt und entstanden und durch die jetzigen vermehrt. Schwer kann es ihnen nicht werden, Sie haben sich eine grosse Fertigkeit im Schreiben erworben. Sie schreiben leicht, gewandt, gel?ufig, nat?rlich und ausgezeichnet gut. Die Sprache steht Ihnen ganz ungew?hnlich zu Gebote. Ich sage Ihnen da keine Schmeichelei, es ist die Wahrheit, die ich mit ?berzeugung ausspreche und die sich in jedem Ihrer Briefe darlegt.
Wollen Sie in meine W?nsche eingehen, so tun Sie es auf folgende Weise: Fangen Sie mit Ihrem Geburtstag und Jahr an, in chronologischer Folge und in der gr?ssten Ausf?hrlichkeit. Schreiben Sie aus dem Ged?chtnis, auf was Sie sich besinnen, nicht aus der Phantasie. Gehen Sie zur?ck in Ihre Kindheit und Jugend, zur?ck auf Ihre Eltern und Grosseltern, auf Ihre Vorfahren, wenn Sie davon Nachricht haben. Lieb w?re es mir, wenn Sie in dritter Person redeten. Geben Sie den Orten und Menschen, wenn sie dahin kommen, auch mir, andere Namen, nur den Namen Charlotte behalten Sie. Ich habe das mit Goethe gemein, dass ich eine besondere Vorliebe f?r Ihren Namen habe. Aber reden Sie ?ber sich vor allem wie ?ber eine Dritte, loben und tadeln Sie sich, wo Sie ein anderer loben und tadeln w?rde.
Meine beiden Briefe werden Sie, liebe Charlotte, empfangen haben, ob sie gleich noch unbeantwortet sind. Beide hatten die Absicht, Sie ?ber Ihre Bedenklichkeiten zu beruhigen. Ich hoffe, das ist mir gelungen, und ich wiederhole Ihnen heute zuerst, was Ihnen mein letzter Brief sagte, dass alles, was Sie mir aus Ihrem Leben und Ihrer Vergangenheit mitteilen, ganz durch Ihre Empfindungen bestimmt werden muss. Es soll ein Zur?ckgehen in die Vergangenheit sein, mit dem, der den innigsten Teil an Ihnen nimmt, aber kein Aufreissen schmerzlich vernarbter Wunden, das musste ich Ihnen zuerst sagen.
Recht herzlich danke ich Ihnen f?r die mir als Probe ?bersandten wenigen Bogen. Die Erz?hlung beginnt so ganz zu meiner Zufriedenheit, nur w?nschte ich doch hier und da noch mehr Ausf?hrlichkeit. Lassen Sie sich gar keine Furcht angehen, dass Sie zu weitl?ufig werden k?nnten, und denken Sie nicht, wie langsam Sie verweilen. Wir leben beide noch sehr lange, wenngleich Sie l?nger. Gerade die Schilderungen Ihres v?terlichen Hauses, bestes Kind! haben ein grosses Interesse f?r mich, und Sie haben wieder v?llig wahr gemacht, was ich Ihnen immer sagte, dass Sie sehr gut schreiben, sehr wahr, h?bsch und nat?rlich erz?hlen. Fahren Sie nur eben so fort, und wenn es Ihnen manchmal beschwerlich wird oder Ihnen Zeit raubt, so denken Sie, dass Sie mir Freude damit machen. Es verl?ngert und erweitert gewissermassen das Leben, wenn man so individuelle Schilderungen einer Zeit vor sich hat, die man an ganz andern Orten und in ganz andern Verh?ltnissen erlebte, und es gibt doch in der Welt nichts Interessanteres f?r den Menschen, als wieder der Mensch. Man kann eigentlich nie genug sehen und nie genug h?ren. Es entstehen selbst durch jedes neue Gesicht, m?chte ich sagen, neue Ideen. Erh?lt man nun aber gar bestimmte, ins Detail gehende Schilderungen, so sind es neue Figuren, die sich vor der Seele bewegen, und mit denen man ebenso lebt, wie in der Wirklichkeit. Dieser Hang, sich eigentlich an Menschengestalten zu erg?tzen, in ihnen wie unter Anwesenden zu leben, vertr?gt sich doch sehr gut mit dem entschiedensten Hange zur Einsamkeit. Sobald man mit Menschen umgehen muss, oder noch mehr, sobald man recht gern mit ihnen umgeht, befindet man sich selbst zu sehr in T?tigkeit, will sich auch wohl selbst geltend machen, und wird von bloss reiner Beschauung abgezogen. Lebt man aber mit dem Hange zur Einsamkeit unter Menschen, was man von Zeit zu Zeit nicht vermeiden kann, so gehen sie mehr wie Figuren der Beschauung vor einem vor?ber, man richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf sie und nicht auf sich selbst. Wie man auf sie wirkt, wie man ihnen gef?llt, bleibt einem sehr gleichg?ltig, wenn man sie nur in ihrer eigentlichen Natur sieht. Kehrt man dann in die wirkliche Einsamkeit zur?ck, so hat man viele Bilder um sich, und wenn man zu innerer Geistesbesch?ftigung geneigt ist und aufgelegt, so entstehen aus den wirklichen Menschen idealische in der Phantasie, denen die wirklichen nur in den ?usseren Umrissen zum Grunde liegen. Alle moralischen Fragen, alle tieferen Betrachtungen ?ber Leben und Zweck des Lebens, ?ber Gl?ck und Vollkommenheit, ?ber Dasein und Zukunft gewinnen ein reicheres Interesse, erlauben mannigfaltigere Anwendungen, wenn man sie gleichsam an so vielen Menschengestalten einzeln pr?fen kann. Denn in jedem, auch selbst unbedeutenden Menschen liegt im Grunde ein tieferer und edlerer, wenn der wirklich erscheinende nicht viel taugt, oder noch edlerer, wenn er in sich gut ist, verborgen. Man darf sich nur gew?hnen, die Menschen so zu studieren, und man kommt unvermerkt aus einem anscheinend allt?glichen Leben in eine ungleich h?here und tiefere Ansicht der Menschheit ?berhaupt. Es ist ja eigentlich das, worin das Gepr?ge jedes gr?sseren Dichters liegt, diese Ansicht ?berall, und da er nur frei schaffen kann, ganz rein zu geben, oder vielmehr sie mitten aus aneinander gereihten, oft zuf?llig scheinenden Begebenheiten hervortreten zu lassen. Die Geschichte hat etwas ?hnliches. Das menschliche Wesen tritt auch schon reiner und gr?sser in ihr hervor, als in den tausendf?ltigen kleinen Umgebungen der Gegenwart. Einen interessanten Charakter mehr im Bilde zu besitzen, ist ein eigentlicher Lebensgewinn, und mit dem Einzelnen verbinden sich nun bisweilen die von St?nden, Zeiten, Gegenden. So habe ich immer eine entschiedene Neigung zu den Landpredigern gehabt, und eine Art romantische f?r ihre T?chter. Das war schon in mir, ehe ich Sie gesehen hatte, und nachher hat es eben durch Sie unendlich in mir zugenommen, obgleich Sie die Einzige geblieben sind, die diesen Eindruck auf mich gemacht hat. Einen grossen Teil alles Guten im deutschen Charakter habe ich aus den Landprediger-T?chtern abgeleitet: die tiefe, nicht t?ndelnde Empfindung; die Einfachheit bei hoher Bildung; die Entfernung alles vornehmen unangenehmen Tons, bei allen Eigenschaften, die man in vornehmen Zirkeln gern hat. Ich habe davon oft gesprochen und dann bei mir lachen m?ssen, dass ich das alles im Grunde von Ihnen herleitete, da ich nie eine andere Prediger-Tochter auch nur irgend n?her gekannt hatte. Aber ich hatte, wie ich Ihnen sage, ein Vorgef?hl davon, denn schon zu Ihnen hat mich diese Neigung, wie wir uns sahen, schnell hingezogen. Nun waren Sie mir, ein halbgesehenes Bild, entschwunden, und geh?rten also ganz der Phantasie an. Daher hat nun auch alles, was Sie mir von Ihrer Kindheit, Ihrer Jugend, Ihrem elterlichen Hause sagen, ein besonderes Interesse f?r mich. Ich pr?fe daran, ob ich richtig oder falsch ahnte, und befinde mich in der Welt, in die mich meine jugendliche Phantasie versetzt hatte. Es ist mir jetzt doppelt leid, dass ich Ihren Vater und Sie nicht in demselben Herbste, wo ich Sie zuerst sah, besuchte. Ich war in D?sseldorf bei Jacobi und wollte von dort zu Ihnen, aber Jacobi hielt mich l?nger auf, und nun eilte ich nach G?ttingen zur?ck. Man hat in der Jugend oft eine einf?ltige Pflichtm?ssigkeit. Um ein paar Kollegienstunden nicht zu vers?umen, vers?umte ich etwas, was sich nie nachholen l?sst, mir ein lebendiges Bild von Ihnen in jener Zeit, Ihrem Elternhause, Ihrem ganzen Leben zu verschaffen.
Ich sagte im Anfange, dass Sie nicht ausf?hrlich genug gewesen w?ren, dar?ber werden Sie lachen, da Sie schon alles menschenm?gliche Mass ?berschritten zu haben glauben. Aber es ist doch so. Ich meine n?mlich, dass Ihre Schilderungen noch umst?ndlicher sein, noch mehr Z?ge dessen, wie es um Sie her war, enthalten sollten. Die Frage, die ich hersetzen will, m?ssen Sie mir noch in einem Ihrer n?chsten Briefe auf einem besondern Blatte p?nktlich und genau beantworten: Wie Ihre Mutter aussah? Das l?sst sich doch beschreiben. Sie haben es aber garnicht getan. Von allen Personen, die oft und viel in Ihrer Erz?hlung vorkommen, m?ssen Sie das immer tun. Was Sie sich also von den Gesichtsz?gen und dem K?rperbau Ihrer Mutter erinnern, schreiben Sie ja ganz genau. Dann haben Sie mir zwar das Innere Ihres elterlichen Hauses beschrieben, aber nicht bestimmt genug. Ob die Lage des Hauses, des Orts, die Umgebungen gegen G?rten, gegen Nachbarh?user, ob die Gegend anmutig war, ob Sie aus den Fenstern ins Gr?ne, ob weit ins Ferne sahen, von dem allen steht kein Wort in Ihrer Erz?hlung, und das sind so ganz wesentliche Umst?nde, das holen Sie ja nach und machen Sie die Schilderung so, dass ich mir ein bestimmtes Bild davon entwerfen kann. Diesen Wunsch m?ssen Sie mir befriedigen, sonst schwankt alles in der Phantasie, und selbst die Gedanken und Empfindungen verlieren dadurch in ihrem Gehalte.
Sie werden mich recht l?stig mit meinen Bitten finden, aber Sie haben sich einmal darauf eingelassen, sie zu erf?llen.
Ich bin allein hier und nicht auf lange Zeit. Richten Sie aber doch Ihren n?chsten Brief hierher; vermutlich findet er mich noch hier, und ist das nicht, so geht er von hier von selbst nach Berlin, wohin ich zur?ckkehre. Sie erinnern sich wohl - Burg?rner bei Hettst?dt. Leben Sie herzlich wohl, liebste Charlotte, mit immer unver?nderlichen Gesinnungen Ihr H.
Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, dass ich Sie bitte, Ihre Briefe, wenn die meinigen diese ?berschrift tragen, immer nach Berlin zu adressieren, sie kommen mir sicherer zu. - Hier brachte ich meine Kindheit und einen grossen Teil meiner Jugend zu. Ich liebe Tegel sehr. Die Gegend ist wenigstens die h?bscheste um Berlin; auf der einen Seite ein grosser Wald, auf der anderen von H?geln, die sch?n bepflanzt sind, eine Aussicht auf einen ausgedehnten, von mehreren Inseln durchschnittenen See. Um das Haus und fast ?berall sind hohe B?ume, die ich in meiner Kindheit erst in m?ssiger St?rke sah, und die nun mit mir emporgewachsen sind. Ich baue jetzt ein neues Haus hier, das schon halb fertig ist, und bringe auch hierher die Gem?lde und Marmorsachen, die wir haben, so wird es ein anmutiger Wohnplatz, von dem ich selten in die Stadt kommen werde.
Hier bekam ich auch Ihre beiden lieben Briefe, den vom 25. v. M. und den vom 3. d. M., f?r die ich Ihnen herzlich danke. Ich beantwortete den ersten, in dem Sie mich so sehr bitten, Ihnen augenblicklich zu schreiben, nicht gleich, weil ich wusste, dass einer von mir in der Zeit in Ihren H?nden sein m?sste.
Dass ich ihren Hang zur Einsamkeit tadeln oder einschr?nken m?chte, d?rfen Sie nie f?rchten. Ihr alter v?terlicher Freund Ewald ist aber doch wohl hier viel g?tig-sorglicher gewesen und hat an Ihr Gl?ck gedacht und geglaubt, Sie h?tten mehr Vergn?gen in einer geselligeren Art zu leben. Ich meine nun das garnicht, allein, wenn ich es auch meinte, so w?rde ich doch mehr zur Einsamkeit raten. Es ist nun einmal meine Art so, bei mir , aber auch bei anderen, viel weniger auf ihr Gl?ck, ihren Genuss, als auf das, was sie in sich sind, auf den vorz?glicheren Grad und die eigent?mliche Art ihrer Gem?tsstimmung zu sehen. Diese nun ist aber schon sch?ner, wenn man die Einsamkeit liebt, und wird sch?ner, wenn man dieser Liebe nachh?ngt; sie w?rde es aber allm?hlich auch, wenn man von Natur die Einsamkeit nicht liebte, und sich nur Gewalt ant?te, in ihr zu beharren. Das ist so in vielem meine Theorie.
Dass Sie mir gelegentlich erz?hlen, dass an Ihrem Haus und Garten ein Bach mit einem Steg ist, hat mir Vergn?gen gemacht. Solche kleinen Z?ge bezeichnen die ganze Lage und versetzen einen in die Gegenwart. Denken Sie nun auch h?bsch an mich, teure Charlotte, hinter Ihrem Bach.
Der Aufsatz, den Sie mir vorerst als Beantwortung meiner Frage senden, der urspr?nglich nicht f?r mich bestimmt war, in dem aber eine Stelle ?ber mich vorkommt, f?r die ich Ihnen sehr dankbar bin, hat mich sehr interessiert. Ich liebe die Ansichten, die jemand, der bei vielen andern genauen ?bereinstimmungen doch sehr verschieden sein muss, ?ber Gegenst?nde wie ?ber Schriften hat, mit denen man durch das Leben gegangen ist. Es muss in solchen Beurteilungen vieles einseitig, selbst unrichtig sein, aber es ist die wahre, die nat?rliche und die eigene Ansicht, diese zieht immer an, weil man von ihr aus wieder Blicke in das Individuum tut, sie ist auch in hohem Grade belehrend, weil man sie sich gar nicht so von selbst vorstellen kann, und den Wert, den Eindruck, die Wirksamkeit der Dinge meist nur nach allgemeinen Massst?ben misst und nur gewohnt ist, sich alles im Zusammenhange mit Denkart, Charakter, Erziehung und ?usseren Umst?nden zu denken. Man wird die individuelle Ansicht immer ehren, auch wenn man nicht darin ?bereinstimmen k?nnte. Das, was Sie ?ber mich sagen, ist sehr liebevoll und g?tig, aber ich kann auch gewiss hinzusetzen, dass das gewiss wahr ist, dass ich unf?hig w?re, je einen Menschen, der mir irgend nahe stand, zu vergessen oder aufzugeben, ich verfolge vielmehr jede Spur, die aus der Vergangenheit ?brig ist. Jede solche Verbindung, ja jedes solches blosses Begegnen, h?ngt ja mit so vielen in einem zusammen, und das Leben ist schon ein solches St?ck- und Flickwerk, dass man nicht genug trachten kann, die zusammenh?ngenden Teile fester aneinander zu kn?pfen. Freilich kommt es auch darauf an, dass die, an die man sich auf solche Weise erinnert, noch etwas behalten haben, was dem Bilde entspricht, das in der Seele lebt. Aber selbst, wenn das nicht ist, wie ich auch deren Beispiele in meinem Leben habe, so erg?tze ich mich doch, wenn mir solche Personen wieder vorkommen, sie und ihr Treiben zu betrachten, ohne ihnen weiter ein fortdauerndes Interesse zu beweisen. Bei Ihnen ist das nun aber sehr anders; Sie haben so lange Jahre mein Andenken treu bewahrt, ohne irgendein Zeichen des Andenkens von mir zu empfangen; Sie leben gern und viel in Gedanken mit mir; Sie machen keine Anspr?che noch Forderungen an mich, als die ich gern und mit Freuden erf?lle.
Sie bitten mich abermals, meine Briefe bewahren zu d?rfen. Liebe Charlotte, ich bin ein grosser Feind von alten Briefen, und wenn auch gar nichts darinnen steht, was irgend jemandem im mindesten nachteilig sein k?nnte, habe ich das Aufheben nicht gern. Ein Brief ist ein Gespr?ch unter Anwesenden und Entfernten. Es ist seine Bestimmung, dass er nicht bleiben, sondern vergehen soll, wie die Stimme verhallt. Bleiben soll der Eindruck, den er in der Seele hervorbringt, und den dann der zweite und die folgenden verst?rken oder ver?ndern.
Aber Sie legen einen so hohen Wert darauf, Sie bitten mich so inst?ndig und dringend darum, dass ich es Ihnen gewiss nicht abschlagen will. Behalten Sie also immerhin die Bl?tter. Es ist ja dazu sehr lieb und gut von Ihnen, dass Sie sagen, Sie holen sich immer daraus, was Sie bed?rfen. Ich schreibe nie eine Zeile, die ich nicht mit Fug und Recht verteidigen k?nnte, so ist es mir auch nicht gegeben, ?ber das Schicksal meiner Briefe unruhig zu sein. Auch war es das nicht, was mich bewog, Sie um Verbrennung der meinigen zu bitten, sondern, wie ich oben sagte, weil ich das Aufheben der Briefe ?berhaupt nicht liebe. Selbst das Lesen alter Briefe will mir nicht recht einkommen. Ich d?chte, man besch?ftigte sich lieber mit dem Gegenstande in Gedanken, an dem das Herz h?ngt, da der Brief doch sein Leben verloren hat, wenn er nicht eben von geliebter Hand kommt. Bei Ihnen ist das anders. So behalten Sie immerhin die Briefe. Es macht mir Freude, Ihnen einen Wunsch zu gew?hren, da Sie so selten einen Wunsch aussprechen. Nun leben Sie herzlich wohl, liebste Charlotte, und bleiben Sie um mich mit Ihren Gedanken, die meinigen teilen oft Ihre Einsamkeit. Ihr H.
Sie wundern sich, dass eine Liebe zur Besch?ftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben, ein Eingehen in fremde Gem?tsstimmungen, mir unter vielen und abziehenden Gesch?ften geblieben ist. Das kommt doch nur daher, dass jenes eigentlich die nat?rliche Beschaffenheit meines Gem?ts ist, und dass es mir immer eigen gewesen ist, gegen das innere und eigentliche Sein, die Gesch?fte nur wie eine Art Nebensache zu behandeln, immer ihrer m?chtig zu bleiben, statt mich von ihnen beherrschen zu lassen. Man macht sich darum und auf diese Weise nur desto besser. Und das, was den Menschen als Mensch ber?hrt, die Gef?hle, die ihn erf?llen, die sich in ihm dr?ngen und stossen, haben immer einen haupts?chlichen Reiz f?r mich gehabt. Ich habe zuerst damit angefangen, mich selbst zu kennen und mich selbst zu beherrschen, und kein Mensch kann sich klarer durchschauen, keiner sich mehr in seiner Gewalt haben als ich. Ich habe dabei immer nach zwei Dingen gestrebt: mich empf?nglich zu halten f?r jede Freude des Lebens, und dennoch durchaus in allem, was ich mir selbst nicht geben kann, unabh?ngig zu bleiben, niemandes zu bed?rfen, auch nicht der Beg?nstigungen des Schicksals, sondern auf mir allein zu stehen, und mein Gl?ck in mir und durch mich zu bauen. Beides habe ich in hohem Grade erreicht, ?ber keine Freude und keinen Genuss des Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn sie nur etwas Anmutiges oder H?heres an sich tr?gt, oder wenn sie mir durch irgend etwas besonders zusagt, gew?hrt mir reine Freude. Daher niemand so dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dankbarkeit haben. Teils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, teils aber finden sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus, und geniessen es nicht, wie sie k?nnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bed?rftig als ich, und darauf beruht ein grosser Teil meines Gl?cks, denn jedes Bed?rfnis ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles, was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuss ab.
Ohne Kampf und Entbehrung ist kein Menschenleben, auch das gl?cklichste nicht, denn gerade das wahre Gl?ck baut sich jeder nur dadurch, dass er sich durch seine Gef?hle unabh?ngig vom Schicksale macht.
Ich habe zwei recht liebe Briefe von Ihnen bald nacheinander empfangen, liebe Charlotte, die mir herzliche, wahre Freude gemacht haben, und wof?r ich Ihnen ebenso herzlich danke. Die G?te und Liebe, die Sie mir so treu, wahr und nat?rlich bezeigen, tut meinem Herzen unendlich wohl, und wenn ich auch f?hle, dass, wenn Sie von mir reden, das nur nach der Art ist, wie Sie mich ansehen, nicht gerade wie ich wirklich bin, so freut es mich, selbst da ich viel abbrechen muss, da ja dies liebevolle Zusetzen eine Folge und ein Beweis Ihrer Empfindung ist. Die Erinnerungen an Pyrmont haben mich sehr gefreut, auch mir steht noch vieles, sehr vieles in der Erinnerung von jener Zeit her. Mancher Gespr?che unter uns erinnere ich mich auch noch. Es war in jener Zeit und selbst in der Gegend eine Scheide im Urteil ?ber viele Dinge, auch ?ber Dichtungen und Charakterformen, die in jeder Zeit sehr in Verbindung miteinander stehen. Die einen lebten mehr in Klopstock, den Stolbergen, und den Dichtern und Theaterst?cken, die ruhiger und weniger excentrisch hinliefen; die andern mehr in Goethe, Schiller, von dem man damals eigentlich nur die ersten St?cke hatte , und allem Regellosen, Excentrischen. Ich stand noch sehr unentschieden. Sie schienen mir mehr auf die erste Weise gebildet. Ich erinnere mich, dass Sie die Schillerschen St?cke nicht liebten. Alles das ist mir sehr im Ged?chtnis geblieben, und ist mir noch heute, selbst ausser der Pers?nlichkeit, merkw?rdig, weil sich seit jener Zeit, auch in den inneren Ansichten, viel mehr ver?ndert hat, als die doch nicht so unendlich lange Reihe der Jahre voraussehen liesse. Darum ist es mir auch sehr angenehm, wenn Sie, liebe Charlotte, gerade in Ihrer Jugend recht lange verweilen, in der Fortsetzung Ihrer Lebenserz?hlung. Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie sich dieser Arbeit recht sorgf?ltig unterziehen. Auch w?nschte ich genauer zu erfahren, durch welche B?cher Sie schon fr?h eine so ungew?hnlich ernste Bildung und Stimmung bekommen haben, und wie und wodurch diese in sp?teren Jahren sich so sehr befestigt hat. Ich wiederhole auch hier, Sie k?nnen in dem allen nicht weitl?ufig genug sein. ?ber das: jemand nach seinem Charakter behandeln, kann ich nicht ganz Ihrer Meinung sein. Ich tue es immer, einesteils weil es leicht zum Zwecke f?hrt, dann, weil ich nicht berufen bin, auf den Charakter der Menschen gegen ihren Willen einzuwirken, endlich, weil die Menschen dabei gl?cklich und heiter bleiben und man gern Gl?ck und Heiterkeit um sich verbreitet. Allein, was mich selbst betrifft, so w?nsche ich immer und tue alles dazu, dass mich die Menschen nicht nach meinem Charakter nehmen m?gen. Denn was heisst das anders, als den Charakter, wie er nun einmal ist, f?r abgeschlossen und unver?nderlich annehmen, und ihn in allem, was er in sich enth?lt, zu best?rken? Nun aber ist keines Menschen Charakter fehlerfrei, es heisst also auch, den Menschen in seinen Fehlern best?rken. Ich weiss wohl, dass es mich manchmal tief schmerzt, wenn ich gegen meinen Charakter behandelt werde, allein ein solcher innerer Schmerz ist allemal heilsam, und das wahre Gl?ck beruht gar nicht auf Schmerzlosigkeit. In dem Grade nun, dass die Menschen meines vertrauten Umgangs mir zu erkennen geben, dass Sie auch gern mit Kraft und Selbstverleugnung an sich arbeiten, dass sie heilsame Schmerzen nicht scheuen, behandle ich auch sie weniger mit R?cksicht auf ihren Charakter, und so k?nnte ich wohl bisweilen gegen die, welche mir innerlich am n?chsten stehen, gerade am wenigsten schonend erscheinen. - Es tut mir sehr leid, aus einzelnen ?usserungen zu erkennen, dass Sie leidend waren, vielleicht noch sind. Schonen Sie sich, liebe, gute Charlotte, schonen Sie sich auch f?r mich, denken Sie, dass es mich unendlich bek?mmert, Sie leidend zu wissen. Ihre Ruhe, Ihre Heiterkeit, vor allem Ihre Gesundheit ist es, worauf es mir ankam. Frauen sind darin gl?cklicher und ungl?cklicher als M?nner, dass ihre meisten Arbeiten von der Art sind, dass sie w?hrend derselben meist an ganz etwas anderes denken k?nnen. Ich w?rde es ein Gl?ck nennen. Denn man kann ein ganz inneres Leben fast den ganzen Tag fortf?hren, ohne in seinen Arbeiten oder in seinem Berufe dabei zu verlieren oder gest?rt zu werden. Es ist das auch wohl ein Hauptgrund, warum wenigstens viele Frauen die M?nner in allem ?bertreffen, was zur tieferen und feineren Kenntnis seiner selbst und anderer f?hrt. Allein, wenn jene inneren Gedanken nicht begl?ckend, oder wenn sie wenigstens das nicht rein und unvermischt sind, sondern niederschlagend und beunruhigend dabei, so ist allerdings die Gefahr gr?sser, welche die innere Ruhe bedroht; da M?nner in ihren Gesch?ften selbst, auch wider ihren Willen, Zerstreuung und Abziehung von einem das Innere einnehmenden Gedanken finden.
F?rchten Sie nie, dass mir Ihre entschiedene Vorliebe f?r die einsame Stille, die Sie sich selbst geschaffen haben, missfallen k?nne. Gerade das Gegenteil. Die Zeichnung Ihres kleinen Landhauses und Gartens, die Ihrem letzten Brief beigelegt war, hat mir Vergn?gen gemacht; es ist angenehm, sich mit jemand, den man liebt, alle Umgebungen denken zu k?nnen. Die Einseitigkeit, welche, wie Sie sagen, Ewald f?r Sie gef?rchtet und darum die grosse Zur?ckgezogenheit, worin Sie leben, nicht ganz gebilligt habe, ist allerdings etwas, das nicht taugt. Einmal aber ist sie bei Ihnen nicht zu besorgen, andernteils auch kann man doch f?r sehr vieles verstummen, ohne zu verarmen im Innern, oder dem Wahren, Guten und Sch?nen abzusterben.
Die Abgeschiedenheit spannt alle Verm?gen eines weiblichen, in sich zarten und tiefen Gem?ts h?her, l?utert die Seele und zieht sie ab von den kleinlichen, zerstreuenden R?cksichten, worein Frauen leichter verfallen als M?nner. Auch gibt eine Frau, die die Einsamkeit liebt und in ihr lebt, gleich den Begriff, dass sie keine Freude sucht, als die sie aus der Tiefe ihres eigenen Innern sch?pft, und das ist das Haupterfordernis, um einem selbst tiefer und besser f?hlenden Mann zu gefallen und ein bleibendes, unwandelbares Interesse einzufl?ssen.
Die wenigsten Menschen verstehen, wie unendlich viel in der Einsamkeit liegt, und gerade f?r eine Frau liegt. Wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, ist ihr Familienkreis ihre Einsamkeit, im entgegen gesetzten Fall aber ist es eine absolute, in der man wirklich allein lebt und wenig Menschen sieht.
Das Gl?ck vergeht und l?sst in der Seele kaum eine flache Spur zur?ck und ist oft gar kein Gl?ck zu nennen, da man dauernd dadurch nicht gewinnt. Das Ungl?ck vergeht auch , l?sst aber tiefe Spuren zur?ck, und wenn man es wohl zu benutzen weiss, heilsame, und ist oft ein sehr hohes Gl?ck, da es l?utert und st?rkt. Dann ist es eine eigene Sache im Leben, dass, wenn man garnicht an Gl?ck oder Ungl?ck denkt, sondern nur an strenge, sich nicht schonende Pflichterf?llung, das Gl?ck sich von selbst, auch bei entbehrender, m?hevoller Lebensweise einstellt. Dies habe ich oft bei Frauen in sehr ungl?cklichen ehelichen Verh?ltnissen erlebt, die aber lieber untergingen, als ihre Stelle verlassen wollten. Leben Sie herzlich wohl. Ihr H.
Ich habe Ihren Brief, liebe Charlotte, empfangen, und danke Ihnen von ganzem Herzen daf?r. Es geh?rt immer zu meinen angenehmsten Empfindungen, etwas von Ihnen zu erhalten, und jemehr ich darin Ihre treue und liebevolle Anh?nglichkeit erkenne, desto tiefer ist der Eindruck, den Ihre Zeilen auf mich machen. Die Erinnerung der Vergangenheit gesellt sich alsdann zu dem Genuss der Gegenwart, und ich rechne es immer zu den g?nstigsten Schicksalen meines Lebens, dass Sie mein Andenken haben bewahren wollen, und dass, wie mich Ihnen Besch?ftigungen, Schicksale gen?hert haben, Sie fortdauernd Wert auf meine Teilnahme legen, in meine Ideen eingehen, und es sich selbst f?r ein Gl?ck, ja wohl gar mir zum Verdienst anrechnen, dass mir Empfindungen blieben, die nur mit meinem eigenen Leben aufh?ren k?nnen. Es k?nnte mich dieser Beifall eigentlich stolz machen, allein dazu habe ich keine Anlage. Ich kenne mehr, wie irgendeiner, meine Fehler und Schw?chen und weiss, dass es kein Verdienst genannt werden kann, dass, wenn man einmal vom Schicksal gew?rdigt worden ist, das nat?rlich Treffliche und Gediegene zu sehen, wenn es sich, auch durch eine Gabe des Gl?cks, einem wirklich erschlossen hat, man es nun auch im Tiefsten der Seele festh?lt und sich nicht wieder entreissen l?sst. F?r ein solches Gl?ck halte ich es, dass ich Sie einmal sah und Sie mir blieben, und fortfuhren, mir mit Treue anzuh?ngen, sich noch jetzt gern und willig mir unterordnen und mir erlauben, Ihnen so vertraulich zu schreiben. Ich habe die Stimmung von der Natur empfangen, die ich f?r eine ihrer wohlt?tigsten Gaben halte, dass ich das Ungl?ck nie f?rchte, ja, wo es mich betraf, und das ist doch einigemal auf sehr harte Weise geschehen, es nur als einen ernsten, aber nicht ?belwollenden Begleiter betrachte; dagegen das Gl?ck unendlich sch?tze, erkenne und geniesse. Ich meine aber so das recht reine Gl?ck, das, von allem Verdienst entbl?sst, uns die G?tter schicken, ohne dass der Mensch dazu das mindeste tut. Ein solches Gl?ck war es, dass Sie mir je begegneten, dass mir ein irdisches Bild vor Augen trat, das mir immer blieb und immer bleiben wird, mit dem nichts meinen Frieden st?ren kann und st?ren wird. Denn selbst, wenn es m?glich w?re, dass Sie etwas anwandelte, das ich missbilligen m?sste, so bliebe jenes Bild ewig rein und unentweiht in mir. Es w?re dann etwas, das Ihnen so begegnete, wie es jedem Menschen wohl begegnen kann, es w?re aber nicht in die Z?ge verwebt, die den Umriss jenes Bildes ausmachen. Denn jeder Mensch tr?gt eigentlich, wie gut er sei, einen noch besseren Menschen in sich, der sein viel eigentlicheres Selbst ausmacht, dem er aber wohl einmal untreu wird, und an diesem inneren und nicht so ver?nderlichen Sein, nicht an dem ver?nderlichen und allt?glichen muss man h?ngen, auf jenes dieses zur?ckf?hren, und manches verzeihen, woran jenes tiefere Sein unschuldig ist. So hatte ich ja auch nie geahnt, welchen Schatz von Liebe und Treue Sie mir ein langes Leben bewahrten. Wie sollte es mich nicht begl?cken! Diese Empfindungen, die Sie f?r mich hegen, die Gef?hle, die aus jedem Ihrer Briefe sprechen, sind ja der Grund, auf dem alles, was wir miteinander wechseln, rein und sch?n hinfliesst, von dem es die Farbe annimmt und in dessen Licht es erscheint. Darin liegt auch der grosse Reiz, den Ihre Lebensbeschreibung f?r mich hat. Jemehr ich die Umgebungen kennen lerne, in denen Sie, meine gute Charlotte, aufwuchsen, jemehr ich Sie mir darin denke, desto mannigfaltiger bewegt schweben mir die Z?ge vor, an die meine Einbildungskraft immer gern und lieblich geheftet ist. Solchen Genuss der Phantasie rechne ich zu den h?chsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler R?cksicht ziehe ich ihn der Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas st?rend eintreten, aber jene n?hert sich den Ideen, und das Gr?sste und Sch?nste, das Menschen zu erkennen imstande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem inneren Blick erkennbaren Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuss, das Gl?ck, was man ohne Beimischung irgendeiner Tr?bheit in sich aufnimmt. Nur haben wenig Menschen eigentlich Sinn daf?r. Denn es geh?rt dazu eine Neigung der Beschauung, die in Menschen unm?glich ist, bei denen Sinnlichkeit und innere moralische Empfindung in Verlangen zur Wirklichkeit und zum Genuss ?bergehen. Ich bin von diesem Verlangen mein ganzes Leben hindurch sehr frei gewesen und habe daher mehr durch den Anblick vom Inneren und ?usseren genossen, und in beiden R?cksichten mehr die Wahrheit der Dinge erkannt, ohne mich T?uschungen hinzugeben.
Sie haben mich, liebe Charlotte, schon vor l?ngerer Zeit gebeten, Ihnen Nachricht von den Meinigen zugeben; Sie haben den Wunsch leise erneuert und sprechen ihn jetzt wieder auf eine so zart empfundene Art aus, dass ich mir fast einen Vorwurf dar?ber mache. Sie sagen: die nahen Angeh?rigen geliebter M?nner seien f?r Frauen unendlich teure, geheiligte Gegenst?nde; die Kinder, Teile seines Wesens, die Lebensgef?hrtin, als die Mutter dieser, w?rden in dem Grade, wie sie den Geliebten begl?cken, von der innigsten Z?rtlichkeit umfasst. Indem ich es zu w?rdigen weiss, aus wie edler Quelle dergleichen ?usserungen kommen, danke ich Ihnen recht herzlich daf?r. Ich habe es nur von Brief zu Brief verschoben, weil ich gew?hnlich das letzte Wort eines Blattes und die letzte Viertelstunde der Zeit erreichte, ehe ich dazu kam. Ich fange bei meiner Frau an, da ich mich nicht erinnere, ob Sie wissen, wer sie eigentlich ist. Wenn ich Ihnen also etwas sage, was Ihnen bekannt ist, so seien Sie mir darum nicht b?se. Sie war ein Fr?ulein von Dacher?den, in ihrer Jugend sehr sch?n, und, ob sie gleich acht Kinder gehabt hat, noch viel mehr erhalten, als es Frauen, die nicht in dem Falle sind, gelungen ist. Sie ist seit einiger Zeit kr?nklich, aber auf keine Weise, die Besorgnis erregte, oder ihre nat?rliche Heiterkeit st?rte. Burg?rner geh?rt ihr und ist eins ihrer G?ter, dahingegen Tegel und die schlesischen mir geh?ren. Unsere Ehe wurde bloss durch gegenseitige Neigung, ohne alles Zutun von Eltern und Verwandten, geschlossen, sie hat in den einunddreissig Jahren, die sie nun w?hrt, nie einen nur weniger zufriedenen Moment gehabt, unser Gl?ck ist gegenseitig heute, wie im Anfang, und hat nur die Farbe der verlaufenden Zeit nach und nach angenommen. Da wir beide von Natur heiter sind, so ist unser Verh?ltnis selbst jugendlicher geblieben, als es sonst der Fall sein w?rde. Meine Gesch?fte haben uns manchmal lange voneinander getrennt, aber seitdem ich freie Musse geniesse, sind wir fast ununterbrochen zusammen, und dies fortsetzen zu k?nnen, wird mich vorz?glich bewegen, wenn es nicht durchaus sein muss, nicht wieder in Dienst zu treten. Gleich nach meiner Verheiratung lebte ich auch ausser Dienstverh?ltnissen ?ber zehn Jahre lang, und reiste damals mit meiner Frau nach Frankreich und Spanien. Jetzt in der Stadt ber?hre ich fast die Strasse mit keinem Fuss, und fahre auch selten aus. Auf dem Lande gehen wir immer zusammen spazieren, oder sind beide zu Hause. Von unsern acht Kindern haben wir leider drei, eins in Paris, zwei in Rom, verloren, als ich dort Gesandter war. Jetzt haben wir noch drei T?chter und zwei S?hne. Die ?lteste Tochter wird sich schwerlich verheiraten, sie bleibt gern mit uns, und wir w?rden sie, da sie so lange mit uns gewesen ist, noch ungerner missen. Meine beiden andern T?chter sind verheiratet; die zweite heiratete, ehe sie noch f?nfzehn Jahre alt war, und ihr Mann in den Krieg ging. Sie hat den Obrist-Lieutenant von Hedemann zum Manne und lebt ?beraus gl?cklich. Die j?ngste ist an den Geheimrat von B?low verheiratet, der Legations-Sekret?r bei mir in London war, und jetzt hier bei dem ausw?rtigen Departement steht. Sie hat eine Tochter, die bald ein Jahr alt sein wird, und lebt gleichfalls sehr heiter und in ihrer H?uslichkeit zufrieden. Mein j?ngster Sohn ist noch im Hause und wird bei mir erzogen. Mein ?ltester ist Kavallerieoffizier in Breslau und hat eine sch?ne und liebensw?rdige Frau. Sie hat leider noch keine Kinder. So wissen Sie wenigstens im ganzen so viel, dass Sie sich meine Familie und mein Leben in derselben vorstellen k?nnen. Ausser meiner Familie sehe ich wenig Leute. In Privath?user gehe ich selten, nur zu einigen alten Bekannten.
Ich muss nun schliessen, das Papier ist zu Ende. Leben Sie herzlich wohl, liebe Charlotte. Mit der unwandelbarsten und w?rmsten Anh?nglichkeit der Ihrige. H.
Ich setze mich mit inniger Freude an den Tisch, Ihre beiden Briefe zu beantworten, die mir, wie alles, was mir von ihnen kommt, sehr teuer gewesen sind. Es tut mir sehr leid, dass mein l?ngeres Schweigen Sie einen Augenblick beunruhigt hat, ob ich gleich diesem Umstande einen Brief mehr von Ihnen verdanke. Sie m?ssen aber nie unruhig sein, wenn ich einmal l?nger nicht schreibe, als Sie gerade gedacht haben, dass ich es tun w?rde. Ich bin so selten krank, dass dies garnicht in Berechnung kommen kann, und eine ?nderung in meinen Gesinnungen, wie leise sie auch sein m?chte, ist in der Tat unm?glich. Es widerspricht meinem Charakter ?berhaupt, und widerspricht noch viel mehr meinen einmal f?r Sie gefassten Empfindungen, und kann mit einem Worte nicht eintreten. Dass ich aber einmal weniger oft schreibe, hat ganz zuf?llige Ursachen, die ich aber auch nicht gut ?ndern kann. Ob ich gleich jetzt gar keine eigentlichen Gesch?fte habe, so bin ich besch?ftigter als die meisten, die selbst viel mit solchen beladen sind, und ich lebe keineswegs so, wie manche andre, dass ich nur auf irgend eine Weise dem Vergn?gen oder meinen Einf?llen nachh?nge. Meine Stunden vom Morgen bis zum Abend, und vor 1 Uhr gehe ich nie zu Bette, sind regelm?ssig besetzt; mit meiner Familie bringe ich nur etwa zwei Stunden am Abend, ausser dem Mittagessen, zu. In Gesellschaft gehe ich so gut als garnicht, und in meiner Stube, in der ich also die meiste Zeit meines Lebens zubringe, bin ich mit Papieren und B?chern umringt. Ich f?hre, seit ich den Dienst verlassen habe, ein eigentliches Gelehrten-Leben, habe weitl?ufige, wissenschaftliche Untersuchungen unternommen, und so kommt es denn freilich, dass der Briefwechsel manchmal stockt, der mit Ihnen aber doch am wenigsten. Denn ich wundere mich selbst manchmal, wie ich Ihnen so oft und so lange Briefe schreibe, und dann finde ich es doch wieder so nat?rlich, weil ich mich so gern in meinen Gedanken vor Ihnen gehen lasse, und meine Briefe wieder Veranlassung der Ihrigen sind, die ich so innig gern lese, wie lang sie sein m?chten. Denn zum Lesen habe ich immer Zeit, da dazu der Entschluss nicht wie zum Schreiben zu nehmen ist, sondern mit dem erscheinenden Briefe nat?rlich da ist, so schiebt sich alles andre so lange zur Seite. Auch das Denken geh?rt jeder Stunde an, nur zum Schreiben kommt man nicht immer, und ich k?nnte mir darin einen Zwang antun. Ich klagte mich zum voraus bei Ihnen an, liebe Charlotte, dass ich eigentlich nicht ordentlich und regelm?ssig im Schreiben bin, und Sie sehen jetzt, dass ich nicht unwahr redete.
Dass Sie erfreut und zufrieden sind mit den kurzen Nachrichten, die ich Ihnen ?ber meine Familie gab, ist mir lieb, ob sie hinzusetzen, >>wenn ich sie auch ausf?hrlicher gew?nscht h?tte, bin ich doch erfreut und etwas bekannt mit den Ihrigen und bescheide mich<<. - Das ist ganz in Ihrer Art, und wenn ich Sie darum lobe, so muss ich dar?ber schm?len, dass Sie besorgen, ob Sie sich nicht zu sehr haben gehen lassen in dem Ausdruck Ihrer Empfindungen? Sie haben in Ihrer Selbstbiographie nur f?r mich geschrieben. Sie haben mir die ersten Empfindungen Ihrer jugendlichen Brust aufrichtig, edel und offen gestanden, Sie haben mir diese Gef?hle durch ein ganzes Leben gesondert, bewahrt, und mein Andenken heilig erhalten, ohne irgendein Zeichen des meinigen empfangen zu haben. Ihr ganzer Besitz waren ein paar Zeilen auf einem Zettel Papier. Das w?rde jeden Mann ger?hrt haben. Wer aber so etwas zu w?rdigen versteht, wie ich das von mir sagen darf, der wird es wie ein seltenes Gl?ck dankbar empfangen und wie eine Zugabe des Himmels ansehen. Nicht der leiseste, nur scheinbar gerechte Vorwurf k?nnte Sie treffen, und die k?lteste, ruhigste Beurteilung k?nnte hier nichts zu tadeln finden. Sie sehen, ich will mir nicht wieder entreissen lassen, was Sie mir einst freiwillig gegeben haben. Ich will es behalten, und keine kleinlichen Skrupel von Ihrer Seite sollen mir meinen lieben Besitz rauben. Irre ich, so irrt wenigstens mein Herz nicht. Ich habe nicht die engherzigen Begriffe ?ber solche Empfindungspflichten, die wohl sonst im Schwange sind. Wenn man in sich rein ist, kein Gef?hl mit dem andern vermengt, keine Pflicht verletzt, so habe ich f?r mich kein Arges, mich jedem Gef?hl, das wahr und unentstellt in mir aussteigt, ohne alle ?ngstlichkeit hinzugeben. So ist es in mir. Sie sehen, was ich Ihnen oben sagte, ich will behalten, was ich habe.
Von meinem Familienleben h?tte ich Ihnen, wenn Sie es nicht ausdr?cklich gefordert h?tten, und es mir nicht nat?rlich geschienen, doch auch das Innere und gerade dasjenige Verh?ltnis zu ber?hren, von dem in einem Familienkreise alle anderen Empfindungen ausgehen, immer geschwiegen.
Also noch einmal, ich will, liebe Charlotte, dass Sie nicht eine einzige Zeile, nicht ein Wort zur?ckw?nschen. Alles, was Sie mir geschrieben haben, woraus Ihre Gef?hle so rein und wahr hervorstrahlen, begl?ckt mich in der Erinnerung. Ich w?nsche vor allem, dass der Briefwechsel mit mir Ihnen reine, durch nichts getr?bte Freude mache. Ich habe ja dabei keinen andern Zweck, als f?r mich Erinnerungen festzuhalten, die mir ewig teuer sein werden, und f?r Sie, Ihnen eben dadurch Freude zu geben.
Dass ich Ihnen jene Nachrichten so sp?t gab, darf Sie nicht wundern, ich gab sie nur, weil Sie es wollten. An sich ist es meine Art nicht, von dem, was ich f?r einen Menschen f?hle, einem andern als ihm selbst zu sprechen, ja, es ist mir ganz entgegen. Ich weiss wohl, dass man es so gemeinhin f?r ein Zeichen und ein Bed?rfnis der Freundschaft h?lt, sich gegenseitig Freude und Kummer und alles mitzuteilen, den andern, wie man es nennt, mit sich leben zu lassen. Ich k?nnte tiefen Kummer und grosse Freude im Herzen haben, und es w?rde mich nie dr?ngen, es denen mitzuteilen, die ich am liebsten habe. Ich tue es auch wirklich nicht, wenn die Mitteilung nicht andere Veranlassung hat. Ich halte sehr wenig von den Ereignissen des Lebens und f?r mich wenig von Gl?ck und Ungl?ck, beide, auf mich bezogen, sind die letzten R?cksichten bei meinem Tun und Handlungen; ich weiss, Gottlob! mit denen, die ich so gern habe, als Sie, immer noch etwas Besseres zu reden, als was eben um mich herum vorgeht. Ich mache es gerade so mit meiner Frau und Kindern. Sie wissen von sehr vielem, was mich besch?ftigt, garnicht, und meine Frau denkt so gleichgestimmt mit mir dar?ber, dass, wenn sie zuf?llig etwas erf?hrt, was sie nicht wusste, oder ich ihr selbst bei einer Veranlassung davon sagte, es ihr nicht einf?llt, das sonderbar zu finden. Freundschaft und Liebe bed?rfen des Vertrauens, des tiefsten und eigentlichsten, aber bei grossartigen Seelen nie der Vertraulichkeiten.
Leben Sie herzlich wohl! Mit unver?nderlichen Gesinnungen der Ihrige. H.
Sie verstummen ja ganz, liebe Charlotte. Es ist ungew?hnlich lange, dass ich keine Zeile von Ihnen erhielt. Schon seit acht Tagen wollte ich Sie bitten, das Stillschweigen zu brechen. Aber ich hoffte mit jedem Posttag einen Brief zu erhalten. Wenn Sie nur nicht krank sind! Allein gerade dann, d?chte ich, h?tten Sie geschrieben, mir wenigstens das zu sagen. Sie waren aber sehr angegriffen, hatten sich sehr angestrengt, dazu jetzt die kalte Witterung, das alles k?nnte Ihnen doch wohl geschadet haben. Ich bitte Sie inst?ndigst, schreiben Sie mir, wie es Ihnen geht. Ich w?rde in der Tat sehr unruhig sein, wenn ich auch jetzt keinen Brief erhielte. Ich bin wohl, aber sehr besch?ftigt. Mein Bruder war vier Wochen hier bei mir. Er ist nun nach Paris zur?ckgegangen; w?hrend seiner Anwesenheit hatte ich alles liegen lassen, und so ist schon das, was sich in meinen Gesch?ften angeh?uft hat, so ansehnlich, dass ich ein paar Wochen daran aufzur?umen haben werde. Darum verzeihen Sie auch die K?rze meiner Zeilen. Da Siegern lange Briefe von mir haben, so wird Ihnen mein letzter gefallen haben, er f?llte den ganzen Bogen, und mit meiner kleinen Handschrift ist das sehr viel. Leben Sie wohl, und ich bitte, schreiben Sie mir gleich. Von Herzen und mit unver?nderlichen Gesinnungen der Ihrige. H.
Ich habe, liebe Charlotte, Ihre Briefe mit deren Beilagen erhalten und sage Ihnen meinen herzlichen Dank daf?r. Man kann nicht ordentlicher sein, als Sie diese zweite Lieferung zu Ihrer Lebensbeschreibung eingerichtet haben. Sie nennen sie: Einleitungshefte. Die Folge wird das erst ganz deutlich machen, da alle Ihre Gedanken Klarheit haben. Alles liest sich leicht und m?helos, wie ein Buch, und was bei Handschriften immer sehr angenehm ist. Dass Sie das Ganze in Lieferungen teilen und jede in einen angemessenen Abschnitt zusammenfassen, ist ?usserst zweckm?ssig. Ich finde es daher auch besser, dass Sie k?nftig sich nicht gerade an die Zeitpunkte halten, die ich anfangs bestimmt hatte, sondern jeder Lieferung einen angemessenen, sich nach dem Inhalt richtenden Abschnitt geben, dass er weder allzukurz noch allzulang wird, und abzusenden, wenn Sie solche Lieferung fertig haben, ohne sich an einen bestimmten Zeitabschnitt zu kehren. Ich weiss, auf der einen Seite, dass Sie Interesse genug an der Sache nehmen, und liebevoll gegen mich gesinnt, selbst gern meine W?nsche erf?llen, und also die Musse, die Sie auf diese Arbeit verwenden k?nnen, gewiss nicht ohne Not andern Dingen schenken. Auf der andern Seite aber m?chte ich selbst nie, dass Sie den notwendigen Gesch?ften, die Ihnen obliegen, Zeit entz?gen, die dann wieder zu grosse Anstrengungen forderten, um das Verschobene wieder einzubringen. Alles, wozu ich Sie veranlasse, soll nur zu Ihrem Vergn?gen und Ihrer Genugtuung dienen, nicht aber Ihnen zur Last noch Unruhe werden. Was mich bei dieser Lieferung erschreckt, ist, dass Sie schon so weit vorger?ckt sind. Sie sehen daraus, wie ich Ihnen immer sagte, dass Ihre Furcht vergeblich sei, dass Sie bei einer so grossen Ausf?hrlichkeit nie zu einem Ende kommen w?rden. Indessen kann ich Ihnen durchaus ?ber Mangel an Ausf?hrlichkeit keinen Vorwurf machen. Ich glaube gern und sehe es aus der Schrift selbst, dass Sie nichts weiter zu erz?hlen hatten, weil der Gegenstand Ihnen in Ihrem Ged?chtnis nicht mehr darbot. Sie haben nichts ?bergangen, alle Personen, die Sie erw?hnen, erscheinen in einer vollst?ndigen Zeichnung mit sehr bestimmten Umrissen, man sieht zugleich ihre Umgebungen, und es geht dem Bilde kein Zug ab, dessen Vermissen eine L?cke verursachte. Zwei interessante Figuren sind Ihre beiden Grossm?tter, man ist sehr geneigt, sie in Ihnen wieder zu erkennen. Zwei vorz?gliche Frauen waren es gewiss. Es ist in sich nat?rlich, dass die Schilderung des Lebens einer in den einfachsten Verh?ltnissen sich befindenden Familie nicht mehr und nichts Vielfacheres darzubieten imstande ist; auch ist es Ihnen wohl bis dahin nicht eingefallen, dies Leben in so weiter Vergangenheit zur?ckzuholen und zu beschreiben. Das alles, gute Charlotte, erkenne ich mit wahrer Dankbarkeit, erkenne, wie gern Sie mir Freude machen. Auch hat Ihre Erz?hlung, gerade in dieser Einfachheit eines solchen Lebens, f?r mich und meine individuelle Art zu empfinden einen grossen Reiz, den ich auch wieder bei Lesung Ihrer Bl?tter empfunden habe. Ich muss diese Lieferung auch darin noch mehr loben als fr?her, weil die Erz?hlung darin ruhiger, ununterbrochener, und in einem einzig nur das Geschilderte heraushebenden Tone fortgeht. So gern ich auch Betrachtungen lese, welche Sie fr?her dem Erz?hlten einzustreuen pflegten, so besteht der gr?sste Reiz einer Erz?hlung doch gerade darin, dass man nur das Erz?hlte erblickt, und dass es als etwas ehemals Vorgegangenes und sich selbst vor dem Auge Bewegendes dasteht, nicht durch den unterbrochen wird, der es jetzt absichtlich darstellt. Im gegenw?rtigen Falle sind nun zwar Sie, als darstellend und dargestellt, dieselbe Person, allein die Verschiedenheiten der Zeit bleiben auch so doch gleich beachtungswert, und Sie, jetzt und selbst erz?hlend, werden gegen sich, in jener Zeit dargestellt, auch wieder gewissermassen eine Fremde. Sie m?ssen aber darum nicht glauben, dass ich mich durchaus gegen die Einstreuung jeder Betrachtung erkl?rte, und Sie sich jede neue verbieten m?ssten. Dies ist gar nicht meine Absicht. Ich lobe mehr die Art, die ich hier beobachtet gefunden habe, als ich es tadeln w?rde, wenn Sie eine andere angewendet h?tten. Denn auch diese k?nnte auf ihre Weise Reiz gehabt haben, und Sie w?rden es gewiss verstanden haben, ihn derselben zu geben. Allein in sich ist es richtig, dass die Erz?hlung reiner und anziehender in dem Grade ist, in welchem sich der Erz?hler mehr zur?ck und in Schatten stellt, und dieser verliert dabei nicht, denn man sieht ihn und seine Individualit?t in der Art und Natur der Erz?hlung gleich klar und bestimmt, und f?hlt sich durch die verstecktere Art, mit der es geschieht, ?berrascht. Die Zeichnungen, die Sie beigelegt hatten, haben mich sehr gefreut. Sie versetzen den, der sie sieht, auf den Schauplatz der Personen, von denen erz?hlt wird, und tragen daher zur Lebendigkeit der Schilderung und zur Bestimmtheit des Bildes bei. Die ?ussere Ansicht Ihres elterlichen Hauses hat aber auch etwas in sich Freundliches und Gef?lliges. Bei Gelegenheit des Todes Ihrer Mutter erw?hnen Sie, obgleich dunkel und so, dass man nicht deutlich und bestimmt sehen kann, wie es gewesen ist, etwas Geisterartiges. Dies bitte ich Sie nicht zu ?bergehen. Ist es, wie es fast scheint, Ihre Absicht, darauf bei einer andern Gelegenheit in der Folge zur?ckzukommen, so mag es so bleiben, und so lese auch ich die genaue Darstellung dieses Ereignisses lieber an dem Orte, den Sie f?r den passlichsten halten. Wollen Sie aber nicht darauf zur?ckkommen, sondern es bei demjenigen bewenden lassen, was Sie dar?ber gesagt haben, so muss ich Sie bitten, dieser Sache eine besondere Zugabe zur zweiten Lieferung zu widmen, sie zuerst und zun?chst auszuarbeiten und mir einzeln zuzusenden. Es hat gerade dies ein ganz besonderes Interesse f?r mich. - Das Missgeschick mit Ihrer Wohnung hat mich sehr geschmerzt; Sie befanden sich dort einsam und wohl, und hatten ?berdies sie sich nach Ihren Neigungen eingerichtet. Das verlassen zu m?ssen, ist wirklich h?chst unangenehm, und ich nehme nicht nur den innigsten Anteil daran, sondern begreife auch ihre Niedergeschlagenheit dar?ber vollkommen.
Dass Ihnen meine Teilnahme tr?stlich, mein Andenken wohlt?tig ist, und Sie gern dabei verweilen und ausruhen, wenn Ihnen, wie auch jetzt, weh ist, daf?r, liebe Charlotte, kann ich Ihnen nur sehr dankbar sein. Es war mein Wunsch und meine Absicht, ich wollte nur gl?cklich, heilsam und wohlt?tig auf Sie einwirken, und es freut mich unendlich, wenn ich erkenne, dass ich das erreiche. Gestatten Sie mir denn auch jetzt diesen Einfluss auf Ihr Gem?t, da Sie leiden und gebeugt sind. Richten Sie sich an mir auf. Ich m?chte niemand lieber als Ihnen zur St?tze sein. Leben Sie f?r heute herzlich wohl, und erlauben Sie mir die Wiederholung meiner Bitte, sich zu beruhigen. Halten Sie den Glauben an die Treue meiner innigsten, liebevollsten Teilnahme fest, womit ich Ihnen stets angeh?re. Ihr H.
Ihr Brief vom 19. dieses, liebe Charlotte, hat mich bek?mmert, da er in grosser und sichtbarer Niedergeschlagenheit geschrieben war; es hat mich aber gefreut zu sehen, dass er gegen das Ende hin heiterer wird, weil das ein sicheres Zeichen ist, dass das ruhige Schreiben, das stille Gespr?ch mit dem, von dem Sie wissen, dass er immer gleichen Anteil an Ihnen nimmt, eben jene wohlt?tige Wirkung auf Sie ausge?bt hat. Darum hoffe ich auch, werden Sie nicht bei dem Vorsatz des Verstummens bleiben, sondern fortfahren, wie bisher, zu schreiben. Jener Vorsatz, den ich ?berhaupt nur f?r augenblicklich halten will, kann Ihnen nur von einer d?steren Stimmung eingegeben sein. Es ist sehr liebevoll von Ihnen, dass Sie, wie Sie sagen, mein Leben nicht durch Ihre Niedergeschlagenheit st?ren wollen. Allein, weiss ich sie darum weniger, wenn ich sie in Ihrem Verstummen erkenne, und muss sie mich denn nicht gerade darum mehr beunruhigen, weil ich den Grad, die Farbe, die Art derselben weniger kenne? Sie k?nnen versichert sein, dass ich immer den herzlichsten und mitf?hlendsten Anteil an Ihnen und allem, was Ihnen begegnet, nehme, und dass ich auch auf dieselbe Weise den Unfall ansehe, dass Sie gerade jetzt, und ?berhaupt, eine Ihnen zu bequemer und lieber Gewohnheit gewordene Wohnung aufgeben m?ssen. Allein ich m?chte Ihnen doch, liebe Charlotte, bei einem solchen Falle mehr St?rke, mehr innere, ?usseren Unf?llen entgegenstrebende Heiterkeit w?nschen, da Ihnen so vieles zum inneren Genuss bleibt. Es soll dies gewiss auch nicht der fernste und leiseste Vorwurf sein, ich m?chte lieber alles, als Ihnen im mindesten weh tun. Aber es ist einmal meine Art, zu denen, mit denen ich vertraulich umgehe, durchaus und ganz wahr zu reden, unverhohlen zu sagen, was mir nicht zu billigen scheint, und ihnen die Vorstellungen zu machen, durch die sie meiner ?berzeugung nach in sich st?rker, fester und dadurch selbst?ndiger und minder abh?ngig von ?usseren Zuf?lligkeiten werden. Also seien Sie mir um dasjenige, was ich Ihnen hier sage und sagen werde, nicht b?se. Sehen Sie es auch nicht als etwas an, das der leicht sagen kann, der selbst nur in gl?cklicher und gen?gender Lage vor ?hnlichen Unf?llen sicher ist. Es kommt nicht auf die ?ussere Ursache an, von welcher der Schmerz oder die Widerw?rtigkeit entsteht, und der Himmel hat Schmerz und Widerw?rtigkeit so weise verteilt, dass der ?usserlich noch so vorz?glich Beg?nstigte darum keinen Augenblick hindurch freier ist von Anl?ssen und Ursachen inneren Schmerzes. In einem schon ziemlich langen und gar nicht in einfachen Verh?ltnissen hingegangenen Leben sind mir mannigfaltige Dinge vorgekommen, die mich augenblicklich oder auf lange aus meinem ganzen gewohnten Lebenswege in einen andern, in vielen, gerade das Innerste ber?hrenden Punkten verschiedenen gestossen haben. Ich bin also den Empfindungen, die Sie jetzt haben, auf keine Weise fremd, und kann mir jeden Tag, da wir in der Hand des Schicksals sind, eine ?hnliche bevorstehen. Ich verkenne auch darum die Art Ihrer Empfindungen nicht, weil ich, wie Sie allerdings Recht haben zu sagen, nicht gerade mit der ?usseren Ursache sympathisieren kann. Das Wechseln einer Wohnung, das mir so oft von den angenehmsten zu den unlieblichsten begegnet ist, w?rde auf mich allerdings wenig Einfluss haben. Ich lebe zwar auch best?ndig in meiner Stube, bin jetzt zum Beispiel, trotz des Sonnenscheins, seit acht Tagen mit keinem Fusse anders, als zu den durch Gewohnheit bestimmten Tageszeiten, in das Nebenzimmer zu meiner Familie gekommen. Ich habe keine Bed?rfnisse der Art, jede Stube ist mir gleich, ich brauche keine Bequemlichkeiten, den Rohrstuhl, auf dem ich sitze, und den Tisch, an dem ich schreibe, ausgenommen. Sie w?rden keinen Spiegel, kein Sofa, nichts von dem allen bei mir finden. Allein auf die Ursache der Trauer kommt gar nichts an, es gilt nur diese, und ich sage Ihnen das nur, um jedem, auch stummem Einwand zu begegnen, dass ich bei einem Unfall, wie er Sie jetzt betrifft, mich nicht in Ihre Lage versetzen k?nnte. Ich kann es gewiss, da jeden reizbaren und nicht empfindungslosen Menschen niederschlagende Empfindungen ?hnlicher Art betreffen. Aber gerade darum, meine eigenen Erfahrungen benutzend, muss ich Sie doch bitten, liebe Charlotte, sich durch dies Ereignis nicht auf solche Weise beugen zu lassen. Ich kann es nach Ihrer eigenen Schilderung nicht sowohl f?r ein empfindliches ?bel halten, dass Sie gerade diese Wohnung verlassen, sondern mehr, dass Sie nicht wieder eine ungenierte Gartenwohnung mit Stille und Einsamkeit und ohne Mitbewohner gefunden haben. Was Sie mir einmal von der K?lte und Feuchtigkeit der W?nde, auch wo Sie schlafen, sagten, hat mich sehr geschreckt, und kann Ihnen unm?glich zutr?glich gewesen sein. Trotz alledem, was sich da sagen l?sst, bleibt der Verlust, bis Sie eine andere l?ndliche und stille Wohnung finden, sehr gross, und l?sst sich nicht wegr?sonieren, auf keine Weise. Aber da, liebe Charlotte, bleibt, ausser der Resignation, das zu tragen, was unab?nderlich ist, doch auch der Genuss dessen, was Ihnen in Ihrem inneren Leben unentreissbar bleibt, das Andenken an alles, was Ihnen teuer ist, der Umgang mit einigen Personen, denen Sie geneigt sind, das Bewusstsein eines immer reinen Gem?ts ein bewegtes Leben hindurch, die Genugtuung an einem sich selbst geschaffenen Dasein, endlich, darf ich auch mit Freuden hinzusetzen, nach dem, was Sie mir so oft sagen, die Besch?ftigung mit mir, die Sicherheit, wie innig ich alles Weh und alle Freude teile, die sich in Ihnen bewegen. Einer gewissen St?rke bedarf der Mensch in allen, auch den gl?cklichsten Verh?ltnissen des Lebens, vielleicht kommen sogar Unf?lle, wie Sie jetzt einen erfahren, um dieselbe zu pr?fen und zu ?ben, und wenn man nur den Vorsatz fasst, sie anzuwenden, so kehrt bald, auch selbst dadurch Heiterkeit in die Seele zur?ck, die sich allemal freut, pflichtm?ssige St?rke ge?bt zu haben. - -
?berhaupt, liebe Charlotte, und ich denke das oft, mag es wohl sein, dass ich anders bin, als Sie sich mich manchmal gedacht hatten. Das kann eigentlich nicht fehlen, wenn man sich fast nie gesehen und nie miteinander gelebt hat. Ich schrieb Ihnen, im Beginn unsers Briefwechsels, Sie m?ssen mich nehmen, wie ich bin, ich kann aus meinem Wesen, wie es ist, nicht herausgehen. Meine wahren und eigentlichen Gesinnungen ?berhaupt und gegen Sie, liebe Charlotte, bleiben immer dieselben und ?ndern nie. Ob Ihnen der Ausdruck immer gleich erfreulich und ansprechend ist, daf?r kann ich nicht einstehen. Ich kann meiner Freiheit, weder in der H?ufigkeit, noch in der Art, wie ich schreibe, etwas nehmen, und muss Sie da, wo ich zuf?llig nicht mit Ihnen oder Ihren Bemerkungen ?bereinstimme, um Nachsicht bitten. Dass ich in Wahrheit teil an Ihnen nehme, dass ich Ihnen auch gern schreibe, sehen Sie genug auch daraus, dass ich Ihnen vom Anfange an frei und offen, wie ich immer bin, sagte, dass ich ungern schreibe, dass Sie selten und kurze Briefe von mir bekommen w?rden, und dass ich doch h?ufig, und wie selbst dieser zeigt, sehr lange Briefe wirklich schreibe. Um zu Ihrer Lebenserz?hlung zur?ckzukehren, so kann ich Ihnen nur wiederholen, dass Sie mir durch die Fortsetzung wahre Freude machen werden, muss aber auch hinzusetzen, dass meine Bitte immer von der Voraussetzung ausgeht, nicht bloss, dass Sie es gern tun, das weiss ich gewiss, sondern auch, dass Sie Stimmung und Zeit in Anschlag bringen, und sich nur dann damit besch?ftigen, wenn beide es erlauben; ich weiss ja, wie gewissenhaft Sie Ihre Zeit anwenden und dar?ber denken, und Sie wissen, wie dies meine wahre Achtung f?r Sie erh?ht. Was Sie mir von den Geistererscheinungen sagen, hat mich noch neugieriger darauf gemacht. Ich bin ganz der Meinung Ihres verewigten Vaters. Niemand kennt den geheimen, Zusammenhang der Dinge, und ich werde keinen Unglauben haben. Leben Sie nun herzlich wohl, liebste Charlotte! Suchen Sie sich zu erheitern, tun Sie es auch aus Liebe zu mir, und glauben Sie, dass niemand so gern und so oft an Sie denkt, als ich. Ihr H.
Ich danke Ihnen recht herzlich f?r Ihre wenigen Zeilen, welche Ihnen Ihre liebevollen Gesinnungen eingaben. Ihre Worte: >>Nehmen Sie dem gepressten Herzen die Worte nicht genau, so wenig als den Kleinmut, der Folge schwerer Verh?ngnisse ist<< - diese Worte haben mich tief ger?hrt. Niemals werden Sie in meinen Gesinnungen den leisesten Wandel erkennen. - Ihrem n?chsten Briefe sehe ich nun mit grossem Verlangen entgegen; aus einigen ?usserungen m?chte ich schliessen, dass ich Ihnen eine angenehmere Aussicht er?ffnet habe. - - - - - - - - - - - - - - H.
Ich wollte mich eben hinsetzen, liebe Charlotte, Ihren lieben Brief vom 9. dieses zu beantworten, als ich zu meiner grossen Freude den vom 20. bekam. Ich glaubte schon, Sie wollten, ehe Sie mir schrieben, erst eine Antwort von mir abwarten. Ich freue mich sehr, Sie nicht in dem Hause zu wissen, vor dessen unlieblichen Bewohnern Sie mit Recht einen so grossen Abscheu hatten. Sie haben bei Ihrem neuen Etablissement wenigstens an Ruhe und Einsamkeit gewonnen. Ich begreife indes vollkommen Ihren Widerwillen vor der Stadt. W?re ich nicht meiner Kinder wegen hier, die einmal ihrer Verh?ltnisse wegen die Stadt, zumal im Winter, nicht verlassen k?nnen, so w?rde ich immerfort auf dem Lande bleiben. Selbst, wo die Gegend nicht reizend w?re, bleibt der Anblick des freien Himmels schon viel. Der Anblick des Himmels hat ?berhaupt unter allen Umst?nden einen unendlichen Reiz f?r mich, bei sternenhellen, wie bei dunklen N?chten, bei heiterm Blau, wie bei ziehenden Wolken, oder dem traurigen Grau, worin sich das Auge verliert, ohne etwas darin zu unterscheiden. Jeder dieser Zust?nde entspricht einer eigenen Stimmung im Menschen, und wenn man das Gl?ck hat, diese Stimmung nicht gerade von den Elementen empfangen zu m?ssen, nicht d?ster zu werden mit dem d?steren Himmel, sondern in der aus dem reinen Innern entsprungenen Stimmung, durch den Anblick des Himmels nur in andere und andere Betrachtungen versenkt zu werden, so hat man wenigstens kein Missfallen am farblosen Himmel, wenn man auch dem ruhig und mild strahlenden nat?rlich den Vorzug gibt. Mir ist ?berhaupt das Klagen ?ber Wetter fremd, und ich kann es an andern nicht sonderlich leiden. Ich sehe die Natur gern als eine Macht an, an der man die reinste Freude hat, wenn man ruhig mit allen ihren Entwicklungen fortlebt, und die Summe aller als ein Ganzes betrachtet, indem es nicht gerade darauf ankommt, ob jedes Einzelne erfreulich sei, wenn nur der Kreislauf vollendet wird. Das Leben mit der Natur auf dem Lande hat vorz?glich darin seinen Reiz f?r mich, dass man die Teile des Jahres vor seinen Augen abrollen sieht. Mit dem Leben ist es nicht anders, und es scheint mir daher immer aufs mindeste eine m?ssige Frage, welches Alter, ob Jugend oder Reife, oder sonst einen Abschnitt man vorziehen m?chte. Es ist immer nur eine Selbstt?uschung, wenn man sich einbildet, dass man wahrhaft w?nschen k?nnte, in Einem zu bleiben. Der Reiz der Jugend besteht gerade im heiteren und unbefangenen Hineinstreben in das Leben, und er w?re dahin, wenn es einem je deutlich w?rde, dass dies Streben nie um eine Stufe weiter f?hrt, etwa wie das Treten der Leute, die in einem Rade eine Last in die H?he heben. Mit dem Alter ist es nicht anders, es ist im Grunde, wo es sch?n und kr?ftig empfunden wird, nicht anderes, als ein Hinaussehen aus dem Leben, ein Steigen des Gef?hls, dass man die Dinge verlassen wird, ohne sie zu entbehren, indem man doch zugleich sie liebt und mit Heiterkeit auf sie hinblickt, und mit Anteil in Gedanken bei ihnen verweilt. Selbst ohne auch religi?se Gedanken an den Anblick des Himmels zu kn?pfen, hat es etwas unbeschreiblich Bewegendes, sich in der Unendlichkeit des Luftraums zu verlieren, und benimmt so auf einmal alle kleinlichen Sorgen und Begehrungen des Lebens, und der Wirklichkeit ihre sonst leicht einengende Wichtigkeit. So sehr auch der Mensch f?r den Menschen das Erste und Wichtigste ist, so gibt es gerade nichts gegenseitig mehr Beschr?nkendes, als die Menschen, wenn sie, enge zusammengedr?ngt, nur sich vor Augen haben. Man muss erst oft wieder in der Natur ein h?heres und ?ber der Menschheit waltendes Wesen erkennen und f?hlen, ehe man zu den beschr?nkten Menschen zur?ckkehrt. Nur dadurch auch gelangt man dahin, die Dinge der Wirklichkeit nicht so wichtig zu halten, nicht so viel auf Gl?ck oder Ungl?ck zu geben, Entbehrung und Schmerz minder zu achten, und nur auf die innere Stimmung, die Verwandlungen des Geistes und Gem?ts seine Aufmerksamkeit zu richten, und das ?ussere Leben bis auf einen gewissen Grad in sich untergehen zu lassen. Der Gedanke des Todes hat dann nichts, was abschrecken oder ungew?hnlich bek?mmern k?nnte, man besch?ftigt sich vielmehr gern mit ihm, und sieht das Ausscheiden aus dem Leben, was ihm auch immer folgen m?ge, als eine nat?rliche Entwicklungsstufe in der Folge des Daseins an. Ich komme zum Teil mit deshalb auf diese Betrachtungen, weil ich eben die Zugabe zu Ihrem zweiten Heft gelesen habe, f?r die ich Ihnen herzlich danke und deren Inhalt damit enge zusammenh?ngt. Es ist schwer zu bestimmen, was man ?ber die Tatsachen, denn als solche muss man Selbsterfahrenes ansehen, sagen soll.
Dass eine geliebte Person im Augenblick ihres Abscheidens, oder auch nachher, den Elementen und der Sinnenwelt die Kraft abgewinnt, zu erscheinen, l?sst sich zwar auch nicht weiter begreiflich machen, allein die menschliche Seele empfindet doch selbst Dinge in sich, welche die M?glichkeit, wenn auch nur in einem Schleier, durchblicken lassen. Wer je Sehnsucht in sich getragen hat, begreift, dass sie eine St?rke gewinnen kann, die von selbst die gew?hnlichen Schranken der Natur durchbricht. Es mag aber auch bei dem, der etwas sehen soll, eine Empf?nglichkeit notwendig sein, die Geistergegenwart zu vernehmen, und wir m?gen manchmal von Geistern umgeben sein, ohne es zu wissen oder zu ahnen. Warum man weniger Geister sieht, weniger von Erscheinungen h?rt, l?sst sich eher erkl?ren. Unter den Geschichten von ehemals waren wohl viele falsch, nicht gerade erfundene, aber ununtersucht gebliebene, oder nicht verstandene, nat?rliche Ereignisse. Man hatte mehr Glauben ?berhaupt und auch an diese Dinge, man war mehr zur Furcht vordem ?bernat?rlichen geneigt; die Meinung von einem b?sen Geist, der qu?le und verf?hre, wurde sinnlicher und materieller genommen. Indes mag auch ausserdem richtig sein, dass doch auch wahre Erz?hlungen, wirklich ?bernat?rliche Wirkungen, wie die von Ihnen beobachtete, h?ufiger waren, und wenn das ist, ist die Erkl?rung freilich schwierig, zumal wo so eine Wirkung von mehreren sehr verschiedenartigen Menschen beobachtet wurde, wie es in Ihrem Hause der Fall war. Denn Erscheinungen und Gesichter einzelner w?rden sich eher erkl?ren lassen. Ich sagte schon erst, dass eine gewisse Empf?nglichkeit auch zur Wahrnehmung des ?bersinnlichen geh?re. Diese mochten die Menschen in jener Zeit mehr haben, wo sie weniger weltlich zerstreut lebten, ihr Gem?t innerlicher gesammelt, frommer und ernster auf eine Wesenreihe ausserhalb der irdischen Welt gerichtet war. Gerade bei einem Manne von so w?rdigem, tief religi?s gestimmtem Charakter, wie Ihr Vater war, konnte das f?glich der Fall sein. Wie es sei, so hat er die Sache trefflich aufgenommen, zugleich ohne Furcht und Unglauben. Die Erz?hlung hat mich ausnehmend interessiert, ich danke Ihnen herzlich daf?r, und sehe es als einen lieben Beweis Ihrer Bereitwilligkeit an, mir Freude zumachen, dass Sie so bald meinen Wunsch in dieser Sache erf?llt haben, und zu einer Zeit, wo Sie durch Ihr Umziehen auch sehr gest?rt waren. - Da das Wetter so rauh ist, bin ich noch mit meiner Familie in der Stadt, und gehe auch vorerst nur auf mein nahegelegenes kleines Landgut Tegel. Nachher vermutlich nach Ottmachau in Schlesien, auf sechs bis acht Wochen. Leben Sie herzlich wohl und verwahren Sie sich ja in Ihrer Wohnung gegen die Einfl?sse der ?usseren Lust, die noch garnicht fr?hjahrm?ssig ist. Ihr H.
Ich schreibe Ihnen, liebe Charlotte, von meinem kleinen Landsitze aus, der Ihnen schon bekannt ist. Ich bin mit den Meinigen seit einigen Tagen hier, das Wetter aber beg?nstigt uns sehr wenig. Es ist ein ewiges St?rmen, Regnen, oder wenigstens ein mit Wolken bedeckter Himmel. Den letztern liebe ich zwar wohl im Sommer. Wenn die Wolken leicht sind und nur wie ein zarter Schleier das helle Blau verh?llen, und es dabei windstill und warm ist, so hat es etwas Wehm?tiges, was einer gleichgestimmten Seele sehr wohl tut. Das Gr?n ist noch sehr zur?ck, die Eichen im Walde fangen erst an, Laub anzusetzen, und nur die fr?hesten B?ume, Kastanien, Flieder und solche prangen schon in vollem Laube. Dagegen sind die Bl?ten der Obstb?ume reich und sch?n. Ich denke mir t?glich, dass Sie das alles nun auch in Ihrem Garten geniessen und bin nur bange, dass der Wind und das schlimme Wetter, da Ihre Wohnung, wie Sie schreiben, gar nicht dicht genug verwahrt ist, Ihnen darin l?stig sein werden. Die Anwesenheit meines Bruders in Berlin und eine Reihe anderer kleiner Umst?nde hatten gemacht, dass ich den ganzen Winter ?ber in der Stadt geblieben war und gar keinen Aufenthalt hier gemacht hatte; so ist mir das Land wie neu und ich geniesse es doppelt. Es ist eigentlich wunderbar, dass gerade die freie Natur und die Einsamkeit einen so grossen Reiz f?r mich haben, da mein Leben nicht dazu beitragen konnte. Wenn man immer daran gew?hnt gewesen ist, oder wenn man es in sehr langer Zeit nicht genossen hat, in beiden F?llen kann man eine solche Neigung leicht erkl?ren. Die Neuheit tritt im letzten Fall an die Stelle der Gewohnheit. Bei mir war keins von beiden der Fall. Ich bin weder ganz von Land und Einsamkeit, auch nur auf mehrere Jahre entfernt gewesen, noch habe ich beide so viel genossen, dass sie mir gleichsam zur andern Natur geworden w?ren. Als ich viele Jahre lang noch nicht in Gesch?ften war, reiste ich, oder war sonst unter Menschen, hatte nicht einmal ein Gut, und wohnte aus eigener, freilich durch andere Dinge bestimmter Wahl in kleinen St?dten. Die Gesch?fte zogen mich in grosse und vielfache von aller l?ndlichen Einsamkeit entfernte Zirkel. Doch auch dann fand ich Mittel, mich zu isolieren, und war oft mitten in der Gesellschaft einsam. Man lernt das sehr gut, wenn man nur ein innerliches Interesse hat, das genug die Seele einnimmt. Ich habe es aber immer als eine wahre Wohltat des Himmels angesehen, f?r die ich dem Geschick nicht genug danken kann, und empfinde es noch jeden Tag ebenso, dass es mich gerade in meinem Alter in die Lage versetzte, in der ich, wie es auch sonst immer sein m?ge, dieser Lieblingsneigung frei nachh?ngen kann. Die meisten legen es mir noch als eine Anspruchlosigkeit und Philosophie aus, dass ich nicht bloss im Augenblicke, wo es geschah, die Gesch?ftswirksamkeit mit Gleichmut aufgegeben habe, sondern auch seitdem ruhig, besch?ftigt und gl?cklich lebe, ohne Plan wieder in dieselbe zu treten und mit sichtbarer Abwesenheit aller Zeichen, dass ich auch versteckt irgend eine Sehnsucht danach habe. Ich mache mir nicht das mindeste Verdienst daraus, weil ich weiss, dass ich keins dabei habe. Was geschehen ist, entsprach meiner Neigung, die sich auf Grundlagen meines innern Charakters st?tzt, so ist es kein Wunder, dass sie dauernd ist. Sie wird nie geschw?cht werden. Es ist mir ?berhaupt immer eine widrige Idee gewesen, so bis zum Ende des Lebens an Verh?ltnissen teilzunehmen, die mit dem Moment des Todes alle gleichsam zu nichts werden, von denen man nichts jenseits mit hin?ber nimmt. Und doch ist in Gesch?ften alles in dieser Art. Ganz anders ist es mit der Besch?ftigung mit Ideen und Kenntnissen. Auch wenn die letztern ganz ins Einzelne eingehen, h?ngen sie doch zuletzt immer mit Ideen zusammen, die, wenn man sie recht verfolgt, ihren Mittelpunkt nicht mehr in dieser Welt haben.
Was man in dieser Art erwirbt und ausbildet, beh?lt man wahrhaft und tr?gt es mit sich, so lange noch ?berhaupt Dasein w?hrt. Es hat mir immer unm?glich geschienen, dass, was einmal in mir denkt und empfindet, je aufh?ren k?nnte zu denken und zu empfinden. Wenn auch Zwischenr?ume mangelnden Bewusstseins eintreten, wenn die verschiedenen Zust?nde des Seins nicht verkn?pft sein sollten durch zusammenh?ngende Erinnerung, so wirkt die einmal gefasste Idee darum nicht minder auf das Wesen und den inneren Gehalt der Seele. Ganz anders ist es, wenn man die, an ?ussern Verh?ltnissen, wirklichen Gesch?ften teilnehmende Arbeit, nicht aus ganz freier Wahl, nicht aus unmittelbarer Liebe zu ihr, sondern aus andern R?cksichten und als einen Erwerb treibt. Auf diese Art w?rde ich sie ohne M?he so lange fortsetzen k?nnen und fortgesetzt haben, als nur die Kr?fte es zulassen. Darin sind Frauen besonders gut daran, dass die Arbeiten, die sie auf diese Weise machen, wenn auch nicht immer ganz, doch gr?sstenteils mechanischer Art sind, den Kopf wenig, die Empfindung gar nicht in Anspruch nehmen, und also den bessern, zartern und h?hern Teil des Menschen viel mehr sich selbst ?berlassen, als das bei M?nnern der Fall ist. Daher werden M?nner so leicht einseitig, trocken, h?lzern durch ihre Arbeit, Frauen nie, wenn sie auch durch Umst?nde und Widerw?rtigkeiten bestimmt werden, einen Erwerb darin zu suchen, wenn in ihrem fr?hern Leben sie noch so fern von einer solchen Notwendigkeit waren.
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