Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 1 by Goethe Johann Wolfgang Von
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Ebook has 270 lines and 23553 words, and 6 pages
#13 in our series by Johann Wolfgang von Goethe
This book is written in German.
Wilhelm Meisters Lehrjahre--Buch 1 by Johann Wolfgang von Goethe
September, 2000
Wilhelm Meisters Lehrjahre--Buch 1
Johann Wolfgang von Goethe
Erstes Buch
Erstes Kapitel
Das Schauspiel dauerte sehr lange. Die alte Barbara trat einigemal ans Fenster und horchte, ob die Kutschen nicht rasseln wollten. Sie erwartete Marianen, ihre sch?ne Gebieterin, die heute im Nachspiele, als junger Offizier gekleidet, das Publikum entz?ckte, mit gr?sserer Ungeduld als sonst, wenn sie ihr nur ein m?ssiges Abendessen vorzusetzen hatte; diesmal sollte sie mit einem Paket ?berrascht werden, das Norberg, ein junger, reicher Kaufmann, mit der Post geschickt hatte, um zu zeigen, dass er auch in der Entfernung seiner Geliebten gedenke.
Barbara war als alte Dienerin, Vertraute, Ratgeberin, Unterh?ndlerin und Haush?lterin in Besitz des Rechtes, die Siegel zu er?ffnen, und auch diesen Abend konnte sie ihrer Neugierde um so weniger widerstehen, als ihr die Gunst des freigebigen Liebhabers mehr als selbst Marianen am Herzen lag. Zu ihrer gr?ssten Freude hatte sie in dem Paket ein feines St?ck Nesseltuch und die neuesten B?nder f?r Marianen, f?r sich aber ein St?ck Kattun, Halst?cher und ein R?llchen Geld gefunden. Mit welcher Neigung, welcher Dankbarkeit erinnerte sie sich des abwesenden Norbergs! Wie lebhaft nahm sie sich vor, auch bei Marianen seiner im besten zu gedenken, sie zu erinnern, was sie ihm schuldig sei und was er von ihrer Treue hoffen und erwarten m?sse.
Das Nesseltuch, durch die Farbe der halbaufgerollten B?nder belebt, lag wie ein Christgeschenk auf dem Tischchen; die Stellung der Lichter erh?hte den Glanz der Gabe, alles war in Ordnung, als die Alte den Tritt Marianens auf der Treppe vernahm und ihr entgegeneilte. Aber wie sehr verwundert trat sie zur?ck, als das weibliche Offizierchen, ohne auf die Liebkosungen zu achten, sich an ihr vorbeidr?ngte, mit ungew?hnlicher Hast und Bewegung in das Zimmer trat, Federhut und Degen auf den Tisch warf, unruhig auf und nieder ging und den feierlich angez?ndeten Lichtern keinen Blick g?nnte.
"Was hast du, Liebchen?" rief die Alte verwundert aus. "Um 's Himmels willen, T?chterchen, was gibt's? Sieh hier diese Geschenke! Von wem k?nnen sie sein, als von deinem z?rtlichsten Freunde? Norberg schickt dir das St?ck Musselin zum Nachtkleide; bald ist er selbst da; er scheint mir eifriger und freigebiger als jemals."
Die Alte kehrte sich um und wollte die Gaben, womit er auch sie bedacht, vorweisen, als Mariane, sich von den Geschenken wegwendend, mit Leidenschaft ausrief: "Fort! Fort! heute will ich nichts von allem diesen h?ren; ich habe dir gehorcht, du hast es gewollt, es sei so! Wenn Norberg zur?ckkehrt, bin ich wieder sein, bin ich dein, mache mit mir, was du willst, aber bis dahin will ich mein sein, und h?ttest du tausend Zungen, du solltest mir meinen Vorsatz nicht ausreden. Dieses ganze Mein will ich dem geben, der mich liebt und den ich liebe. Keine Gesichter! Ich will mich dieser Leidenschaft ?berlassen, als wenn sie ewig dauern sollte."
Der Alten fehlte es nicht an Gegenvorstellungen und Gr?nden; doch da sie in fernerem Wortwechsel heftig und bitter ward, sprang Mariane auf sie los und fasste sie bei der Brust. Die Alte lachte ?berlaut. "Ich werde sorgen m?ssen", rief sie aus, "dass sie wieder bald in lange Kleider kommt, wenn ich meines Lebens sicher sein will. Fort, zieht Euch aus! Ich hoffe, das M?dchen wird mir abbitten, was mir der fl?chtige Junker Leids zugef?gt hat; herunter mit dem Rock und immer so fort alles herunter! Es ist eine unbequeme Tracht, und f?r Euch gef?hrlich, wie ich merke. Die Achselb?nder begeistern Euch."
Die Alte hatte Hand an sie gelegt, Mariane riss sich los. "Nicht so geschwind!" rief sie aus, "ich habe noch heute Besuch zu erwarten."
"Das ist nicht gut", versetzte die Alte. "Doch nicht den jungen, z?rtlichen, unbefiederten Kaufmannssohn?"--"Eben den", versetzte Mariane.
"Es scheint, als wenn die Grossmut Eure herrschende Leidenschaft werden wollte", erwiderte die Alte spottend; "Ihr nehmt Euch der Unm?ndigen, der Unverm?genden mit grossem Eifer an. Es muss reizend sein, als uneigenn?tzige Geberin angebetet zu werden."
"Spotte, wie du willst. Ich lieb ihn! ich lieb ihn! Mit welchem Entz?cken sprech ich zum erstenmal diese Worte aus! Das ist diese Leidenschaft, die ich so oft vorgestellt habe, von der ich keinen Begriff hatte. Ja, ich will mich ihm um den Hals werfen! ich will ihn fassen, als wenn ich ihn ewig halten wollte. Ich will ihm meine ganze Liebe zeigen, seine Liebe in ihrem ganzen Umfang geniessen."
"M?ssigt Euch", sagte die Alte gelassen, "m?ssigt Euch! Ich muss Eure Freude durch ein Wort unterbrechen: Norberg kommt! in vierzehn Tagen kommt er! Hier ist sein Brief, der die Geschenke begleitet hat."
"Und wenn mir die Morgensonne meinen Freund rauben sollte, will ich mir's verbergen. Vierzehn Tage! Welche Ewigkeit! In vierzehn Tagen, was kann da nicht vorfallen, was kann sich da nicht ver?ndern!"
Wilhelm trat herein. Mit welcher Lebhaftigkeit flog sie ihm entgegen! mit welchem Entz?cken umschlang er die rote Uniform! dr?ckte er das weisse Atlaswestchen an seine Brust! Wer wagte hier zu beschreiben, wem geziemt es, die Seligkeit zweier Liebenden auszusprechen! Die Alte ging murrend beiseite, wir entfernen uns mit ihr und lassen die Gl?cklichen allein.
Zweites Kapitel
Als Wilhelm seine Mutter des andern Morgens begr?sste, er?ffnete sie ihm, dass der Vater sehr verdriesslich sei und ihm den t?glichen Besuch des Schauspiels n?chstens untersagen werde. "Wenn ich gleich selbst", fuhr sie fort, "manchmal gern ins Theater gehe, so m?chte ich es doch oft verw?nschen, da meine h?usliche Ruhe durch deine unm?ssige Leidenschaft zu diesem Vergn?gen gest?rt wird. Der Vater wiederholt immer wozu es nur n?tze sei? Wie man seine Zeit nur so verderben k?nne?"
"Ich habe es auch schon von ihm h?ren m?ssen", versetzte Wilhelm, "und habe ihm vielleicht zu hastig geantwortet; aber um 's Himmels willen, Mutter! ist denn alles unn?tz, was uns nicht unmittelbar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allern?chsten Besitz verschafft? Hatten wir in dem alten Hause nicht Raum genug? und war es n?tig, ein neues zu bauen? Verwendet der Vater nicht j?hrlich einen ansehnlichen Teil seines Handelsgewinnes zur Versch?nerung der Zimmer? Diese seidenen Tapeten, diese englischen Mobilien, sind sie nicht auch unn?tz? K?nnten wir uns nicht mit geringeren begn?gen? Wenigstens bekenne ich, dass mir diese gestreiften W?nde, diese hundertmal wiederholten Blumen, Schn?rkel, K?rbchen und Figuren einen durchaus unangenehmen Eindruck machen. Sie kommen mir h?chstens vor wie unser Theatervorhang. Aber wie anders ist's, vor diesem zu sitzen! Wenn man noch so lange warten muss, so weiss man doch, er wird in die H?he gehen, und wir werden die mannigfaltigsten Gegenst?nde sehen, die uns unterhalten, aufkl?ren und erheben."
"Mach es nur m?ssig", sagte die Mutter, "der Vater will auch abends unterhalten sein; und dann glaubt er, es zerstreue dich, und am Ende trag ich, wenn er verdriesslich wird, die Schuld. Wie oft musste ich mir das verw?nschte Puppenspiel vorwerfen lassen, das ich euch vor zw?lf Jahren zum Heiligen Christ gab und das euch zuerst Geschmack am Schauspiele beibrachte!"
"Schelten Sie das Puppenspiel nicht, lassen Sie sich Ihre Liebe und Vorsorge nicht gereuen! Es waren die ersten vergn?gten Augenblicke, die ich in dem neuen, leeren Hause genoss; ich sehe es diesen Augenblick noch vor mir, ich weiss, wie sonderbar es mir vorkam, als man uns, nach Empfang der gew?hnlichen Christgeschenke, vor einer T?re niedersetzen hiess, die aus einem andern Zimmer hereinging. Sie er?ffnete sich; allein nicht wie sonst zum Hin- und Widerlaufen, der Eingang war durch eine unerwartete Festlichkeit ausgef?llt. Es baute sich ein Portal in die H?he, das von einem mystischen Vorhang verdeckt war. Erst standen wir alle von ferne, und wie unsere Neugierde gr?sser ward, um zu sehen, was wohl Blinkendes und Rasselndes sich hinter der halb durchsichtigen H?lle verbergen m?chte, wies man jedem sein St?hlchen an und gebot uns, in Geduld zu warten.
So sass nun alles und war still; eine Pfeife gab das Signal, der Vorhang rollte in die H?he und zeigte eine hochrot gemalte Aussicht in den Tempel. Der Hohepriester Samuel erschien mit Jonathan, und ihre wechselnden wunderlichen Stimmen kamen mir h?chst ehrw?rdig vor. Kurz darauf betrat Saul die Szene, in grosser Verlegenheit ?ber die Impertinenz des schwerl?tigen Kriegers, der ihn und die Seinigen herausgefordert hatte. Wie wohl ward es mir daher, als der zwerggestaltete Sohn Isai mit Sch?ferstab, Hirtentasche und Schleuder hervorh?pfte und sprach: "Grossm?chtigster K?nig und Herr! es entfalle keinem der Mut um deswillen; wenn Ihre Majest?t mir erlauben wollen, so will ich hingehen und mit dem gewaltigen Riesen in den Streit treten."--Der erste Akt war geendet und die Zuschauer h?chst begierig zu sehen, was nun weiter vorgehen sollte; jedes w?nschte, die Musik m?chte nur bald aufh?ren. Endlich ging der Vorhang wieder in die H?he. David weihte das Fleisch des Ungeheuers den V?geln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde; der Philister sprach Hohn, stampfte viel mit beiden F?ssen, fiel endlich wie ein Klotz und gab der ganzen Sache einen herrlichen Ausschlag. Wie dann nachher die Jungfrauen sangen: "Saul hat tausend geschlagen, David aber zehntausend!", der Kopf des Riesen vor dem kleinen ?berwinder hergetragen wurde und er die sch?ne K?nigstochter zur Gemahlin erhielt, verdross es mich doch bei aller Freude, dass der Gl?cksprinz so zwergm?ssig gebildet sei. Denn nach der Idee vom grossen Goliath und kleinen David hatte man nicht verfehlt, beide recht charakteristisch zu machen. Ich bitte Sie, wo sind die Puppen hingekommen? Ich habe versprochen, sie einem Freunde zu zeigen, dem ich viel Vergn?gen machte, indem ich ihn neulich von diesem Kinderspiel unterhielt."
"Es wundert mich nicht, dass du dich dieser Dinge so lebhaft erinnerst: denn du nahmst gleich den gr?ssten Anteil daran. Ich weiss, wie du mir das B?chlein entwendetest und das ganze St?ck auswendig lerntest; ich wurde es erst gewahr, als du eines Abends dir einen Goliath und David von Wachs machtest, sie beide gegeneinander perorieren liessest, dem Riesen endlich einen Stoss gabst und sein unf?rmliches Haupt auf einer grossen Stecknadel mit w?chsernem Griff dem kleinen David in die Hand klebtest. Ich hatte damals so eine herzliche m?tterliche Freude ?ber dein gutes Ged?chtnis und deine pathetische Rede, dass ich mir sogleich vornahm, dir die h?lzerne Truppe nun selbst zu ?bergeben. Ich dachte damals nicht, dass es mir so manche verdriessliche Stunde machen sollte."
"Lassen Sie sich's nicht gereuen", versetzte Wilhelm; "denn es haben uns diese Scherze manche vergn?gte Stunde gemacht."
Und mit diesem erbat er sich die Schl?ssel, eilte, fand die Puppen und war einen Augenblick in jene Zeiten versetzt, wo sie ihm noch belebt schienen, wo er sie durch die Lebhaftigkeit seiner Stimme, durch die Bewegung seiner H?nde zu beleben glaubte. Er nahm sie mit auf seine Stube und verwahrte sie sorgf?ltig.
Drittes Kapitel
Wenn die erste Liebe, wie ich allgemein behaupten h?re, das Sch?nste ist, was ein Herz fr?her oder sp?ter empfinden kann, so m?ssen wir unsern Helden dreifach gl?cklich preisen, dass ihm geg?nnt ward, die Wonne dieser einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu geniessen. Nur wenig Menschen werden so vorz?glich beg?nstigt, indes die meisten von ihren fr?hern Empfindungen nur durch eine harte Schule gef?hrt werden, in welcher sie, nach einem k?mmerlichen Genuss, gezwungen sind, ihren besten W?nschen entsagen und das, was ihnen als h?chste Gl?ckseligkeit vorschwebte, f?r immer entbehren zu lernen.
Auf den Fl?geln der Einbildungskraft hatte sich Wilhelms Begierde zu dem reizenden M?dchen erhoben; nach einem kurzen Umgange hatte er ihre Neigung gewonnen, er fand sich im Besitz einer Person, die er so sehr liebte, ja verehrte: denn sie war ihm zuerst in dem g?nstigen Lichte theatralischer Vorstellung erschienen, und seine Leidenschaft zur B?hne verband sich mit der ersten Liebe zu einem weiblichen Gesch?pfe. Seine Jugend liess ihn reiche Freuden geniessen, die von einer lebhaften Dichtung erh?ht und erhalten wurden. Auch der Zustand seiner Geliebten gab ihrem Betragen eine Stimmung, welche seinen Empfindungen sehr zu H?lfe kam; die Furcht, ihr Geliebter m?chte ihre ?brigen Verh?ltnisse vor der Zeit entdecken, verbreitete ?ber sie einen liebensw?rdigen Anschein von Sorge und Scham, ihre Leidenschaft f?r ihn war lebhaft, selbst ihre Unruhe schien ihre Z?rtlichkeit zu vermehren; sie war das lieblichste Gesch?pf in seinen Armen.
Als er aus dem ersten Taumel der Freude erwachte und auf sein Leben und seine Verh?ltnisse zur?ckblickte, erschien ihm alles neu, seine Pflichten heiliger, seine Liebhabereien lebhafter, seine Kenntnisse deutlicher, seine Talente kr?ftiger, seine Vors?tze entschiedener. Es ward ihm daher leicht, eine Einrichtung zu treffen, um den Vorw?rfen seines Vaters zu entgehen, seine Mutter zu beruhigen und Marianens Liebe ungest?rt zu geniessen. Er verrichtete des Tags seine Gesch?fte p?nktlich, entsagte gew?hnlich dem Schauspiel, war abends bei Tische unterhaltend und schlich, wenn alles zu Bette war, in seinen Mantel geh?llt, sachte zu dem Garten hinaus und eilte, alle Lindors und Leanders im Busen, unaufhaltsam zu seiner Geliebten.
"Was bringen Sie?" fragte Mariane, als er eines Abends ein B?ndel hervorwies, das die Alte in Hoffnung angenehmer Geschenke sehr aufmerksam betrachtete. "Sie werden es nicht erraten", versetzte Wilhelm.
Wie verwunderte sich Mariane, wie entsetzte sich Barbara, als die aufgebundene Serviette einen verworrenen Haufen spannenlanger Puppen sehen liess. Mariane lachte laut, als Wilhelm die verworrenen Dr?hte auseinanderzuwickeln und jede Figur einzeln vorzuzeigen bem?ht war. Die Alte schlich verdriesslich beiseite.
Es bedarf nur einer Kleinigkeit, um zwei Liebende zu unterhalten, und so vergn?gten sich unsre Freunde diesen Abend aufs beste. Die kleine Truppe wurde gemustert, jede Figur genau betrachtet und belacht. K?nig Saul im schwarzen Samtrocke mit der goldenen Krone wollte Marianen gar nicht gefallen; er sehe ihr, sagte sie, zu steif und pedantisch aus. Desto besser behagte ihr Jonathan, sein glattes Kinn, sein gelb und rotes Kleid und der Turban. Auch wusste sie ihn gar artig am Drahte hin und her zu drehen, liess ihn Reverenzen machen und Liebeserkl?rungen hersagen. Dagegen wollte sie dem Propheten Samuel nicht die mindeste Aufmerksamkeit schenken, wenn ihr gleich Wilhelm das Brustschildchen anpries und erz?hlte, dass der Schillertaft des Leibrocks von einem alten Kleide der Grossmutter genommen sei. David war ihr zu klein und Goliath zu gross; sie hielt sich an ihren Jonathan. Sie wusste ihm so artig zu tun und zuletzt ihre Liebkosungen von der Puppe auf unsern Freund her?berzutragen, dass auch diesmal wieder ein geringes Spiel die Einleitung gl?cklicher Stunden ward.
Aus der S?ssigkeit ihrer z?rtlichen Tr?ume wurden sie durch einen L?rm geweckt, welcher auf der Strasse entstand. Mariane rief der Alten, die, nach ihrer Gewohnheit noch fleissig, die ver?nderlichen Materialien der Theatergarderobe zum Gebrauch des n?chsten St?ckes anzupassen besch?ftigt war. Sie gab die Auskunft, dass eben eine Gesellschaft lustiger Gesellen aus dem Italienerkeller nebenan heraustaumle, wo sie bei frischen Austern, die eben angekommen, des Champagners nicht geschont h?tten.
"Schade", sagte Mariane, "dass es uns nicht fr?her eingefallen ist, wir h?tten uns auch was zugute tun sollen."
"Es ist wohl noch Zeit", versetzte Wilhelm und reichte der Alten einen Louisdor hin. "Verschafft Sie uns, was wir w?nschen, so soll Sie's mit geniessen."
Die Alte war behend, und in kurzer Zeit stand ein artig bestellter Tisch mit einer wohlgeordneten Kollation vor den Liebenden. Die Alte musste sich dazusetzen; man ass, trank und liess sich's wohl sein.
In solchen F?llen fehlt es nie an Unterhaltung. Mariane nahm ihren Jonathan wieder vor, und die Alte wusste das Gespr?ch auf Wilhelms Lieblingsmaterie zu wenden. "Sie haben uns schon einmal", sagte sie, "von der ersten Auff?hrung eines Puppenspiels am Weihnachtsabend unterhalten; es war lustig zu h?ren. Sie wurden eben unterbrochen, als das Ballett angehen sollte. Nun kennen wir das herrliche Personal, das jene grossen Wirkungen hervorbrachte."
"Ja", sagte Mariane, "erz?hle uns weiter, wie war dir's zumute?"
"Es ist eine sch?ne Empfindung, liebe Mariane", versetzte Wilhelm, "wenn wir uns alter Zeiten und alter unsch?dlicher Irrt?mer erinnern, besonders wenn es in einem Augenblick geschieht, da wir eine H?he gl?cklich erreicht haben, von welcher wir uns umsehen und den zur?ckgelegten Weg ?berschauen k?nnen. Es ist so angenehm, selbstzufrieden sich mancher Hindernisse zu erinnern, die wir oft mit einem peinlichen Gef?hle f?r un?berwindlich hielten, und dasjenige, was wir jetzt entwickelt sind, mit dem zu vergleichen, was wir damals unentwickelt waren. Aber unaussprechlich gl?cklich f?hl ich mich jetzt, da ich in diesem Augenblicke mit dir von dem Vergangnen rede, weil ich zugleich vorw?rts in das reizende Land schaue, das wir zusammen Hand in Hand durchwandern k?nnen."
"Wie war es mit dem Ballett?" fiel die Alte ihm ein. "Ich f?rchte, es ist nicht alles abgelaufen, wie es sollte."
"O ja", versetzte Wilhelm, "sehr gut! Von jenen wunderlichen Spr?ngen der Mohren und Mohrinnen, Sch?fer und Sch?ferinnen, Zwerge und Zwerginnen ist mir eine dunkle Erinnerung auf mein ganzes Leben geblieben. Nun fiel der Vorhang, die T?re schloss sich, und die ganze kleine Gesellschaft eilte wie betrunken und taumelnd zu Bette; ich weiss aber wohl, dass ich nicht einschlafen konnte, dass ich noch etwas erz?hlt haben wollte, dass ich noch viele Fragen tat und dass ich nur ungern die W?rterin entliess, die uns zur Ruhe gebracht hatte.
Den andern Morgen war leider das magische Ger?ste wieder verschwunden, der mystische Schleier weggehoben, man ging durch jene T?re wieder frei aus einer Stube in die andere, und so viel Abenteuer hatten keine Spur zur?ckgelassen. Meine Geschwister liefen mit ihren Spielsachen auf und ab, ich allein schlich hin und her, es schien mir unm?glich, dass da nur zwo T?rpfosten sein sollten, wo gestern so viel Zauberei gewesen war. Ach, wer eine verlorne Liebe sucht, kann nicht ungl?cklicher sein, als ich mir damals schien!"
Ein freudetrunkner Blick, den er auf Marianen warf, ?berzeugte sie, dass er nicht f?rchtete, jemals in diesen Fall kommen zu k?nnen.
Viertes Kapitel
"Mein einziger Wunsch war nunmehr", fuhr Wilhelm fort, "eine zweite Auff?hrung des St?cks zu sehen. Ich lag der Mutter an, und diese suchte zu einer gelegenen Stunde den Vater zu bereden; allein ihre M?he war vergebens. Er behauptete, nur ein seltenes Vergn?gen k?nne bei den Menschen einen Wert haben, Kinder und Alte w?ssten nicht zu sch?tzen, was ihnen Gutes t?glich begegnete.
Wir h?tten auch noch lange, vielleicht bis wieder Weihnachten, warten m?ssen, h?tte nicht der Erbauer und heimliche Direktor des Schauspiels selbst Lust gef?hlt, die Vorstellung zu wiederholen und dabei in einem Nachspiele einen ganz frisch fertig gewordenen Hanswurst zu produzieren.
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