Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 1 by Goethe Johann Wolfgang Von
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Ebook has 270 lines and 23553 words, and 6 pages
Wir h?tten auch noch lange, vielleicht bis wieder Weihnachten, warten m?ssen, h?tte nicht der Erbauer und heimliche Direktor des Schauspiels selbst Lust gef?hlt, die Vorstellung zu wiederholen und dabei in einem Nachspiele einen ganz frisch fertig gewordenen Hanswurst zu produzieren.
Ein junger Mann von der Artillerie, mit vielen Talenten begabt, besonders in mechanischen Arbeiten geschickt, der dem Vater w?hrend des Bauens viele wesentliche Dienste geleistet hatte und von ihm reichlich beschenkt worden war, wollte sich am Christfeste der kleinen Familie dankbar erzeigen und machte dem Hause seines G?nners ein Geschenk mit diesem ganz eingerichteten Theater, das er ehmals in m?ssigen Stunden zusammengebaut, geschnitzt und gemalt hatte. Er war es, der mit H?lfe eines Bedienten selbst die Puppen regierte und mit verstellter Stimme die verschiedenen Rollen hersagte. Ihm ward nicht schwer, den Vater zu bereden, der einem Freunde aus Gef?lligkeit zugestand, was er seinen Kindern aus ?berzeugung abgeschlagen hatte. Genug, das Theater ward wieder aufgestellt, einige Nachbarskinder gebeten und das St?ck wiederholt.
Hatte ich das erstemal die Freude der ?berraschung und des Staunens, so war zum zweiten Male die Wollust des Aufmerkens und Forschens gross. Wie das zugehe, war jetzt mein Anliegen. Dass die Puppen nicht selbst redeten, hatte ich mir schon das erstemal gesagt; dass sie sich nicht von selbst bewegten, vermutete ich auch; aber warum das alles doch so h?bsch war und es doch so aussah, als wenn sie selbst redeten und sich bewegten, und wo die Lichter und die Leute sein m?chten, diese R?tsel beunruhigten mich um desto mehr, je mehr ich w?nschte, zugleich unter den Bezauberten und Zauberern zu sein, zugleich meine H?nde verdeckt im Spiel zu haben und als Zuschauer die Freude der Illusion zu geniessen.
Das St?ck war zu Ende, man machte Vorbereitungen zum Nachspiel, die Zuschauer waren aufgestanden und schwatzten durcheinander. Ich dr?ngte mich n?her an die T?re und h?rte inwendig am Klappern, dass man mit Aufr?umen besch?ftigt sei. Ich hub den untern Teppich auf und guckte zwischen dem Gestelle durch. Meine Mutter bemerkte es und zog mich zur?ck; allein ich hatte doch soviel gesehen, dass man Freunde und Feinde, Saul und Goliath und wie sie alle heissen mochten, in einen Schiebkasten packte, und so erhielt meine halbbefriedigte Neugierde frische Nahrung. Dabei hatte ich zu meinem gr?ssten Erstaunen den Lieutenant im Heiligtume sehr gesch?ftig erblickt. Nunmehr konnte mich der Hanswurst, sosehr er mit seinen Abs?tzen klapperte, nicht unterhalten. Ich verlor mich in tiefes Nachdenken und war nach dieser Entdeckung ruhiger und unruhiger als vorher. Nachdem ich etwas erfahren hatte, kam es mir erst vor, als ob ich gar nichts wisse, und ich hatte recht: denn es fehlte mir der Zusammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an."
F?nftes Kapitel
"Die Kinder haben", fuhr Wilhelm fort, "in wohleingerichteten und geordneten H?usern eine Empfindung, wie ungef?hr Ratten und M?use haben m?gen: sie sind aufmerksam auf alle Ritzen und L?cher, wo sie zu einem verbotenen Naschwerk gelangen k?nnen; sie geniessen es mit einer solchen verstohlnen, woll?stigen Furcht, die einen grossen Teil des kindischen Gl?cks ausmacht.
Ich war vor allen meinen Geschwistern aufmerksam, wenn irgend ein Schl?ssel steckenblieb. Je gr?sser die Ehrfurcht war, die ich f?r die verschlossenen T?ren in meinem Herzen herumtrug, an denen ich wochen- und monatelang vorbeigehen musste und in die ich nur manchmal, wenn die Mutter das Heiligtum ?ffnete, um etwas herauszuholen, einen verstohlnen Blick tat, desto schneller war ich, einen Augenblick zu benutzen, den mich die Nachl?ssigkeit der Wirtschafterinnen manchmal treffen liess.
Unter allen T?ren war, wie man leicht erachten kann, die T?re der Speisekammer diejenige, auf die meine Sinne am sch?rfsten gerichtet waren. Wenig ahnungsvolle Freuden des Lebens glichen der Empfindung, wenn mich meine Mutter manchmal hineinrief, um ihr etwas heraustragen zu helfen, und ich dann einige ged?rrte Pflaumen entweder ihrer G?te oder meiner List zu danken hatte. Die aufgeh?uften Sch?tze ?bereinander umfingen meine Einbildungskraft mit ihrer F?lle, und selbst der wunderliche Geruch, den so mancherlei Spezereien durcheinander aushauchten, hatte so eine leckere Wirkung auf mich, dass ich niemals vers?umte, sooft ich in der N?he war, mich wenigstens an der er?ffneten Atmosph?re zu weiden. Dieser merkw?rdige Schl?ssel blieb eines Sonntagmorgens, da die Mutter von dem Gel?ute ?bereilt ward und das ganze Haus in einer tiefen Sabbatstille lag, stecken. Kaum hatte ich es bemerkt, als ich etlichemal sachte an der Wand hin- und herging, mich endlich still und fein andr?ngte, die T?re ?ffnete und mich mit einem Schritt in der N?he so vieler langgew?nschter Gl?ckseligkeit f?hlte. Ich besah K?sten, S?cke, Schachteln, B?chsen, Gl?ser mit einem schnellen, zweifelnden Blicke, was ich w?hlen und nehmen sollte, griff endlich nach den vielgeliebten gewelkten Pflaumen, versah mich mit einigen getrockneten ?pfeln und nahm gen?gsam noch eine eingemachte Pomeranzenschale dazu: mit welcher Beute ich meinen Weg wieder r?ckw?rtsglitschen wollte, als mir ein paar nebeneinander stehende Kasten in die Augen fielen, aus deren einem Dr?hte, oben mit H?kchen versehen, durch den ?bel verschlossenen Schieber heraushingen. Ahnungsvoll fiel ich dar?ber her; und mit welcher ?berirdischen Empfindung entdeckte ich, dass darin meine Helden- und Freudenwelt aufeinandergepackt sei! Ich wollte die obersten aufheben, betrachten, die untersten hervorziehen; allein gar bald verwirrte ich die leichten Dr?hte, kam dar?ber in Unruhe und Bangigkeit, besonders da die K?chin in der benachbarten K?che einige Bewegungen machte, dass ich alles, so gut ich konnte, zusammendr?ckte, den Kasten zuschob, nur ein geschriebenes B?chelchen, worin die Kom?die von David und Goliath aufgezeichnet war, das obenauf gelegen hatte, zu mir steckte und mich mit dieser Beute leise die Treppe hinauf in eine Dachkammer rettete.
Von der Zeit an wandte ich alle verstohlenen einsamen Stunden darauf, mein Schauspiel wiederholt zu lesen, es auswendig zu lernen und mir in Gedanken vorzustellen, wie herrlich es sein m?sste, wenn ich auch die Gestalten dazu mit meinen Fingern beleben k?nnte. Ich ward dar?ber in meinen Gedanken selbst zum David und Goliath. In allen Winkeln des Bodens, der St?lle, des Gartens, unter allerlei Umst?nden studierte ich das St?ck ganz in mich hinein, ergriff alle Rollen und lernte sie auswendig, nur dass ich mich meist an den Platz der Haupthelden zu setzen pflegte und die ?brigen wie Trabanten nur im Ged?chtnisse mitlaufen liess. So lagen mir die grossm?tigen Reden Davids, mit denen er den ?berm?tigen Riesen Goliath herausforderte, Tag und Nacht im Sinne; ich murmelte sie oft vor mich hin, niemand gab acht darauf als der Vater, der manchmal einen solchen Ausruf bemerkte und bei sich selbst das gute Ged?chtnis seines Knaben pries, der von so wenigem Zuh?ren so mancherlei habe behalten k?nnen.
Hierdurch ward ich immer verwegener und rezitierte eines Abends das St?ck zum gr?ssten Teile vor meiner Mutter, indem ich mir einige Wachskl?mpchen zu Schauspielern bereitete. Sie merkte auf, drang in mich, und ich gestand.
Gl?cklicherweise fiel diese Entdeckung in die Zeit, da der Lieutenant selbst den Wunsch ge?ussert hatte, mich in diese Geheimnisse einweihen zu d?rfen. Meine Mutter gab ihm sogleich Nachricht von dem unerwarteten Talente ihres Sohnes, und er wusste nun einzuleiten, dass man ihm ein Paar Zimmer im obersten Stocke, die gew?hnlich leer standen, ?berliess, in deren einem wieder die Zuschauer sitzen, in dem andern die Schauspieler sein, und das Proszenium abermals die ?ffnung der T?re ausf?llen sollte. Der Vater hatte seinem Freunde das alles zu veranstalten erlaubt, er selbst schien nur durch die Finger zu sehen, nach dem Grundsatze, man m?sse die Kinder nicht merken lassen, wie lieb man sie habe, sie griffen immer zu weit um sich; er meinte, man m?sse bei ihren Freuden ernst scheinen und sie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit sie nicht ?berm?ssig und ?berm?tig mache."
Sechstes Kapitel
"Der Lieutenant schlug nunmehr das Theater auf und besorgte das ?brige. Ich merkte wohl, dass er die Woche mehrmals zu ungew?hnlicher Zeit ins Haus kam, und vermutete die Absicht. Meine Begierde wuchs unglaublich, da ich wohl f?hlte, dass ich vor Sonnabends keinen Teil an dem, was zubereitet wurde, nehmen durfte. Endlich erschien der gew?nschte Tag. Abends um f?nf Uhr kam mein F?hrer und nahm mich mit hinauf. Zitternd vor Freude trat ich hinein und erblickte auf beiden Seiten des Gestelles die herabh?ngenden Puppen in der Ordnung, wie sie auftreten sollten; ich betrachtete sie sorgf?ltig, stieg auf den Tritt, der mich ?ber das Theater erhub, so dass ich nun ?ber der kleinen Welt schwebte. Ich sah nicht ohne Ehrfurcht zwischen die Brettchen hinunter, weil die Erinnerung, welche herrliche Wirkung das Ganze von aussen tue, und das Gef?hl, in welche Geheimnisse ich eingeweiht sei, mich umfassten. Wir machten einen Versuch, und es ging gut.
Den andern Tag, da eine Gesellschaft Kinder geladen war, hielten wir uns trefflich, ausser dass ich in dem Feuer der Aktion meinen Jonathan fallen liess und gen?tigt war, mit der Hand hinunterzugreifen und ihn zu holen: ein Zufall, der die Illusion sehr unterbrach, ein grosses Gel?chter verursachte und mich uns?glich kr?nkte. Auch schien dieses Versehn dem Vater sehr willkommen zu sein, der das grosse Vergn?gen, sein S?hnchen so f?hig zu sehen, wohlbed?chtig nicht an den Tag gab, nach geendigtem St?cke sich gleich an die Fehler hing und sagte, es w?re recht artig gewesen, wenn nur dies oder das nicht versagt h?tte.
Mich kr?nkte das innig, ich ward traurig f?r den Abend, hatte aber am kommenden Morgen allen Verdruss schon wieder verschlafen und war in dem Gedanken selig, dass ich, ausser jenem Ungl?ck, trefflich gespielt habe. Dazu kam der Beifall der Zuschauer, welche durchaus behaupteten: obgleich der Lieutenant in Absicht der groben und feinen Stimme sehr viel getan habe, so peroriere er doch meist zu affektiert und steif; dagegen spreche der neue Anf?nger seinen David und Jonathan vortrefflich; besonders lobte die Mutter den freim?tigen Ausdruck, wie ich den Goliath herausgefordert und dem K?nige den bescheidenen Sieger vorgestellt habe.
Nun blieb zu meiner gr?ssten Freude das Theater aufgeschlagen, und da der Fr?hling herbeikam und man ohne Feuer bestehen konnte, lag ich in meinen Frei- und Spielstunden in der Kammer und liess die Puppen wacker durcheinanderspielen. Oft lud ich meine Geschwister und Kameraden hinauf; wenn sie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein oben. Meine Einbildungskraft br?tete ?ber der kleinen Welt, die gar bald eine andere Gestalt gewann.
Ich hatte kaum das erste St?ck, wozu Theater und Schauspieler geschaffen und gestempelt waren, etlichemal aufgef?hrt, als es mir schon keine Freude mehr machte. Dagegen waren mir unter den B?chern des Grossvaters die "Deutsche Schaub?hne" und verschiedene italienisch-deutsche Opern in die H?nde gekommen, in die ich mich sehr vertiefte und jedesmal nur erst vorne die Personen ?berrechnete und dann sogleich ohne weiteres zur Auff?hrung des St?ckes schritt. Da musste nun K?nig Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen; wobei zu bemerken ist, dass die St?cke niemals ganz, sondern meistenteils nur die f?nften Akte, wo es an ein Totstechen ging, aufgef?hrt wurden.
Auch war es nat?rlich, dass mich die Oper mit ihren mannigfaltigen Ver?nderungen und Abenteuern mehr als alles anziehen musste. Ich fand darin st?rmische Meere, G?tter, die in Wolken herabkommen, und, was mich vorz?glich gl?cklich machte, Blitze und Donner. Ich half mir mit Pappe, Farbe und Papier, wusste gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war f?rchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte so viel nicht zu sagen. Auch fand sich in den Opern mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im regelm?ssigen Drama gar nicht angehen wollte. Ich f?hlte t?glich mehr Anh?nglichkeit f?r das enge Pl?tzchen, wo ich so manche Freude genoss; und ich gestehe, dass der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug.
Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher Vollkommenheit; denn dass ich von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte, mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuschneiden und Bilder zu illuminieren, kam mir jetzt wohl zustatten. Um desto weher tat es mir, wenn mich gar oft das Personal an Ausf?hrung grosser Sachen hinderte.
Meine Schwestern, indem sie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche Kleider zu verschaffen. Man trennte ihnen die L?ppchen vom Leibe, setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld, kaufte neues Band und Flittern, bettelte sich manches St?ckchen Taft zusammen und schaffte nach und nach eine Theatergarderobe an, in welcher besonders die Reifr?cke f?r die Damen nicht vergessen waren.
Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern f?r das gr?sste St?ck versehen, und man h?tte denken sollen, es w?rde nun erst recht eine Auff?hrung der andern folgen; aber es ging mir, wie es den Kindern ?fter zu gehen pflegt: sie fassen weite Plane, machen grosse Anstalten, auch wohl einige Versuche, und es bleibt alles zusammen liegen. Dieses Fehlers muss ich mich auch anklagen. Die gr?sste Freude lag bei mir in der Erfindung und in der Besch?ftigung der Einbildungskraft. Dies oder jenes St?ck interessierte mich um irgendeiner Szene willen, und ich liess gleich wieder neue Kleider dazu machen. ?ber solchen Anstalten waren die urspr?nglichen Kleidungsst?cke meiner Helden in Unordnung geraten und verschleppt worden, dass also nicht einmal das erste grosse St?ck mehr aufgef?hrt werden konnte. Ich ?berliess mich meiner Phantasie, probierte und bereitete ewig, baute tausend Luftschl?sser und sp?rte nicht, dass ich den Grund des kleinen Geb?udes zerst?rt hatte."
W?hrend dieser Erz?hlung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schl?frigkeit zu verbergen. So scherzhaft die Begebenheit von einer Seite schien, so war sie ihr doch zu einfach und die Betrachtungen dabei zu ernsthaft. Sie setzte z?rtlich ihren Fuss auf den Fuss des Geliebten und gab ihm scheinbare Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls. Sie trank aus seinem Glase, und Wilhelm war ?berzeugt, es sei kein Wort seiner Geschichte auf die Erde gefallen. Nach einer kleinen Pause rief er aus, "Es ist nun an dir, Mariane, mir auch deine ersten jugendlichen Freuden mitzuteilen. Noch waren wir immer zu sehr mit dem Gegenw?rtigen besch?ftigt, als dass wir uns wechselseitig um unsere vorige Lebensweise h?tten bek?mmern k?nnen. Sage mir: unter welchen Umst?nden bist du erzogen? Welche sind die ersten lebhaften Eindr?cke, deren du dich erinnerst?"
Diese Fragen w?rden Marianen in grosse Verlegenheit gesetzt haben, wenn ihr die Alte nicht sogleich zu H?lfe gekommen w?re. "Glauben Sie denn", sagte das kluge Weib, "dass wir auf das, was uns fr?h begegnet, so aufmerksam sind, dass wir so artige Begebenheiten zu erz?hlen haben und, wenn wir sie zu erz?hlen h?tten, dass wir der Sache auch ein solches Geschick zu geben w?ssten?"
"Als wenn es dessen bed?rfte!" rief Wilhelm aus. "Ich liebe dieses z?rtliche, gute, liebliche Gesch?pf so sehr, dass mich jeder Augenblick meines Lebens verdriesst, den ich ohne sie zugebracht habe. Lass mich wenigstens durch die Einbildungskraft teil an deinem vergangenen Leben nehmen! Erz?hle mir alles, ich will dir alles erz?hlen. Wir wollen uns wo m?glich t?uschen und jene f?r die Liebe verlornen Zeiten wiederzugewinnen suchen."
"Wenn Sie so eifrig darauf bestehen, k?nnen wir Sie wohl befriedigen", sagte die Alte. "Erz?hlen Sie uns nur erst, wie Ihre Liebhaberei zum Schauspiele nach und nach gewachsen sei, wie Sie sich ge?bt, wie Sie so gl?cklich zugenommen haben, dass Sie nunmehr f?r einen guten Schauspieler gelten k?nnen. Es hat Ihnen dabei gewiss nicht an lustigen Begebenheiten gemangelt. Es ist nicht der M?he wert, dass wir uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flasche in Reserve; und wer weiss, ob wir bald wieder so ruhig und zufrieden zusammensitzen?"
Mariane schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm nicht bemerkte und in seiner Erz?hlung fortfuhr.
Siebentes Kapitel
"Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespanschaft sich zu vermehren anfing, taten dem einsamen, stillen Vergn?gen Eintrag. Ich war wechselsweise bald J?ger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsre Spiele mit sich brachten: doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den andern, dass ich imstande war, ihnen die n?tigen Ger?tschaften schicklich auszubilden. So waren die Schwerter meistens aus meiner Fabrik; ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Instinkt liess mich nicht ruhen, bis ich unsre Miliz ins Antike umgeschaffen hatte. Helme wurden verfertiget, mit papiernen B?schen geschm?ckt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten, bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die N?hterinnen manche Nadel zerbrachen.
Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohlger?stet; die ?brigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es kam ein stattliches Korps zusammen. Wir marschierten in H?fen und G?rten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die K?pfe; es gab manche Misshelligkeit, die aber bald beigelegt war.
Dieses Spiel, das die andern sehr unterhielt, war kaum etlichemal getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte. Der Anblick so vieler ger?steten Gestalten musste in mir notwendig die Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anf?llten.
"Das befreite Jerusalem", davon mir Koppens ?bersetzung in die H?nde fiel, gab meinen herumschweifenden Gedanken endlich eine bestimmte Richtung. Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wusste, deren Bilder mich umschwebten. Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen. Die Mannweiblichkeit, die ruhige F?lle ihres Daseins taten mehr Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Armidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.
Aber hundert- und hundertmal, wenn ich abends auf dem Altan, der zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, ?ber die Gegend hinsah und von der hinabgewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufd?mmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tiefen die Nacht hervordrang und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille schrillte, sagte ich mir die Geschichte des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor.
Sosehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm, den grossen Turm der Belagerer anzuz?nden. Und wie nun Tankred dem vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der d?stern H?lle der Streit beginnt und sie gewaltig k?mpfen!--Ich konnte nie die Worte aussprechen:
"Allein das Lebensmass Chlorindens ist nun voll, Und ihre Stunde kommt, in der sie sterben soll!",
dass mir nicht die Tr?nen in die Augen kamen, die reichlich flossen, wie der ungl?ckliche Liebhaber ihr das Schwert in die Brust st?sst, der Sinkenden den Helm l?st, sie erkennt und zur Taufe bebend das Wasser holt.
Aber wie ging mir das Herz ?ber, wenn in dem bezauberten Walde Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fliesst und eine Stimme ihm in die Ohren t?nt, dass er auch hier Chlorinden verwunde, dass er vom Schicksal bestimmt sei, das, was er liebt, ?berall unwissend zu verletzen!
Es bem?chtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, dass sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt eingenommen war, dass ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte. Ich wollte Tankreden und Reinalden spielen und fand dazu zwei R?stungen ganz bereit, die ich schon gefertiget hatte. Die eine, von dunkelgrauem Papier mit Schuppen, sollte den ernsten Tankred, die andere, von Silber- und Goldpapier, den gl?nzenden Reinald zieren. In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erz?hlte ich alles meinen Gespanen, die davon ganz entz?ckt wurden und nur nicht wohl begreifen konnten, dass das alles aufgef?hrt, und zwar von ihnen aufgef?hrt werden sollte.
Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab. Ich disponierte gleich ?ber ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne zu berechnen, dass die alte Tante sie nimmermehr hergeben w?rde; ebenso war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte, ausser dass man es auf Balken setzen, die Kulissen von geteilten spanischen W?nden hinstellen und zum Grund ein grosses Tuch nehmen m?sse. Woher aber die Materialien und Ger?tschaften kommen sollten, hatte ich nicht bedacht.
F?r den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten Bedienten aus einem der H?user, der nun F?rster geworden war, gute Worte, dass er uns junge Birken und Fichten schaffen m?chte, die auch wirklich geschwinder, als wir hoffen konnten, herbeigebracht wurden. Nun aber fand man sich in grosser Verlegenheit, wie man das St?ck, eh die B?ume verdorrten, zustande bringen k?nne. Da war guter Rat teuer! Es fehlte an Platz, am Theater, an Vorh?ngen. Die spanischen W?nde waren das einzige, was wir hatten.
In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitl?ufige Beschreibung von der Herrlichkeit machten, die es geben sollte. Sowenig er uns begriff, so behilflich war er, schob in eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und der Nachbarschaft nur finden wollte, aneinander, stellte die W?nde darauf, machte eine hintere Aussicht von gr?nen Vorh?ngen, die B?ume wurden auch gleich mit in die Reihe gestellt.
Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angez?ndet, die M?gde und Kinder sassen auf ihren Pl?tzen, das St?ck sollte angehn, die ganze Heldenschar war angezogen; nun sp?rte aber jeder zum erstenmal, dass er nicht wisse, was er zu sagen habe. In der Hitze der Erfindung, da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich vergessen, dass doch jeder wissen m?sse, was und wo er es zu sagen habe; und in der Lebhaftigkeit der Ausf?hrung war es den ?brigen auch nicht beigefallen: sie glaubten, sie w?rden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden k?nnen wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte, und ich, der ich mich als Tankred vornean gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse aus dem Heldengedichte herzusagen an. Weil aber die Stelle gar zu bald ins Erz?hlende ?berging und ich in meiner eignen Rede endlich als dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte, so musste ich unter grossem Gel?chter meiner Zuschauer eben wieder abziehen: ein Unfall, der mich tief in der Seele kr?nkte. Verungl?ckt war die Expedition; die Zuschauer sassen da und wollten etwas sehen. Gekleidet waren wir; ich raffte mich zusammen und entschloss mich kurz und gut, "David und Goliath" zu spielen. Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir aufgef?hrt, alle hatten es oft gesehn; man teilte die Rollen aus, es versprach jeder, sein Bestes zu tun, und ein kleiner drolliger Junge malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine L?cke einfallen sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszuf?llen, eine Anstalt, die ich, als dem Ernste des St?ckes zuwider, sehr ungern geschehen liess. Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser Verlegenheit gerettet w?re, mich nie, als mit der gr?ssten ?berlegung, an die Vorstellung eines St?cks zu wagen."
Achtes Kapitel
Mariane, vom Schlaf ?berw?ltigt, lehnte sich an ihren Geliebten, der sie fest an sich dr?ckte und in seiner Erz?hlung fortfuhr, indes die Alte den ?berrest des Weins mit gutem Bedachte genoss.
"Die Verlegenheit", sagte er, "in der ich mich mit meinen Freunden befunden hatte, indem wir ein St?ck, das nicht existierte, zu spielen unternahmen, war bald vergessen. Meiner Leidenschaft, jeden Roman, den ich las, jede Geschichte, die man mich lehrte, in einem Schauspiele darzustellen, konnte selbst der unbiegsamste Stoff nicht widerstehen. Ich war v?llig ?berzeugt, dass alles, was in der Erz?hlung erg?tzte, vorgestellt eine viel gr?ssere Wirkung tun m?sse; alles sollte vor meinen Augen, alles auf der B?hne vorgehen. Wenn uns in der Schule die Weltgeschichte vorgetragen wurde, zeichnete ich mir sorgf?ltig aus, wo einer auf eine besondere Weise erstochen oder vergiftet wurde, und meine Einbildungskraft sah ?ber Exposition und Verwicklung hinweg und eilte dem interessanten f?nften Akte zu. So fing ich auch wirklich an, einige St?cke von hinten hervor zu schreiben, ohne dass ich auch nur bei einem einzigen bis zum Anfange gekommen w?re.
Zu gleicher Zeit las ich, teils aus eignem Antrieb, teils auf Veranlassung meiner guten Freunde, welche in den Geschmack gekommen waren, Schauspiele aufzuf?hren, einen ganzen Wust theatralischer Produktionen durch, wie sie der Zufall mir in die H?nde f?hrte. Ich war in den gl?cklichen Jahren, wo uns noch alles gef?llt, wo wir in der Menge und Abwechslung unsre Befriedigung finden. Leider aber ward mein Urteil noch auf eine andere Weise bestochen. Die St?cke gefielen mir besonders, in denen ich zu gefallen hoffte, und es waren wenige, die ich nicht in dieser angenehmen T?uschung durchlas; und meine lebhafte Vorstellungskraft, da ich mich in alle Rollen denken konnte, verf?hrte mich zu glauben, dass ich auch alle darstellen w?rde; gew?hnlich w?hlte ich daher bei der Austeilung diejenigen, welche sich gar nicht f?r mich schickten, und, wenn es nur einigermassen angehn wollte, wohl gar ein paar Rollen.
Kinder wissen beim Spiele aus allem alles zu machen; ein Stab wird zur Flinte, ein St?ckchen Holz zum Degen, jedes B?ndelchen zur Puppe und jeder Winkel zur H?tte. In diesem Sinne entwickelte sich unser Privattheater. Bei der v?lligen Unkenntnis unserer Kr?fte unternahmen wir alles, bemerkten kein quid pro quo und waren ?berzeugt, jeder m?sse uns daf?r nehmen, wof?r wir uns gaben. Leider ging alles einen so gemeinen Gang, dass mir nicht einmal eine merkw?rdige Albernheit zu erz?hlen ?brigbleibt. Erst spielten wir die wenigen St?cke durch, in welchen nur Mannspersonen auftreten; dann verkleideten wir einige aus unserm Mittel und zogen zuletzt die Schwestern mit ins Spiel. In einigen H?usern hielt man es f?r eine n?tzliche Besch?ftigung und lud Gesellschaften darauf. Unser Artillerielieutenant verliess uns auch hier nicht. Er zeigte uns, wie wir kommen und gehen, deklamieren und gestikulieren sollten; allein er erntete f?r seine Bem?hung meistens wenig Dank, indem wir die theatralischen K?nste schon besser als er zu verstehen glaubten.
Wir verfielen gar bald auf das Trauerspiel: denn wir hatten oft sagen h?ren und glaubten selbst, es sei leichter, eine Trag?die zu schreiben und vorzustellen, als im Lustspiele vollkommen zu sein. Auch f?hlten wir uns beim ersten tragischen Versuche ganz in unserm Elemente; wir suchten uns der H?he des Standes, der Vortrefflichkeit der Charaktere durch Steifheit und Affektation zu n?hern und d?nkten uns durchaus nicht wenig; allein vollkommen gl?cklich waren wir nur, wenn wir recht rasen, mit den F?ssen stampfen und uns wohl gar vor Wut und Verzweiflung auf die Erde werfen durften.
Knaben und M?dchen waren in diesen Spielen nicht lange beisammen, als die Natur sich zu regen und die Gesellschaft sich in verschiedene kleine Liebesgeschichten zu teilen anfing, da denn meistenteils Kom?die in der Kom?die gespielt wurde. Die gl?cklichen Paare dr?ckten sich hinter den Theaterw?nden die H?nde auf das z?rtlichste; sie verschwammen in Gl?ckseligkeit, wenn sie einander, so beb?ndert und aufgeschm?ckt, recht idealisch vorkamen, indes gegen?ber die ungl?cklichen Nebenbuhler sich vor Neid verzehrten und mit Trotz und Schadenfreude allerlei Unheil anrichteten.
Diese Spiele, obgleich ohne Verstand unternommen und ohne Anleitung durchgef?hrt, waren doch nicht ohne Nutzen f?r uns. Wir ?bten unser Ged?chtnis und unsern K?rper und erlangten mehr Geschmeidigkeit im Sprechen und Betragen, als man sonst in so fr?hen Jahren gewinnen kann. F?r mich aber war jene Zeit besonders Epoche, mein Geist richtete sich ganz nach dem Theater, und ich fand kein gr?sser Gl?ck, als Schauspiele zu lesen, zu schreiben und zu spielen.
Der Unterricht meiner Lehrer dauerte fort; man hatte mich dem Handelsstand gewidmet und zu unserm Nachbar auf das Comptoir getan; aber eben zu selbiger Zeit entfernte sich mein Geist nur gewaltsamer von allem, was ich f?r ein niedriges Gesch?ft halten musste. Der B?hne wollte ich meine ganze T?tigkeit widmen, auf ihr mein Gl?ck und meine Zufriedenheit finden.
Ich erinnere mich noch eines Gedichtes, das sich unter meinen Papieren finden muss, in welchem die Muse der tragischen Dichtkunst und eine andere Frauengestalt, in der ich das Gewerbe personifiziert hatte, sich um meine werte Person recht wacker zanken. Die Erfindung ist gemein, und ich erinnere mich nicht, ob die Verse etwas taugen; aber ihr sollt es sehen, um der Furcht, des Abscheues, der Liebe und der Leidenschaft willen, die darin herrschen. Wie ?ngstlich hatte ich die alte Hausmutter geschildert mit dem Rocken im G?rtel, mit Schl?sseln an der Seite, Brillen auf der Nase, immer fleissig, immer in Unruhe, z?nkisch und haush?ltisch, kleinlich und beschwerlich! Wie k?mmerlich beschrieb ich den Zustand dessen, der sich unter ihrer Rute b?cken und sein knechtisches Tagewerk im Schweisse des Angesichtes verdienen sollte!
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