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Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 2 by Goethe Johann Wolfgang Von

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Ebook has 298 lines and 23757 words, and 6 pages

#14 in our series by Johann Wolfgang von Goethe

Wilhelm Meisters Lehrjahre--Buch 2 by Johann Wolfgang von Goethe

September, 2000

Wilhelm Meisters Lehrjahre--Buch 2

Johann Wolfgang von Goethe

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Jeder, der mit lebhaften Kr?ften vor unsern Augen eine Absicht zu erreichen strebt, kann, wir m?gen seinen Zweck loben oder tadeln, sich unsre Teilnahme versprechen; sobald aber die Sache entschieden ist, wenden wir unser Auge sogleich von ihm weg; alles, was geendigt, was abgetan daliegt, kann unsre Aufmerksamkeit keineswegs fesseln, besonders wenn wir schon fr?he der Unternehmung einen ?beln Ausgang prophezeit haben.

Deswegen sollen unsre Leser nicht umst?ndlich mit dem Jammer und der Not unsers verungl?ckten Freundes, in die er geriet, als er seine Hoffnungen und W?nsche auf eine so unerwartete Weise zerst?rt sah, unterhalten werden. Wir ?berspringen vielmehr einige Jahre und suchen ihn erst da wieder auf, wo wir ihn in einer Art von T?tigkeit und Genuss zu finden hoffen, wenn wir vorher nur k?rzlich so viel, als zum Zusammenhang der Geschichte n?tig ist, vorgetragen haben.

Die Pest oder ein b?ses Fieber rasen in einem gesunden, vollsaftigen K?rper, den sie anfallen, schneller und heftiger, und so ward der arme Wilhelm unvermutet von einem ungl?cklichen Schicksale ?berw?ltigt, dass in einem Augenblicke sein ganzes Wesen zerr?ttet war. Wie wenn von ungef?hr unter der Zur?stung ein Feuerwerk in Brand ger?t und die k?nstlich gebohrten und gef?llten H?lsen, die, nach einem gewissen Plane geordnet und abgebrannt, pr?chtig abwechselnde Feuerbilder in die Luft zeichnen sollten, nunmehr unordentlich und gef?hrlich durcheinander zischen und sausen: so gingen auch jetzt in seinem Busen Gl?ck und Hoffnung, Wollust und Freuden, Wirkliches und Getr?umtes auf einmal scheiternd durcheinander. In solchen w?sten Augenblicken erstarrt der Freund, der zur Rettung hinzueilt, und dem, den es trifft, ist es eine Wohltat, dass ihn die Sinne verlassen.

Tage des lauten, ewig wiederkehrenden und mit Vorsatz erneuerten Schmerzens folgten darauf; doch sind auch diese f?r eine Gnade der Natur zu achten. In solchen Stunden hatte Wilhelm seine Geliebte noch nicht ganz verloren; seine Schmerzen waren unerm?det erneuerte Versuche, das Gl?ck, das ihm aus der Seele entfloh, noch festzuhalten, die M?glichkeit desselben in der Vorstellung wieder zu erhaschen, seinen auf immer abgeschiedenen Freuden ein kurzes Nachleben zu verschaffen. Wie man einen K?rper, solange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann, solange die Kr?fte, die vergebens nach ihren alten Bestimmungen zu wirken suchen, an der Zerst?rung der Teile, die sie sonst belebten, sich abarbeiten; nur dann, wenn sich alles aneinander aufgerieben hat, wenn wir das Ganze in gleichg?ltigen Staub zerlegt sehen, dann entsteht das erb?rmliche, leere Gef?hl des Todes in uns, nur durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken.

In einem so neuen, ganzen, lieblichen Gem?te war viel zu zerreissen, zu zerst?ren, zu ert?ten, und die schnellheilende Kraft der Jugend gab selbst der Gewalt des Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit. Der Streich hatte sein ganzes Dasein an der Wurzel getroffen. Werner, aus Not sein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert, um einer verhassten Leidenschaft, dem Ungeheuer, ins innerste Leben zu dringen. Die Gelegenheit war so gl?cklich, das Zeugnis so bei der Hand, und wieviel Geschichten und Erz?hlungen wusst er nicht zu nutzen. Er trieb's mit solcher Heftigkeit und Grausamkeit Schritt vor Schritt, liess dem Freunde nicht das Labsal des mindesten augenblicklichen Betruges, vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, in welchen er sich vor der Verzweiflung h?tte retten k?nnen, dass die Natur, die ihren Liebling nicht wollte zugrunde gehen lassen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der andern Seite Luft zu machen.

Ein lebhaftes Fieber mit seinem Gefolge, den Arzeneien, der ?berspannung und der Mattigkeit; dabei die Bem?hungen der Familie, die Liebe der Mitgebornen, die durch Mangel und Bed?rfnisse sich erst recht f?hlbar macht, waren so viele Zerstreuungen eines ver?nderten Zustandes und eine k?mmerliche Unterhaltung. Erst als er wieder besser wurde, das heisst, als seine Kr?fte ersch?pft waren, sah Wilhelm mit Entsetzen in den qualvollen Abgrund eines d?rren Elendes hinab, wie man in den ausgebrannten, hohlen Becher eines Vulkans hinunterblickt.

Nunmehr machte er sich selbst die bittersten Vorw?rfe, dass er nach so grossem Verlust noch einen schmerzenlosen, ruhigen, gleichg?ltigen Augenblick haben k?nne. Er verachtete sein eigen Herz und sehnte sich nach dem Labsal des Jammers und der Tr?nen.

Um diese wieder in sich zu erwecken, brachte er vor sein Andenken alle Szenen des vergangenen Gl?cks. Mit der gr?ssten Lebhaftigkeit malte er sie sich aus, strebte wieder in sie hinein, und wenn er sich zur m?glichsten H?he hinaufgearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, den Busen zu heben schien, sah er r?ckw?rts auf den schrecklichen Abgrund, labte sein Auge an der zerschmetternden Tiefe, warf sich hinunter und erzwang von der Natur die bittersten Schmerzen. Mit so wiederholter Grausamkeit zerriss er sich selbst; denn die Jugend, die so reich an eingeh?llten Kr?ften ist, weiss nicht, was sie verschleudert, wenn sie dem Schmerz, den ein Verlust erregt, noch so viele erzwungene Leiden zugesellt, als wollte sie dem Verlornen dadurch noch erst einen rechten Wert geben. Auch war er so ?berzeugt, dass dieser Verlust der einzige, der erste und letzte sei, den er in seinem Leben empfinden k?nne, dass er jeden Trost verabscheute, der ihm diese Leiden als endlich vorzustellen unternahm.

Zweites Kapitel

Gew?hnt, auf diese Weise sich selbst zu qu?len, griff er nun auch das ?brige, was ihm nach der Liebe und mit der Liebe die gr?ssten Freuden und Hoffnungen gegeben hatte, sein Talent als Dichter und Schauspieler, mit h?mischer Kritik von allen Seiten an. Er sah in seinen Arbeiten nichts als eine geistlose Nachahmung einiger hergebrachten Formen, ohne innern Wert; er wollte darin nur steife Schulexerzitien erkennen, denen es an jedem Funken von Naturell, Wahrheit und Begeisterung fehle. In seinen Gedichten fand er nur ein monotones Silbenmass, in welchem, durch einen armseligen Reim zusammengehalten, ganz gemeine Gedanken und Empfindungen sich hinschleppten; und so benahm er sich auch jede Aussicht, jede Lust, die ihn von dieser Seite noch allenfalls h?tte wieder aufrichten k?nnen.

Seinem Schauspielertalente ging es nicht besser. Er schalt sich, dass er nicht fr?her die Eitelkeit entdeckt, die allein dieser Anmassung zum Grunde gelegen. Seine Figur, sein Gang, seine Bewegung und Deklamation mussten herhalten; er sprach sich jede Art von Vorzug, jedes Verdienst, das ihn ?ber das Gemeine emporgehoben h?tte, entscheidend ab und vermehrte seine stumme Verzweiflung dadurch auf den h?chsten Grad. Denn wenn es hart ist, der Liebe eines Weibes zu entsagen, so ist die Empfindung nicht weniger schmerzlich, von dem Umgange der Musen sich loszureissen, sich ihrer Gemeinschaft auf immer unw?rdig zu erkl?ren und auf den sch?nsten und n?chsten Beifall, der unsrer Person, unserm Betragen, unsrer Stimme ?ffentlich gegeben wird, Verzicht zu tun.

So hatte sich denn unser Freund v?llig resigniert und sich zugleich mit grossem Eifer den Handelsgesch?ften gewidmet. Zum Erstaunen seines Freundes und zur gr?ssten Zufriedenheit seines Vaters war niemand auf dem Comptoir und der B?rse, im Laden und Gew?lbe t?tiger als er; Korrespondenz und Rechnungen, und was ihm aufgetragen wurde, besorgte und verrichtete er mit gr?sstem Fleiss und Eifer. Freilich nicht mit dem heitern Fleisse, der zugleich dem Gesch?ftigen Belohnung ist, wenn wir dasjenige, wozu wir geboren sind, mit Ordnung und Folge verrichten, sondern mit dem stillen Fleisse der Pflicht, der den besten Vorsatz zum Grunde hat, der durch ?berzeugung gen?hrt und durch ein innres Selbstgef?hl belohnt wird; der aber doch oft, selbst dann, wenn ihm das sch?nste Bewusstsein die Krone reicht, einen vordringenden Seufzer kaum zu ersticken vermag.

Auf diese Weise hatte Wilhelm eine Zeitlang sehr emsig fortgelebt und sich ?berzeugt, dass jene harte Pr?fung vom Schicksale zu seinem Besten veranstaltet worden. Er war froh, auf dem Wege des Lebens sich beizeiten, obgleich unfreundlich genug, gewarnt zu sehen, anstatt dass andere sp?ter und schwerer die Missgriffe b?ssen, wozu sie ein jugendlicher D?nkel verleitet hat. Denn gew?hnlich wehrt sich der Mensch so lange, als er kann, den Toren, den er im Busen hegt, zu verabschieden, einen Hauptirrtum zu bekennen und eine Wahrheit einzugestehen, die ihn zur Verzweiflung bringt.

So entschlossen er war, seinen liebsten Vorstellungen zu entsagen, so war doch einige Zeit n?tig, um ihn von seinem Ungl?cke v?llig zu ?berzeugen. Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetischen Hervorbringens und der pers?nlichen Darstellung mit triftigen Gr?nden so ganz in sich vernichtet, dass er Mut fasste, alle Spuren seiner Torheit, alles, was ihn irgend noch daran erinnern k?nnte, v?llig auszul?schen. Er hatte daher an einem k?hlen Abende ein Kaminfeuer angez?ndet und holte ein Reliquienk?stchen hervor, in welchem sich hunderterlei Kleinigkeiten fanden, die er in bedeutenden Augenblicken von Marianen erhalten oder derselben geraubt hatte. Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da sie noch frisch in ihren Haaren bl?hte; jedes Zettelchen an die gl?ckliche Stunde, wozu sie ihn dadurch einlud; jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz seines Hauptes, ihren sch?nen Busen. Musste nicht auf diese Weise jede Empfindung, die er schon lange get?tet glaubte, sich wieder zu bewegen anfangen? Musste nicht die Leidenschaft, ?ber die er, abgeschieden von seiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart dieser Kleinigkeiten wieder m?chtig werden? Denn wir merken erst, wie traurig und unangenehm ein tr?ber Tag ist, wenn ein einziger durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heitern Stunde darstellt.

Nicht ohne Bewegung sah er daher diese so lange bewahrten Heiligt?mer nacheinander in Rauch und Flamme vor sich aufgehen. Einigemal hielt er zaudernd inne und hatte noch eine Perlenschnur und ein flornes Halstuch ?brig, als er sich entschloss, mit den dichterischen Versuchen seiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufrischen.

Bis jetzt hatte er alles sorgf?ltig aufgehoben, was ihm, von der fr?hsten Entwicklung seines Geistes an, aus der Feder geflossen war. Noch lagen seine Schriften in B?ndel gebunden auf dem Boden des Koffers, wohin er sie gepackt hatte, als er sie auf seiner Flucht mitzunehmen hoffte. Wie ganz anders er?ffnete er sie jetzt, als er sie damals zusammenband!

Wenn wir einen Brief, den wir unter gewissen Umst?nden geschrieben und gesiegelt haben, der aber den Freund, an den er gerichtet war, nicht antrifft, sondern wieder zu uns zur?ckgebracht wird, nach einiger Zeit er?ffnen, ?berf?llt uns eine sonderbare Empfindung, indem wir unser eignes Siegel erbrechen und uns mit unserm ver?nderten Selbst wie mit einer dritten Person unterhalten. Ein ?hnliches Gef?hl ergriff mit Heftigkeit unsern Freund, als er das erste Paket er?ffnete und die zerteilten Hefte ins Feuer warf, die eben gewaltsam aufloderten, als Werner hereintrat, sich ?ber die lebhafte Flamme verwunderte und fragte, was hier vorgehe.

"Ich gebe einen Beweis", sagte Wilhelm, "dass es mir Ernst sei, ein Handwerk aufzugeben, wozu ich nicht geboren ward"; und mit diesen Worten warf er das zweite Paket in das Feuer. Werner wollte ihn abhalten, allein es war geschehen.

"Ich sehe nicht ein, wie du zu diesem Extrem kommst", sagte dieser. "Warum sollen denn nun diese Arbeiten, wenn sie nicht vortrefflich sind, gar vernichtet werden?"

"Weil ein Gedicht entweder vortrefflich sein oder gar nicht existieren soll; weil jeder, der keine Anlage hat, das Beste zu leisten, sich der Kunst enthalten und sich vor jeder Verf?hrung dazu ernstlich in acht nehmen sollte. Denn freilich regt sich in jedem Menschen ein gewisses unbestimmtes Verlangen, dasjenige, was er sieht, nachzuahmen; aber dieses Verlangen beweist gar nicht, dass auch die Kraft in uns wohne, mit dem, was wir unternehmen, zustande zu kommen. Sieh nur die Knaben an, wie sie jedesmal, sooft Seilt?nzer in der Stadt gewesen, auf allen Planken und Balken hin und wider gehen und balancieren, bis ein anderer Reiz sie wieder zu einem ?hnlichen Spiele hinzieht. Hast du es nicht in dem Zirkel unsrer Freunde bemerkt? Sooft sich ein Virtuose h?ren l?sst, finden sich immer einige, die sogleich dasselbe Instrument zu lernen anfangen. Wie viele irren auf diesem Wege herum! Gl?cklich, wer den Fehlschluss von seinen W?nschen auf seine Kr?fte bald gewahr wird!"

Werner widersprach; die Unterredung ward lebhaft, und Wilhelm konnte nicht ohne Bewegung die Argumente, mit denen er sich selbst so oft gequ?lt hatte, gegen seinen Freund wiederholen. Werner behauptete, es sei nicht vern?nftig, ein Talent, zu dem man nur einigermassen Neigung und Geschick habe, deswegen, weil man es niemals in der gr?ssten Vollkommenheit aus?ben werde, ganz aufzugeben. Es finde sich ja so manche leere Zeit, die man dadurch ausf?llen und nach und nach etwas hervorbringen k?nne, wodurch wir uns und andern ein Vergn?gen bereiten.

Unser Freund, der hierin ganz anderer Meinung war, fiel ihm sogleich ein und sagte mit grosser Lebhaftigkeit:

"Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst, dass ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele f?llen muss, in unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden k?nne hervorgebracht werden. Nein, der Dichter muss ganz sich, ganz in seinen geliebten Gegenst?nden leben. Er, der vom Himmel innerlich auf das k?stlichste begabt ist, der einen sich immer selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er muss auch von aussen ungest?rt mit seinen Sch?tzen in der stillen Gl?ckseligkeit leben, die ein Reicher vergebens mit aufgeh?uften G?tern um sich hervorzubringen sucht. Sieh die Menschen an, wie sie nach Gl?ck und Vergn?gen rennen! Ihre W?nsche, ihre M?he, ihr Geld jagen rastlos, und wonach? Nach dem, was der Dichter von der Natur erhalten hat, nach dem Genuss der Welt, nach dem Mitgef?hl seiner selbst in andern, nach einem harmonischen Zusammensein mit vielen oft unvereinbaren Dingen.

Was beunruhiget die Menschen, als dass sie ihre Begriffe nicht mit den Sachen verbinden k?nnen, dass der Genuss sich ihnen unter den H?nden wegstiehlt, dass das Gew?nschte zu sp?t kommt und dass alles Erreichte und Erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung tut, welche die Begierde uns in der Ferne ahnen l?sst. Gleichsam wie einen Gott hat das Schicksal den Dichter ?ber dieses alles hin?bergesetzt. Er sieht das Gewirre der Leidenschaften, Familien und Reiche sich zwecklos bewegen, er sieht die unaufl?slichen R?tsel der Missverst?ndnisse, denen oft nur ein einsilbiges Wort zur Entwicklung fehlt, uns?glich verderbliche Verwirrungen verursachen. Er f?hlt das Traurige und das Freudige jedes Menschenschicksals mit. Wenn der Weltmensch in einer abzehrenden Melancholie ?ber grossen Verlust seine Tage hinschleicht oder in ausgelassener Freude seinem Schicksale entgegengeht, so schreitet die empf?ngliche, leichtbewegliche Seele des Dichters wie die wandelnde Sonne von Nacht zu Tag fort, und mit leisen ?berg?ngen stimmt seine Harfe zu Freude und Leid. Eingeboren auf dem Grund seines Herzens w?chst die sch?ne Blume der Weisheit hervor, und wenn die andern wachend tr?umen und von ungeheuren Vorstellungen aus allen ihren Sinnen ge?ngstiget werden, so lebt er den Traum des Lebens als ein Wachender, und das Seltenste, was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft. Und so ist der Dichter zugleich Lehrer Wahrsager, Freund der G?tter und der Menschen. Wie! willst du, dass er zu einem k?mmerlichen Gewerbe heruntersteige? Er, der wie ein Vogel gebaut ist, um die Welt zu ?berschweben, auf hohen Gipfeln zu nisten und seine Nahrung von Knospen und Fr?chten, einen Zweig mit dem andern leicht verwechselnd, zu nehmen, er sollte zugleich wie der Stier am Pfluge ziehen, wie der Hund sich auf eine F?hrte gew?hnen oder vielleicht gar, an die Kette geschlossen, einen Meierhof durch sein Bellen sichern?"

Werner hatte, wie man sich denken kann, mit Verwunderung zugeh?rt. "Wenn nur auch die Menschen", fiel er ihm ein, "wie die V?gel gemacht w?ren und, ohne dass sie spinnen und weben, holdselige Tage in best?ndigem Genuss zubringen k?nnten! Wenn sie nur auch bei Ankunft des Winters sich so leicht in ferne Gegenden beg?ben, dem Mangel auszuweichen und sich vor dem Froste zu sichern!"

"So haben die Dichter in Zeiten gelebt, wo das Ehrw?rdige mehr erkannt ward", rief Wilhelm aus, "und so sollten sie immer leben. Genugsam in ihrem Innersten ausgestattet, bedurften sie wenig von aussen; die Gabe, sch?ne Empfindungen, herrliche Bilder den Menschen in s?ssen, sich an jeden Gegenstand anschmiegenden Worten und Melodien mitzuteilen, bezauberte von jeher die Welt und war f?r den Begabten ein reichliches Erbteil. An der K?nige H?fen, an den Tischen der Reichen, vor den T?ren der Verliebten horchte man auf sie, indem sich das Ohr und die Seele f?r alles andere verschloss, wie man sich seligpreist und entz?ckt stillesteht, wenn aus den Geb?schen, durch die man wandelt, die Stimme der Nachtigall gewaltig r?hrend hervordringt! Sie fanden eine gastfreie Welt, und ihr niedrig scheinender Stand erh?hte sie nur desto mehr. Der Held lauschte ihren Ges?ngen, und der ?berwinder der Welt huldigte einem Dichter, weil er f?hlte, dass ohne diesen sein ungeheures Dasein nur wie ein Sturmwind vor?berfahren w?rde; der Liebende w?nschte sein Verlangen und seinen Genuss so tausendfach und so harmonisch zu f?hlen, als ihn die beseelte Lippe zu schildern verstand; und selbst der Reiche konnte seine Besitzt?mer, seine Abg?tter, nicht mit eigenen Augen so kostbar sehen, als sie ihm vom Glanz des allen Wert f?hlenden und erh?henden Geistes beleuchtet erschienen. Ja, wer hat, wenn du willst, G?tter gebildet, uns zu ihnen erhoben, sie zu uns herniedergebracht, als der Dichter?"

"Mein Freund", versetzte Werner nach einigem Nachdenken, "ich habe schon oft bedauert, dass du das, was du so lebhaft f?hlst, mit Gewalt aus deiner Seele zu verbannen strebst. Ich m?sste mich sehr irren, wenn du nicht besser t?test, dir selbst einigermassen nachzugeben, als dich durch die Widerspr?che eines so harten Entsagens aufzureiben und dir mit der einen unschuldigen Freude den Genuss aller ?brigen zu entziehen."

"Darf ich dir's gestehen, mein Freund",versetzte der andre, "und wirst du mich nicht l?cherlich finden, wenn ich dir bekenne, dass jene Bilder mich noch immer verfolgen, sosehr ich sie fliehe, und dass, wenn ich mein Herz untersuche, alle fr?hen W?nsche fest, ja noch fester als sonst darin haften? Doch was bleibt mir Ungl?cklichem gegenw?rtig ?brig? Ach, wer mir vorausgesagt h?tte, dass die Arme meines Geistes so bald zerschmettert werden sollten, mit denen ich ins Unendliche griff und mit denen ich doch gewiss ein Grosses zu umfassen hoffte, wer mir das vorausgesagt h?tte, w?rde mich zur Verzweiflung gebracht haben. Und noch jetzt, da das Gericht ?ber mich ergangen ist, jetzt, da ich die verloren habe, die anstatt einer Gottheit mich zu meinen W?nschen hin?berf?hren sollte, was bleibt mir ?brig, als mich den bittersten Schmerzen zu ?berlassen? O mein Bruder", fuhr er fort, "ich leugne nicht, sie war mir bei meinen heimlichen Anschl?gen der Kloben, an den eine Strickleiter befestigt ist; gef?hrlich hoffend schwebt der Abenteurer in der Luft, das Eisen bricht, und er liegt zerschmettert am Fusse seiner W?nsche. Es ist auch nun f?r mich kein Trost, keine Hoffnung mehr! Ich werde", rief er aus, indem er aufsprang, "von diesen ungl?ckseligen Papieren keines ?briglassen." Er fasste abermals ein paar Hefte an, riss sie auf und warf sie ins Feuer. Werner wollte ihn abhalten, aber vergebens. "Lass mich!" rief Wilhelm, "was sollen diese elenden Bl?tter? F?r mich sind sie weder Stufe noch Aufmunterung mehr. Sollen sie ?brigbleiben, um mich bis ans Ende meines Lebens zu peinigen? Sollen sie vielleicht einmal der Welt zum Gesp?tte dienen, anstatt Mitleiden und Schauer zu erregen? Weh ?ber mich und ?ber mein Schicksal! Nun verstehe ich erst die Klagen der Dichter, der aus Not weise gewordnen Traurigen. Wie lange hielt ich mich f?r unzerst?rbar, f?r unverwundlich, und ach! nun seh ich, dass ein tiefer fr?her Schade nicht wieder auswachsen, sich nicht wieder herstellen kann; ich f?hle, dass ich ihn mit ins Grab nehmen muss. Nein! keinen Tag des Lebens soll der Schmerz von mir weichen, der mich noch zuletzt umbringt, und auch ihr Andenken soll bei mir bleiben, mit mir leben und sterben, das Andenken der Unw?rdigen--ach, mein Freund! wenn ich von Herzen reden soll--der gewiss nicht ganz Unw?rdigen! Ihr Stand, ihre Schicksale haben sie tausendmal bei mir entschuldigt. Ich bin zu grausam gewesen, du hast mich in deine K?lte, in deine H?rte unbarmherzig eingeweiht, meine zerr?tteten Sinne gefangengehalten und mich verhindert, das f?r sie und f?r mich zu tun, was ich uns beiden schuldig war. Wer weiss, in welchen Zustand ich sie versetzt habe, und erst nach und nach f?llt mir's aufs Gewissen, in welcher Verzweiflung, in welcher H?lflosigkeit ich sie verliess! War's nicht m?glich, dass sie sich entschuldigen konnte? War's nicht m?glich? Wieviel Missverst?ndnisse k?nnen die Welt verwirren, wieviel Umst?nde k?nnen dem gr?ssten Fehler Vergebung erflehen!--Wie oft denke ich mir sie, in der Stille f?r sich sitzend, auf ihren Ellenbogen gest?tzt.--"Das ist", sagt sie, "die Treue, die Liebe, die er mir zuschwur! Mit diesem unsanften Schlag das sch?ne Leben zu endigen, das uns verband!""--Er brach in einen Strom von Tr?nen aus, indem er sich mit dem Gesichte auf den Tisch warf und die ?bergebliebenen Papiere benetzte.

Werner stand in der gr?ssten Verlegenheit dabei. Er hatte sich dieses rasche Auflodern der Leidenschaft nicht vermutet. Etlichemal wollte er seinem Freunde in die Rede fallen, etlichemal das Gespr?ch woandershin lenken, vergebens! er widerstand dem Strome nicht. Auch hier ?bernahm die ausdauernde Freundschaft wieder ihr Amt. Er liess den heftigsten Anfall des Schmerzens vor?ber, indem er durch seine stille Gegenwart eine aufrichtige, reine Teilnehmung am besten sehen liess, und so blieben sie diesen Abend; Wilhelm ins stille Nachgef?hl des Schmerzens versenkt und der andere erschreckt durch den neuen Ausbruch einer Leidenschaft, die er lange bemeistert und durch guten Rat und eifriges Zureden ?berw?ltigt zu haben glaubte.

Drittes Kapitel

Nach solchen R?ckf?llen pflegte Wilhelm meist nur desto eifriger sich den Gesch?ften und der T?tigkeit zu widmen, und es war der beste Weg, dem Labyrinthe, das ihn wieder anzulocken suchte, zu entfliehen. Seine gute Art, sich gegen Fremde zu betragen, seine Leichtigkeit, fast in allen lebenden Sprachen Korrespondenz zu f?hren, gaben seinem Vater und dessen Handelsfreunde immer mehr Hoffnung und tr?steten sie ?ber die Krankheit, deren Ursache ihnen nicht bekannt geworden war, und ?ber die Pause, die ihren Plan unterbrochen hatte. Man beschloss Wilhelms Abreise zum zweitenmal, und wir finden ihn auf seinem Pferde, den Mantelsack hinter sich, erheitert durch freie Luft und Bewegung, dem Gebirge sich n?hern, wo er einige Auftr?ge ausrichten sollte.

Er durchstrich langsam T?ler und Berge mit der Empfindung des gr?ssten Vergn?gens. ?berhangende Felsen, rauschende Wasserb?che, bewachsene W?nde, tiefe Gr?nde sah er hier zum erstenmal, und doch hatten seine fr?hsten Jugendtr?ume schon in solchen Gegenden geschwebt. Er f?hlte sich bei diesem Anblicke wieder verj?ngt; alle erduldeten Schmerzen waren aus seiner Seele weggewaschen, und mit v?lliger Heiterkeit sagte er sich Stellen aus verschiedenen Gedichten, besonders aus dem "Pastor fido" vor, die an diesen einsamen Pl?tzen scharenweis seinem Ged?chtnisse zuflossen. Auch erinnerte er sich mancher Stellen aus seinen eigenen Liedern, die er mit einer besondern Zufriedenheit rezitierte. Er belebte die Welt, die vor ihm lag, mit allen Gestalten der Vergangenheit, und jeder Schritt in die Zukunft war ihm voll Ahnung wichtiger Handlungen und merkw?rdiger Begebenheiten.

Mehrere Menschen, die aufeinanderfolgend hinter ihm herkamen, an ihm mit einem Grusse vorbeigingen und den Weg ins Gebirge, durch steile Fusspfade, eilig fortsetzten, unterbrachen einigemal seine stille Unterhaltung, ohne dass er jedoch aufmerksam auf sie geworden w?re. Endlich gesellte sich ein gespr?chiger Gef?hrte zu ihm und erz?hlte die Ursache der starken Pilgerschaft.

"Zu Hochdorf", sagte er, "wird heute abend eine Kom?die gegeben, wozu sich die ganze Nachbarschaft versammelt."

"Wie!" rief Wilhelm, "in diesen einsamen Gebirgen, zwischen diesen undurchdringlichen W?ldern hat die Schauspielkunst einen Weg gefunden und sich einen Tempel aufgebaut? und ich muss zu ihrem Feste wallfahrten?"

"Sie werden sich noch mehr wundern", sagte der andere, "wenn Sie h?ren, durch wen das St?ck aufgef?hrt wird. Es ist eine grosse Fabrik in dem Orte, die viel Leute ern?hrt. Der Unternehmer, der sozusagen von aller menschlichen Gesellschaft entfernt lebt, weiss seine Arbeiter im Winter nicht besser zu besch?ftigen, als dass er sie veranlasst hat, Kom?die zu spielen. Er leidet keine Karten unter ihnen und w?nscht sie auch sonst von rohen Sitten abzuhalten. So bringen sie die langen Abende zu, und heute, da des Alten Geburtstag ist, geben sie ihm zu Ehren eine besondere Festlichkeit."

Wilhelm kam zu Hochdorf an, wo er ?bernachten sollte, und stieg bei der Fabrik ab, deren Unternehmer auch als Schuldner auf seiner Liste stand.

Als er seinen Namen nannte, rief der Alte verwundert aus: "Ei, mein Herr, sind Sie der Sohn des braven Mannes, dem ich so viel Dank und bis jetzt noch Geld schuldig bin? Ihr Herr Vater hat so viel Geduld mit mir gehabt, dass ich ein B?sewicht sein m?sste, wenn ich nicht eilig und fr?hlich bezahlte. Sie kommen eben zur rechten Zeit, um zu sehen, dass es mir Ernst ist."

Er rief seine Frau herbei, welche ebenso erfreut war, den jungen Mann zu sehen; sie versicherte, dass er seinem Vater gleiche, und bedauerte, dass sie ihn wegen der vielen Fremden die Nacht nicht beherbergen k?nne.

Das Gesch?ft war klar und bald berichtigt; Wilhelm steckte ein R?llchen Gold in die Tasche und w?nschte, dass seine ?brigen Gesch?fte auch so leicht gehen m?chten.

Die Stunde des Schauspiels kam heran, man erwartete nur noch den Oberforstmeister, der endlich auch anlangte, mit einigen J?gern eintrat und mit der gr?ssten Verehrung empfangen wurde.

Die Gesellschaft wurde nunmehr ins Schauspielhaus gef?hrt, wozu man eine Scheune eingerichtet hatte, die gleich am Garten lag. Haus und Theater waren, ohne sonderlichen Geschmack, munter und artig genug angelegt. Einer von den Malern, die auf der Fabrik arbeiteten, hatte bei dem Theater in der Residenz gehandlangt und hatte nun Wald, Strasse und Zimmer, freilich etwas roh, hingestellt. Das St?ck hatten sie von einer herumziehenden Truppe geborgt und nach ihrer eigenen Weise zurechtgeschnitten. So wie es war, unterhielt es. Die Intrige, dass zwei Liebhaber ein M?dchen ihrem Vormunde und wechselsweise sich selbst entreissen wollen, brachte allerlei interessante Situationen hervor. Es war das erste St?ck, das unser Freund nach einer so langen Zeit wieder sah; er machte mancherlei Betrachtungen. Es war voller Handlung, aber ohne Schilderung wahrer Charaktere. Es gefiel und erg?tzte. So sind die Anf?nge aller Schauspielkunst. Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht; der gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz ausgebildeten angenehm.

Den Schauspielern h?tte er hie und da gerne nachgeholfen; denn es fehlte nur wenig, so h?tten sie um vieles besser sein k?nnen.

In seinen stillen Betrachtungen st?rte ihn der Tabaksdampf, der immer st?rker und st?rker wurde. Der Oberforstmeister hatte bald nach Anfang des St?cks seine Pfeife angez?ndet, und nach und nach nahmen sich mehrere diese Freiheit heraus. Auch machten die grossen Hunde dieses Herrn schlimme Auftritte. Man hatte sie zwar ausgesperrt; allein sie fanden bald den Weg zur Hintert?re herein, liefen auf das Theater, rannten wider die Akteurs und gesellten sich endlich durch einen Sprung ?ber das Orchester zu ihrem Herrn, der den ersten Platz im Parterre eingenommen hatte.

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