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Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 2 by Goethe Johann Wolfgang Von

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Ebook has 298 lines and 23757 words, and 6 pages

In seinen stillen Betrachtungen st?rte ihn der Tabaksdampf, der immer st?rker und st?rker wurde. Der Oberforstmeister hatte bald nach Anfang des St?cks seine Pfeife angez?ndet, und nach und nach nahmen sich mehrere diese Freiheit heraus. Auch machten die grossen Hunde dieses Herrn schlimme Auftritte. Man hatte sie zwar ausgesperrt; allein sie fanden bald den Weg zur Hintert?re herein, liefen auf das Theater, rannten wider die Akteurs und gesellten sich endlich durch einen Sprung ?ber das Orchester zu ihrem Herrn, der den ersten Platz im Parterre eingenommen hatte.

Zum Nachspiel ward ein Opfer dargebracht. Ein Portr?t, das den Alten in seinem Br?utigamskleide vorstellte, stand auf einem Altar, mit Kr?nzen behangen. Alle Schauspieler huldigten ihm in demutvollen Stellungen. Das j?ngste Kind trat, weiss gekleidet, hervor und hielt eine Rede in Versen, wodurch die ganze Familie und sogar der Oberforstmeister, der sich dabei an seine Kinder erinnerte, zu Tr?nen bewegt wurde. So endigte sich das St?ck, und Wilhelm konnte nicht umhin, das Theater zu besteigen, die Aktricen in der N?he zu besehen, sie wegen ihres Spiels zu loben und ihnen auf die Zukunft einigen Rat zu geben.

Die ?brigen Gesch?fte unsers Freundes, die er nach und nach in gr?ssern und kleinern Gebirgsorten verrichtete, liefen nicht alle so gl?cklich noch so vergn?gt ab. Manche Schuldner baten um Aufschub, manche waren unh?flich, manche leugneten. Nach seinem Auftrage sollte er einige verklagen; er musste einen Advokaten aufsuchen, diesen instruieren, sich vor Gericht stellen und was dergleichen verdriessliche Gesch?fte noch mehr waren.

Ebensoschlimm erging es ihm, wenn man ihm eine Ehre erzeigen wollte. Nur wenig Leute fand er, die ihn einigermassen unterrichten konnten; wenige, mit denen er in ein n?tzliches Handelsverh?ltnis zu kommen hoffte. Da nun auch ungl?cklicherweise Regentage einfielen und eine Reise zu Pferd in diesen Gegenden mit unertr?glichen Beschwerden verkn?pft war, so dankte er dem Himmel, als er sich dem flachen Lande wieder n?herte und am Fusse des Gebirges in einer sch?nen und fruchtbaren Ebene, an einem sanften Flusse, im Sonnenscheine ein heiteres Landst?dtchen liegen sah, in welchem er zwar keine Gesch?fte hatte, aber eben deswegen sich entschloss, ein paar Tage daselbst zu verweilen, um sich und seinem Pferde, das von dem schlimmen Wege sehr gelitten hatte, einige Erholung zu verschaffen.

Viertes Kapitel

Als er in einem Wirtshause auf dem Markte abtrat, ging es darin sehr lustig, wenigstens sehr lebhaft zu. Eine grosse Gesellschaft Seilt?nzer, Springer und Gaukler, die einen starken Mann bei sich hatten, waren mit Weib und Kindern eingezogen und machten, indem sie sich auf eine ?ffentliche Erscheinung bereiteten, einen Unfug ?ber den andern. Bald stritten sie mit dem Wirte, bald unter sich selbst; und wenn ihr Zank unleidlich war, so waren die ?usserungen ihres Vergn?gens ganz und gar unertr?glich. Unschl?ssig, ob er gehen oder bleiben sollte, stand er unter dem Tore und sah den Arbeitern zu, die auf dem Platze ein Ger?st aufzuschlagen anfingen.

Ein M?dchen, das Rosen und andere Blumen herumtrug, bot ihm ihren Korb dar, und er kaufte sich einen sch?nen Strauss, den er mit Liebhaberei anders band und mit Zufriedenheit betrachtete, als das Fenster eines an der Seite des Platzes stehenden andern Gasthauses sich auftat und ein wohlgebildetes Frauenzimmer sich an demselben zeigte. Er konnte ungeachtet der Entfernung bemerken, dass eine angenehme Heiterkeit ihr Gesicht belebte. Ihre blonden Haare fielen nachl?ssig aufgel?st um ihren Nacken; sie schien sich nach dem Fremden umzusehen. Einige Zeit darauf trat ein Knabe, der eine Frisiersch?rze umgeg?rtet und ein weisses J?ckchen anhatte, aus der T?re jenes Hauses, ging auf Wilhelmen zu, begr?sste ihn und sagte: "Das Frauenzimmer am Fenster l?sst Sie fragen, ob Sie ihr nicht einen Teil der sch?nen Blumen abtreten wollen?"--"Sie stehn ihr alle zu Diensten", versetzte Wilhelm, indem er dem leichten Boten das Bouquet ?berreichte und zugleich der Sch?nen ein Kompliment machte, welches sie mit einem freundlichen Gegengruss erwiderte und sich vom Fenster zur?ckzog.

Nachdenkend ?ber dieses artige Abenteuer ging er nach seinem Zimmer die Treppe hinauf, als ein junges Gesch?pf ihm entgegensprang, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein kurzes seidnes Westchen mit geschlitzten spanischen ?rmeln, knappe lange Beinkleider mit Puffen standen dem Kinde gar artig. Lange schwarze Haare waren in Locken und Z?pfen um den Kopf gekr?uselt und gewunden. Er sah die Gestalt mit Verwunderung an und konnte nicht mit sich einig werden, ob er sie f?r einen Knaben oder f?r ein M?dchen erkl?ren sollte. Doch entschied er sich bald f?r das letzte und hielt sie auf, da sie bei ihm vorbeikam, bot ihr einen guten Tag und fragte sie, wem sie angeh?re, ob er schon leicht sehen konnte, dass sie ein Glied der springenden und tanzenden Gesellschaft sein m?sse. Mit einem scharfen schwarzen Seitenblick sah sie ihn an, indem sie sich von ihm losmachte und in die K?che lief, ohne zu antworten.

Als er die Treppe hinaufkam, fand er auf dem weiten Vorsaale zwei Mannspersonen, die sich im Fechten ?bten oder vielmehr ihre Geschicklichkeit aneinander zu versuchen schienen. Der eine war offenbar von der Gesellschaft, die sich im Hause befand, der andere hatte ein weniger wildes Ansehn. Wilhelm sah ihnen zu und hatte Ursache, sie beide zu bewundern, und als nicht lange darauf der schwarzb?rtige, nervige Streiter den Kampfplatz verliess, bot der andere mit vieler Artigkeit Wilhelmen das Rapier an.

"Wenn Sie einen Sch?ler", versetzte dieser, "in die Lehre nehmen wollen, so bin ich wohl zufrieden, mit Ihnen einige G?nge zu wagen." Sie fochten zusammen, und obgleich der Fremde dem Ank?mmling weit ?berlegen war, so war er doch h?flich genug zu versichern, dass alles nur auf ?bung ankomme; und wirklich hatte Wilhelm auch gezeigt, dass er fr?her von einem guten und gr?ndlichen deutschen Fechtmeister unterrichtet worden war.

Ihre Unterhaltung ward durch das Get?se unterbrochen, mit welchem die bunte Gesellschaft aus dem Wirtshause auszog, um die Stadt von ihrem Schauspiel zu benachrichtigen und auf ihre K?nste begierig zu machen. Einem Tambour folgte der Entrepreneur zu Pferde, hinter ihm eine T?nzerin auf einem ?hnlichen Gerippe, die ein Kind vor sich hielt, das mit B?ndern und Flintern wohl herausgeputzt war. Darauf kam die ?brige Truppe zu Fuss, wovon einige auf ihren Schultern Kinder, in abenteuerlichen Stellungen, leicht und bequem dahertrugen, unter denen die junge, schwarzk?pfige, d?stere Gestalt Wilhelms Aufmerksamkeit aufs neue erregte.

Pagliasso lief unter der andringenden Menge drollig hin und her und teilte mit sehr begreiflichen Sp?ssen, indem er bald ein M?dchen k?sste, bald einen Knaben pritschte, seine Zettel aus und erweckte unter dem Volke eine un?berwindliche Begierde, ihn n?her kennenzulernen.

In den gedruckten Anzeigen waren die mannigfaltigen K?nste der Gesellschaft, besonders eines Monsieur Narziss und der Demoiselle Landrinette herausgestrichen, welche beide als Hauptpersonen die Klugheit gehabt hatten, sich von dem Zuge zu enthalten, sich dadurch ein vornehmeres Ansehn zu geben und gr?ssere Neugier zu erwecken.

W?hrend des Zuges hatte sich auch die sch?ne Nachbarin wieder am Fenster sehen lassen, und Wilhelm hatte nicht verfehlt, sich bei seinem Gesellschafter nach ihr zu erkundigen. Dieser, den wir einstweilen Laertes nennen wollen, erbot sich, Wilhelmen zu ihr hin?ber zu begleiten. "Ich und das Frauenzimmer", sagte er l?chelnd, "sind ein paar Tr?mmer einer Schauspielergesellschaft, die vor kurzem hier scheiterte. Die Anmut des Orts hat uns bewogen, einige Zeit hier zu bleiben und unsre wenige gesammelte Barschaft in Ruhe zu verzehren, indes ein Freund ausgezogen ist, ein Unterkommen f?r sich und uns zu suchen."

Laertes begleitete sogleich seinen neuen Bekannten zu Philinens T?re, wo er ihn einen Augenblick stehenliess, um in einem benachbarten Laden Zuckerwerk zu holen. "Sie werden mir es gewiss danken", sagte er, indem er zur?ckkam, "dass ich Ihnen diese artige Bekanntschaft verschaffe."

Das Frauenzimmer kam ihnen auf ein Paar leichten Pant?ffelchen mit hohen Abs?tzen aus der Stube entgegengetreten. Sie hatte eine schwarze Mantille ?ber ein weisses Neglige geworfen, das, eben weil es nicht ganz reinlich war, ihr ein h?usliches und bequemes Ansehn gab; ihr kurzes R?ckchen liess die niedlichsten F?sse von der Welt sehen.

"Sein Sie mir willkommen!" rief sie Wilhelmen zu, "und nehmen Sie meinen Dank f?r die sch?nen Blumen." Sie f?hrte ihn mit der einen Hand ins Zimmer, indem sie mit der andern den Strauss an die Brust dr?ckte. Als sie sich niedergesetzt hatten und in gleichg?ltigen Gespr?chen begriffen waren, denen sie eine reizende Wendung zu geben wusste, sch?ttete ihr Laertes gebrannte Mandeln in den Schoss, von denen sie sogleich zu naschen anfing. "Sehn Sie, welch ein Kind dieser junge Mensch ist!" rief sie aus, "er wird Sie ?berreden wollen, dass ich eine grosse Freundin von solchen N?schereien sei, und er ist's, der nicht leben kann, ohne irgend etwas Leckeres zu geniessen."

"Lassen Sie uns nur gestehn", versetzte Laertes, "dass wir hierin, wie in mehrerem, einander gern Gesellschaft leisten. Zum Beispiel", sagte er, "es ist heute ein sehr sch?ner Tag; ich d?chte, wir f?hren spazieren und n?hmen unser Mittagsmahl auf der M?hle."--"Recht gern", sagte Philine, "wir m?ssen unserm neuen Bekannten eine kleine Ver?nderung machen." Laertes sprang fort, denn er ging niemals, und Wilhelm wollte einen Augenblick nach Hause, um seine Haare, die von der Reise noch verworren aussahen, in Ordnung bringen zu lassen. "Das k?nnen Sie hier!" sagte sie, rief ihren kleinen Diener, n?tigte Wilhelmen auf die artigste Weise, seinen Rock auszuziehen, ihren Pudermantel anzulegen und sich in ihrer Gegenwart frisieren zu lassen. "Man muss ja keine Zeit vers?umen", sagte sie; "man weiss nicht, wie lange man beisammen bleibt."

Der Knabe, mehr trotzig und unwillig als ungeschickt, benahm sich nicht zum besten, raufte Wilhelmen und schien so bald nicht fertig werden zu wollen. Philine verwies ihm einigemal seine Unart, stiess ihn endlich ungeduldig hinweg und jagte ihn zur T?re hinaus. Nun ?bernahm sie selbst die Bem?hung und kr?uselte die Haare unsers Freundes mit grosser Leichtigkeit und Zierlichkeit, ob sie gleich auch nicht zu eilen schien und bald dieses, bald jenes an ihrer Arbeit auszusetzen hatte, indem sie nicht vermeiden konnte, mit ihren Knien die seinigen zu ber?hren und Strauss und Busen so nahe an seine Lippen zu bringen, dass er mehr als einmal in Versuchung gesetzt ward, einen Kuss darauf zu dr?cken.

Als Wilhelm mit einem kleinen Pudermesser seine Stirne gereinigt hatte, sagte sie zu ihm: "Stecken Sie es ein, und gedenken Sie meiner dabei." Es war ein artiges Messer; der Griff von eingelegtem Stahl zeigte die freundlichen Worte: "Gedenkt mein". Wilhelm steckte es zu sich, dankte ihr und bat um die Erlaubnis, ihr ein kleines Gegengeschenk machen zu d?rfen.

Nun war man fertig geworden. Laertes hatte die Kutsche gebracht, und nun begann eine sehr lustige Fahrt. Philine warf jedem Armen, der sie anbettelte, etwas zum Schlage hinaus, indem sie ihm zugleich ein munteres und freundliches Wort zurief.

Sie waren kaum auf der M?hle angekommen und hatten ein Essen bestellt, als eine Musik vor dem Hause sich h?ren liess. Es waren Bergleute, die zu Zither und Triangel mit lebhaften und grellen Stimmen verschiedene artige Lieder vortrugen. Es dauerte nicht lange, so hatte eine herbeistr?mende Menge einen Kreis um sie geschlossen, und die Gesellschaft nickte ihnen ihren Beifall aus den Fenstern zu. Als sie diese Aufmerksamkeit gesehen, erweiterten sie ihren Kreis und schienen sich zu ihrem wichtigsten St?ckchen vorzubereiten. Nach einer Pause trat ein Bergmann mit einer Hacke hervor und stellte, indes die andern eine ernsthafte Melodie spielten, die Handlung des Sch?rfens vor.

Es w?hrte nicht lange, so trat ein Bauer aus der Menge und gab jenem pantomimisch drohend zu verstehen, dass er sich von hier hinwegbegeben solle. Die Gesellschaft war dar?ber verwundert und erkannte erst den in einen Bauer verkleideten Bergmann, als er den Mund auftat und in einer Art von Rezitativ den andern schalt, dass er wage, auf seinem Acker zu hantieren. Jener kam nicht aus der Fassung, sondern fing an, den Landmann zu belehren, dass er recht habe, hier einzuschlagen, und gab ihm dabei die ersten Begriffe vom Bergbau. Der Bauer, der die fremde Terminologie nicht verstand, tat allerlei alberne Fragen, wor?ber die Zuschauer, die sich kl?ger f?hlten, ein herzliches Gel?chter aufschlugen. Der Bergmann suchte ihn zu berichten und bewies ihm den Vorteil, der zuletzt auch auf ihn fliesse, wenn die unterirdischen Sch?tze des Landes herausgew?hlt w?rden. Der Bauer, der jenem zuerst mit Schl?gen gedroht hatte, liess sich nach und nach bes?nftigen, und sie schieden als gute Freunde voneinander; besonders aber zog sich der Bergmann auf die honorabelste Art aus diesem Streite.

"Wir haben", sagte Wilhelm bei Tische, "an diesem kleinen Dialog das lebhafteste Beispiel, wie n?tzlich allen St?nden das Theater sein k?nnte, wie vielen Vorteil der Staat selbst daraus ziehen m?sste, wenn man die Handlungen, Gewerbe und Unternehmungen der Menschen von ihrer guten, lobensw?rdigen Seite und in dem Gesichtspunkte auf das Theater br?chte, aus welchem sie der Staat selbst ehren und sch?tzen muss. Jetzt stellen wir nur die l?cherliche Seite der Menschen dar; der Lustspieldichter ist gleichsam nur ein h?mischer Kontrolleur, der auf die Fehler seiner Mitb?rger ?berall ein wachsames Auge hat und froh zu sein scheint, wenn er ihnen eins anh?ngen kann. Sollte es nicht eine angenehme und w?rdige Arbeit f?r einen Staatsmann sein, den nat?rlichen, wechselseitigen Einfluss aller St?nde zu ?berschauen und einen Dichter, der Humor genug h?tte, bei seinen Arbeiten zu leiten? Ich bin ?berzeugt, es k?nnten auf diesem Wege manche sehr unterhaltende, zugleich n?tzliche und lustige St?cke ersonnen werden."

"Soviel ich", sagte Laertes, "?berall, wo ich herumgeschw?rmt bin, habe bemerken k?nnen, weiss man nur zu verbieten, zu hindern und abzulehnen; selten aber zu gebieten, zu bef?rdern und zu belohnen. Man l?sst alles in der Welt gehn, bis es sch?dlich wird; dann z?rnt man und schl?gt drein."

"Lasst mit den Staat und die Staatsleute weg", sagte Philine, "ich kann mir sie nicht anders als in Per?cken vorstellen, und eine Per?cke, es mag sie aufhaben, wer da will, erregt in meinen Fingern eine krampfhafte Bewegung; ich m?chte sie gleich dem ehrw?rdigen Herrn herunternehmen, in der Stube herumspringen und den Kahlkopf auslachen."

Mit einigen lebhaften Ges?ngen, welche sie sehr sch?n vortrug, schnitt Philine das Gespr?ch ab und trieb zu einer schnellen R?ckfahrt, damit man die K?nste der Seilt?nzer am Abende zu sehen nicht vers?umen m?chte. Drollig bis zur Ausgelassenheit, setzte sie ihre Freigebigkeit gegen die Armen auf dem Heimwege fort, indem sie zuletzt, da ihr und ihren Reisegef?hrten das Geld ausging, einem M?dchen ihren Strohhut und einem alten Weibe ihr Halstuch zum Schlage hinauswarf.

Philine lud beide Begleiter zu sich in ihre Wohnung, weil man, wie sie sagte, aus ihren Fenstern das ?ffentliche Schauspiel besser als im andern Wirtshause sehen k?nne.

Als sie ankamen, fanden sie das Ger?st aufgeschlagen und den Hintergrund mit aufgeh?ngten Teppichen geziert. Die Schwungbretter waren schon gelegt, das Schlappseil an die Pfosten befestigt und das straffe Seil ?ber die B?cke gezogen. Der Platz war ziemlich mit Volk gef?llt und die Fenster mit Zuschauern einiger Art besetzt.

Pagliass bereitete erst die Versammlung mit einigen Albernheiten, wor?ber die Zuschauer immer zu lachen pflegen, zur Aufmerksamkeit und guten Laune vor. Einige Kinder, deren K?rper die seltsamsten Verrenkungen darstellten, erregten bald Verwunderung, bald Grausen, und Wilhelm konnte sich des tiefen Mitleidens nicht enthalten, als er das Kind, an dem er beim ersten Anblicke teilgenommen, mit einiger M?he die sonderbaren Stellungen hervorbringen sah. Doch bald erregten die lustigen Springer ein lebhaftes Vergn?gen, wenn sie erst einzeln, dann hintereinander und zuletzt alle zusammen sich vorw?rts und r?ckw?rts in der Luft ?berschlugen. Ein lautes H?ndeklatschen und Jauchzen erscholl aus der ganzen Versammlung.

Nun aber ward die Aufmerksamkeit auf einen ganz andern Gegenstand gewendet. Die Kinder, eins nach dem andern, mussten das Seil betreten, und zwar die Lehrlinge zuerst, damit sie durch ihre ?bungen das Schauspiel verl?ngerten und die Schwierigkeit der Kunst ins Licht setzten. Es zeigten sich auch einige M?nner und erwachsene Frauenspersonen mit ziemlicher Geschicklichkeit; allein es war noch nicht Monsieur Narziss, noch nicht Demoiselle Landrinette.

Endlich traten auch diese aus einer Art von Zelt hinter aufgespannten roten Vorh?ngen hervor und erf?llten durch ihre angenehme Gestalt und zierlichen Putz die bisher gl?cklich gen?hrte Hoffnung der Zuschauer. Er ein munteres B?rschchen von mittlerer Gr?sse, schwarzen Augen und einem starken Haarzopf; sie nicht minder wohl und kr?ftig gebildet; beide zeigten sich nacheinander auf dem Seile mit leichten Bewegungen, Spr?ngen und seltsamen Posituren. Ihre Leichtigkeit, seine Verwegenheit, die Genauigkeit, womit beide ihre Kunstst?cke ausf?hrten, erh?hten mit jedem Schritt und Sprung das allgemeine Vergn?gen. Der Anstand, womit sie sich betrugen, die anscheinenden Bem?hungen der andern um sie gaben ihnen das Ansehn, als wenn sie Herr und Meister der ganzen Truppe w?ren, und jedermann hielt sie des Ranges wert.

Die Begeisterung des Volks teilte sich den Zuschauern an den Fenstern mit, die Damen sahen unverwandt nach Narzissen, die Herren nach Landrinetten. Das Volk jauchzte, und das feinere Publikum enthielt sich nicht des Klatschens; kaum dass man noch ?ber Pagliassen lachte. Wenige nur schlichen sich weg, als einige von der Truppe, um Geld zu sammeln, sich mit zinnernen Tellern durch die Menge dr?ngten.

"Sie haben ihre Sache, d?nkt mich, gut gemacht", sagte Wilhelm zu Philinen, die bei ihm am Fenster lag, "ich bewundere ihren Verstand, womit sie auch geringe Kunstst?ckchen, nach und nach und zur rechten Zeit angebracht, gelten zu machen wussten, und wie sie aus der Ungeschicklichkeit ihrer Kinder und aus der Virtuosit?t ihrer Besten ein Ganzes zusammenarbeiteten, das erst unsre Aufmerksamkeit erregte und dann uns auf das angenehmste unterhielt."

Das Volk hatte sich nach und nach verlaufen, und der Platz war leer geworden, indes Philine und Laertes ?ber die Gestalt und die Geschicklichkeit Narzissens und Landrinettens in Streit gerieten und sich wechselsweise neckten. Wilhelm sah das wunderbare Kind auf der Strasse bei andern spielenden Kindern stehen, machte Philinen darauf aufmerksam, die sogleich nach ihrer lebhaften Art dem Kinde rief und winkte und, da es nicht kommen wollte, singend die Treppe hinunterklapperte und es herauff?hrte.

"Hier ist das R?tsel", rief sie, als sie das Kind zur T?re hereinzog. Es blieb am Eingange stehen, eben als wenn es gleich wieder hinausschl?pfen wollte, legte die rechte Hand vor die Brust, die linke vor die Stirn und b?ckte sich tief. "F?rchte dich nicht, liebe Kleine", sagte Wilhelm, indem er auf sie losging. Sie sah ihn mit unsicheren Blick an und trat einige Schritte n?her.

"Wie nennest du dich?" fragte er. "Sie heissen mich Mignon."--"Wieviel Jahre hast du?"--"Es hat sie niemand gez?hlt."--"Wer war dein Vater?"--"Der grosse Teufel ist tot."

"Nun, das ist wunderlich genug!" rief Philine aus. Man fragte sie noch einiges; sie brachte ihre Antworten in einem gebrochenen Deutsch und mit einer sonderbar feierlichen Art vor; dabei legte sie jedesmal die H?nde an Brust und Haupt und neigte sich tief.

Wilhelm konnte sie nicht genug ansehen. Seine Augen und sein Herz wurden unwiderstehlich von dem geheimnisvollen Zustande dieses Wesens angezogen. Er sch?tzte sie zw?lf bis dreizehn Jahre; ihr K?rper war gut gebaut, nur dass ihre Glieder einen st?rkern Wuchs versprachen oder einen zur?ckgehaltenen ank?ndigten. Ihre Bildung war nicht regelm?ssig, aber auffallend; ihre Stirne geheimnisvoll, ihre Nase ausserordentlich sch?n, und der Mund, ob er schon f?r ihr Alter zu sehr geschlossen schien und sie manchmal mit den Lippen nach einer Seite zuckte, noch immer treuherzig und reizend genug. Ihre br?unliche Gesichtsfarbe konnte man durch die Schminke kaum erkennen. Diese Gestalt pr?gte sich Wilhelmen sehr tief ein; er sah sie noch immer an, schwieg und vergass der Gegenw?rtigen ?ber seinen Betrachtungen. Philine weckte ihn aus seinem Halbtraume, indem sie dem Kinde etwas ?briggebliebenes Zuckerwerk reichte und ihm ein Zeichen gab, sich zu entfernen. Es machte seinen B?ckling wie oben und fuhr blitzschnell zur T?re hinaus.

Als die Zeit nunmehr herbeikam, dass unsre neuen Bekannten sich f?r diesen Abend trennen sollten, redeten sie vorher noch eine Spazierfahrt auf den morgenden Tag ab. Sie wollten abermals an einem andern Orte, auf einem benachbarten J?gerhause, ihr Mittagsmahl einnehmen. Wilhelm sprach diesen Abend noch manches zu Philinens Lobe, worauf Laertes nur kurz und leichtsinnig antwortete.

Den andern Morgen, als sie sich abermals eine Stunde im Fechten ge?bt hatten, gingen sie nach Philinens Gasthofe, vor welchem sie die bestellte Kutsche schon hatten anfahren sehen. Aber wie verwundert war Wilhelm, als die Kutsche verschwunden, und wie noch mehr, als Philine nicht zu Hause anzutreffen war. Sie hatte sich, so erz?hlte man, mit ein paar Fremden, die diesen Morgen angekommen waren, in den Wagen gesetzt und war mit ihnen davongefahren. Unser Freund, der sich in ihrer Gesellschaft eine angenehme Unterhaltung versprochen hatte, konnte seinen Verdruss nicht verbergen. Dagegen lachte Laertes und rief: "So gef?llt sie mir! Das sieht ihr ganz ?hnlich! Lassen Sie uns nur gerade nach dem Jagdhause gehen; sie mag sein, wo sie will, wir wollen ihretwegen unsere Promenade nicht vers?umen."

Als Wilhelm unterwegs diese Inkonsequenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, sagte Laertes: "Ich kann nicht inkonsequent finden, wenn jemand seinem Charakter treu bleibt. Wenn sie sich etwas vornimmt oder jemanden etwas verspricht, so geschieht es nur unter der stillschweigenden Bedingung, dass es ihr auch bequem sein werde, den Vorsatz auszuf?hren oder ihr Versprechen zu halten. Sie verschenkt gern, aber man muss immer bereit sein, ihr das Geschenkte wiederzugeben."

"Dies ist ein seltsamer Charakter", versetzte Wilhelm.

"Nichts weniger als seltsam, nur dass sie keine Heuchlerin ist. Ich liebe sie deswegen, ja ich bin ihr Freund, weil sie mir das Geschlecht so rein darstellt, das ich zu hassen so viel Ursache habe. Sie ist mir die wahre Eva, die Stammutter des weiblichen Geschlechts; so sind alle, nur wollen sie es nicht Wort haben."

Unter mancherlei Gespr?chen, in welchen Laertes seinen Hass gegen das weibliche Geschlecht sehr lebhaft ausdr?ckte, ohne jedoch die Ursache davon anzugeben, waren sie in den Wald gekommen, in welchen Wilhelm sehr verstimmt eintrat, weil die ?usserungen des Laertes ihm die Erinnerung an sein Verh?ltnis zu Marianen wieder lebendig gemacht hatten. Sie fanden nicht weit von einer beschatteten Quelle unter herrlichen alten B?umen Philinen allein an einem steinernen Tische sitzen. Sie sang ihnen ein lustiges Liedchen entgegen, und als Laertes nach ihrer Gesellschaft fragte, rief sie aus: "Ich habe sie sch?n angef?hrt; ich habe sie zum besten gehabt, wie sie es verdienten. Schon unterwegs setzte ich ihre Freigebigkeit auf die Probe, und da ich bemerkte, dass sie von den kargen N?schern waren, nahm ich mir gleich vor, sie zu bestrafen. Nach unsrer Ankunft fragten sie den Kellner, was zu haben sei, der mit der gew?hnlichen Gel?ufigkeit seiner Zunge alles, was da war, und mehr als da war, hererz?hlte. Ich sah ihre Verlegenheit, sie blickten einander an, stotterten und fragten nach dem Preise; "Was bedenken Sie sich lange", rief ich aus, "die Tafel ist das Gesch?ft eines Frauenzimmers, lassen Sie mich daf?r sorgen." Ich fing darauf an, ein unsinniges Mittagmahl zu bestellen, wozu noch manches durch Boten aus der Nachbarschaft geholt werden sollte. Der Kellner, den ich durch ein paar schiefe M?uler zum Vertrauten gemacht hatte, half mir endlich, und so haben wir sie durch die Vorstellung eines herrlichen Gastmahls dergestalt ge?ngstigt, dass sie sich kurz und gut zu einem Spaziergange in den Wald entschlossen, von dem sie wohl schwerlich zur?ckkommen werden. Ich habe eine Viertelstunde auf meine eigene Hand gelacht und werde lachen, sooft ich an die Gesichter denke." Bei Tische erinnerte sich Laertes an ?hnliche F?lle; sie kamen in den Gang, lustige Geschichten, Missverst?ndnisse und Prellereien zu erz?hlen.

Ein junger Mann von ihrer Bekanntschaft aus der Stadt kam mit einem Buche durch den Wald geschlichen, setzte sich zu ihnen und r?hmte den sch?nen Platz. Er machte sie auf das Rieseln der Quelle, auf die Bewegung der Zweige, auf die einfallenden Lichter und auf den Gesang der V?gel aufmerksam. Philine sang ein Liedchen vom Kuckuck, welches dem Ank?mmling nicht zu behagen schien; er empfahl sich bald.

"Wenn ich nur nichts mehr von Natur und Naturszenen h?ren sollte", rief Philine aus, als er weg war; "es ist nichts unertr?glicher, als sich das Vergn?gen vorrechnen zu lassen, das man geniesst. Wenn sch?n Wetter ist, geht man spazieren, wie man tanzt wenn aufgespielt wird. Wer mag aber nur einen Augenblick an die Musik, wer ans sch?ne Wetter denken? Der T?nzer interessiert uns, nicht die Violine, und in ein Paar sch?ne schwarze Augen zu sehen, tut einem Paar blauen Augen gar zu wohl. Was sollen dagegen Quellen und Brunnen und alte, morsche Linden!" Sie sah, indem sie so sprach, Wilhelmen, der ihr gegen?ber sass, mit einem Blick in die Augen, dem er nicht wehren konnte, wenigstens bis an die T?re seines Herzens vorzudringen.

"Sie haben recht", versetzte er mit einiger Verlegenheit, "der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste und sollte ihn vielleicht ganz allein interessieren. Alles andere, was uns umgibt, ist entweder nur Element, in dem wir leben, oder Werkzeug, dessen wir uns bedienen. Je mehr wir uns dabei aufhalten, je mehr wir darauf merken und teil daran nehmen, desto schw?cher wird das Gef?hl unsers eignen Wertes und das Gef?hl der Gesellschaft. Die Menschen, die einen grossen Wert auf G?rten, Geb?ude, Kleider, Schmuck oder irgend ein Besitztum legen, sind weniger gesellig und gef?llig; sie verlieren die Menschen aus den Augen, welche zu erfreuen und zu versammeln nur sehr wenigen gl?ckt. Sehn wir es nicht auch auf dem Theater? Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, unschickliche Dekoration vergessen, dahingegen das sch?nste Theater den Mangel an guten Schauspielern erst recht f?hlbar macht."

Nach Tische setzte Philine sich in das beschattete hohe Gras. Ihre beiden Freunde mussten ihr Blumen in Menge herbeischaffen. Sie wand sich einen vollen Kranz und setzte ihn auf; sie sah unglaublich reizend aus. Die Blumen reichten noch zu einem andern hin; auch den flocht sie, indem sich beide M?nner neben sie setzten. Als er unter allerlei Scherz und Anspielungen fertig geworden war, dr?ckte sie ihn Wilhelmen mit der gr?ssten Anmut aufs Haupt und r?ckte ihn mehr als einmal anders, bis er recht zu sitzen schien. "Und ich werde, wie es scheint, leer ausgehen", sagte Laertes.

"Mitnichten", versetzte Philine. "Ihr sollt Euch keinesweges beklagen." Sie nahm ihren Kranz vom Haupte und setzte ihn Laertes auf.

"W?ren wir Nebenbuhler", sagte dieser, "so w?rden wir sehr heftig streiten k?nnen, welchen von beiden du am meisten beg?nstigst."

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