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Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 3 by Goethe Johann Wolfgang Von

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Ebook has 250 lines and 20409 words, and 5 pages

?ber Wilhelmen sprach Melina den Baron im Vorbeigehen und versicherte, dass er sich sehr gut zum Theaterdichter qualifiziere und zum Schauspieler selbst keine ?blen Anlagen habe. Der Baron machte sogleich mit ihm als einem Kollegen Bekanntschaft, und Wilhelm produzierte einige kleine St?cke, die nebst wenigen Reliquien an jenem Tage, als er den gr?ssten Teil seiner Arbeiten in Feuer aufgehen liess, durch einen Zufall gerettet wurden. Der Baron lobte sowohl die St?cke als den Vortrag, nahm als bekannt an, dass er mit hin?ber auf das Schloss kommen w?rde, versprach bei seinem Abschiede allen die beste Aufnahme, bequeme Wohnung, gutes Essen, Beifall und Geschenke, und Melina setzte noch die Versicherung eines bestimmten Taschengeldes hinzu.

Man kann denken, in welche gute Stimmung durch diesen Besuch die Gesellschaft gesetzt war, indem sie statt eines ?ngstlichen und niedrigen Zustandes auf einmal Ehre und Behagen vor sich sah. Sie machten sich schon zum voraus auf jene Rechnung lustig, und jedes hielt f?r unschicklich, nur noch irgendeinen Groschen Geld in der Tasche zu behalten.

Wilhelm ging indessen mit sich zu Rate, ob er die Gesellschaft auf das Schloss begleiten solle, und fand in mehr als einem Sinne r?tlich, dahin zu gehen. Melina hoffte, bei diesem vorteilhaften Engagement seine Schuld wenigstens zum Teil abtragen zu k?nnen, und unser Freund, der auf Menschenkenntnis ausging, wollte die Gelegenheit nicht vers?umen, die grosse Welt n?her kennenzulernen, in der er viele Aufschl?sse ?ber das Leben, ?ber sich selbst und die Kunst zu erlangen hoffte. Dabei durfte er sich nicht gestehen, wie sehr er w?nsche, der sch?nen Gr?fin wieder n?her zu kommen. Er suchte sich vielmehr im allgemeinen zu ?berzeugen, welchen grossen Vorteil ihm die n?here Kenntnis der vornehmen und reichen Welt bringen w?rde. Er machte seine Betrachtungen ?ber den Grafen, die Gr?fin, den Baron, ?ber die Sicherheit, Bequemlichkeit und Anmut ihres Betragens und rief, als er allein war, mit Entz?cken aus:

"Dreimal gl?cklich sind diejenigen zu preisen, die ihre Geburt sogleich ?ber die untern Stufen der Menschheit hinaushebt; die durch jene Verh?ltnisse, in welchen sich manche gute Menschen die ganze Zeit ihres Lebens ab?ngstigen, nicht durchzugehen, auch nicht einmal darin als G?ste zu verweilen brauchen. Allgemein und richtig muss ihr Blick auf dem h?heren Standpunkte werden, leicht ein jeder Schritt ihres Lebens! Sie sind von Geburt an gleichsam in ein Schiff gesetzt, um bei der ?berfahrt, die wir alle machen m?ssen, sich des g?nstigen Windes zu bedienen und den widrigen abzuwarten, anstatt dass andere nur f?r ihre Person schwimmend sich abarbeiten, vom g?nstigen Winde wenig Vorteil geniessen und im Sturme mit bald ersch?pften Kr?ften untergehen. Welche Bequemlichkeit, welche Leichtigkeit gibt ein angebornes Verm?gen! und wie sicher bl?het ein Handel, der auf ein gutes Kapital gegr?ndet ist, so dass nicht jeder misslungene Versuch sogleich in Unt?tigkeit versetzt! Wer kann den Wert und Unwert irdischer Dinge besser kennen, als der sie zu geniessen von Jugend auf im Falle war, und wer kann seinen Geist fr?her auf das Notwendige, das N?tzliche, das Wahre leiten, als der sich von so vielen Irrt?mern in einem Alter ?berzeugen muss, wo es ihm noch an Kr?ften nicht gebricht, ein neues Leben anzufangen!"

So rief unser Freund allen denenjenigen Gl?ck zu, die sich in den h?heren Regionen befinden; aber auch denen, die sich einem solchen Kreise n?hern, aus diesen Quellen sch?pfen k?nnen, und pries seinen Genius, der Anstalt machte, auch ihn diese Stufen hinanzuf?hren.

Indessen musste Melina, nachdem er lange sich den Kopf zerbrochen, wie er nach dem Verlangen des Grafen und nach seiner eigenen ?berzeugung die Gesellschaft in F?cher einteilen und einem jeden seine bestimmte Mitwirkung ?bertragen wollte, zuletzt, da es an die Ausf?hrung kam, sehr zufrieden sein, wenn er bei einem so geringen Personal die Schauspieler willig fand, sich nach M?glichkeit in diese oder jene Rollen zu schicken. Doch ?bernahm gew?hnlich Laertes die Liebhaber, Philine die Kammerm?dchen, die beiden jungen Frauenzimmer teilten sich in die naiven und z?rtlichen Liebhaberinnen, der alte Polterer ward am besten gespielt. Melina selbst glaubte als Chevalier auftreten zu d?rfen, Madame Melina musste zu ihrem gr?ssten Verdruss in das Fach der jungen Frauen, ja sogar der z?rtlichen M?tter ?bergehen, und weil in den neuern St?cken nicht leicht mehr ein Pedant oder Poet, wenn er auch vorkommen sollte, l?cherlich gemacht wird, so musste der bekannte G?nstling des Grafen nunmehr die Pr?sidenten und Minister spielen, weil diese gew?hnlich als B?sewichter vorgestellt und im f?nften Akte ?bel behandelt werden. Ebenso steckte Melina mit Vergn?gen als Kammerjunker oder Kammerherr die Grobheiten ein, welche ihm von biedern deutschen M?nnern hergebrachtermassen in mehreren beliebten St?cken aufgedrungen wurden, weil er sich doch bei dieser Gelegenheit artig herausputzen konnte und das Air eines Hofmannes, das er vollkommen zu besitzen glaubte, anzunehmen die Erlaubnis hatte.

Es dauerte nicht lange, so kamen von verschiedenen Gegenden mehrere Schauspieler herbeigeflossen, welche ohne sonderliche Pr?fung angenommen, aber auch ohne sonderliche Bedingungen festgehalten wurden.

Wilhelm, den Melina vergebens einigemal zu einer Liebhaberrolle zu bereden suchte, nahm sich der Sache mit vielem guten Willen an, ohne dass unser neuer Direktor seine Bem?hungen im mindesten anerkannte; vielmehr glaubte dieser mit seiner W?rde auch alle n?tige Einsicht ?berkommen zu haben; besonders war das Streichen eine seiner angenehmsten Besch?ftigungen, wodurch er ein jedes St?ck auf das geh?rige Zeitmass herunterzusetzen wusste, ohne irgendeine andere R?cksicht zu nehmen. Er hatte viel Zuspruch, das Publikum war sehr zufrieden, und die geschmackvollsten Einwohner des St?dtchens behaupteten, dass das Theater in der Residenz keinesweges so gut als das ihre bestellt sei.

Drittes Kapitel

Endlich kam die Zeit herbei, dass man sich zur ?berfahrt schicken, die Kutschen und Wagen erwarten sollte, die unsere Truppe nach dem Schlosse des Grafen hin?berzuf?hren bestellt waren. Schon zum voraus fielen grosse Streitigkeiten vor, wer mit dem andern fahren, wie man sitzen sollte. Die Ordnung und Einteilung ward endlich nur mit M?he ausgemacht und festgesetzt, doch leider ohne Wirkung. Zur bestimmten Stunde kamen weniger Wagen, als man erwartet hatte, und man musste sich einrichten. Der Baron, der zu Pferde nicht lange hintendrein folgte, gab zur Ursache an, dass im Schlosse alles in grosser Bewegung sei, weil nicht allein der F?rst einige Tage fr?her eintreffen werde, als man geglaubt, sondern weil auch unerwarteter Besuch schon gegenw?rtig angelangt sei; der Platz gehe sehr zusammen, sie w?rden auch deswegen nicht so gut logieren, als man es ihnen vorher bestimmt habe, welches ihm ausserordentlich leid tue.

Man teilte sich in die Wagen, so gut es gehen wollte, und da leidlich Wetter und das Schloss nur einige Stunden entfernt war, machten sich die Lustigsten lieber zu Fusse auf den Weg, als dass sie die R?ckkehr der Kutschen h?tten abwarten sollen. Die Karawane zog mit Freudengeschrei aus, zum erstenmal ohne Sorgen, wie der Wirt zu bezahlen sei. Das Schloss des Grafen stand ihnen wie ein Feengeb?ude vor der Seele, sie waren die gl?cklichsten und fr?hlichsten Menschen von der Welt, und jeder kn?pfte unterwegs an diesen Tag, nach seiner Art zu denken, eine Reihe von Gl?ck, Ehre und Wohlstand.

Ein starker Regen, der unerwartet einfiel, konnte sie nicht aus diesen angenehmen Empfindungen reissen; da er aber immer anhaltender und st?rker wurde, sp?rten viele von ihnen eine ziemliche Unbequemlichkeit. Die Nacht kam herbei, und erw?nschter konnte ihnen nichts erscheinen als der durch alle Stockwerke erleuchtete Palast des Grafen, der ihnen von einem H?gel entgegengl?nzte, so dass sie die Fenster z?hlen konnten.

Als sie n?her kamen, fanden sie auch alle Fenster der Seitengeb?ude erhellet. Ein jeder dachte bei sich, welches wohl sein Zimmer werden m?chte, und die meisten begn?gten sich bescheiden mit einer Stube in der Mansarde oder den Fl?geln.

Nun fuhren sie durch das Dorf und am Wirtshause vorbei. Wilhelm liess halten, um dort abzusteigen; allein der Wirt versicherte, dass er ihm nicht den geringsten Raum anweisen k?nne. Der Herr Graf habe, weil unvermutete G?ste angekommen, sogleich das ganze Wirtshaus besprochen, an allen Zimmern stehe schon seit gestern mit Kreide deutlich angeschrieben, wer darin wohnen solle. Wider seinen Willen musste also unser Freund mit der ?brigen Gesellschaft zum Schlosshofe hineinfahren.

Um die K?chenfeuer in einem Seitengeb?ude sahen sie gesch?ftige K?che sich hin und her bewegen und waren durch diesen Anblick schon erquickt; eilig kamen Bediente mit Lichtern auf die Treppe des Hauptgeb?udes gesprungen, und das Herz der guten Wanderer quoll ?ber diesen Aussichten auf. Wie sehr verwunderten sie sich dagegen, als sich dieser Empfang in ein entsetzliches Fluchen aufl?ste. Die Bedienten schimpften auf die Fuhrleute, dass sie hier hereingefahren seien; sie sollten umwenden, rief man, und wieder hinaus nach dem alten Schlosse zu, hier sei kein Raum f?r diese G?ste! Einem so unfreundlichen und unerwarteten Bescheide f?gten sie noch allerlei Sp?ttereien hinzu und lachten sich untereinander aus, dass sie durch diesen Irrtum in den Regen gesprengt worden. Es goss noch immer, keine Sterne standen am Himmel, und nun wurde die Gesellschaft durch einen holperichten Weg zwischen zwei Mauern in das alte, hintere Schloss gezogen, welches unbewohnt dastand, seit der Vater des Grafen das vordere gebaut hatte. Teils im Hofe, teils unter einem langen, gew?lbten Torwege hielten die Wagen still, und die Fuhrleute, Anspanner aus dem Dorfe, spannten aus und ritten ihrer Wege.

Da niemand zum Empfange der Gesellschaft sich zeigte, stiegen sie aus, riefen, suchten, vergebens! Alles blieb finster und stille. Der Wind blies durch das hohe Tor, und grauerlich waren die alten T?rme und H?fe, wovon sie kaum die Gestalten in der Finsternis unterschieden. Sie froren und schauerten, die Frauen f?rchteten sich, die Kinder fingen an zu weinen, ihre Ungeduld vermehrte sich mit jedem Augenblicke, und ein so schneller Gl?ckswechsel, auf den niemand vorbereitet war, brachte sie alle ganz und gar aus der Fassung.

Da sie jeden Augenblick erwarteten, dass jemand kommen und ihnen aufschliessen werde, da bald Regen, bald Sturm sie t?uschte und sie mehr als einmal den Tritt des erw?nschten Schlossvogts zu h?ren glaubten, blieben sie eine lange Zeit unmutig und unt?tig, es fiel keinem ein, in das neue Schloss zu gehen und dort mitleidige Seelen um H?lfe anzurufen. Sie konnten nicht begreifen, wo ihr Freund, der Baron, geblieben sei, und waren in einer h?chst beschwerlichen Lage.

Endlich kamen wirklich Menschen an, und man erkannte an ihren Stimmen jene Fussg?nger, die auf dem Wege hinter den Fahrenden zur?ckgeblieben waren. Sie erz?hlten, dass der Baron mit dem Pferde gest?rzt sei, sich am Fusse stark besch?digt habe und dass man auch sie, da sie im Schlosse nachgefragt, mit Ungest?m hieher gewiesen habe.

Die ganze Gesellschaft war in der gr?ssten Verlegenheit; man ratschlagte, was man tun sollte, und konnte keinen Entschluss fassen. Endlich sah man von weitem eine Laterne kommen und holte frischen Atem; allein die Hoffnung einer baldigen Erl?sung verschwand auch wieder, indem die Erscheinung n?her kam und deutlich ward. Ein Reitknecht leuchtete dem bekannten Stallmeister des Grafen vor, und dieser erkundigte sich, als er n?her kam, sehr eifrig nach Mademoiselle Philinen. Sie war kaum aus dem ?brigen Haufen hervorgetreten, als er ihr sehr dringend anbot, sie in das neue Schloss zu f?hren, wo ein Pl?tzchen f?r sie bei den Kammerjungfern der Gr?fin bereitet sei. Sie besann sich nicht lange, das Anerbieten dankbar zu ergreifen, fasste ihn bei dem Arme und wollte, da sie den andern ihren Koffer empfohlen, mit ihm forteilen; allein man trat ihnen in den Weg, fragte, bat, beschwor den Stallmeister, dass er endlich, um nur mit seiner Sch?nen loszukommen, alles versprach und versicherte, in kurzem solle das Schloss er?ffnet und sie auf das beste einquartiert werden. Bald darauf sahen sie den Schein seiner Laterne verschwinden und hofften lange vergebens auf das neue Licht, das ihnen endlich nach vielem Warten, Schelten und Schm?hen erschien und sie mit einigem Troste und Hoffnung belebte.

Ein alter Hausknecht er?ffnete die T?re des alten Geb?udes, in das sie mit Gewalt eindrangen. Ein jeder sorgte nun f?r seine Sachen, sie abzupacken, sie hereinzuschaffen. Das meiste war, wie die Personen selbst, t?chtig durchweicht. Bei dem einen Lichte ging alles sehr langsam. Im Geb?ude stiess man sich, stolperte, fiel. Man bat um mehr Lichter, man bat um Feuerung. Der einsilbige Hausknecht liess mit genauer Not seine Laterne da, ging und kam nicht wieder.

Nun fing man an, das Haus zu durchsuchen; die T?ren aller Zimmer waren offen, grosse ?fen, gewirkte Tapeten, eingelegte Fussb?den waren von seiner vorigen Pracht noch ?brig, von anderm Hausger?te aber nichts zu finden, kein Tisch, kein Stuhl, kein Spiegel, kaum einige ungeheuere leere Bettstellen, alles Schmuckes und alles Notwendigen beraubt. Die nassen Koffer und Mantels?cke wurden zu Sitzen gew?hlt, ein Teil der m?den Wandrer bequemte sich auf dem Fussboden, Wilhelm hatte sich auf einige Stufen gesetzt, Mignon lag auf seinen Knien; das Kind war unruhig, und auf seine Frage, was ihm fehlte, antwortete es: "Mich hungert!" Er fand nichts bei sich, um das Verlangen des Kindes zu stillen, die ?brige Gesellschaft hatte jeden Vorrat auch aufgezehrt, und er musste die arme Kreatur ohne Erquickung lassen. Er blieb bei dem ganzen Vorfalle unt?tig, still in sich gekehrt: denn er war sehr verdriesslich und grimmig, dass er nicht auf seinem Sinne bestanden und bei dem Wirtshause abgestiegen sei, wenn er auch auf dem obersten Boden h?tte sein Lager nehmen sollen.

Die ?brigen geb?rdeten sich jeder nach seiner Art. Einige hatten einen Haufen altes Geh?lz in einen ungeheuren Kamin des Saals geschafft und z?ndeten mit grossem Jauchzen den Scheiterhaufen an. Ungl?cklicherweise ward auch diese Hoffnung, sich zu trocknen und zu w?rmen, auf das schrecklichste get?uscht, denn dieser Kamin stand nur zur Zierde da und war von oben herein vermauert; der Dampf trat schnell zur?ck und erf?llte auf einmal die Zimmer; das d?rre Holz schlug prasselnd in Flammen auf, und auch die Flamme ward herausgetrieben; der Zug, der durch die zerbrochenen Fensterscheiben drang, gab ihr eine unstete Richtung, man f?rchtete das Schloss anzuz?nden, musste das Feuer auseinanderziehen, austreten, d?mpfen, der Rauch vermehrte sich, der Zustand wurde unertr?glicher, man kam der Verzweiflung nahe.

Wilhelm war vor dem Rauch in ein entferntes Zimmer gewichen, wohin ihm bald Mignon folgte und einen wohlgekleideten Bedienten, der eine hohe, hellbrennende, doppelt erleuchtete Laterne trug, hereinf?hrte; dieser wendete sich an Wilhelmen, und indem er ihm auf einem sch?nen porzellanenen Teller Konfekt und Fr?chte ?berreichte, sagte er: "Dies schickt Ihnen das junge Frauenzimmer von dr?ben mit der Bitte, zur Gesellschaft zu kommen; sie l?sst sagen", setzte der Bediente mit einer leichtfertigen Miene hinzu, "es geht ihr sehr wohl, und sie w?nsche ihre Zufriedenheit mit ihren Freunden zu teilen."

Wilhelm erwartete nichts weniger als diesen Antrag, denn er hatte Philinen seit dem Abenteuer der steinernen Bank mit entschiedener Verachtung begegnet und war so fest entschlossen, keine Gemeinschaft mehr mit ihr zu machen, dass er im Begriff stand, die s?sse Gabe wieder zur?ckzuschicken, als ein bittender Blick Mignons ihn vermochte, sie anzunehmen und im Namen des Kindes daf?r zu danken; die Einladung schlug er ganz aus. Er bat den Bedienten, einige Sorge f?r die angekommene Gesellschaft zu haben, und erkundigte sich nach dem Baron. Dieser lag zu Bette, hatte aber schon, soviel der Bediente zu sagen wusste, einem andern Auftrag gegeben, f?r die elend Beherbergten zu sorgen.

Der Bediente ging und hinterliess Wilhelmen eins von seinen Lichtern, das dieser in Ermanglung eines Leuchters auf das Fenstergesims kleben musste und nun wenigstens bei seinen Betrachtungen die vier W?nde des Zimmers erhellt sah. Denn es w?hrte noch lange, ehe die Anstalten rege wurden, die unsere G?ste zur Ruhe bringen sollten. Nach und nach kamen Lichter, jedoch ohne Lichtputzen, dann einige St?hle, eine Stunde darauf Deckbetten, dann Kissen, alles wohl durchnetzt, und es war schon weit ?ber Mitternacht, als endlich Strohs?cke und Matratzen herbeigeschafft wurden, die, wenn man sie zuerst gehabt h?tte, h?chst willkommen gewesen w?ren.

In der Zwischenzeit war auch etwas von Essen und Trinken angelangt, das ohne viele Kritik genossen wurde, ob es gleich einem sehr unordentlichen Abhub ?hnlich sah und von der Achtung, die man f?r die G?ste hatte, kein sonderliches Zeugnis ablegte.

Viertes Kapitel

Durch die Unart und den ?bermut einiger leichtfertigen Gesellen vermehrte sich die Unruhe und das ?bel der Nacht, indem sie sich einander neckten, aufweckten und sich wechselsweise allerlei Streiche spielten. Der andere Morgen brach an, unter lauten Klagen ?ber ihren Freund, den Baron, dass er sie so get?uscht und ihnen ein ganz anderes Bild von der Ordnung und Bequemlichkeit, in die sie kommen w?rden, gemacht habe. Doch zur Verwunderung und Trost erschien in aller Fr?he der Graf selbst mit einigen Bedienten und erkundigte sich nach ihren Umst?nden. Er war sehr entr?stet, als er h?rte, wie ?bel es ihnen ergangen, und der Baron, der gef?hrt herbeihinkte, verklagte den Haushofmeister, wie befehlswidrig er sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, und glaubte ihm ein rechtes Bad angerichtet zu haben.

Der Graf befahl sogleich, dass alles in seiner Gegenwart zur m?glichsten Bequemlichkeit der G?ste geordnet werden solle. Darauf kamen einige Offiziere, die von den Aktricen sogleich Kundschaft nahmen, und der Graf liess sich die ganze Gesellschaft vorstellen, redete einen jeden bei seinem Namen an und mischte einige Scherze in die Unterredung, dass alle ?ber einen so gn?digen Herrn ganz entz?ckt waren. Endlich musste Wilhelm auch an die Reihe, an den sich Mignon anhing. Wilhelm entschuldigte sich, so gut er konnte, ?ber seine Freiheit, der Graf hingegen schien seine Gegenwart als bekannt anzunehmen.

Ein Herr, der neben dem Grafen stand, den man f?r einen Offizier hielt, ob er gleich keine Uniform anhatte, sprach besonders mit unserm Freunde und zeichnete sich vor allen andern aus. Grosse, hellblaue Augen leuchteten unter einer hohen Stirne hervor, nachl?ssig waren seine blonden Haare aufgeschlagen, und seine mittlere Statur zeigte ein sehr wackres, festes und bestimmtes Wesen. Seine Fragen waren lebhaft, und er schien sich auf alles zu verstehen, wonach er fragte.

Wilhelm erkundigte sich nach diesem Manne bei dem Baron, der aber nicht viel Gutes von ihm zu sagen wusste. Er habe den Charakter als Major, sei eigentlich der G?nstling des Prinzen, versehe dessen geheimste Gesch?fte und werde f?r dessen rechten Arm gehalten, ja man habe Ursache zu glauben, er sei sein nat?rlicher Sohn. In Frankreich, England, Italien sei er mit Gesandtschaften gewesen, er werde ?berall sehr distinguiert, und das mache ihn einbildisch; er w?hne, die deutsche Literatur aus dem Grunde zu kennen, und erlaube sich allerlei schale Sp?ttereien gegen dieselbe. Er, der Baron, vermeide alle Unterredung mit ihm, und Wilhelm werde wohl tun, sich auch von ihm entfernt zu halten, denn am Ende gebe er jedermann etwas ab. Man nenne ihn Jarno, wisse aber nicht recht, was man aus dem Namen machen solle.

Wilhelm hatte darauf nichts zu sagen, denn er empfand gegen den Fremden, ob er gleich etwas Kaltes und Abstossendes hatte, eine gewisse Neigung.

Die Gesellschaft wurde in dem Schlosse eingeteilt, und Melina befahl sehr strenge, sie sollten sich nunmehr ordentlich halten, die Frauen sollten besonders wohnen und jeder nur auf seine Rollen, auf die Kunst sein Augenmerk und seine Neigung richten. Er schlug Vorschriften und Gesetze, die aus vielen Punkten bestanden, an alle T?ren. Die Summe der Strafgelder war bestimmt, die ein jeder ?bertreter in eine gemeine B?chse entrichten sollte.

Diese Verordnungen wurden wenig geachtet. Junge Offiziere gingen aus und ein, spassten nicht eben auf das feinste mit den Aktricen, hatten die Akteure zum besten und vernichteten die ganze kleine Polizeiordnung, noch ehe sie Wurzel fassen konnte. Man jagte sich durch die Zimmer, verkleidete sich, versteckte sich. Melina, der anfangs einigen Ernst zeigen wollte, ward mit allerlei Mutwillen auf das ?usserste gebracht, und als ihn bald darauf der Graf holen liess, um den Platz zu sehen, wo das Theater aufgerichtet werden sollte, ward das ?bel nur immer ?rger. Die jungen Herren ersannen sich allerlei platte Sp?sse, durch H?lfe einiger Akteure wurden sie noch plumper, und es schien, als wenn das ganze alte Schloss vom w?tenden Heere besessen sei; auch endigte der Unfug nicht eher, als bis man zur Tafel ging.

Der Graf hatte Melinan in einen grossen Saal gef?hrt, der noch zum alten Schlosse geh?rte, durch eine Galerie mit dem neuen verbunden war und worin ein kleines Theater sehr wohl aufgestellt werden konnte. Daselbst zeigte der einsichtsvolle Hausherr, wie er alles wolle eingerichtet haben.

Nun ward die Arbeit in grosser Eile vorgenommen, das Theaterger?ste aufgeschlagen und ausgeziert, was man von Dekorationen in dem Gep?cke hatte und brauchen konnte, angewendet und das ?brige mit H?lfe einiger geschickten Leute des Grafen verfertiget. Wilhelm griff selbst mit an, half die Perspektive bestimmen, die Umrisse abschn?ren und war h?chst besch?ftigt, dass es nicht unschicklich werden sollte. Der Graf, der ?fters dazukam, war sehr zufrieden damit, zeigte, wie sie das, was sie wirklich taten, eigentlich machen sollten, und liess dabei ungemeine Kenntnisse jeder Kunst sehen.

Nun fing das Probieren recht ernstlich an, wozu sie auch Raum und Musse genug gehabt h?tten, wenn sie nicht von den vielen anwesenden Fremden immer gest?rt worden w?ren. Denn es kamen t?glich neue G?ste an, und ein jeder wollte die Gesellschaft in Augenschein nehmen.

F?nftes Kapitel

Der Baron hatte Wilhelmen einige Tage mit der Hoffnung hingehalten, dass er der Gr?fin noch besonders vorgestellt werden sollte. "Ich habe", sagte er, "dieser vortrefflichen Dame so viel von Ihren geistreichen und empfindungsvollen St?cken erz?hlt, dass sie nicht erwarten kann, Sie zu sprechen und sich eins und das andere vorlesen zu lassen. Halten Sie sich ja gefasst, auf den ersten Wink hin?berzukommen, denn bei dem n?chsten ruhigen Morgen werden Sie gewiss gerufen werden." Er bezeichnete ihm darauf das Nachspiel, welches er zuerst vorlesen sollte, wodurch er sich ganz besonders empfehlen w?rde. Die Dame bedaure gar sehr, dass er zu einer solchen unruhigen Zeit eingetroffen sei und sich mit der ?brigen Gesellschaft in dem alten Schlosse schlecht behelfen m?sse.

Mit grosser Sorgfalt nahm darauf Wilhelm das St?ck vor, womit er seinen Eintritt in die grosse Welt machen sollte. "Du hast", sagte er, "bisher im stillen f?r dich gearbeitet, nur von einzelnen Freunden Beifall erhalten; du hast eine Zeitlang ganz an deinem Talente verzweifelt, und du musst immer noch in Sorgen sein, ob du denn auch auf dem rechten Wege bist und ob du soviel Talent als Neigung zum Theater hast. Vor den Ohren solcher ge?bten Kenner, im Kabinette, wo keine Illusion stattfindet, ist der Versuch weit gef?hrlicher als anderw?rts, und ich m?chte doch auch nicht gerne zur?ckbleiben, diesen Genuss an meine vorigen Freuden kn?pfen und die Hoffnung auf die Zukunft erweitern."

Er nahm darauf einige St?cke durch, las sie mit der gr?ssten Aufmerksamkeit, korrigierte hier und da, rezitierte sie sich laut vor, um auch in Sprache und Ausdruck recht gewandt zu sein, und steckte dasjenige, welches er am meisten ge?bt, womit er die gr?sste Ehre einzulegen glaubte, in die Tasche, als er an einem Morgen hin?ber vor die Gr?fin gefordert wurde.

Wilhelm h?rte das St?ckchen mit grosser Geduld an, indem er die Entfernung des Friseurs w?nschte, ehe er seine Vorlesung anfangen wollte. Man bot ihm eine Tasse Schokolade an, wozu ihm die Baronesse selbst den Zwieback reichte. Dessenungeachtet schmeckte ihm das Fr?hst?ck nicht, denn er w?nschte zu lebhaft, der sch?nen Gr?fin irgend etwas vorzutragen, was sie interessieren, wodurch er ihr gefallen k?nnte. Auch Philine war ihm nur zu sehr im Wege, die ihm als Zuh?rerin oft schon unbequem gewesen war. Er sah mit Schmerzen dem Friseur auf die H?nde und hoffte in jedem Augenblicke mehr auf die Vollendung des Baues.

Indessen war der Graf hereingetreten und erz?hlte von den heut zu erwartenden G?sten, von der Einteilung des Tages, und was sonst etwa H?usliches vorkommen m?chte. Da er hinausging, liessen einige Offiziere bei der Gr?fin um die Erlaubnis bitten, ihr, weil sie noch vor Tafel wegreisen m?ssten, aufwarten zu d?rfen. Der Kammerdiener war indessen fertig geworden, und sie liess die Herren hereinkommen.

Die Baronesse gab sich inzwischen M?he, unsern Freund zu unterhalten und ihm viele Achtung zu bezeigen, die er mit Ehrfurcht, obgleich etwas zerstreut, aufnahm. Er f?hlte manchmal nach dem Manuskripte in der Tasche, hoffte auf jeden Augenblick, und fast wollte seine Geduld reissen, als ein Galanterieh?ndler hereingelassen wurde, der seine Pappen, Kasten, Schachteln unbarmherzig eine nach der andern er?ffnete und jede Sorte seiner Waren mit einer diesem Geschlechte eigenen Zudringlichkeit vorwies.

Die Gesellschaft vermehrte sich. Die Baronesse sah Wilhelmen an und sprach leise mit der Gr?fin; er bemerkte es, ohne die Absicht zu verstehen, die ihm endlich zu Hause klar wurde, als er sich nach einer ?ngstlich und vergebens durchharrten Stunde wegbegab. Er fand ein sch?nes englisches Portefeuille in der Tasche. Die Baronesse hatte es ihm heimlich beizustecken gewusst, und gleich darauf folgte der Gr?fin kleiner Mohr, der ihm eine artig gestickte Weste ?berbrachte, ohne recht deutlich zu sagen, woher sie komme.

Sechstes Kapitel

Das Gemisch der Empfindungen von Verdruss und Dankbarkeit verdarb ihm den ganzen Rest des Tages, bis er gegen Abend wieder Besch?ftigung fand, indem Melina ihm er?ffnete, der Graf habe von einem Vorspiele gesprochen, das dem Prinzen zu Ehren den Tag seiner Ankunft aufgef?hrt werden sollte. Er wolle darin die Eigenschaften dieses grossen Helden und Menschenfreundes personifizieret haben. Diese Tugenden sollten miteinander auftreten, sein Lob verk?ndigen und zuletzt seine B?ste mit Blumen- und Lorbeerkr?nzen umwinden, wobei sein verzogener Name mit dem F?rstenhute durchscheinend gl?nzen sollte. Der Graf habe ihm aufgegeben, f?r die Versifikation und ?brige Einrichtung dieses St?ckes zu sorgen, und er hoffe, dass ihm Wilhelm, dem es etwas Leichtes sei, hierin gerne beistehen werde.

"Wie!" rief dieser verdriesslich aus, "haben wir nichts als Portr?te, verzogene Namen und allegorische Figuren, um einen F?rsten zu ehren, der nach meiner Meinung ein ganz anderes Lob verdient? Wie kann es einem vern?nftigen Manne schmeicheln, sich in effigie aufgestellt und seinen Namen auf ge?ltem Papiere schimmern zu sehen! Ich f?rchte sehr, die Allegorien w?rden, besonders bei unserer Garderobe, zu manchen Zweideutigkeiten und Sp?ssen Anlass geben. Wollen Sie das St?ck machen oder machen lassen, so kann ich nichts dawider haben, nur bitte ich, dass ich damit verschont bleibe."

Melina entschuldigte sich, es sei nur die ungef?hre Angabe des Herrn Grafen, der ihnen ?brigens ganz ?berlasse, wie sie das St?ck arrangieren wollten. "Herzlich gerne", versetzte Wilhelm, "trage ich etwas zum Vergn?gen dieser vortrefflichen Herrschaft bei, und meine Muse hat noch kein so angenehmes Gesch?fte gehabt, als zum Lob eines F?rsten, der so viel Verehrung verdient, auch nur stammelnd sich h?ren zu lassen. Ich will der Sache nachdenken, vielleicht gelingt es mir, unsre kleine Truppe so zu stellen, dass wir doch wenigstens einigen Effekt machen."

Von diesem Augenblicke sann Wilhelm eifrig dem Auftrage nach. Ehe er einschlief, hatte er alles schon ziemlich geordnet, und den andern Morgen bei fr?her Zeit war der Plan fertig, die Szenen entworfen, ja schon einige der vornehmsten Stellen und Ges?nge in Verse und zu Papiere gebracht.

Wilhelm eilte morgens gleich, den Baron wegen gewisser Umst?nde zu sprechen, und legte ihm seinen Plan vor. Diesem gefiel er sehr wohl, doch bezeigte er einige Verwunderung. Denn er hatte den Grafen gestern abend von einem ganz andern St?cke sprechen h?ren, welches nach seiner Angabe in Verse gebracht werden sollte.

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