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Read Ebook: Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 6 by Goethe Johann Wolfgang Von

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Ebook has 222 lines and 23449 words, and 5 pages

Der Fr?hling kam heran, und Narziss besuchte mich unangemeldet zu einer Zeit, da ich ganz allein zu Hause war. Nun erschien er als Liebhaber und fragte mich, ob ich ihm mein Herz und, wenn er eine ehrenvolle, wohlbesoldete Stelle erhielte, auch dereinst meine Hand schenken wollte.

Man hatte ihn zwar in unsre Dienste genommen; allein anfangs hielt man ihn, weil man sich vor seinem Ehrgeiz f?rchtete, mehr zur?ck, als dass man ihn schnell emporgehoben h?tte, und liess ihn, weil er eignes Verm?gen hatte, bei einer kleinen Besoldung.

Bei aller meiner Neigung zu ihm wusste ich, dass er der Mann nicht war, mit dem man ganz gerade handeln konnte. Ich nahm mich daher zusammen und verwies ihn an meinen Vater, an dessen Einwilligung er nicht zu zweifeln schien und mit mir erst auf der Stelle einig sein wollte. Endlich sagte ich ja, indem ich die Beistimmung meiner Eltern zur notwendigen Bedingung machte. Er sprach alsdann mit beiden f?rmlich; sie zeigten ihre Zufriedenheit, man gab sich das Wort auf den bald zu hoffenden Fall, dass man ihn weiter avancieren werde. Schwestern und Tanten wurden davon benachrichtigt und ihnen das Geheimnis auf das strengste anbefohlen.

Nun war aus einem Liebhaber ein Br?utigam geworden. Die Verschiedenheit zwischen beiden zeigte sich sehr gross. K?nnte jemand die Liebhaber aller wohldenkenden M?dchen in Br?utigame verwandeln, so w?re es eine grosse Wohltat f?r unser Geschlecht, selbst wenn auf dieses Verh?ltnis keine Ehe erfolgen sollte. Die Liebe zwischen beiden Personen nimmt dadurch nicht ab, aber sie wird vern?nftiger. Unz?hlige kleine Torheiten, alle Koketterien und Launen fallen gleich hinweg. ?ussert uns der Br?utigam, dass wir ihm in einer Morgenhaube besser als in dem sch?nsten Aufsatze gefallen, dann wird einem wohldenkenden M?dchen gewiss die Frisur gleichg?ltig, und es ist nichts nat?rlicher, als dass er auch solid denkt und lieber sich eine Hausfrau als der Welt eine Putzdocke zu bilden w?nscht. Und so geht es durch alle F?cher durch.

Hat ein solches M?dchen dabei das Gl?ck, dass ihr Br?utigam Verstand und Kenntnisse besitzt, so lernt sie mehr, als hohe Schulen und fremde L?nder geben k?nnen. Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an, die er ihr gibt, sondern sie sucht sich auch auf diesem Wege so immer weiterzubringen. Die Liebe macht vieles Unm?gliche m?glich, und endlich geht die dem weiblichen Geschlecht so n?tige und anst?ndige Unterwerfung sogleich an; der Br?utigam herrscht nicht wie der Ehemann; er bittet nur, und seine Geliebte sucht ihm abzumerken, was er w?nscht, um es noch eher zu vollbringen, als er bittet.

So hat mich die Erfahrung gelehrt, was ich nicht um vieles missen m?chte. Ich war gl?cklich, wahrhaft gl?cklich, wie man es in der Welt sein kann, das heisst auf kurze Zeit.

Ein Sommer ging unter diesen stillen Freuden hin. Narziss gab mir nicht die mindeste Gelegenheit zu Beschwerden; er ward mir immer lieber, meine ganze Seele hing an ihm, das wusste er wohl und wusste es zu sch?tzen. Inzwischen entspann sich aus anscheinenden Kleinigkeiten etwas, das unserm Verh?ltnisse nach und nach sch?dlich wurde.

Narziss ging als Br?utigam mit mir um, und nie wagte er es, das von mir zu begehren, was uns noch verboten war. Allein ?ber die Grenzen der Tugend und Sittsamkeit waren wir sehr verschiedener Meinung. Ich wollte sichergehen und erlaubte durchaus keine Freiheit, als welche allenfalls die ganze Welt h?tte wissen d?rfen. Er, an N?schereien gew?hnt, fand diese Di?t sehr streng; hier setzte es nun best?ndigen Widerspruch; er lobte mein Verhalten und suchte meinen Entschluss zu untergraben.

Mir fiel das "ernsthaft" meines alten Sprachmeisters wieder ein und zugleich das H?lfsmittel, das ich damals dagegen angegeben hatte.

Mit Gott war ich wieder ein wenig bekannter geworden. Er hatte mir so einen lieben Br?utigam gegeben, und daf?r wusste ich ihm Dank. Die irdische Liebe selbst konzentrierte meinen Geist und setzte ihn in Bewegung, und meine Besch?ftigung mit Gott widersprach ihr nicht. Ganz nat?rlich klagte ich ihm, was mich bange machte, und bemerkte nicht, dass ich selbst das, was mich bange machte, w?nschte und begehrte. Ich kam mir sehr stark vor und betete nicht etwa: "Bewahre mich vor Versuchung!" ?ber die Versuchung war ich meinen Gedanken nach weit hinaus. In diesem losen Flitterschmuck eigner Tugend erschien ich dreist vor Gott; er stiess mich nicht weg; auf die geringste Bewegung zu ihm hinterliess er einen sanften Eindruck in meiner Seele, und dieser Eindruck bewegte mich, ihn immer wieder aufzusuchen.

Die ganze Welt war mir ausser Narzissen tot, nichts hatte ausser ihm einen Reiz f?r mich. Selbst meine Liebe zum Putz hatte nur den Zweck, ihm zu gefallen; wusste ich, dass er mich nicht sah, so konnte ich keine Sorgfalt darauf wenden. Ich tanzte gern; wenn er aber nicht dabei war, so schien mir, als wenn ich die Bewegung nicht vertragen k?nnte. Auf ein brillantes Fest, bei dem er nicht zugegen war, konnte ich mir weder etwas Neues anschaffen noch das Alte der Mode gem?ss aufstutzen. Einer war mir so lieb als der andere, doch m?chte ich lieber sagen: einer so l?stig als der andere. Ich glaubte meinen Abend recht gut zugebracht zu haben, wenn ich mir mit ?ltern Personen ein Spiel ausmachen konnte, wozu ich sonst nicht die mindeste Lust hatte, und wenn ein alter, guter Freund mich etwa scherzhaft dar?ber aufzog, l?chelte ich vielleicht das erstemal den ganzen Abend. So ging es mit Promenaden und allen gesellschaftlichen Vergn?gungen, die sich nur denken lassen:

Ich hatt ihn einzig mir erkoren; Ich schien mir nur f?r ihn geboren, Begehrte nichts als seine Gunst.

So war ich oft in der Gesellschaft einsam, und die v?llige Einsamkeit war mir meistens lieber. Allein mein gesch?ftiger Geist konnte weder schlafen noch tr?umen; ich f?hlte und dachte und erlangte nach und nach eine Fertigkeit, von meinen Empfindungen und Gedanken mit Gott zu reden. Da entwickelten sich Empfindungen anderer Art in meiner Seele, die jenen nicht widersprachen. Denn meine Liebe zu Narziss war dem ganzen Sch?pfungsplane gem?ss und stiess nirgend gegen meine Pflichten an. Sie widersprachen sich nicht und waren doch unendlich verschieden. Narziss war das einzige Bild, das mir vorschwebte, auf das sich meine ganze Liebe bezog; aber das andere Gef?hl bezog sich auf kein Bild und war unaussprechlich angenehm. Ich habe es nicht mehr und kann es mir nicht mehr geben.

Mein Geliebter, der sonst alle meine Geheimnisse wusste, erfuhr nichts hiervon. Ich merkte bald, dass er anders dachte; er gab mir ?fters Schriften, die alles, was man Zusammenhang mit dem Unsichtbaren heissen kann, mit leichten und schweren Waffen bestritten. Ich las die B?cher, weil sie von ihm kamen, und wusste am Ende kein Wort von allem dem, was darin gestanden hatte.

?ber Wissenschaften und Kenntnisse ging es auch nicht ohne Widerspruch ab; er machte es wie alle M?nner, spottete ?ber gelehrte Frauen und bildete unaufh?rlich an mir. ?ber alle Gegenst?nde, die Rechtsgelehrsamkeit ausgenommen, pflegte er mit mir zu sprechen, und indem er mir Schriften von allerlei Art best?ndig zubrachte, wiederholte er oft die bedenkliche Lehre: dass ein Frauenzimmer sein Wissen heimlicher halten m?sse als der Kalvinist seinen Glauben im katholischen Lande; und indem ich wirklich auf eine ganz nat?rliche Weise vor der Welt mich nicht kl?ger und unterrichteter als sonst zu zeigen pflegte, war er der erste, der gelegentlich der Eitelkeit nicht widerstehen konnte, von meinen Vorz?gen zu sprechen.

Ein ber?hmter und damals wegen seines Einflusses, seiner Talente und seines Geistes sehr gesch?tzter Weltmann fand an unserm Hofe grossen Beifall. Er zeichnete Narzissen besonders aus und hatte ihn best?ndig um sich. Sie stritten auch ?ber die Tugend der Frauen. Narziss vertraute mir weitl?ufig ihre Unterredung; ich blieb mit meinen Anmerkungen nicht dahinten, und mein Freund verlangte von mir einen schriftlichen Aufsatz. Ich schrieb ziemlich gel?ufig Franz?sisch: ich hatte bei meinem Alten einen guten Grund gelegt. Die Korrespondenz mit meinem Freunde war in dieser Sprache gef?hrt, und eine feinere Bildung konnte man ?berhaupt damals nur aus franz?sischen B?chern nehmen. Mein Aufsatz hatte dem Grafen gefallen; ich musste einige kleine Lieder hergeben, die ich vor kurzem gedichtet hatte. Genug, Narziss schien sich auf seine Geliebte ohne R?ckhalt etwas zugute zu tun, und die Geschichte endigte zu seiner grossen Zufriedenheit mit einer geistreichen Epistel in franz?sischen Versen, die ihm der Graf bei seiner Abreise zusandte, worin ihres freundschaftlichen Streites gedacht war und mein Freund am Ende gl?cklich gepriesen wurde, dass er, nach so manchen Zweifeln und Irrt?mern, in den Armen einer reizenden und tugendhaften Gattin, was Tugend sei, am sichersten erfahren w?rde.

Dieses Gedicht ward mir vor allen und dann aber auch fast jedermann gezeigt, und jeder dachte dabei, was er wollte. So ging es in mehreren F?llen, und so mussten alle Fremden, die er sch?tzte, in unserm Hause bekannt werden.

Eine gr?fliche Familie hielt sich wegen unsres geschickten Arztes eine Zeitlang hier auf. Auch in diesem Hause war Narziss wie ein Sohn gehalten; er f?hrte mich daselbst ein, man fand bei diesen w?rdigen Personen eine angenehme Unterhaltung f?r Geist und Herz, und selbst die gew?hnlichen Zeitvertreibe der Gesellschaft schienen in diesem Hause nicht so leer wie anderw?rts. Jedermann wusste, wie wir zusammen standen; man behandelte uns, wie es die Umst?nde mit sich brachten, und liess das Hauptverh?ltnis unber?hrt. Ich erw?hne dieser einen Bekanntschaft, weil sie in der Folge meines Lebens manchen Einfluss auf mich hatte.

Nun war fast ein Jahr unserer Verbindung verstrichen, und mit ihm war auch unser Fr?hling dahin. Der Sommer kam, und alles wurde ernsthafter und heisser.

Durch einige unerwartete Todesf?lle waren ?mter erledigt, auf die Narziss Anspruch machen konnte. Der Augenblick war nahe, in dem sich mein ganzes Schicksal entscheiden sollte, und indes Narziss und alle Freunde sich bei Hofe die m?glichste M?he gaben, gewisse Eindr?cke, die ihm ung?nstig waren, zu vertilgen und ihm den erw?nschten Platz zu verschaffen, wendete ich mich mit meinem Anliegen zu dem unsichtbaren Freunde. Ich ward so freundlich aufgenommen, dass ich gern wiederkam. Ganz frei gestand ich meinen Wunsch, Narziss m?chte zu der Stelle gelangen; allein meine Bitte war nicht ungest?m, und ich forderte nicht, dass es um meines Gebets willen geschehen sollte.

Die Stelle ward durch einen viel geringern Konkurrenten besetzt. Ich erschrak heftig ?ber die Zeitung und eilte in mein Zimmer, das ich fest hinter mir zumachte. Der erste Schmerz l?ste sich in Tr?nen auf; der n?chste Gedanke war: Es ist aber doch nicht von ungef?hr geschehen, und sogleich folgte die Entschliessung, es mir recht wohl gefallen zu lassen, weil auch dieses anscheinende ?bel zu meinem wahren Besten gereichen w?rde. Nun drangen die sanftesten Empfindungen, die alle Wolken des Kummers zerteilten, herbei; ich f?hlte, dass sich mit dieser H?lfe alles ausstehen liess. Ich ging heiter zu Tische, zum Erstaunen meiner Hausgenossen.

Narziss hatte weniger Kraft als ich, und ich musste ihn tr?sten. Auch in seiner Familie begegneten ihm Widerw?rtigkeiten, die ihn sehr dr?ckten, und bei dem wahren Vertrauen, das unter uns statthatte, vertraute er mir alles. Seine Negoziationen, in fremde Dienste zu gehen, waren auch nicht gl?cklicher; alles f?hlte ich tief um seinet- und meinetwillen, und alles trug ich zuletzt an den Ort, wo mein Anliegen so wohl aufgenommen wurde.

Je sanfter diese Erfahrungen waren, desto ?fter suchte ich sie zu erneuern und den Trost immer da, wo ich ihn so oft gefunden hatte; allein ich fand ihn nicht immer: es war mir wie einem, der sich an der Sonne w?rmen will und dem etwas im Wege steht, das Schatten macht. "Was ist das?" fragte ich mich selbst. Ich sp?rte der Sache eifrig nach und bemerkte deutlich, dass alles von der Beschaffenheit meiner Seele abhing; wenn die nicht ganz in der geradesten Richtung zu Gott gekehrt war, so blieb ich kalt; ich f?hlte seine R?ckwirkung nicht und konnte seine Antwort nicht vernehmen. Nun war die zweite Frage: Was verhindert diese Richtung? Hier war ich in einem weiten Feld und verwickelte mich in eine Untersuchung, die beinahe das ganze zweite Jahr meiner Liebesgeschichte fortdauerte. Ich h?tte sie fr?her endigen k?nnen, denn ich kam bald auf die Spur; aber ich wollte es nicht gestehen und suchte tausend Ausfl?chte.

Ich fand sehr bald, dass die gerade Richtung meiner Seele durch t?richte Zerstreuung und Besch?ftigung mit unw?rdigen Sachen gest?rt werde; das Wie und Wo war mir bald klar genug. Nun aber wie herauskommen in einer Welt, wo alles gleichg?ltig oder toll ist? Gern h?tte ich die Sache an ihren Ort gestellt sein lassen und h?tte auf Geratewohl hingelebt wie andere Leute auch, die ich ganz wohlauf sah; allein ich durfte nicht: mein Inneres widersprach mir zu oft. Wollte ich mich der Gesellschaft entziehen und meine Verh?ltnisse ver?ndern, so konnte ich nicht. Ich war nun einmal in einen Kreis hineingesperrt; gewisse Verbindungen konnte ich nicht loswerden, und in der mir so angelegenen Sache dr?ngten und h?uften sich die Fatalit?ten. Ich legte mich oft mit Tr?nen zu Bette und stand nach einer schlaflosen Nacht auch wieder so auf; ich bedurfte einer kr?ftigen Unterst?tzung, und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich mit der Schellenkappe herumlief.

Nun ging es an ein Abwiegen aller und jeder Handlungen; Tanzen und Spielen wurden am ersten in Untersuchung genommen. Nie ist etwas f?r oder gegen diese Dinge geredet, gedacht oder geschrieben worden, das ich nicht aufsuchte, besprach, las, erwog, vermehrte, verwarf und mich unerh?rt herumplagte. Unterliess ich diese Dinge, so war ich gewiss, Narzissen zu beleidigen; denn er f?rchtete sich ?usserst vor dem L?cherlichen, das uns der Anschein ?ngstlicher Gewissenhaftigkeit vor der Welt gibt. Weil ich nun das, was ich f?r Torheit, f?r sch?dliche Torheit hielt, nicht einmal aus Geschmack, sondern bloss um seinetwillen tat, so wurde mir alles entsetzlich schwer.

Ohne unangenehme Weitl?ufigkeiten und Wiederholungen w?rde ich die Bem?hungen nicht darstellen k?nnen, welche ich anwendete, um jene Handlungen, die mich nun einmal zerstreuten und meinen innern Frieden st?rten, so zu verrichten, dass dabei mein Herz f?r die Einwirkungen des unsichtbaren Wesens offenblieben und wie schmerzlich ich empfinden musste, dass der Streit auf diese Weise nicht beigelegt werden k?nne. Denn sobald ich mich in das Gewand der Torheit kleidete, blieb es nicht bloss bei der Maske, sondern die Narrheit durchdrang mich sogleich durch und durch.

Darf ich hier das Gesetz einer bloss historischen Darstellung ?berschreiten und einige Betrachtungen ?ber dasjenige machen, was in mir vorging? Was konnte das sein, das meinen Geschmack und meine Sinnesart so ?nderte, dass ich im zweiundzwanzigsten Jahre, ja fr?her, kein Vergn?gen an Dingen fand, die Leute von diesem Alter unschuldig belustigen k?nnen? Warum waren sie mir nicht unschuldig? Ich darf wohl antworten: eben weil sie mir nicht unschuldig waren, weil ich nicht wie andre meinesgleichen unbekannt mit meiner Seele war. Nein, ich wusste aus Erfahrungen, die ich ungesucht erlangt hatte, dass es h?here Empfindungen gebe, die uns ein Vergn?gen wahrhaftig gew?hrten, das man vergebens bei Lustbarkeiten sucht, und dass in diesen h?hern Freuden zugleich ein geheimer Schatz zur St?rkung im Ungl?ck aufbewahrt sei.

Aber die geselligen Vergn?gungen und Zerstreuungen der Jugend mussten doch notwendig einen starken Reiz f?r mich haben, weil es mir nicht m?glich war, sie zu tun, als t?te ich sie nicht. Wie manches k?nnte ich jetzt mit grosser K?lte tun, wenn ich nur wollte, was mich damals irremachte, ja Meister ?ber mich zu werden drohte. Hier konnte kein Mittelweg gehalten werden: ich musste entweder die reizenden Vergn?gungen oder die erquickenden innerlichen Empfindungen entbehren.

Aber schon war der Streit in meiner Seele ohne mein eigentliches Bewusstsein entschieden. Wenn auch etwas in mir war, das sich nach den sinnlichen Freuden hinsehnte, so konnte ich sie doch nicht mehr geniessen. Wer den Wein noch so sehr liebt, dem wird alle Lust zum Trinken vergehen, wenn er sich bei vollen F?ssern in einem Keller bef?nde, in welchem die verdorbene Luft ihn zu ersticken drohte. Reine Luft ist mehr als Wein, das f?hlte ich nur zu lebhaft, und es h?tte gleich von Anfang an wenig ?berlegung bei mir gekostet, das Gute dem Reizenden vorzuziehen, wenn mich die Furcht, Narzissens Gunst zu verlieren, nicht abgehalten h?tte. Aber da ich endlich nach tausendf?ltigem Streit, nach immer wiederholter Betrachtung auch scharfe Blicke auf das Band warf, das mich an ihm festhielt, entdeckte ich, dass es nur schwach war, dass es sich zerreissen lasse. Ich erkannte auf einmal, dass es nur eine Glasglocke sei, die mich in den luftleeren Raum sperrte; nur noch so viel Kraft, sie entzweizuschlagen, und du bist gerettet!

Gedacht, gewagt. Ich zog die Maske ab und handelte jedesmal, wie mir's ums Herz war. Narzissen hatte ich immer z?rtlich lieb; aber das Thermometer, das vorher im heissen Wasser gestanden, hing nun an der nat?rlichen Luft; es konnte nicht h?her steigen, als die Atmosph?re warm war.

Ungl?cklicherweise erk?ltete sie sich sehr. Narziss fing an, sich zur?ckzuziehen und fremd zu tun; das stand ihm frei; aber mein Thermometer fiel, so wie er sich zur?ckzog. Meine Familie bemerkte es, man befragte mich, man wollte sich verwundern. Ich erkl?rte mit m?nnlichem Trotz, dass ich mich bisher genug aufgeopfert habe, dass ich bereit sei, noch ferner und bis ans Ende meines Lebens alle Widerw?rtigkeiten mit ihm zu teilen; dass ich aber f?r meine Handlungen v?llige Freiheit verlange, dass mein Tun und Lassen von meiner ?berzeugung abh?ngen m?sse; dass ich zwar niemals eigensinnig auf meiner Meinung beharren, vielmehr jede Gr?nde gerne anh?ren wolle, aber da es mein eignes Gl?ck betreffe, m?sse die Entscheidung von mir abh?ngen, und keine Art von Zwang w?rde ich dulden. Sowenig das R?sonnement des gr?ssten Arztes mich bewegen w?rde, eine sonst vielleicht ganz gesunde und von vielen sehr geliebte Speise zu mir zu nehmen, sobald mir meine Erfahrung bewiesen dass sie mir jederzeit sch?dlich sei, wie ich den Gebrauch des Kaffees zum Beispiel anf?hren k?nnte, sowenig und noch viel weniger w?rde ich mir irgend eine Handlung, die mich verwirrte, als f?r mich moralisch zutr?glich aufdemonstrieren lassen.

Da ich mich so lange im stillen vorbereitet hatte, so waren mir die Debatten hier?ber eher angenehm als verdriesslich. Ich machte meinem Herzen Luft und f?hlte den ganzen Wert meines Entschlusses. Ich wich nicht ein Haar breit, und wem ich nicht kindlichen Respekt schuldig war, der wurde derb abgefertigt. In meinem Hause siegte ich bald. Meine Mutter hatte von Jugend auf ?hnliche Gesinnungen, nur waren sie bei ihr nicht zur Reife gediehen; keine Not hatte sie gedr?ngt und den Mut, ihre ?berzeugung durchzusetzen, erh?ht. Sie freute sich, durch mich ihre stillen W?nsche erf?llt zu sehen. Die j?ngere Schwester schien sich an mich anzuschliessen; die zweite war aufmerksam und still. Die Tante hatte am meisten einzuwenden. Die Gr?nde, die sie vorbrachte, schienen ihr unwiderleglich und waren es auch, weil sie ganz gemein waren. Ich war endlich gen?tigt, ihr zu zeigen, dass sie in keinem Sinne eine Stimme in dieser Sache habe, und sie liess nur selten merken, dass sie auf ihrem Sinne verharre. Auch war sie die einzige, die diese Begebenheit von nahem ansah und ganz ohne Empfindung blieb. Ich tue ihr nicht zuviel, wenn ich sage, dass sie kein Gem?t und die eingeschr?nktesten Begriffe hatte.

Der Vater benahm sich ganz seiner Denkart gem?ss. Er sprach weniges, aber ?fter mit mir ?ber die Sache, und seine Gr?nde waren verst?ndig und als seine Gr?nde unwiderleglich; nur das tiefe Gef?hl meines Rechts gab mir St?rke, gegen ihn zu disputieren. Aber bald ver?nderten sich die Szenen; ich musste an sein Herz Anspruch machen. Gedr?ngt von seinem Verstande, brach ich in die affektvollsten Vorstellungen aus. Ich liess meiner Zunge und meinen Tr?nen freien Lauf. Ich zeigte ihm, wie sehr ich Narzissen liebte und welchen Zwang ich mir seit zwei Jahren angetan hatte, wie gewiss ich sei, dass ich recht handle, dass ich bereit sei, diese Gewissheit mit dem Verlust des geliebten Br?utigams und anscheinenden Gl?cks, ja wenn es n?tig w?re, mit Hab und Gut zu versiegeln; dass ich lieber mein Vaterland, Eltern und Freunde verlassen und mein Brot in der Fremde verdienen als gegen meine Einsichten handeln wolle. Er verbarg seine R?hrung, schwieg einige Zeit stille und erkl?rte sich endlich ?ffentlich f?r mich.

Narziss vermied seit jener Zeit unser Haus, und nun gab mein Vater die w?chentliche Gesellschaft auf, in der sich dieser befand. Die Sache machte Aufsehn bei Hofe und in der Stadt. Man sprach dar?ber wie gew?hnlich in solchen F?llen, an denen das Publikum heftigen Teil zu nehmen pflegt, weil es verw?hnt ist, auf die Entschliessungen schwacher Gem?ter einigen Einfluss zu haben. Ich kannte die Welt genug und wusste, dass man oft von ebenden Personen ?ber das getadelt wird, wozu man sich durch sie hat bereden lassen, und auch ohne das w?rden mir bei meiner innern Verfassung alle solche vor?bergehende Meinungen weniger als nichts gewesen sein.

Dagegen versagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narzissen nachzuh?ngen. Er war mir unsichtbar geworden, und mein Herz hatte sich nicht gegen ihn ge?ndert. Ich liebte ihn z?rtlich, gleichsam auf das neue und viel gesetzter als vorher. Wollte er meine ?berzeugung nicht st?ren, so war ich die Seine; ohne diese Bedingung h?tte ich ein K?nigreich mit ihm ausgeschlagen. Mehrere Monate lang trug ich diese Empfindungen und Gedanken mit mir herum, und da ich mich endlich still und stark genug f?hlte, um ruhig und gesetzt zu Werke zu gehen, so schrieb ich ihm ein h?fliches, nicht z?rtliches Billett und fragte ihn, warum er nicht mehr zu mir komme.

Da ich seine Art kannte, sich selbst in geringern Dingen nicht gern zu erkl?ren, sondern stillschweigend zu tun, was ihm gut deuchte, so drang ich gegenw?rtig mit Vorsatz in ihn. Ich erhielt eine lange und, wie mir schien, abgeschmackte Antwort in einem weitl?ufigen Stil und unbedeutenden Phrasen: dass er ohne bessere Stellen sich nicht einrichten und mir seine Hand anbieten k?nne, dass ich am besten wisse, wie hinderlich es ihm bisher gegangen, dass er glaube, ein so lang fortgesetzter fruchtloser Umgang k?nne meiner Renommee schaden, ich w?rde ihm erlauben, sich in der bisherigen Entfernung zu halten; sobald er imstande w?re, mich gl?cklich zu machen, w?rde ihm das Wort, das er mir gegeben, heilig sein.

Ich antwortete ihm auf der Stelle: da die Sache aller Welt bekannt sei, m?ge es zu sp?t sein, meine Renommee zu menagieren, und f?r diese w?ren mir mein Gewissen und meine Unschuld die sichersten B?rgen; ihm aber g?be ich hiermit sein Wort ohne Bedenken zur?ck und w?nschte, dass er dabei sein Gl?ck finden m?chte. In ebender Stunde erhielt ich eine kurze Antwort, die im wesentlichen mit der ersten v?llig gleichlautend war. Er blieb dabei, dass er nach erhaltener Stelle bei mir anfragen w?rde, ob ich sein Gl?ck mit ihm teilen wollte.

Mir hiess das nun soviel als nichts gesagt. Ich erkl?rte meinen Verwandten und Bekannten, die Sache sei abgetan, und sie war es auch wirklich. Denn als er neun Monate hernach auf das erw?nschteste bef?rdert wurde, liess er mir seine Hand nochmals antragen, freilich mit der Bedingung, dass ich als Gattin eines Mannes, der ein Haus machen m?sste, meine Gesinnungen w?rde zu ?ndern haben. Ich dankte h?flich und eilte mit Herz und Sinn von dieser Geschichte weg, wie man sich aus dem Schauspielhause heraussehnt, wenn der Vorhang gefallen ist. Und da er kurze Zeit darauf, wie es ihm nun sehr leicht war, eine reiche und ansehnliche Partie gefunden hatte und ich ihn nach seiner Art gl?cklich wusste, so war meine Beruhigung ganz vollkommen.

Ich darf nicht mit Stillschweigen ?bergehen, dass einigemal, noch eh er eine Bedienung erhielt, auch nachher, ansehnliche Heiratsantr?ge an mich getan wurden, die ich aber ganz ohne Bedenken ausschlug, sosehr Vater und Mutter mehr Nachgiebigkeit von meiner Seite gew?nscht h?tten.

Nun schien mir nach einem st?rmischen M?rz und April das sch?nste Maiwetter beschert zu sein. Ich genoss bei einer guten Gesundheit eine unbeschreibliche Gem?tsruhe; ich mochte mich umsehen, wie ich wollte, so hatte ich bei meinem Verluste noch gewonnen. Jung und voll Empfindung, wie ich war, deuchte mir die Sch?pfung tausendmal sch?ner als vorher, da ich Gesellschaften und Spiele haben musste, damit mir die Weile in dem sch?nen Garten nicht zu lang wurde. Da ich mich einmal meiner Fr?mmigkeit nicht sch?mte, so hatte ich Herz, meine Liebe zu K?nsten und Wissenschaften nicht zu verbergen. Ich zeichnete, malte, las und fand Menschen genug, die mich unterst?tzten; statt der grossen Welt, die ich verlassen hatte, oder vielmehr die mich verliess, bildete sich eine kleinere um mich her, die weit reicher und unterhaltender war. Ich hatte eine Neigung zum gesellschaftlichen Leben, und ich leugne nicht, dass mir, als ich meine ?ltern Bekanntschaften aufgab, vor der Einsamkeit grauete. Nun fand ich mich hinl?nglich, ja vielleicht zu sehr entsch?digt. Meine Bekanntschaften wurden erst recht weitl?ufig, nicht nur mit Einheimischen, deren Gesinnungen mit den meinigen ?bereinstimmten, sondern auch mit Fremden. Meine Geschichte war ruchtbar geworden, und es waren viele Menschen neugierig, das M?dchen zu sehen, die Gott mehr sch?tzte als ihren Br?utigam. Es war damals ?berhaupt eine gewisse religi?se Stimmung in Deutschland bemerkbar. In mehreren f?rstlichen und gr?flichen H?usern war eine Sorge f?r das Heil der Seele lebendig. Es fehlte nicht an Edelleuten, die gleiche Aufmerksamkeit hegten, und in den geringern St?nden war durchaus diese Gesinnung verbreitet.

Die gr?fliche Familie, deren ich oben erw?hnt, zog mich nun n?her an sich. Sie hatte sich indessen verst?rkt, indem sich einige Verwandte in die Stadt gewendet hatten. Diese sch?tzbaren Personen suchten meinen Umgang wie ich den ihrigen. Sie hatten grosse Verwandtschaft, und ich lernte in diesem Hause einen grossen Teil der F?rsten, Grafen und Herren des Reichs kennen. Meine Gesinnungen waren niemanden ein Geheimnis, und man mochte sie ehren oder auch nur schonen, so erlangte ich doch meinen Zweck und blieb ohne Anfechtung.

Noch auf eine andere Weise sollte ich wieder in die Welt gef?hrt werden. Zu eben der Zeit verweilte ein Stiefbruder meines Vaters, der uns sonst nur im Vorbeigehn besucht hatte, l?nger bei uns. Er hatte die Dienste seines Hofes, wo er geehrt und von Einfluss war, nur deswegen verlassen, weil nicht alles nach seinem Sinne ging. Sein Verstand war richtig und sein Charakter streng, und er war darin meinem Vater sehr ?hnlich; nur hatte dieser dabei einen gewissen Grad von Weichheit, wodurch ihm leichter ward, in Gesch?ften nachzugeben und etwas gegen seine ?berzeugung nicht zu tun, aber geschehen zu lassen und den Unwillen dar?ber alsdann entweder in der Stille f?r sich oder vertraulich mit seiner Familie zu verkochen. Mein Oheim war um vieles j?nger, und seine Selbst?ndigkeit ward durch seine ?ussern Umst?nde nicht wenig best?tigt. Er hatte eine sehr reiche Mutter gehabt und hatte von ihren nahen und fernen Verwandten noch ein grosses Verm?gen zu hoffen; er bedurfte keines fremden Zuschusses, anstatt dass mein Vater bei seinem m?ssigen Verm?gen durch Besoldung an den Dienst fest gekn?pft war.

Noch unbiegsamer war mein Oheim durch h?usliches Ungl?ck geworden. Er hatte eine liebensw?rdige Frau und einen hoffnungsvollen Sohn fr?h verloren, und er schien von der Zeit an alles von sich entfernen zu wollen, was nicht von seinem Willen abhing.

In der Familie sagte man sich gelegentlich mit einiger Selbstgef?lligkeit in die Ohren, dass er wahrscheinlich nicht wieder heiraten werde und dass wir Kinder uns schon als Erben seines grossen Verm?gens ansehen k?nnten. Ich achtete nicht weiter darauf; allein das Betragen der ?brigen ward nach diesen Hoffnungen nicht wenig gestimmt. Bei der Festigkeit seines Charakters hatte er sich gew?hnt, in der Unterredung niemand zu widersprechen, vielmehr die Meinung eines jeden freundlich anzuh?ren und die Art, wie sich jeder eine Sache dachte, noch selbst durch Argumente und Beispiele zu erheben. Wer ihn nicht kannte, glaubte stets mit ihm einerlei Meinung zu sein; denn er hatte einen ?berwiegenden Verstand und konnte sich in alle Vorstellungsarten versetzen. Mit mir ging es ihm nicht so gl?cklich, denn hier war von Empfindungen die Rede, von denen er gar keine Ahnung hatte, und so schonend, teilnehmend und verst?ndig er mit mir ?ber meine Gesinnungen sprach, so war es mir doch auffallend, dass er von dem, worin der Grund aller meiner Handlungen lag, offenbar keinen Begriff hatte.

So geheim er ?brigens war, entdeckte sich doch der Endzweck seines ungew?hnlichen Aufenthalts bei uns nach einiger Zeit. Er hatte, wie man endlich bemerken konnte, sich unter uns die j?ngste Schwester ausersehen, um sie nach seinem Sinne zu verheiraten und gl?cklich zu machen; und gewiss, sie konnte nach ihren k?rperlichen und geistigen Gaben, besonders wenn sich ein ansehnliches Verm?gen noch mit auf die Schale legte, auf die ersten Partien Anspruch machen. Seine Gesinnungen gegen mich gab er gleichfalls pantomimisch zu erkennen, indem er mir den Platz einer Stiftsdame verschaffte, wovon ich sehr bald auch die Eink?nfte zog.

Meine Schwester war mit seiner F?rsorge nicht so zufrieden und nicht so dankbar wie ich. Sie entdeckte mir eine Herzensangelegenheit, die sie bisher sehr weislich verborgen hatte: denn sie f?rchtete wohl, was auch wirklich geschah, dass ich ihr auf alle m?gliche Weise die Verbindung mit einem Manne, der ihr nicht h?tte gefallen sollen, widerraten w?rde. Ich tat mein m?glichstes, und es gelang mir. Die Absichten des Oheims waren zu ernsthaft und zu deutlich und die Aussicht f?r meine Schwester bei ihrem Weltsinne zu reizend, als dass sie nicht eine Neigung, die ihr Verstand selbst missbilligte, aufzugeben Kraft h?tte haben sollen.

Da sie nun den sanften Leitungen des Oheims nicht mehr wie bisher auswich, so war der Grund zu seinem Plane bald gelegt. Sie ward Hofdame an einem benachbarten Hofe, wo er sie einer Freundin, die als Oberhofmeisterin in grossem Ansehn stand, zur Aufsicht und Ausbildung ?bergeben konnte. Ich begleitete sie zu dem Ort ihres neuen Aufenthaltes. Wir konnten beide mit der Aufnahme, die wir erfuhren, sehr zufrieden sein, und manchmal musste ich ?ber die Person, die ich nun als Stiftsdame, als junge und fromme Stiftsdame, in der Welt spielte, heimlich l?cheln.

In fr?hern Zeiten w?rde ein solches Verh?ltnis mich sehr verwirrt, ja mir vielleicht den Kopf verr?ckt haben; nun aber war ich bei allem, was mich umgab, sehr gelassen. Ich liess mich in grosser Stille ein paar Stunden frisieren, putzte mich und dachte nichts dabei, als dass ich in meinem Verh?ltnisse diese Galalivree anzuziehen schuldig sei. In den angef?llten S?len sprach ich mit allen und jeden, ohne dass mir irgendeine Gestalt oder ein Wesen einen starken Eindruck zur?ckgelassen h?tte. Wenn ich wieder nach Hause kam, waren m?de Beine meist alles Gef?hl, was ich mit zur?ckbrachte. Meinem Verstande n?tzten die vielen Menschen, die ich sah; und als Muster aller menschlichen Tugenden, eines guten und edlen Betragens lernte ich einige Frauen, besonders die Oberhofmeisterin, kennen, unter der meine Schwester sich zu bilden das Gl?ck hatte.

Doch f?hlte ich bei meiner R?ckkunft nicht so gl?ckliche k?rperliche Folgen von dieser Reise. Bei der gr?ssten Enthaltsamkeit und der genausten Di?t war ich doch nicht wie sonst Herr von meiner Zeit und meinen Kr?ften. Nahrung, Bewegung, Aufstehn und Schlafengehn, Ankleiden und Ausfahren hing nicht wie zu Hause von meinem Willen und meinem Empfinden ab. Im Laufe des geselligen Kreises darf man nicht stocken, ohne unh?flich zu sein, und alles, was n?tig war, leistete ich gern, weil ich es f?r Pflicht hielt, weil ich wusste, dass es bald vor?bergehen w?rde, und weil ich mich gesunder als jemals f?hlte. Dessenungeachtet musste dieses fremde, unruhige Leben auf mich st?rker, als ich f?hlte, gewirkt haben. Denn kaum war ich zu Hause angekommen und hatte meine Eltern mit einer befriedigenden Erz?hlung erfreut, so ?berfiel mich ein Blutsturz, der, ob er gleich nicht gef?hrlich war und schnell vor?berging, doch lange Zeit eine merkliche Schwachheit hinterliess.

Hier hatte ich nun wieder eine neue Lektion aufzusagen. Ich tat es freudig. Nichts fesselte mich an die Welt, und ich war ?berzeugt, dass ich hier das Rechte niemals finden w?rde, und so war ich in dem heitersten und ruhigsten Zustande und ward, indem ich Verzicht aufs Leben getan hatte, beim Leben erhalten.

Eine neue Pr?fung hatte ich auszustehen, da meine Mutter mit einer dr?ckenden Beschwerde ?berfallen wurde, die sie noch f?nf Jahre trug, ehe sie die Schuld der Natur bezahlte. In dieser Zeit gab es manche ?bung. Oft, wenn ihr die Bangigkeit zu stark wurde, liess sie uns des Nachts alle vor ihr Bette rufen, um wenigstens durch unsre Gegenwart zerstreut, wo nicht gebessert zu werden. Schwerer, ja kaum zu tragen war der Druck, als mein Vater auch elend zu werden anfing. Von Jugend auf hatte er ?fters heftige Kopfschmerzen, die aber aufs l?ngste nur sechsunddreissig Stunden anhielten. Nun aber wurden sie bleibend, und wenn sie auf einen hohen Grad stiegen, so zerriss der Jammer mir das Herz. Bei diesen St?rmen f?hlte ich meine k?rperliche Schw?che am meisten, weil sie mich hinderte, meine heiligsten, liebsten Pflichten zu erf?llen, oder mir doch ihre Aus?bung ?usserst beschwerlich machte.

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