Read Ebook: Tonio Kröger by Mann Thomas
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Ebook has 195 lines and 19717 words, and 4 pages
Denn schliesslich, -- welcher Anblick w?re kl?glicher als der des Lebens, wenn es sich in der Kunst versucht? Wir K?nstler verachten niemand gr?ndlicher als den Dilettanten, den Lebendigen, der glaubt, obendrein bei Gelegenheit einmal ein K?nstler sein zu k?nnen. Ich versichere Sie, diese Art von Verachtung geh?rt zu meinen pers?nlichsten Erlebnissen. Ich befinde mich in einer Gesellschaft in gutem Hause, man isst, trinkt und plaudert, man versteht sich aufs beste, und ich f?hle mich froh und dankbar, eine Weile unter harmlosen und regelrechten Leuten als ihresgleichen verschwinden zu k?nnen. Pl?tzlich erhebt sich ein Offizier, ein Leutnant, ein h?bscher und strammer Mensch, dem ich niemals eine seines Ehrenkleides unw?rdige Handlungsweise zugetraut h?tte, und bittet mit unzweideutigen Worten um die Erlaubnis, uns einige Verse mitzuteilen, die er angefertigt habe. Man gibt ihm, mit best?rztem L?cheln, diese Erlaubnis, und er f?hrt sein Vorhaben aus, indem er von einem Zettel, den er bis dahin in seinem Rockschoss verborgen gehalten hat, seine Arbeit vorliest, etwas an die Musik und die Liebe, kurzum, ebenso tief empfunden wie unwirksam. Nun bitte ich aber jedermann: ein Leutnant! Ein Herr der Welt! Er h?tte es doch wahrhaftig nicht n?tig...! Nun, es erfolgt, was erfolgen muss: lange Gesichter, Stillschweigen, ein wenig k?nstlicher Beifall und tiefstes Missbehagen ringsum. Die erste seelische Tatsache, deren ich mir bewusst werde, ist die, dass ich mich mitschuldig f?hle an der Verst?rung, die dieser unbedachte junge Mann ?ber die Gesellschaft gebracht; und kein Zweifel: auch mich, in dessen Handwerk er gepfuscht hat, treffen sp?ttische und entfremdete Blicke. Aber die zweite besteht darin, dass dieser Mensch, vor dessen Sein und Wesen ich soeben noch den ehrlichsten Respekt empfand, in meinen Augen pl?tzlich sinkt, sinkt, sinkt... Ein mitleidiges Wohlwollen fasst mich an. Ich trete, gleich einigen anderen beherzten und gutm?tigen Herren, an ihn heran und rede ihm zu. >Meinen Gl?ckwunsch<, sage ich, >Herr Leutnant! Welch h?bsche Begabung! Nein, das war allerliebst!< Und es fehlt nicht viel, dass ich ihm auf die Schulter klopfe. Aber ist Wohlwollen die Empfindung, die man einem Leutnant entgegenzubringen hat?... Seine Schuld! Da stand er und b?sste in grosser Verlegenheit den Irrtum, dass man ein Bl?ttchen pfl?cken d?rfe, ein einziges, vom Lorbeerbaume der Kunst, ohne mit seinem Leben daf?r zu zahlen. Nein, da halte ich es mit meinem Kollegen, dem kriminellen Bankier -- --. Aber finden Sie nicht, Lisaweta, dass ich heute von einer hamletischen Redseligkeit bin?<<
>>Sind Sie nun fertig, Tonio Kr?ger?<<
>>Nein. Aber ich sage nichts mehr.<<
>>Und es gen?gt auch. -- Erwarten Sie eine Antwort?<<
>>Haben Sie eine?<<
>>Ich d?chte doch. -- Ich habe Ihnen gut zugeh?rt, Tonio, von Anfang bis zu Ende, und ich will Ihnen die Antwort geben, die auf alles passt, was Sie heute nachmittag gesagt haben, und die die L?sung ist f?r das Problem, das Sie so sehr beunruhigt hat. Nun also! Die L?sung ist die, dass Sie, wie Sie da sitzen, ganz einfach ein B?rger sind.<<
>>Bin ich?<< fragte er und sank ein wenig in sich zusammen...
>>Nicht wahr, das trifft Sie hart, und das muss es ja auch. Und darum will ich den Urteilsspruch um etwas mildern, denn das kann ich. Sie sind ein B?rger auf Irrwegen, Tonio Kr?ger, -- ein verirrter B?rger.<<
-- Stillschweigen. Dann stand er entschlossen auf und griff nach Hut und Stock.
Gegen den Herbst sagte Tonio Kr?ger zu Lisaweta Iwanowna:
>>Ja, ich verreise nun, Lisaweta; ich muss mich ausl?ften, ich mache mich fort, ich suche das Weite.<<
>>Nun, wie denn, V?terchen, geruhen Sie wieder nach Italien zu fahren?<<
>>Gott, gehen Sie mir doch mit Italien, Lisaweta! Italien ist mir bis zur Verachtung gleichg?ltig! Das ist lange her, dass ich mir einbildete, dorthin zu geh?ren. Kunst, nicht wahr? Sammetblauer Himmel, heisser Wein und s?sse Sinnlichkeit... Kurzum, ich mag das nicht. Ich verzichte. Die ganze bellezza macht mich nerv?s. Ich mag auch alle diese f?rchterlich lebhaften Menschen dort unten mit dem schwarzen Tierblick nicht leiden. Diese Romanen haben kein Gewissen in den Augen... Nein, ich gehe nun ein bisschen nach D?nemark.<<
>>Nach D?nemark?<<
>>Ja. Und ich verspreche mir Gutes davon. Ich bin aus Zufall noch niemals hinaufgelangt, so nah ich w?hrend meiner ganzen Jugend der Grenze war, und dennoch habe ich das Land von jeher gekannt und geliebt. Ich muss wohl diese n?rdliche Neigung von meinem Vater haben, denn meine Mutter war doch eigentlich mehr f?r die bellezza, sofern ihr n?mlich nicht alles ganz einerlei war. Aber nehmen Sie die B?cher, die dort oben geschrieben werden, diese tiefen, reinen und humoristischen B?cher, Lisaweta, -- es geht mir nichts dar?ber, ich liebe sie. Nehmen Sie die skandinavischen Mahlzeiten, diese unvergleichlichen Mahlzeiten, die man nur in einer starken Salzluft vertr?gt , und die ich von Hause aus ein wenig kenne, denn man isst schon ganz so bei mir zu Hause. Nehmen Sie auch nur die Namen, die Vornamen, mit denen die Leute dort oben geschm?ckt sind und von denen es ebenfalls schon viele bei mir zu Hause gibt, einen Laut wie >Ingeborg<, ein Harfenschlag makellosester Poesie. Und dann die See, -- sie haben die Ostsee dort oben!... Mit einem Worte, ich fahre hinauf, Lisaweta. Ich will die Ostsee wieder sehen, will diese Vornamen wieder h?ren, diese B?cher an Ort und Stelle lesen; ich will auch auf der Terrasse von Kronborg stehen, wo der >Geist< zu Hamlet kam und Not und Tod ?ber den armen, edlen jungen Menschen brachte...<<
>>Wie fahren Sie, Tonio, wenn ich fragen darf? Welche Route nehmen Sie?<<
>>Die ?bliche<<, sagte er achselzuckend und err?tete deutlich. >>Ja, ich ber?hre meine -- meinen Ausgangspunkt, Lisaweta, nach dreizehn Jahren, und das kann ziemlich komisch werden.<<
Sie l?chelte.
>>Das ist es, was ich h?ren wollte, Tonio Kr?ger. Und also fahren Sie mit Gott. Vers?umen Sie auch nicht, mir zu schreiben, h?ren Sie? Ich verspreche mir einen erlebnisvollen Brief von Ihrer Reise nach -- D?nemark...<<
Und Tonio Kr?ger fuhr gen Norden. Er fuhr mit Komfort , und er rastete nicht eher, als bis die T?rme der engen Stadt, von der er ausgegangen war, sich vor ihm in die graue Luft erhoben. Dort nahm er einen kurzen, seltsamen Aufenthalt...
Ein tr?ber Nachmittag ging schon in den Abend ?ber, als der Zug in die schmale, verr?ucherte, so wunderlich vertraute Halle einfuhr; noch immer ballte sich unter dem schmutzigen Glasdach der Qualm in Klumpen zusammen und zog in gedehnten Fetzen hin und wider, wie damals, als Tonio Kr?ger, nichts als Spott im Herzen, von hier gefahren war. -- Er versorgte sein Gep?ck, ordnete an, dass es ins Hotel geschafft werde, und verliess den Bahnhof.
Das waren die zweisp?nnigen, schwarzen, unm?ssig hohen und breiten Droschken der Stadt, die draussen in einer Reihe standen! Er nahm keine davon; er sah sie nur an, wie er alles ansah, die schmalen Giebel und spitzen T?rme, die ?ber die n?chsten D?cher her?bergr?ssten, die blonden und l?ssig-plumpen Menschen mit ihrer breiten und dennoch rapiden Redeweise rings um ihn her, und ein nerv?ses Gel?chter stieg in ihm auf, das eine heimliche Verwandtschaft mit Schluchzen hatte. -- Er ging zu Fuss, ging langsam, den unabl?ssigen Druck des feuchten Windes im Gesicht, ?ber die Br?cke, an deren Gel?nder mythologische Statuen standen, und eine Strecke am Hafen entlang.
Grosser Gott, wie winzig und winklig das Ganze erschien! Waren hier in all der Zeit die schmalen Giebelgassen so putzig steil zur Stadt emporgestiegen? Die Schornsteine und Maste der Schiffe schaukelten leise in Wind und D?mmerung auf dem tr?ben Flusse. Sollte er jene Strasse hinaufgehen, die dort, an der das Haus lag, das er im Sinne hatte? Nein, morgen. Er war so schl?frig jetzt. Sein Kopf war schwer von der Fahrt, und langsame, nebelhafte Gedanken zogen ihm durch den Sinn.
Zuweilen in diesen dreizehn Jahren, wenn sein Magen verdorben gewesen war, hatte ihm getr?umt, dass er wieder daheim sei in dem alten, hallenden Haus an der schr?gen Gasse, dass auch sein Vater wieder da sei und ihn hart anlasse wegen seiner entarteten Lebensf?hrung, was er jedesmal sehr in der Ordnung gefunden hatte. Und diese Gegenwart nun unterschied sich durch nichts von einem dieser bet?renden und unzerreissbaren Traumgespinste, in denen man sich fragen kann, ob dies Trug oder Wirklichkeit ist, und sich notgedrungen mit ?berzeugung f?r das letztere entscheidet, um dennoch am Ende zu erwachen... Er schritt durch die wenig belebten, zugigen Strassen, hielt den Kopf gegen den Wind gebeugt und schritt wie schlafwandelnd in der Richtung des Hotels, des ersten der Stadt, wo er ?bernachten wollte. Ein krummbeiniger Mann mit einer Stange, an deren Spitze ein Feuerchen brannte, ging mit wiegendem Matrosenschritt vor ihm her und z?ndete die Gaslaternen an.
Wie war ihm doch? Was war das alles, was unter der Asche seiner M?digkeit, ohne zur klaren Flamme zu werden, so dunkel und schmerzlich glomm? Still, still und kein Wort! Keine Worte! Er w?re gern lange so dahingegangen, im Wind durch die d?mmerigen, traumhaft vertrauten Gassen. Aber alles war so eng und nah beieinander. Gleich war man am Ziel.
In der oberen Stadt gab es Bogenlampen, und eben ergl?hten sie. Da war das Hotel, und es waren die beiden schwarzen L?wen, die davor lagen und vor denen er sich als Kind gef?rchtet hatte. Noch immer blickten sie mit einer Miene, als wollten sie niesen, einander an; aber sie schienen viel kleiner geworden seit damals. -- Tonio Kr?ger ging zwischen ihnen hindurch.
Da er zu Fuss kam, wurde er ohne viel Feierlichkeit empfangen. Der Portier und ein sehr feiner, schwarzgekleideter Herr, welcher die Honneurs machte und best?ndig mit den kleinen Fingern seine Manschetten in die ?rmel zur?ckstiess, musterten ihn pr?fend und w?gend vom Scheitel bis zu den Stiefeln, sichtlich bestrebt, ihn gesellschaftlich ein wenig zu bestimmen, ihn hierarchisch und b?rgerlich unterzubringen und ihm einen Platz in ihrer Achtung anzuweisen, ohne doch zu einem beruhigenden Ergebnis gelangen zu k?nnen, weshalb sie sich f?r eine gem?ssigte H?flichkeit entschieden. Ein Kellner, ein milder Mensch mit brotblonden Backenbartstreifen, einem altersblanken Frack und Rosetten auf den lautlosen Schuhen, f?hrte ihn zwei Treppen hinauf in ein reinlich und altv?terlich eingerichtetes Zimmer, hinter dessen Fenster sich im Zwielicht ein pittoresker und mittelalterlicher Ausblick auf H?fe, Giebel und die bizarren Massen der Kirche er?ffnete, in deren N?he das Hotel gelegen war. Tonio Kr?ger stand eine Weile vor diesem Fenster; dann setzte er sich mit gekreuzten Armen auf das weitschweifige Sofa, zog seine Brauen zusammen und pfiff vor sich hin.
Man brachte Licht, und sein Gep?ck kam. Gleichzeitig legte der milde Kellner den Meldezettel auf den Tisch, und Tonio Kr?ger malte mit seitw?rts geneigtem Kopfe etwas darauf, das aussah wie Name, Stand und Herkunft. Hierauf bestellte er ein wenig Abendbrot und fuhr fort, von seinem Sofawinkel aus ins Leere zu blicken. Als das Essen vor ihm stand, liess er es noch lange unber?hrt, nahm endlich ein paar Bissen und ging noch eine Stunde im Zimmer auf und ab, wobei er zuweilen stehenblieb und die Augen schloss. Dann entkleidete er sich mit langsamen Bewegungen und ging zu Bette. Er schlief lange, unter verworrenen und seltsam sehns?chtigen Tr?umen. --
Als er erwachte, sah er sein Zimmer von hellem Tage erf?llt. Verwirrt und hastig besann er sich, wo er sei, und machte sich auf, um die Vorh?nge zu ?ffnen. Des Himmels schon ein wenig blasses Sp?tsommer-Blau war von d?nnen, vom Wind zerzupften Wolkenfetzchen durchzogen; aber die Sonne schien ?ber seiner Vaterstadt.
Er verwandte noch mehr Sorgfalt auf seine Toilette als gew?hnlich, wusch und rasierte sich aufs beste und machte sich so frisch und reinlich, als habe er einen Besuch in gutem, korrektem Hause vor, wo es gelte, einen schmucken und untadelhaften Eindruck zu machen; und w?hrend der Hantierungen des Ankleidens horchte er auf das ?ngstliche Pochen seines Herzens.
Wie hell es draussen war! Er h?tte sich wohler gef?hlt, wenn, wie gestern, D?mmerung in den Strassen gelegen h?tte; nun aber sollte er unter den Augen der Leute durch den klaren Sonnenschein gehen. W?rde er auf Bekannte stossen, angehalten, befragt werden und Rede stehen m?ssen, wie er diese dreizehn Jahre verbracht? Nein, gottlob, es kannte ihn keiner mehr, und wer sich seiner erinnerte, w?rde ihn nicht erkennen, denn er hatte sich wirklich ein wenig ver?ndert unterdessen. Er betrachtete sich aufmerksam im Spiegel, und pl?tzlich f?hlte er sich sicherer hinter seiner Maske, hinter seinem fr?h durcharbeiteten Gesicht, das ?lter als seine Jahre war... Er liess Fr?hst?ck kommen und ging dann aus, ging unter den absch?tzenden Blicken des Portiers und des feinen Herrn in Schwarz durch das Vestib?l und zwischen den beiden L?wen hindurch ins Freie.
Wohin ging er? Er wusste es kaum. Es war wie gestern. Kaum, dass er sich wieder von diesem wunderlich w?rdigen und urvertrauten Beieinander von Giebeln, T?rmchen, Arkaden, Brunnen umgeben sah, kaum dass er den Druck des Windes, des starken Windes, der ein zartes und herbes Aroma aus fernen Tr?umen mit sich f?hrte, wieder im Angesicht sp?rte, als es sich ihm wie Schleier und Nebelgespinst um die Sinne legte... Die Muskeln seines Gesichtes spannten sich ab; und mit stille gewordenem Blick betrachtete er Menschen und Dinge. Vielleicht, dass er dort, an jener Strassenecke, dennoch erwachte...
Wohin ging er? Ihm war, als stehe die Richtung, die er einschlug, in einem Zusammenhange mit seinen traurigen und seltsam reuevollen Tr?umen zur Nacht... Auf den Markt ging er, unter den Bogengew?lben des Rathauses hindurch, wo Fleischer mit blutigen H?nden ihre Ware wogen, auf den Marktplatz, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische Brunnen stand. Dort blieb er vor einem Hause stehen, einem schmalen und schlichten, gleich anderen mehr, mit einem geschwungenen, durchbrochenen Giebel, und versank in dessen Anblick. Er las das Namensschild an der T?r und liess seine Augen ein Weilchen auf jedem der Fenster ruhen. Dann wandte er sich langsam zum Gehen.
Wohin ging er? Heimw?rts. Aber er nahm einen Umweg, machte einen Spaziergang vors Tor hinaus, weil er Zeit hatte. Er ging ?ber den M?hlenwall und den Holstenwall und hielt seinen Hut fest vor dem Winde, der in den B?umen rauschte und knarrte. Dann verliess er die Wallanlagen unfern des Bahnhofes, sah einen Zug mit plumper Eilfertigkeit vor?berpuffen, z?hlte zum Zeitvertreib die Wagen und blickte dem Manne nach, der zuh?chst auf dem allerletzten sass. Aber am Lindenplatze machte er vor einer der h?bschen Villen halt, die dort standen, sp?hte lange in den Garten und zu den Fenstern hinauf und verfiel am Ende darauf, die Gatterpforte in ihren Angeln hin- und herzuschlenkern, so dass es kreischte. Dann betrachtete er eine Weile seine Hand, die kalt und rostig geworden war, und ging weiter, ging durch das alte, untersetzte Tor, am Hafen entlang und die steile zugige Gasse hinauf zum Haus seiner Eltern.
Es stand, eingeschlossen von den Nachbarh?usern, die sein Giebel ?berragte, grau und ernst wie seit dreihundert Jahren, und Tonio Kr?ger las den frommen Spruch, der in halb verwischten Lettern ?ber dem Eingang stand. Dann atmete er auf und ging hinein.
Sein Herz schlug ?ngstlich, denn er gew?rtigte, sein Vater k?nnte aus einer der T?ren zu ebener Erde, an denen er vor?berschritt, hervortreten, im Kontorrock und die Feder hinterm Ohr, ihn anhalten und ihn wegen seines extravaganten Lebens streng zur Rede stellen, was er sehr in der Ordnung gefunden h?tte. Aber er gelangte unbehelligt vorbei. Die Windfangt?r war nicht geschlossen, sondern nur angelehnt, was er als tadelnswert empfand, w?hrend ihm gleichzeitig zumute war wie in gewissen leichten Tr?umen, in denen die Hindernisse von selbst vor einem weichen und man, von wunderbarem Gl?ck beg?nstigt, ungehindert vorw?rts dringt... Die weite Diele, mit grossen, viereckigen Steinfliesen gepflastert, widerhallte von seinen Schritten. Der K?che gegen?ber, in der es still war, sprangen wie vor alters in betr?chtlicher H?he die seltsamen, plumpen, aber reinlich lackierten Holzgelasse aus der Wand hervor, die M?gdekammern, die nur durch eine Art freiliegender Stiege von der Diele aus zu erreichen waren. Aber die grossen Schr?nke und die geschnitzte Truhe waren nicht mehr da, die hier gestanden hatten... Der Sohn des Hauses beschritt die gewaltige Treppe und st?tzte sich mit der Hand auf das weisslackierte, durchbrochene Holzgel?nder, indem er sie bei jedem Schritte erhob und beim n?chsten sacht wieder darauf niedersinken liess, wie als versuche er sch?chtern, ob die ehemalige Vertrautheit mit diesem alten, soliden Gel?nder wieder herzustellen sei... Aber auf dem Treppenabsatz blieb er stehen, vorm Eingang zum Zwischengeschoss. An der T?r war ein weisses Schild befestigt, auf dem in schwarzen Buchstaben zu lesen war: Volksbibliothek.
Volksbibliothek? dachte Tonio Kr?ger, denn er fand, dass hier weder das Volk noch die Literatur etwas zu suchen hatten. Er klopfte an die T?r... Ein Herein ward laut, und er folgte ihm. Gespannt und finster blickte er in eine h?chst unziemliche Ver?nderung hinein.
Das Geschoss war drei Stuben tief, deren Verbindungst?ren offenstanden. Die W?nde waren fast in ihrer ganzen H?he mit gleichf?rmig gebundenen B?chern bedeckt, die auf dunklen Gestellen in langen Reihen standen. In jedem Zimmer sass hinter einer Art von Ladentisch ein d?rftiger Mensch und schrieb. Zwei davon wandten nur die K?pfe nach Tonio Kr?ger, aber der erste stand eilig auf, wobei er sich mit beiden H?nden auf die Tischplatte st?tzte, den Kopf vorschob, die Lippen spitzte, die Brauen emporzog und den Besucher mit eifrig zwinkernden Augen anblickte...
>>Verzeihung<<, sagte Tonio Kr?ger, ohne den Blick von den vielen B?chern zu wenden. >>Ich bin hier fremd, ich besichtige die Stadt. Dies ist also die Volksbibliothek? W?rden Sie erlauben, dass ich mir ein wenig Einblick in die Sammlung verschaffe?<<
>>Gern!<< sagte der Beamte und zwinkerte noch heftiger... >>Gewiss, das steht jedermann frei. Wollen Sie sich nur umsehen... Ist Ihnen ein Katalog gef?llig?<<
>>Danke<<, antwortete Tonio Kr?ger. >>Ich orientiere mich leicht.<< Damit begann er, langsam an den W?nden entlang zu schreiten, indem er sich den Anschein gab, als studiere er die Titel auf den B?cherr?cken. Schliesslich nahm er einen Band heraus, ?ffnete ihn und stellte sich damit ans Fenster.
Hier war das Fr?hst?ckszimmer gewesen. Man hatte hier morgens gefr?hst?ckt, nicht droben im grossen Esssaal, wo aus der blauen Tapete weisse G?tterstatuen hervortraten... Das dort hatte als Schlafzimmer gedient. Seines Vaters Mutter war dort gestorben, so alt sie war, unter schweren K?mpfen, denn sie war eine genussfrohe Weltdame und hing am Leben. Und sp?ter hatte dort sein Vater selbst den letzten Seufzer getan, der lange, korrekte, ein wenig wehm?tige und nachdenkliche Herr mit der Feldblume im Knopfloch... Tonio hatte am Fussende seines Sterbebettes gesessen, mit heissen Augen, ehrlich und g?nzlich hingegeben an ein stummes und starkes Gef?hl, an Liebe und Schmerz. Und auch seine Mutter hatte am Lager gekniet, seine sch?ne, feurige Mutter, ganz aufgel?st in heissen Tr?nen; worauf sie mit dem s?dlichen K?nstler in blaue Fernen gezogen war... Aber dort hinten, das kleinere, dritte Zimmer, nun ebenfalls ganz mit B?chern angef?llt, die ein d?rftiger Mensch bewachte, war lange Jahre hindurch sein eigenes gewesen. Dorthin war er nach der Schule heimgekehrt, nachdem er einen Spaziergang, wie eben jetzt, gemacht, an jener Wand hatte sein Tisch gestanden, in dessen Schublade er seine ersten, innigen und hilflosen Verse verwahrt hatte... Der Walnussbaum... Eine stechende Wehmut durchzuckte ihn. Er blickte seitw?rts durchs Fenster hinaus. Der Garten lag w?st, aber der alte Walnussbaum stand an seinem Platze, schwerf?llig knarrend und rauschend im Winde. Und Tonio Kr?ger liess die Augen auf das Buch zur?ckgleiten, das er in den H?nden hielt, ein hervorragendes Dichtwerk und ihm wohlbekannt. Er blickte auf diese schwarzen Zeilen und Satzgruppen nieder, folgte eine Strecke dem kunstvollen Fluss des Vortrags, wie er in gestaltender Leidenschaft sich zu einer Pointe und Wirkung erhob und dann effektvoll absetzte...
>>Ja, das ist gut gemacht!<< sagte er, stellte das Dichtwerk weg und wandte sich. Da sah er, dass der Beamte noch immer aufrecht stand und mit einem Mischausdruck von Diensteifer und nachdenklichem Misstrauen seine Augen zwinkern liess.
>>Eine ausgezeichnete Sammlung, wie ich sehe<<, sagte Tonio Kr?ger. >>Ich habe schon einen ?berblick gewonnen. Ich bin Ihnen sehr verbunden. Adieu.<< Damit ging er zur T?r hinaus; aber es war ein zweifelhafter Abgang, und er f?hlte deutlich, dass der Beamte, voller Unruhe ?ber diesen Besuch, noch minutenlang stehen und zwinkern w?rde.
Er sp?rte keine Neigung, noch weiter vorzudringen. Er war zu Hause gewesen. Droben, in den grossen Zimmern hinter der S?ulenhalle, wohnten fremde Leute, er sah es; denn der Treppenkopf war durch eine Glast?r verschlossen, die ehemals nicht dagewesen war, und irgendein Namensschild war daran. Er ging fort, ging die Treppe hinunter, ?ber die hallende Diele, und verliess sein Elternhaus. In einem Winkel eines Restaurants nahm er in sich gekehrt eine schwere und fette Mahlzeit ein und kehrte dann ins Hotel zur?ck.
>>Ich bin fertig<<, sagte er zu dem feinen Herrn in Schwarz. >>Ich reise heute nachmittag.<< Und er bestellte seine Rechnung sowie den Wagen, der ihn an den Hafen bringen sollte, zum Dampfschiff nach Kopenhagen. Dann ging er auf sein Zimmer und setzte sich an den Tisch, sass still und aufrecht, indem er die Wange in die Hand st?tzte und mit blicklosen Augen auf die Tischplatte niedersah. Sp?ter beglich er seine Rechnung und machte seine Sachen bereit. Zur festgesetzten Zeit ward der Wagen gemeldet, und Tonio Kr?ger stieg reisefertig hinab.
Drunten, am Fusse der Treppe, erwartete ihn der feine Herr in Schwarz.
Und er f?hrte Tonio Kr?ger unter einladendem Gestenspiel in den Hintergrund des Vestib?ls. Dort stand in der Tat Herr Seehaase. Tonio Kr?ger kannte ihn von Ansehen aus alter Zeit. Er war klein, fett und krummbeinig. Sein geschorener Backenbart war weiss geworden; aber noch immer trug er eine weit ausgeschnittene Frackjacke und dazu ein gr?ngesticktes Samtm?tzchen. ?brigens war er nicht allein. Bei ihm, an einem kleinen, an der Wand befestigten Pultbrett, stand, den Helm auf dem Kopf, ein Polizist, welcher seine behandschuhte Rechte auf einem buntbeschriebenen Papier ruhen liess, das vor ihm auf dem Pulte lag, und Tonio Kr?ger mit seinem ehrlichen Soldatengesicht so entgegensah, als erwartete er, dass dieser bei seinem Anblick in den Boden versinken m?sse.
Tonio Kr?ger blickte von einem zum andern und verlegte sich aufs Warten.
>>Sie kommen von M?nchen?<< fragte endlich der Polizist mit einer gutm?tigen und schwerf?lligen Stimme.
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