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Read Ebook: Brennendes Geheimnis: Erzählung by Zweig Stefan

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Ebook has 242 lines and 20748 words, and 5 pages

n ihm etwas wie Eifersucht, als er die Freundlichkeit des Barons zu seiner Mutter bemerkte.

Sie gingen dann zu dritt spazieren, und das gef?hrliche Gef?hl seiner Wichtigkeit und pl?tzlichen Bedeutsamkeit wurde in dem Kinde noch gen?hrt durch das auff?llige Interesse, das beide ihm widmeten. Edgar war fast ausschliesslich Gegenstand der Konversation, indem sich die Mutter mit etwas erheuchelter Besorgnis ?ber seine Bl?sse und Nervosit?t aussprach, w?hrend der Baron wieder dies l?chelnd abwehrte und sich r?hmend ?ber die nette Art seines >>Freundes<<, wie er ihn nannte, erging. Es war Edgars sch?nste Stunde. Er hatte Rechte, die ihm niemals im Laufe seiner Kindheit zugestanden worden waren. Er durfte mitreden, ohne sofort zur Ruhe verwiesen zu werden, sogar allerhand vorlaute W?nsche ?ussern, die ihm bislang ?bel aufgenommen worden w?ren. Und es war nicht verwunderlich, dass in ihm das tr?gerische Gef?hl ?ppig wuchernd wuchs, dass er ein Erwachsener sei. Schon lag die Kindheit in seinen hellen Tr?umen hinter ihm, wie ein weggeworfenes, entwachsenes Kleid.

Angriff

Nun schien es dem ungeduldigen J?ger an der Zeit, sein Wild anzuschleichen. Das Famili?re, der Dreiklang in dieser Angelegenheit missfiel ihm. Es war ja ganz nett, so zu dritt zu plaudern, aber schliesslich, Plaudern war nicht seine Absicht. Und er wusste, dass das Gesellschaftliche mit dem Maskenspiel seiner Begehrlichkeit das Erotische zwischen Mann und Frau immer retardiert, den Worten die Glut, dem Angriff sein Feuer nimmt. Sie sollte ?ber der Konversation nie seine eigentliche Absicht vergessen, die er -- dessen war er sicher -- von ihr bereits verstanden wusste.

Dass sein Bem?hen bei dieser Frau nicht vergeblich sein w?rde, hatte viel Wahrscheinlichkeiten. Sie war in jenen entscheidenden Jahren, wo eine Frau zu bereuen beginnt, einem eigentlich nie geliebten Gatten treu geblieben zu sein, und wo der purpurne Sonnenuntergang ihrer Sch?nheit ihr noch eine letzte dringlichste Wahl zwischen dem M?tterlichen und dem Weiblichen gew?hrt. Das Leben, das schon l?ngst beantwortet schien, wird in dieser Minute noch einmal zur Frage, zum letzten Male zittert die magnetische Nadel des Willens zwischen der Hoffnung auf erotisches Erleben und der endg?ltigen Resignation. Eine Frau hat dann die gef?hrliche Entscheidung, ihr eigenes Schicksal oder das ihrer Kinder zu leben, Frau oder Mutter zu sein. Und der Baron, scharfsichtig in diesen Dingen, glaubte bei ihr gerade dieses gef?hrliche Schwanken zwischen Lebensglut und Aufopferung zu bemerken. Sie vergass best?ndig im Gespr?ch, ihren Gatten zu erw?hnen, der offenbar nur ihren ?usseren Bed?rfnissen, nicht aber ihren durch vornehme Lebensf?hrung gereizten Snobismus zu befriedigen schien, und wusste innerlich eigentlich herzlich wenig von ihrem Kinde. Ein Schatten von Langeweile, als Melancholie in den dunklen Augen verschleiert, lag ?ber ihrem Leben und verdunkelte ihre Sinnlichkeit.

Der Baron beschloss rasch vorzugehen, aber gleichzeitig jeden Anschein von Eile zu vermeiden. Im Gegenteil, er wollte, wie der Angler den Haken lockend zur?ckzieht, dieser neuen Freundschaft seinerseits ?usserliche Gleichg?ltigkeit entgegensetzen, wollte um sich werben lassen, w?hrend er doch in Wahrheit der Werbende war. Er nahm sich vor, einen gewissen Hochmut zu outrieren, den Unterschied ihres sozialen Standes scharf herauszukehren, und der Gedanke reizte ihn, nur durch das Betonen seines Hochmutes, durch ein ?usseres, durch einen klingenden aristokratischen Namen und kalte Manieren diesen ?ppigen, vollen sch?nen K?rper gewinnen zu k?nnen.

Das heisse Spiel begann ihn schon zu erregen, und darum zwang er sich zur Vorsicht. Den Nachmittag verblieb er in seinem Zimmer mit dem angenehmen Bewusstsein, gesucht und vermisst zu werden. Aber diese Abwesenheit wurde nicht so sehr von ihr bemerkt, gegen die sie eigentlich gezielt war, sondern gestaltete sich f?r den armen Buben zur Qual. Edgar f?hlte sich den ganzen Nachmittag unendlich hilflos und verloren; mit der Knaben eigenen hartn?ckigen Treue wartete er die ganzen langen Stunden unabl?ssig auf seinen Freund. Es w?re ihm wie ein Vergehen gegen die Freundschaft erschienen, wegzugehen oder irgend etwas allein zu tun. Unn?tz trollte er sich in den G?ngen herum, und je sp?ter es wurde, um so mehr f?llte sich sein Herz mit Ungl?ck an. In der Unruhe seiner Phantasie tr?umte er schon von einem Unfall oder einer unbewusst zugef?gten Beleidigung und war schon nahe daran, zu weinen vor Ungeduld und Angst.

Edgar wurde blass vor Schreck. F?r alle Kinder ist das Zu-Bette-geschickt-werden ein furchtbares Wort, weil es f?r sie die offenkundigste Dem?tigung vor den Erwachsenen ist, das Eingest?ndnis, das Stigma der Kindheit, des Kleinseins, der kindischen Schlafbed?rftigkeit. Aber wie furchtbar war solche Schmach in diesem interessantesten Augenblick, da sie ihn solche unerh?rte Dinge vers?umen liess.

>>Nur das eine noch, Mama, das von den Elefanten, nur das lass mich h?ren!<<

Edgar z?gerte. Sonst begleitete ihn seine Mutter immer zu Bette. Aber er wollte nicht betteln vor dem Freunde. Sein kindischer Stolz wollte diesem kl?glichen Abgang noch einen Schein von Freiwilligkeit retten.

>>Aber wirklich, Mama, du erz?hlst mir alles, alles! Das von den Elefanten und alles andere!<<

>>Ja, mein Kind.<<

>>Und sofort! Noch heute!<<

>>Ja, ja, aber jetzt geh nur schlafen. Geh!<<

Edgar bewunderte sich selbst, dass es ihm gelang, dem Baron und seiner Mama die Hand zu reichen, ohne zu err?ten, obschon das Schluchzen ihm schon ganz hoch in der Kehle sass. Der Baron beutelte ihm freundschaftlich den Schopf, das zwang noch ein L?cheln ?ber sein gespanntes Gesicht. Aber dann musste er rasch zur T?re eilen, sonst h?tten sie gesehen, wie ihm die dicken Tr?nen ?ber die Wangen liefen.

Die Elefanten

Die Mutter blieb noch eine Zeitlang unten mit dem Baron bei Tisch, aber sie sprachen nicht von Elefanten und Jagden mehr. Eine leise Schw?le, eine rasch auffliegende Verlegenheit kam in ihr Gespr?ch, seit der Bub sie verlassen hatte. Schliesslich gingen sie hin?ber in die Hall und setzten sich in eine Ecke. Der Baron war blendender als je, sie selbst leicht befeuert durch die paar Glas Champagner, und so nahm die Konversation rasch einen gef?hrlichen Charakter an. Der Baron war eigentlich nicht h?bsch zu nennen, er war nur jung und blickte sehr m?nnlich aus seinem dunkelbraunen energischen Bubengesicht mit dem kurz geschorenen Haar und entz?ckte sie durch die frischen, fast ungezogenen Bewegungen. Sie sah ihn gern jetzt von der N?he und f?rchtete auch nicht mehr seinen Blick. Doch allm?hlich schlich sich in seine Reden eine K?hnheit, die sie leicht verwirrte, etwas, das wie Greifen an ihrem K?rper war, ein Betasten und wieder Lassen, irgendein unfassbar Begehrliches, das ihr das Blut in die Wangen trieb. Aber dann lachte er wieder leicht, ungezwungen, knabenhaft, und das gab all den kleinen Begehrlichkeiten den losen Schein kindlicher Scherze. Manchmal war ihr, als m?sste sie ein Wort schroff zur?ckweisen, aber kokett von Natur, wurde sie durch diese kleinen L?sternheiten nur gereizt, mehr abzuwarten. Und hingerissen von dem verwegenen Spiel versuchte sie am Ende sogar, ihm nachzutun. Sie warf kleine, flatternde Versprechungen auf den Blicken hin?ber, gab sich in Worten und Bewegungen schon hin, duldete sogar sein Heranr?cken, die N?he seiner Stimme, deren Atem sie manchmal warm und zuckend an den Schultern sp?rte. Wie alle Spieler vergassen sie die Zeit und verloren sich so g?nzlich in dem heissen Gespr?ch, dass sie erst aufschreckten, als die Hall sich um Mitternacht abzudunkeln begann.

Sie sprang sofort empor, dem ersten Erschrecken gehorchend, und f?hlte mit einem Male, wie verwegen weit sie sich vorgewagt hatte. Ihr war sonst das Spiel mit dem Feuer nicht fremd, aber jetzt sp?rte ihr aufgereizter Instinkt, wie nahe dieses Spiel schon dem Ernste war. Mit Schauern entdeckte sie, dass sie sich nicht mehr ganz sicher f?hlte, dass irgend etwas in ihr zu gleiten begann und sich be?ngstigend dem Wirbel zudrehte. Im Kopf wogte alles in einem Wirbel von Angst, von Wein und heissen Reden, eine dumme, sinnlose Angst ?berfiel sie, jene Angst, die sie schon einige Male in ihrem Leben in solchen gef?hrlichen Sekunden gekannt hatte, aber nie so schwindelnd und gewaltt?tig. >>Gute Nacht, gute Nacht. Auf morgen fr?h<<, sagte sie hastig und wollte entlaufen. Entlaufen nicht ihm so sehr, wie der Gefahr dieser Minute und einer neuen, fremdartigen Unsicherheit in sich selbst. Aber der Baron hielt die dargebotene Abschiedshand mit sanfter Gewalt, k?sste sie, und nicht nur in Korrektheit ein einziges Mal, sondern vier- oder f?nfmal mit den Lippen von den feinen Fingerspitzen bis hinauf zum Handgelenk, zitternd, wobei sie mit einem leichten Fr?steln seinen rauhen Schnurrbart ?ber den Handr?cken kitzeln f?hlte. Irgendein warmes und beklemmendes Gef?hl flog von dort mit dem Blut durch den ganzen K?rper, Angst schoss heiss empor, h?mmerte drohend an die Schl?fen, ihr Kopf gl?hte, die Angst, die sinnlose Angst zuckte jetzt durch ihren ganzen K?rper, und sie entzog ihm rasch die Hand.

>>Bleiben Sie doch noch<<, fl?sterte der Baron. Aber schon eilte sie fort mit einer Ungelenkigkeit der Hast, die ihre Angst und Verwirrung augenf?llig machte. In ihr war jetzt die Erregtheit, die der andere wollte, sie f?hlte, wie alles in ihr verworren war. Die grausam brennende Angst jagte sie, der Mann hinter ihr m?chte ihr folgen und sie fassen, gleichzeitig aber, noch im Entspringen, sp?rte sie schon ein Bedauern, dass er es nicht tat. In dieser Stunde h?tte das geschehen k?nnen, was sie seit Jahren unbewusst ersehnte, das Abenteuer, dessen nahen Hauch sie woll?stig liebte, um ihm bisher immer im letzten Augenblick zu entweichen, das grosse und gef?hrliche, nicht nur der fl?chtige, aufreizende Flirt. Aber der Baron war zu stolz, einer g?nstigen Sekunde nachzulaufen. Er war seines Sieges zu gewiss, um diese Frau r?uberisch in einer schwachen, weintrunkenen Minute zu nehmen, im Gegenteil, den fairen Spieler reizte nur der Kampf und die Hingabe bei vollem Bewusstsein. Entrinnen konnte sie ihm nicht. Ihr zuckte, das merkte er, das heisse Gift schon in den Adern.

Oben auf der Treppe blieb sie stehen, die Hand an das keuchende Herz gepresst. Sie musste ausruhen eine Sekunde. Ihre Nerven versagten. Ein Seufzer brach aus der Brust, halb Beruhigung, einer Gefahr entronnen zu sein, halb Bedauern; aber das alles war verworren und wirrte im Blut nur als leises Schwindligsein weiter. Mit halbgeschlossenen Augen, wie eine Betrunkene, tappte sie weiter zu ihrer T?re und atmete auf, da sie jetzt die k?hle Klinke fasste. Jetzt empfand sie sich erst in Sicherheit!

Leise bog sie die T?re ins Zimmer. Und schrak schon zur?ck in der n?chsten Sekunde. Irgend etwas hatte sich ger?hrt in dem Zimmer, ganz r?ckw?rts im Dunkeln. Ihre erregten Nerven zuckten grell, schon wollte sie um Hilfe schreien, da kam es leise von drinnen, mit ganz schlaftrunkener Stimme: >>Bist du es, Mama?<<

>>Um Gottes willen, was machst du da?<< Sie st?rzte hin zum Diwan, wo Edgar zusammengekn?llt lag und sich eben vom Schlafe aufraffte. Ihr erster Gedanke war, das Kind m?sse krank sein oder Hilfe bed?rftig.

Aber Edgar sagte, ganz verschlafen noch und mit leisem Vorwurf: >>Ich habe so lange auf dich gewartet, und dann bin ich eingeschlafen.<<

>>Warum denn?<<

>>Wegen der Elefanten.<<

>>Was f?r Elefanten?<<

Jetzt erst begriff sie. Sie hatte ja dem Kinde versprochen, alles zu erz?hlen, heute noch, von der Jagd und den Abenteuern. Und da hatte sich dieser Bub auf ihr Zimmer geschlichen, dieser einf?ltige, kindische Bub, und im sicheren Vertrauen gewartet, bis sie kam, und war dar?ber eingeschlafen. Die Extravaganz emp?rte sie. Oder eigentlich, sie f?hlte Zorn gegen sich selbst, ein leises Raunen von Schuld und Scham, das sie ?berschreien wollte. >>Geh sofort zu Bett, du ungezogener Fratz<<, schrie sie ihn an. Edgar staunte ihr entgegen. Warum war sie so zornig mit ihm, er hatte doch nichts getan? Aber diese Verwunderung reizte die schon Aufgeregte noch mehr. >>Geh sofort in dein Zimmer<<, schrie sie w?tend, weil sie f?hlte, dass sie ihm unrecht tat. Edgar ging ohne ein Wort. Er war eigentlich furchtbar m?de und sp?rte nur verworren durch den dr?ckenden Nebel von Schlaf, dass seine Mutter ein Versprechen nicht gehalten hatte und dass man in irgendeiner Weise gegen ihn schlecht war. Aber er revoltierte nicht. In ihm war alles stumpf durch die M?digkeit; und dann, er ?rgerte sich sehr, hier oben eingeschlafen zu sein, statt wach zu warten. >>Ganz wie ein kleines Kind<<, sagte er emp?rt zu sich selber, ehe er wieder in Schlaf fiel.

Denn seit gestern hasste er seine eigene Kindheit.

Gepl?nkel

Der Baron hatte schlecht geschlafen. Es ist immer gef?hrlich, nach einem abgebrochenen Abenteuer zu Bette zu gehen: eine unruhige, von schw?len Tr?umen gef?hrdete Nacht liess es ihn bald bereuen, die Minute nicht mit hartem Griff gepackt zu haben. Als er morgens, noch von Schlaf und Missmut umw?lkt, hinunterkam, sprang ihm der Knabe aus einem Versteck entgegen, schloss ihn begeistert in die Arme und begann ihn mit tausend Fragen zu qu?len. Er war gl?cklich, seinen grossen Freund wieder eine Minute f?r sich zu haben und nicht mit der Mama teilen zu m?ssen. Nur ihm sollte er erz?hlen, nicht mehr Mama, best?rmte er ihn, denn die h?tte, trotz ihres Versprechens, ihm nichts von all den wunderbaren Dingen wiedergesagt. Er ?bersch?ttete den unangenehm Aufgeschreckten, der seine Misslaune nur schlecht verbarg, mit hundert kindischen Bel?stigungen. In diese Fragen mengte er ?berdies st?rmische Bezeugungen seiner Liebe, gl?ckselig, wieder mit dem Langgesuchten und seit fr?hmorgens Erwarteten allein zu sein.

Der Baron antwortete unwirsch. Dieses ewige Auflauern des Kindes, die L?ppischkeit der Fragen, wie ?berhaupt die unbegehrte Leidenschaft begann ihn zu langweilen. Er war m?de, nun tagaus, tagein mit einem zw?lfj?hrigen Buben herumzuziehen und mit ihm Unsinn zu schwatzen. Ihm lag jetzt nur daran, die Mutter allein zu fassen, was eben durch des Kindes unerw?nschte Anwesenheit zum Problem wurde. Ein erstes Unbehagen vor dieser unvorsichtig geweckten Z?rtlichkeit bem?chtigte sich seiner, denn vorl?ufig sah er keine M?glichkeit, den allzu anh?nglichen Freund loszuwerden.

Immerhin: es kam auf den Versuch an. Bis zehn Uhr, der Stunde, die er mit der Mutter zum Spaziergang verabredet hatte, liess er das eifrige Gerede des Buben achtlos ?ber sich hinpl?tschern, warf manchmal einen Brocken Gespr?ch hin, um ihn nicht zu beleidigen, durchbl?tterte aber gleichzeitig die Zeitung. Endlich, als der Zeiger fast senkrecht stand, bat er Edgar, wie sich pl?tzlich erinnernd, f?r ihn ins andere Hotel bloss einen Augenblick hin?berzugehen, um dort nachzufragen, ob der Graf Grundheim, sein Vetter, schon angekommen sei.

Das arglose Kind, gl?ckselig, endlich einmal seinem Freund mit etwas dienlich sein zu k?nnen, stolz auf seine W?rde als Bote, sprang sofort weg und st?rmte so toll den Weg hin, dass die Leute ihm verwundert nachstarrten. Aber ihm war gelegen, zu zeigen, wie flink er war, wenn man ihm Botschaften vertraute. Der Graf war, so sagte man ihm dort, noch nicht eingetroffen, ja zur Stunde gar nicht angemeldet. Diese Nachricht brachte er in neuerlichem Sturmschritt zur?ck. Aber in der Halle war der Baron nicht mehr zu finden. So klopfte er an seine Zimmert?r, -- vergeblich! Beunruhigt rannte er alle R?ume ab, das Musikzimmer und das Kaffeehaus, st?rmte aufgeregt zu seiner Mama, um Erkundigungen einzuziehen: auch sie war fort. Der Portier, an den er sich schliesslich ganz verzweifelt wandte, sagte ihm zu seiner Verbl?ffung, sie seien beide vor einigen Minuten gemeinsam weggegangen!

Edgar wartete geduldig. Seine Arglosigkeit vermutete nichts B?ses. Sie konnten ja nur eine kurze Weile wegbleiben, dessen war er sicher, denn der Baron brauchte ja seinen Bescheid. Aber die Zeit streckte breit ihre Stunden, Unruhe schlich sich an ihn heran. ?berhaupt, seit dem Tage, da sich dieser fremde, verf?hrerische Mensch in sein kleines, argloses Leben gemengt hatte, war das Kind den ganzen Tag angespannt, gehetzt und verwirrt. In einen so feinen Organismus, wie den der Kinder, dr?ckt jede Leidenschaft wie in weiches Wachs ihre Spuren. Das nerv?se Zittern der Augenlider trat wieder auf, schon sah er bl?sser aus. Edgar wartete und wartete, geduldig zuerst, dann wild erregt und schliesslich schon dem Weinen nah. Aber argw?hnisch war er noch immer nicht. Sein blindes Vertrauen in diesen wundervollen Freund vermutete ein Missverst?ndnis, und geheime Angst qu?lte ihn, er m?chte vielleicht den Auftrag falsch verstanden haben.

Wie seltsam aber war erst dies, dass sie jetzt, da sie endlich zur?ckkamen, heiter plaudernd blieben und gar keine Verwunderung bezeigten. Es schien, als h?tten sie ihn gar nicht sonderlich vermisst: >>Wir sind dir entgegengegangen, weil wir hofften, dich am Weg zu treffen, Edi<<, sagte der Baron, ohne sich nach dem Auftrag zu erkundigen. Und als das Kind, ganz erschrocken, sie k?nnten ihn vergebens gesucht haben, zu beteuern begann, er sei nur auf dem geraden Wege der Hochstrasse gelaufen, und wissen wollte, welche Richtung sie gew?hlt h?tten, da schnitt die Mama kurz das Gespr?ch ab. >>Schon gut, schon gut! Kinder sollen nicht soviel reden.<<

Edgar wurde rot vor ?rger. Das war nun schon das zweite Mal so ein niedertr?chtiger Versuch, ihn vor seinem Freund herabzusetzen. Warum tat sie das, warum versuchte sie immer, ihn als Kind darzustellen, das er doch -- er war davon ?berzeugt -- nicht mehr war? Offenbar war sie ihm neidisch auf seinen Freund und plante, ihn zu sich her?berzuziehen. Ja, und sicherlich war sie es auch, die den Baron mit Absicht den falschen Weg gef?hrt hatte. Aber er liess sich nicht von ihr misshandeln, das sollte sie sehen. Er wollte ihr schon Trotz bieten. Und Edgar beschloss, heute bei Tisch kein Wort mit ihr zu reden, nur mit seinem Freund allein.

Doch das wurde ihm hart. Was er am wenigsten erwartet hatte, trat ein: man bemerkte seinen Trotz nicht. Ja, sogar ihn selber schienen sie nicht zu sehen, ihn, der doch gestern Mittelpunkt ihres Beisammenseins gewesen war! Sie sprachen beide ?ber ihn hinweg, scherzten zusammen und lachten, als ob er unter den Tisch gesunken w?re. Das Blut stieg ihm zu den Wangen, in der Kehle sass ein Knollen, der ihm den Atem erw?rgte. Mit Schauern wurde er seiner entsetzlichen Machtlosigkeit bewusst. Er sollte also hier ruhig sitzen und zusehen, wie seine Mutter ihm den Freund wegnahm, den einzigen Menschen, den er liebte, und sollte sich nicht wehren k?nnen, nicht anders als durch Schweigen? Ihm war, als m?sste er aufstehen und pl?tzlich mit beiden F?usten auf den Tisch losschlagen. Nur damit sie ihn bemerkten. Aber er hielt sich zusammen, legte bloss Gabel und Messer nieder und r?hrte keinen Bissen mehr an. Aber auch dies hartn?ckige Fasten merkten sie lange nicht, erst beim letzten Gang fiel es der Mutter auf, und sie fragte, ob er sich nicht wohl f?hle. Widerlich, dachte er sich, immer denkt sie nur das eine, ob ich nicht krank bin, sonst ist ihr alles einerlei. Er antwortete kurz, er habe keine Lust, und damit gab sie sich zufrieden. Nichts, gar nichts erzwang ihm Beachtung. Der Baron schien ihn vergessen zu haben, wenigstens richtete er nicht ein einziges Mal das Wort an ihn. Heisser und heisser quoll es ihm in die Augen, und er musste die kindische List anwenden, rasch die Serviette zu heben, ehe es jemand sehen konnte, dass Tr?nen ?ber seine Wangen sprangen und ihm salzig die Lippen n?ssten. Er atmete auf, wie das Essen zu Ende war.

W?hrend des Diners hatte seine Mutter eine gemeinsame Wagenfahrt nach Maria-Schutz vorgeschlagen. Edgar hatte es geh?rt, die Lippe zwischen den Z?hnen. Nicht eine Minute wollte sie ihn also mehr mit seinem Freunde allein lassen. Aber sein Hass stieg erst wild auf, als sie ihm jetzt beim Aufstehen sagte: >>Edgar, du wirst noch alles f?r die Schule vergessen, du solltest doch einmal zu Hause bleiben, ein bisschen nachlernen!<< Wieder ballte er die kleine Kinderfaust. Immer wollte sie ihn vor seinem Freund dem?tigen, immer daran ?ffentlich erinnern, dass er noch ein Kind war, dass er in die Schule gehen musste und nur geduldet unter Erwachsenen war. Diesmal war ihm die Absicht aber doch zu durchsichtig. Er gab gar keine Antwort, sondern drehte sich kurzweg um.

>>Aha, wieder beleidigt<<, sagte sie l?chelnd, und dann zum Baron: >>W?re das wirklich so arg, wenn er einmal eine Stunde arbeiten m?chte?<<

Und da -- im Herzen des Kindes wurde etwas kalt und starr -- sagte der Baron, er, der sich seinen Freund nannte, er, der ihn als Stubenhocker verh?hnt hatte: >>Na, eine Stunde oder zwei k?nnten wirklich nicht schaden.<<

War das ein Einverst?ndnis? Hatten sie sich wirklich beide gegen ihn verb?ndet? In dem Blick des Kindes flammte der Zorn. >>Mein Papa hat verboten, dass ich hier lerne, Papa will, dass ich mich hier erhole<<, schleuderte er heraus mit dem ganzen Stolz auf seine Krankheit, verzweifelt sich an das Wort, an die Autorit?t seines Vaters anklammernd. Wie eine Drohung stiess er es heraus. Und was das merkw?rdigste war: das Wort schien tats?chlich in den beiden ein Missbehagen zu erwecken. Die Mutter sah weg und trommelte nur nerv?s mit den Fingern auf den Tisch. Ein peinliches Schweigen stand breit zwischen ihnen. >>Wie du meinst, Edi<<, sagte schliesslich der Baron mit einem erzwungenen L?cheln. >>Ich muss ja keine Pr?fung machen, ich bin schon l?ngst bei allen durchgefallen.<<

Aber Edgar l?chelte nicht zu dem Scherz, sondern sah ihn nur an mit einem pr?fenden, sehns?chtig eindringenden Blick, als wollte er ihm bis in die Seele greifen. Was ging da vor? Etwas war ver?ndert zwischen ihnen, und das Kind wusste nicht warum. Unruhig liess es die Augen wandern. In seinem Herzen h?mmerte ein kleiner, hastiger Hammer: der erste Verdacht.

Brennendes Geheimnis

>>Was hat sie so verwandelt?<< sann das Kind, das ihnen im rollenden Wagen gegen?bersass. >>Warum sind sie nicht mehr zu mir wie fr?her? Weshalb vermeidet Mama immer meinen Blick, wenn ich sie ansehe? Warum sucht er immer vor mir Witze zu machen und den Hanswurst zu spielen? Beide reden sie nicht mehr zu mir wie gestern und vorgestern, mir ist beinahe, als h?tten sie andere Gesichter bekommen. Mama hat heute so rote Lippen, sie muss sie gef?rbt haben. Das habe ich nie gesehen an ihr. Und er zieht immer die Stirne kraus, als sei er beleidigt. Ich habe ihnen doch nichts getan, kein Wort gesagt, das sie verdriessen konnte? Nein, ich kann nicht die Ursache sein, denn sie sind selbst zueinander anders wie vordem. Sie sind so, als ob sie etwas angestellt h?tten, das sie sich nicht zu sagen getrauen. Sie plaudern nicht mehr wie gestern, sie lachen auch nicht, sie sind befangen, sie verbergen etwas. Irgendein Geheimnis ist zwischen ihnen, das sie mir nicht verraten wollen. Ein Geheimnis, das ich ergr?nden muss um jeden Preis. Ich kenne es schon, es muss dasselbe sein, vor dem sie mir immer die T?re verschliessen, von dem in den B?chern die Rede ist und in den Opern, wenn die M?nner und die Frauen mit ausgebreiteten Armen gegeneinander singen, sich umfassen und sich wegstossen. Es muss irgendwie dasselbe sein, wie das mit meiner franz?sischen Lehrerin, die sich mit Papa so schlecht vertrug und die dann weggeschickt wurde. All diese Dinge h?ngen zusammen, das sp?re ich, aber ich weiss nur nicht, wie. Oh, es zu wissen, endlich zu wissen, dieses Geheimnis, ihn zu fassen, diesen Schl?ssel, der alle T?ren aufschliesst, nicht l?nger mehr Kind sein, vor dem man alles versteckt und verhehlt, sich nicht mehr hinhalten lassen und betr?gen. Jetzt oder nie! Ich will es ihnen entreissen, dieses furchtbare Geheimnis.<< Eine Falte grub sich in seine Stirne, beinahe alt sah der schm?chtige Zw?lfj?hrige aus, wie er so ernst vor sich hin gr?belte, ohne einen einzigen Blick an die Landschaft zu wenden, die sich in klingenden Farben rings entfaltete, die Berge im gereinigten Gr?n ihrer Nadelw?lder, die T?ler im noch zarten Glanz des versp?teten Fr?hlings. Er sah nur immer die beiden ihm gegen?ber im R?cksitz des Wagens an, als k?nnte er mit diesen heissen Blicken wie mit einer Angel das Geheimnis aus den glitzernden Tiefen ihrer Augen herausreissen. Nichts sch?rft Intelligenz mehr als ein leidenschaftlicher Verdacht, nichts entfaltet mehr alle M?glichkeiten eines unreifen Intellekts als eine F?hrte, die ins Dunkel l?uft. Manchmal ist es ja nur eine einzige, d?nne T?r, die Kinder von der Welt, die wir die wirkliche nennen, abtrennt, und ein zuf?lliger Windhauch weht sie ihnen auf.

Edgar f?hlte sich mit einem Male dem Unbekannten, dem grossen Geheimnis so greifbar nahe wie noch nie, er sp?rte es knapp vor sich, zwar noch verschlossen und unentr?tselt, aber nah, ganz nah. Das erregte ihn und gab ihm diesen pl?tzlichen, feierlichen Ernst. Denn unbewusst ahnte er, dass er am Rand seiner Kindheit stand.

Die beiden gegen?ber f?hlten irgendeinen dumpfen Widerstand vor sich, ohne zu ahnen, dass er von dem Knaben ausging. Sie f?hlten sich eng und gehemmt zu dritt im Wagen. Die beiden Augen ihnen gegen?ber mit ihrer dunkel in sich flackernden Glut behinderten sie. Sie wagten kaum zu reden, kaum zu blicken. Zu ihrer vormaligen leichten, gesellschaftlichen Konversation fanden sie jetzt nicht mehr zur?ck, schon zu sehr verstrickt in dem Ton der heissen Vertraulichkeiten, jener gef?hrlichen Worte, in denen die schmeichelnde Unz?chtigkeit von heimlichen Betastungen zittert. Ihr Gespr?ch stiess immer auf L?cken und Stockungen. Es blieb stehen, wollte weiter, aber stolperte immer wieder ?ber das hartn?ckige Schweigen des Kindes.

Besonders f?r die Mutter war sein verbissenes Schweigen eine Last. Sie sah ihn vorsichtig von der Seite an und erschrak, als sie pl?tzlich in der Art, wie das Kind die Lippen verkniff, zum erstenmal eine ?hnlichkeit mit ihrem Mann erkannte, wenn er gereizt oder ver?rgert war. Der Gedanke war ihr unbehaglich, gerade jetzt an ihren Mann erinnert zu werden, da sie mit einem Abenteuer Versteck spielen wollte. Wie ein Gespenst, ein W?chter des Gewissens, doppelt unertr?glich hier in der Enge des Wagens, zehn Zoll gegen?ber mit seinen dunkel arbeitenden Augen und dem Lauern hinter der blassen Stirn, schien ihr das Kind. Da schaute Edgar pl?tzlich auf, eine Sekunde lang. Beide senkten sie sofort den Blick: sie sp?rten, dass sie sich belauerten, zum erstenmal in ihrem Leben. Bisher hatten sie einander blind vertraut, jetzt aber war etwas zwischen Mutter und Kind, zwischen ihr und ihm pl?tzlich anders geworden. Zum ersten Male in ihrem Leben begannen sie, sich zu beobachten, ihre beiden Schicksale voneinander zu trennen, beide schon mit einem heimlichen Hass gegeneinander, der nur noch zu neu war, als dass sie sich ihn einzugestehen wagten.

Alle drei atmeten sie auf, als die Pferde wieder vor dem Hotel hielten. Es war ein verungl?ckter Ausflug gewesen, alle f?hlten es, und keiner wagte es zu sagen. Edgar sprang zuerst ab. Seine Mutter entschuldigte sich mit Kopfschmerzen und ging eilig hinauf. Sie war m?de und wollte allein sein. Edgar und der Baron blieben zur?ck. Der Baron zahlte dem Kutscher, sah auf die Uhr und schritt gegen die Hall zu, ohne den Buben zu beachten. Er ging vorbei an ihm mit seinem feinen, schlanken R?cken, diesem rhythmisch leichten Wiegegang, der das Kind so bezauberte und den es gestern schon nachzuahmen versucht hatte. Er ging vorbei, glatt vorbei. Offenbar hatte er den Knaben vergessen und liess ihn stehen neben dem Kutscher, neben den Pferden, als geh?rte er nicht zu ihm.

In Edgar riss irgend etwas entzwei, wie er ihn so vor?bergehen sah, ihn, den er trotz alldem noch immer so abg?ttisch liebte. Verzweiflung brach aus seinem Herzen, als er so vorbeiging, ohne ihn mit dem Mantel zu streifen, ohne ihm ein Wort zu sagen, der sich doch keiner Schuld bewusst war. Die m?hsam bewahrte Fassung zerriss, die k?nstlich erh?hte Last der W?rde glitt ihm von den zu schmalen Schultern, er wurde wieder ein Kind, klein und dem?tig wie gestern und vordem. Es riss ihn weiter wider seinen Willen. Mit rasch zitternden Schritten ging er dem Baron nach, trat ihm, der eben die Treppe hinauf wollte, in den Weg und sagte gepresst, mit schwer verhaltenen Tr?nen:

>>Was habe ich Ihnen getan, dass Sie nicht mehr auf mich achten? Warum sind Sie jetzt immer so mit mir? Und die Mama auch? Warum wollen Sie mich immer wegschicken? Bin ich Ihnen l?stig, oder habe ich etwas getan?<<

Der Baron schrak auf. In der Stimme war etwas, das ihn verwirrte und weich stimmte. Mitleid ?berkam ihn mit dem arglosen Buben. >>Edi, du bist ein Narr! Ich war nur schlechter Laune heute. Und du bist ein lieber Bub, den ich wirklich gern hab.<< Dabei sch?ttelte er ihn am Schopf t?chtig hin und her, aber doch das Gesicht halb abgewendet, um nicht diese grossen, feuchten, flehenden Kinderaugen sehen zu m?ssen. Die Kom?die, die er spielte, begann ihm peinlich zu werden. Er sch?mte sich eigentlich schon, mit der Liebe dieses Kindes so frech gespielt zu haben, und diese d?nne, von unterirdischem Schluchzen gesch?ttelte Stimme tat ihm weh. >>Geh jetzt hinauf, Edi, heute abend werden wir uns wieder vertragen, du wirst schon sehen<<, sagte er beg?tigend.

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