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Read Ebook: Brennendes Geheimnis: Erzählung by Zweig Stefan

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Ebook has 242 lines and 20748 words, and 5 pages

Der Baron schrak auf. In der Stimme war etwas, das ihn verwirrte und weich stimmte. Mitleid ?berkam ihn mit dem arglosen Buben. >>Edi, du bist ein Narr! Ich war nur schlechter Laune heute. Und du bist ein lieber Bub, den ich wirklich gern hab.<< Dabei sch?ttelte er ihn am Schopf t?chtig hin und her, aber doch das Gesicht halb abgewendet, um nicht diese grossen, feuchten, flehenden Kinderaugen sehen zu m?ssen. Die Kom?die, die er spielte, begann ihm peinlich zu werden. Er sch?mte sich eigentlich schon, mit der Liebe dieses Kindes so frech gespielt zu haben, und diese d?nne, von unterirdischem Schluchzen gesch?ttelte Stimme tat ihm weh. >>Geh jetzt hinauf, Edi, heute abend werden wir uns wieder vertragen, du wirst schon sehen<<, sagte er beg?tigend.

>>Aber Sie dulden nicht, dass mich Mama gleich hinaufschickt. Nicht wahr?<<

>>Nein, nein, Edi, ich dulde es nicht<<, l?chelte der Baron. >>Geh nur jetzt hinauf, ich muss mich anziehen f?r das Abendessen.<<

Edgar ging, begl?ckt f?r den Augenblick. Aber bald begann der Hammer im Herzen sich wieder zu r?hren. Er war um Jahre ?lter geworden seit gestern; ein fremder Gast, das Misstrauen, sass jetzt schon fest in seiner kindischen Brust.

Er wartete. Es galt ja die entscheidende Probe. Sie sassen zusammen bei Tisch. Es wurde neun Uhr, aber die Mutter schickte ihn nicht zu Bett. Schon wurde er unruhig. Warum liess sie ihn gerade heute so lange hier bleiben, sie, die sonst so genau war? Hatte ihr am Ende der Baron seinen Wunsch und das Gespr?ch verraten? Brennende Reue ?berfiel ihn pl?tzlich, ihm heute mit seinem vollen vertrauenden Herzen nachgelaufen zu sein. Um zehn erhob sich pl?tzlich seine Mutter und nahm Abschied vom Baron. Und seltsam, auch der schien durch diesen fr?hen Aufbruch keineswegs verwundert zu sein, suchte auch nicht, wie sonst immer, sie zur?ckzuhalten. Immer heftiger schlug der Hammer in der Brust des Kindes.

Nun galt es scharfe Probe. Auch er stellte sich nichtsahnend und folgte ohne Widerrede seiner Mutter zur T?r. Dort aber zuckte er pl?tzlich auf mit den Augen. Und wirklich, er fing in dieser Sekunde einen l?chelnden Blick, der ?ber seinen Kopf von ihr gerade zum Baron hin?berging, einen Blick des Einverst?ndnisses, irgendeines Geheimnisses. Der Baron hatte ihn also verraten. Deshalb also der fr?he Aufbruch: er sollte heute eingewiegt werden in Sicherheit, um ihnen morgen nicht mehr im Wege zu sein.

>>Schuft<<, murmelte er.

>>Was meinst du?<< fragte die Mutter.

>>Nichts<<, stiess er zwischen den Z?hnen heraus. Auch er hatte jetzt sein Geheimnis. Es hiess Hass, grenzenloser Hass gegen beide.

Schweigen

Edgars Unruhe war nun vorbei. Endlich genoss er ein reines, klares Gef?hl: Hass und offene Feindschaft. Jetzt, da er gewiss war, ihnen im Weg zu sein, wurde das Zusammensein f?r ihn zu einer grausam komplizierten Wollust. Er weidete sich im Gedanken, sie zu st?ren, ihnen nun endlich mit der ganzen geballten Kraft seiner Feindseligkeit entgegenzutreten. Dem Baron wies er zuerst die Z?hne. Als der morgens herabkam und ihn im Vor?bergehen herzlich mit einem >>Servus, Edi<< begr?sste, knurrte Edgar, der, ohne aufzuschauen, im Fauteuil sitzen blieb, ihm nur ein hartes >>Morgen<< zur?ck. >>Ist die Mama schon unten?<< Edgar blickte in die Zeitung: >>Ich weiss nicht.<< Der Baron stutzte. Was war das auf einmal? >>Schlecht geschlafen, Edi, was?<< Ein Scherz sollte wie immer hin?berhelfen. Aber Edgar warf ihm nur wieder ver?chtlich ein >>Nein<< hin und vertiefte sich neuerdings in die Zeitung. >>Dummer Bub<<, murmelte der Baron vor sich hin, zuckte die Achseln und ging weiter. Die Feindschaft war erkl?rt.

Auch gegen seine Mama war Edgar k?hl und h?flich. Einen ungeschickten Versuch, ihn auf den Tennisplatz zu schicken, wies er ruhig zur?ck. Sein L?cheln, knapp an den Lippen aufgerollt und leise von Erbitterung gekr?uselt, zeigte, dass er sich nicht mehr betr?gen lasse. >>Ich gehe lieber mit euch spazieren, Mama<<, sagte er mit falscher Freundlichkeit und blickte ihr in die Augen. Die Antwort war ihr sichtlich ungelegen. Sie z?gerte und schien etwas zu suchen. >>Warte hier auf mich<<, entschied sie endlich und ging zum Fr?hst?ck.

Edgar wartete. Aber sein Misstrauen war rege. Ein unruhiger Instinkt arbeitete nun zwischen jedem Wort dieser beiden eine geheime feindselige Absicht heraus. Der Argwohn gab ihm jetzt manchmal eine merkw?rdige Hellsichtigkeit der Entschl?sse. Und statt, wie ihm angewiesen war, in der Hall zu warten, zog Edgar es vor, sich auf der Strasse zu postieren, wo er nicht nur den einen Hauptausgang, sondern alle T?ren ?berwachen konnte. Irgend etwas in ihm witterte Betrug. Aber sie sollten ihm nicht mehr entwischen. Auf der Strasse dr?ckte er sich, wie er es in seinen Indianerb?chern gelernt hatte, hinter einen Holzstoss. Und lachte nur zufrieden, als er nach etwa einer halben Stunde seine Mutter tats?chlich aus der Seitent?r treten sah, einen Busch prachtvoller Rosen in der Hand und gefolgt vom Baron, dem Verr?ter.

Beide schienen sie sehr ?berm?tig. Atmeten sie schon auf, ihm entgangen zu sein, allein f?r ihr Geheimnis? Sie lachten im Gespr?ch und schickten sich an, den Waldweg hinabzugehen.

Jetzt war der Augenblick gekommen. Edgar schlenderte gem?chlich, als h?tte ein Zufall ihn hergef?hrt, hinter dem Holzstoss hervor. Ganz, ganz gelassen ging er auf sie zu, liess sich Zeit, sehr viel Zeit, um sich ausgiebig an ihrer ?berraschung zu weiden. Die beiden waren verbl?fft und tauschten einen befremdeten Blick. Langsam, mit gespielter Selbstverst?ndlichkeit kam das Kind heran und liess seinen h?hnischen Blick nicht von ihnen. >>Ah, da bist du, Edi, wir haben dich schon drin gesucht<<, sagte endlich die Mutter. Wie frech sie l?gt, dachte das Kind. Aber die Lippen blieben hart. Sie hielten das Geheimnis des Hasses hinter den Z?hnen.

Unschl?ssig standen sie alle drei. Einer lauerte auf den andern. >>Also gehen wir<<, sagte resigniert die ver?rgerte Frau und zerpfl?ckte eine der sch?nen Rosen. Wieder dieses leichte Zittern um die Nasenfl?gel, das bei ihr Zorn verriet. Edgar blieb stehen, als ginge ihn das nichts an, sah ins Blaue, wartete, bis sie gingen, dann schickte er sich an, ihnen zu folgen. Der Baron machte noch einen Versuch. >>Heute ist Tennisturnier, hast du das schon einmal gesehen?<< Edgar blickte ihn nur ver?chtlich an. Er antwortete ihm gar nicht mehr, zog nur die Lippen krumm, als ob er pfeifen wollte. Das war sein Bescheid. Sein Hass wies die blanken Z?hne.

Wie ein Alp lastete nun seine unerbetene Gegenwart auf den beiden. Str?flinge gehen so hinter dem W?rter, mit heimlich geballten F?usten. Das Kind tat eigentlich gar nichts und wurde ihnen doch in jeder Minute mehr unertr?glich mit seinen lauernden Blicken, die feucht waren von verbissenen Tr?nen, seiner gereizten M?rrischkeit, die alle Ann?herungsversuche wegknurrte. >>Geh voraus<<, sagte pl?tzlich w?tend die Mutter, beunruhigt durch sein fortw?hrendes Lauschen. >>Tanz mir nicht immer vor den F?ssen, das macht mich nerv?s!<< Edgar gehorchte, aber immer nach ein paar Schritten wandte er sich um, blieb wartend stehen, wenn sie zur?ckgeblieben waren, sie mit seinem Blick wie der schwarze Pudel mephistophelisch umkreisend und einspinnend in dieses feurige Netz von Hass, in dem sie sich unentrinnbar gefangen f?hlten.

Sein b?ses Schweigen zerriss wie eine S?ure ihre gute Laune, sein Blick verg?llte ihnen das Gespr?ch. Der Baron wagte kein einziges werbendes Wort mehr, er sp?rte, mit Zorn, diese Frau ihm wieder entgleiten, ihre m?hsam angefachte Leidenschaftlichkeit jetzt ausk?hlen in der Furcht vor diesem l?stigen, widerlichen Kind. Immer versuchten sie wieder zu reden, immer brach ihre Konversation zusammen. Schliesslich trotteten sie alle drei schweigend ?ber den Weg, h?rten nur mehr die B?ume fl?sternd gegeneinander schlagen und ihren eigenen verdrossenen Schritt. Das Kind hatte ihr Gespr?ch erdrosselt.

Jetzt war in allen dreien die gereizte Feindseligkeit. Mit Wollust sp?rte das verratene Kind, wie sich ihre Wut wehrlos gegen seine missachtete Existenz ballte. Mit zwinkernd h?hnischem Blick streifte er ab und zu das verbissene Gesicht des Barons. Er sah, wie der zwischen den Z?hnen Schimpfworte knirschte und an sich halten musste, um sie nicht gegen ihn zu speien, merkte zugleich auch mit diabolischer Lust den aufsteigenden Zorn seiner Mutter, und dass beide nur einen Anlass ersehnten, sich auf ihn zu st?rzen, ihn wegzuschieben oder unsch?dlich zu machen. Aber er bot keine Gelegenheit, sein Hass war in langen Stunden berechnet und gab sich keine Bl?ssen. >>Gehen wir zur?ck!<< sagte pl?tzlich die Mutter. Sie f?hlte, dass sie nicht l?nger an sich halten k?nnte, dass sie etwas tun m?sste, aufschreien zumindest unter dieser Folter. >>Wie schade,<< sagte Edgar ruhig, >>es ist so sch?n.<<

Beide merkten, dass das Kind sie verh?hnte. Aber sie wagten nichts zu sagen, dieser Tyrann hatte in zwei Tagen zu wundervoll gelernt, sich zu beherrschen. Kein Zucken im Gesicht verriet die schneidende Ironie. Ohne Wort gingen sie den langen Weg wieder heim. In ihr flackerte die Erregung noch nach, als sie dann beide allein im Zimmer waren. Sie warf den Sonnenschirm und ihre Handschuhe ?rgerlich weg. Edgar merkte sofort, dass ihre Nerven erregt waren und nach Entladung verlangten, aber er wollte einen Ausbruch und blieb mit Absicht im Zimmer, um sie zu reizen. Sie ging auf und ab, setzte sich wieder hin, ihre Finger trommelten auf dem Tisch, dann sprang sie wieder auf. >>Wie zerrauft du bist, wie schmutzig du umhergehst! Es ist eine Schande vor den Leuten. Sch?mst du dich nicht in deinem Alter?<< Ohne ein Wort der Gegenrede ging das Kind hin und k?mmte sich. Dieses Schweigen, dieses obstinate kalte Schweigen mit dem Zittern von Hohn auf den Lippen machte sie rasend. Am liebsten h?tte sie ihn gepr?gelt. >>Geh auf dein Zimmer<<, schrie sie ihn an. Sie konnte seine Gegenwart nicht mehr ertragen. Edgar l?chelte und ging.

Wie sie jetzt beide zitterten vor ihm, wie sie Angst hatten, der Baron und sie, vor jeder Stunde des Zusammenseins, dem unbarmherzig harten Griff seiner Augen! Je unbehaglicher sie sich f?hlten, in um so satterem Wohlbehagen begl?nzte sich sein Blick, um so herausfordernder wurde seine Freude. Edgar qu?lte die Wehrlosen jetzt mit der ganzen, fast noch tierischen Grausamkeit der Kinder. Der Baron konnte seinen Zorn noch d?mmen, weil er immer hoffte, dem Buben noch einen Streich spielen zu k?nnen, und nur an sein Ziel dachte. Aber sie, die Mutter, verlor immer wieder die Beherrschung. F?r sie war es eine Erleichterung, ihn anschreien zu k?nnen. >>Spiel nicht mit der Gabel<<, fuhr sie ihn bei Tisch an. >>Du bist ein unerzogener Fratz, verdienst noch gar nicht unter Erwachsenen zu sitzen.<< Edgar l?chelte nur immer, l?chelte, den Kopf ein wenig schief zur Seite gelegt. Er wusste, dass dieses Schreien Verzweiflung war, und empfand Stolz, dass sie sich so verrieten. Er hatte jetzt einen ganz ruhigen Blick, wie den eines Arztes. Fr?her w?re er vielleicht boshaft gewesen, um sie zu ?rgern, aber man lernt viel und rasch im Hass. Jetzt schwieg er nur, schwieg und schwieg, bis sie zu schreien begann unter dem Druck seines Schweigens.

Seine Mutter konnte es nicht l?nger ertragen. Als sie jetzt vom Essen aufstanden und Edgar wieder mit dieser selbstverst?ndlichen Anh?nglichkeit ihnen folgen wollte, brach es pl?tzlich los aus ihr. Sie vergass alle R?cksicht und spie die Wahrheit aus. Gepeinigt von seiner schleichenden Gegenwart, b?umte sie sich wie ein von Fliegen gefoltertes Pferd. >>Was rennst du mir immer nach wie ein dreij?hriges Kind. Ich will dich nicht immer in der N?he haben. Kinder geh?ren nicht zu Erwachsenen. Merk dir das! Besch?ftige dich doch einmal eine Stunde mit dir selbst. Lies etwas oder tu, was du willst. Lass mich in Ruh! Du machst mich nerv?s mit deinem Herumschleichen, deiner widerlichen Verdrossenheit.<<

Endlich hatte er es ihr entrissen, das Gest?ndnis! Edgar l?chelte, w?hrend der Baron und sie jetzt verlegen schienen. Sie wandte sich ab und wollte weiter, w?tend ?ber sich selbst, dass sie ihr Unbehagen dem Kind eingestanden hatte. Aber Edgar sagte nur k?hl: >>Papa will nicht, dass ich allein hier herumgehe. Papa hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich nicht unvorsichtig bin und bei dir bleibe.<<

Er betonte das Wort >>Papa<<, weil er damals bemerkt hatte, dass es eine gewisse l?hmende Wirkung auf die beiden ?bte. Auch sein Vater musste also irgendwie verstrickt sein in dieses heisse Geheimnis. Papa musste irgendeine geheime Macht ?ber die beiden haben, die er nicht kannte, denn schon die Erw?hnung seines Namens schien ihnen Angst und Unbehagen zu bereiten. Auch diesmal entgegneten sie nichts. Sie streckten die Waffen. Die Mutter ging voran, der Baron mit ihr. Hinter ihnen kam Edgar, aber nicht dem?tig wie ein Diener, sondern hart, streng und unerbittlich wie ein W?chter. Unsichtbar klirrte er mit der Kette, an der sie r?ttelten und die nicht zu zersprengen war. Der Hass hatte seine kindische Kraft gest?hlt, er, der Unwissende, war st?rker als sie beide, denen das Geheimnis die H?nde band.

Die L?gner

Aber die Zeit dr?ngte. Der Baron hatte nur mehr wenige Tage, und die wollten gen?tzt sein. Widerstand gegen die Hartn?ckigkeit des gereizten Kindes war, das f?hlten sie, vergeblich, und so griffen sie zum letzten, zum schm?hlichsten Ausweg: zur Flucht, nur um f?r eine oder zwei Stunden seiner Tyrannei zu entgehen.

>>Gib diese Briefe rekommandiert zur Post<<, sagte die Mutter zu Edgar. Sie standen beide in der Hall, der Baron sprach draussen mit einem Fiaker.

Misstrauisch ?bernahm Edgar die beiden Briefe. Er hatte bemerkt, dass fr?her ein Diener irgendeine Botschaft seiner Mutter ?bermittelt hatte. Bereiteten sie am Ende etwas gemeinsam gegen ihn vor?

Er z?gerte. >>Wo erwartest du mich?<<

>>Hier.<<

>>Bestimmt?<<

>>Ja.<<

>>Dass du aber nicht weggehst! Du wartest also hier in der Hall auf mich, bis ich zur?ckkomme?<<

Er sprach im Gef?hl seiner ?berlegenheit mit seiner Mutter schon befehlshaberisch. Seit vorgestern hatte sich viel ver?ndert.

Dann ging er mit den beiden Briefen. An der T?r stiess er mit dem Baron zusammen. Er sprach ihn an, zum erstenmal seit zwei Tagen. >>Ich gebe nur die zwei Briefe auf. Meine Mama wartet auf mich, bis ich zur?ckkomme. Bitte gehen Sie nicht fr?her fort.<<

Der Baron dr?ckte sich rasch vorbei. >>Ja, ja, wir warten schon.<<

Edgar st?rmte zum Postamt. Er musste warten. Ein Herr vor ihm hatte ein Dutzend langweiliger Fragen. Endlich konnte er sich des Auftrags entledigen und rannte sofort mit den Rezipissen zur?ck. Und kam eben zurecht, um zu sehen, wie seine Mutter und der Baron im Fiaker davonfuhren.

Er war starr vor Wut. Fast h?tte er sich niedergeb?ckt und ihnen einen Stein nachgeschleudert. Sie waren ihm also doch entkommen, aber mit einer wie gemeinen, wie schurkischen L?ge! Dass seine Mutter log, wusste er seit gestern. Aber dass sie so schamlos sein konnte, ein offenes Versprechen zu missachten, das zerriss ihm ein letztes Vertrauen. Er verstand das ganze Leben nicht mehr, seit er sah, dass die Worte, hinter denen er die Wirklichkeit vermutet hatte, nur farbige Blasen waren, die sich bl?hten und in nichts zersprangen. Aber was f?r ein furchtbares Geheimnis musste das sein, das erwachsene Menschen so weit trieb, ihn, ein Kind, zu bel?gen, sich wegzustehlen wie Verbrecher? In den B?chern, die er gelesen hatte, mordeten und betrogen die Menschen, um Geld zu gewinnen, oder Macht, oder K?nigreiche. Was aber war hier die Ursache, was wollten diese beiden, warum versteckten sie sich vor ihm, was suchten sie unter hundert L?gen zu verh?llen? Er zermarterte sein Gehirn. Dunkel sp?rte er, dass dieses Geheimnis der Riegel der Kindheit sei, dass, es erobert zu haben, bedeutete, erwachsen zu sein, endlich, endlich ein Mann. Oh, es zu fassen! Aber er konnte nicht mehr klar denken. Die Wut, dass sie ihm entkommen waren, verbrannte und verqualmte ihm den klaren Blick.

Er lief hinaus in den Wald, gerade konnte er sich noch ins Dunkel retten, wo ihn niemand sah, und da brach es heraus, in einem Strom heisser Tr?nen. >>L?gner, Hunde, Betr?ger, Schurken<< -- er musste diese Worte laut herausschreien, sonst w?re er erstickt. Die Wut, die Ungeduld, der ?rger, die Neugier, die Hilflosigkeit und der Verrat der letzten Tage, im kindischen Krampf, im Wahn seiner Erwachsenheit niedergehalten, sprengten jetzt die Brust und wurden Tr?nen. Es war das letzte Weinen seiner Kindheit, das letzte wildeste Weinen, zum letztenmal gab er sich weibisch hin an die Wollust der Tr?nen. Er weinte in dieser Stunde fassungsloser Wut alles aus sich heraus, Vertrauen, Liebe, Gl?ubigkeit, Respekt -- seine ganze Kindheit.

Der Knabe, der dann zum Hotel zur?ckging, war ein anderer. Er war k?hl und handelte vorbedacht. Zun?chst ging er in sein Zimmer, wusch sorgf?ltig das Gesicht und die Augen, um den beiden nicht den Triumph zu g?nnen, die Spuren seiner Tr?nen zu sehen. Dann bereitete er die Abrechnung vor. Und wartete geduldig, ohne jede Unruhe.

Die Hall war recht gut besucht, als der Wagen mit den beiden Fl?chtigen draussen wieder hielt. Ein paar Herren spielten Schach, andere lasen ihre Zeitung, die Damen plauderten. Unter ihnen hatte reglos, ein wenig blass mit zitternden Blicken das Kind gesessen. Als jetzt seine Mutter und der Baron zur T?re hereinkamen, ein wenig geniert, ihn so pl?tzlich zu sehen, und schon die vorbereitete Ausrede stammeln wollten, trat er ihnen aufrecht und ruhig entgegen und sagte herausfordernd: >>Herr Baron, ich m?chte Ihnen etwas sagen.<<

Dem Baron wurde es unbehaglich. Er kam sich irgendwie ertappt vor. >>Ja, ja, sp?ter, gleich!<<

Aber Edgar warf die Stimme hoch und sagte hell und scharf, dass alle rings es h?ren konnten: >>Ich will aber jetzt mit Ihnen reden. Sie haben sich niedertr?chtig benommen. Sie haben mich angelogen. Sie wussten, dass meine Mama auf mich wartet, und sind ...<<

>>Edgar!<< schrie die Mutter, die alle Blicke auf sich gerichtet sah, und st?rzte gegen ihn los.

Aber das Kind kreischte jetzt, da es sah, dass sie seine Worte ?berschreien wollten, pl?tzlich gellend auf:

>>Ich sage es Ihnen nochmals vor allen Leuten. Sie haben infam gelogen, und das ist gemein, das ist erb?rmlich.<<

Der Baron stand blass, die Leute starrten auf, einige l?chelten.

Die Mutter packte das vor Erregung zitternde Kind: >>Komm sofort auf dein Zimmer, oder ich pr?gle dich hier vor allen Leuten<<, stammelte sie heiser.

Edgar aber war schon wieder ruhig. Es tat ihm leid, so leidenschaftlich gewesen zu sein. Er war unzufrieden mit sich selbst, denn eigentlich wollte er ja den Baron k?hl herausfordern, aber die Wut war wilder gewesen als sein Wille. Ruhig, ohne Hast wandte er sich zur Treppe.

>>Entschuldigen Sie, Herr Baron, seine Ungezogenheit. Sie wissen ja, er ist ein nerv?ses Kind<<, stotterte sie noch, verwirrt von den ein wenig h?mischen Blicken der Leute, die sie ringsum anstarrten. Nichts in der Welt war ihr f?rchterlicher als Skandal, und sie wusste, dass sie nun Haltung bewahren musste. Statt gleich die Flucht zu ergreifen, ging sie zuerst zum Portier, fragte nach Briefen und anderen gleichg?ltigen Dingen und rauschte dann hinauf, als ob nichts geschehen w?re. Aber hinter ihr wisperte ein leises Kielwasser von Zischeln und unterdr?cktem Gel?chter.

Unterwegs verlangsamte sich ihr Schritt. Sie war immer ernsten Situationen gegen?ber hilflos und hatte eigentlich Angst vor dieser Auseinandersetzung. Dass sie schuldig war, konnte sie nicht leugnen, und dann: sie f?rchtete sich vor dem Blick des Kindes, diesem neuen, fremden, so merkw?rdigen Blick, der sie l?hmte und unsicher machte. Aus Furcht beschloss sie, es mit Milde zu versuchen. Denn bei einem Kampf war, das wusste sie, dieses gereizte Kind jetzt der St?rkere.

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