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Read Ebook: Und die ihr alle meine Brüder seid by Frohnmeyer Ida

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Ebook has 774 lines and 47724 words, and 16 pages

Illustrator: Carl F. Nahm

Und die ihr alle meine Br?der seid

Erz?hlungen von Ida Frohnmeyer

Verlegt bei Eugen Salzer in Heilbronn

Barbara.

Der Friedhof liegt dicht neben dem Pfarrhausgarten, so dass der m?chtige Birnbaum gleichermassen die an der Mauer liegende Gr?berreihe, wie auch die Gem?sebeete der Frau Pfarrer beschattet. Der Fliederstrauch, dessen Bl?tezeit allj?hrlich ein begl?ckendes Wunder der Sch?nheit ist, reckt sich mit seinen reichsten ?sten -- ein wenig zum Kummer des Pfarrherrn -- in den stillen Garten hin?ber. Daf?r klettert aber aus diesem breitbl?ttriges Gr?n in die H?he, und pl?tzlich tun sich ?ber der Mauer die blaudunkeln Augen der Clematis auf.

Die Frau Pfarrer ist schon oft gefragt worden, ob ihr die Nachbarschaft des Friedhofs nicht unheimlich und dr?ckend sei. Aber sie sch?ttelt den Kopf, und im Herzen denkt sie, dass es demjenigen, der so lange Jahre hindurch dicht neben dem stillen Garten gelebt, einmal leichter falle, sich in eines der schmalen Betten zur Ruhe zu legen. Sie geht, obwohl sich einige ihrer G?ste erstaunt, ja beinahe missbilligend dar?ber ?ussern, fast allabendlich durch die kleine Pforte, die aus ihrem eigenen, mit lachendem Leben gef?llten Garten in den stillen hin?berf?hrt. Wenn sie dann zur?ckkommt, ist ihr Antlitz vielleicht ein wenig blasser, aber die Augen haben einen hellen und g?tigen Schein, und ihre Schritte sind ruhig und kraftvoll.

An einem Sommerabend, der ganz ges?ttigt war vom Glanz und Duft der heissern Stunden, ging die Pfarrfrau wieder durch die schmalen Wege, die zwischen den Gr?bern laufen.

Sie war nicht allein. Eine j?ngere Freundin, von der sie lange Jahre getrennt gewesen, ging an ihrer Seite und schaute mit grossen, ein wenig vertr?umten Augen ?ber die blumenbunten Gr?ber. Pl?tzlich blieb sie an einem mit Immergr?n bedeckten H?gel stehen und las mit halblauter Stimme die Worte:

Hier m?ssen doch aufh?ren die Gottlosen mit Toben; hier ruhen doch, die viel M?he gehabt haben.

>>Was ist das f?r ein Grab? Steht der Spruch wirklich in der Bibel, Anne?<<

>>Ja. Im Buch Hiob. Nur heisst es dort statt >hier< daselbst, und das ist auch der Grund, weshalb mein Mann keine Stellenangabe w?nschte. Aber das war der alten Sch?ufele gleichg?ltig. Sie war schon zufrieden, dass der Spruch ?berhaupt bestehen durfte, und dass sie keinen Namen anzugeben brauchte. Sie erz?hlte mir, sie habe mit dem Maler einen schweren Stand gehabt, denn er wollte ihr durchaus den absonderlichen Spruch ausreden und zum wenigsten am Fuss des Kreuzes >Auf Wiedersehen< anbringen. Aber gerade dies Wort konnte ja die arme Mutter gar nicht aufrichtig denken.<<

>>Warum nicht, Anne? Wie ernst du dreinsiehst! Wer liegt hier begraben? Ich bin sicher, dies Grab hat eine Geschichte.<<

>>Ja ... Eine schwere Geschichte. Wenn du sie h?ren willst, so komm' hin?ber zu dem kleinen B?nkchen. Man sieht von dort gerade auf das Haus, wo meine Geschichte den Anfang nimmt.<<

Die Freundin schob ihren Arm in den der Pfarrfrau. Sie schritten zu der kleinen Bank hin?ber, die unter den Zweigen einer Trauerweide steht, und setzten sich. Aber Frau Anne begann nicht zu erz?hlen. Sie hatte die H?nde ineinander gelegt und starrte mit leidvollen Augen zu dem Haus hin?ber, das sie der Freundin bezeichnet. Diese aber, da sie den Ausdruck in der Pfarrfrau Gesicht gewahrte, wagte keine dr?ngende Frage mehr. Ihr war, ein dunkler Schatten lege sich ?ber die sonnenwarme Herrlichkeit des Abends. Stieg er wie ein arger Zauber aus jenem Grab empor, oder woben ihn Frau Annes dunkle Gedanken?

Da tat diese einen tiefen Atemzug und hob an:

>>Ich kann mir noch so gut denken, wie ich Barbara zum erstenmal gesehen. Sie war damals acht Jahre alt, ein feines, schlankes Dinglein. Unser Annele brachte sie mir, etwa eine Woche nachdem wir hier aufgezogen waren, in den Garten und schrie schon von weitem mit triumphierender Stimme: >Mutter, da hab' ich eine Freundin!< Ich schaute ihnen mit einiger Spannung entgegen, denn das Freundschaftsbed?rfnis meiner Tochter hatte mich schon etliche Male mit etwas ?berraschenden G?sten bekannt gemacht. Aber diesmal konnte ich die Freude, die aus Anneles schwarzen Augen funkelte, wirklich verstehen und teilen. Man musste das Kind auf den ersten Blick liebgewinnen. Kennst du das Bild von Uhde: Lasset die Kindlein zu mir kommen?... Inmitten einer Bauernstube, nein, eigentlich sieht es mehr wie eine K?che aus, sitzt der Herr Jesus, umgeben von einer Schar gr?sserer und kleinerer Kinder. Es sind auch Erwachsene dabei. Dicht vor Jesus steht ein kleines M?dchen, ein blondes, herzerquickendes Kind, das sein ausgestrecktes H?ndchen in Jesu Hand legt und mit ernsten Augen zu ihm aufschaut. Dies kleine M?dchen habe ich in Gedanken immer >das Kind< genannt. Ich meine so: es ist f?r mich die Verk?rperung alles dessen, was mich am Kinde wie ein holdseliges, ehrfurchtgebietendes Geheimnis ber?hrt. Und an dieses Kind gemahnte mich die kleine Barbara.

Ich ging mit den Kindern ins Haus und war beinahe so eifrig wie mein Annele im Vorf?hren der Puppen und andern Herrlichkeiten. Und ich gewann das Kind mit jeder Minute lieber. Es tat so feine, nachdenkliche Fragen, es hatte so sorglich zugreifende H?ndchen, und -- es konnte ein Bilderbuch beschauen. So, jetzt lachst du und denkst wohl, das k?nne ein jedes Kind. Keine Rede davon! Wenn ich an Annele oder an ihre Kinder denke! Darin gleichen sie alle der Mutter: gibt man ihnen ein Bilderbuch, so schlagen sie Seite um Seite so rasch um, dass man meinen k?nnte, darin bestehe das Vergn?gen eines Bilderbuchs. Aber die kleine Barbara sah sich jedes Bildchen mit and?chtigen Augen an. Nichts, nichts entging ihr. Und ?ber alles machte sie ihre eigenartigen kleinen Bemerkungen.

Einmal schenkte ich ihr ein Bildchen, drauf Schneegl?ckchen gemalt waren, und sagte dazu: >Um dies Gl?cklein zu h?ren, muss man gar feine Ohren haben.< Da nickte die kleine Barbara und sagte: >Ja, ich hab' es einmal geh?rt. Und der liebe Gott hat's auch geh?rt und der Herr Jesus und die Sonne und der Wind und die Blumen.<

Ganz leise und langsam kamen die Worte heraus. Und dazu diese M?rchenaugen -- ich muss gestehen, es kam etwas wie Neid ?ber mich, wenn ich an Barbaras Mutter dachte. Mein Annele war solch praktisches Diesseitsmenschlein. Sie hatte nie vertr?umte Augen, und tat nie eine ?usserung, die mir gezeigt h?tte, dass ihr Seelchen sich ein eigen klein Wunderreich gebaut. Ich f?rchtete mich manchmal beinahe, ihr eine Geschichte zu erz?hlen, denn beim geringsten Wunderbaren kam das bezweifelnde oder entr?stete Wort: >Aber Mutter, ist das wahr?<

Die kleine Barbara unterbrach mich nie, wenn ich erz?hlte. Sie konnte auch nicht, wie Annele tat, nebenher zeichnen oder sticheln. Sie sass und schaute mich unverwandt an, und meine Geschichten wurden mir erst jetzt im Spiegel dieser Augen so recht lebendig.

Sp?ter habe ich manchmal gedacht, dass es besser gewesen w?re, ich h?tte die Freude des Kindes am Wunderbaren und Geheimnisvollen nicht so sehr gen?hrt. Ich glaubte, sie habe das kleine Freudenlicht in ihrem Alltag n?tig, und ahnte nicht, dass es zur verzehrenden Flamme werden w?rde.

Eines Nachmittags hatte ich Annele erlaubt, in Barbaras Elternhaus hin?berzugehen. Ich kannte die Leute zwar noch nicht n?her, aber ich hatte um des Kindes willen eine gute Meinung von ihnen und glaubte damals, dass ein derartiges Bl?mlein Wunderhold nur einem gehegten G?rtlein entspriessen k?nne.

Am Abend, als ich Annele zu Bett brachte, war sie merkw?rdig still. Ich achtete erst nicht darauf, da ich innerlich stark mit einer Sache besch?ftigt war. Aber als das Kind auch w?hrend ich das Zimmer in Ordnung brachte, wortlos in seinem Bette sass, fiel es mir auf, und zugleich kam es mir zum Bewusstsein, dass sie noch kein Wort von ihrem Besuch bei Sch?ufeles berichtet hatte. Aber ich fragte nicht. Ich wusste, ?ber kurz oder lang w?rde das Redeb?chlein schon wieder pl?tschern. Das Annele sass ganz steif da und verfolgte jede meiner Bewegungen. Zuletzt setzte ich mich wie gewohnt an ihr Bettlein und fragte: >Wollen wir jetzt beten?<

Da tat das Kind einen tiefen Seufzer und sagte: >Ja ... Und weisst du auch, f?r was ich jetzt dem lieben Gott danken will? Gar nicht f?r den sch?nen Tag, denn es war kein sch?ner. Aber weil du so eine nette Mutter bist, will ich ihm danken. Du hast mich so sch?n gewaschen und gek?mmt und hast den Waschtisch so h?bsch aufger?umt, und deine Sch?rze ist sauber, und deine H?nde sind weich, und -- und --<

Wieder ein tiefer Seufzer, dann, da ihr offenbar nichts Lobenswertes mehr einfallen wollte, wiederholte sie die Worte: >Ich will ihm jetzt danken, weil du so eine nette Mutter bist.<

Am n?chsten Tag f?hrte ich meinen l?ngst geplanten Besuch beim Nachbar Sch?ufele aus, und nun wurde es mir klar, warum Annele in einen Lobpreis meiner Tugenden ausgebrochen war. Das ganze Anwesen bot einen wenig einladenden Anblick. Frau Sch?ufele entschuldigte sich zwar wortreich ?ber die augenblickliche Unordnung, aber ich habe, so oft ich auch sp?ter wiedergekommen bin, nie etwas anderes vorgefunden.

Ein paar gr?ssere Kinder machten sich bei meinem Erscheinen eiligst davon, nur die kleine Barbara kam auf mich zu und bot mir ein klebriges H?ndchen. Sie sah gar nicht ordentlich drein, wie sonst, wenn sie zu uns ins Pfarrhaus kam, und mein Annele tat dies denn auch Frau Sch?ufele gleich mit klaren Worten kund. Da lachte die Frau und meinte: >Ach, man kann nicht immer putzen und waschen und aufr?umen, das ist nichts f?r unsereins.< Ich nahm mir vor, wenigstens die kleine Barbara in dieser Richtung zu beeinflussen, und es ist mir dies auch gelungen. Man mochte ihr begegnen, wo man wollte, immer fiel sie auf durch ihr reinliches, ich m?chte fast sagen, vornehmes Aussehen.

Die zwei kleinen M?dchen sassen in der Schule nebeneinander, und sie verbrachten auch den gr?ssten Teil ihrer Freizeit zusammen. Mein Annele, das sich fr?her so oft ein Br?derlein oder Schwesterlein gew?nscht, war jetzt ganz befriedigt. Alle ihre Sch?tze wurden mit Barbara geteilt. Als ihr mein Bruder ein Album schenkte, liess sie mir keine Ruhe, bis ich ein gleiches f?r Barbara kaufte. Am n?chsten Tag holten sich die beiden bei der alten Maier ein paar r?hrende Bildchen: Engelsk?pfchen, Vergissmeinnichtkr?nze und dergleichen. Die wurden in die Album geklebt, und jede schrieb der Freundin einen sinnigen Vers dazu. Was Annele geleistet, weiss ich nicht mehr. Barbaras Vers aber lautete:

Diesen Album hat man dir gekauft, Anna hat man dich getauft, Dietrich hat man dich genannt, Der Himmel ist dein Vaterland.

Ach, wie viele heitere und ernste Erinnerungen dr?ngen sich mir auf, wenn ich an die Kinderzeit der beiden denke. Aber ich muss mich eilen, sonst bringe ich meine Geschichte nicht zu Ende.

Du kannst dir ja wohl denken, dass sich Barbara zu Hause nicht besonders wohl f?hlte. Ich meine nicht nur der Unordnung und Unsauberkeit wegen. So zuwider mir beides ist, so muss ich doch zugeben, dass man auch in einem schmutzigen Heim strahlend gl?cklich sein kann. Wir haben eine Familie im Dorf, da laufen einem aus der Stube die Kinder und Ferkelchen und H?hner zusammen entgegen, und die Fenster brauchen keine Vorh?nge, denn kein Mensch kann hineinsehen. Aber die Leute sind seelenvergn?gt, du darfst mir's glauben. Aus keinem Haus t?nt so viel Lachen und Singen. Nur Samstag abend gibt es ein grosses Geschrei, weil da die Kinder gewaschen werden, und das sind sie halt nicht gew?hnt.

Aus Sch?ufeles Haus t?nte fast alle Tage Geschrei. Die zwei Alten lebten in stetem Streit und verf?hrten auch die Kinder dazu. Barbara war die J?ngste von Sechsen. Sie stand ihren Geschwistern ziemlich fremd gegen?ber, auch den Vater schien sie eher zu f?rchten. Aber die Mutter ward von ihr geliebt mit einer scheuen, sehns?chtigen Liebe, die mich immer wieder ersch?tterte. Ich erinnere mich noch so gut an den Ausdruck in Barbaras Gesicht, als Annele und ich am Konfirmationssonntag der beiden zu Sch?ufeles hin?bergingen. Barbara sah in ihrem feierlichen schwarzen Kleid, ?ber das die langen blonden Z?pfe fielen, schon ganz jungfr?ulich drein, viel reifer als mein kindliches Annele, das noch immer seine Puppen betreute und Tr?nen vergossen hatte ?ber ihr langes Kleid.

Frau Sch?ufeles Stube war dem Festtag zu Ehren gefegt und so dicht mit Sand bestreut, dass jeder Schritt knirschte. Die Frau kam uns wohlgelaunt entgegen, und ich musste mich wundern, wie schmuck sie dreinsah in ihrem saubern schwarzen Kleid und der seidenen Sch?rze.

>Wie rasch die Jahre gehen, Frau Sch?ufele,< sagte ich. >Nun sind unsere kleinen M?dchen demn?chst erwachsen.<

W?hrend ich redete, fiel mein Blick auf Barbaras Gesicht. Sie schaute die Mutter an mit grossen, bittenden Augen. Da ging es mir durch den Sinn, dass dies Kind, trotz aller Liebe, die ich ihm geschenkt, immer gehungert hatte. Und ich musste wieder nachsinnen ?ber eines der gr?ssten R?tsel unserer r?tselvollen Welt: Warum ist es, dass Frauen Kinder zur Welt bringen und ihnen doch nicht Mutter sind, w?hrend andere, in deren Herz das Licht wahrer M?tterlichkeit brennt, nie ein Kind ihr eigen nennen d?rfen? -- --

Mit dem Austritt aus der Schule trennten sich die Wege der beiden, die bisher so eintr?chtiglich nebeneinander gelaufen. Ich brachte Annele, wie du weisst, ins Haus deiner Eltern, und da das Kind sich gut in die neuen Verh?ltnisse schickte, kehrte ich nach einigen Wochen beruhigt in unser D?rflein zur?ck. Gleich am n?chsten Tag kam Barbara zu mir her?ber und wollte haarkleinen Bericht von allem Erleben in der Stadt. Ich erz?hlte ihr von Anneles Schule, von ihrer originellen Klavierlehrerin, von den M?dchen, mit denen sie sich angefreundet. Ich sass ?ber meine N?harbeit gebeugt und plauderte des langen und breiten, denn mein Kind fehlte mir, und das Sprechen von ihm gab mir ein wenig das Gef?hl seiner N?he. Da drang pl?tzlich ein schluchzender Ton an mein Ohr, und als ich erschreckt aufschaute, sah ich in Barbaras tr?nen?berstr?mtes Gesicht.

Wir haben dann lange zusammen gesprochen, aber ich konnte das M?dchen nicht wirklich tr?sten. Zwar meiner Versicherung, Annele werde ihr trotz all des Neuen treu bleiben, schenkte sie allm?hlich Glauben. Aber die Angst, Anneles Liebe zu verlieren, war nicht die einzige Not, die sie dr?ckte. Ach, in den Wochen des Einsamseins hatte sich ein ganzer Berg unruhiger, unzufriedener Gedanken in dem Kinde angesammelt. Warum durfte sie nicht so viel Sch?nes und Neues erleben? Warum musste sie immer mit den z?nkischen Eltern zusammen sein? Warum war ein Tag wie der andere mit Kochen und Aufwaschen, mit Feld- und Gartenarbeit angef?llt? Nie w?rde in ihr Leben etwas Sch?nes und Wunderbares treten. Auf ewig war sie verdammt in diesem abgelegenen Dorf zu sitzen.

Du musst nicht l?cheln ?ber diesen t?richten Kinderkummer. Wir Alten, die durch schwere Erfahrungen gegangen, meinen oft, der Jungen Leiden w?gen leicht und tr?sten sie mit dem weisen Zuspruch, ihre Tr?nen zu sparen. Aber wer kann sagen: diese Sache ist der Tr?nen und des Kummers wert, jene nicht? Barbara litt mit der ganzen starken Leidensf?higkeit ihrer jungen Seele. Sie hungerte und sah nirgends S?ttigung. Sie breitete ihre Fl?gel der Sehnsucht aus, aber sie sah nirgends eine Zuflucht, dahin sie h?tte fliehen m?gen. Und sie sah eine andere, deren Leben sie bisher geteilt, all das m?helos ergreifen, wonach ihr Herz schrie.

Ich habe versucht, Barbara zurechtzuhelfen. Nicht, indem ich ihren Kummer f?r nichtig erkl?rte; aber ich bat sie, zu bedenken, dass tr?nenvolle Augen nicht klar sehen. Ich wies sie hin auf die Sch?nheit, die Gott auch in ihr Leben gelegt. Ich schilderte ihr die gleichf?rmige, seelent?tende Arbeit so vieler in den St?dten und verglich damit die ihre in ihrer herrlichen, gesunden Vielseitigkeit. Ich sprach ihr von meiner eigenen starken Liebe zu unserem Tal, seinen W?ldern, Wiesen und Feldern. Aber gerade in diesem Punkt erreichte ich so viel wie nichts. Das Kind liebte seine Heimat nicht. Vielleicht, weil ihm das Elternhaus keine Heimat bot. Aber ich habe andere gesehen, denen es ?hnlich ergangen, und die eben aus dieser Not heraus mit um so gr?sserer Liebe die Berge und B?ume der Heimat umfassten.

Ich musste mich oft besinnen, woher das Kind seinen seltsamen Durst nach der Ferne hatte. Die Eltern und Voreltern hatten immer in diesem Tal gelebt und schlecht und recht ihre Arbeit getan. Nur einer aus der Familie, ein Grossonkel Barbaras, war, vom Goldfieber gepackt, nach Amerika ausgewandert und dort verschollen. Ach, er war vielleicht doch nicht der einzige gewesen, den eine innere Unruhe umgetrieben. Die Kirchenb?cher sagen nichts. Sie halten nur die Namen fest, aber vom Wesen, von den Gedanken ihrer Tr?ger berichten sie nichts.

Barbara schien ihren Kummer allm?hlich zu verwinden; aber so oft Annele in die Ferien kam, lebte er wieder neu auf. Es konnte dann geschehen, dass sie sich in der trotzigen Annahme, sie passe nicht mehr zu Annele, ferne hielt. Nur hin und wieder, wenn ich die beiden etwa an einem Sonntagnachmittag bei mir hatte, fiel es von Barbara wie ein Bann, und aus den blauen Augen schaute mich wieder das alte Vertrauen an.

Als die beiden im zwanzigsten Jahr standen -- ein Jahr zuvor hatte Barbara ihren Vater verloren -- brach die Zeit an, die f?r viele unseres Landes so verh?ngnisvoll geworden. Ich rede von dem Auswanderungsfieber, das auch in unserm Dorfe einen um den andern ergriff. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erregt die Leute waren. Nicht etwa nur die Leichtfertigen und die Habenichtse, die eben nichts zu verlieren hatten, liessen sich verleiten, nein, auch besonnene Leute, die ?ber eigenen Besitz verf?gten, meinten es mit der Fremde, die so unendlich lockend und m?helosen Reichtum verheissend vor ihnen lag, versuchen zu m?ssen. Mein Mann war oft ganz verzweifelt, wenn all sein Bitten und Warnen erfolglos blieb.

Eine der ersten, die Feuer fing, war nat?rlich Barbara. Ein eleganter junger Mann, mit kecken Augen, die mir gar nicht gefallen wollten, war eines Tages erschienen und hatte unseren M?dchen dermassen vorgeflunkert, dass ihrer gleich acht entschlossen waren, sich seiner Leitung anzuvertrauen und ihr Gl?ck in Neuyork zu versuchen. In ein paar Monaten w?rden sie dort mehr verdienen als in der Heimat in Jahren, und wer weiss -- in dem Lande, wo keine Standesunterschiede herrschten, konnte es ihnen auch gl?cken, eine Heirat zu machen, die sie pl?tzlich in die Reihe derer stellen w?rde, die in Seide gehen und in eigener Kutsche fahren und haben k?nnen, was ihr Herz begehrt. Nicht nur die M?dchen, auch die meisten der M?tter liessen sich durch diese Gedanken bet?ren. Barbaras Mutter redete ihrer Tochter nicht zu und nicht ab; sie liess sie einfach gew?hren.

Als mir Barbara ihren Entschluss mitteilte, erschrak ich bis ins Herz hinein. Nicht das Gef?hl der Sorge um ihr Fortkommen, ein Gef?hl, mit dem ich jedes auswandernde Gemeindeglied begleitete, beherrschte mich. Nein, eine heisse Angst, ein graues Entsetzen ?berkam mich bei Barbaras Worten. Wie habe ich das M?dchen angefleht, von ihrem Vorhaben abzustehen! Aber alle meine Vorstellungen glitten ab an ihrer siegessicheren Zuversicht, an ihrer strahlenden Freude, endlich in die Weite, in die Freiheit zu kommen.

O ?ber das verblendete Kind!... Nicht in die Freiheit, in die allerelendeste Knechtschaft ist sie hineingelaufen. Jener Bursche mit den unlautern Augen war ein M?dchenh?ndler. Die andern, die mit Barbara zusammen auswanderten, scheinen schon auf dem Schiff Verdacht gesch?pft zu haben. Aber Barbara wollte nicht daran glauben, und so ist sie dem Menschen zum Opfer gefallen. Es ist nie vollst?ndige Klarheit in diese jammervolle Geschichte zu bringen gewesen. Offenbar war Barbara zuerst in einem anst?ndigen Haus, denn wir erhielten guten Bericht, und ich fing an aufzuatmen und liess mich nur zu gern Schwarzseherin nennen.

Aber dann folgten lange Monate des Schweigens. Unsere Briefe kamen zur?ck. Alle Nachforschungen, die mein Mann anstellen liess, blieben erfolglos. O die verzehrende Angst jener Tage! Nie zuvor hatte ich so stark empfunden, wie Barbaras Leben mit tausend feinen F?den an das meine gebunden war. Ich kam mir damals vor wie ein Mensch mit zwei Seelen. Die eine ging das verlorene Kind suchen, schaudernd vor den Dunkelheiten, die sich ihr ahnend auftaten. Die andere musste bei dem eigenen Kinde sein, in dessen Leben die Liebe getreten, und das nun seiner Mutter bedurfte wie nie zuvor.

Ach, selbst ?ber Anneles Hochzeitstag warf Barbaras Geschick seinen dunkeln Schatten. Als ich mein Kind in die Arme schloss, mein reines, br?utliches Kind, da sah ich pl?tzlich neben ihrem Gesicht ein anderes, vor dem ich entsetzt die Augen schloss. Und dann in der Kirche, die gedr?ngt voll Menschen war, schaute mich aus der hintersten Frauenbank Barbaras Mutter an ... Wie musste ich mich da sch?men! >Die gibt ihr Kind schwer her, es dr?ckt ihr schier 's Herz ab!< h?rte ich eine Frau hinter mir fl?stern. Aber ich weinte nicht um mein Kind. Von ihm wusste ich, dass es in eine goldene Helle hineinging. Wo aber war Barbara?

Am andern Tag, als das junge Paar weggefahren, ging ich hierher in meinen stillen Garten. Ich musste allein sein.

Auf diesem B?nkchen bin ich gesessen. Vom Pfarrhaus her?ber drangen frohe, helle Stimmen, die passten so gar nicht zu den Stimmen meines Herzens.

Da sah ich eine schwarze Frauengestalt langsam auf mich zukommen, und nun wusste ich mit einem Male, warum ich hierher hatte kommen m?ssen ... Um von Barbaras Mutter ein Entsetzliches, ein Unfassliches zu h?ren.

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