Read Ebook: Und die ihr alle meine Brüder seid by Frohnmeyer Ida
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 774 lines and 47724 words, and 16 pages
Da sah ich eine schwarze Frauengestalt langsam auf mich zukommen, und nun wusste ich mit einem Male, warum ich hierher hatte kommen m?ssen ... Um von Barbaras Mutter ein Entsetzliches, ein Unfassliches zu h?ren.
Ich wollte aufstehen und ihr entgegengehen, aber ich konnte mich nicht r?hren. Ich konnte nicht einmal den Kopf heben, denn ich wusste, im n?chsten Augenblick trifft dich ein Beilschlag ins Genick.
Dann sass Frau Sch?ufele pl?tzlich neben mir und gl?ttete auf ihren Knien einen Zeitungsausschnitt und einen Brief. Ich h?rte sie keuchend atmen, und nun sprach sie.
>Frau Pfarrer, der Brief ist heute fr?h gekommen, vom B?cker Schmid, wissen Sie, von dem, der vor einem halben Jahr hin?ber ist. Im Brief hat er ?bersetzt, was da in der Zeitung steht. Und er meint -- und er meint, es sei --<
Nie, nie in meinem Leben zuvor oder nachher habe ich ein solches Weinen geh?rt. Was ich selbst an Schmerz erlitten, war nichts, war ausgel?scht vor diesem Herzeleid. Ach, dass dies Weinen von jenen vernommen worden w?re, die an dem Kinde gefrevelt!
Dann dr?ngte die Mutter mich pl?tzlich: >Lesen Sie, lesen Sie, Frau Pfarrer!<
Und ich las. Las die Geschichte, die damals durch alle amerikanischen Bl?tter ging, dass ein deutsches M?dchen einem gewissen Haus im Innern Neuyorks entflohen, indem es am Blitzableiter heruntergeglitten war, dass es halbtot gefunden und ins deutsche Hospital verbracht worden sei.
Ich weiss nicht mehr, wie lange wir damals beisammen gesessen sind, Frau Sch?ufele und ich. Ich weiss nur, dass es mir, als ich in mein hell erleuchtetes Haus eintrat, war, ich k?me aus dem Land des Grauens und der Verzweiflung geschritten. Ich bat meinen Mann, der mich ahnungslos scherzend als >Ausreisserin< empfing, ins Studierzimmer zu kommen und gab ihm den an Frau Sch?ufele gerichteten Brief. Noch in derselben Nacht ging ein Schreiben ab an den leitenden Arzt des deutschen Hospitals mit der Bitte um telegraphische Antwort auf die Frage, die unser Herz und Hirn marterte: ist es Barbara?
Es war Barbara. -- -- --
Mein Mann schrieb ein zweites Mal und bat um weitere Nachricht ?ber Barbaras Zustand. Wir hatten Frau Sch?ufele gesagt, dass bis zum Eintreffen einer Antwort Wochen vergehen k?nnten, aber sie fragte jeden Tag an, ob keine gekommen. Ach, jetzt waren es ihre Augen, die einen hungrig flehenden Ausdruck trugen ...
Ich nahm den Brief selbst dem Postboten ab, und als ich ihn zu meinem Mann hinauftrug, wusste ich, dass er Unheilvolles enthalte. Hand in Hand -- wie h?tte ich es sonst wohl ertragen k?nnen! -- lasen wir das Schreiben des Arztes. O ?ber die Verruchten, die das junge Leben in Schmach und Schande gezerrt! -- Barbara war krank. Unheilbar krank an K?rper und Geist. --
Ich wollte nicht, dass Frau Sch?ufele die Nachricht bei uns empfange. Ich meinte, es m?sse ihr Wohltat sein, die sch?tzenden W?nde ihres Heims um sich zu f?hlen. Ich dachte, sie werde sich verkriechen wie ein wundes Tier, werde sich scheuen, ihr Gesicht auf der Strasse zu zeigen.
So ging ich zu ihr hin?ber und setzte mich zu ihr auf die Fensterbank. Ich weiss nicht, wie ich es sagte, ich weiss nur, dass, nachdem ich gesprochen, eine Stille um uns war wie des Todes Schweigen. Und ich glaubte zu f?hlen, wie in diesem eisigen Schweigen alle Liebe, die sich in den letzten Monaten in der Mutter geregt, starb.
Ich hielt Frau Sch?ufeles Hand fest umschlossen und wartete, wartete. -- Warum schrie sie ihre Qual nicht heraus? Warum weinte sie nicht, wie an jenem Abend?
Da pl?tzlich l?ste die Frau ihre Hand aus der meinen und richtete sich auf. >Frau Pfarrer,< sagte sie und schaute mich mit einem Blick an, den ich nie vergessen werde, >Frau Pfarrer, Sie m?ssen mir helfen, dass ich hin?ber komme. Ich muss die Barbara heimholen.< -- --
Was dem feinen, hellen Kinde nie gelungen, hatte jetzt das arme, sieche erreicht: das Herz der Mutter war erwacht.
Und die Frau blieb ihrem Entschlusse treu, auch als ihr mein Mann mit klaren Worten die Schwere ihres Unternehmens gezeigt. Sie scheute weder die Auslagen noch die Beschwerlichkeiten der Reise. Sie schreckte auch nicht zur?ck vor den Schwierigkeiten des Zusammenlebens mit ihrer Tochter. F?r mich waren diese Wochen voller Wunder. Ach, nie mehr wollte ich ?ber einen Menschen das Urteil f?llen: so und so ist er und so und so bleibt er. War mir diese Frau nicht all die Jahre hindurch stumpf und gleichg?ltig erschienen? Hatte ich ihr nicht gez?rnt, weil sie ihre Kinder vernachl?ssigte und ewig in Streit lebte? Und nun brach aus diesem Herzen eine Liebesf?lle, die mich besch?mte und ersch?tterte.
Sie hatte ihre Liebeskraft bitter n?tig, denn das Zusammenleben mit Barbara war eine H?lle. Besonders in den ersten Monaten, als das M?dchen am liebsten im Dorf herumstrich. Die meisten wichen ihr ja aus. Die Kinder f?rchteten sich vor den irren Blicken und Reden. Aber es gab auch lose und schlechte Menschen, die sich mit ihr einliessen. Ach, und das Entsetzlichste war, dass das vergiftete Blut in dem armen Wesen nicht zur Ruhe kommen wollte. Dann konnte es geschehen, dass auch die Mutter ein Grauen anwandelte. Aber immer wieder ?berwand ihre erbarmende Liebe dieses Grauen. Sie wusste sich oft kaum zu helfen, aber sie h?tte Barbara trotzdem nicht fortgegeben.
Und allm?hlich schien ihr treues Sorgen und Pflegen doch eine kleine Besserung im Zustand der Tochter herbeizuf?hren. Das wilde Umherschweifen h?rte auf. Sie fing an, ihrer Mutter bei der Arbeit an die Hand zu gehen. Und dann begann sie eine seltsame T?tigkeit, die ich nie ohne Herzweh beobachten konnte. Immer wieder, oft dreimal des Tages, machte sie sich daran, den Tisch rein zu fegen. Mit angstvollem Blick murmelte sie dabei: >Nicht sauber, wird nie mehr sauber ...<
Einmal kam Annele mit dem kleinen Ernst zu Besuch. Ich fragte, ob sie Barbara besuchen werde, aber sie verneinte unter Tr?nen. Da bat ich Frau Sch?ufele, lieber nichts von meinen G?sten verlauten zu lassen, denn man war nie ganz klar ?ber Barbaras Geisteszustand. Nach Tagen v?lliger Apathie, in denen sie niemand zu kennen schien, konnte sie pl?tzlich wieder vern?nftig fragen und antworten.
Irgendwie muss Barbara aber doch von unsern G?sten geh?rt oder sie gesehen haben. Ich hatte die beiden zur Bahn begleitet und plauderte mit Annele durchs Fenster. Es regnete in Str?men, so dass mir beinahe ein wenig vor dem langen Heimweg graute. Da -- eben im letzten Augenblick, als der Schaffner die T?ren zu schliessen begann, kam Barbara dahergelaufen. Die Haare hingen ihr klatschnass ums Gesicht, sie war ohne Schirm und Kopftuch. In der Hand hielt sie einen m?chtigen buntfarbigen Blumenstrauss, und den hob sie nun zu Annele empor mit einem flehenden Ausdruck in dem armen Gesicht. Kaum hatte ihr Annele die Blumen abgenommen, da floh sie wie gehetzt davon. Wir aber freuten uns unter Tr?nen dieses Aufleuchtens aus einem fr?heren besseren Sein. -- --
Beim Kartoffelausgraben im feuchten Nebel zog sich Barbara eine Erk?ltung zu. Ein paar Wochen lang lag sie zu Bett, dann schlief sie ein, fast pl?tzlich, ohne Kampf.
Und seltsam! Die g?tige Hand des Todes hatte nach wenigen Stunden das Antlitz der armen Barbara also gewandelt, dass sie vor uns lag wie in den Tagen ihrer ersten reinen Jugend. Mir schien es ein tr?stlich und verheissend Gleichnis, aber Frau Sch?ufele sch?ttelte den Kopf. Bis zu ihrem Tod hat sich die Mutter mit der Frage gequ?lt, ob ihr Kind wohl von Gott angenommen worden. Als ich sie einmal um dieser Gedanken willen bemitleidete, schaute sie mich fast streng an. >Ich hab' mir das selber eingebrockt, Frau Pfarrer. Ich hab' der Barbara nicht die rechte Liebe gegeben, wie sie ein Kind war. Jetzt muss ich nachzahlen. Wir m?ssen f?r alles zahlen, Frau Pfarrer.<
>Ja,< sagte ich, >f?r vieles, aber manchmal wird uns auch eine Schuld erlassen. Das wollen wir nicht vergessen, Frau Sch?ufele.< -- --
Sie hat die Barbara nicht lange ?berlebt. In ihren letzten Wochen sind wir uns recht nahe gekommen. Damals haben wir uns oft gefreut an Gerhardts sch?nem Heimwehlied: >Ich bin ein Gast auf Erden<. Aus diesem Lied stammen auch die Worte, die ich auf ihr Grab schreiben liess. -- -- Sieh', dort dr?ben an der Mauer liegt sie begraben. Es ist zwar ein wenig dunkel geworden, aber man wird den Vers schon noch lesen k?nnen.<<
Die beiden Frauen erhoben sich und gingen zu dem Grab hin?ber. Mit stillen Augen lasen sie die Worte:
Ich wandre meine Strassen, die nach der Heimat f?hrt, da mich ohn' alle Massen mein Vater tr?sten wird.
Der Sohn.
Peter Niemeyer jun. lag in einem Korbwagen und sog an den Fingern. Er hatte ein langes, runzliges Gesicht, das von der eben durchlebten Anstrengung feuerrot gef?rbt war.
Peter Niemeyer jun. war vor zwei Stunden ins Dasein getreten. Wenigstens ins sichtbare, denn f?r Peter Niemeyer sen., der neben dem Korbwagen sass, lebte er schon lange. Seit Wochen, ja seit Monaten hatte sich all sein Denken, so weit es nicht von gesch?ftlichen Dingen in Anspruch genommen war, um das vor ihm liegende Menschenkind gedreht. Er hatte immer gewusst, dass es sich als Junge entpuppen werde. Wenn seine Frau einen Zweifel an dieser Hoffnung oder gar den Wunsch nach einem kleinen M?dchen ausgesprochen, war er ungeduldig geworden, und es hatte geschehen k?nnen, dass er die kleine Frau rauh angelassen.
Das tat ihm jetzt leid, und allerlei Gel?bde und Vors?tze stiegen in ihm auf. Er strich sich mehrmals ?ber den Kopf, der so kahl war wie der seines Sohnes und sagte halblaut: >>Du wirst sehen, Peter, ich werde jetzt immer gut zu ihr sein.<<
Peter jun. sog an den Fingern und zwinkerte mit den Augen. Er hatte offenbar kein Verst?ndnis f?r seines Vaters Worte. Dieser aber, dem es nicht oft vorkam, dass er an einem Arbeitstag unt?tig auf einem Stuhle sass, verfiel in ein tiefes Sinnen, das ihn weiter und weiter in die Vergangenheit zur?ckf?hrte.
... War er das? Ein h?bscher Bursche mit welligem Haar und immer lachenden Augen. Komm her, du junges, du strahlendes Leben! Lass dich umarmen! Fallen einem die Sterne nicht in den Schoss -- -- hei! so holt man sie eben herunter! -- -- Es war doch nicht so leicht gegangen ... Man tappte in allerlei Dunkelheit und war endlich froh, als man in bekleisterter Sch?rze in Buchbinder Bergers Werkstatt stand. Das ging so ein paar Jahre. Na ja, es waren ganz gute Jahre, und dann gl?nzte doch endlich ein Gl?cksstern auf. Die Meisterstochter ... Elisabeth. Man nannte sie meist Betty, aber ihm gefiel der lange, klingende Name, und er sagte ihn leise und laut. Nun, er war ja immer noch ein leidlich h?bscher Kerl, und die lachenden Augen hatte er sich nicht verkleistern lassen. So kam es, dass die niedliche kleine Betty >>Peter<< sagen lernte, und der Arbeiter ward zum jungen Meister.
Peter Niemeyer jun. bewegte sich unruhig, aber sein Vater bemerkte es nicht. Er durchlebte wieder die ersten Jahre seiner Ehe. S?sse, heimliche Gl?cksbilder stiegen vor ihm auf, dann solche mit ernsterem Gesicht. Abende, an denen er versucht hatte, seine junge Frau teilnehmen zu lassen an dem, was er in stillen Stunden gedacht und gelesen. Er wollte sie mit hineinziehen in die einsame Welt seiner Gedanken, aber sie ging neben ihm mit stummen Lippen. Und es erhoben sich wie feine Schatten die ersten Gef?hle der Entt?uschung.
Elisabeth ... Elisabeth ... Er rief den klingenden Namen nicht mehr oft. Betty liess sich k?rzer und herrischer sagen. Er erlebte Stunden, da er sich betrogen erschien, und doch waren es die Stunden, in denen er klar sah, dass nicht sie, sondern er sich ver?ndert hatte. Wie s?ss hatte ihm einst ihr Geplauder geklungen! Gerade das, dass sie in lebhaften Worten ?ber Allt?gliches sprechen konnte, war ihm reizvoll erschienen. Nun qu?lte ihn der nichtssagende Wortschwall. Einst hatte es ihn belustigt, dass die kleine Frau beim geringsten Anlass in Aufregung geriet, sp?ter verletzte ihn dieser Mangel an W?rde.
Peter jun. stiess einen quietschenden Schrei aus. Da ?ffnete sich eine T?re, und die Pflegerin trat herein. >>So, so, hat er dich schreien lassen!<< sagte sie mit vorwurfsvollem Blick auf den tr?umenden Vater. Sie nahm das kleine B?ndel aus den Kissen und brachte es in die Schlafstube. Peter Niemeyer war damit entlassen und h?tte sich wieder nach seiner Werkstatt begeben k?nnen, aber er blieb sitzen.
Er starrte auf die Stelle, an der das Kind gelegen. Sein Kind ... ja -- und auch Elisabeths. Da war nun wirklich etwas, in das sie sich teilen konnten, etwas, das ihnen beiden lieb und interessant war. F?nfzehn Jahre lang hatte er auf dieses Gl?ck gewartet. F?nfzehn Jahre ... konnte man sich danach wieder zusammenfinden?
Peter Niemeyer seufzte schwer. Er stand auf und ging nach der T?re, durch die die Pflegerin verschwunden. Seine Frau schlief.
Er setzte sich an ihr Bett und betrachtete ihre m?den, noch immer feinen Z?ge. Ein warmes Gef?hl wallte in ihm auf. >>Elisabeth!<< sagte er leise und innig und streichelte ihre Hand. Dar?ber erwachte sie und blickte staunend in ihres Mannes bewegtes Gesicht. >>Elisabeth! Nun haben wir ja endlich das Kind.<<
Es war, als ?berw?ltigte ihn noch einmal der Jammer der einsamen Jahre, den sie nur unklar empfunden. Sie geh?rte zu den Frauen, die in ihrem st?rksten Empfinden Gattin sind. Sie verg?tterte ihren Mann. Beinahe widerspruchslos stimmte sie seinem Reden und Tun bei, und nie kam ihr der Gedanke, dass sie ihm nicht nur bewundernd, sondern auch ratend und mahnend zur Seite stehen sollte. So hatte sie durch ihre blinde Liebe eine Selbstherrlichkeit in ihm grossgezogen, die ihn in den Augen anderer oft l?cherlich erscheinen liess und ihr selbst manche bittere Stunde brachte.
Aber sie konnte rasch vergessen. So war ihr denn in dem Augenblick, da sie ihres Mannes streichelnde Hand versp?rte, es sei alles gut geworden und werde immer so bleiben. Es kam ihr nicht zum Bewusstsein, dass sie ihres Mannes Seele nicht kenne, dass sie so stumm vor ihr liege wie die ihres neugeborenen Sohnes. Es kam ihr auch nicht zum Bewusstsein, dass ihr dieser Tag in dem hilflosen, unbefleckten Seelchen ein Geschenk gegeben, so gross und sch?n, dass ein sehr starker oder sehr leichter Sinn dazu geh?rt, um vor der Verantwortung nicht zu zagen.
Peter war in den ersten Jahren seines Lebens ein zartes Kind. Wenn Frau Elisabeth ihn spazieren fuhr, so brach wohl die eine oder andere der Freundinnen in die teilnehmenden Worte aus: >>Der ist aber blass! Sieh nur die Adern an den Schl?fen! Ich frage mich, ob du ihn davonbringst.<< Und dann priesen sie ihre eigenen rotbackigen Kinder.
Aber der kleine Peter gedieh, allen Prophezeiungen zum Trotz. Er kriegte blanke Z?hnchen und lernte den Gebrauch der Beine. Er fing an Tierstimmen und Menschenworte nachzuahmen, und dann kam der Tag, der gl?ckselige Tag, wo er in einer kleinwinzigen Hose in seines Vaters Werkstatt stolzierte. Von da an trieb er sich gerne unter den hohen Tischen herum, eifrig bunte Papierabf?lle sammelnd, die er mit dem grossen Pinsel zusammenkleisterte. H?nde und Kleider bekamen dabei ihr gut Teil ab zum ?rger der Mutter, die ihr B?bchen immer schmuck haben wollte. Der Vater aber lachte. >>Er hat es eben im Blut! Gelt, Peter, du wirst einmal Vaters erster Arbeiter und kriegst den guten Platz am Fenster?<< -- >>Ja, wenn ich gross bin,<< sagte Peterchen, >>aber --<< f?gte er z?gernd hinzu: >>Mutter soll auch mit dabei sein.<<
Er war in diesen Tagen so sehr seiner Mutter Kind, dass er es nicht ertragen konnte, lange von ihr getrennt zu sein. Wenn sie kochte, stand er mit einem R?hrl?ffel in der Hand ernsthaft neben ihr. Er begleitete sie auf allen G?ngen und schlief nur ein, wenn sie an seinem Bettchen sass. Des Morgens aber erwachte Frau Elisabeth daran, dass vorsichtige Fingerchen ihre Augenlider in die H?he zogen, und sie schalt nie, sondern hob die Decke und liess den kleinen Ruhest?rer unterschl?pfen. Das ging so heimlich und still, und die Unterhaltung, die nun zwischen Mutter und Kind gef?hrt wurde, war eine so leis gefl?sterte, dass der Vater nicht daran erwachte.
Frau Elisabeth war diese Morgenstunde die s?sseste am Tag. Wie weich und warm schmiegten sich die jungen Glieder in ihren Arm. Wie klopfte das Herzchen so rasch, so rasch ... Sie spielte mit dem dunkeln, lockigen Haar, das der Junge von ihr geerbt. Auch die vollen, roten Lippen waren die ihren, und der Vater hatte dazu sein energisches Kinn gegeben. Aber sonst glich der Kleine keinem der Eltern. Vielleicht, wenn das Bild irgend eines Vorfahren aufbewahrt worden w?re, h?tte man darauf die lange, schmale Nase und die trotzige Stirne gefunden, und auf einem andern vielleicht die schwarzen Brauen, die ?ber der Nase zusammenwuchsen. Augen hatte der kleine Peter sehr seltsame. Sie waren von dunkelm Grau, gross und sanft, und es lag wie ein feiner Schleier dar?ber. Aber in der Erregung zerriss der Schleier, und die Augen gl?hten und schauten nahezu schwarz.
Frau Elisabeth erschrak jedesmal dar?ber. Es packte sie die bange Ahnung, dass eine Zeit kommen k?nnte, in der es ihr nicht mehr gelingen w?rde, die wilden Augen zu beruhigen. Aber sie schob diese Gedanken von sich. Noch war das Peterchen klein, und wenn sein Seelchen in Not kam, schrie es nach ihr, nur nach ihr. Das tat nicht nur ihrem Herzen, nein, auch ihrer Eitelkeit wohl. Trotz aller Demut, die sie im Verh?ltnis zu ihrem Mann empfand, war sie eine Natur, die nach Lob und Bewunderung verlangte. Noch immer schwelgte sie in der Erinnerung an die Zeit, da sie die umworbene und gefeierte Betty Berger gewesen und f?hrte diese Tage in ihren kleinlichen Z?nkereien wieder und wieder an. In des Kindes Augen nun stand sie gross und unantastbar.
Das sp?te Muttergl?ck hatte ?brigens ihre Liebe zum Gatten nicht beeintr?chtigt. Der kleine Sohn musste stets hinter dem Vater zur?cktreten. Das wussten beide, der kleine und der grosse Peter, und sie nahmen es zu Zeiten mit einem leisen Erstaunen wahr, in das sich beim kleinen ein unverstandener feiner Schmerz, beim grossen ein unbehagliches Schuldgef?hl mischte.
Peter Niemeyer hatte redlich versucht, sein dem kleinwinzigen Sohn gegebenes Wort zu halten. Er wollte gut sein zur Mutter seines Kindes, und einige Wochen gelang es ihm. Frau Elisabeth erlebte wieder wie in den ersten Jahren ihrer Ehe eine Zeit zarter F?rsorge; aber zu einer inneren Ann?herung kam es nicht. Und Peters Stimme bekam wieder den alten selbstherrlichen Klang, und er zeigte sich, nach Art launischer Menschen, den einen Tag zu Scherz und Lachen aufgelegt, den andern reizbar und wortkarg. >>Die Kluft zwischen uns ist zu gross, da ist kein Verstehen m?glich,<< dachte er missmutig.
Ach, da war wohl eine Br?cke, die ihn wieder und wieder zu ihr getragen h?tte ... F?r G?te und Erbarmen ist keine Kluft zu gross.
Der kleine Peter kam zur Schule. Das war ein Ereignis f?r die ganze Familie, und jedes nahm es auf und verarbeitete es seiner Art entsprechend. Dem Vater schien es der erste Schritt zur k?nftigen Kameradschaft. Nun lernte der Junge, jedes Jahr ein bisschen mehr. Zeigte es sich, dass er einen hellen Kopf habe, so konnte man ihn aufs Gymnasium schicken. Studieren ... nein, das sollte er nicht. Das Gesch?ft ging gut, es durfte nicht in fremde H?nde ?bergehen. Aber abends, da wollten sie zusammensitzen und lesen und sprechen. O, der Junge musste nicht glauben, er, der Alte, sehe nicht ?ber den Kleistertopf hinaus! Er war auch in guten Schulen gewesen, und ?berhaupt -- fr?her wurde viel besser und gr?ndlicher unterrichtet ... Merk' er sich das, mein Herr Sohn!
Peter Niemeyer pfiff, als er bei seiner Arbeit diese und ?hnliche Gedanken bewegte, fr?hlich vor sich hin. Unterdessen sass Frau Elisabeth im Wohnzimmer und weinte. Sie wusste selbst kaum warum, aber ihr war so traurig zumute, als sei ihr etwas Liebes gestorben. Vor einer Stunde hatte sie das Peterlein zur Schule gebracht. Er war einer der niedlichsten kleinen Sch?ler, das hatte sie mit Stolz festgestellt. Und er hatte den Lehrer artig gegr?sst und war nicht so bl?de, mit dem Finger im Mund, dagesessen, wie B?cker Brauns J?ngster. Aber als sich nun die begleitenden M?tter und V?ter und ?lteren Geschwister zum Gehen anschickten, war das Peterchen heulend aus der Bank gesprungen und hatte sich an ihrem Kleid gehalten und Mutter geschrien, ohne auf ihre Trostworte zu achten. Zuletzt hatte sie ihm Dampfnudeln zum Mittagbrot versprochen, und das hatte geholfen. Das Peterchen war in die Bank zur?ckgekehrt und sie nach Hause.
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page