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Read Ebook: Jakob von Gunten: Ein Tagebuch by Walser Robert

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Ebook has 88 lines and 45762 words, and 2 pages

Jakob von Gunten

Ein Tagebuch

von

Robert Walser

Bruno Cassirer Berlin

Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkr?ften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden es zu nichts bringen, d. h., wir werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im sp?teren Leben sein. Der Unterricht, den wir geniessen, besteht haupts?chlich darin, uns Geduld und Gehorsam einzupr?gen, zwei Eigenschaften, die wenig oder gar keinen Erfolg versprechen. Innere Erfolge, ja. Doch was hat man von solchen? Geben einem innere Errungenschaften zu essen? Ich m?chte gern reich sein, in Droschken fahren und Gelder verschwenden. Ich habe mit Kraus, meinem Schulkameraden, dar?ber gesprochen, doch er hat nur ver?chtlich die Achsel gezuckt und mich nicht eines einzigen Wortes gew?rdigt. Kraus besitzt Grunds?tze, er sitzt fest im Sattel, er reitet auf der Zufriedenheit, und das ist ein Gaul, den Personen, die galoppieren wollen, nicht besteigen m?gen. Seit ich hier im Institut Benjamenta bin, habe ich es bereits fertiggebracht, mir zum R?tsel zu werden. Auch mich hat eine ganz merkw?rdige, vorher nie gekannte Zufriedenheit angesteckt. Ich gehorche leidlich gut, nicht so gut wie Kraus, der es meisterlich versteht, den Befehlen Hals ?ber Kopf dienstfertig entgegenzust?rzen. In einem Punkt gleichen wir Sch?ler, Kraus, Schacht, Schilinski, Fuchs, der lange Peter, ich usw., uns alle, n?mlich in der vollkommenen Armut und Abh?ngigkeit. Klein sind wir, klein bis hinunter zur Nichtsw?rdigkeit. Wer eine Mark Taschengeld hat, wird als ein bevorzugter Prinz angesehen. Wer, wie ich, Zigaretten raucht, der erregt ob der Verschwendung, die er treibt, Besorgnis. Wir tragen Uniformen. Nun, dieses Uniformtragen erniedrigt und erhebt uns gleichzeitig. Wir sehen wie unfreie Leute aus, und das ist m?glicherweise eine Schmach, aber wir sehen auch h?bsch darin aus, und das entfernt uns von der tiefen Schande derjenigen Menschen, die in h?chsteigenen aber zerrissenen und schmutzigen Kleidern dahergehen. Mir z. B. ist das Tragen der Uniform sehr angenehm, weil ich nie recht wusste, was ich anziehen sollte. Aber auch in dieser Beziehung bin ich mir vorl?ufig noch ein R?tsel. Vielleicht steckt ein ganz, ganz gemeiner Mensch in mir. Vielleicht aber besitze ich aristokratische Adern. Ich weiss es nicht. Aber das Eine weiss ich bestimmt: Ich werde eine reizende, kugelrunde Null im sp?teren Leben sein. Ich werde als alter Mann junge, selbstbewusste, schlecht erzogene Grobiane bedienen m?ssen, oder ich werde betteln, oder ich werde zugrunde gehen.

Wir Eleven oder Z?glinge haben eigentlich sehr wenig zu tun, man gibt uns fast gar keine Aufgaben. Wir lernen die Vorschriften, die hier herrschen, auswendig. Oder wir lesen in dem Buch >>Was bezweckt Benjamenta's Knabenschule?<< Kraus studiert ausserdem noch Franz?sisch, ganz f?r sich, denn fremde Sprachen oder irgend etwas derartiges gibt es gar nicht auf unserem Stundenplan. Es gibt nur eine einzige Stunde, und die wiederholt sich immer. >>Wie hat sich der Knabe zu benehmen?<< Um diese Frage herum dreht sich im Grunde genommen der ganze Unterricht. Kenntnisse werden uns keine beigebracht. Es fehlt eben, wie ich schon sagte, an Lehrkr?ften, d. h. die Herren Erzieher und Lehrer schlafen, oder sie sind tot, oder nur scheintot, oder sie sind versteinert, gleichviel, jedenfalls hat man gar nichts von ihnen. An Stelle der Lehrer, die aus irgendwelchen sonderbaren Gr?nden tot?hnlich daliegen und schlummern, unterrichtet und beherrscht uns eine junge Dame, die Schwester des Herrn Institutvorstehers, Fr?ulein Lisa Benjamenta. Sie kommt mit einem kleinen weissen Stab in der Hand in die Schulstube und Schulstunde. Wir stehen alle von den Pl?tzen auf, wenn sie erscheint. Hat die Lehrerin Platz genommen, so d?rfen auch wir uns setzen. Sie klopft mit dem Stab dreimal kurz und gebieterisch hintereinander auf die Tischkante, und der Unterricht beginnt. Welch ein Unterricht! Doch ich w?rde l?gen, wenn ich ihn kurios f?nde. Nein, ich finde das, was Fr?ulein Benjamenta uns lehrt, beherzigenswert. Es ist wenig, und wir wiederholen immer, aber vielleicht steckt ein Geheimnis hinter all diesen Nichtigkeiten und L?cherlichkeiten. L?cherlich? Uns Knaben vom Institut Benjamenta ist niemals l?cherlich zumut. Unsere Gesichter und unsere Manieren sind sehr ernsthaft. Sogar Schilinski, der doch noch ein vollkommenes Kind ist, lacht sehr selten. Kraus lacht nie, oder wenn es ihn hinreisst, dann nur ganz kurz, und dann ist er zornig, dass er sich zu einem so vorschriftswidrigen Ton hat hinreissen lassen. Im allgemeinen m?gen wir Sch?ler nicht lachen, d. h. wir k?nnen eben kaum noch. Die dazu erforderliche Lustigkeit und L?ssigkeit fehlt uns. Irre ich mich? Weiss Gott, manchmal will mir mein ganzer hiesiger Aufenthalt wie ein unverst?ndlicher Traum vorkommen.

Der j?ngste und kleinste unter uns Z?glingen ist Heinrich. Man ist diesem jungen Menschen gegen?ber unwillk?rlich z?rtlich gesinnt, ohne dabei etwas zu denken. Er steht vor den Schaufenstern der Kaufleute still, innig in den Anblick der Waren und Leckerbissen versunken. Dann tritt er gew?hnlich ein und kauft sich etwas S?sses f?r einen Sechser. Heinrich ist noch ganz Kind, aber er spricht und benimmt sich schon wie ein erwachsener Mensch von guter F?hrung. Sein Haar ist immer ganz tadellos gek?mmt und gescheitelt, was gerade mich zur Anerkennung hinreissen muss, da ich in diesem wichtigen Punkt sehr liederlich bin. Seine Stimme ist so d?nn wie ein zartes Vogelgezwitscher. Man muss unbewusst den Arm um seine Schulter legen, wenn man mit ihm spazieren geht oder mit ihm spricht. Er hat die Haltung eines Obersten und ist so klein. Er besitzt keinen Charakter, denn er weiss noch gar nicht, was das ist. Gewiss hat er noch nie ?ber das Leben nachgedacht, und wozu? Er ist sehr artig, dienstfertig und h?flich, aber ohne Bewusstsein. Ja, er ist wie ein Vogel. Das Trauliche gelangt an ihm ?berall zum Vorschein. Ein Vogel gibt einem die Hand, wenn er sie gibt, ein Vogel geht so und steht so. Alles ist unschuldig, friedfertig und gl?cklich an Heinrich. Er will Page werden, sagt er. Doch er sagt es ganz ohne unfeines Schmachten, und in der Tat, der Pagenberuf ist f?r ihn das durchaus Richtige und Angemessene. Die Zierlichkeit des Benehmens und Empfindens strebt irgend wohin, und siehe, sie trifft das Rechte. Was wird er f?r Erfahrungen machen? Werden sich an diesen Knaben ?berhaupt Erfahrungen und Erkenntnisse heranwagen? Werden die rohen Entt?uschungen sich nicht genieren, ihn zu beunruhigen, ihn, den ?berzarten? ?brigens merke ich, dass er ein wenig kalt ist, es ist nichts St?rmisches und Herausforderndes an ihm. Vielleicht wird er vieles, vieles, das ihn niederschlagen k?nnte, gar nicht bemerken, und vieles, das ihm seine Sorglosigkeit nehmen k?nnte, gar nicht f?hlen. Wer weiss, ob ich recht habe. Aber ich stelle jedenfalls sehr, sehr gern solche Beobachtungen an. Heinrich ist bis zu einer gewissen Grenze verst?ndnislos. Das ist sein Gl?ck, und man muss es ihm g?nnen. Wenn er ein Prinz w?re, ich w?rde der erste sein, der das Knie vor ihm beugte und ihm huldigte. Schade.

Wie dumm ich mich doch benommen habe, als ich hier ankam. Ich entr?stete mich in erster Linie ?ber die ?rmlichkeit des Treppenhauses. Nun ja, es ist eben der Treppenaufgang eines gew?hnlichen grossst?dtischen Hinterhauses. Dann klingelte ich, und ein affen?hnliches Wesen ?ffnete mir die T?re. Es war Kraus. Aber damals hielt ich ihn einfach f?r einen Affen, w?hrend ich ihn heute, um des rein pers?nlichen Wesens willen, das ihn ziert, hoch sch?tze. Ich fragte, ob Herr Benjamenta zu sprechen sei. Kraus sagte: >>Jawohl, mein Herr,<< und machte eine tiefe, dumme Verbeugung vor mir. Diese Verbeugung jagte mir einen unheimlichen Schrecken ein, denn ich sagte mir sogleich, dass da irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugehen m?sse. Und von da an hielt ich die Schule Benjamenta f?r Schwindel. Ich trat zum Vorsteher herein. Wie muss ich lachen, wenn ich an die nun folgende Szene denke. Herr Benjamenta fragte mich, was ich wolle. Ich erkl?rte ihm sch?chtern, dass ich w?nsche, sein Sch?ler zu werden. Darauf schwieg er und las Zeitungen. Das Bureau, der Herr Vorsteher, der vorausgegangene Affe, die T?re, die Art, zu schweigen und Zeitungen zu studieren, alles, alles kam mir im h?chsten Grad verd?chtig, verderbenversprechend vor. Pl?tzlich wurde ich nach meinem Namen gefragt und nach meiner Herkunft. Jetzt hielt ich mich f?r verloren, denn ich f?hlte mit einemmal, dass ich da nicht mehr losk?me. Stotternd gab ich Auskunft, ich wagte sogar zu betonen, dass ich aus einem sehr guten Hause stamme. Ich sagte unter anderem, mein Vater sei Grossrat, und ich sei ihm davongelaufen, weil ich gef?rchtet h?tte, von seiner Vortrefflichkeit erstickt zu werden. Wieder schwieg der Vorsteher eine Weile. Meine Furcht, betrogen zu werden, stieg aufs h?chste. Ich dachte sogar an geheime Ermordung, st?ckweises Erdrosseln. Da fragte mich der Vorsteher mit seiner Gebieterstimme, ob ich Geld bei mir h?tte, und ich bejahte. >>So gib es her. Rasch!<< befahl er, und merkw?rdig, ich gehorchte augenblicklich, obschon mich der Jammer sch?ttelte. Ich zweifelte nicht mehr daran, einem R?uber und Schwindler in die H?nde gefallen zu sein, und trotzdem legte ich das Schulgeld gehorsam hin. Wie l?cherlich mir meine damaligen Empfindungen jetzt doch vorkommen. Man strich das Geld ein und schwieg wieder. Da fand ich den Heldenmut, sch?chtern um eine Quittung zu ersuchen, doch man gab mir folgendes zur Antwort: >>Schlingel wie du erhalten keine Quittungen.<< Ich war einer Ohnmacht nahe, der Vorsteher klingelte. Sofort st?rzte der dumme Affe Kraus herein. Der dumme Affe? O gar nicht. Kraus ist ein lieber, lieber Mensch. Ich verstand es nur damals noch nicht besser. >>Dies hier ist Jakob, der neue Sch?ler. F?hre ihn ins Schulzimmer.<< -- Der Vorsteher hatte kaum gesprochen, so packte mich Kraus und schleppte mich vor das Antlitz der Lehrerin. Wie kindisch ist man, wenn man sich f?rchtet. Es gibt kein so schlechtes Benehmen wie das, welches aus dem Misstrauen und aus der Unkenntnis stammt. So wurde ich Z?gling.

Mein Schulkamerad Schacht ist ein seltsames Wesen. Er tr?umt davon, Musiker zu werden. Er sagt mir, er spiele vermittels seiner Einbildungskraft wundervoll Geige, und wenn ich seine Hand anschaue, glaube ich ihm das. Er lacht gern, aber dann versinkt er pl?tzlich in schmachtende Melancholie, die ihm unglaublich gut zu Gesicht und K?rperhaltung steht. Schacht hat ein ganz weisses Gesicht und lange schmale H?nde, die ein Seelenleiden ohne Namen ausdr?cken. Schm?chtig, wie er von K?rperbau ist, zappelt er leicht, es ist ihm schwer, unbeweglich zu stehen oder zu sitzen. Er gleicht einem kr?nklichen, eigensinnigen M?dchen, er schmollt auch gern, was ihn einem jungen, etwas verzogenen weiblichen Wesen noch ?hnlicher macht. Wir, ich und er, liegen oft zusammen in meiner Schlafkammer, auf dem Bett, in den Kleidern, ohne die Schuhe auszuziehen, und rauchen Zigaretten, was gegen die Vorschriften ist. Schacht tut gern das Vorschriften-Kr?nkende, und ich, offen gesagt, leider nicht minder. Wir erz?hlen uns ganze Geschichten, wenn wir so liegen, Geschichten aus dem Leben, d. h. Erlebtes, aber noch viel mehr erfundene Geschichten, deren Tatsachen aus der Luft gegriffen sind. Dann scheint es um uns her, W?nde hinauf und hinunter, leise zu t?nen. Die enge, dunkle Kammer erweitert sich, es erscheinen Strassen, S?le, St?dte, Schl?sser, unbekannte Menschen und Landschaften, es donnert und lispelt, redet und weint usw. Es ist h?bsch, sich mit dem tr?umerisch angehauchten Schacht zu unterhalten. Er scheint alles zu verstehen, was man ihm sagt, und er selber sagt von Zeit zu Zeit etwas Bedeutsames. Und dann klagt er ?fters, und das liebe ich an der Unterhaltung. Ich h?re gern klagen. Man kann dann den Sprecher so ansehen und tiefes, inniges Mitleid mit ihm haben, und Schacht hat etwas Mitleiderweckendes an sich, auch ohne, dass er Betr?bliches spricht. Wenn feinsinnige Unzufriedenheit, d. h. die Sehnsucht nach etwas Sch?nem und Hohem, in irgend einem Menschen wohnt, dann hat sie es sich in Schacht bequem gemacht. Schacht hat Seele. Wer weiss, vielleicht ist er eine K?nstlernatur. Er hat mir anvertraut, dass er krank ist, und da es sich um ein nicht ganz anst?ndiges Leiden handelt, hat er mich dringend gebeten, Schweigen zu beobachten, was ich ihm nat?rlich auf Ehrenwort versprochen habe, um ihn zu beruhigen. Ich habe ihn dann gebeten, mir den Gegenstand der Erkrankung zu zeigen, doch da wurde er ein wenig b?se und kehrte sich gegen die Wand. >>Du bist schamlos,<< sagte er mir. Oft liegen wir beide so, ohne ein Wort zu reden. Einmal wagte ich, seine Hand leise zu mir zu nehmen, doch er entzog sie mir wieder und sagte: >>Was machst du f?r Dummheiten? Lass das.<< -- Schacht bevorzugt den Umgang mit mir, das merke ich nicht gerade deutlich, aber in solchen Dingen ist Deutlichkeit gar nicht n?tig. Ich habe ihn eigentlich riesig gern und sehe ihn als eine Bereicherung meines Daseins an. Nat?rlich sage ich ihm so etwas nie. Wir reden Dummheiten miteinander, oft auch Ernstes, aber unter Vermeidung grosser Worte. Sch?ne Worte sind viel zu langweilig. Ah, an den Zusammenk?nften mit Schacht in der Kammer merke ich es: wir Z?glinge des Instituts Benjamenta sind zu einem oft halbtagelangen seltsamen M?ssiggang verurteilt. Wir kauern, sitzen, stehen oder liegen immer irgendwo. Ich und Schacht z?nden in der Kammer zu unserem Vergn?gen oft Kerzen an, das ist streng verboten. Aber gerade deshalb macht es uns Spass, es zu tun. Vorschriften hin, Vorschriften her: Kerzen brennen so sch?n, so geheimnisvoll. Und wie sieht doch das Gesicht meines Kameraden aus, wenn die r?tliche kleine Flamme es zart beleuchtet. Wenn ich Kerzen brennen sehe, komme ich mir verm?gend vor: Im n?chsten Augenblick kommt immer der Diener und reicht mir den Pelz. Das ist Unsinn, aber dieser Unsinn hat einen h?bschen Mund und l?chelt. Schacht hat eigentlich grobe Gesichtsz?ge, aber die Bl?sse, die ?ber das Gesicht gezogen ist, verfeinert sie. Die Nase ist zu gross, auch die Ohren. Der Mund ist zugekniffen. Manchmal, wenn ich Schacht so ansehe, ist mir, als m?sse es diesem Menschen einmal bitter schlecht gehen. Wie liebe ich solche Menschen, die diesen wehm?tigen Eindruck hervorrufen. Ist das Bruderliebe? Ja, kann sein.

Am ersten Tag habe ich mich ungeheuer zimperlich und mutters?hnchenhaft benommen. Wurde mir da das Zimmer gezeigt, in dem ich mit den andern, d. h. mit Kraus, Schacht und Schilinski, gemeinsam schlafen sollte. Als vierter im Bund gleichsam. Alles war zugegen, die Kameraden, der Herr Vorsteher, der mich grimmig anschaute, das Fr?ulein. Nun, und da fiel ich dem M?dchen einfach zu F?ssen und rief aus: >>Nein, in dem Zimmer zu schlafen ist mir unm?glich. Ich kann da nicht atmen. Lieber will ich auf der Strasse ?bernachten.<< -- Ich hielt, w?hrend ich so sprach, die Beine der jungen Dame fest umschlungen. Sie schien ?rgerlich zu sein und befahl mir aufzustehen. Ich sagte: >>Ich stehe nicht vorher auf, bis Sie mir versprochen haben, dass Sie mir einen menschenw?rdigen Raum zum Schlafen anweisen wollen. Ich bitte Sie, Fr?ulein, ich flehe Sie an, tun Sie mich an einen andern Ort, meinetwegen in ein Loch, nur nicht hier hinein. Hier kann ich nicht sein. Ich will meine Mitsch?ler gewiss nicht beleidigen, und habe ich es schon getan, so tut es mir leid, aber bei drei Menschen schlafen, als vierter, und dazu noch in solch einem engen Raum? Das geht nicht. Ach, Fr?ulein.<< -- Schon l?chelte sie, ich merkte es, ich f?gte daher rasch, mich noch fester an sie schmiegend, hinzu: >>Ich will brav sein, ich verspreche es Ihnen. Ich will allen Ihren Befehlen zuvorkommen. Sie sollen sich nie, nie ?ber mein Benehmen zu beklagen haben.<< -- Fr?ulein Benjamenta fragte: >>Ist das sicher? Werde ich mich nie zu beklagen haben?<< -- >>Nein, gewiss nicht, gn?diges Fr?ulein,<< erwiderte ich. Sie wechselte einen bedeutenden Blick mit dem Bruder, dem Herrn Vorsteher, und sagte zu mir: >>Steh' vor allen Dingen erst vom Boden auf. Pfui. Welch ein Flehen und Flattieren. Und dann komm. Meinetwegen kannst du auch anderswo schlafen.<< Sie f?hrte mich zu der Kammer, die ich jetzt bewohne, zeigte sie mir und fragte: >>Gef?llt dir die Kammer?<< -- Ich war so keck, zu sagen: >>Sie ist eng. Zu Hause gab's Vorh?nge an den Fenstern. Und Sonne schien dort in die Gem?cher. Hier ist nur eine schmale Bettstelle und ein Waschgestell. Zu Hause gab es vollst?ndig m?blierte Zimmer. Aber werden Sie nicht b?se, Fr?ulein Benjamenta. Es gef?llt mir, und ich danke Ihnen. Zu Hause war es viel feiner, freundlicher und eleganter, aber hier ist es auch ganz nett. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen mit Vergleichen von zu Hause und mit weiss der Kuckuck was noch alles komme. Ich finde die Kammer aber sehr, sehr reizend. Zwar, das Fenster da oben in der Mauer ist kaum ein Fenster zu nennen. Und das Ganze hat entschieden etwas Ratten- oder Hundelochartiges. Aber es gef?llt mir. Und ich bin unversch?mt und undankbar, so zu sprechen, nicht wahr? Vielleicht w?re es das Beste, mir die Kammer, die ich wirklich hoch sch?tze, wieder zu nehmen und mir den strikten Befehl zu erteilen, bei den andern zu schlafen. Meine Kameraden f?hlen sich sicher beleidigt. Und Sie, Fr?ulein, sind b?se. Ich sehe es. Ich bin sehr traurig dar?ber.<< -- Sie sagte mir: >>Du bist ein dummer Junge, und du schweigst jetzt.<< Und doch l?chelte sie. Wie dumm das alles war, damals am ersten Tag. Ich sch?mte mich, und ich sch?me mich noch heute, daran denken zu m?ssen, wie unziemlich ich mich benommen habe. Ich schlief in der ersten Nacht sehr unruhig. Ich tr?umte von der Lehrerin. Und was die eigene Kammer betrifft, so w?re ich es heute ganz zufrieden, wenn ich sie mit ein oder zwei andern Personen teilen m?sste. Man ist immer halb irrsinnig, wenn man menschenscheu ist.

Herr Benjamenta ist ein Riese, und wir Z?glinge sind Zwerge gegen diesen Riesen, der stets etwas m?rrisch ist. Als Lenker und Gebieter einer Schar von so winzigen, unbedeutenden Gesch?pfen, wie wir Knaben sind, ist er eigentlich auf ganz nat?rliche Weise zur Verdriesslichkeit verpflichtet, denn das ist doch nie und nimmer eine seinen Kr?ften entsprechende Aufgabe: ?ber uns herrschen. Nein, Herr Benjamenta k?nnte ganz anderes leisten. Solch ein Herkules kann ja einer so kleinlichen ?bung gegen?ber, wie die ist, uns zu erziehen, gar nicht anders als einschlafen, d. h. brummend und gr?belnd seine Zeitungen lesen. An was hat eigentlich der Mann gedacht, als er sich entschloss, das Institut zu gr?nden? Er tut mir in einem gewissen Sinne weh, und dieses Gef?hl erh?ht noch den Respekt, den ich vor ihm habe. Es gab ?brigens zwischen ihm und mir im Anfang meines Hierseins, ich glaube, am Morgen des zweiten Tages, eine kleine, aber sehr heftige Szene. Ich trat zu ihm ins Kontor, aber ich kam nicht dazu, meinen Mund zu ?ffnen. >>Geh' wieder hinaus. Versuche, ob es dir m?glich ist, wie ein anst?ndiger Mensch ins Zimmer einzutreten,<< sagte er streng. Ich ging hinaus, und dann klopfte ich an, was ich ganz vergessen hatte. >>Herein,<< rief es, und da trat ich ein und blieb stehen. >>Wo ist die Verbeugung? Und wie sagt man, wenn man zu mir eintritt?<< -- Ich verbeugte mich und sagte in k?mmerlicher Tonart: >>Guten Tag, Herr Vorsteher.<< -- Heute bin ich schon so gut dressiert, dass ich dieses >>Guten Tag, Herr Vorsteher<< nur so hinausschmettere. Damals hasste ich diese Art, sich untert?nig und h?flich zu benehmen, ich wusste es eben nicht besser. Was mir damals l?cherlich und stumpfsinnig vorkam, erscheint mir heute schicklich und sch?n. >>Lauter reden, B?sewicht,<< rief Herr Benjamenta. Ich musste den Gruss >>Guten Tag, Herr Vorsteher<< f?nfmal wiederholen. Erst dann fragte er mich, was ich wolle. Ich war w?tend geworden und sagte: >>Man lernt hier gar nichts, und ich will nicht hier bleiben. Bitte geben Sie mir das Geld zur?ck, und dann will ich mich zum Teufel scheren. Wo sind hier die Lehrer? Ist ?berhaupt irgend ein Plan, ein Gedanke da? Nichts ist da. Und ich will fort. Niemand, wer es auch sei, wird mich hindern, diesen Ort der Finsternis und der Umnebelung zu verlassen. Dazu, um mich hier von Ihren mehr als albernen Vorschriften plagen und verdummen zu lassen, komme ich denn doch aus viel zu gutem Hause. Zwar, ich will durchaus nicht zu Vater und Mutter zur?cklaufen, niemals, aber ich will auf die Strasse gehen und mich als Sklave verkaufen. Es schadet durchaus nichts.<< -- Nun hatte ich geredet. Heute muss ich mich beinahe kr?mmen vor Lachen, wenn ich mir dieses dumme Betragen wieder ins Ged?chtnis zur?ckrufe. Mir war es damals aber durchaus heilig ernst zumut. Doch der Herr Vorsteher schwieg. Ich war im Begriff, ihm irgend eine grobe Beleidigung ins Gesicht zu sagen. Da sprach er ruhig: >>Einmal einbezahlte Geldbetr?ge werden nicht mehr zur?ckerstattet. Was deine t?richte Meinung betrifft, du k?nntest hier nichts lernen, so irrst du dich, denn du kannst lernen. Lerne vor allen Dingen erst deine Umgebung kennen. Deine Kameraden sind es wert, dass man wenigstens den Versuch macht, sich mit ihnen bekannt zu machen. Sprich mit ihnen. Ich rate dir, sei ruhig. H?bsch ruhig.<< -- Dieses >>h?bsch ruhig<< sprach er wie in tiefen, mich gar nicht betreffenden Gedanken versunken. Er hielt die Augen niedergeschlagen, wie um mir zu verstehen zu geben, wie gut, wie sanft er es meine. Er gab mir deutliche Beweise seiner Gedankenabwesenheit und schwieg wieder. Was konnte ich machen? Schon befasste sich Herr Benjamenta wieder mit Zeitunglesen. Es war mir, als ob ein furchtbares unverst?ndliches Gewitter mir von ferne drohe. Ich verbeugte mich tief, fast bis herab zur Erde, vor demjenigen, der mir gar keine Beachtung mehr schenkte, sagte, wie die Vorschriften es geboten, >>Adieu, Herr Vorsteher<<, klappte die Schuhabs?tze zusammen, stund stramm da, machte kehrt, d. h. nein, suchte mit den H?nden den T?rriegel, schaute immer auf das Gesicht des Herrn Vorstehers und schob mich, ohne mich umzudrehen, wieder zur T?re hinaus. So endete ein Versuch, Revolution zu machen. Seither sind keine st?rrischen Auftritte mehr vorgekommen. Mein Gott, und geschlagen bin ich schon worden. Er hat mich geschlagen, er, dem ich ein wahrhaft grosses Herz zumute, und nicht gemuckst habe ich, nicht gezwinkert habe ich, und es hat mich nicht einmal beleidigt. Nur weh hat es mir getan, und nicht um mich selber, sondern um ihn, den Herrn Vorsteher. Ich denke eigentlich immer an ihn, an beide, an ihn und Fr?ulein, wie sie so dahinleben mit uns Knaben. Was tun sie da drinnen in der Wohnung immer? Womit sind sie besch?ftigt? Sind sie arm? Sind Benjamentas arm? Es gibt hier >>innere Gem?cher<<. Ich bin bis heute noch nie dort gewesen. Kraus wohl, den man bevorzugt, weil er so treu ist. Aber Kraus will keine Auskunft ?ber die Beschaffenheit der Vorsteherswohnung geben. Er glotzt mich nur an, wenn ich ihn ?ber diesen Punkt ausfrage, und schweigt. O, Kraus kann wahrhaft schweigen. Wenn ich ein Herr w?re, ich n?hme Kraus sogleich in meine Dienste. Aber vielleicht dringe ich doch noch einmal in diese innern Gem?cher. Und was werden dann meine Augen erblicken? Vielleicht gar nichts Besonderes? O doch, doch. Ich weiss es, es gibt hier irgendwo wunderbare Dinge.

Eins ist wahr, die Natur fehlt hier. Nun, das, was hier ist, ist eben einmal Grossstadt. Zu Hause gab es ?berall nahe und weite Aussichten. Ich glaube, ich h?rte immer die Singv?gel in den Strassen auf und ab zwitschern. Die Quellen murmelten immer. Der waldige Berg schaute majest?tisch auf die saubere Stadt nieder. Auf dem nahegelegenen See fuhr man abends in einer Gondel. Felsen und W?lder, H?gel und Felder waren mit ein paar Schritten zu erreichen. Stimmen und D?fte waren immer da. Und die Strassen der Stadt glichen Gartenwegen, so weich und reinlich sahen sie aus. Weisse nette H?user guckten schelmisch aus gr?nen G?rten hervor. Man sah bekannte Damen, z. B. Frau Haag, innerhalb des Gartengitters im Park spazieren. Dumm ist das eigentlich, nun, die Natur, der Berg, der See, der Fluss, der sch?umende Wasserfall, das Gr?n und allerlei Ges?nge und Kl?nge waren einem eben nahe. Ging man, so spazierte man wie im Himmel, denn man sah ?berall blauen Himmel. Stand man still, so konnte man sich gleich niederlegen und still in die Luft hinauftr?umen, denn es war Gras- oder Moosboden. Und die Tannen, die so wundervoll nach w?rziger Kraft duften. Werde ich nie wieder eine Bergtanne sehen? Das w?re ?brigens kein Ungl?ck. Etwas entbehren: das hat auch Duft und Kraft. Unser grossr?tliches Haus hatte keinen Garten, aber das Ganze, was einen umgab, war ein h?bscher, sauberer, s?sser Garten. Ich will nicht hoffen, dass ich mich sehne. Unsinn. Hier ist es auch sch?n.

Obschon es eigentlich an mir noch gar nichts Nennenswertes zu schaben gibt, renne ich doch von Zeit zu Zeit zum Friseur, nur so des damit verbundenen Strassenausfluges halber, und lasse mich rasieren. Ob ich Schwede sei, fragt mich der Friseurgehilfe. Amerikaner? Auch nicht. Russe? Nun was denn? Ich liebe es, derartige nationalistisch angef?rbte Fragen mit eisernem Schweigen zu beantworten und die Leute, die mich nach meinen Vaterlandsgef?hlen fragen, im Unklaren zu lassen. Oder ich l?ge und sage, ich sei D?ne. Gewisse Aufrichtigkeiten verletzen und langweilen einen nur. Manchmal blitzt die Sonne wie verr?ckt hier in diesen lebhaften Strassen. Oder es ist alles verregnet, verschleiert, was ich auch sehr, sehr liebe. Die Leute sind freundlich, obgleich ich zuweilen namenlos frech bin. Oft sitze ich in der Mittagsstunde m?ssig auf einer Bank. Die B?ume der Anlage sind ganz farblos. Die Bl?tter h?ngen unnat?rlich bleiern herunter. Es ist, als wenn hier manchmal alles aus Blech und d?nnem Eisen sei. Dann st?rzt wieder Regen und netzt das alles. Schirme werden aufgespannt, Droschken rollen auf dem Asphalt, Menschen eilen, die M?dchen heben die R?cke. Beine aus einem Rock hervorstechen zu sehen, hat etwas eigent?mlich Anheimelndes. So ein weibliches Bein, straff bestrumpft, man sieht es nie, und nun sieht man es pl?tzlich. Die Schuhe kleben so sch?n an der Form der sch?nen weichen F?sse. Dann ist wieder Sonne. Wind weht ein wenig, und da denkt man an zu Hause. Ja, ich denke an Mama. Sie wird weinen. Warum schreibe ich ihr nie? Ich kann's nicht fassen, gar nicht begreifen, und doch kann ich mich nicht entschliessen, zu schreiben. Das ist es: ich mag nicht Auskunft geben. Es ist mir zu dumm. Schade, ich sollte nicht Eltern haben, die mich lieben. Ich mag ?berhaupt nicht geliebt und begehrt sein. Sie sollen sich daran gew?hnen, keinen Sohn mehr zu haben.

Jemandem, den man nicht kennt und der einen gar nichts angeht, einen Dienst erweisen, das ist reizend, das l?sst in g?ttlich nebelhafte Paradiese blicken. Und dann: im Grunde genommen gehen einen alle oder wenigstens fast alle Menschen etwas an. Die da an mir vor?bergehen, die gehen mich irgend etwas an, das steht fest. ?brigens ist das schliesslich Privatsache. Ich gehe da so, die Sonne scheint, da sehe ich pl?tzlich ein H?ndchen zu meinen F?ssen winseln. Sogleich bemerke ich, dass sich das Luxustierchen mit den kleinen Beinen im Maulkorb verwickelt hat. Es kann nicht mehr laufen. Da b?cke ich mich, und dem grossen, grossen Ungl?ck ist abgeholfen. Nun kommt die Herrin des Hundes heranmarschiert. Sie sieht, was los ist und dankt mir. Fl?chtig ziehe ich meinen Hut vor der Dame und gehe meiner Wege. Ach, die da hinten denkt jetzt, dass es noch artige junge Menschen in der Welt gibt. Gut, dann habe ich den jungen Menschen im allgemeinen einen Dienst erwiesen. Und wie diese ?brigens ganz unh?bsche Frau gel?chelt hat. >>Danke, mein Herr.<< Ah, zum Herrn hat sie mich gemacht. Ja, wenn man sich zu benehmen weiss, ist man ein Herr. Und wem man dankt, vor dem hat man Achtung. Wer l?chelt, ist h?bsch. Alle Frauen verdienen Artigkeiten. Jede Frau hat etwas Feines. Ich habe schon W?scherinnen wie K?niginnen sich bewegen sehen. Das alles ist komisch, o so komisch. Aber wie die Sonne geblitzt hat, und wie ich dann so davongelaufen bin! -- N?mlich ins Warenhaus. Ich lasse mich dort photographieren, Herr Benjamenta will eine Photographie von mir haben. Und dann muss ich einen kurz abzufassenden, wahrheitsgetreuen Lebenslauf schreiben. Dazu geh?rt Papier. Nun, dann habe ich noch das Vergn?gen, extra in einen Papierladen zu treten.

Kamerad Schilinski ist von polnischer Herkunft. Er spricht ein h?bsches, gebrochenes Deutsch. Alles Fremdartige klingt nobel, ich weiss nicht, warum. Schilinskis gr?sster Stolz besteht in einer elektrisch entz?ndbaren Krawattennadel, die er sich zu verschaffen gewusst hat. Auch z?ndet er gern, d. h. mit der gr?ssten Vorliebe, Wachsstreichh?lzchen an. Seine Schuhe sind immer gl?nzend geputzt. Merkw?rdig oft sieht man ihn seinen Anzug reinigen, seine Stiefel wichsen und seine M?tze b?rsten. Er schaut sich gern in einem billigen Taschenspiegel an. Taschenspiegel besitzen wir Sch?ler ?brigens alle, obschon wir eigentlich gar nicht wissen, was Eitelkeit alles bedeutet. Schilinski ist schlank von Figur und hat ein sehr h?bsches Gesicht und Lockenhaar, das er nicht oft genug w?hrend des Tages k?mmen und pflegen kann. Er sagt, er will zu einem Pferdchen. Ein Pferd zu striegeln und zu putzen und dann auszufahren, das ist sein Lieblingstraum. Recht karg steht es mit seinen Geistesgaben. Er besitzt absolut keinen Scharfsinn, und von Feinsinn oder dergleichen darf man bei ihm nicht reden. Und doch ist er durchaus nicht dumm, beschr?nkt vielleicht, aber ich nehme dieses Wort nicht gern in den Mund, wenn ich an meine Schulkameraden denke. Dass ich der Gescheiteste unter ihnen bin, das ist vielleicht gar nicht einmal so sehr erfreulich. Was n?tzen einem Menschen Gedanken und Einf?lle, wenn er, wie ich, das Gef?hl hat, er wisse nichts damit anzustellen? Nun also. Nein, nein, ich will hell zu sehen versuchen, aber ich mag nicht hochm?teln, mich nie und nimmer ?ber meine Umgebung erhaben f?hlen. Schilinski wird Gl?ck im Leben haben. Die Frauen werden ihn bevorzugen, so sieht er aus, ganz wie der zuk?nftige Liebling der Frauen. Er hat einen an etwas Edles erinnernden br?unlichen, ?brigens hellen Teint an Gesicht und H?nden, und die Augen sind rehhaft sch?chtern. Es sind reizende Augen. Er k?nnte mit seinem ganzen Wesen ein junger Landedelmann sein. Sein Benehmen mahnt an ein Landgut, wo st?dtisches und b?urisches, feines und grobes Wesen in anmutige kr?ftige menschliche Bildung zusammenfliessen. Er geht besonders gern m?ssig und schlendert gern in den belebtesten Strassen herum, wobei ich ihm manchmal Gesellschaft leiste, zum Entsetzen von Kraus, der den M?ssiggang hasst, verfolgt und verachtet. >>Seid ihr beide schon wieder auf dem Vergn?gen gewesen? He?<<, so empf?ngt uns Kraus, wenn wir heimkommen. Von Kraus werde ich sehr viel reden m?ssen. Er ist der Redlichste und T?chtigste unter uns Z?glingen, und T?chtigkeit und Ehrlichkeit sind ja so unersch?pfliche und unermessliche Gebiete. Nichts kann mich so tief aufregen wie der Anblick und der Geruch des Guten und Rechtschaffenen. Etwas Gemeines und B?ses ist bald ausempfunden, aber aus etwas Bravem und Edlem klug zu werden, das ist so schwer und doch zugleich so reizvoll. Nein, die Laster interessieren mich viel, viel weniger wie die Tugenden. Nun werde ich Kraus schildern m?ssen, und davor ist mir direkt bange. Zimperlichkeiten? Seit wann? Ich will's nicht hoffen.

Ich gehe jetzt jeden Tag ins Warenhaus, fragen, ob meine Photographien noch nicht bald fertig seien. Ich kann jedesmal mit dem Aufzug ins oberste Stockwerk hinauffahren. Ich finde das leider nett, und das passt zu meinen vielen ?brigen Gedankenlosigkeiten. Wenn ich Lift fahre, komme ich mir so recht wie das Kind meiner Zeit vor. Ob das andern Menschen auch so geht? Den Lebenslauf habe ich immer noch nicht geschrieben. Es geniert mich ein wenig, ?ber meine Vergangenheit die schlichte Wahrheit zu sagen. Kraus schaut mich von Tag zu Tag vorwurfsvoller an. Das passt mir sehr. Liebe Menschen sehe ich gern ein wenig w?tend. Nichts ist mir angenehmer, als Menschen, die ich in mein Herz geschlossen habe, ein ganz falsches Bild von mir zu geben. Das ist vielleicht ungerecht, aber es ist k?hn, also ziemt es sich. ?brigens geht das bei mir ein wenig ins Krankhafte. So z. B. stelle ich es mir als unsagbar sch?n vor, zu sterben, im furchtbaren Bewusstsein, das Liebste, was ich auf der Welt habe, gekr?nkt und mit schlechten Meinungen ?ber mich erf?llt zu haben. Das wird niemand verstehen, oder nur der, der im Trotz Sch?nheitsschauer empfinden kann. Elendiglich umkommen, um einer Flegelei, einer Dummheit willen. Ist das erstrebenswert? Nein, gewiss nicht. Aber das alles sind ja Dummheiten gr?bster Sorte. Es f?llt mir hier etwas ein, und ich sehe mich, aus, ich weiss nicht welchen, Ursachen, gen?tigt, es zu sagen. Ich besass vor einer Woche oder mehr Tagen an Geld noch zehn Mark. Nun, jetzt sind diese zehn Mark verflogen. Eines Tages trat ich in ein Restaurant mit Damenbedienung. Ganz unwiderstehlich zog es mich hinein. Ein M?dchen sprang mir entgegen und n?tigte mich, auf einem Ruhebett Platz zu nehmen. Halb wusste ich Bescheid, wie das ungef?hr endigen konnte. Ich wehrte mich, aber ganz und gar ohne Nachdruck. Es war mir alles gleichg?ltig, und doch wieder nicht. Es bereitete mir ein Vergn?gen ohnegleichen, dem M?dchen gegen?ber den feinen, obenherabschauenden Herrn zu spielen. Wir befanden uns ganz allein, und nun trieben wir die nettesten Dummheiten. Wir tranken. Immer lief sie ans B?ffet, um neue Getr?nke zu holen. Sie zeigte mir ihr reizendes Strumpfband, und ich liebkoste es mit den Lippen. Ah, ist man dumm. Immer stand sie wieder auf und holte Neues zum trinken. Und so rasch. Sie wollte eben sehr schnell bei dem dummen Jungen ein h?bsches S?mmchen Geld verdienen. Ich sah das vollkommen ein, aber gerade das gefiel mir, dass sie mich f?r dumm ansah. Solch eine sonderbare Verdorbenheit: sich heimlich zu freuen, bemerken zu d?rfen, dass man ein wenig bestohlen wird. Aber wie bezaubernd kam mir alles vor. Rings um mich starb alles in fl?tender, kosender Musik. Das M?dchen war Polin, schlank und geschmeidig und so entz?ckend s?ndhaft. Ich dachte: >>Weg sind meine zehn Mark.<< Nun k?sste ich sie. Sie sagte: >>Sag', was bist du? Du benimmst dich wie ein Edelmann.<< Ich konnte gar nicht genug den Duft, der von ihr ausstr?mte, einatmen. Sie bemerkte das und fand das fein. Und in der Tat: Was ist man f?r ein Halunke, wenn man, ohne Liebe und Sch?nheit zu empfinden, an Orte hingeht, wo nur das Entz?cken entschuldigt, was die Liederlichkeit unternommen hat? Ich log ihr vor, dass ich Stallbursche sei. Sie sagte: >>O nein, daf?r benimmst du dich viel zu sch?n. Sag' mir guten Tag.<< Und da tat ich ihr das, was man an solchen Orten guten Tag sagen nennt, d. h. sie setzte es mir lachend und scherzend und mich k?ssend auseinander, und da tat ich es. Eine Minute sp?ter befand ich mich auf der abendlichen Strasse, ausgebrannt bis auf den letzten Pfennig. Wie kommt mir das jetzt vor? Ich weiss es nicht. Aber das eine weiss ich: ich muss wieder zu einigem wenigen Geld kommen. Aber wie mache ich das?

Beinahe jeden fr?hen Morgen setzt es zwischen mir und Kraus ein gefl?stertes Redegefecht ab. Kraus glaubt immer, mich zur Arbeit antreiben zu sollen. Vielleicht irrt er sich auch gar nicht, wenn er annimmt, dass ich nicht gern fr?h aufstehe. Ja doch, ich stehe schon ganz gern vom Bett auf, aber wiederum finde ich es geradezu k?stlich, ein wenig l?nger liegen zu bleiben, als ich soll. Etwas nicht tun sollen, das ist manchmal so reizend, dass man nicht anders kann, als es doch tun. Deshalb liebe ich ja so von Grund aus jede Art Zwang, weil er einem erlaubt, sich auf Gesetzeswidrigkeiten zu freuen. Wenn kein Gebot, kein Soll herrschte in der Welt, ich w?rde sterben, verhungern, verkr?ppeln vor Langerweile. Mich soll man nur antreiben, zwingen, bevormunden. Ist mir durchaus lieb. Zuletzt entscheide doch ich, ich allein. Ich reize das stirnrunzelnde Gesetz immer ein wenig zum Zorn, nachher bin ich bem?ht, es zu bes?nftigen. Kraus ist der Vertreter aller hier im Institut Benjamenta bestehenden Vorschriften, folglich fordere ich den besten aller Mitsch?ler best?ndig ein bisschen zum Kampf auf. Ich zanke so furchtbar gern. Ich w?rde krank werden, wenn ich nicht zanken k?nnte, und zum Zanken und Reizen eignet sich Kraus wundervoll. Er hat immer recht: >>Willst du jetzt endlich aufstehen, du faules Tuch!<< -- Und ich habe immer unrecht: >>Ja, ja, gedulde dich. Ich komme.<< -- Wer im Unrecht ist, der ist frech genug, den, der im Recht ist, stets zur Geduld aufzufordern. Das Rechthaben ist hitzig, das Unrechthaben tr?gt stets eine stolze, frivole Gelassenheit zur Schau. Derjenige, der es leidenschaftlich gut meint , unterliegt stets dem , dem das Gute und F?rderliche nicht gar so ausgesprochen am Herzen liegt. Ich triumphiere, weil ich noch im Bett liege, und Kraus zittert vor Zorn, weil er immer vergeblich an die T?re klopfen, poltern und sagen muss: >>Steh' doch auf, Jakob. Mach' endlich. Herrgott, was ist das f?r ein Faulpelz.<< -- Wer z?rnen kann, ach, ist mir solch ein Mensch sympathisch. Kraus z?rnt bei jeder Gelegenheit. Das ist so sch?n, so humorvoll, so edel. Und wir beide passen so gut zueinander. Dem Emp?rten muss doch immer der S?nder gegen?berstehen, sonst fehlte ja etwas. Bin ich dann endlich aufgestanden, so tue ich, als st?nde ich m?ssig da. >>Jetzt steht er noch da und gafft, der Tropf, statt Hand anzulegen,<< sagt er dann. Wie pr?chtig ist so etwas. Das Gemurmel eines M?rrischen finde ich sch?ner als das Murmeln eines Waldbaches, beglitzert von der allersch?nsten Sonntagvormittagsonne. Menschen, Menschen, nur Menschen! Ja, ich empfinde es lebhaft: ich liebe die Menschen. Ihre Torheiten und raschen Gereiztheiten sind mir lieber und wertvoller als die feinsten Naturwunder. -- Wir Z?glinge m?ssen morgens fr?h, bevor die Herrschaften erwachen, Schulstube und Kontor aufr?umen. Je zwei Leute besorgen das abwechslungsweise. >>Steh' doch auf. Wird's bald?<< -- Oder: >>Jetzt h?rt aber bald die Gen?gsamkeit auf.<< Oder: >>Steh' auf, steh' auf. Es ist Zeit. Solltest schon l?ngst den Besen in der Hand haben.<< -- Wie ist das am?sant. Und Kraus, der ewig b?se Kraus, wie lieb ist er mir.

Ich muss noch einmal ganz zum Anfang zur?ckkehren, zum ersten Tag. In der Unterrichtspause sprangen Schacht und Schilinski, die ich damals ja noch gar nicht kannte, in die K?che und brachten, auf Teller gelegt, Fr?hst?ck in die Schulstube. Auch mir wurde etwas zum essen vorgelegt, aber ich hatte gar keinen Appetit, ich mochte nichts anr?hren. >>Du musst essen,<< sagte mir Schacht, und Kraus f?gte hinzu: >>Es muss alles, was da auf dem Teller liegt, sauber aufgegessen werden. Hast du verstanden?<< -- Ich erinnere mich noch, wie widrig mich diese Redensarten ber?hrten. Ich versuchte zu essen, aber voll Abscheu liess ich das meiste liegen. Kraus dr?ngte sich an mich heran, klopfte mir w?rdevoll auf die Schulter und sagte: >>Neuling, der du hier bist, wisse, dass die Vorschriften gebieten, zu essen, wenn etwas zu essen da ist. Du bist hochm?tig, doch sei nur ruhig, der Hochmut wird dir schon vergehen. Kann man etwa die butterbestrichenen und wurstbelegten St?cke Brot auf der Strasse auflesen? Wie? Sei du nur ruhig und warte h?bsch, vielleicht wirst du noch Appetit bekommen. Jedenfalls musst du das da aufessen, was hier noch herumliegt, wohlverstanden. Es werden im Institut Benjamenta keine Essreste auf den Tellern geduldet. Vorw?rts, iss. Mach' rasch. Ist das eine sorgenvolle und feinseinwollende Bedenklichkeit. Die Feinheiten werden dir bald vergehen, glaube es mir. Du hast keinen Appetit, willst du mir sagen? Ich aber rate dir, Appetit zu haben. Du hast nur aus Hochmut keinen, das ist es. Gib her. F?r diesmal will ich dir helfen aufessen, obschon es total gegen alle Vorschriften ist. So. Siehst du, wie man das essen kann? Und das? Und das? Das war ein Kunstst?ck, kann ich dir sagen.<< -- Wie war mir das alles peinlich. Ich empfand eine heftige Abneigung gegen die essenden Knaben, und heute? Heute esse ich so gut sauber auf wie nur irgend einer der Z?glinge. Ich freue mich sogar jedesmal auf das h?bsch zubereitete, bescheidene Essen, und nie im Leben w?rde es mir einfallen, es zu verschm?hen. Ja, ich war eitel und hochm?tig im Anfang, gekr?nkt von ich weiss nicht was, erniedrigt auf ich weiss gar nicht mehr welche Weise. Es war mir eben alles, alles noch neu und infolgedessen feindlich, und im ?brigen war ich ein ganz hervorragender Dummkopf. Ich bin auch heute noch dumm, aber auf feinere, freundlichere Art und Weise. Und auf die Art und Weise kommt alles an. Es kann einer noch so t?richt und unwissend sein: wenn er sich ein wenig zu schicken, zu schmiegen und zu bewegen weiss, ist er noch nicht verloren, sondern findet seinen Weg durch das Leben vielleicht besser als der Kluge und Mit-Wissen-Vollgepackte. Die Art und Weise: ja, ja. --

Kraus hat es schon sehr schwer im Leben gehabt, bevor er hierher gekommen ist. Er und sein Vater, der Schiffer ist, sind die Elbe hinauf und hinunter gefahren, auf schweren Kohlenk?hnen. Er hat schwer, schwer arbeiten m?ssen, bis er dann krank geworden ist. Jetzt will er der Diener, der richtige Diener eines Herrn werden, und dazu ist er mit all seinen gutherzigen Eigenschaften auch wie geboren. Er wird ein ganz wundervoller Diener sein, denn nicht nur sein ?usseres passt zu diesem Beruf der Demut und des Entgegenkommens, nein, auch die Seele, die ganze Natur, das ganze menschliche Wesen meines Kameraden hat etwas im allerbesten Sinn Dienerhaftes. Dienen! Wenn nur Kraus einen anst?ndigen Herrn bekommt, das w?nsche ich ihm. Gibt es doch Herren oder Herrschaften, kurz, Vorgesetzte, die es gar nicht lieben und w?nschen, vollkommen bedient zu werden, die es gar nicht verstehen, wirkliche Dienstleistungen in Empfang zu nehmen. Kraus hat Stil und geh?rt unbedingt zu einem Grafen, d. h. ganz, ganz vornehmen Herrn. Man muss einen Kraus nicht arbeiten lassen wie einen gew?hnlichen Knecht oder Arbeiter. Er kann vertreten. Sein Gesicht ist dazu geschaffen, irgend einen Ton, eine Manier anzugeben, und auf seine Haltung und auf sein Betragen kann derjenige stolz sein, der ihn mieten wird. Mieten? Ja, so sagt man. Und Kraus wird eines Tages an jemanden vermietet, oder von irgend jemandem gemietet werden. Und darauf freut er sich, und darum lernt er so eifrig Franz?sisch in seinen etwas schwerf?lligen Kopf hinein. Etwas ist da, das ihm Kummer macht. Er hat sich n?mlich beim Friseur, wie er sagt, eine etwas garstige Auszeichnung geholt, einen Kranz von r?tlichen kleinen Pflanzen, kurz gesagt Punkten, noch k?rzer, und ganz unbarmherzig gesagt, Pickeln. Nun ja, das ist allerdings ?bel, besonders, da er zu einem feinen und wirklich anst?ndigen Herrn gehen will. Was ist zu machen? Armer Kraus! Mich z. B. w?rden die Punkte, die ihn verunzieren, nicht im mindesten hindern, ihn zu k?ssen, wenn es darauf ank?me. Im Ernst: wirklich nicht, denn ich sehe so etwas gar nicht mehr, ich sehe es gar nicht, dass er unsch?n aussieht. Ich sehe seine sch?ne Seele auf seinem Gesicht, und die Seele, das ist das Liebkosenswerte. Aber der zuk?nftige Herr und Gebieter wird da allerdings ganz anders denken, und darum legt auch Kraus Salben auf die unfeinen Wunden, die ihn verunstalten. Er gebraucht auch ?fters den Spiegel, um die Fortschritte der Heilung zu beobachten, nicht aus leerer Eitelkeit. Er w?rde, wenn er nicht diesen Makel tr?ge, nie in den Spiegel schauen, denn die Erde kann nichts Uneitleres, Unaufgeblaseneres hervorbringen als ihn. Herr Benjamenta, der sich f?r Kraus lebhaft interessiert, l?sst oft nach dem ?bel und seinem zu erhoffenden Verschwinden fragen. Kraus soll ja bald einmal ins Leben hinaus- und in Stellung treten. Ich f?rchte mich vor dem Augenblick seines Austrittes aus der Schule. Aber es wird nicht so rasch gehen. An seinem Gesicht kann er, glaube ich, noch ziemlich lange doktoren, was ich ja eigentlich durchaus nicht w?nsche, und doch w?nsche. Es w?rde mir so viel fehlen, wenn er abginge. Er kann noch fr?h genug zu einem Herrn kommen, der seine Qualit?ten nicht zu sch?tzen wissen wird, und ich werde fr?h genug einen Menschen, den ich liebe, ohne dass er es weiss, entbehren m?ssen.

An all diesen Zeilen schreibe ich meist abends, bei der Lampe, an dem grossen Schultisch, an welchem wir Z?glinge so oft stumpfsinnig oder nicht stumpfsinnig sitzen m?ssen. Kraus ist manchmal sehr neugierig und guckt mir ?ber die Achsel. Einmal habe ich ihn zurechtgewiesen: >>Aber Kraus, bitte sage mir, seit wann bek?mmerst du dich um Sachen, die dich nichts angehen?<< -- Er war sehr ?rgerlich, wie alle sind, die sich auf den heimlichen Pfaden der schleichenden Neugierde ertappen lassen. Manchmal sitze ich ganz allein bis in die sp?tere Nacht m?ssig auf einer Bank im ?ffentlichen Park. Die Laternen sind angez?ndet, das grelle elektrische Licht st?rzt zwischen den Bl?ttern der B?ume fl?ssig und brennend nieder. Alles ist heiss und verspricht fremdartige Heimlichkeiten. Leute spazieren hin und her. Es fl?stert zu den versteckten Parkwegen heraus. Dann gehe ich heim und finde die T?re verschlossen. >>Schacht,<< rufe ich leise, und der Kamerad wirft mir verabredetermassen den Schl?ssel auf den Hof hinunter. Ich schleiche auf Fussspitzen, da das lange Ausbleiben verboten ist, in die Kammer und lege mich ins Bett. Und dann tr?ume ich. Ich tr?ume oft furchtbare Dinge. So tr?umte mir eines Nachts, ich h?tte Mama, die Liebe und Ferne, ins Gesicht geschlagen. Wie schrie ich da auf und wie j?h erwachte ich. Der Schmerz ?ber die Scheusslichkeit meines eingebildeten Benehmens jagte mich zum Bett heraus. Bei den Ehrfurcht einfl?ssenden Haaren hatte ich die Heilige gerissen und sie zu Boden geworfen. O, nicht an so etwas denken. Die Tr?nen schossen wie schneidende Strahlen zu den m?tterlichen Augen heraus. Ich erinnere mich noch deutlich, wie der Jammer ihr den Mund zerschnitt und zerriss, und wie sie sich im Weh badete, und wie dann der Nacken nach hinten zur?cksank. Aber wozu mir diese Bilder von neuem vormalen? Morgen werde ich endlich den Lebenslauf schreiben m?ssen, oder ich laufe Gefahr, einen b?sen Vorwurf zu ernten. Abends, gegen neun Uhr, singen wir Knaben immer ein kurzes Gutenachtlied. Wir stehen im Halbkreis nahe bei der T?re, die in die innern Gem?cher f?hrt, und dann geht die T?re auf, Fr?ulein Benjamenta erscheint auf der Schwelle, ganz in weisse, wohlig herabfallende Gew?nder gekleidet, sagt uns >>gute Nacht, Knaben<<, befiehlt uns, uns schlafen zu legen, und ermahnt uns, ruhig zu sein. Dann l?scht Kraus jedesmal die Schulzimmerlampe, und von diesem Augenblick an darf kein leisestes Ger?usch mehr gemacht werden. Auf den Zehen muss jeder gehen und sein Bett suchen. Ganz merkw?rdig ist das alles. Und wo schlafen Benjamentas? Wie ein Engel sieht das Fr?ulein aus, wenn sie uns gute Nacht sagt. Wie verehre ich sie. Abends l?sst sich der Herr Vorsteher ?berhaupt nie blicken. Ob das nun merkw?rdig ist oder nicht, jedenfalls ist es auffallend.

Es scheint, dass das Institut Benjamenta fr?her mehr Ruf und Zuspruch genossen hat. An einer der vier W?nde unseres Schulzimmers h?ngt eine grosse Photographie, auf der man die Abbildungen einer ganzen Anzahl Knaben eines fr?heren Schuljahrganges sehen kann. Unser Schulzimmer ist im ?brigen sehr trocken ausstaffiert. Ausser dem l?nglichen Tisch, einigen zehn bis zw?lf St?hlen, einem grossen Wandschrank, einem kleineren Nebentisch, einem kleineren zweiten Schrank, einem alten Reisekoffer und ein paar anderen geringf?gigen Gegenst?nden enth?lt es kein M?bel. ?ber der T?re, die in die geheimnisvolle unbekannte Welt der innern Gem?cher f?hrt, h?ngt als Wandschmuck ein ziemlich langweilig aussehender Schutzmannss?bel mit dito quer dar?ber gelegtem Futteral. Dar?ber thront der Helm. Diese Dekoration mutet wie eine Zeichnung oder wie ein zierlicher Beweis der Vorschriften an, die hier gelten. Was mich betrifft, ich m?chte diese wahrscheinlich bei einem alten Tr?dler erhandelten Schmuckst?cke nicht geschenkt erhalten. Alle vierzehn Tage werden S?bel und Helm heruntergenommen, um geputzt zu werden, was eine sehr nette, obwohl sicher ganz stupide Arbeit genannt werden muss. Ausser diesen Verzierungen h?ngen im Schulzimmer noch die Bilder des verstorbenen Kaiserpaares. Der alte Kaiser sieht unglaublich friedlich aus, und die Kaiserin hat etwas Schlicht-M?tterliches. Oft putzen und waschen wir Z?glinge das Schulzimmer mit Seife und Warmwasser aus, dass nachher alles von Sauberkeit duftet und gl?nzt. Alles m?ssen wir selber machen, und jeder von uns hat zu dieser Zimmerm?dchenarbeit eine Sch?rze umgebunden, in welchem an die Weiblichkeit gemahnenden Kleidungsst?ck wir alle ohne Ausnahme komisch aussehen. Aber es geht lustig zu an solchen Aufr?umetagen. Der Fussboden wird fr?hlich poliert, die Gegenst?nde, auch die der K?che, werden blank gerieben, wozu es Lappen und Putzpuder in Menge gibt, Tisch und St?hle werden mit Wasser ?bersch?ttet, T?rklinken werden gl?nzend gemacht, Fensterscheiben angehaucht und abgeputzt, jeder hat seine kleine Aufgabe, jeder erledigt etwas. Wir erinnern an solchen Putz-, Reib- und Waschtagen an die m?rchenhaften Heinzelm?nnchen, die, wie es bekannt ist, alles Grobe und M?hselige aus reiner ?bernat?rlicher Herzensg?te getan haben. Was wir Z?glinge tun, tun wir, weil wir m?ssen, aber warum wir m?ssen, das weiss keiner von uns recht. Wir gehorchen, ohne zu ?berlegen, was aus all dem gedankenlosen Gehorsam noch eines Tages wird, und wir schaffen, ohne zu denken, ob es recht und billig ist, dass wir Arbeiten verrichten m?ssen. An solch einem Putztag hat sich mir einmal Tremala, einer der Kameraden, der ?lteste unter uns allen, mit einem h?sslichen Unfug gen?hert. Er stellte sich leise hinter mich und griff mir mit der abscheulichen Hand nach dem intimen Glied, in der Absicht, mir eine widerliche, an den Kitzel eines Tieres grenzende Wohltat zu erweisen. Ich drehe mich j?h um und schlage den Verruchten zu Boden. Ich bin sonst gar nicht so stark. Tremala ist viel st?rker. Aber der Zorn verlieh mir unwiderstehliche Kr?fte. Tremala hebt sich empor und wirft sich auf mich, da geht die T?re auf, und Herr Benjamenta steht auf der Schwelle derselben. >>Jakob, Schlingel!<< ruft er, >>Komm einmal her!<< Ich trete zu meinem Vorsteher hin, und er fr?gt gar nicht, wer den Streit angefangen habe, sondern gibt mir einen Schlag an den Kopf und geht weg. Ich will ihm nachlaufen, um es ihm entgegenzubr?llen, wie ungerecht er ist, doch ich beherrsche mich, besinne mich, werfe einen Blick ?ber die gesamte Knabenschar und gehe wieder an meine Arbeit. Mit Tremala rede ich seither kein Wort mehr, und auch er weicht mir stets aus, und er weiss warum. Aber ob es ihm leid tut oder dergleichen, das ist mir vollkommen gleichg?ltig. Die unzarte Angelegenheit ist schon l?ngst, wie soll man sagen, vergessen. Tremala ist fr?her schon auf den Meerschiffen gewesen. Er ist ein verdorbener Mensch, und es scheint, er freut sich seiner sch?ndlichen Anlagen. ?brigens ist er rasend ungebildet, daher interessiert er mich nicht. Verschmitzt und zugleich unglaublich dumm: wie uninteressant. Aber das Eine hat mir dieser Tremala zu erfahren gegeben: man muss auf alle m?glichen Angriffe und Kr?nkungen stets ein wenig gefasst sein.

Oft gehe ich aus, auf die Strasse, und da meine ich, in einem ganz wild anmutenden M?rchen zu leben. Welch ein Geschiebe und Gedr?nge, welch ein Rasseln und Prasseln. Welch ein Geschrei, Gestampf, Gesurr und Gesumme. Und alles so eng zusammengepfercht. Dicht neben den R?dern der Wagen gehen die Menschen, die Kinder, M?dchen, M?nner und eleganten Frauen; Greise und Kr?ppel, und solche, die den Kopf verbunden haben, sieht man in der Menge. Und immer neue Z?ge von Menschen und Fuhrwerken. Die Wagen der elektrischen Trambahn sehen wie figurenvollgepfropfte Schachteln aus. Die Omnibusse humpeln wie grosse, ungeschlachte K?fer vor?ber. Dann sind Wagen da, die wie fahrende Aussichtst?rme aussehen. Menschen sitzen auf den hocherhobenen Sitzpl?tzen und fahren allem, was unten geht, springt und l?uft ?ber den Kopf weg. In die vorhandenen Mengen schieben sich neue, und es geht, kommt, erscheint und verl?uft sich in einem fort. Pferde trampeln. Wundervolle H?te mit Zierfedern nicken aus offenen, schnell vorbeifahrenden Herrschaftsdroschken. Ganz Europa sendet hierher seine Menschenexemplare. Vornehmes geht dicht neben Niedrigem und Schlechtem, die Leute gehen, man weiss nicht wohin, und da kommen sie wieder, und es sind ganz andere Menschen, und man weiss nicht, woher sie kommen. Man meint, es ein wenig erraten zu k?nnen und freut sich ?ber die M?he, die man sich gibt, es zu entr?tseln. Und die Sonne blitzt noch auf dem allem. Dem einen begl?nzt sie die Nase, dem andern die Fussspitze. Spitzen treten an R?cken zum glitzernden und sinnverwirrenden Vorschein. H?ndchen fahren in Wagen, auf dem Schoss alter, vornehmer Frauen, spazieren. Br?ste prallen einem entgegen, in Kleidern und Fassonen eingepresste, weibliche Br?ste. Und dann sind wieder die dummen vielen Zigarren in den vielen Schlitzen von m?nnlichen Mundteilen. Und ungeahnte Strassen denkt man sich, unsichtbare neue und ebenso sehr menschenwimmelnde Gegenden. Abends zwischen sechs und acht wimmelt es am grazi?sesten und dichtesten. Zu dieser Zeit promeniert die beste Gesellschaft. Was ist man eigentlich in dieser Flut, in diesem bunten, nicht endenwollenden Strom von Menschen? Manchmal sind alle diese beweglichen Gesichter r?tlich angez?rtelt und gemalt von untergehenden Abendsonnengluten. Und wenn es grau ist und regnet? Dann gehen alle diese Figuren, und ich selber mit, wie Traumfiguren rasch unter dem tr?ben Flor dahin, etwas suchend, und wie es scheint, fast nie etwas Sch?nes und Rechtes findend. Es sucht hier alles, alles sehnt sich nach Reicht?mern und fabelhaften Gl?cksg?tern. Hastig geht man. Nein, sie beherrschen sich alle, aber die Hast, das Sehnen, die Qual und die Unruhe gl?nzen schimmernd zu den begehrlichen Augen heraus. Dann ist wieder alles ein Baden in der heissen, mitt?glichen Sonne. Alles scheint zu schlafen, auch die Wagen, die Pferde, die R?der, die Ger?usche. Und die Menschen blicken so verst?ndnislos. Die hohen, scheinbar umst?rzenden H?user scheinen zu tr?umen. M?dchen eilen dahin, Pakete werden getragen. Man m?chte sich jemandem an den Hals werfen. Komme ich heim, so sitzt Kraus da und spottet mich aus. Ich sage ihm, man m?sse doch ein wenig die Welt kennen lernen. >>Welt kennen lernen?<< sagt er, wie in tiefe Gedanken versunken. Und er l?chelt ver?chtlich.

Ungef?hr vierzehn Tage nach meinem Eintritt in die Schule ist Hans in unsern R?umen erschienen. Hans ist der rechte Bauernjunge, wie er in Grimms M?rchenbuch steht. Er kommt tief aus Mecklenburg, und er duftet nach blumigen ?ppigen Wiesen, nach Kuhstall und Bauernhof. Schlank, grob und knochig ist er, und er spricht eine wunderliche, gutm?tig-b?uerische Sprache, die mir eigentlich gef?llt, wenn ich mir M?he gebe, die Nasenl?cher zuzuhalten. Nicht als ob Hans etwa ?bel d?nste und dufte. Und doch tut man irgend welche empfindlichen Nasen zu, meinetwegen geistige, kulturelle, seelische Nasen, und ganz unwillk?rlich, womit man den guten Hans auch gar nicht kr?nken will. Und er merkt so etwas ja gar nicht, dazu sieht, horcht und empfindet dieser Land-Mensch viel zu gesund und zu schlicht. Etwas wie die Erde selber und Erdrinnen- und Kr?mmungen tritt einem entgegen, wenn man sich in den Anblick dieses Burschen vertieft, aber zu vertiefen braucht man sich gar nicht. Hans fordert keinen gedankenvollen Tiefsinn heraus. Er ist mir nicht gleichg?ltig, durchaus nicht, aber, wie soll ich sagen, ein wenig fern und leicht. Man nimmt ihn ganz leicht, weil er nichts hat, das schwer zu ertragen w?re, weil es Empfindungen wachriefe. Der Grimmsche M?rchenbauernjunge. Etwas Uralt-Deutsches und Angenehmes, verst?ndlich und wesentlich auf den ersten, fl?chtigen Blick. Sehr wert, dem Ding ein guter Kamerad zu sein. Hans wird im sp?teren Leben schwer arbeiten, ohne zu seufzen. Er wird M?hen und Sorgen und Missgeschicke kaum recht wahrnehmen. Er strotzt ja von Kraft und Gesundheit. Und dazu ist er nicht unh?bsch. ?berhaupt: ich muss bald lachen ?ber mich selber: ich finde an allem und in allem irgend etwas Geringf?gig-H?bsches. Ich mag sie alle so gern leiden, meine Z?glinge da, die Schulkameraden.

Bin ich der geborne Grossst?dter? Sehr leicht m?glich. Ich lasse mich fast nie bet?uben oder ?berraschen. Etwas unsagbar K?hles ist trotz der Aufregungen, die mich ?berfallen k?nnen, an mir. Ich habe die Provinz in sechs Tagen abgestreift. ?brigens bin ich in einer allerdings ganz, ganz kleinen Weltstadt aufgewachsen. Ich habe Stadtwesen und -empfinden mit der m?tterlichen Milch eingesogen. Ich sah als Kind johlende, betrunkene Arbeiter hin und her taumeln. Die Natur ist mir schon als ganz klein als etwas Himmlisch-Entferntes vorgekommen. So kann ich die Natur entbehren. Muss man denn nicht auch Gott entbehren? Das Gute, Reine und Hohe irgend, irgendwo versteckt in Nebeln zu wissen und es leise, ganz, ganz still zu verehren und anzubeten, mit gleichsam total k?hler und schattenhafter Inbrunst: daran bin ich gew?hnt. Ich sah als Kind eines Tages einen im Blut schwimmenden, von zahlreichen Messerstichen durchbohrten w?lschen Fabrikarbeiter an einer Mauer tot daliegen. Und ein anderes Mal, es war zu Ravachols Zeiten, hiess es unter der Jugend, es werden auch bei uns bald Bomben geschleudert werden usw. Alte Zeiten. Ich wollte von etwas ganz anderem sprechen, n?mlich von Kamerad Peter, dem langen Peter. Dieser hochaufgeschossene Knabe ist zu drollig, er stammt aus Teplitz in B?hmen und kann slawisch und deutsch sprechen. Sein Vater ist Schutzmann, und Peter ist in einem Seilergesch?ft kaufm?nnisch erzogen worden, er scheint aber den Unwissenden, Unbrauchbaren und Ungeratenen gespielt zu haben, was ich, ganz f?r mich, sehr niedlich finde. Er sagt, er rede auch ungarisch und polnisch, wenn es von ihm verlangt werde. Aber hier verlangt kein Mensch so etwas von ihm. Was f?r ausgedehnte Sprachenkenntnisse! Peter ist ganz entschieden der D?mmste und Unbeholfenste unter uns Eleven, und das belegt und bekr?nzt ihn in meinen unmassgeblichen Augen mit Auszeichnungen, denn unglaublich lieb sind mir die Dummen. Ich hasse das alles verstehenwollende, mit Wissen und Witz gl?nzende, und sich breitmachende Wesen. Verschmitzte und gewitzigte Menschen sind mir ein unnennbarer Greuel. Wie nett ist doch gerade in diesem Punkt Peter. Schon, dass er so lang ist, zum Mittenentzweibrechen lang, ist sch?n, aber noch viel sch?ner ist die Gutherzigkeit, die ihm best?ndig einfl?stert, er sei Kavalier und habe das Aussehen eines edlen und eleganten Verbummelten. Zum Kugeln ist das. Er redet immer von erlebten, aber sehr wahrscheinlich nicht erlebten Abenteuern. Nun, das ist wahr, Peter besitzt den feinsten und zierlichsten Spazierstock der Welt. Und nun zieht er stets los und geht in den belebtesten Strassen mit seinem Spazierstock spazieren. Ich traf ihn einmal in der F...strasse. Die F...strasse ist der entz?ckende Brennpunkt des hiesigen Grossstadtweltlebens. Schon aus weiter Ferne winkte er mir mit Hand, Kopfnicken und Spazierstockschwenken. Dann, wie ich in seiner N?he war, schaute er mich v?terlich-sorgenvoll an, als h?tte er sagen wollen: >>Was, du auch hier? Jakob, Jakob, das ist noch nichts f?r dich.<< -- Und dann verabschiedete er sich wie einer der Grossen dieses Erdenlebens, wie ein Weltblattredakteur, der die hochkostbare Zeit nicht zu verlieren hat. Und dann sah ich sein rundes dummes nettes H?tchen in der Menge anderer K?pfe und H?te verschwinden. Er tauchte, wie man so sagt, in der Masse unter. Peter lernt absolut nichts, obgleich er es in so humorvoller Weise n?tig h?tte, und in das Institut Benjamenta ist er scheinbar nur deshalb eingetreten, um hier mit k?stlichen Dummheiten zu gl?nzen. Vielleicht wird er hier sogar noch um wesentliche Portionen d?mmer, als er war, und warum sollte sich seine Dummheit denn eigentlich nicht entfalten d?rfen? Ich z. B. bin ?berzeugt, dass Peter im Leben unversch?mt viel Erfolg davontragen wird, und seltsam: ich g?nne es ihm. Ja, ich gehe noch weiter. Ich habe das Gef?hl, und es ist ein sehr trostreiches, prickelndes und angenehmes, dass ich sp?ter einmal solch einen Herrn, Gebieter und Vorgesetzten bekommen werde, wie Peter einer sein wird, denn solche Dummen, wie er einer ist, sind zum Avancieren, Hochkommen, Wohlleben und Befehlen geschaffen, und solche in gewissem Sinn Gescheite, wie ich, sollen den guten Drang, den sie besitzen, im Dienst anderer bl?hen und entkr?ften lassen. Ich, ich werde etwas sehr Niedriges und Kleines sein. Die Empfindung, die mir das sagt, gleicht einer vollendeten, unantastbaren Tatsache. Mein Gott, und ich habe trotzdem so viel, so viel Mut, zu leben? Was ist mit mir? Oft habe ich ein wenig Angst vor mir, aber nicht lange. Nein, nein, ich vertraue mir. Aber ist das nicht geradezu komisch?

F?r meinen Mitsch?ler Fuchs habe ich nur einen einzigen sprachlichen Ausdruck: Fuchs ist schr?g, Fuchs ist schief. Er spricht wie ein misslungener Purzelbaum und benimmt sich wie eine grosse, zu Menschenform zusammengeknetete Unwahrscheinlichkeit. Alles an ihm ist unsympathisch, daher unbeherzigenswert. ?ber Fuchs etwas zu wissen, das ist Missbrauch, unfeiner, st?render ?berfluss. Man kennt solche Schlingel nur, um sie zu verachten; da man aber ?berhaupt nicht gern irgend etwas ver?chtlich finden will, vergisst oder ?bersieht man das Ding. Ein Ding, ja, das ist er. O Gott, muss ich heute b?se reden? Fast m?chte ich mich daf?r hassen. Fort, zu irgend etwas Sch?nerem. -- Herrn Benjamenta sehe ich sehr selten. Zuweilen trete ich in das Bureau ein, verbeuge mich bis zur Erde, sage >>guten Tag, Herr Vorsteher<< und frage den Herrscher?hnlichen, ob ich ausgehen darf. >>Hast du den Lebenslauf geschrieben? Wie?<< werde ich gefragt. Ich antworte: >>Noch nicht. Aber ich werde es tun.<< Herr Benjamenta tritt auf mich zu, d. h. bis zum Schalter, an welchem ich stehe, und dr?ckt mir die riesige Faust vor die Nase. >>Du wirst p?nktlich sein, Bursch, oder -- -- -- du weisst, was es absetzt.<< -- Ich verstehe ihn, ich verbeuge mich wieder und verschwinde. Seltsam, wie viel Lust es mir bereitet, Gewaltaus?bende zu Zornesausbr?chen zu reizen. Sehne ich mich denn eigentlich danach, von diesem Herrn Benjamenta gez?chtigt zu werden? Leben in mir frivole Instinkte? Alles, alles, selbst das Niedertr?chtigste und Unw?rdigste, ist m?glich. Nun gut, bald werde ich den Lebenslauf ja schreiben. Ich finde Herrn Benjamenta geradezu sch?n. Ein herrlicher brauner Bart -- was? Herrlicher brauner Bart? Ich bin ein Dummkopf. Nein, am Herrn Vorsteher ist nichts sch?n, nichts herrlich, aber man ahnt hinter diesem Menschen schwere Schicksalswege und -schl?ge, und dieses Menschliche ist es, dieses beinahe G?ttliche ist es, was ihn sch?n macht. Wahre Menschen und M?nner sind nie sichtbar sch?n. Ein Mann, der einen wirklich sch?nen Bart tr?gt, ist ein Operns?nger oder der gutbezahlte Abteilungschef eines Warenhauses. Scheinm?nner sind in der Regel sch?n. Immerhin kann es auch Ausnahmen und m?nnliche Sch?nheiten, erf?llt von T?chtigkeit, geben. Herrn Benjamentas Gesicht und Hand haben ?hnlichkeit mit knorrigen Wurzeln, mit Wurzeln, die zu irgend einer traurigen Stunde schon irgendwelchen unbarmherzigen Beilhieben haben widerstehen m?ssen. W?re ich eine Dame von Noblesse und Geist, ich w?sste M?nner, wie diesen scheinbar so armseligen Institutsvorsteher, unbedingt auszuzeichnen, aber wie ich vermute, verkehrt Herr Benjamenta gar nicht in der Gesellschaft, die die Welt bedeutet. Er sitzt eigentlich immer zu Hause, er h?lt sich ohne Zweifel so auf eine Art im Verborgenen auf, er verkriecht sich >>in der Einsamkeit<<, und in der Tat, schauderhaft einsam muss dieser sicher edle und kluge Mann dahinleben. Irgend welche Ereignisse m?ssen auf diesen Charakter einen tiefen, vielleicht sogar vernichtenden Eindruck gemacht haben, aber was weiss man? Ein Eleve des Institutes Benjamenta, was, was kann ein solcher wissen? Aber ich forsche wenigstens immer. Um zu forschen, sonst um nichts anderen willen trete ich ?fters in das Kontor und richte so l?ppische Fragen, wie die: >>Darf ich ausgehen, Herr Vorsteher?<< an den Mann. Ja, dieser Mensch hat es mir angetan, er interessiert mich. Auch die Lehrerin erweckt mein h?chstes Interesse. Ja, und deshalb, um etwas herauszukriegen aus all diesem Geheimnisvollen, reize ich ihn, damit ihm etwas wie eine unvorsichtige Bemerkung entfahre. Was schadet es mir, wenn er mich schl?gt? Mein Wunsch, Erfahrungen zu machen, w?chst zu einer herrischen Leidenschaft heran, und der Schmerz, den mir der Unwille dieses seltsamen Mannes verursacht, ist nur klein gegen die bebende Begierde, ihn zu verleiten, sich ein wenig mir gegen?ber auszusprechen. O ich tr?ume davon, -- herrlich, herrlich, -- dieses Menschen hervorbrechendes Vertrauen zu besitzen. Nun, es wird noch lange dauern, aber ich glaube, ich glaube, ich bringe es fertig, in das Geheimnis der Benjamentas endlich noch einzudringen. Geheimnisse lassen einen unertr?glichen Zauber vorausahnen, sie duften nach etwas ganz, ganz uns?glich Sch?nem. Wer weiss, wer weiss. Ah -- -- --.

Ich liebe den L?rm und die fortlaufende Bewegung der Grossstadt. Was unaufh?rlich fortl?uft, zwingt zur Sitte. Dem Dieb z. B., wenn er all die regsamen Menschen sieht, muss unwillk?rlich einfallen, was f?r ein Spitzbube er ist, nun, und der fr?hlich-bewegliche Anblick kann Besserung in sein verfallenes, ruinenartiges Wesen sch?tten. Der Prahlhans wird vielleicht etwas bescheidener und nachdenklicher, wenn er all die Kr?fte, die sich schaffend zeigen, erblickt, und der Unschickliche sagt sich m?glicherweise, wenn ihm die Schmiegsamkeit der Vielen ins Auge f?llt, er sei doch ein entsetzlicher Wicht, derart auf der Breitspurigkeit und Anmassung dumm und eitel zu thronen. Die Grossstadt erzieht, sie bildet, und zwar durch Beispiele, nicht durch trockene, den B?chern entnommene Lehrs?tze. Es ist nichts Professorales da, und das schmeichelt, denn die aufget?rmte Wissensw?rde entmutigt. Und dann ist hier noch so vieles, was f?rdert, h?lt und hilft. Man kann es kaum sagen. Wie schwer ist es, Feinem und Gutem lebendigen Ausdruck zu geben. Man ist hier dem bescheidenen Leben schon dankbar, man dankt immer ein wenig, indem es einen treibt, indem man es eilig hat. Wer Zeit zu verschwenden hat, weiss nicht, was sie bedeutet, und er ist der nat?rliche, bl?de Undankbare. In der Grossstadt f?hlt jeder Laufbursche, dass Zeit etwas wert ist, und jeder Zeitungsverk?ufer will seine Zeit nicht vertr?deln. Und dann das Traumhafte, das Malerische und Dichterische! Menschen eilen und wirken immer an einem vorbei. Nun, das hat etwas zu bedeuten, das regt an, das setzt den Geist in einen lebhafteren Schwung. W?hrend man zaudernd steht, sind schon Hunderte, ist bereits hunderterlei einem am Kopf und Blick vor?bergegangen, das beweist einem so recht deutlich, welch ein Vers?umer und tr?ger Verschieber man ist. Man hat es hier allgemein eilig, weil man jeden Augenblick der Meinung ist, es sei h?bsch, etwas erk?mpfen und erhaschen zu gehen. Das Leben erh?lt einen reizenderen Atem. Die Wunden und Schmerzen werden tiefer, die Freude frohlockt fr?hlicher und l?nger als anderswo, denn wer sich hier freut, der scheint es stets sauer und rechtschaffen durch Arbeit und M?he verdient zu haben. Dann sind wieder die G?rten, die so still und verloren hinter den zierlichen Gittern liegen wie heimliche Winkel in englischen Parklandschaften. Dicht daneben rauscht und poltert der gesch?ftliche Verkehr, als wenn es nie Landschaften oder Tr?umereien im Leben gegeben h?tte. Die Eisenbahnz?ge donnern ?ber die zitternden Br?cken. Abends glitzern die m?rchenhaft reichen und eleganten Schaufenster, und Str?me, Schlangen und Wellen von Menschen w?lzen sich am ausgestellten, lockenden Industrie-Reichtum vorbei. Ja, das alles erscheint mir gut und gross. Man gewinnt, indem man mitten im Gestrudel und Gesprudel ist. Man empfindet etwas Gutes an den Beinen, an den Armen und in der Brust, indem man sich M?he gibt, sich schicklich und ohne viel Federlesens durch all den lebendigen Kram hindurchzuwinden. Am Morgen scheint alles neu zu leben, und am Abend sinkt alles einer neuen, nie empfundenen Tr?umerei in die wildumschlingenden Arme. Das ist sehr dichterisch. Fr?ulein Benjamenta w?rde mich ganz geh?rig zurechtweisen, wenn sie lesen w?rde, was ich hier schreibe. Von Kraus nicht zu reden, der macht zwischen Dorf und Stadt keinen so leidenschaftlichen Unterschied. Kraus erblickt erstens Menschen, zweitens Pflichten und drittens h?chstens noch Ersparnisse, die er zur?cklegen wird, wie er denkt, um sie seiner Mutter zu schicken. Kraus schreibt immer nach Hause. Er besitzt eine ebenso einfache wie rein menschliche Bildung. Das Grossstadtgetriebe mit all seinen vielen t?richten glitzernden Versprechungen l?sst ihn vollst?ndig kalt. Welch eine rechtschaffene, zarte, feste Menschenseele.

Endlich sind meine Photographien fertig geworden. Ich blicke sehr, sehr energisch in die Welt hinein auf dem wirklich gut gelungenen Bild. Kraus will mich ?rgern und sagt, ich sehe wie ein Jude aus. Endlich, endlich lacht er ein wenig. >>Kraus,<< sage ich, >>bitte, bedenke, auch die Juden sind Menschen.<< Wir zanken ?ber den Wert und ?ber den Unwert der Juden und unterhalten uns damit prachtvoll. Ich wundere mich, welche guten Meinungen er hat. >>Die Juden haben alles Geld,<< meint er. Ich nicke dazu, ich bin einverstanden, und ich sage: >>Das Geld macht die Menschen erst zu Juden. Ein armer Jude ist kein Jude, und reiche Christen, ich pfeife, das sind noch die ?rgsten Juden.<< -- Er nickt. Endlich, endlich einmal habe ich dieses Menschen Beifall gefunden. Aber er ?rgert sich schon wieder und sagt sehr ernsthaft: >>Schwatz' nicht immer. Was soll das mit den Juden und mit den Christen. Das gibt es gar nicht. Es gibt liederliche und brave Menschen. Das ist es. Und was glaubst du, Jakob? Zu welcher Sorte geh?rst du?<< -- Und nun unterhalten wir uns erst recht noch lange. O, Kraus redet sehr gern mit mir, ich weiss es. Die gute, feine Seele. Er mag es nur nicht zugeben. Wie liebe ich Menschen, die sich nicht gern Gest?ndnisse machen. Kraus hat Charakter: Wie deutlich man das f?hlt. -- Den Lebenslauf habe ich allerdings geschrieben, aber ich habe ihn wieder zerrissen. Fr?ulein Benjamenta ermahnte mich gestern, aufmerksamer und folgsamer zu sein. Ich habe die sch?nsten Vorstellungen von Gehorsamkeit und Aufmerksamkeit, und sonderbar: es entwischt mir. Ich bin tugendhaft in der Einbildung, aber wenn es darauf ankommt, Tugenden auszu?ben? Wie dann? Nicht wahr, ja, dann ist es eben etwas ganz anderes, dann versagt man, dann ist man unwillig. ?brigens bin ich unh?flich. Ich schw?rme sehr f?r die Ritterlichkeit und H?flichkeit, wenn es aber gilt, der Lehrerin vorauszueilen und ihr die T?re ehrf?rchtig zu ?ffnen, wer ist dann der Flegel, der am Tisch sitzen bleibt? Und wer springt wie der Sturmwind, um sich artig zu erweisen? Ei, Kraus. Kraus ist Ritter von Kopf bis zu Fuss. Er geh?rt eigentlich ins Mittelalter, und es ist sehr schade, dass ihm kein zw?lftes Jahrhundert zur Verf?gung steht. Er ist die Treue, der Diensteifer und das unauff?llige, selbstlose Entgegenkommen selber. ?ber Frauen hat er kein Urteil, er verehrt sie bloss. Wer hebt das Fallengelassene vom Boden auf und reicht es eichhornhaft schnell dem Fr?ulein? Wer springt zum Haus hinaus auf Kommissionen? Wer tr?gt der Lehrerin die Markttasche nach? Wer scheuert die Treppe und K?che, ohne dass man es ihm hat befehlen m?ssen? Wer tut das alles und fr?gt nicht nach Dank? Wer ist so herrlich, so gewaltig in sich selbst froh? Wie heisst er? Ah, ich weiss es schon. Manchmal m?chte ich von diesem Kraus gehauen sein. Aber Menschen wie er, wie k?nnten sie hauen. Kraus will nur Rechtes und Gutes. Das ist durchaus nicht ?bertrieben gesprochen. Er hat nie schlechte Absichten. Seine Augen sind erschreckend gut. Dieser Mensch, was will er eigentlich in solch einer auf die Phrase, L?ge und Eitelkeit gestellten und abgerichteten Welt? Sieht man Kraus an, dann f?hlt man unwillk?rlich, wie unrettbar verloren die Bescheidenheit in der Welt ist.

Ich habe meine Uhr verkauft, um Zigarettentabak kaufen zu k?nnen. Ich kann ohne Uhr, aber nicht ohne Tabak leben, das ist sch?ndlich, aber es ist zwingend. Ich muss irgendwie zu ein wenig Geld gelangen, sonst wird es mir bald an reiner W?sche fehlen. Saubere Hemdkragen sind mir ein Bed?rfnis. Das Gl?ck eines Menschen h?ngt nicht und h?ngt doch von solchen Dingen ab. Gl?ck? Nein. Aber man soll anst?ndig sein. Reinlichkeit allein ist ein Gl?ck. Ich schwatze. Wie hasse ich all die treffenden Worte. Heute hat Fr?ulein geweint. Warum? Mitten in der Schulstunde st?rzten ihr pl?tzlich die Tr?nen aus den Augen. Das ber?hrt mich seltsam. Jedenfalls werde ich die Augen offen behalten. Es macht mir Spass, auf irgend etwas, was keinen Ton geben will, zu horchen. Ich passe auf, und das versch?nert das Leben, denn ohne aufpassen zu m?ssen, gibt es eigentlich gar kein Leben. Es ist klar, Fr?ulein Benjamenta hat einen Kummer, und es muss ein heftiger Kummer sein, da sich unsere Lehrerin sonst sehr gut zu beherrschen weiss. Ich muss Geld haben. ?brigens habe ich den Lebenslauf jetzt geschrieben. Er lautet folgendermassen:

Lebenslauf.

Unterzeichneter, Jakob von Gunten, Sohn rechtschaffener Eltern, den und den Tag geboren, da und da aufgewachsen, ist als Eleve in das Institut Benjamenta eingetreten, um sich die paar Kenntnisse anzueignen, die n?tig sind, in irgend jemandes Dienste zu treten. Ebenderselbe macht sich durchaus vom Leben keine Hoffnungen. Er w?nscht, streng behandelt zu werden, um zu erfahren, was es heisst, sich zusammenraffen m?ssen. Jakob von Gunten verspricht nicht viel, aber er nimmt sich vor, sich brav und redlich zu verhalten. Die von Gunten sind ein altes Geschlecht. In fr?heren Zeiten waren sie Krieger, aber die Rauflust hat nachgelassen, und heute sind sie Grossr?te und Handelsleute, und der J?ngste des Hauses, Gegenstand dieses Berichtes, hat sich entschlossen, g?nzlich von aller hochm?tigen Tradition abzufallen. Er will, dass das Leben ihn erziehe, nicht erbliche oder irgend adlige Grunds?tze. Allerdings ist er stolz, denn es ist ihm unm?glich, die angeborne Natur zu verleugnen, aber er versteht unter Stolz etwas ganz Neues, gewissermassen der Zeit, in der er lebt, Entsprechendes. Er hofft, dass er modern, einigermassen geschickt zu Dienstleistungen und nicht ganz dumm und unbrauchbar ist, aber er l?gt, er hofft das nicht nur, sondern er behauptet und weiss es. Er hat einen Trotzkopf, in ihm leben eben noch ein wenig die ungeb?ndigten Geister seiner Vorfahren, doch er bittet, ihn zu ermahnen, wenn er trotzt, und wenn das nichts n?tzt, zu z?chtigen, denn dann glaubt er, n?tzt es. Im ?brigen wird man ihn zu behandeln wissen m?ssen. Der Unterzeichnete glaubt, sich in jede Lage schicken zu k?nnen, es ist ihm daher gleichg?ltig, was man ihm zu tun befehlen wird, er ist der festen ?berzeugung, dass jede sorgsam ausgef?hrte Arbeit f?r ihn eine gr?ssere Ehre sein wird als das m?ssig und ?ngstlich zu Hause Hinter-dem-Ofen-Sitzen. Ein von Gunten sitzt nicht hinter dem Ofen. Wenn die Ahnen des gehorsam Unterzeichneten das ritterliche Schwert gef?hrt haben, so handelt der Nachkomme traditionell, wenn er gl?hend heiss begehrt, sich irgendwie n?tzlich zu erweisen. Seine Bescheidenheit kennt keine Grenzen, wenn man seinem Mut schmeichelt, und sein Eifer, zu dienen, gleicht seinem Ehrgeiz, der ihm befiehlt, hinderliche und sch?dliche Ehrgef?hle zu verachten. Zu Hause hat Immerderselbe seinen Geschichtslehrer, den ehrenwerten Herrn Doktor Merz, durchgepr?gelt, eine Schandtat, die er bedauert. Heute sehnt er sich danach, den Hochmut und die ?berhebung, die ihn vielleicht zum Teil noch beseelen, am unerbittlichen Felsen harter Arbeit zerschmettern zu d?rfen. Er ist wortkarg und wird Vertraulichkeiten niemals ausplaudern. Er glaubt weder an ein Himmelreich noch an eine H?lle. Die Zufriedenheit desjenigen, der ihn engagiert, wird sein Himmel, und das traurige Gegenteil seine vernichtende H?lle sein, aber er ist ?berzeugt, dass man mit ihm und dem, was er leistet, zufrieden sein wird. Dieser feste Glaube gibt ihm den Mut, der zu sein, der er ist.

Jakob von Gunten.

Ich habe den Lebenslauf Herrn Vorsteher ?berreicht. Er hat ihn durchgelesen, ich glaube, sogar zweimal, und das Schreiben scheint ihm gefallen zu haben, denn es trat etwas wie ein schimmerndes L?cheln auf seine Lippen. O gewiss, ich habe meinen Mann scharf beobachtet. Ein wenig gel?chelt hat er, das ist und bleibt Tatsache. Also endlich ein Zeichen von etwas Menschlichem. Was muss man doch f?r Spr?nge machen, Menschen, denen man die H?nde k?ssen m?chte, zu einer nur ganz fl?chtigen freundlichen Regung zu bewegen. Absichtlich, absichtlich habe ich den Lauf meines Lebens so stolz und frech geschrieben: >>Da lies es. Wie? Reizt es dich nicht, mir das Ding ins Gesicht zu schmeissen?<< -- Das sind meine Gedanken gewesen. Und da hat er ganz schlau und fein gel?chelt, dieser schlaue und feine Herr Vorsteher, den ich leider, leider Gottes ?ber alles verehre. Und ich hab' es bemerkt. Es ist ein Vorpostengefecht gewonnen. Heute muss ich unbedingt noch irgend einen Streich ver?ben. Ich muss mich sonst kaputtfreuen, kaputtlachen. Aber Fr?ulein Vorsteher weint? Was ist das? Warum bin ich so seltsam gl?cklich? Bin ich verr?ckt?

Ich muss jetzt etwas berichten, was vielleicht einigen Zweifel erregt. Und doch ist es durchaus Wahrheit, was ich sage. Es lebt ein Bruder von mir in dieser gewaltigen Stadt, mein einziger Bruder, ein meiner Ansicht nach ausserordentlicher Mensch, Johann heisst er, und er ist so etwas wie ein namhaft bekannter K?nstler. Ich weiss um seine jetzige Stellung in der Welt nichts Bestimmtes, da ich es vermieden habe, ihn zu besuchen. Ich werde nicht zu ihm gehen. Begegnen wir uns zuf?llig auf der Strasse und erkennt er mich und tritt auf mich zu: sch?n, dann ist es mir lieb, seine br?derliche Hand kr?ftig zu sch?tteln. Aber herausfordern werde ich solch ein Begegnen nie, nie im Leben. Was bin ich, und was ist er? Was ein Z?gling des Institutes Benjamenta ist, das weiss ich, es liegt auf der Hand. Solch ein Z?gling ist eine gute runde Null, weiter nichts. Aber was mein Bruder zur Stunde ist, das kann ich nicht wissen. Er ist vielleicht umgeben von lauter feinen, gebildeten Menschen und von weiss Gott was f?r Formalit?ten, und ich respektiere Formalit?ten, deshalb suche ich nicht einen Bruder auf, wo mir m?glicherweise ein soignierter Herr unter gezwungenem L?cheln entgegentritt. Ich kenne ja Johann von Gunten von fr?her her. Er ist ein durchaus ebenso k?hl abw?gender und berechnender Mensch wie ich und wie alle Gunten, aber er ist viel ?lter, und im Altersunterschied zweier Menschen und Br?der k?nnen un?bersteigliche Grenzen liegen. Jedenfalls liesse ich mir von ihm keine guten Lehren erteilen, und das ist es gerade, was ich bef?rchte, das er tun wird, wenn er mich zu Gesicht bekommt, denn wenn er mich so arm und unbedeutend vor sich sieht, wird es ihn, den Gutsituierten, doch ganz sicher reizen, mich meine niedrige Position von oben herab leicht f?hlen zu lassen, und das w?rde ich nicht ertragen k?nnen, ich w?rde den von Guntenschen Stolz hervorkehren und entschieden grob werden, was mir hinterher dann doch nur weh t?te. Nein, tausendmal nein. Was? Von meinem Bruder, vom selben Blut Gnade annehmen? Tut mir sehr leid. Das ist unm?glich. Ich stelle mir ihn sehr fein vor, die beste Zigarette der Welt rauchend, und liegend auf den Kissen und Teppichen der b?rgerlichen Behaglichkeit. Und wie? Ja, es ist jetzt in mir so etwas Unb?rgerliches, so etwas durchaus Entgegengesetzt-Wohlanst?ndiges, und vielleicht ruht mein Herr Bruder mitten drinnen im sch?nsten, pr?chtigsten Welt-Anstand. Es ist beschlossen: wir beide sehen uns nicht, vielleicht nie! Und das ist auch gar nicht n?tig. Nicht n?tig? Gut, lassen wir das. Ich Schafskopf, da rede ich wie eine ganze w?rdevolle Lehrerschaft per wir. -- Um meinen Bruder herum gibt es sicher das beste, gew?hlteste Salon-Benehmen. Merci. O, ich danke. Da werden Frauen sein, die den Kopf zur T?re herausstrecken und schnippisch fragen: >>Wer ist denn jetzt wieder da? Wie? Ist es vielleicht ein Bettler?<< -- Verbindlichsten Dank f?r solch einen Empfang. Ich bin zu gut, um bemitleidet zu werden. Duftende Blumen im Zimmer! O ich mag gar keine Blumen. Und gelassenes Weltwesen? -- Scheusslich. Ja, gern, sehr gern s?he ich ihn. Aber wenn ich ihn so s?he, so s?he im Glanz und im Behagen: futsch w?re die Empfindung, hier stehe ein Bruder, und ich w?rde nur Freude l?gen d?rfen, und er auch. Also nicht.

In der Unterrichtsstunde sitzen wir Sch?ler, starr vor uns herblickend, da, unbeweglich. Ich glaube, man darf sich nicht einmal die pers?nliche Nase putzen. Die H?nde ruhen auf den Kniescheiben und sind w?hrend des Unterrichtes unsichtbar. H?nde sind die f?nffingrigen Beweise der menschlichen Eitelkeit und Begehrlichkeit, daher bleiben sie unter dem Tisch h?bsch verborgen. Unsere Sch?lernasen haben die gr?sste geistige ?hnlichkeit miteinander, sie scheinen alle mehr oder weniger nach der H?he zu streben, wo die Einsicht in die Wirrnisse des Lebens leuchtend schwebt. Nasen von Z?glingen sollen stumpf und gest?lpt erscheinen, so verlangen es die Vorschriften, die an alles denken, und in der Tat, unsere s?mtlichen Riechwerkzeuge sind dem?tig und schamhaft gebogen. Sie sind wie von scharfen Messern kurzgehauen. Unsere Augen blicken stets ins gedankenvolle Leere, auch das will die Vorschrift. Eigentlich sollte man gar keine Augen haben, denn Augen sind frech und neugierig, und Frechheit und Neugierde sind von fast jedem gesunden Standpunkt aus verdammenswert. Ziemlich erg?tzlich sind die Ohren von uns Z?glingen. Sie wagen alle kaum zu horchen vor lauter gespannten Horchens. Sie zucken immer ein wenig, als f?rchteten sie, von hinten pl?tzlich mahnend gezogen und in die Weite und Breite gerissen zu werden. Arme Ohren das, die derart Angst ausstehen m?ssen. Schl?gt der Ton eines Rufes oder Befehls an diese Ohren, so vibrieren und zittern sie wie Harfen, die ber?hrt und gest?rt worden sind. Nun, es kommt ja auch vor, dass Z?glingsohren gern ein wenig schlafen, und wie werden sie dann geweckt! Es ist eine Freude. Das Dressierteste an uns ist aber doch der Mund, er ist stets gehorsam und devot zugekniffen. Es ist ja auch nur zu wahr: ein offener Mund ist die g?hnende Tatsache, dass der Besitzer desselben mit seinen paar Gedanken meist anderswo sich aufh?lt als im Bereich und Lustgarten der Aufmerksamkeit. Ein festgeschlossener Mund deutet auf offene, gespannte Ohren, daher m?ssen die T?ren da unten, unter den Nasenfl?gelfenstern, stets sorgsam verriegelt bleiben. Ein offener Mund ist ein Maul ohne weiteres, und das weiss jeder von uns genau. Lippen d?rfen nicht prangen und l?stern bl?hen in der bequemen nat?rlichen Lage, sondern sie sollen gefalzt und gepresst sein zum Zeichen energischer Entsagung und Erwartung. Das tun wir Sch?ler alle, wir gehen mit unsern Lippen laut bestehender Vorschrift sehr hart und grausam um, und daher sehen wir alle so grimmig wie kommandierende Wachtmeister aus. Ein Unteroffizier will die Mienen seiner Soldaten bekanntlich genau so schnauzig und grimmig haben wie seine, das passt ihm, denn er hat Humor in der Regel. Im Ernst: Gehorchende sehen meist genau aus wie Befehlende. Ein Diener kann gar nicht anders als die Masken und All?ren seines Herrn annehmen, um sie gleichsam treuherzig fortzupflanzen. Unser verehrtes Fr?ulein ist ja nun gar kein solcher Feldwebel, im Gegenteil, sie l?chelt sehr oft, ja, sie gestattet sich manchmal, uns Murmeltiere von vorschriftenbefolgenden Menschenkindern einfach auszulachen, aber sie gew?rtigt eben, dass wir sie ruhig, und ohne unsere Mienen zu ver?ndern, lachen lassen, und das tun wir auch, wir tun so, als h?rten wir den s?ssen Silberton ihres Gel?chters ?berhaupt gar nicht. Was sind wir f?r aparte K?uze. Unser Haar ist stets sauber und glatt gek?mmt und geb?rstet, und jeder hat sich einen geraden Scheitel in die Welt da oben auf dem Kopf einzuschneiden, einen Kanal in die tiefschwarze oder blonde Haar-Erde. So geh?rt sich's. Scheitel sind nun einmal auch vorschriftsm?ssig. Und daher, weil wir so reizend frisiert und gescheitelt sind, sehen wir uns alle eigentlich ?hnlich, was f?r einen Schriftsteller z. B. zum Totlachen w?re, wenn er uns besuchte, um uns in unserer Herrlichkeit und Wenigkeit zu studieren. Mag dieser Herr Schriftsteller zu Hause bleiben. Windbeutel sind das, die nur studieren, malen und Beobachtungen anstellen wollen. Man lebe, dann beobachtet sich's ganz von selber. Unser Fr?ulein Benjamenta w?rde ?brigens solch einen hergewanderten, -geregneten und -geschneiten Artikelschreiber derart anherrschen, dass er vor Schreck ?ber die Unfreundlichkeit des Empfangs zu Boden fiele. Nun, dann w?rde die Lehrerin, die es liebt, selbstherrlich zu verfahren, vielleicht zu uns sagen: >>Geht, helft dem Herrn von der Erde aufstehen.<< Und dann w?rden wir Z?glinge des Institutes Benjamenta dem ungebetenen Gast zeigen, wo die T?re ist. Und das St?ck neugierigen Schriftstellertums w?rde wieder verschwinden. Nein, das sind Phantasien. Zu uns kommen Herrschaften, die uns Knaben engagieren wollen, und nicht Leute mit Schreibfedern hinter den Ohren.

Entweder sind die Lehrer unseres Institutes gar nicht vorhanden, oder sie schlafen noch immer, oder sie scheinen ihren Beruf vergessen zu haben. Oder streiken sie vielleicht, weil man ihnen die Monatsl?hne nicht ausbezahlt? Wunderliche Gef?hle ergreifen mich, wenn ich an die armen Eingeschlummerten und Geistesabwesenden denke. Da sitzen sie nun, oder kauern an den W?nden eines extra f?r die Ruhebed?rftigen eingerichteten Zimmers. Da ist Herr W?chli, der vermeintliche Naturgeschichtslehrer. Sogar im Schlaf h?lt er noch immer seine Tabakspfeife im Mund eingeklemmt. Schade, er h?tte vielleicht besser getan, Bienenz?chter zu werden. Wie rot sein Kopf doch ist und wie fett seine ?ltliche, weichliche Hand. Und hier nebenan, ist das nicht Herr Bl?sch, der sehr geehrte Franz?sischlehrer? Ei ja doch, das ist er wahrhaftig, und er l?gt, wenn er zu schlafen vorgibt, er ist ein ganz schrecklicher L?gner. Auch seine Schulstunden sind immer nur eine L?ge und papierne Maske gewesen. Wie blass er aussieht, und wie b?se! Er hat ein schlechtes Gesicht, dicke harte Lippen, grobe unbarmherzige Z?ge: >>Schl?fst du, Bl?sch?<< -- Er h?rt nicht. Er ist eigentlich widerw?rtig. Und das, wer ist denn das da? Herr Pfarrer Strecker? Der lange, d?rre Herr Pfarrer Strecker, der den Religionsunterricht erteilt? Zum Teufel, ja er selber ist es. >>Schlafen Sie, Herr Pfarrer? Nun, dann schlafen Sie. Es schadet nichts, dass Sie schlafen. Sie vers?umen nur Zeit mit Religionsunterrichterteilen. Religion, sehen Sie, taugt heute nichts mehr. Der Schlaf ist religi?ser als all Ihre Religion. Wenn man schl?ft, ist man Gott vielleicht noch am n?chsten. Was meinen Sie?<< -- Er h?rt nicht. Ich will anderswo anklopfen. He, wer ist denn das hier, der so bequeme Stellungen w?hlt? Ist es Merz, Doktor Merz, der die Geschichte Roms lehrt? Ja, er ist es, ich erkenne ihn am Spitzbart. >>Sie scheinen mir b?se zu sein, Herr Doktor Merz. Nun, schlafen Sie und vergessen Sie die unpassenden Auftritte, die zwischen Ihnen und mir vorgefallen sind, z?rnen Sie nicht in Ihren Spitzbart hinein. ?brigens tun Sie gut, zu schlafen. Die Welt dreht sich seit einiger Zeit um Geld und nicht mehr um Geschichte. All die uralten Heldentugenden, die Sie auspacken, spielen ja, wie Sie selbst wissen werden, l?ngst keine Rolle mehr. Ich verdanke Ihnen einige wundervolle Eindr?cke. Schlafen Sie wohl.<< -- Hier aber, wie ich sehe, scheint sich Herr von Bergen, der Knabenqu?ler von Bergen, angesiedelt zu haben. Tut, als wenn er tr?ume, und erteilt doch so gern, mit so kitzlich-himmlischer Vorliebe, >>Tatzen<<. Oder er kommandiert >>Rumpfbeuge vorw?rts<<, und dann ist es ihm solch ein Genuss, aufs Hinterst?ck des armen Jungen ein Meerrohrgeschenk anzuflicken. Sehr elegante Pariser-Erscheinung, aber grausam. -- Und wer ist dieser hier? Progymnasialdirektor Wyss? Sehr nett. Bei rechtlichen Leuten braucht man sich nicht lange aufzuhalten. Und wer ist hier? Bur? Lehrer Bur? >>Ich bin entz?ckt, Sie zu sehen.<< Bur ist der genialste gewesene Rechenlehrer des Kontinents. F?rs Institut Benjamenta ist er nur zu freisinnig und zu geistvoll. Kraus und die andern sind keine Sch?ler f?r ihn. Er ist zu hervorragend und stellt zu hohe Anspr?che. Hier im Institut existieren keine solchen ?berspannten Voraussetzungen. Aber ich tr?ume wohl von meinen heimatlichen Lehrern? Dort im Progymnasium gab's Kenntnisse die Menge, hier gibt es etwas ganz anderes. Uns Z?glinge hier wird etwas ganz anderes gelehrt.

Werde ich bald Stellung erhalten? Ich hoffe es. Meine Photographien und mein Bewerbeschreiben machen zusammen, wie ich mir einbilde, einen g?nstigen Eindruck. Neulich bin ich mit Schilinski in einen ersten Caf?-Konzert-Raum getreten. Wie hat da Schilinski am ganzen Leib gebebt vor Sch?chternheit. Ich benahm mich ungef?hr wie sein liebevoller Vater. Der Kellner wagte es, indem er uns von unten bis oben fixierte, uns sitzen zu lassen; da ich ihn aber mit enorm strenger Miene ersuchte, uns gef?lligst zu bedienen, wurde er sogleich h?flich und brachte uns in hohen, zierlich-geschliffenen Kelchen helles Bier. Ah, man muss auftreten. Wer sich mit gemessenem Anstand in die Brust zu werfen weiss, der wird als Herr behandelt. Man muss Situationen beherrschen lernen. Ich verstehe es ausgezeichnet, meinen Kopf, so, als wenn ich ?ber etwas emp?rt, nein, nur erstaunt w?re, zur?ckzuwerfen. Ich blicke um mich her, als wollte ich sagen: >>Was ist das? Wie? Ist man denn hier toll?<< -- Das wirkt. Auch habe ich mir ja im Institut Benjamenta gottlob Haltung angeeignet. O mir ist manchmal, als h?tte ich es in der Gewalt, mit der Erde und all den Dingen darauf beliebig spielen zu k?nnen. Ich verstehe mit einemmal das liebliche Wesen der Frauen. Ihre Koketterien am?sieren mich, und ich erblicke Tiefsinn in ihren trivialen Bewegungen und Redensarten. Wenn man sie nicht versteht, wenn sie eine Tasse zum Mund f?hren oder den Rock raffen, so versteht man sie nie. Ihre Seelen trippeln mit den hochaufgeschweiften Abs?tzen ihrer s?ssen Stiefelchen, und ihr L?cheln ist beiderlei: eine alberne Angewohnheit und ein St?ck Weltgeschichte. Ihr Hochmut und ihr geringer Verstand sind reizend, reizender als die Werke der Klassiker. Oft sind ihre Untugenden das Tugendhafteste unter der Sonne, und wenn sie erst w?tend werden, und z?rnen? Nur Frauen verstehen zu z?rnen. Doch still. Ich denke an Mama. Wie heilig ist mir das Andenken an die Augenblicke, wo sie z?rnte. Doch ruhig, doch still. Was kann ein Sch?ler des Institutes Benjamenta ?ber alles das wissen?

Ich habe mich nicht bezwingen k?nnen, ich bin ins Bureau gegangen, habe mich gewohnheitsgem?ss tief verbeugt und habe zu Herrn Benjamenta folgendes gesprochen: >>Ich habe Arme, Beine und H?nde, Herr Benjamenta, und ich m?chte arbeiten, und daher erlaube ich mir, Sie zu bitten, mir recht bald Arbeit und Geldverdienst zu verschaffen. Sie haben allerlei Beziehungen, ich weiss es. Zu Ihnen kommen die allerfeinsten Herrschaften, Leute, die Kronen auf den Aufschl?gen ihrer M?ntel tragen, Offiziere, die mit den schneidigen S?beln rasseln, Damen, deren Schleppen wie kichernde Wellen daherrauschen, ?ltere Frauen mit enorm viel Verm?gen, Greise, die ein halbes L?cheln mit einer Million bezahlen, Menschen von Stand, aber ohne Geist, Menschen, die im Automobil vorfahren, mit einem Wort, Herr Vorsteher, die Welt kommt zu Ihnen.<< -- >>H?te dich, frech zu werden,<< warnte er mich, doch ich weiss nicht, ich empfand gar keine Furcht mehr vor seinen F?usten, und ich sprach weiter, die Worte flogen mir nur so heraus: >>Verschaffen Sie mir unbedingt irgend eine anregende T?tigkeit. ?brigens ist meine Meinung die: eine jede T?tigkeit ist anregend. Ich habe schon so viel gelernt bei Ihnen, Herr Vorsteher.<< -- Er sagte ruhig: >>Du hast noch gar nichts gelernt.<< -- Da nahm ich wieder den Faden auf und sagte: >>Gott selbst gebietet mir, ins Leben hinaus zu treten. Doch was ist Gott? Sie sind mein Gott, Herr Vorsteher, wenn Sie mir erlauben, Geld und Achtung verdienen zu gehen.<< -- Er schwieg eine Weile, dann sagte er: >>Du machst jetzt, dass du zum Kontor hinauskommst. Augenblicklich.<< -- Das ?rgerte mich furchtbar. Ich rief laut aus: >>Ich erblicke in Ihnen einen hervorragenden Menschen, aber ich irre mich, Sie sind gew?hnlich wie das Zeitalter, in dem Sie leben. Ich werde auf die Strasse gehen und dort irgend einen Menschen anhalten. Man zwingt mich, zum Verbrecher zu werden.<< -- Ich erkannte die Gefahr, in der ich schwebte. Zugleich mit den Worten, die ich aussprach, war ich zur T?re gesprungen, und jetzt schrie ich w?tend: >>Adieu, Herr Vorsteher,<< und dr?ckte mich mit wunderbarer Geschmeidigkeit zur T?re hinaus. Im Korridor blieb ich stehen und lauschte am Schl?sselloch. Es blieb alles ganz m?uschenstill drinnen im Bureau. Ich ging ins Schulzimmer und vertiefte mich in die Lekt?re des Buches: >>Was bezweckt die Knabenschule?<<

Unser Unterricht besteht aus zwei Teilen, einem theoretischen und einem praktischen Teil. Aber beide Abteilungen muten mich auch noch heute wie ein Traum, wie ein sinnloses und zugleich sehr sinnreiches M?rchen an. Auswendiglernen, das ist eine unserer Hauptaufgaben. Ich lerne sehr leicht auswendig, Kraus sehr schwer, daher ist er immer am Lernen. Die Schwierigkeiten, die er zu ?berwinden hat, sind das Geheimnis seines Fleisses und dessen L?sung. Er hat ein schwerf?lliges Ged?chtnis, und doch pr?gt er sich, wenn auch mit vieler M?he, alles fest ein. Das, was er weiss, ist dann in seinem Kopf sozusagen in Metall graviert, und er kann es nicht wieder vergessen. Von Verschwitzen oder dergleichen ist bei ihm keine Rede. Wo wenig gelehrt wird, da passt ein Kraus hin, demnach passt er ins Institut Benjamenta vorz?glich. Einer der Grunds?tze unserer Schule lautet: >>Wenig aber gr?ndlich<<. Nun, in diesem Prinzip steckt Kraus fest, der einen etwas harten Sch?del mit auf die Welt bekommen hat. Wenig lernen! Immer wieder dasselbe! Nach und nach fange auch ich an, zu begreifen, was f?r eine grosse Welt hinter diesen Worten verborgen ist. Etwas sich in der Tat fest, fest einpr?gen, f?r immer! Ich sehe ein, wie wichtig, vor allen Dingen, wie gut und wie w?rdig das ist. Der praktische oder k?rperliche Teil unseres Unterrichtes ist eine Art fortw?hrend wiederholtes Turnen oder Tanzen, ganz gleich, wie man das nennen will. Der Gruss, das Eintreten in eine Stube, das Benehmen gegen?ber Frauen oder ?hnliches wird ge?bt, und zwar sehr langf?dig, oft langweilig, aber auch hier, wie ich jetzt merke und empfinde, steckt ein tiefverborgener Sinn. Uns Z?glinge will man bilden und formen, wie ich merke, nicht mit Wissenschaften vollpfropfen. Man erzieht uns, indem man uns zwingt, die Beschaffenheit unserer eigenen Seele und unseres eigenen K?rpers genau kennen zu lernen. Man gibt uns deutlich zu verstehen, dass allein schon der Zwang und die Entbehrungen bilden, und dass in einer ganz einfachen, gleichsam dummen ?bung mehr Segen und mehr wahrhaftige Kenntnisse enthalten sind, als im Erlernen von vielerlei Begriffen und Bedeutungen. Wir erfassen eines ums andere, und haben wir etwas erfasst, so besitzt es uns quasi. Nicht wir besitzen es, sondern im Gegenteil, was wir scheinbar zu unserem Besitz gemacht haben, herrscht dann ?ber uns. Uns pr?gt man ein, dass es von wohltuender Wirkung ist, sich an ein festes, sicheres Weniges anzupassen, d. h. sich an Gesetze und Gebote, die ein strenges ?usseres vorschreibt, zu gew?hnen und zu schmiegen. Man will uns vielleicht verdummen, jedenfalls will man uns klein machen. Aber man sch?chtert uns durchaus nicht etwa ein. Wir Z?glinge wissen alle, der eine so gut wie der andere, dass Sch?chternheit strafbar ist. Wer stottert und Furcht zeigt, setzt sich der Verachtung unseres Fr?uleins aus, aber klein sollen wir sein und wissen sollen wir es, genau wissen, dass wir nichts Grosses sind. Das Gesetz, das befiehlt, der Zwang, der n?tigt, und die vielen unerbittlichen Vorschriften, die uns die Richtung und den Geschmack angeben: das ist das Grosse, und nicht wir, wir Eleven. Nun, das empfindet jeder, sogar ich, dass wir nur kleine, arme, abh?ngige, zu einem fortw?hrenden Gehorsam verpflichtete Zwerge sind. So benehmen wir uns auch: dem?tig, aber ?usserst zuversichtlich. Wir sind alle ohne Ausnahme ein wenig energisch, denn die Kleinheit und Not, in der wir uns befinden, veranlassen uns, fest an die paar Errungenschaften, die wir gemacht haben, zu glauben. Unser Glaube an uns ist unsere Bescheidenheit. Wenn wir an nichts glauben w?rden, w?ssten wir nicht, wie wenig wir sind. Immerhin, wir kleinen jungen Menschen sind irgend etwas. Wir d?rfen nicht ausschweifen, nicht phantasieren, es ist uns verboten, weit zu blicken, und das stimmt uns zufrieden und macht uns f?r jede rasche Arbeit brauchbar. Die Welt kennen wir sehr schlecht, aber wir werden sie kennen lernen, denn wir werden dem Leben und seinen St?rmen ausgesetzt sein. Die Schule Benjamenta ist das Vorzimmer zu den Wohnr?umen und Prunks?len des ausgedehnten Lebens. Hier lernen wir Respekt empfinden und so tun, wie diejenigen tun m?ssen, die an irgend etwas emporzublicken haben. Ich z. B. bin ein wenig erhaben ?ber alles das, gut, um so besser tun mir auch alle diese Eindr?cke. Gerade ich habe n?tig, Hochachtung und zutraulichen Respekt vor den Gegenst?nden der Welt f?hlen zu lernen, denn wohin w?rde ich gelangen, wenn ich das Alter missachten, Gott leugnen, Gesetze bespotten und meine jugendliche Nase schon in alles Erhabene, Wichtige und Grosse stecken d?rfte? Meiner Ansicht nach krankt gerade hieran die gegenw?rtige junge Generation, die Zeter und Mordio schreit und nach Papa und Mama miaut, wenn sie sich Pflichten und Geboten und Beschr?nkungen ein wenig beugen soll. Nein, nein, hier sind Benjamentas meine lieben leuchtenden Leitsterne, der Herr Bruder sowohl wie das Fr?ulein, seine Schwester. Ich werde mein Lebenlang an sie denken.

Ich bin meinem Bruder Johann begegnet, und zwar im dichtesten Menschengewimmel. Unser Wiedersehen hat sich sehr freundlich gestaltet. Es war ungezwungen und herzlich. Johann hat sich sehr nett benommen, und ich wahrscheinlich mich auch. Wir sind in ein kleines, verschwiegenes Restaurant getreten und haben dort geplaudert. >>Bleib' nur der, der du bist, Bruder,<< sprach Johann zu mir, >>fange von tief unten an, das ist ausgezeichnet. Solltest du Hilfe brauchen -- --<< Ich machte eine leichte, verneinende Handbewegung. Er fuhr fort: >>Denn sieh', oben, da lohnt es sich kaum noch zu leben. Sozusagen n?mlich. Versteh' mich recht, lieber Bruder.<< -- Ich nickte lebhaft, denn es leuchtete mir schon zum voraus ein, was er mir sagte, aber ich bat ihn, weiterzureden, und er sprach: >>Oben, da herrscht solch eine Luft. Nun, es herrscht eben eine Atmosph?re des Genuggetanhabens, und das hemmt und engt ein. Ich hoffe, du verstehst mich nicht ganz, denn wenn du mich verst?ndest, Bruder, dann w?rest du ja eigentlich gr?sslich.<< -- Wir lachten. O, mit einem Bruder zusammen lachen zu k?nnen, das ist sehr h?bsch. Er sagte: >>Du bist jetzt sozusagen eine Null, bester Bruder. Aber wenn man jung ist, soll man auch eine Null sein, denn nichts ist so verderblich wie das fr?he, das allzufr?he Irgendetwasbedeuten. Gewiss: dir bedeutest du etwas. Bravo. Vortrefflich. Aber der Welt bist du noch nichts, und das ist fast ebenso vortrefflich. Immer hoffe ich, du verstehst mich nicht ganz, denn wenn du mich vollkommen verst?ndest -- --<< >>W?re ich ja gr?sslich,<< fiel ich ihm ins Wort. Wir lachten von neuem. Es war sehr lustig. Ein merkw?rdiges Feuer fing an, mich zu beseelen. Meine Augen brannten. Das liebe ich ?brigens sehr, wenn's mir so verbrannt zumut ist. Mein Kopf ist dann ganz rot. Und Gedanken voll Reinheit und Hoheit pflegen mich dann zu best?rmen. Johann fuhr fort, er sagte folgendes: >>Bruder, bitte, unterbrich mich nicht immer. Dein dummes junges Gel?chter hat etwas Ideenerstickendes. H?re. Pass gut auf. Was ich dir sage, kann dir vielleicht eines Tages von Nutzen sein. Vor allen Dingen: komme dir nie verstossen vor. Verstossen, Bruder, das gibt es gar nicht, denn es gibt vielleicht auf dieser Welt gar, gar nichts redlich Erstrebenswertes. Und doch sollst du streben, leidenschaftlich sogar. Aber damit du nie allzu sehns?chtig bist: pr?ge dir ein: nichts, nichts Erstrebenswertes gibt es. Es ist alles faul. Verstehst du das? Sieh', ich hoffe immer, du k?nntest das alles nicht so recht verstehen. Ich mache mir Sorgen.<< -- Ich sagte: >>Leider bin ich zu intelligent, um dich, wie du hoffst, missverstehen zu k?nnen. Aber sei ohne Sorgen. Du erschreckst mich durchaus nicht mit deinen Enth?llungen.<< -- Wir l?chelten uns an. Dann bestellten wir uns Neues zu trinken, und Johann, der ?brigens sehr elegant aussah, fuhr fort zu sprechen: >>Es gibt ja allerdings einen sogenannten Fortschritt auf Erden, aber das ist nur eine der vielen L?gen, die die Gesch?ftemacher ausstreuen, damit sie um so frecher und schonungsloser Geld aus der Menge herauspressen k?nnen. Die Masse, das ist der Sklave von heute, und der Einzelne ist der Sklave des grossartigen Massengedankens. Es gibt nichts Sch?nes und Vortreffliches mehr. Du musst dir das Sch?ne und Gute und Rechtschaffene tr?umen. Sage mir, verstehst du zu tr?umen?<< -- Ich begn?gte mich, mit dem Kopf zweimal zu nicken und liess Johann, indem ich gespannt aufhorchte, fortreden: >>Versuche es, fertig zu kriegen, viel, viel Geld zu erwerben. Am Geld ist noch nichts verpfuscht, sonst an allem. Alles, alles ist verdorben, halbiert, der Zier und der Pracht beraubt. Unsere St?dte verschwinden unaufhaltsam vom Erdboden. Kl?tze nehmen den Raum ein, den Wohnh?user und F?rstenpal?ste eingenommen haben. Das Klavier, lieber Bruder, und das damit verbundene Klimpern! Konzert und Theater fallen von Stufe zu Stufe, auf einen immer tieferen Standpunkt. Es gibt ja allerdings noch so etwas wie eine tonangebende Gesellschaft, aber sie hat nicht mehr die F?higkeit, T?ne der W?rde und des Feinsinnes anzuschlagen. Es gibt B?cher -- -- mit einem Wort, sei niemals verzagt. Bleib arm und verachtet, lieber Freund. Auch den Geld-Gedanken schlage dir weg. Es ist das Sch?nste und Triumphierendste, man ist ein ganz armer Teufel. Die Reichen, Jakob, sind sehr unzufrieden und ungl?cklich. Die reichen Leute von heutzutage: sie haben nichts mehr. Das sind die wahren Verhungerten.<< -- Ich nickte wieder. Es ist wahr, ich sage sehr leicht ja zu allem. ?brigens gefiel mir und passte mir, was Johann sagte. Es war Stolz in dem, was er sprach, und Trauer. Nun, und dies beides, Stolz und Trauer, ergibt immer einen guten Klang. Wieder bestellten wir Bier, und mein Gegen?ber sagte: >>Du musst hoffen und doch nichts hoffen. Schau empor an etwas, ja gewiss, denn das ziemt dir, du bist jung, unversch?mt jung, Jakob, aber, gesteh' dir immer, dass du's verachtest, das, an dem du respektvoll emporschaust. Du nickst schon wieder? Teufel, was bist du f?r ein verst?ndnisvoller Zuh?rer. Du bist geradezu ein Baum, der voll Verst?ndnis behangen ist. Sei zufrieden, lieber Bruder, strebe, lerne, tu wom?glich irgend jemandem etwas Liebes und Gutes. Komm', ich muss gehen. Sag', wann treffen wir uns wieder? Du interessierst mich, offen gesagt.<< -- Wir gingen, und draussen auf der Strasse nahmen wir Abschied voneinander. Lange schaute ich meinem lieben Bruder nach. Ja, er ist mein Bruder. Wie freut mich das.

Mein Vater hat Wagen und Pferde und einen Diener, den alten Fehlmann. Mama hat ihre eigene Theaterloge. Wie beneiden sie die Frauen der Stadt mit den achtundzwanzigtausend Einwohnern darum. Mutter ist eine noch in den vorgeschrittenen Jahren h?bsche, ja sch?ne Frau. Ich erinnere mich an ein hellblaues, enganschliessendes Kleid, das sie einmal trug. Sie hielt den zartweissen Sonnenschirm offen. Die Sonne schien. Es war pr?chtiges Fr?hlingswetter. In den Strassen duftete es nach Veilchen. Die Menschen promenierten, und unter dem Gr?n der Anlage-B?ume spielte die Stadtmusik Promenadenkonzert. Wie s?ss und hell war alles. Ein Brunnen pl?tscherte, und Kinder, hell angezogene, lachten und spielten. Und ein feiner liebkosender Wind strich mit D?ften, Sehnsucht nach Unsagbarem erweckend, umher. Aus den Fenstern der Neuquartierplatzh?user schauten Leute. Mutter hatte lange hellgelbe Handschuhe an den schmalen H?nden und lieben Armen. Johann war damals schon in der Fremde. Aber Vater war dabei. Nein, nie nehme ich je Hilfe von den z?rtlich verehrten Eltern an. Mein verletzter Stolz w?rde mich aufs Krankenlager werfen, und futsch w?ren die Tr?ume von einer selbsterrungenen Lebenslaufbahn, vernichtet f?r immer diese mir in der Brust brennenden Selbsterziehungspl?ne. Das ist es ja: um mich quasi selbst zu erziehen, oder mich auf eine k?nftige Selbsterziehung vorzubereiten, deshalb bin ich Z?gling dieses Institutes Benjamenta geworden, denn hier macht man sich auf irgend etwas Schweres und D?ster-Daherkommendes gefasst. Und deshalb schreibe ich ja auch nicht nach Hause, denn schon das Berichterstatten allein w?rde mich an mir irre machen, w?rde mir den Plan, ganz von unten anzufangen, vollkommen verleiden. Etwas Grosses und K?hnes muss in aller Verschwiegenheit und Stille geschehen, sonst verdirbt und verflaut es, und das Feuer, das schon lebendig erwachte, stirbt wieder. Ich kenne meinen Geschmack, das gen?gt. -- Ach so, ja. Ganz recht. Von unserem alten Diener Fehlmann, der noch lebt und dient, habe ich eine lustige Geschichte auf Lager. Die Sache ist die: Fehlmann liess sich eines Tages ein grobes Verfehlen zuschulden kommen und sollte entlassen werden. >>Fehlmann,<< sagte Mama, >>Sie k?nnen gehen. Wir brauchen Sie nicht mehr.<< -- Da st?rzte der arme Alte, der einen am Krebs gestorbenen Jungen noch vor kurzer Zeit begraben hatte , meiner Mutter zu F?ssen und bat um Gnade, direkt um Gnade. Der arme Teufel, er hatte Tr?nen in den alten Augen. Mama verzeiht ihm, ich erz?hle den Auftritt andern Tags meinen Kameraden, den Br?dern Weibel, und die lachen mich f?rchterlich aus und verachten mich. Sie entziehen mir ihre Freundschaft, weil es, wie sie meinen, in unserem Haus zu royalistisch zugeht. Das Zu-F?ssen-fallen finden sie verd?chtig, und sie gehen hin und verleumden mich und Mama in der abgeschmacktesten Weise. Wie echte Buben, ja, aber auch wie echte kleine Republikaner, denen das Waltenlassen pers?nlicher und herrschaftlicher Gnade oder Ungnade ein Greuel und ein Gegenstand des Abscheus ist. Wie kommt mir das jetzt komisch vor. Und doch, wie bezeichnend ist dieser kleine Vorfall f?r den Lauf der Zeiten. So wie die Buben Weibel, so urteilt heute eine ganze Welt. Ja, so ist es: man duldet nichts Herren- oder Damenhaftes mehr. Es gibt keine Herren mehr, die machen k?nnen, was sie wollen, und es gibt l?ngst keine Herrinnen mehr. Soll ich dar?ber traurig sein? F?llt mir nicht ein. Bin ich verantwortlich f?r den Geist des Zeitalters? Ich nehme die Zeit, wie sie ist, und behalte mir nur vor, im stillen meine Beobachtungen zu machen. Der gute Fehlmann: ihm, ihm ist noch auf altv?terliche Art verziehen worden. Tr?nen der Treue und Anh?nglichkeit, wie sch?n ist das. --

Von drei Uhr nachmittags an sind wir Eleven fast ganz uns selbst ?berlassen. Niemand k?mmert sich mehr um uns. Vorstehers sind in den innern R?umen verborgen, und im Schulzimmer herrscht ?de, eine ?de, die einen beinahe krank macht. L?rm soll nicht vorkommen. Es darf nur gehuscht und geschlichen und nur im Fl?stertone gesprochen werden. Schilinski schaut sich im Spiegel, Schacht schaut zum Fenster hinaus, oder er gestikuliert mit dem K?chenm?dchen von gegen?ber, und Kraus lernt auswendig, indem er Lektionen vor sich hinmurmelt. Eine Grabesstille herrscht ?berall. Der Hof liegt verlassen da wie eine viereckige Ewigkeit, und ich stehe meist aufrecht und ?be mich, auf einem Bein zu stehen. Oft halte ich zur Abwechslung den Atem lang an. Auch eine ?bung, und es soll sogar, wie mir einmal ein Arzt sagte, eine gesundheitf?rdernde sein. Oder ich schreibe. Oder ich schliesse die unm?den Augen, um nichts mehr zu sehen. Die Augen vermitteln Gedanken, und daher schliesse ich sie von Zeit zu Zeit, um nichts denken zu m?ssen. Wenn man so da ist und nichts tut, sp?rt man pl?tzlich, wie penibel das Dasein sein kann. Nichtstun und dennoch Haltung beobachten, das fordert Energie, der Schaffende hat es leicht dagegen. Wir Z?glinge sind Meister in dieser Art Anstand. Sonst fangen die Nichtstuer aus Langeweile etwa an, ein wenig zu flegeln, zu strampeln, hochaufzug?hnen oder zu seufzen. Das tun wir Eleven nicht. Wir pressen die Lippen fest und sind unbeweglich. ?ber unsern K?pfen schweben immer die m?rrischen Vorschriften. Manchmal, wenn wir so dasitzen oder dastehen, geht die T?re auf, und das Fr?ulein geht langsam, uns sonderbar anschauend, durchs Schulzimmer. Wie ein Geist mutet sie mich dann an. Es ist, als wenn da jemand von weit, weit her k?me. >>Was macht ihr, Knaben?<< fragt sie dann etwa, wartet aber gar keine Antwort ab, sondern geht weiter. Wie sch?n sie ist. Welch eine ?ppige F?lle von tiefschwarzen Haaren. Meist sieht man sie gesenkten Auges. Sie hat Augen, die sich zum Niederschlagen herrlich eignen. Ihre Augendeckel sind ?ppig gew?lbt und der raschen Bewegung wundersam f?hig. Diese Augen! Sieht man sie einmal, so blickt man in etwas Abgrund-Banges und Tiefes hinein. Diese Augen scheinen in ihrer gl?nzenden Schw?rze nichts und zugleich alles Unsagbare zu sagen, so bekannt und so unbekannt zugleich muten sie an. Die Augenbrauen sind bis zum Zerreissen d?nn und rund dar?ber gezeichnet und gezogen. Wer sie betrachtet, f?hlt Stiche. Sie sind wie Mondsicheln an einem krankhaft blassen Abendhimmel, wie feine, aber um so stechendere Wunden, innerlich schneidende. Und ihre Wangen! Das stille Sehnen und Zagen scheint Feste darauf zu feiern. Unverstandene Zartheit und Z?rtlichkeit weint darauf auf und nieder. Zuweilen erscheint auf dem schimmernden Schnee dieser Wangen ein leises bittendes Rot, ein r?tliches, sch?chternes Leben, eine Sonne, doch nein, nur der schwache Abglanz einer solchen. Dann ist es, als l?chelten pl?tzlich die Wangen, oder als fieberten sie ein wenig. Wenn man Fr?ulein Benjamentas Wangen ansieht, vergeht einem die Lust, weiterzuleben, denn dann hat man das Gef?hl, als m?sse das Leben ein H?llengewimmel voller schn?der Roheiten sein. Etwas so Zartes l?sst in etwas so Schweres und Bedrohliches fast gebieterisch blicken. Und ihre Z?hne, die man hervorschimmern sieht, wenn der ?ppig-g?tige Mund l?chelt. Und wenn sie weint. Die Erde, meint man, m?sse aus den Punkten ihres Halts herabst?rzen, aus Scham und aus Weh, sie weinen zu sehen. Und wenn man sie erst weinen -- -- h?rt? O, dann vergeht man. Neulich h?rten wir es, mitten in der Schulstunde. Wir alle haben gezittert wie Espenlaub. Ja, wir alle, wir lieben sie. Sie ist unsere Lehrerin, unser h?heres Wesen. Und sie leidet an etwas, das ist klar. Ist sie krank?

Fr?ulein Benjamenta hat mit mir ein paar Worte gesprochen, in der K?che. Ich wollte gerade in die Kammer hineingehen, da fragte sie mich, ohne mich im ?brigen eines Blicks zu w?rdigen: >>Wie geht es dir, Jakob? Geht es dir gut?<< Ich nahm sogleich Achtungstellung an, wie es sich schickt, und sagte im Ton der Unterw?rfigkeit: >>O ganz gewiss, gn?diges Fr?ulein. Mir kann es nicht anders als gut gehen.<< -- Sie l?chelte schwach und fragte: >>Wie meinst du das?<< -- So ?ber die Schulter fragte sie das. Ich antwortete: >>Es fehlt mir an nichts.<< -- Sie blickte mich kurz an und schwieg. Nach einer Weile sagte sie: >>Du kannst gehen, Jakob. Du bist frei. Du brauchst nicht dazustehen.<< -- Ich erwies ihr die vorgeschriebene Ehre, indem ich mich verneigte, und dr?ckte mich in die Kammer. Es vergingen keine f?nf Minuten, so wurde geklopft. Ich st?rzte an die T?re. Ich kannte das Klopfen. Sie stand vor mir. >>Du, Jakob,<< fragte sie, >>sage einmal, wie vertr?gst du dich mit den Kameraden? Nicht wahr, es sind nette Menschen?<< -- Ich gab zur Antwort, dass sie mir alle, ohne Ausnahme, liebens- und achtenswert vork?men. Die Lehrerin blinzelte mich mit den sch?nen Augen listig an und machte: >>Na, na. Und mit Kraus zankst du dich doch. Ist Zanken bei dir das Zeichen der Liebe und Achtung?<< -- Ich erwiderte ohne Zaudern: >>In gewissem Sinne ja, Fr?ulein. ?brigens ist dieses Zanken nicht gar so ernst gemeint. Wenn Kraus Scharfsinn bes?sse, w?rde er merken, dass ich ihn sogar allen andern vorziehe. Ich achte Kraus sehr, sehr. Es w?rde mich schmerzen, wenn Sie mir das nicht glaubten.<< -- Sie erfasste meine Hand und dr?ckte sie leicht und sagte: >>Beruhige dich nur. Sieh' einmal, wie du in Hitze kommst. Du Hitzkopf. Wenn es so ist, wie du sagst, so muss ich ja wohl zufrieden mit dir sein. Ich bin es auch, wenn du fortf?hrst, artig zu sein. Ja, das merke dir: Kraus ist ein prachtvoller Junge, und du kr?nkst mich, wenn du Kraus unartig begegnest. Sei nett zu ihm. Ganz ausdr?cklich w?nsche ich das. Aber sei nicht traurig. Sieh' doch, ich mache dir ja keine Vorw?rfe. Welch ein verzogener, verw?hnter Aristokratensohn! Kraus ist ein so guter Mensch. Nicht wahr, Kraus ist ein guter Mensch, Jakob?<< -- Ich sagte: >>Ja.<< Nichts weiter als ja, und dann musste ich pl?tzlich ziemlich dumm lachen, ich wusste gar nicht warum. Sie sch?ttelte den Kopf und ging. Warum ich nur habe lachen m?ssen? Noch jetzt weiss ich es nicht. Aber die Sache ist ja auch viel zu unbedeutend. Wann werde ich zu Geld gelangen? Diese Frage scheint mir bedeutsam. Das Geld besitzt in meinen Augen gegenw?rtig einen vollkommen idealen Wert. Wenn ich mir den Klang eines Goldst?ckes vorstelle, werde ich beinahe rasend. Ich habe zu essen: Pfui. Ich m?chte reich sein und den Kopf zerschmettert haben. Ich mag bald ?berhaupt nichts mehr essen.

Wenn ich reich w?re, w?rde ich keineswegs um die Erde reisen. Zwar, das w?re ja gar nicht so ?bel. Aber ich sehe nichts Berauschendes dahinter, das Fremde fl?chtig kennen zu lernen. Im allgemeinen w?rde ich es verschm?hen, mich, wie man so sagt, weiter auszubilden. Mich w?rde eher die Tiefe, die Seele, als die Ferne und Weite locken. Das Naheliegende zu untersuchen w?rde mich reizen. Ich kaufte mir auch gar nichts. Ich w?rde mir keinen Besitz anschaffen. Elegante Kleider, feine W?sche, einen Zylinder, bescheidene goldene Manschettenkn?pfe, lange Lackschuhe, das w?re ungef?hr alles, damit w?rde ich losziehen. Kein Haus, keinen Garten, keinen Diener, doch, ja, einen Diener, einen w?rdevollen braven Kraus w?rde ich mir engagieren. Und nun k?nnte es losgehen. Da w?rde ich im dampfenden Nebel auf die Strasse gehen. Der Winter mit seiner melancholischen K?lte w?rde vorz?glich zu meinen Goldst?cken passen. Die Banknoten tr?ge ich in der einfachen Brieftasche. Zu Fuss ginge ich einher, ganz wie gew?hnlich, in der unbewusst-geheimen Absicht, es mich nicht so sehr merken zu lassen, wie f?rstlich reich ich w?re. Vielleicht w?rde es auch schneien. Mir egal, im Gegenteil, mir sehr recht. Weicher Schneefall zwischen den abendlich leuchtenden Laternen. Das w?rde glitzern, reizend. Nie im Leben w?rde es mir einfallen, in eine Droschke zu steigen. Das tun Leute, die es entweder eilig haben oder nobel tun wollen. Ich aber w?rde weiter gar nicht nobel tun wollen, und eilig h?tte ich es schon ganz und gar nicht. Gedanken w?rden mir kommen, indem ich so ginge. Pl?tzlich w?rde ich irgend jemanden gr?ssen, sehr h?flich, und siehe, es w?re ein Mann. Ganz artig w?rde ich nun den Mann anschauen, und da w?rde ich sehen, dass es ihm schlecht geht. Merken w?rde ich das, nicht sehen, so etwas merkt man, man s?he es kaum, aber an irgend etwas s?he man es. Nun, und dieser Mann w?rde mich fragen, was ich will, und es l?ge Bildung in der Frage. Diese Frage w?re ganz sanft und einfach gestellt worden, und das w?rde mich ersch?ttern. Denn ich w?re ja auf etwas Barsches durchaus gefasst gewesen. >>Etwas Tief-Wundes muss der Mann haben,<< w?rde ich mir sogleich sagen, >>sonst w?re er ?rgerlich geworden.<< -- Und dann w?rde ich gar nichts, absolut nichts sagen, sondern ich begn?gte mich, ihn mehr und mehr anzuschauen. Nicht scharf, o nein, ganz einfach, vielleicht sogar ein wenig fr?hlich. Und nun w?sste ich, wer er w?re. Ich ?ffnete meine Brieftasche, entn?hme ihr glatt zehntausend Mark in zehn einzelnen Noten und g?be diese Summe dem Mann. Darauf w?rde ich den Hut ebenso artig wie vorhin l?ften, gute Nacht sagen und gehen. Und es w?rde fortfahren zu schneien. Im Gehen w?rde ich gar nichts mehr denken, ich k?nnte nicht, es w?re mir viel zu wohl zu so etwas. Einem eklig darbenden K?nstler, das w?sste ich ganz bestimmt, h?tte ich's gegeben, das Geld. Ja, das w?sste ich, denn ich w?rde mich nicht haben t?uschen k?nnen. O, eine grosse, eine heisse, eine aufrichtige Sorge w?rde es weniger in der Welt geben. Nun, und in der folgenden Nacht w?rde ich vielleicht auf ganz andere Einf?lle kommen. Jedenfalls reiste ich nicht um die Erde, sondern ich beginge lieber irgend welche Tollheiten und Torheiten. So z. B. k?nnte ich ja auch ein wahnsinnig reiches und lustbeladenes Gastmahl geben und Orgien niegesehener Art veranstalten. Ich wollte es mich Hunderttausend kosten lassen. Ganz bestimmt m?sste das Geld auf sinnverwirrende Art und Weise verbraucht werden, denn nur das echt vertane Geld w?re ein sch?nes Geld -- -- gewesen. Und eines Tages w?rde ich betteln, und da schiene die Sonne, und ich w?re so froh, ?ber was, das w?rde ich gar nicht zu wissen begehren. Und da k?me Mama und fiele mir um den Hals -- --. Nette Tr?umereien sind das!

Kraus hat etwas Altes in Gesicht und Wesen, und dieses Alte, das er ausstrahlt, f?hrt den, der ihn anschaut, nach Pal?stina. Abrahams Zeiten werden auf dem Antlitz meines Mitsch?lers wieder lebendig. Das alte patriarchalische Zeitalter mit seinen mysteri?sen Sitten und Landschaftsgegenden taucht hervor und schaut einen v?terlich an. Es ist mir, als wenn es damals lauter V?ter mit steinalten Gesichtern und langen braunen, verwickelten B?rten gegeben h?tte, was ja nat?rlich nur Unsinn ist, und doch ist vielleicht etwas, das Tatsachen entspricht, an dieser sonst ganz einf?ltigen Empfindung. Ja, damals! Schon dieses Wort: damals: wie elterlich und h?uslich mutet es an. Zu den alt-israelitischen Zeiten durfte es ruhig noch hin und wieder einen Papa Isaak oder Abraham geben, er genoss eben Achtung und lebte seine alten Tage in einem nat?rlichen Reichtum, der in L?nderbesitz bestand, dahin. Damals wob um das graue Alter etwas wie Majest?t. Greise waren damals wie K?nige, und die gelebten Jahre bedeuteten dasselbe wie ebensoviele erworbene Hoheitsrechte. Und wie jung diese Alten blieben. Sie schufen noch mit hundert Jahren S?hne und T?chter. Damals gab es noch keine Zahn?rzte, und darum muss man annehmen, dass es damals ?berhaupt keine verdorbenen Z?hne gab. Und wie sch?n ist z. B. Joseph in ?gypten. Kraus hat etwas von Joseph in Potiphars Haus. Da ist er als jugendlicher Sklave verkauft worden, und siehe, man bringt ihn zu einem schwerreichen, redlichen und feinen Mann. Da ist er nun Haussklave, aber er hat es ganz sch?n. Die Gesetze waren damals vielleicht unhuman, gewiss, aber die Sitten und Gebr?uche und Anschauungen waren daf?r um so zarter und feiner. Heute h?tte es ein Sklave viel schlechter, Gott beh?te! ?brigens gibt es sehr, sehr viele Sklaven mitten unter uns modernen, hochm?tig-fix und fertigen Menschen. Vielleicht sind wir heutigen Menschen alle so etwas wie Sklaven, beherrscht von einem ?rgerlichen, peitscheschwingenden, unfeinen Weltgedanken. -- Gut, und da verlangt nun eines Tages die Herrin des Hauses von Joseph, er solle ihr willig sein. Wie merkw?rdig, dass man solche uralten Treppen-und T?rensachen heute genau noch weiss, dass es in alle Zeiten, von Mund zu Mund, fortlebt. In allen Primarschulen wird die Geschichte gelehrt, und da will man an den Pedanten etwas aussetzen? Ich verachte die Leute, die die sch?ne Pedanterie untersch?tzen, das sind durchaus geistlose, urteilsschw?chliche Menschen. Sch?n, und da weigert sich Kraus, wollte sagen Joseph. Aber es k?nnte ganz gut Kraus sein, denn er hat so etwas Joseph-in-?gypten-haftes. >>Nein, gn?dige Frau, so etwas tu' ich nicht. Ich bin meinem Herrn Treue schuldig.<< -- Da geht nun die ?brigens reizende Frau und verklagt den jungen Diener, er habe eine Schn?digkeit begangen und habe seine Gebieterin zu einem Fehltritt verf?hren wollen. Aber weiter weiss ich nichts. Merkw?rdig, ich weiss nicht, was jetzt Potiphar sagte und machte. Den Nil sehe ich aber immer ganz deutlich. Ja, Kraus k?nnte so gut Joseph sein wie nur irgend etwas. Haltung, Gestalt, Gesicht, Frisur und Geb?rde passen unvergleichlich. Sogar seine leider Gottes immer noch nicht geheilte Hautauszeichnung. Pickel sind etwas Biblisches, Orientalisches. Und die Moral, der Charakter, der feste Besitz keuscher J?nglingstugenden? Wundervoll passt das. Joseph in ?gypten muss auch ein kleiner, sattelfester Pedant gewesen sein, sonst w?rde er der l?sternen Frau gehorcht und seinem Herrn die Treue gebrochen haben. Kraus w?rde genau wie sein alt?gyptisches Ebenbild handeln. Die H?nde w?rde er beschw?rend hochheben und mit halb flehender, halb strafender Miene sagen: >>Nein, nein, das tue ich nicht<< usw.

Der liebe Kraus. Immer zieht es mich in Gedanken wieder nach ihm hin. An ihm sieht man so recht, was das Wort Bildung eigentlich bedeutet. Kraus wird sp?ter im Leben, wohin er auch kommen wird, immer als brauchbarer, aber als ungebildeter Mensch angesehen werden, f?r mich aber ist gerade er durchaus gebildet, und zwar haupts?chlich deshalb, weil er ein festes, gutes Ganzes darstellt. Man kann gerade ihn eine menschliche Bildung nennen. Das flattert um Kraus herum nicht von gefl?gelten und lispelnden Kenntnissen, daf?r ruht etwas in ihm, und er, er ruht und beruht auf etwas. Man kann sich mit der Seele selber auf ihn verlassen. Er wird nie jemanden hintergehen oder verleumden, nun, das vor allen Dingen, dieses Nicht-Schwatzhafte, nenne ich Bildung. Wer schwatzt, ist ein Betr?ger, er kann ein ganz netter Mensch sein, aber seine Schw?che, alles, was er gerade denkt, so herauszuschwatzen, macht ihn zum gemeinen und schlechten Gesellen. Kraus bewahrt sich, er beh?lt immer etwas f?r sich, er glaubt, es nicht n?tig zu haben, so drauf los zu reden, und das wirkt wie G?te und lebhaftes Schonen. Das nenne ich Bildung. Kraus ist unliebensw?rdig und oft ziemlich grob gegen Menschen seines Alters und seines Geschlechtes, und gerade deshalb mag ich ihn so gern, denn das beweist mir, dass er sich auf den brutalen und gedankenlosen Verrat nicht versteht. Er ist treu und anst?ndig gegen alle. Denn das ist es ja: aus gemeiner Liebensw?rdigkeit pflegt man meist hinzugehen und Ruf und Leben seines Nachbarn, seines Kameraden, ja seines Bruders auf die entsetzlichste Weise zu sch?nden. Kraus kennt wenig, aber er ist nie, nie gedankenlos, er unterwirft sich immer gewissen selbstgestellten Geboten, und das nenne ich Bildung. Was an einem Menschen liebevoll und gedankenvoll ist, das ist Bildung. Und dann ist ja noch so vieles. So von aller und jeder, auch der kleinsten Selbstsucht entfernt, dagegen aber der Selbstzucht so nah zu sein, wie Kraus, das ist es, wie ich denke, was Fr?ulein Benjamenta veranlasst hat zu sagen: >>Nicht wahr, Jakob, Kraus ist gut?<< -- Ja, er ist gut. Wenn ich diesen Kameraden verliere, gehen mir Himmelreiche verloren, ich weiss es. Und ich f?rchte mich jetzt fast, ferner mit Kraus in ausgelassener Weise zu zanken. Ich m?chte ihn nur noch anschauen, immer, immer anschauen, denn ich werde mich ja sp?ter mit seinem Bild begn?gen m?ssen, da uns beide ja doch das gewaltsame Leben trennen wird.

Ich verstehe jetzt auch, warum Kraus keine ?ussern Vorz?ge, keine k?rperlichen Zierlichkeiten besitzt, warum ihn die Natur so zwerghaft zerdr?ckt und verunstaltet hat. Sie will irgend etwas mit ihm, sie hat etwas mit ihm vor, oder sie hat von Anfang an etwas mit ihm vorgehabt. Dieser Mensch ist der Natur vielleicht zu rein gewesen, und deshalb hat sie ihn in einen unansehnlichen, geringen, unsch?nen K?rper geworfen, um ihn vor den verderblichen ?ussern Erfolgen zu bewahren. Vielleicht ist es auch anders gewesen, und die Natur ist ?rgerlich und boshaft gewesen, als sie Kraus schuf. Aber wie leid muss es ihr jetzt tun, ihn stiefm?tterlich behandelt zu haben. Und wer weiss. Vielleicht freut sie sich des anmutlosen Meisterwerkes, das sie hervorgebracht hat, und wirklich, sie h?tte Ursache, sich zu freuen, denn dieser ungrazi?se Kraus ist sch?ner als die grazi?sesten und sch?nsten Menschen. Er gl?nzt nicht mit Gaben, aber mit dem Schimmer eines guten und unverdorbenen Herzens, und seine schlechten, schlichten Manieren sind vielleicht trotz alles H?lzernen, das ihnen anhaftet, das Sch?nste, was es an Bewegung und Manier in der menschlichen Gesellschaft geben kann. Nein, Erfolg wird Kraus nie haben, weder bei den Frauen, die ihn trocken und h?sslich finden werden, noch sonst im Weltleben, das an ihm achtlos vor?bergehen wird. Achtlos? Ja, man wird Kraus nie achten, und gerade das, dass er, ohne Achtung zu geniessen, dahinleben wird, das ist ja das Wundervolle und Planvolle, das An-den-Sch?pfer-Mahnende. Gott gibt der Welt einen Kraus, um ihr gleichsam ein tiefes unaufl?sbares R?tsel aufzugeben. Nun, und das R?tsel wird nie begriffen werden, denn siehe: man gibt sich ja gar nicht einmal M?he, es zu l?sen, und gerade deshalb ist dieses Kraus-R?tsel ein so Herrliches und Tiefes: weil niemand begehrt, es zu l?sen, weil ?berhaupt gar kein lebendiger Mensch hinter diesem namenlos unscheinbaren Kraus irgend eine Aufgabe, irgend ein R?tsel oder eine zartere Bedeutung vermuten wird. Kraus ist ein echtes Gott-Werk, ein Nichts, ein Diener. Ungebildet, gut genug gerade, die sauerste Arbeit zu verrichten, wird er jedermann vorkommen, und sonderbar: darin, n?mlich in diesem Urteil, wird man sich auch nicht irren, sondern man wird durchaus recht haben, denn es ist ja wahr: Kraus, die Bescheidenheit selber, die Krone, der Palast der Demut, er will ja geringe Arbeiten verrichten, er kann's und er will's. Er hat nichts anderes im Sinn, als zu helfen, zu gehorchen und zu dienen, und das wird man gleich merken und wird ihn ausnutzen, und darin, dass man ihn ausnutzt, liegt eine so strahlende, von G?te und Helligkeit schimmernde, goldene, g?ttliche Gerechtigkeit. Ja, Kraus ist ein Bild rechtlichen, ganz, ganz eint?nigen, einsilbigen und eindeutigen Wesens. Niemand wird die Schlichtheit dieses Menschen verkennen, und deshalb wird ihn auch niemand achten, und er wird durchaus erfolglos bleiben. Reizend, reizend, dreimal reizend finde ich das. O, was Gott schafft, ist so gn?dig, so reizvoll, mit Reizen und Gedanken ?ber und ?ber behangen. Man wird denken, das sei sehr ?berspannt gesprochen. Nun, das ist, ich muss es gestehen, noch lange nicht das ?berspannteste. Nein, kein Erfolg, kein Ruhm, keine Liebe werden Kraus je bl?hen, das ist sehr gut, denn die Erfolge haben nur die Zerfahrenheit und einige billige Weltanschauungen zur unabstreifbaren Begleitschaft. Man sp?rt es sofort, wenn Menschen Erfolge und Anerkennung aufzuweisen haben, sie werden quasi dick von s?ttigender Selbstzufriedenheit, und ballonhaft bl?st sie die Kraft der Eitelkeit auf, zum Niewiedererkennen. Gott beh?te einen braven Menschen vor der Anerkennung der Menge. Macht es ihn nicht schlecht, so verwirrt und entkr?ftet es ihn bloss. Dank, ja. Dank ist etwas ganz Anderes. Doch einem Kraus wird man nicht einmal danken, und auch das ist durchaus nicht n?tig. Alle zehn Jahre wird jemand vielleicht einmal zu Kraus sagen: >>Danke, Kraus<<, und dann wird er ganz dumm, gr?sslich dumm l?cheln. Verliederlichen wird mein Kraus nie, denn es werden sich ihm immer grosse, lieblose Schwierigkeiten entgegenstellen. Ich glaube, ich, ich bin einer der ganz wenigen, vielleicht der einzige, oder vielleicht sind es zwei oder drei Menschen, die wissen werden, was sie an Kraus besitzen oder besessen haben. Das Fr?ulein, ja, die weiss es. Auch Herr Vorsteher vielleicht. Ja ganz gewiss. Herr Benjamenta ist gewiss tiefblickend genug, um wissen zu k?nnen, was Kraus wert ist. Ich muss aufh?ren, heute, mit Schreiben. Es reisst mich zu sehr hin. Ich verwildere. Und die Buchstaben flimmern und tanzen mir vor den Augen.

Hinter unserm Haus liegt ein alter, verwahrloster Garten. Wenn ich ihn morgens fr?h vom Bureaufenster aus sehe , tut er mir leid, dass er so unbesorgt daliegen muss, und ich h?tte jedesmal Lust, hinunterzugehen und ihn zu pflegen. Das sind ?brigens Sentimentalit?ten. Mag der Teufel die irref?hrenden Weichseligkeiten holen. Es gibt bei uns im Institut Benjamenta noch ganz andere G?rten. In den wirklichen Garten zu gehen, ist verboten. Kein Z?gling darf ihn betreten, warum eigentlich, weiss ich nicht. Aber wie gesagt, wir haben einen andern, vielleicht sch?neren Garten als der tats?chliche ist. In unserem Lehrbuch: >>Was bezweckt die Knabenschule<< heisst es auf Seite acht: >>Das gute Betragen ist ein bl?hender Garten.<< -- Also in solchen, in geistigen und empfindlichen G?rten, d?rfen wir Sch?ler herumspringen. Nicht ?bel. F?hrt sich einer von uns schlecht auf, so wandelt er wie von selber in einer garstigen, finstern H?lle. H?lt er sich aber brav, so geht er unwillk?rlich zum Lohn zwischen schattigem, sonnenbetupftem Gr?n spazieren. Wie verf?hrerisch! Und es liegt meiner armseligen Knabenmeinung nach etwas Wahres in dem netten Lehrsatz. Benimmt sich einer dumm, so muss er sich sch?men und ?rgern, und das ist die peinliche H?lle, in welcher er schwitzt. Ist er dagegen aufmerksam gewesen und hat er sich geschmeidig benommen, so nimmt ihn jemand Unsichtbares an der Hand, etwas Trauliches, Genienhaftes, und das ist der Garten, die gute F?gung, und er lustwandelt nun unwillk?rlich in traulichen, gr?nlichen Gefilden. Darf ein Sch?ler des Institutes Benjamenta zufrieden mit sich sein, was selten vorkommt, da es bei uns von Vorschriften hagelt, blitzt, schneit und regnet, so duftet es um ihn herum, und das ist der s?sse Duft des bescheidenen, aber wacker erk?mpften Lobes. Lobt Fr?ulein Benjamenta, dann duftet es, und r?gt sie, dann wird es im Schulzimmer finster. Welch eine sonderbare Welt: unsere Schule. Ist ein Z?gling artig und schicklich gewesen, so w?lbt sich pl?tzlich ?ber seinem Kopf irgend etwas, und das ist der blaue, unersetzliche Himmel ?ber dem eingebildeten Garten. Sind wir Eleven recht geduldig gewesen, und haben wir uns in der Anstrengung recht brav aufrecht gehalten, haben wir, was man warten und ausharren nennt, k?nnen, dann goldet es mit einem Mal vor unsern etwas erm?deten Augen, und dann wissen wir, dass es die himmlische Sonne ist. Dem, der sich aufrichtig und berechtigt m?de f?hlt, scheint die Sonne. Und haben wir uns auf keinen unlauteren W?nschen zu ertappen brauchen, was immer so ungl?cklich macht, so horchen wir: ei, was ist das? Da singen ja V?gel! Nun, dann sind es eben die gl?cklichen, sch?nbefiederten kleinen S?nger unseres Gartens gewesen, die da gesungen und anmutig gel?rmt haben. Jetzt sage man selber: Brauchen wir Z?glinge des Institutes Benjamenta noch sonstige G?rten, als die, die wir uns selbst schaffen? Wir sind reiche Herren, wenn wir uns zierlich und anst?ndig auff?hren. Wenn z. B. ich w?nsche, Geld zu besitzen, was leider nur allzu oft vorkommt, dann sinke ich in die tiefen Schl?nde des hoffnungslosen, w?tenden Begehrens, o, dann leide und schmachte ich, und ich muss am Erretten zweifeln. Und blicke ich dann Kraus an, dann erfasst mich ein tiefes, murmelndes, quellenhaftes, wundervolles Behagen. Das ist der friedliche Bescheidenheitsquell, der in unserem Garten auf und nieder pl?tschert, und ich bin dann so gl?cklich, so gut aufgelegt, so gestimmt auf das Gute. Ah, und ich sollte Kraus nicht lieben? Ist einer von uns, d. h. w?re einer von uns ein Held gewesen, h?tte er etwas Mutiges mit Gefahr seines Lebens vollbracht , so w?rde er in das marmorne, mit Wandmalereien geschm?ckte S?ulenhaus treten d?rfen, das im Gr?n unseres Gartens heimlich verborgen liegt, und dort w?rde ihn ein Mund k?ssen. Was f?r ein Mund, das steht nicht im Lehrbuch. Und wir sind ja doch keine Helden. Wozu auch! Erstens fehlt uns die Gelegenheit, uns heroisch zu benehmen, und zweitens, ich weiss nicht recht, ob z. B. Schilinski oder der lange Peter f?r Aufopferungen zu haben w?ren. Unser Garten ist auch ohne K?sse, Helden und S?ulenpavillons eine h?bsche Einrichtung, glaube ich. Mich friert es, wenn ich von Helden rede. Da schweige ich lieber.

Ich fragte Kraus neulich, ob er nicht auch von Zeit zu Zeit etwas wie Langeweile empfinde. Er schaute mich vorwurfsvoll mit zurechtweisenden Augen an, ?berlegte ein wenig und sagte: >>Langeweile? Du bist wohl nicht ganz gescheit, Jakob. Und erlaube mir, dir zu sagen, dass du ebenso naive wie s?ndhafte Fragen stellst. Wer wird sich in der Welt langweilen? Vielleicht du. Ich nicht, das sage ich dir. Ich lerne hier aus dem Buch auswendig. Nun? Habe ich da Zeit, mich zu langweilen? Welch t?richte Fragen. Noble Leute langweilen sich vielleicht, nicht Kraus, und du langweilst dich, sonst w?rdest du gar nicht auf den Gedanken kommen, und w?rdest gar nicht hierher zu mir kommen, so etwas zu fragen. Man kann immer, wenn nicht nach aussen, so doch wenigstens nach innen, ein wenig t?tig sein, man kann murmeln, Jakob. Gewiss wolltest du mich schon oft auslachen wegen meines Murmelns, aber, h?re und sage mir, weisst du denn, was ich murmle? Worte, lieber Jakob. Ich murmle und wiederhole immer Worte. Das ist gesund, kann ich dir sagen. Verschwinde mit deiner Langeweile. Langeweile gibt es bei Menschen, die da immer gew?rtigen, es solle von aussen her etwas Aufmunterndes auf sie zutreten. Wo ?ble Laune, wo Sehnsucht ist, da ist Langeweile. Geh' nur, bel?stige mich nicht, lass mich lernen, geh' du an irgend ein St?ck Aufgabe. Plag' dich an etwas, dann langweilst du dich gewiss nicht mehr. Und bitte, vermeide in Zukunft solcherlei einen fast aus aller Fassung bringende, ?ber und ?ber dumme Fragen.<< -- Ich fragte: >>Hast du jetzt ausgeredet, Kraus?<< und lachte. Doch er blickte mich nur ganz mitleidig an. Nein, Kraus kann sich nie, nie langweilen. Ich wusste das ja zur Gen?ge, ich habe ihn nur wieder einmal reizen wollen. Wie unsch?n ist das von mir, und wie leer. Ich muss mich entschieden bessern. Wie schlecht das ist, Kraus immer ?ffen und ?rgern zu wollen. Und doch: wie reizend. Seine Vorw?rfe klingen so lustig. Es ist etwas so Vater-Abraham-m?ssiges in seinen Ermahnungen.

Was hat mir doch vor ein paar Tagen Furchtbares getr?umt. Ich war im Traum ein ganz schlechter, schlechter Mensch geworden, wodurch, das wollte sich mir nicht offenbaren. Roh war ich vom Wirbel bis zur Sohle, ein aufgedonnertes, unbeholfenes, grausames St?ck Menschenfleisch. Ich war dick, es ging mir scheinbar ganz gl?nzend. Ringe blitzten an den Fingern meiner unf?rmigen H?nde, und ich besass einen Bauch, an dem zentnerschwere, fleischige W?rde nachl?ssig herabhing. Ich f?hlte so recht, dass ich befehlen und Launen losschiessen durfte. Neben mir, auf einem reichbesetzten Tisch, prangten die Gegenst?nde einer nicht zu befriedigenden Ess- und Trinkbegierde, Wein- und Lik?rflaschen, und die auserlesensten kalten Gerichte. Ich konnte nur zulangen, und das tat ich von Zeit zu Zeit. An den Messern und Gabeln klebten die Tr?nen zugrunde gerichteter Gegner, und mit den Gl?sern klangen die Seufzer vieler armer Leute, aber die Tr?nenspuren reizten mich nur zum Lachen, w?hrend mir die hoffnungslosen Seufzer wie Musik ert?nten. Ich brauchte Tafelmusik und ich hatte sie. Anscheinend hatte ich sehr, sehr gute Gesch?fte auf Kosten des Wohlergehens anderer gemacht, und das freute mich in alle Ged?rme hinein. O, o, wie mich doch das Bewusstsein, einigen Mitmenschen den Boden unter den F?ssen weggezogen zu haben, erlabte! Und ich griff zur Klingel und schellte. Ein alter Mann trat herein, pardon, kroch herein, es war die Lebensweisheit, und sie kroch an meine Stiefel heran, um sie zu k?ssen. Und ich erlaubte dem entw?rdigten Wesen das. Man denke: die Erfahrung, der gute edle Grundsatz: er leckte mir die F?sse. Das nenne ich Reichtum. Weil es mir grad so einfiel, klingelte ich wieder, denn es juckte mich, ich weiss nicht mehr, wo, nach sinnreicher Abwechslung, und es erschien ein halbw?chsiges M?dchen, ein wahrer Leckerbissen f?r mich W?stling. Kindliche Unschuld, so nannte sie sich, und begann, die Peitsche, die neben mir lag, fl?chtig mit dem Auge streifend, mich zu k?ssen, was mich unglaublich auffrischte. Die Angst und die fr?hzeitige Verdorbenheit flatterten in den sch?nen rehgleichen Augen des Kindes. Als ich genug hatte, klingelte ich wieder, und es trat auf: der Lebensernst, ein sch?ner, schlanker, junger, aber armer Mensch. Es war einer meiner Lakaien, und ich befahl ihm stirnrunzelnd, mir das Ding da, wie hiess es schon, nun ja, hab' ich's endlich, mir die Lust zur Arbeit hereinzuf?hren. Bald darauf trat der Eifer herein, und ich machte mir das Vergn?gen, ihm, dem Voll-Menschen, dem prachtvoll gebauten Arbeitsmann, eins mit der Peitsche ?berzuknallen, mitten ins ruhig wartende Gesicht, zum rein Kaputtlachen. Und das Streben, das urw?chsige Schaffen, es liess sich's gefallen. Nun allerdings lud ich es mit einer tr?gen, g?nnerhaften Handbewegung zum Glas Wein ein, und das dumme Luder schl?rfte den Schandwein. >>Geh', sei f?r mich t?tig,<< sagte ich, und es ging. Nun kam die Tugend, eine weibliche Gestalt von f?r jeden Nicht-ganz-Hartgefrorenen ?berw?ltigender Sch?nheit, weinend herein. Ich nahm sie auf meinen Schoss und trieb Unsinn mit ihr. Als ich ihr den unaussprechlichen Schatz geraubt hatte, das Ideal, jagte ich sie h?hnisch hinaus, und, nun pfiff ich, und es erschien Gott selber. Ich schrie: >>Was? Auch du?<< Und erwachte schweisstriefend, -- wie froh war ich doch, dass es nur ein b?ser Traum war. Mein Gott, ich darf noch hoffen, es werde noch eines Tages etwas aus mir. Wie im Traum doch alles an die Grenze des Wahnsinns streift. Kraus w?rde mich sch?n anglotzen, wenn ich ihm das erz?hlte.

Die Art, wie wir Fr?ulein verehren, ist doch eigentlich komisch. Aber ich z. B. bin sehr f?rs Komische, es enth?lt unbedingt Zauber. Um acht beginnt immer der Unterricht. Nun, da sitzen wir Z?glinge schon zehn Minuten vorher voll Spannung und Erwartung an unsern Pl?tzen und schauen unbeweglich nach der T?re, in welcher die Vorgesetzte erscheinen soll. Auch f?r diese Art von vorauseilender Respektsbezeugung haben wir exakte Vorschriften. Es gilt als Gesetz, nach derjenigen hinzuhorchen, ob sie bald komme, die dann und dann bestimmt eintreten wird. Wir Sch?ler sollen uns echt dummejungenhaft zehn Minuten lang auf das Aufstehen von unsern Pl?tzen vorbereiten. Eine kleine Entehrung liegt in all diesen kleinlichen Forderungen, die eigentlich l?cherlich sind, aber uns soll nichts an unserer pers?nlichen, sondern uns soll alles an der Ehre des Institutes Benjamenta gelegen sein, und das ist wahrscheinlich auch das Richtigste, denn hat ein Sch?ler Ehre? Keine Rede. Recht bevormundet und gezwiebelt zu werden, das h?chstens kann eine Ehre f?r uns sein. Gedrillt werden ist f?r Z?glinge ehrenhaft, sonnenklar ist das. Aber wir rebellieren auch gar nicht. W?rde uns nie einfallen. Wir haben, zusammengerechnet, ja so wenig Gedanken. Ich habe vielleicht noch die meisten Gedanken, leicht m?glich ist das, aber ich verachte im Grunde genommen mein ganzes Denkverm?gen. Ich sch?tze nur Erfahrungen, und die sind in der Regel von allem Denken und Vergleichen vollkommen unabh?ngig. So sch?tze ich an mir, wie ich eine T?re ?ffne. Im T?r?ffnen liegt mehr verborgenes Leben als in einer Frage. Nun ja, es regt eben alles zum Fragen und Vergleichen und Erinnern an. Gewiss muss man auch denken, sehr sogar. Aber sich f?gen, das ist viel, viel feiner als denken. Denkt man, so str?ubt man sich, und das ist immer so h?sslich und Sachen-verderbend. Die Denker, wenn sie nur w?ssten, wieviel sie verderben. Einer, der geflissentlich nicht denkt, tut irgend etwas, nun, und das ist n?tiger. Zehntausende von K?pfen arbeiten in der Welt ?berfl?ssig. Sonnen-sonnenklar ist das. Der Lebensmut geht den Menschengeschlechtern verloren mit all dem Abhandeln und Erfassen und Wissen. Wenn z. B. ein Z?gling des Institutes Benjamenta nicht weiss, dass er artig ist, dann ist er es. Weiss er es, dann ist seine ganze unbewusste Zier und Artigkeit weg, und er begeht irgend einen Fehler. Ich laufe gern Treppen hinunter. Welch ein Geschw?tz.

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