Read Ebook: Jakob von Gunten: Ein Tagebuch by Walser Robert
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Ebook has 88 lines and 45762 words, and 2 pages
Die Art, wie wir Fr?ulein verehren, ist doch eigentlich komisch. Aber ich z. B. bin sehr f?rs Komische, es enth?lt unbedingt Zauber. Um acht beginnt immer der Unterricht. Nun, da sitzen wir Z?glinge schon zehn Minuten vorher voll Spannung und Erwartung an unsern Pl?tzen und schauen unbeweglich nach der T?re, in welcher die Vorgesetzte erscheinen soll. Auch f?r diese Art von vorauseilender Respektsbezeugung haben wir exakte Vorschriften. Es gilt als Gesetz, nach derjenigen hinzuhorchen, ob sie bald komme, die dann und dann bestimmt eintreten wird. Wir Sch?ler sollen uns echt dummejungenhaft zehn Minuten lang auf das Aufstehen von unsern Pl?tzen vorbereiten. Eine kleine Entehrung liegt in all diesen kleinlichen Forderungen, die eigentlich l?cherlich sind, aber uns soll nichts an unserer pers?nlichen, sondern uns soll alles an der Ehre des Institutes Benjamenta gelegen sein, und das ist wahrscheinlich auch das Richtigste, denn hat ein Sch?ler Ehre? Keine Rede. Recht bevormundet und gezwiebelt zu werden, das h?chstens kann eine Ehre f?r uns sein. Gedrillt werden ist f?r Z?glinge ehrenhaft, sonnenklar ist das. Aber wir rebellieren auch gar nicht. W?rde uns nie einfallen. Wir haben, zusammengerechnet, ja so wenig Gedanken. Ich habe vielleicht noch die meisten Gedanken, leicht m?glich ist das, aber ich verachte im Grunde genommen mein ganzes Denkverm?gen. Ich sch?tze nur Erfahrungen, und die sind in der Regel von allem Denken und Vergleichen vollkommen unabh?ngig. So sch?tze ich an mir, wie ich eine T?re ?ffne. Im T?r?ffnen liegt mehr verborgenes Leben als in einer Frage. Nun ja, es regt eben alles zum Fragen und Vergleichen und Erinnern an. Gewiss muss man auch denken, sehr sogar. Aber sich f?gen, das ist viel, viel feiner als denken. Denkt man, so str?ubt man sich, und das ist immer so h?sslich und Sachen-verderbend. Die Denker, wenn sie nur w?ssten, wieviel sie verderben. Einer, der geflissentlich nicht denkt, tut irgend etwas, nun, und das ist n?tiger. Zehntausende von K?pfen arbeiten in der Welt ?berfl?ssig. Sonnen-sonnenklar ist das. Der Lebensmut geht den Menschengeschlechtern verloren mit all dem Abhandeln und Erfassen und Wissen. Wenn z. B. ein Z?gling des Institutes Benjamenta nicht weiss, dass er artig ist, dann ist er es. Weiss er es, dann ist seine ganze unbewusste Zier und Artigkeit weg, und er begeht irgend einen Fehler. Ich laufe gern Treppen hinunter. Welch ein Geschw?tz.
Es ist h?bsch, bis zu einem gewissen Grad wohlhabend zu sein und seine weltlichen Verh?ltnisse ein wenig geordnet zu haben. Ich bin in der Wohnung meines Bruders Johann gewesen, und ich muss sagen, sie hat mich angenehm ?berrascht, sie ist geradezu Alt-Von Guntensch eingerichtet. Schon dass der Fussboden ganz mit einem weichen, mattblauen Teppich belegt und bedeckt ist, hat mir ausserordentlich imponiert. ?berall in den Zimmern herrscht Geschmack, doch nicht auff?lliger Geschmack, sondern nur bestimmte, feine Wahl. Die M?bel sind anmutig verteilt, das mutet gleich beim Eintritt in die Wohnung wie ein h?flicher, zarter Gruss an. Spiegel sind an den W?nden. Es ist sogar ein ganz grosser Spiegel da, der vom Boden bis an die Decke hinaufreicht. Die einzelnen Gegenst?nde sind alt und doch nicht, elegant und doch nicht, reich und doch nicht. Es ist W?rme und Sorgfalt in den R?umen, das f?hlt man, und das ist angenehm. Ein freier sorglicher Wille hat die Spiegel aufgeh?ngt und dem zierlich geschweiften Ruhebett seinen Platz angewiesen. Ich m?sste kein von Gunten sein, wenn ich das nicht merkte. Sauber und staubfrei ist alles, und doch gl?nzt das alles eigentlich nicht, sondern es blickt einen alles ruhig und heiter an. Nichts will scharf in die Augen stechen. Nur das zusammenh?ngende Ganze hat einen vielbedeutenden, liebevollen Ausdruck. Eine sch?ne schwarze Katze lag auf einem dunkelroten Pl?schsessel, wie die schw?rzliche weiche Behaglichkeit, eingebettet in Rot. Sehr h?bsch. W?re ich Maler, so w?rde ich die Traulichkeit solch eines Tierbildes malen. Der Bruder kam mir sehr freundlich entgegen, und wir stunden einander gegen?ber wie wohlabgemessene Weltleute, die wissen, was in der Schicklichkeit f?r ein Vergn?gen liegen kann. Wir plauderten. Da kam ein grosser, schlanker, schneeweisser Hund auf uns zugesprungen, in anmutigen, Freude ausdr?ckenden S?tzen. Nun, ich streichelte das Tier nat?rlich. Alles ist sch?n an der Wohnung Johanns. Er hat alle einzelnen Gegenst?nde und St?cke mit Liebe und M?he in Alth?ndlerl?den aufgest?bert, bis er das Wohnlichste und Anmutigste zusammenhatte. Mit dem Einfachen hat er verstanden, etwas in bescheidenen Grenzen Vollkommenes zu schaffen, derart, dass in seiner Wohnung das Taugliche und N?tzliche sich mit dem Sch?nen und Grazi?sen wie zu einem Stuben-Gem?lde verbindet. Bald darauf, indem wir so dasassen, erschien eine junge Frau, welcher Johann mich vorstellte. Wir tranken sp?ter Tee und waren sehr heiter. Die Katze miaute nach Milch, und der grosse sch?ne Hund wollte von dem Geb?ck zu essen haben, das auf dem Teetisch lag. Beider Tiere W?nsche wurden dann auch befriedigt. Es wurde Abend, und ich musste nach Hause gehen.
Man lernt hier im Institut Benjamenta Verluste empfinden und ertragen, und das ist meiner Meinung nach ein K?nnen, eine ?bung, ohne die der Mensch, mag er noch so bedeutend sein, stets ein grosses Kind, eine Art weinerlicher Schreihals bleiben wird. Wir Z?glinge hoffen nichts, ja, es ist uns streng untersagt, Lebenshoffnungen in der Brust zu hegen, und doch sind wir vollkommen ruhig und heiter. Wie mag das kommen? F?hlen wir ?ber unsern glattgek?mmten K?pfen etwas wie Schutzengel hin und her schweben? Ich kann es nicht sagen. Vielleicht sind wir heiter und sorgenlos aus Beschr?nktheit. Auch m?glich. Aber ist deshalb die Heiterkeit und Frische unserer Herzen weniger wert? Sind wir ?berhaupt dumm? Wir vibrieren. Unbewusst oder bewusst nehmen wir auf vieles ein wenig Bedacht, sind da und dort mit den Geistern, und die Empfindungen schicken wir nach allen m?glichen Windrichtungen aus, Erfahrungen und Beobachtungen einsammelnd. Uns tr?stet so vieles, weil wir im allgemeinen sehr eifrige, sucherische Leute sind, und weil wir uns selber wenig sch?tzen. Wer sich selbst sehr sch?tzt, ist vor Entmutigungen und Herabw?rdigungen nie sicher, denn stets begegnet dem selbstbewussten Menschen etwas Bewusstseinfeindliches. Und doch sind wir Sch?ler durchaus nicht ohne W?rde, aber es ist eine sehr, sehr bewegungsf?hige, kleine, bieg- und schmiegsame W?rde. ?brigens legen wir sie an und ab je nach Erfordernissen. Sind wir Produkte einer h?heren Kultur, oder sind wir Naturkinder? Auch das kann ich nicht sagen. Das eine weiss ich bestimmt: wir warten! Das ist unser Wert. Ja, wir warten, und wir horchen gleichsam ins Leben hinaus, in diese Ebene hinaus, die man Welt nennt, aufs Meer mit seinen St?rmen hinaus. Fuchs ist ?brigens ausgetreten. Mir ist das sehr lieb. Ich wusste mit diesem Menschen nichts anzufangen.
Ich habe mit Herrn Benjamenta gesprochen, d. h. er hat mit mir gesprochen. >>Jakob,<< sagte er zu mir, >>sage mir, findest du nicht, dass das Leben, das du hier f?hrst, karg ist, karg? Was? Ich m?chte gern deine Meinung wissen. Sprich offen.<< -- Ich zog es vor, zu schweigen, doch nicht aus Trotz. Der Trotz ist mir l?ngst vergangen. Aber ich schwieg, und zwar ungef?hr so, als wenn ich h?tte sagen wollen: >>Mein Herr, gestatten Sie mir, zu schweigen. Auf eine solche Frage k?nnte ich h?chstenfalles etwas Unziemliches sagen.<< -- Herr Benjamenta schaute mich aufmerksam an, und ich glaubte, er verstehe mein Schweigen. Es war auch tats?chlich so, denn er l?chelte pl?tzlich und sagte: >>Nicht wahr, Jakob, du wunderst dich ein wenig, wie wir hier im Institut so tr?ge, so gleichsam geistesabwesend dahinleben? Ist es so? Ist dir das aufgefallen? Doch ich will dich durchaus nicht zu unversch?mten Antworten verleiten. Ich muss dir ein Gest?ndnis machen, Jakob. H?re, ich halte dich f?r einen klugen, anst?ndigen jungen Menschen. Jetzt, bitte, werde frech. Und ich f?hle mich veranlasst, dir noch etwas anderes zu gestehen: ich, dein Vorsteher, ich meine es gut mit dir. Und noch ein drittes Gest?ndnis: Ich habe eine seltsame, eine ganz eigent?mliche, jetzt nicht mehr zu beherrschende Vorliebe f?r dich gewonnen. Du wirst jetzt mir gegen?ber recht frech sein, nicht wahr, Jakob? Nicht wahr, junger Mensch, jetzt, nachdem ich mir vor dir eine Bl?sse gegeben habe, wirst du's wagen, mich mit Wegwerfung zu behandeln? Und du wirst jetzt trotzen? Ist es so, sage, ist es so?<< -- Wir beide, der b?rtige Mann und ich, der Junge, schauten einander in die Augen. Es glich einem innerlichen Wettkampf. Schon wollte ich den Mund ?ffnen und irgend etwas Unterw?rfiges sagen, doch ich vermochte mich zu beherrschen und schwieg. Und nun bemerkte ich, dass der riesenhaft gebaute Herr Vorsteher leise, leise zitterte. Von diesem Augenblick an war etwas Bindendes zwischen uns getreten, das f?hlte ich, ja, ich f?hlte es nicht nur, ich wusste es sogar. >>Herr Benjamenta achtet mich,<< sagte ich mir, und infolge dieser wie ein Blitz auf mich niederstrahlenden Erkenntnis fand ich es f?r schicklich, ja sogar f?r geboten, zu schweigen. Wehe mir, wenn ich ein einziges Wort gesagt h?tte. Ein einziges Wort w?rde mich zum unbedeutsamen kleinen Eleven erniedrigt haben, und soeben hatte ich doch eine ganz unz?glinghafte, menschliche H?he erklommen. Das alles empfand ich tief, und wie ich jetzt weiss, habe ich mich in jenem Moment ganz richtig benommen. Der Vorsteher, der dicht zu mir getreten war, sagte dann folgendes: >>Es ist etwas Bedeutendes an dir, Jakob.<< -- Er hielt inne, und ich f?hlte sogleich, warum. Er wollte ohne Zweifel sehen, wie ich mich jetzt ben?hme. Ich merkte das, und daher verzog ich auch nicht eine einzige Muskel meines Gesichtes, sondern schaute starr, wie gedankenlos, vor mich hin. Dann schauten wir uns wieder an. Ich blickte meinen Herrn Vorsteher streng und hart an. Ich heuchelte irgend welche K?lte, irgend welche Oberfl?chlichkeit, w?hrend ich doch am liebsten h?tte in sein Gesicht lachen m?gen, vor Freude. Aber ich sah es zu gleicher Zeit: er war zufrieden mit meiner Haltung, und er sagte endlich: >>Mein Junge, geh' wieder an deine Arbeit. Besch?ftige dich mit etwas. Oder geh' dich mit Kraus unterhalten. Geh'.<< -- Ich verbeugte mich tief, ganz gewohnheitsgem?ss, und entfernte mich. Draussen im Korridor blieb ich wieder, wie schon einmal fr?her, eigentlich auch ganz gewohnheitsgem?ss, stehen und horchte durchs Schl?sselloch, ob sich da drinnen etwas rege. Aber es war alles still. Ich musste leise und gl?cklich lachen, ganz dumm lachen, und dann ging ich ins Schulzimmer, wo ich Kraus im Halbdunkel, scheinbar von einem br?unlichen Lichtstrahl umflossen, sitzen sah. Ich blieb lange stehen. Tats?chlich, lange stund ich so, denn ich konnte etwas, irgend etwas, nicht ganz begreifen. Es war mir, als sei ich zu Hause. Nein, es war mir, als sei ich noch nicht geboren, als schw?mme ich in etwas Vor-Geb?rtigem. Es wurde mir heiss und meerhaft-undeutlich vor den Augen. Ich ging zu Kraus und sagte ihm: >>Du, Kraus, ich habe dich lieb.<< -- Er knurrte, was das f?r Redensarten seien. Rasch zog ich mich in meine Kammer zur?ck. -- Und jetzt? Sind wir Freunde? Sind Herr Benjamenta und ich Freunde? Jedenfalls besteht zwischen uns beiden ein Verh?ltnis, aber was f?r eins? Ich verbiete mir, mir das erkl?ren zu wollen. Ich will hell, leicht und heiter bleiben. Fort mit den Gedanken.
Noch immer habe ich keine Stelle. Herr Benjamenta sagt mir, er bem?he sich. In ganz schroffem Gebieterton sagt er das und f?gt hinzu: >>Wie? Ungeduldig? Kommt alles. Warte!<< -- Von Kraus heisst es unter den Z?glingen, dass er vielleicht bald abgehe. Abgehen, das ist ein so berufshaft-komischer Ausdruck. Kraus geht bald fort? Hoffentlich sind das nur leere Ger?chte, Institut-Sensationen. Es gibt auch unter uns Z?glingen etwas wie einen aus Luft und Nichts herausgegriffenen Zeitungenklatsch. Die Welten, merke ich, sind ?berall dieselben. Ich bin ?brigens wieder bei meinem Bruder Johann von Gunten gewesen, und dieser Mensch hat den Mut gehabt, mich unter Leute zu f?hren. Ich habe am Tisch reicher Leute gegessen, und ich werde die Art und Weise, wie ich mich benommen habe, nie vergessen. Einen alten, aber immerhin feierlichen Gehrock habe ich angehabt. Gehr?cke machen alt und gewichtig. Nun, und da habe ich getan wie ein Mann von j?hrlich zwanzigtausend Mark Einkommen, mindestens. Ich habe mit Leuten geredet, die mir den R?cken gedreht h?tten, wenn sie h?tten ahnen k?nnen, wer ich bin. Frauen, die mich total verachten w?rden, wenn ich ihnen sagte, ich sei nur Z?gling, haben mir zugel?chelt und mir gleichsam Kurage zugewunken. Und ich bin verbl?fft gewesen ?ber meinen Appetit. Wie gelassen man doch an fremden reichen Tischen zugreift. Ich sah, wie es alle machten, und ich machte es talentvoll nach. Wie gemein ist das. Ich empfinde etwas wie Scham dar?ber, dort, n?mlich in jenen Kreisen, ein fr?hliches Ess- und Trinkgesicht gezeigt zu haben. Von feiner Sitte habe ich wenig bemerkt. Dagegen merkte ich, dass man mich als sch?chternen Jungen empfunden hat, w?hrend ich doch platzte vor Frechheit. Johann benimmt sich gut in Gesellschaft. Er besitzt die leichte angenehme Fasson eines Menschen, der etwas gilt, und der das auch weiss. Sein Betragen ist f?r die Augen, die es betrachten, ein Labsal. Rede ich zu gut von Johann? O nein. Ich bin durchaus nicht verliebt in meinen Bruder, aber ich bem?he mich, ihn zu sehen, ganz, nicht nur halb. Vielleicht ist das allerdings Liebe. Meinetwegen. Sehr sch?n war es auch im Theater, doch ich will mich dar?ber nicht weiter verbreiten. Den feinen Rock habe ich dann wieder abgestreift. O, es ist h?bsch, in eines gesch?tzten Menschen Kleidern zu gehen und herumzuschwirren. Ja, schwirren! Das ist es. Man zirpt und schwirrt so herum, dort, in den Kreisen der Gebildeten. Dann bin ich wieder ins Institut gekrochen und in meinen Z?glingsanzug. Ich bin gern hier, ich f?hle es, und ich werde mich dummerweise sp?ter wahrscheinlich nach Benjamentas zur?cksehnen, sp?ter, wenn ich etwas Grosses geworden bin, doch ich werde ja nie, nie irgend etwas Grosses, und ich zittere vor eigent?mlicher Genugtuung, dass ich das zum voraus bestimmt weiss. Ein Schlag wird mich eines Tages treffen, so ein recht vernichtender Schlag, und dann wird alles, werden alle diese Wirrnisse, diese Sehnsucht, diese Unkenntnis, dies alles, diese Dank- und Undankbarkeit, diese L?gen und Selbstbetruge, dies Wissen-Meinen und dies Doch-nie-etwas-Wissen zu Ende sein. Doch ich w?nsche zu leben, gleichviel wie.
Etwas mir Unverst?ndliches ist vorgefallen. Vielleicht hat es auch gar nichts zu bedeuten. Ich bin sehr wenig geneigt, mich von Mysterien bew?ltigen zu lassen. Ich sass, es war schon halb Nacht, ganz allein in der Schulstube. Pl?tzlich stand Fr?ulein Benjamenta hinter mir. Ich hatte sie nicht eintreten geh?rt, sie musste also ganz leise die T?re ge?ffnet haben. Sie fragte mich, was ich da mache, doch in einem Ton, dass ich gar nicht zu antworten brauchte. Sie sagte sozusagen, indem sie fragte, sie wisse es schon. Da gibt man nat?rlich keine Antwort mehr. Sie legte, wie wenn sie m?de gewesen w?re und der St?tze bedurft h?tte, die Hand auf meine Achsel. Da f?hlte ich so recht, dass ich ihr geh?rte, d. h. ihr geh?rte? -- Ja, einfach so ihr angeh?rte. Ich bin immer misstrauisch gegen?ber Empfindungen. Aber dass ich da ihr, dem Fr?ulein, quasi geh?rte, das war wahr empfunden. Wir geh?rten zusammen. Nat?rlich mit Unterschied. Doch wir stunden uns mit einmal sehr nahe. Immer, immer aber mit Unterschied. Ich hasse es geradezu, so gar wenig oder keine Unterschiede zu empfinden. Darin, dass Fr?ulein Benjamenta und ich zwei sehr verschieden geartete und gestellte Wesen waren, das zu sp?ren, darin lag f?r mich ein Gl?ck. Ich verachte es im ?brigen, mich zu bel?gen. Die Auszeichnungen und Vorteile, die nicht ganz, ganz echt sind, betrachte ich als meine Feinde. Es war da also ein grosser Unterschied. Ja, was ist denn das? Komme ich ?ber gewisse Unterschiede nicht hinaus? Doch da sagte das Fr?ulein pl?tzlich: >>Komm' mit. Steh' auf und komm'. Ich will dir etwas zeigen.<< -- Wir gingen zusammen. Vor unseren Augen, wenigstens vor den meinigen , lag alles in ein undurchdringliches Dunkel geh?llt. >>Das sind die innern Gem?cher,<< dachte ich, und ich t?uschte mich auch nicht. Es verhielt sich so, und meine liebe Lehrerin schien entschlossen zu sein, mir eine bisher verborgen gewesene Welt zu zeigen. Doch ich muss Atem sch?pfen.
Es war, wie gesagt, zuerst ganz dunkel. Das Fr?ulein nahm mich bei der Hand und sagte in freundlicher Tonart: >>Siehe, Jakob, so wird es dunkel um dich sein. Und da wird dich jemand dann an der Hand f?hren. Und du wirst froh dar?ber sein und zum erstenmal tiefe Dankbarkeit empfinden. Sei nicht missgestimmt. Es kommen auch Helligkeiten.<< -- Kaum hatte sie das gesagt, so brannte uns ein weisses, blendendes Licht entgegen. Ein Tor zeigte sich, und wir gingen, sie voran, ich dicht hinter ihr, durch die ?ffnung hindurch, ins herrliche Licht-Feuer hinein. Ich hatte noch nie etwas so Glanzvolles und Vielsagendes gesehen, daher war ich auch wie bet?ubt. Das Fr?ulein sprach l?chelnd, noch freundlicher wie vorher: >>Blendet dich das Licht? Dann strenge dich an, es zu ertragen. Es bedeutet Freude, und man muss sie zu empfinden und zu ertragen wissen. Du kannst meinetwegen auch denken, es bedeute dein zuk?nftiges Gl?ck, doch sieh', was geschieht da? Es schwindet. Das Licht zerf?llt. Also, Jakob, sollst du kein langes, kein anhaltendes Gl?ck haben. Schmerzt dich meine Aufrichtigkeit? Nicht doch. Komm' weiter. Wir m?ssen uns ein wenig beeilen, denn noch manche Erscheinung soll durchwandert und durchzittert werden. Sag', Jakob, verstehst du auch meine Worte? Doch schweig'. Du darfst hier nicht reden. Glaubst du, dass ich etwa eine Zauberin sei? Nein, ich bin keine Zauberin. Gewiss, ein ganz klein wenig zu zaubern, zu verf?hren, das verstehe ich schon. Jedes M?dchen versteht das. Doch komm' jetzt.<< -- Mit diesen Worten ?ffnete das verehrte M?dchen eine Bodenlucke, wobei ich ihr helfen musste, und wir stiegen zusammen, sie immer voran, in einen tiefgelegenen Keller hinunter. Zuletzt, als die steinernen Stufen aufh?rten, traten wir auf feuchte weiche Erde. Es war mir, als bef?nden wir uns in der Mitte der Erdkugel, so tief und einsam kam es mir vor. Wir schritten einen langen, finstern Gang entlang, Fr?ulein Benjamenta sagte: >>Wir sind jetzt in den Gew?lben und G?ngen der Armut und Entbehrung, und da du, lieber Jakob, wahrscheinlich dein Lebenlang arm bleibst, so versuche bitte schon jetzt, dich an die Finsternis und an den kalten, schneidenden Geruch, die hier herrschen, ein wenig zu gew?hnen. Erschrick nicht und sei ja nicht b?se. Gott ist auch hier, er ist ?berall. Man muss die Notwendigkeit lieben und pflegen lernen. K?sse die nasse Kellererde, ich bitte dich, ja, tu' es. Damit lieferst du den sinnlichen Beweis deiner willigen Unterwerfung in die Schwere und in die Tr?bnis, die dein Leben, wie es scheint, zum gr?ssten Teil ausmachen werden.<< -- Ich gehorchte ihr, warf mich zur kalten Erde nieder und k?sste sie voller Inbrunst, wobei mich ein unnennbarer kalter und zugleich heisser Schauer durchrann. Wir gingen weiter. Ah, diese G?nge des Not-Leidens und der furchtbaren Entsagung schienen mir endlos, und sie waren es vielleicht auch. Die Sekunden waren wie ganze Lebensl?ufe, und die Minuten nahmen die Gr?sse von leidvollen Jahrhunderten an. Genug, endlich langten wir an einer tr?bseligen Mauer an, Fr?ulein sagte: >>Geh' und liebkose die Mauer. Es ist die Sorgenwand. Sie wird stets vor deinen Blicken aufgerichtet sein, und du bist unklug, wenn du sie hassest. Ei, man muss das Starre, das Unvers?hnliche eben zu erweichen versuchen. Geh' und probier' es.<< -- Ich trat rasch, wie in leidenschaftlicher Eile, zur Mauer heran und warf mich ihr an die Brust. Ja, an die steinerne Brust, und sagte ihr einige gute, beinahe scherzende Worte. Und sie blieb, wie zu erwarten war, unbeweglich. Ich spielte Kom?die, schon meiner Lehrerin zulieb, gewiss, und doch war es wiederum nichts weniger als Kom?die, was ich tat. Und doch l?chelten wir beide, sie, die Meisterin sowohl, wie ich, ihr unreifer Sch?ler. >>Komm',<< sagte sie, >>wir wollen uns jetzt ein wenig Freiheit, ein wenig Bewegung g?nnen.<< -- Und damit ber?hrte sie mit dem kleinen weissen bekannten Herrin-Stab die Mauer, und weg war der ganze garstige Keller, und wir befanden uns auf einer glatten, offenen, schlanken Eis- oder Glasbahn. Wir schwebten dahin wie auf wunderbaren Schlittschuhen, und zugleich tanzten wir, denn die Bahn hob und senkte sich unter uns wie eine Welle. Es war entz?ckend. Ich hatte nie so etwas gesehen, und ich rief vor lauter Freude: >>Wie herrlich.<< -- Und ?ber uns schimmerten die Sterne in einem sonderbarerweise ganz blassblauen und doch dunklen Himmel, und der Mond starrte, ?berirdisch leuchtend, auf uns Eisl?ufer herab. >>Das ist die Freiheit,<< sagte die Lehrerin, >>sie ist etwas Winterliches, Nicht-lange-zu-Ertragendes. Man muss sich immer, so wie wir es hier tun, bewegen, man muss tanzen in der Freiheit. Sie ist kalt und sch?n. Verliebe dich nur nicht in sie. Das w?rde dich nachher nur traurig machen, denn nur momentelang, nicht l?nger, h?lt man sich in den Gegenden der Freiheit auf. Bereits sind wir etwas zu lang hier. Sieh', wie die wundervolle Bahn, auf der wir schweben, langsam sich wieder aufl?st. Jetzt kannst du die Freiheit sterben sehen, wenn du die Augen aufmachst. Im sp?teren Leben wird dir dieser herzbeklemmende Anblick noch oft zuteil werden.<< -- Kaum hatte sie ausgesprochen, so sanken wir von der erklommenen H?he und Lustigkeit in etwas M?des und Trauliches hinunter, es war ein kleines, mit raffiniertem Wohlbehagen ganz gef?ttertes und erf?lltes, k?stlich nach Tr?umereien duftendes, reich mit allerhand l?sternen Szenen und Bildern tapeziertes Ruhe-Gemach. Es war ein geradezu gem?chliches Gemach. Oft schon hatte ich von richtigen Gem?chern getr?umt. Hier befand ich mich nun in einem solchen. Musik rieselte an den bunten W?nden wie Anmutsschnee herunter, man sah es direkt musizieren, die T?ne glichen einem bezaubernden Schneegest?ber. >>Hier,<< sagte das Fr?ulein, >>kannst du ruhen. Sage dir selber, wie lange.<< -- Wir l?chelten beide ?ber diese r?tselhaften Worte, und obgleich mich ein unsagbar zartes Bangen beschlich, z?gerte ich nicht, es mir in dem Lustgemach auf einem der Teppiche, die da vor mir lagen, bequem zu machen. Eine Zigarette von selten gutem Geschmack flog mir von oben herab in den unwillk?rlich ge?ffneten Mund, und ich rauchte. Ein Roman schwirrte herbei, mir gerade in die H?nde, und ich konnte ungest?rt darin lesen. >>Das ist nichts f?r dich. Lies nicht in solchen B?chern. Steh' auf. Komm' lieber. Die Weichlichkeit verf?hrt zur Gedankenlosigkeit und Grausamkeit. H?rst du, wie es zornig einherdonnert und -rollt? Das ist das Ungemach. Du hast jetzt in einem Gemach Ruhe genossen. Nun wird das Ungemach ?ber dich herabregnen und Zweifel und Unruhe werden dich durchn?ssen. Komm'. Man muss tapfer ins Unvermeidliche hineingehen.<< -- So sprach die Lehrerin, und kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da schwamm ich in einem dickfl?ssigen, h?chst unangenehmen Strom von Zweifel. Durch und durch entmutigt, wagte ich gar nicht, mich umzuschauen, ob sie noch neben mir sei. Nein, die Lehrerin, die Hervorzauberin all dieser Erscheinungen und Zust?nde, war verschwunden. Ich schwamm ganz allein. Ich wollte schreien, aber das Wasser drohte mir in den Mund zu laufen. O dieses Ungemach. Ich weinte, und ich bereute bitter, mich der l?sternen Bequemlichkeit hingegeben zu haben. Da pl?tzlich sass ich wieder im Institut Benjamenta, in der dunkelnden Schulstube, und Fr?ulein Benjamenta stand noch hinter mir, und sie streichelte mir die Wangen, aber nicht so, als wenn sie mich, sondern, als wenn sie sich selber tr?sten m?sse. >>Sie ist ungl?cklich,<< dachte ich. Da kamen Kraus, Schacht und Schilinski von einem gemeinsamen Ausgang zur?ck. Rasch zog das M?dchen die Hand von mir weg und ging in die K?che, um das Abendbrot zuzubereiten. Tr?umte ich? Aber wozu mich fragen, wenn es jetzt doch ans Abendessen geht? Es gibt Zeiten, wo ich entsetzlich gern esse. Ich kann dann in die d?mmsten Speisen hineinbeissen wie ein hungriger Handwerksbursche, ich lebe dann wie in einem M?rchen und nicht mehr als Kulturmensch in einem Kulturzeitalter.
Sehr am?sant sind manchmal unsere Turn-und Tanzstunden. Geschick zeigen zu m?ssen, das ist nicht ohne Gefahr. Wie kann man sich doch blamieren. Zwar, wir Z?glinge lachen uns nicht aus. Nicht? O doch. Man lacht mit den Ohren, wenn man mit dem Mund nicht lachen darf. Und mit den Augen. Die Augen lachen so gern. Und den Augen Vorschriften zu machen, das ist zwar ganz gut m?glich, aber doch ziemlich schwer. So z. B. darf hier nicht geblinzelt werden, blinzeln ist sp?ttisch und daher zu vermeiden, aber man blinzelt halt doch manchmal. So ganz die Natur zu unterdr?cken, das geht eben doch nicht. Und doch geht's. Aber hat man sich auch die Natur total abgew?hnt, es bleibt immer ein Hauch, ein Rest ?brig, das zeigt sich immer. Der lange Peter z. B. kann sich die h?chsteigene, pers?nliche Natur sehr schlecht abgew?hnen. Manchmal, wenn er tanzen, sich grazi?s bewegen und erweisen soll, besteht er g?nzlich aus Holz, und das Holz ist bei Peter eben Naturanlage, gleichsam Gottesgeschenk. O wie muss man doch ?ber ein Klafter Holz, wenn es in Form eines langen Menschen erscheint, lachen, so pr?chtig in die Brust hineinlachen. Ein Gel?chter ist das reine Gegenteil von einem St?ck Holz, es ist etwas Entz?ndendes, etwas, was da in einem drinnen Streichh?lzer anz?ndet. Streichh?lzer kichern, genau wie ein unterdr?cktes Gel?chter. Ich mag mich sehr, sehr gern am Herausschallen des Lachens verhindern lassen. Das kitzelt so wunderbar: es nicht loslassen zu d?rfen, was doch so gern herausschiessen m?chte. Was nicht sein darf, was in mich hinab muss, ist mir lieb. Es wird dadurch peinlicher, aber zugleich wertvoller, dieses Unterdr?ckte. Ja ja, ich gestehe, ich bin gern unterdr?ckt. Zwar. Nein, nicht immer zwar. Herr Zwar soll mir abmarschieren. Was ich sagen wollte: etwas nicht tun d?rfen, heisst, es irgendwo anders doppelt tun. Nichts ist fader als eine gleichg?ltige, rasche, billige Erlaubnis. Ich verdiene, erfahre gern alles, und z. B. ein Lachen bedarf auch der Durch-Erfahrung. Wenn ich innerlich zerspringe vor Lachen, wenn ich kaum noch weiss, wo ich all das zischende Pulver hintun soll, dann weiss ich, was Lachen ist, dann habe ich am l?cherigsten gelacht, dann habe ich eine vollkommene Vorstellung dessen gehabt, was mich ersch?tterte. Ich muss demnach unbedingt annehmen und es als feste ?berzeugung aufbewahren, dass Vorschriften das Dasein versilbern, vielleicht sogar vergolden, mit einem Wort reizvoll machen. Denn wie mit dem verbotenen reizenden Lachen ist es doch sicher mit fast allen andern Dingen und Gel?sten ebenfalls. Nicht weinen d?rfen z. B., nun, das vergr?ssert das Weinen. Liebe entbehren, ja, das heisst lieben. Wenn ich nicht lieben soll, liebe ich zehnfach. Alles Verbotene lebt auf hundertfache Art und Weise; also lebt nur lebendiger, was tot sein sollte. Wie im Kleinen, so ist es im Grossen. Recht h?bsch, recht allt?glich gesagt, aber im Allt?glichen ruhen die wahren Wahrheiten. Ich schwatze wieder ein wenig, nicht wahr? Geb' es gern zu, dass ich schwatze, denn mit etwas m?ssen doch Zeilen ausgef?llt werden. Wie entz?ckend, wie entz?ckend sind verbotene Fr?chte.
Vielleicht schwebt jetzt zwischen Herrn Benjamenta und mir etwas wie eine beiden Teilen sichtbare, verbotene Frucht. Doch wir beide dr?cken uns nicht deutlich aus. Wir scheuen vor der offenen Sprache zur?ck, und das ist gewiss nur zu billigen. Mir z. B. ist eigentlich die Freundlichkeit der Behandlung unsympathisch. Ich rede im allgemeinen. Gewisse Leute, die mir zugetan sind, sind mir zuwider, ich kann das hier nicht nachdr?cklich genug betonen. Nat?rlich finde auch ich an der Milde, am Herzlichen Geschmack. Wer k?nnte so roh sein, alle Vertraulichkeit, alles w?rmere Wesen g?nzlich zu verabscheuen. Aber ich h?te mich stets, nahezutreten, und ich weiss nicht, ich muss darin Talent besitzen, jemanden von der Unklugheit gewisser Ann?herungen stumm zu ?berzeugen, wenigstens halte ich es f?r schwierig, sich in mein Vertrauen zu stehlen. Und meine W?rme ist mir kostbar, sehr kostbar, und derjenige, der sie besitzen will, muss ?usserst vorsichtig vorgehen, und das will nun Herr Vorsteher. Dieser Herr Benjamenta will, wie es scheint, mein Herz besitzen und Freundschaft mit mir schliessen. Vorl?ufig behandle ich ihn aber eisig kalt, und wer weiss: ich will vielleicht gar nichts von ihm wissen.
>>Du bist jung,<< sagt Herr Vorsteher zu mir, >>du strotzest von Lebensaussichten. Wart' mal, habe ich da etwas sagen wollen und es jetzt vergessen? Du musst wissen, Jakob, ich habe dir eine Menge Dinge zu sagen, und da kann man das Sch?nste und Tiefste, eh' man bis drei gez?hlt hat, vergessen. Und du schaust drein, siehst du, wie das gute, frische Ged?chtnis selber, w?hrend meines schon altet. Mein Kopf, Jakob, ist am Sterben. Entschuldige, wenn ich etwas zu weich, zu vertraulich rede. Ich muss einfach lachen. Da bitte ich dich, mich zu entschuldigen, w?hrend ich dich durchpr?geln k?nnte, wenn ich es f?r n?tig f?nde. Wie hart mich deine jungen Augen anblicken. Ei, ei, und ich k?nnte dich da an die Wand werfen, dass dir H?ren und Sehen f?r immer vergingen. Ich weiss es gar nicht, wie es hat kommen k?nnen, dass ich mich dir gegen?ber so aller Vorgesetztengewalt entkleidet habe. Du lachst mich wohl heimlich aus. Leise gesagt: H?te dich da. Du musst wissen, mich packen Wildheiten an, und ehe ich mich verhindern kann, sind alle meine Besinnungen geschwunden. O mein kleiner Bursch, nein, f?rchte dich nicht. Es ist ja so g?nzlich, so g?nzlich unm?glich, dir etwas zuleide zu tun, aber sage, was wollte ich dich doch fragen. Sage, du f?rchtest dich wohl gar nicht ein bisschen? Und jung bist du und hast Hoffnungen, und jetzt wirst du ja wohl bald in eine dir ziemende Stellung kommen? Nicht? Ja eben, das ist es. Ja, das ist es, was mir leid tut, denn denke dir, manchmal ist mir, als seiest du mein junger Bruder oder sonst etwas Nat?rlich-Nahes, so verwandt kommst du mir, kommen mir deine Geb?rden, die Sprache, der Mund, alles, nun, mit einem Wort, du, mir vor. Ich bin ein abgesetzter K?nig. Du l?chelst? Ich finde es einfach k?stlich, weisst du, dass dir jetzt gerade, wo ich von abgesetzten, ihrer Throne enthobenen K?nigen spreche, ein L?cheln, solch ein spitzb?bisches L?cheln entflieht. Du hast Verstand, Jakob. O, man kann sich mit dir so h?bsch unterhalten. Es ist prickelnd reizvoll, sich dir gegen?ber ein wenig schwach und weicher, als gew?hnlich, zu benehmen. Ja, du forderst geradezu heraus zu Fahrl?ssigkeiten, zur Lockerung, zur Preisgabe der W?rde. Man mutet dir, glaubst du das, Edelsinn zu, und da reizt es einen ganz m?chtig, sich vor dir in sch?nen, wohltuenden Erkl?rungen und Gest?ndnissen zu verlieren, so z. B. ich, dein Herr, vor dir, meinem jungen armen Wurm, den ich, wenn's mich gel?stete, zermalmen k?nnte. Gib mir die Hand. So. Lass mich dir sagen, dass du es verstanden hast, mir Respekt vor dir abzun?tigen. Ich achte dich hoch, und -- ich -- darf -- es dir sagen. Und nun habe ich eine Bitte an dich: willst du mein Freund, mein kleiner Vertrauter sein? Ich bitte dich, sei es. Doch ich will dir Zeit lassen, das alles zu bedenken, du darfst gehen. Bitte, geh', lass mich allein.<< -- So spricht zu mir mein Herr Vorsteher, der Mann, der, wie er selber sagt, mich zermalmen kann, sobald er nur will. Ich verbeuge mich jetzt nicht mehr vor ihm, es w?rde ihm weh tun. Was er da nur von abgesetzten K?nigen gesprochen hat? Ich werde ?ber diese ganze Sache keine Gedanken verlieren, wie er mir anempfiehlt, sondern ich werde einfach fortfahren, Form zu bewahren. Jedenfalls heisst es aufpassen. Er spricht von Wildheit? Nun, ich muss sagen, das ist sehr ungem?tlich. Zum an der Wand zerquetscht zu werden, dazu bin ich mir denn doch zu gut. Ob ich es dem Fr?ulein sage? O pfui, nicht doch. Ich habe Mut genug, ?ber etwas Seltsames Schweigen zu bewahren, und Verstand genug, mit etwas Zweifelhaftem allein fertig zu werden. Vielleicht ist Herr Benjamenta verr?ckt. Jedenfalls gleicht er dem L?wen, ich aber der Maus. Nette Zust?nde sind das, die sich da jetzt im Institut eingeschlichen haben. Nur niemandem etwas sagen. Eine verschwiegene Angelegenheit ist manchmal schon eine gewonnene. Das alles sind Dummheiten. Basta.
Was ich manchmal f?r Einbildungen habe! Es grenzt beinahe an das Absurde. Mit einem Mal, ohne dass ich es habe verhindern k?nnen, war ich Kriegsoberst geworden, so ums Jahr 1400 herum, nein, etwas sp?ter, zur Zeit der mail?ndischen Feldz?ge. Ich und meine Herren Offiziere, wir tafelten. Es war nach einer gewonnenen Schlacht, und unser Ruhm musste sich in den n?chsten Tagen durch ganz Europa verbreiten. Wir tranken und waren lustig. Nicht etwa in einem Zimmer hielten wir Tafel, nein, auf freiem Feld. Die Sonne war eben am Untergehen, da wurde vor meine Augen, deren Strahl Schlachtenangriff und -sieg bedeutete, eine Kreatur gef?hrt, ein ganz armer Teufel, ein ertappter Verr?ter. Der ungl?ckliche Mensch schaute zitternd zu Boden, wohl wissend, dass er nicht das Recht hatte, den Feldherrn anzuschauen. Ich sah ihn an, ganz leicht, dann schaute ich diejenigen ebenso leicht und schnell an, die ihn hergef?hrt hatten, dann widmete ich mich dem volleingeschenkten Glas Wein, das vor mir stand, und diese drei Bewegungen bedeuteten: >>Geht. Und henkt ihn.<< Sogleich ergriffen ihn die Leute, doch da schrie der Verruchte wie verzweifelt, noch mehr, wie zerrissen, zum voraus zerrissen von tausend entsetzlichen Martertoden. Meine Ohren hatten in den Gefechten und K?mpfen, die mein Leben erf?llten, schon allerlei T?ne geh?rt, und meine Augen waren an den Anblick des Furchtbaren und Jammervollen mehr wie gew?hnt, doch merkw?rdig, das konnte ich nicht ertragen. Wieder drehte ich mich nach dem Verdammten um, ausserdem winkte ich meinen Soldaten. >>Lasst ihn laufen,<< sagte ich, das Glas an der Lippe, um es kurz zu machen. Da geschah etwas ebenso Ergreifendes wie Widerw?rtiges. Der Mann, dem ich das Leben geschenkt hatte, das Verbrecher- und Verr?terleben, st?rzte wie unsinnig zu meinen F?ssen und k?sste den Staub meiner Schuhe. Ich stiess ihn weg. Ich war von Ekel und Grauen erfasst worden. Mich ber?hrte die Gewalt, die ich aus?bte, die Macht, mit der ich frei spielen konnte, wie der Sturmwind mit Bl?ttern, peinlich, ich lachte daher und befahl dem Menschen, sich zu entfernen. Er hatte beinahe den Verstand verloren. Eine tierische Freude brach sich ihm durch Augen und Mund Bahn, er lallte Dank, Dank und kroch weg. Wir andern ergaben uns bis in die Nacht hinein einem ausgelassenen Ges?ffe und Gelage, und am fr?hen Morgen, noch immer sassen wir bei der Tafel, empfing ich mit einer W?rde, einer Hoheit, die selbst mir beinahe ein L?cheln abn?tigte, den Gesandten des Papstes. Ich war der Held, der Herr des Tages. Von meiner Laune, meiner Zufriedenheit hing der Frieden von halb Europa ab. Doch ich spielte den diplomatischen Herren gegen?ber den Dummen, den Guten, es passte mir so, ich war etwas erm?det, mich begehrte, in die Heimat zur?ckzukehren. Ich liess mir die Vorteile, die mir der Krieg zuerteilte, wieder abnehmen. Nat?rlich bin ich sp?ter in den Grafenstand erhoben worden, dann habe ich geheiratet, und jetzt bin ich so tief gesunken, dass es mich gar nicht geniert, ein niedriger, kleiner Eleve des Institutes Benjamenta zu sein und Kameraden zu haben wie Kraus, Schacht, Hans und Schilinski. Man muss mich nackt auf die kalte Strasse werfen, dann stelle ich mir vielleicht vor, ich sei der allesumfassende Herrgott. Es ist Zeit, dass ich die Feder aus der Hand lege.
F?r so Kleine und Niedrige, wie wir Z?glinge sind, gibt es nichts Komisches. Der Entw?rdigte nimmt alles ernst, aber auch alles leicht, beinahe frivol. Mir kommt unsere Tanz-, Anstands- und Turnstunde wie das ?ffentliche, wichtige, grosse Leben selber vor, und dann verwandelt sich vor meinen Augen die Schulstube in ein herrschaftliches Zimmer, in eine Strasse voller Menschenverkehr, in ein Schloss mit alten, langen Korridoren, in eine Amtsstube, in ein Gelehrtenkabinett, in einen Damen-Empfangsraum, je nachdem, in alles M?gliche. Wir m?ssen eintreten, gr?ssen, uns verneigen, sprechen, eingebildete Gesch?fte oder Auftr?ge erledigen, Bestellungen ausrichten, dann pl?tzlich sitzen wir bei Tisch und essen auf hauptst?dtische Manier, und Diener bedienen uns. Schacht, oder vielleicht gar Kraus, stellt eine hocharistokratische Dame vor, und ich ?bernehme es, sie zu unterhalten. Wir sind dann alle Kavaliere, der lange Peter nicht ausgenommen, der sich ja sowieso stets als Kavalier f?hlt. Dann tanzen wir. Wir h?pfen umher, verfolgt von den l?chelnden Blicken der Lehrerin, und pl?tzlich rennen wir einem Verwundeten zu Hilfe. Er ist auf der Strasse ?berfahren worden. Wir schenken scheinbaren Bettlern irgend eine Kleinigkeit, schreiben Briefe, br?llen unsern Burschen an, gehen in die Versammlung, suchen Orte auf, wo man franz?sisch spricht, ?ben uns im Hutabnehmen, sprechen von Jagd, Finanzen und Kunst, k?ssen Damen, die wir uns gewogen wissen wollen, untert?nig die gn?dig ausgestreckten f?nf h?bschen Finger, bummeln als Bummler, schl?rfen Kaffee, essen Schinken in Burgunder, schlafen in eingebildeten Betten, stehen ebenso scheinbar wieder des Morgens in aller Fr?he auf, sagen: >>Guten Tag, Herr Amtsrichter,<< pr?geln uns, denn das kommt ja im Leben oft auch vor, und tun eben alles, was im Leben vorkommt. Sind wir m?de von all den Dummheiten, so klopft Fr?ulein mit dem Stab gegen eine Kante und sagt: >>Allons, vorw?rts, Jungens. Arbeiten!<< -- Dann wird wieder gearbeitet. Wir treiben uns im Zimmer umher wie Wespen. Man kann das gar nicht recht schildern, und sind wir wieder ermattet, so ruft die Lehrerin: >>Wie? Ist euch das ?ffentliche Leben so rasch verleidet? Macht, macht. Zeigt, wie das Leben ist. Es ist leicht, aber man muss munter sein, sonst wird man vom Leben zertreten.<< -- Und frisch geht es wieder los. Wir reisen, wobei unsere Bedienten Dummheiten machen. Wir sitzen in Bibliotheken und studieren. Wir sind Soldaten, echte Rekruten, und m?ssen liegen und schiessen. Wir treten in Kaufl?den, um zu kaufen, in Badeanstalten, um zu baden, in Kirchen, um zu beten: >>Gott, f?hre uns nicht in Versuchung.<< Und im n?chsten Augenblick sitzen wir mitten in der gr?bsten Verfehlung und s?ndigen. >>H?rt auf. Genug f?r heute,<< sagt dann, wenn es Zeit ist, das Fr?ulein. Dann ist das Leben erloschen, und der Traum, den man menschliches Leben nennt, nimmt eine andere Richtung. Meist gehe ich dann auf eine halbe Stunde spazieren. Ein M?dchen begegnet mir immer in der Anlage, wo ich auf einer Bank sitze. Sie scheint Verk?uferin zu sein. Sie biegt jedesmal den Kopf nach mir um und sieht mich lang an. Sie schmachtet zu sehr. ?brigens h?lt sie mich f?r einen Herrn mit monatlichem Sal?r. Ich sehe so gut, nach etwas so Rechtem aus. Sie irrt sich, und ich ignoriere sie daher.
Dann und wann spielen wir auch Theater, und zwar Lustspiel, das ins Possenhafte ausartet, bis uns die Lehrerin einen Wink erteilt, aufzuh?ren: Die Mutter: >>Ich kann Ihnen meine Tochter nicht zur Frau geben. Sie sind zu arm.<< Der Held: >>Armut ist keine Schande.<< -- Die Mutter: >>Papperlappa, Redensarten. Was haben Sie denn f?r Aussichten?<< -- Die Liebhaberin: >>Mama, ich muss Sie bei aller Verehrung, die ich f?r Sie empfinde, bitten, h?flicher mit dem Mann, den ich liebe, zu reden.<< -- Mutter: >>Schweig! Eines Tages wirst du mir danken, dass ich ihn mit unnachsichtlicher Strenge behandelt habe. -- Mein Herr, sagen Sie, wo haben Sie denn eigentlich studiert?<< -- Der Held : >>Gn?dige Frau, ich bin aus dem Institut Benjamenta hervorgegangen. Verzeihen Sie den Stolz, mit dem ich das sage.<< -- Die Tochter: >>Ach, Mama, sehen Sie doch, wie er sich benimmt. Welche feinen Manieren.<< -- Mutter : >>Schweig von Manieren. Auf aristokratisches Benehmen kommt es doch l?ngst nicht mehr an. Sie, mein Herr, bitte, sagen Sie mir gef?lligst: Was haben Sie denn dort im Institut Bagnamenta gelernt?<< -- Der Held: >>Verzeihen Sie: Benjamenta, nicht Bagnamenta, heisst die Lehranstalt. Was ich gelernt habe? Nun allerdings, ich muss sagen, ich habe dort sehr wenig gelernt. Aber es kommt doch heutzutage gar nicht mehr aufs viele Wissen an. Das m?ssen Sie selbst zugeben.<< -- Die Tochter: >>H?ren Sie, liebe Mama?<< -- Die Mutter: >>Schweig' mir, du Missratene, vom Anh?ren oder gar Ernstnehmen solch eines Geschw?tzes. Mein h?bsch aussehender junger Herr, Sie w?rden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie sich auf Nimmerwiedersehen entfernen wollten.<< -- Der Held: >>Was wagt man mir da zu bieten? -- Nun, sei es. Adieu, ich gehe.<< -- Er tritt ab usw. usw. Der Inhalt unserer kleinen Dramen nimmt stets Bezug auf die Schule und auf die Z?glinge. Ein Z?gling erlebt allerhand bunt durcheinandergeworfene Schicksale, gute und schlechte. Er hat Erfolg in der Welt oder ?ussersten Misserfolg. Das Ende des St?ckes ist immer die Verherrlichung und Versinnbildlichung bescheidenen Dienens. Das Gl?ck dient: das ist die Moral unserer dramatischen Literatur. Unser Fr?ulein pflegt w?hrend der Darstellungen die Zuschauerwelt zu spielen. Sie sitzt gleichsam in einer Loge und blickt durch das Augenglas auf die B?hne, d. h. auf uns Spielende. Kraus ist der schlechteste Schauspieler. So etwas liegt ihm gar nicht. Am besten spielt entschieden der lange Peter. Auch Heinrich ist reizend auf der B?hne.
Ich habe die etwas beleidigende Empfindung, als wenn ich in der Welt immer zu essen haben werde. Ich bin gesund, und ich werde es bleiben, und man wird mich stets zu irgend etwas brauchen k?nnen. Ich werde meinem Staat, meiner Gemeinde nie zur Last fallen. Das zu denken, d. h. zu denken, dass man als ein niedriger Mensch sein t?gliches Brot zu essen haben wird, w?rde mich tief verwunden, wenn ich noch der fr?here Jakob von Gunten w?re, wenn ich noch der Abk?mmling, der Spross meines Hauses w?re, aber ich bin ja ein ganz, ganz anderer geworden, ein gew?hnlicher Mensch bin ich geworden, und dass ich gew?hnlich geworden bin, das verdanke ich Benjamentas, und das erf?llt mich mit einer unnennbaren, vom Tau der Zufriedenheit gl?nzenden und tropfenden Zuversicht. Ich habe den Stolz, die Ehren-Arten gewechselt. Wie komme ich dazu, so jung schon so zu entarten? Aber ist das Entartung? In gewisser Hinsicht ja, andernteils ist es Erhaltung der Art. Ich bleibe vielleicht als irgendwo im Leben verlorner und verschollener Mensch ein echterer, stolzerer Gunten, als wenn ich, auf den Stammbaum pochend, zu Hause verd?rbe, entherzte und verkn?cherte. Nun, mag das sein, wie es sein will. Ich habe Wahl getroffen, und dabei bleibt es. In mir lebt eine sonderbare Energie, das Leben von Grund auf kennen zu lernen, und eine unbezwingliche Lust, Menschen und Dinge zu stacheln, dass sie sich mir offenbaren. Hier f?llt mir Herr Benjamenta ein. Aber ich will an etwas anderes denken, d. h. ich mag an nichts mehr denken.
Ich habe eine Anzahl Menschen kennen gelernt, durch Johanns Freundlichkeit. Es sind K?nstler darunter, und es scheinen nette Menschen zu sein. Nun, was kann man sagen bei so fl?chtiger Ber?hrung. Eigentlich gleichen sich die Leute, die sich bem?hen, Erfolg in der Welt zu haben, furchtbar. Es haben Alle dieselben Gesichter. Eigentlich nicht, und doch. Alle sind einander ?hnlich in einer gewissen, rasch dahinsausenden Liebensw?rdigkeit, und ich glaube, das ist das Bangen, das diese Leute empfinden. Sie behandeln Menschen und Gegenst?nde rasch herunter, nur damit sie gleich wieder das Neue, das ebenfalls Aufmerksamkeit zu fordern scheint, erledigen k?nnen. Sie verachten niemanden, diese guten Leute, und doch, vielleicht verachten sie alles, aber das d?rfen sie nicht zeigen, und zwar deshalb nicht, weil sie f?rchten, pl?tzlich etwa eine Unvorsichtigkeit zu begehen. Sie sind liebensw?rdig aus Weltschmerz und nett aus Bangen. Und dann will ja jeder Achtung vor sich selber haben. Diese Leute sind Kavaliere. Und sie scheinen sich nie ganz wohl zu befinden. Wer kann sich wohl befinden, wer auf die Achtungsbezeugungen und Auszeichnungen der Welt Wert legt? Und dann, glaube ich, f?hlen diese Menschen, da sie doch einmal Gesellschafts- und durchaus keine Naturmenschen mehr sind, stets den Nachfolger hinter sich. Jeder sp?rt den unheimlichen ?berrumpler, den heimlichen Dieb, der mit irgend einer neuen Begabung dahergeschlichen kommt, um Sch?digungen und Herabsetzungen aller Art um sich herum zu verbreiten, und deshalb ist in diesen Menschenkreisen der ganz Neu-Auftretende immer der Gesuchteste und Bevorzugteste, und wehe den ?lteren, wenn sich dieser Neue durch Geist, Talent oder Naturgenie irgendwie auszeichnet. Ich dr?cke mich ?brigens etwas zu einfach aus. Es ist da noch etwas ganz anderes. Es herrscht unter diesen Kreisen der fortschrittlichen Bildung eine kaum zu ?bersehende und misszuverstehende M?digkeit. Nicht die formelle Blasiertheit etwa des Adels von Abstammung, nein, eine wahrhafte, eine ganz wahre, auf h?herer und lebhafterer Empfindung beruhende M?digkeit, die M?digkeit des gesunden-ungesunden Menschen. Sie sind alle gebildet, aber achten sie einander? Sie sind, wenn sie ehrlich nachdenken, zufrieden mit ihren Weltstellungen, aber sind sie auch zufrieden? ?brigens gibt es reiche Menschen unter ihnen. Von denen rede ich hier nicht, denn das Geld, das ein Mann besitzt, zwingt zu ganz andern, ganz neuen Voraussetzungen zu der Beurteilung solch eines Mannes. Doch es sind alles h?fliche und in ihrer Art bedeutende Menschen, und meinem Bruder muss ich sehr, sehr dankbar sein, dass er mich ein St?ck Welt hat kennen lernen lassen. Man liebt es jetzt schon, mich dort, n?mlich in jenen Kreisen, den kleinen von Gunten zu nennen, zum Unterschied von Johann, den sie den grossen von Gunten getauft haben. Das sind Sp?sse, die Welt liebt eben Sp?sse. Ich nicht, aber das alles ist ja so unbedeutend. Ich f?hle, wie wenig mich das angeht, was man Welt nennt, und wie mir gross und hinreissend vorkommt, das, was ich Welt nenne, ganz im stillen. Mein Bruder hat sich indes M?he gegeben, mich unter Menschen zu f?hren, und es ist Pflicht f?r mich, mir viel daraus zu machen. Und es ist ja auch viel. Mir ist alles, sogar das Kleinste, viel. Ein paar Menschen vollkommen kennen zu lernen, dazu bed?rfte es eines Menschenlebens. Das sind nun wieder Benjamentasche Grunds?tze, und wie un?hnlich sind Benjamentas dem, was Welt bedeutet. Ich will schlafen gehen.
Ich vergesse nie, dass ich ein Abk?mmling bin, der nun von unten, von ganz unten anf?ngt, ohne doch die Eigenschaften, die n?tig sind, emporzugelangen, zu besitzen. Vielleicht, ja. Es ist alles m?glich, aber ich glaube nicht an die eitlen Stunden, in denen ich mir Gl?ck, verbunden mit Glanz, vorspiegle. Ich habe gar keine Empork?mmlingstugenden. Ich bin manchmal frech, aber nur aus Laune. Der Empork?mmling aber ist von einer permanenten bescheiden-tuenden Frechheit, oder von einer frechen, fortw?hrend frechen Unbedeutendheitsgeb?rde. Und es gibt viele Empork?mmlinge, und was sie errungen haben, das halten sie stupide fest, und das ist ausgezeichnet. Sie k?nnen auch nerv?s sein, ungehalten, verdriesslich und >>all der Dinge<< m?de, aber der ?berdruss dringt nicht tief beim wahrhaften Empork?mmling. Empork?mmlinge sind Herren, und solch einem Herrn, einem vielleicht etwas protzigen Herrn, werde ich Abk?mmling, oder was ich sonst bin, dienen, und ehrenhaft dienen, treu, verl?sslich, fest, ganz gedankenlos, ganz unerpicht auf pers?nliche Vorteile, denn nur so, n?mlich ganz anst?ndig, werde ich ?berhaupt jemandem dienen k?nnen, und jetzt merke ich, dass ich Verwandtes mit Kraus habe, und ich sch?me mich beinahe ein wenig. Nie und nimmer erreicht man mit Empfindungen, wie die sind, mit denen ich der Welt gegen?berstehe, je Grosses, es sei denn, man pfeife aufs glitzernde Grosse und nenne das gross, was ganz grau, still, hart und niedrig ist. Ja, dienen werde ich, und Verpflichtungen, deren Erf?llung nichts weniger als schimmert, werde ich immer und immer ?bernehmen, immer wieder, und ich werde kreuzdumm vor Seligkeit err?ten, wenn man mir leichthin Dank sagt. Dumm ist das, aber durchaus wahr, und ich bin nicht f?hig, ?ber diese Wahrnehmung traurig zu sein. Ich muss es bekennen: ich bin nie traurig, ich f?hle mich nie, nie vereinsamt, und auch das ist dumm, denn mit der Sentimentalit?t, mit dem, was man den Schrei nennt, macht man die besten, die empork?mmlichsten und bek?mmlichsten Gesch?fte. Aber ich bedanke mich f?r die M?hseligkeiten, f?r die unfeinen Anstrengungen, auf solche Art zu Ehre und Ansehen zu gelangen. Zu Hause, bei Vater und Mutter, duftete es alle W?nde entlang nach Takt. Nun gut, das meine ich nur so. Es war vornehm bei uns zu Hause. Und so hell. Der ganze Haushalt glich einem grazi?sen, g?tigen L?cheln. Mama ist ja so fein. Schon gut. Also Abk?mmling und verurteilt, zu dienen und die Person sechsten Ranges im Weltleben zu spielen. Meiner Ansicht nach passt das, denn, o wie sagte doch Johann: >>Die M?chtigen, das sind die Verhungerten.<< -- Ich glaube so etwas nicht gern. Und hab' ich es ?berhaupt n?tig, mich tr?sten zu lassen? Kann man einen Jakob von Gunten tr?sten? So lange ich gesunde Glieder habe, ist das ausgeschlossen.
Wenn ich will, wenn ich es mir befehle, kann ich alles verehren, sogar das schlechte Benehmen, aber es muss von Gold strotzen. Die ?blen Manieren m?ssen Zwanzigmarkst?cke hinter sich fallen lassen, dann verneige ich mich vor, sogar noch hinter ihnen. Herr Benjamenta ist ?brigens auch dieser Meinung. Er sagt, es sei unrichtig, das Geld und den Vorteil, die aus unsch?nen H?nden kommen, zu verachten. Ein Eleve des Institutes Benjamenta soll das Meiste eben achten, nicht verachten. -- Zu was anderem. Turnen, das ist sch?n. Ich liebe es leidenschaftlich, und ich bin selbstverst?ndlich ein guter Turner. Mit einem edlen Menschen Freundschaft schliessen und Turnen, das sind wohl zwei der sch?nsten Sachen, die es auf der Welt gibt. Tanzen, und einen Menschen finden, der mir Achtung entlockt, ist mir ein und dasselbe. Ich bewege so gern die Geister und Glieder. Nur allein Beinschwingen, ist das doch h?bsch! Turnen ist auch dumm, es f?hrt auch zu nichts. Muss denn eigentlich alles, was ich liebe und bevorzuge, zu nichts f?hren? Aber horch! Was ist das? Man ruft mich. Ich muss abbrechen.
>>Strebst du auch noch aufrichtig, Jakob?<< fragte mich die Lehrerin. Es war gegen Abend. Es war irgendwo etwas R?tliches, wie ein Abglanz von einem gewaltig-sch?nen Sonnenuntergang. Wir stunden an meiner Kammert?re. Ich hatte eben eintreten und mich meinen Ahnungen so ein wenig ?berlassen wollen. >>Fr?ulein Benjamenta,<< sagte ich, >>zweifeln Sie am Ernst und an der Ehrlichkeit meines Strebens? Bin ich ein Schwindler, ein Gaukler in Ihren hochverehrten Augen?<< -- Ich glaube, ich blickte geradezu tragisch, als ich das sagte. Sie wandte mir ihr sch?nes Gesicht zu und sagte: >>Bewahre, aber bewahre. Du bist ein netter Junge. Heftig bist du, aber du bist mir lieb, recht, anst?ndig und angenehm. Bist du zufrieden? He? Was? Du bringst auch dein Bett immer noch h?bsch jeden Morgen in Ordnung? Nicht? Und den Vorschriften allen gehorchst du wohl auch schon l?ngst nicht mehr? Auch nicht? Oder doch? O du bist ein ganz braver Mensch, ich glaube es. Und man kann dich nicht genug mit Lobeserhebungen ?bersch?tten. Nicht genug. Ganze Eimer voll schmeichelnder Lobspr?che, denke, ganze K?bel und Kannen voll. Mit dem Besen muss man sie zusammenwischen, die vielen anerkennenden sch?nen Worte, die dein Betragen betreffen. Nein, Jakob, jetzt ganz im Ernst, h?re. Ich muss dir etwas ins Ohr sagen. Magst du's h?ren, oder willst du jetzt lieber da hinein in deine Kammer schl?pfen?<< -- >>Sprechen Sie, gn?diges Fr?ulein. Ich h?re,<< sagte ich voll angstvoller Erwartung. Die Lehrerin schauderte pl?tzlich j?hlings zusammen. Sie fasste sich aber rasch und sagte: >>Ich gehe, Jakob, ich gehe. Es geht mit mir. Doch ich kann es dir nicht sagen. Vielleicht ein anderes Mal. Ja? Ja, nicht wahr, vielleicht morgen, oder in acht Tagen erst. Es ist dann noch immer Zeit genug, es dir zu sagen. Sage mir, Jakob, hast du mich ein wenig lieb? Bedeute ich deiner Brust, deinem jungen Herzen irgend etwas?<< -- Sie stand mit w?tend zusammengekniffenen Lippen vor mir da. Ich beugte mich schnell auf ihre Hand, die unsagbar wehm?tig an ihrem Gewand herabhing, hinunter und k?sste sie. Ich war so gl?cklich, es ihr so sagen zu d?rfen, was ich f?r sie immer empfunden hatte. >>Sch?tzest du mich?<< fragte sie mit ganz hoher, nach der H?he zu schon fast erstickter, gestorbener Stimme. Ich sagte: >>Wie k?nnen Sie zweifeln? Ich bin ungl?cklich.<< -- Aber mich emp?rte es, dass ich fast weinen musste. Ich liess ihre Hand schroff fahren und nahm respektvolle Haltung an. Und sie ging, indem sie mich beinahe bittend anschaute. -- Wie hat sich hier im einst so herrischen Institut Benjamenta alles ver?ndert! Es schrumpft alles zusammen, die ?bungen, der Schneid, die Vorschriften. Lebe ich in einem Toten- oder in einem ?berirdischen Freuden- und Wonnenhause? Etwas ist los, aber ich fasse es noch nicht.
Ich wagte es, Kraus gegen?ber eine Bemerkung ?ber Benjamentas fallen zu lassen. Es mute mich, sagte ich, wie eine Tr?bung des Glanzes an, den das Institut immer besessen habe. Was das sei? Ob Kraus vielleicht etwas wisse? -- Er wurde ?rgerlich und sprach: >>Mensch, du bist wohl schwanger mit albernen Einbildungen. Was f?r Ideen. Schaff du. Mach du, dann f?llt dir nichts Auffallendes auf. Dieser Schn?ffler. Will sich in Meinungen und Ansichten hineinschn?ffeln. Geh' mir aus den Augen. Ich kann dich bald ?berhaupt nicht mehr ansehen.<< -- >>Seit wann bist du grob?<< sagte ich, doch ich zog es vor, ihn in Ruhe zu lassen. -- Im Laufe des Tages hatte ich Gelegenheit, mich mit Fr?ulein Benjamenta ?ber Kraus zu unterhalten. Sie sagte mir: >>Ja, Kraus ist gar nicht wie andere Menschen. Er sitzt da, bis man seiner bedarf, ruft man ihn, dann kommt er in Bewegung und kommt herbeigesprungen. Von solchen Menschen, wie er einer ist, macht man kein R?hmens und Aufhebens. Man r?hmt Kraus eigentlich nie, und kaum ist man ihm dankbar. Man verlangt nur von ihm: Tu' das, und dann wieder: Tu' dies. Und man sp?rt kaum, dass man, und wie vollkommen, bedient worden ist, so vollkommen ist man bedient worden. Die Person Kraus ist gar nichts, nur der Schaffer, der Aus?ber Kraus ist etwas, aber der macht sich gar nicht bemerkbar. Z. B. dich, Jakob, lobt man, es macht einem Freude, dir wohl zu tun. F?r Kraus hat man kein Wort, keine Neigung ?brig. Du bist ganz liederlich, Jakob, gegen?ber Kraus. Doch du bist der Nettere. Anders sage ich es dir nicht, denn das w?rdest du nicht verstehen. Und Kraus verl?sst uns jetzt bald. Das ist ein Verlust, Jakob, o das ist ein Verlust. Wenn kein Kraus mehr da ist, wer ist dann noch da? Du, ja. Das ist ja eigentlich wahr, und du bist mir jetzt b?se, nicht wahr. Ja, du bist mir b?se, weil ich betr?bt bin, dass Kraus weggeht. Bist du eifers?chtig?<< -- >>Nicht doch. Auch ich bedaure lebhaft, dass Kraus uns verl?sst,<< sagte ich. Ich sprach mit Absicht sehr f?rmlich. Auch mir war es weh zumut geworden, doch ich fand es passend, ein wenig K?lte zu zeigen. Sp?ter versuchte ich, mit Kraus ins Gespr?ch zu kommen, aber er verhielt sich unglaublich ablehnend. Finster sass er am Tisch und sprach zu niemandem ein Wort. Auch er empfindet, dass irgend etwas hier nicht gut geht, er sagt nur nichts, nur sich sagt er es.
Oft habe ich die Empfindung von einer grossen innern Niederlage. Dann stelle ich mich mitten in der Stube auf und treibe Unfug, ?brigens ganz kindischen Unfug. Ich setze Kraus' M?tze auf meinen Kopf, oder ein volles Glas Wasser usw. Oder Hans ist da. Mit Hans kann man gemeinschaftlich H?te auf K?pfe hinauflancieren, dass sie oben sitzen und kleben bleiben. Wie verachtet uns Kraus jedesmal daf?r. Schacht ist in Stellung gewesen, drei Tage, aber er ist wieder zur?ckgekehrt, voll Missmut und allerhand zornigen, schmerzlichen Ausfl?chten. Habe ich es nicht fr?h schon gesagt, dass es Schacht draussen in der Welt ?bel ergehen wird? Er wird immer in ?mter, Aufgaben und Stellungen hineinzappeln, und es wird ihm nirgends gefallen. Jetzt sagt er, er habe zu schwer arbeiten m?ssen, und er erz?hlt von listigen, boshaften, faulen Halb-Vorgesetzten, die es gleich bei seinem Antritt unternommen h?tten, ihn mit ungeb?hrlichen Pflichten schalkhaft zu ?berh?ufen und ihn zu Boden zu qu?len und zu ?bervorteilen. Ach, ich glaube das Schacht. Nur zu willig, d. h. ich halte f?r absolut wahr, was er sagt, denn kr?nklichen, empfindsamen Leuten gegen?ber ist die Welt ja so unbegreiflich roh, gebieterisch, launisch und grausam. Nun, Schacht wird vorl?ufig wieder hier bleiben. Ein wenig ausgelacht haben wir ihn, als er ankam, das muss auch sein, Schacht ist ein junger Mensch, und er darf schliesslich auch nicht der Meinung sein, f?r ihn g?be es besondere Stufen, Vorteile, Handhaben und R?cksichten. Er hat jetzt eine erste Entt?uschung erlebt, und ich bin ?berzeugt, dass er zwanzig Entt?uschungen hintereinander erleben wird. Das Leben mit seinen wilden Gesetzen ist ?berhaupt f?r gewisse Personen nur eine Kette von Entmutigungen und schreckenerregenden b?sen Eindr?cken. Menschen wie Schacht sind zur fortlaufenden, leidenden Abneigung geboren. Er m?chte anerkennen und willkommen heissen, aber er kann eben einmal nicht. Das Harte und Mitleidlose tritt ihm zehnfach hart und unmitleidvoll entgegen, er empfindet es eben sch?rfer. Armer Schacht. Er ist ein Kind, und er sollte in Melodien schwelgen und sich in g?tige, weiche, sorgenlose Dinge betten k?nnen. F?r ihn sollte es heimliches Pl?tschern und Vogelgezwitscher geben. Ihn sollten blasse zarte Abendhimmelwolken tragen in das Reich: >>Ach, wie ist mir?<< -- Seine H?nde taugen zu leichten Geb?rden, nicht zur Arbeit. Vor ihm sollten Winde wehen, und hinter ihm sollten s?sse freundliche Stimmen fl?stern. Seine Augen sollten selig geschlossen bleiben d?rfen, und Schacht sollte wieder ruhig einschlummern d?rfen, wenn er des Morgens in den warmen, l?sternen Kissen erwachte. F?r ihn gibt es im Grunde genommen keine ziemliche T?tigkeit, denn jede Besch?ftigung ist f?r ihn, der so aussieht, unziemlich, widernat?rlich und unpassend. Ich bin der reine grobknochige Knecht gegen Schacht. Ah, zerschmettert wird er werden, und eines Tages wird er im Krankenhaus verenden, oder er wird, verdorben an Leib und Seele, in einem von unsern modernen Gef?ngnissen schmachten. Jetzt dr?ckt er sich so in den Ecken der Schulstube herum, sch?mt sich und zittert vor dem ihm widerw?rtigen, unbekannten Zuk?nftigen. Das Fr?ulein sieht ihn besorgt an, doch ist sie jetzt vom eigent?mlichen Eigenen viel zu sehr in Anspruch genommen, als dass sie sich sehr um Schacht bek?mmern k?nnte. ?brigens k?nnte sie ihm nicht helfen. Ein Gott m?sste und k?nnte das vielleicht tun, doch es gibt keine G?tter, nur einen Einzigen, und der ist zu erhaben zur Hilfe. Zu helfen und zu erleichtern, das w?rde dem Allm?chtigen gar nicht ziemen, so f?hle ich wenigstens.
Fr?ulein Benjamenta spricht nun jeden Tag ein paar Worte mit mir, sei es in der K?che, sei's in der manchmal ganz stillen und vereinsamten Schulstube. Kraus tut, als wenn er noch ein Jahrzehnt gew?rtigte, hier im Institut zu verbleiben. Er lernt seine Lektionen trocken und unverdrossen, ja doch, eigentlich verdrossen, aber verdrossen hat er ja immer ausgesehen, das will nichts zu bedeuten haben. Dieser Mensch ist keiner Voreiligkeit, keiner Ungeduld f?hig. >>Abwarten,<< so steht es ihm auf der ruhigen Stirn beinahe hoheitsvoll geschrieben. Ja, Fr?ulein sagte das auch schon einmal, sie sagte, Kraus besitze Hoheit, und das ist wahr, die Unscheinbarkeit seines Wesens hat etwas Unsichtbar-Herrscherartiges. Zu meinem Fr?ulein wagte ich gestern zu sagen: >>Wenn ich Ihnen nur ein einziges, nur ein verschwindend kleines einziges Mal selbstbewusster gegen?bergetreten bin, als ganz befangen von Gef?hlen und Fesseln der lautersten Ehrfurcht, so will ich mich hassen, verfolgen, an Stricken aufh?ngen, mit Giften t?tendster Art vergiften, mit Messern, gleichviel was f?r welchen, mir den Hals abschneiden. Nein, es ist ganz unm?glich, Fr?ulein. Ich konnte Sie nie verletzen. Schon Ihre Augen. Wie sind sie mir immer der Befehl und das unantastbare sch?ne Gebot gewesen. Nein, nein, ich l?ge nicht. Ihr Erscheinen an der T?re! Ich habe hier nie einen Himmel n?tig gehabt, nie Mond, Sonne und Sterne. Sie, ja Sie sind mir die h?here Erscheinung gewesen. Ich rede wahr, Fr?ulein, und ich muss annehmen, dass Sie empfinden, wie fern von aller, aller Schmeichelei diese Worte sind. Ich hasse alles zuk?nftige Wohlergehen, ich verabscheue das Leben. Ja, ja. Und doch muss ich bald auch, wie Kraus, austreten, ins hassenswerte Leben hinaus. Sie sind mir die k?rperliche Gesundheit gewesen. Habe ich in einem Buch gelesen, so waren Sie es, nicht das Buch, Sie waren das Buch. Doch, doch. Oft habe ich mich unartig benommen. Ein paarmal mussten Sie mich vor dem Hochmut, der mich fressen und unter Tr?mmer unschicklicher Einbildungen begraben wollte, warnen. Wie sank er da, wie blitzschnell. Wie habe ich dem gelauscht, was das Fr?ulein Benjamenta sprach. Sie l?cheln? Ja, das L?cheln, es ist mir immer ein Antrieb zum Guten, Tapfern und Wahren gewesen. Wie sind Sie stets gut zu mir gewesen. Viel, viel zu gut zu mir Trotzkopf. Und an Ihrem Anblick herunter st?rzten meine vielen Fehler, um Verzeihung flehend, herunter, zu Ihren F?ssen. Nein, ich mag nicht in das Leben, nicht in die Welt hinaustreten. Ich verachte alles Zuk?nftige. Wenn Sie in die Stube eintraten, war ich froh, dann schalt ich mich stets einen Dummkopf. Oft habe ich Sie, denken Sie sich, ja, ich muss es gestehen, im geheimen der W?rde und der Gr?sse berauben wollen, aber ich fand in all meinem zusammengepeitschten Geist kein Wort, nicht ein einziges kleines Wort der Schm?hung und Schm?lerung dessen, was ich ein wenig verletzen wollte. Und die Strafe war jedesmal meine Reue und Unruhe. Ja, immer, Fr?ulein, immer habe ich Sie verehren m?ssen. Sind Sie ungehalten, dass ich so spreche? Ich, ich bin froh, dass ich so spreche.<< -- Sie schaute mich blinzelnd an und l?chelte. Sie spottete ein wenig, war aber doch ganz zufrieden. Ausserdem, das merkte ich, war sie in Gedanken mit etwas Fernabliegendem besch?ftigt. Sie war wie geistesabwesend, und daher, einzig daher habe ich ja auch nur so zu sprechen gewagt. Ich werde mich h?ten, es wieder zu tun.
Es geht mich ja gar nichts an, gewiss, aber es f?llt mir auf, dass keine neuen Sch?ler ins Institut eintreten. Sollte der Ruf, den Herr Benjamenta in der Umwelt als Erzieher geniesst oder genossen hat, im Abnehmen oder gar im Verschwinden sein? Das w?re traurig. Doch vielleicht ist das alles nur meine ?berreizte Empfindung. Ich bin hier ein wenig nerv?s geworden, wenn man eine gewisse Spannung und zugleich Mattigkeit der Beobachtungskr?fte so nennen darf. Es ist hier alles so zart, und man steht wie in der blossen Luft, nicht wie auf festem Boden. Und dann dieses immerw?hrende Gefasst- und Bewusstsein, auch das macht es vielleicht aus. Leicht m?glich. Man wartet hier immer auf etwas, nun, das schw?cht doch schliesslich. Und wieder verbietet man sich streng das Horchen und Warten, weil das unzul?ssig ist. Nun, auch das nimmt Kr?fte in Anspruch. Oft steht das Fr?ulein am Fenster und sieht lange hinaus, als lebe sie schon anderswo. Ja, das ist es, das nicht ganz Gesunde und Nat?rliche, was hier webt: wir alle, Herrschaft sowohl wie Elevenschaft, wir leben beinahe schon anderswo. Es ist, als wenn wir nur noch vor?bergehend hier atmeten, ?ssen, schliefen und wach st?nden und Unterricht erteilten und gen?ssen. Etwas wie treibende, schonungslose Energie schl?gt hier rauschend die Fl?gel zusammen. Horchen wir alle hier auf das Sp?tere? auf irgend welches Nachherige? Auch m?glich. Und was dann, wenn wir jetzigen Z?glinge alle ausgetreten sind und doch keine neuen mehr kommen? Was dann? Sind dann Benjamentas arm und verlassen? Wenn ich mir das ausmale, werde ich krank, einfach krank. Nein, niemals, niemals. Das, das wird nicht sein d?rfen. Und doch wird es sein m?ssen. Sein m?ssen?
R?stig sein heisst, sich nicht lange besinnen, sondern rasch und ruhig hineingehen in das, was erf?llt werden soll. Nass werden von den Regeng?ssen des Bem?hens, hart und stark werden an den St?ssen und Reibungen dessen, was die Notwendigkeit fordert. Ich hasse solche klugen Redensarten. Ich wollte an etwas ganz anderes denken. Aha, ich habe es, es betrifft Herrn Benjamenta. Ich war wieder bei ihm im Bureau. Ich necke ihn immer wegen der zu erlangenden, baldigen Anstellung. So frug ich ihn auch diesmal wieder, wie's denn jetzt sei, ob ich gew?rtigen d?rfe usw. Er wollte w?tend werden. O, er will auch jetzt immer noch w?tend werden, und ich bin stets sehr k?hn, wenn ich ihn reize. Ganz laut, barsch und unversch?mt fragte ich. Der Vorsteher wurde ganz verlegen, er fing sogar an, sich hinter den grossen Ohren zu reiben. Er hat nat?rlich nicht das, was man grosse Ohren zu nennen pflegt, seine Ohren sind verh?ltnism?ssig durchaus nicht zu gross, nur ist eben alles gross an dem Mann, folglich auch seine Ohren. Schliesslich trat er auf mich zu, lachte mich merkw?rdig gutm?tig an und sprach: >>In die Arbeit hinaus willst du treten, Jakob? Ich aber sage dir, bleib' du lieber noch. Hier ist es doch f?r dich und deinesgleichen ganz sch?n. Oder nicht? Z?gere du noch ein wenig. Ich m?chte dir sogar anraten, ein wenig schlendrianisch, vergesslich und gedankentr?ge zu werden. Denn siehst du, das, was man Untugenden nennt, das spielt im Dasein des Menschen eine so grosse Rolle, das ist so wichtig, fast m?chte ich sagen, notwendig. Wenn Untugenden und Fehler nicht w?ren, es w?rde der Welt an W?rme, Reiz und Reichtum fehlen. Die H?lfte der Welt, und vielleicht die im Grunde sch?nere, w?rde mit den L?ssigkeiten und Schw?chen dahinsterben. Nein, sei du tr?ge. Nun, nun, versteh' mich bitte recht, sei so, wie du bist und hier wurdest, aber spiele, bitte, ein wenig den Saumseligen. Willst du? Sagst du ja? Mich w?rde es freuen, dich ein wenig den Tr?umereien verfallen zu sehen. H?nge den Kopf, sei voll Gedanken, blicke betr?bt, nicht wahr? Denn du bist mir fast ein wenig zu voll von Willen, zu voll von Charakter. Und stolz bist du, Jakob! Was denkst du dir eigentlich? Meinst du, in der offenen Welt Grosses erreichen, erringen zu k?nnen? Zu m?ssen? Hast du ernstliche Absichten auf etwas Bedeutungsvolles? Fast machst du mir -- leider -- diesen etwas gewaltsamen Eindruck. Oder dann willst du vielleicht, vielleicht wie zum Trotz, ganz klein bleiben? Auch das mute ich dir zu. Du bist ein bisschen zu festlich, zu heftig, zu triumphatorisch aufgelegt. Doch das alles ist ja so gleichg?ltig, du bleibst noch, Jakob. Dir gebe ich keine Stelle, dir verschaffe ich noch lange nichts derartiges. Weisst du, mich verlangt, dich noch zu haben. Kaum besitze ich dich Burschen, so willst du fortrennen? Das gibt es nicht. Langweile dich hier im Institut so gut als du eben kannst. O, kleiner Welteroberer, in der Welt, draussen in der Welt erst, im Beruf, im Streben, im Erringen, da, da werden dir Meere von Langeweile, ?de und Vereinsamung entgegeng?hnen. Bleib' du hier. Sehne du dich noch ein Weilchen. Du glaubst ja gar nicht, welch eine Seligkeit, welch eine Gr?sse im Sehnen, also im Warten, liegt. Also warte. Lass es dich immerhin innerlich dr?ngen. Aber nicht zu sehr. H?re, mich w?rde dein Weggehen schmerzen, es w?rde mir eine Wunde, eine ganz unheilbare, beibringen, es w?rde mich fast t?ten. T?ten? Ich muss dich bitten, mich auszulachen, aber fest. Lach' mich ganz unversch?mt aus, Jakob. Ich erlaube es dir. Doch, sage du, was habe jetzt eigentlich ich dir zuk?nftig noch zu gestatten und zu verbieten? Ich, der ich dich soeben davon ?berzeugt habe, dass ich fast, fast abh?ngig von dir bin? Mich schaudert's, mich emp?rt und begl?ckt es zu gleicher Zeit, Jakob, was ich da angestellt habe. Doch ich liebe zum erstenmal einen Menschen. Doch das fassest du nicht. Geh'. Marsch. Mach' dass du hinauskommst. Ungezogener, wisse, dass ich noch strafen kann. F?rchte dich.<< -- Nun, da hatte ich es, er war eben mit einmal wieder w?tend geworden. Rasch verschwand ich aus seinen finster mich durchbohrenden Augen. Das sind Augen, das! Die des Herrn Vorstehers. Ich muss hier bemerken, dass ich im Verduften aus einem Lokal eine unglaubliche Fertigkeit besitze. Ich bin f?rmlich zum Kontor hinausgeflogen, nein, hinausgepfiffen, wie Wind pfeift, als der Herr mir sagte: >>F?rchte dich.<< O ja, man muss sich schon zuweilen vor ihm f?rchten. Ich w?rde es unanst?ndig finden, wenn ich keine Furcht kennte, denn dann h?tte ich ja auch gar keinen Mut, der doch nichts anderes ist als das Furcht?berwindende. Wieder horchte ich draussen im Korridor am Schl?sselloch, und wieder blieb es ganz still. Ich streckte sogar ganz l?ppisch und echt z?glinghaft die Zunge heraus, und dann musste ich lachen. Ich glaube, ich habe noch nie so gelacht. Nat?rlich ganz leise. Es war das denkbar echteste unterdr?ckte Gel?chter. Wenn ich so lache, nun, dann steht nichts mehr ?ber mir. Dann bin ich etwas an Umfassen und Beherrschen nicht zu ?berbietendes. Ich bin in solchen Momenten einfach gross.
Ja, so ist es: noch bin ich im Institut Benjamenta, noch habe ich die hier geltenden Satzungen zu f?rchten, noch wird Unterricht erteilt, Fragen werden gestellt und beantwortet, noch fliegen wir alle auf Kommando, noch immer klopft morgens fr?h Kraus mit seinem ?rgerlichen >>Steh' auf, Jakob<< und mit seinem zornig gebogenen Finger an meine Kammert?re, noch sagen wir Z?glinge: >>Guten Tag, Fr?ulein,<< wenn sie erscheint, und: >>Gute Nacht<<, wenn sie abends sich zur?ckzieht. Wir stecken noch immer in den eisernen Klauen der zahlreichen Vorschriften und ergehen uns immer noch in lehrhaften, eint?nigen Wiederholungen. Ich bin ?brigens jetzt endlich in den wirklichen innern Gem?chern gewesen, und ich muss sagen, es existieren gar keine. Zwei Zimmer sind da, aber diese beiden R?ume sehen nach nichts Gemachartigem aus. Sie sind m?bliert wie die Sparsamkeit und Gew?hnlichkeit selber, und sie enthalten durchaus nichts Geheimnisvolles. Seltsam. Wie bin ich nur auf die wahnsinnige Idee gekommen, dass Benjamentas in Gem?chern wohnen? Oder tr?umte ich, und habe ich jetzt ausgetr?umt? Es sind allerdings Goldfische da, und Kraus und ich m?ssen das Bassin, in welchem diese Tiere schwimmen und leben, regelm?ssig entleeren, s?ubern und mit frischem Wasser auff?llen. Ist das aber etwas nur entfernt Zauberhaftes? Goldfische k?nnen in jeder preussischen mittleren Beamtenfamilie vorkommen, und an Beamtenfamilien klebt nichts Unverst?ndliches und Absonderliches. Wunderbar! Und ich habe so felsenfest an die innern Gem?cher geglaubt. Ich dachte, es m?sse da hinter der T?re, durch welche das Fr?ulein stets aus- und eingeht, von schlossartigen Zimmern und Gelassen wimmeln. Zierlich gewundene Wendeltreppen und breite steinerne, teppichbelegte andere Treppen sah ich im Geist hinter der einfachen T?re. Auch eine uralte Bibliothek war vorhanden, und Korridore, lange heitere, mattenbedeckte Korridore zogen sich in meiner Phantasie von einem Ende des >>Geb?udes<< zum andern. Ich kann mit all meinen Ideen und Dummheiten bald eine Aktiengesellschaft zur Verbreitung von sch?nen, aber unzuverl?ssigen Einbildungen gr?nden. Kapital, scheint mir, ist genug da, an Fonds wird es nicht fehlen, und Abnehmer solcher Papiere kommen ?berall vor, wo der Gedanke und Glaube ans Sch?ne noch nicht ganz ausgestorben ist. Was stellte ich mir nicht alles vor. Einen Park nat?rlich. Ohne Park kann ich doch gar nicht existieren. Ebenso eine Kapelle, aber merkw?rdigerweise keine romantisch-ruinenhafte, sondern eine sauber renovierte, ein kleines protestantisches Gotteshaus. Der Pfarrer sass am Fr?hst?ckstisch. Und was noch alles. Man dinierte, man veranstaltete Jagden. Man tanzte abends im Rittersaal, an dessen hohen dunkelh?lzernen W?nden die Bilder der Ahnen des Geschlechtes hingen. Was f?r eines Geschlechtes? Ich stammle das, denn in der Tat, ich kann es nicht sagen. Nun, ich bereue tief, derart getr?umt und gedichtet zu haben. Schnee fliegen sah ich auch, n?mlich in den Schlosshof. Es waren nasse, grosse Schneeflocken, und es war morgens fr?h, immer war es dunkle, winterliche Fr?he. Ach, und etwas ganz Sch?nes, eine Halle, ja, eine Halle sah ich. Reizend! Drei edle vornehme Greisinnen sassen beim kichernden, knisternden Kaminfeuer. Sie h?kelten. Welch eine Phantasie, nicht weiter zu sehen als bis dort, wo gestrickt und geh?kelt wird. Aber mich berauschte eben gerade das. Wenn ich Feinde h?tte, w?rden sie sagen, das sei krankhaft, und sie w?rden Grund zu haben glauben, mich zu verabscheuen samt der lieben traulichen H?kelei. Dann gab es wieder ein wunderbares Nachtessen, wobei Kerzen von silbernen Leuchtern herabstrahlten. Die Tafelfreude glitzerte, blendete und plauderte. Ich stellte mir das wahrhaft sch?n vor. Und Frauen, was f?r Frauen. Die eine sah einer veritablen Prinzessin ?hnlich, und sie war es auch. Ein Engl?nder war auch da. Wie die weiblichen Kleider rauschten, wie die Br?ste, die nackten, auf und nieder wogten! Das Esszimmer war von Parf?ms wie von schlangenhaften Linien durchzogen. Die Pracht vereinigte sich mit der Sittsamkeit, der gute Ton mit dem Genuss, die Freude mit der Feinheit, und an der Eleganz hing der Adel der Geburt. Dann schwamm das wieder, und es kam anderes, Neues. Ja, die inneren Gem?cher, sie lebten, und jetzt sind sie mir quasi gestohlen worden. Die karge Wirklichkeit: was ist sie doch manchmal f?r ein Gauner. Sie stiehlt Dinge, mit denen sie nachher nichts anzufangen weiss. Es macht ihr eben einmal, wie es scheint, Spass, Wehmut zu verbreiten. Wehmut ist mir allerdings wieder sehr lieb, sch?tzens-, sehr sch?tzenswert. Sie bildet.
Heinrich und Schilinski sind ausgetreten. Hand gesch?ttelt und adieu gesagt. Und fort. Sehr wahrscheinlich auf Niewiedersehen. Wie kurz die Abschiede sind. Man will etwas sagen, hat aber gerade das Passende vergessen, und so sagt man nichts oder irgend eine Dummheit. Abschiednehmen und -geben ist greulich. In solchen Momenten r?ttelt es am Menschenleben, und man f?hlt lebhaft, wie nichts man ist. Rasche Abschiede sind unliebevoll, und lange sind unertr?glich. Was tut man? Nun, man sagt dann eben etwas Einf?ltiges. -- Fr?ulein Benjamenta sagte mir etwas sehr Sonderbares. >>Jakob,<< sagte sie, >>ich sterbe. Erschrick nicht. Lass mich zu dir ganz ruhig reden. Sag', warum bist du nur so mein Vertrauter geworden? Ich habe dich gleich von Anfang an, als du hier eintratest, f?r nett gehalten, f?r zart. Bitte, mach' keine falsch-aufrichtigen Einwendungen. Du bist eitel. Bist du eitel? H?re, ja, es geht zu Ende mit mir. Kannst du schweigen? Du musst n?mlich schweigen ?ber das, was du jetzt erf?hrst. Vor allen Dingen darf dein Herr Vorsteher, mein Bruder, nichts wissen, pr?ge dir das fest ein. Doch ich bin vollkommen ruhig, und du bist es auch, ich sehe es, und du wirst Wort halten und deinen Mund halten k?nnen, ich weiss es. Es nagt an mir, und ich sinke in etwas hinein, und ich weiss, was das ist. Das ist so traurig, mein lieber junger Freund, so traurig. Ich mute dir St?rke zu, nicht wahr, Jakob? Aber ich weiss es ja grad, dass du stark bist. Du hast Herz. Kraus w?rde mich nicht zu Ende anh?ren k?nnen. Ich finde es so h?bsch, dass du nicht weinst. O es w?rde mich widerlich ber?hren, wenn jetzt schon, jetzt schon deine Augen feucht w?rden. Das alles hat noch Zeit. Und du horchst so sch?n. Du h?rst meine elende Geschichte an wie etwas Kleines, Feines und Gew?hnliches, wie etwas, das einfach nur Aufmerksamkeit heischt, weiter nichts, und so horchst du. Du kannst dich ganz riesig gut benehmen, wenn du dir recht M?he gibst. Freilich, hochm?tig bist du ja, das kennen wir, nicht wahr? Still, keinen Ton jetzt. Ja, Jakob, der Tod steht dicht hinter mir. Sieh', so, wie ich jetzt dich anatme, so atmet er mir von hinten seinen kalten scheusslichen Atem an, und ich sinke, sinke vor diesem Atem. Die Brust presst es mir ab. Habe ich dich traurig gemacht? Sprich. Ist das traurig f?r dich? Ein wenig, nicht wahr. Doch du musst das alles jetzt noch vergessen, hast du geh?rt? Vergessen! Ich komme wieder zu dir, so wie heute, und dann sage ich dir, wie es mir geht. Nicht wahr, du wirst es zu vergessen suchen. Doch komm' her. Lass mich dir die Stirne ber?hren. Du bist brav.<< -- Sie zog mich ganz leicht an sich und dr?ckte mir so etwas wie Hauch auf die Stirne. Von Ber?hren, wie sie sagte, war gar keine Rede. Dann entfernte sie sich still und ?berliess mich meinen Gedanken. Gedanken? I wo. Ich dachte wieder einmal daran, dass mir Geld mangle. Das war mein Gedanke. So bin ich, so roh und so gedankenlos. Und dann ist die Sache ja die: herzliche Ersch?tterungen senken etwas wie Eisesk?lte in meine Seele hinein. Unmittelbar zur Trauer veranlasst, entschl?pft mir die Trauer-Empfindung vollst?ndig. Ich l?ge nicht gern. ?berhaupt mir gegen?ber l?gen: was h?tte das f?r einen Sinn? Ich l?ge wo anders, aber nicht hier, vor mir selber. Nein, weiss der Kuckuck, da lebe ich, und Fr?ulein Benjamenta sagt so etwas Entsetzliches, und ich, der ich sie anbete, weiss nichts von Tr?nen? Ich bin gemein, das ist es. Doch halt. Zu sehr heruntermachen will ich mich auch nicht. Ich bin stutzig, und deshalb -- --. L?gen sind das, lauter L?gen. Ich habe das ja alles eigentlich gewusst. Gewusst? Das ist wieder eine L?ge. Es ist mir nicht m?glich, mir die Wahrheit zu sagen. Jedenfalls gehorche ich Fr?ulein und schweige ?ber diese Geschichte. Ihr gehorchen d?rfen! So lange ich ihr gehorche, ist sie am Leben. --
Angenommen, ich w?re Soldat , gemeiner Fusssoldat, und ich diente unter Napoleons Fahnen, so marschierte ich eines Tages ab nach Russland. Mit meinen Kameraden st?nde ich gut, denn das Elend, die Entbehrungen und die vielen gemeinsam begangenen rohen Taten verb?nden uns wie zu etwas zusammenh?ngend Eisernem. Grimmig w?rden wir vor uns herstarren. Ja, der Grimm, der unbewusste, stumpfe Zorn, der verb?nde uns. Und wir marschierten, immer das Gewehr umgeh?ngt. In den St?dten, durch die wir z?gen, w?rde uns eine m?ssige, schlaffe, durch den Tritt unserer F?sse entmoralisierte Menschenmenge begaffen. Aber dann w?rde es keine St?dte mehr geben, oder nur noch ganz selten, sondern unabsehbare L?nderstrecken w?rden sich vor unsern Augen und Beinen nach dem d?nnen Horizont hinschleichen. Das Land kr?che und schliche f?rmlich. Und nun w?rde der Schnee kommen und uns einschneien, aber immer w?rden wir weitermarschieren. Die Beine, das w?re jetzt alles. Stundenlang w?rde mein Blick zur nassen Erde gesenkt sein. Ich w?rde Musse haben zur Reue, zu endlosen Selbstanklagen. Doch immer w?rde ich Schritt halten, Beine hin und her werfen und vorw?rtsmarschieren. ?brigens gliche unser Marschieren jetzt mehr einem Trotten. Hin und wieder erschien in weiter, weiter Ferne ein ?ffender H?henzug, d?nn wie die Kante eines Taschenmessers, eine Art Wald. Und da w?rden wir wissen, dass jenseits dieses Waldes, an dessen Rand wir nach vielen Stunden anlangten, sich weitere endlose Ebenen ausdehnten. Von Zeit zu Zeit fielen Sch?sse. Bei diesen vereinzelten T?nen w?rden wir uns an das erinnern, was k?me, an die Schlacht, die da eines Tages geschlagen werden w?rde. Und wir marschierten. Die Offiziere w?rden mit traurigen Mienen umherreiten, Adjutanten peitschten ihre Rosse, wie gejagt von ahnungsvollem Entsetzen, am Zug vor?ber. Man w?rde an den Kaiser, an den Feldherrn denken, nur ganz dunkel, aber immerhin, man w?rde ihn sich vorstellen, und das gew?hrte Trost. Und immer weiter marschierte man. Zahllose kleine, aber furchtbare Unterbrechungen hemmten f?r kurze Zeiten den Marsch. Doch das w?rde man kaum merken, sondern marschierte weiter. Dann k?men mir die Erinnerungen, nicht deutliche, und doch ?berdeutliche. Sie w?rden mir am Herzen fressen wie Raubtiere an der willkommenen Beute, sie w?rden mich ins Heimatlich-Trauliche versetzen, an den goldenen, von zarten Nebeln bekr?nzten, rundlichen Rebh?gel. Ich w?rde Kuhglocken schallen und ans Gem?t schlagen h?ren. Ein liebkosender Himmel b?ge sich wasserfarbig und tonreich ?ber mir. Der Schmerz w?rde mich beinahe verr?ckt machen, doch ich marschierte weiter. Meine Kameraden zur linken und zur rechten Hand, der Vorder- und der Hintermann, das bedeutete alles. Das Bein w?rde arbeiten wie eine alte, aber immer noch gef?gige Maschine. Brennende D?rfer w?rden den Augen ein t?glich wiederholter, schon ganz uninteressanter Anblick sein, und ?ber Grausamkeiten unmenschlicher Art w?rde man sich nicht wundern. Da fiele eines Abends, in der immer bitterer werdenden K?lte, mein Kamerad, er k?nnte ja Tscharner heissen, zu Boden. Ich w?rde ihm aufhelfen wollen, aber: >>Liegen lassen!<< w?rde der Offizier befehlen. Und man marschierte weiter. Dann, eines Mittags, s?hen wir unsern Kaiser, sein Gesicht. Doch er w?rde l?cheln, er w?rde uns bezaubern. Ja, diesem Menschen fiele es nicht ein, seine Soldaten durch eine d?stere Miene zu entnerven und zu entmutigen. Siegesgewiss, zum voraus schon zuk?nftige Schlachten gewonnen, marschierten wir in dem Schnee weiter. Und dann, nach endlosen M?rschen, w?rde es endlich zum Schlagen kommen, und es ist m?glich, dass ich am Leben bliebe und wieder weitermarschierte. >>Jetzt geht es nach Moskau, du!<< w?rde einer in unserer Reihe sagen. Ich verzichtete aus ich weiss nicht was f?r Gr?nden darauf, ihm zu antworten. Ich w?re nur noch der kleine Bestandteil an der Maschine einer grossen Unternehmung, kein Mensch mehr. Ich w?sste nichts mehr von Eltern, nichts von Verwandten, Liedern, pers?nlichen Qualen oder Hoffnungen, nichts vom heimatlichen Sinn und Zauber mehr. Die soldatische Zucht und Geduld w?rde mich zu einem festen, undurchdringlichen, fast ganz inhaltlosen K?rper-Klumpen gemacht haben. Und so ginge es weiter, nach Moskau zu. Ich w?rde das Leben nicht verfluchen, dazu w?re es l?ngst zu fluchw?rdig geworden, kein Weh mehr empfinden, das Weh mit all seinen j?hen Zuckungen w?rde ich l?ngst ausempfunden und fertigempfunden haben. Das ungef?hr, glaube ich, hiesse Soldat unter Napoleon sein.
>>Du bist mir ein Rechter, du!<< sagte Kraus zu mir, eigentlich ganz ungerechtfertigt, >>du geh?rst zu denen, die sich, so wertlos sie sein m?gen, ?ber gute Lehren erhaben vorkommen wollen. Ich weiss es schon, schweig' nur. Du willst in mir einen sauren P?dagogen und Rechthaber erblickt haben. Geh' mir. Und was f?hlst du denn, du und deinesgleichen, Prahlhanse, was ihr seid, was ernst-sein und achtsam-sein eigentlich sagen will. Du bildest dir auf deine springerische und t?nzerische Leichtfertigkeit ganz gewiss, und mit ohne Zweifel ebenso viel Recht, nicht wahr, K?nigreiche ein? Du T?nzer, o ich durchschaue dich. Immer lachen ?ber das Richtige und Ziemliche, das kannst du, das verstehst du vortrefflich, ja, ja, darin seid ihr, du und deine Stammesbr?der, Meister. Aber gebt acht, gebt acht. Euch zuliebe sind die Ungewitter, Blitz und Donner und Schicksalsschl?ge, gewiss noch nicht abgeschafft worden. Wegen eurer Grazie, ihr K?nstler, was ihr doch seid, bieten sich dem Schaffenden, ?berhaupt Lebendigen, gewiss nicht pl?tzlich weniger Schwierigkeiten. Lerne du auswendig, das, was dir als Lektion vorschweben sollte, statt mir zeigen zu wollen, dass du auf mich herablachen kannst. Ist das ein Herrchen! Es will mir dartun, dass es sich br?sten kann, wenn es ihm passt. Lass dir sagen, dass Kraus solche armseligen Schauspielereien einfach verachtet. Mach' etwas! Man kann dir das nicht dutzendmal genug auf die hochm?tige Nase binden. Weisst du was, Jakob, Herr des Daseins: lass mich in Ruhe. Ziehe auf Eroberungen. Ich bin ?berzeugt, es fallen dir welche vor die F?sse, und du wirst sie nur aufzulesen brauchen. Alles schmeichelt euch ja, alles kommt euch entgegen, euch Besenbinder. Was? Du hast die H?nde noch in der Tasche? Zwar, ich begreife es. Wem gebratene Tauben in den Mund fliegen, warum sollte der sich noch je ?berhaupt M?he geben, so auszusehen wie einer, auf den eine Tat, eine Arbeit, eine h?ndefordernde Anstrengung hinzutreten k?nnte? Bitte, g?hne noch ein wenig. Es macht sich dann besser. So siehst du zu gefasst, zu beherrscht, zu bescheiden aus. Oder willst du mir ein paar Vorschriften erteilen? Tu's nur. Ich bin sehr gespannt. Ach, mach' dass du wegkommst. An deiner albernen Gegenwart werde ich sonst noch ganz und gar an mir selbst irre, du altes -- -- -- ich h?tte jetzt doch bald mal etwas gesagt. Verleitet einen zu s?ndhaften Ausdr?cken, der ?rgerniserreger, was er ist. Mach' dich unsichtbar oder besch?ftige dich mit etwas. Und allen Anstand verlierst du auch, ja du, vor Vorstehers. Ich hab's schon gesehen. Aber wozu rede ich mit einem Lachbenzen? Gestehe, dass du ganz nett w?rest, wenn du kein Narr w?rst. Wenn du mir das gestehst, will ich dir um den Hals fallen.<< -- >>O Kraus, liebster aller Menschen,<< sagte ich, >>du h?hnst, du spottest? Kann das Kraus? Ist das m?glich?<< -- Ich lachte hell auf und schlenderte in meine Kammer. Bald ist hier im Institut Benjamenta alles ?berhaupt nur noch ein Schlendern. Es sieht hier aus, als wenn so etwas wie >>die Tage gez?hlt<< w?ren. Aber man irrt sich. Vielleicht irrt sich auch Fr?ulein Benjamenta. Vielleicht auch Herr Vorsteher. Wir irren uns vielleicht alle.
Ich bin jetzt ein Kr?sus. Zwar, was das sch?tzenswerte Geld anbetrifft -- -- still, nicht von Geldern reden. Ich f?hre ein sonderbares Doppelleben, ein geregeltes und ein ungeregeltes, ein kontrolliertes und ein unkontrollierbares, ein einfaches und ein h?chst kompliziertes. Was will Herr Benjamenta sagen, wenn er bekennt, noch nie einen Menschen geliebt zu haben? Was hat es zu bedeuten, dass er mir, seinem Eleven und Sklaven, das sagt? Nun ja, Eleven sind Sklaven, junge, den Zweigen und St?mmen entrissene, dem unbarmherzigen Sturmwind ?berlieferte, ?brigens schon ein wenig gelbliche Bl?tter. Ist Herr Benjamenta ein Sturmwind? Sehr wohl denkbar, denn ich habe ja schon oft Gelegenheit gehabt, das Brausen und Z?rnen und dunkle Sichentladen dieses Sturmwindes zu sp?ren. Und dann ist er ja so allm?chtig, und ich Z?gling, wie winzig bin ich. Still, nicht von Allmacht reden. Man irrt sich stets, wenn man grosse Worte in den Mund nimmt. Herr Benjamenta ist der Ersch?tterung und Schw?che so f?hig, so sehr f?hig, dass es beinahe zum Lachen, vielleicht sogar zum Grinsen ist. Ich glaube, alles, alles ist schwach, alles muss wie W?rmer zittern. Nun ja, und diese Erleuchtung, diese Gewissheit macht mich zum Kr?sus, d. h. zum Kraus. Kraus liebt und hasst nichts, daher ist er ein Kr?sus, es grenzt etwas in ihm ans Unanfechtbare. Wie ein Felsen ist er, und das Leben, die st?rmische Welle, zerspritzt sich an seinen Tugenden. Seine Natur, sein Wesen ist ganz voll behangen von Tugenden. Man kann ihn kaum lieben, von hassen schon gar keine Rede. Das H?bsche, Anziehende mag man gern, und daher ist auch das Sch?ne und H?bsche der Gefahr des Gefressenwerdens oder Missbrauchtwerdens in so hohem Masse ausgesetzt. An Kraus heran wagen sich keine verzehrenden, fressenden Lebens-Z?rtlichkeiten. Wie verloren eigentlich, aber doch, wie fest, wie unnahbar steht er da. Wie ein Halbgott. Doch das versteht niemand, und auch ich -- -- -- manchmal rede und denke ich geradezu ?ber den eigenen Verstand. Ich h?tte daher vielleicht Pfarrer, Anf?hrer einer religi?sen Sekte oder Str?mung werden sollen. Nun, das kann ich ja noch. Ich kann noch alles M?gliche aus mir machen. Aber Benjamenta? -- Ich weiss es genau, er wird mir jetzt bald einmal seine Lebensgeschichte erz?hlen. Es wird ihn dr?ngen zu Offenheiten, zu Erz?hlungen. Sehr wahrscheinlich. Und merkw?rdig: manchmal ist mir, als wenn ich mich von diesem Mann, diesem Riesen, nie trennen sollte, nie mehr, als ob wir beide in Eines verschmolzen w?ren. Aber man irrt sich ja immer. Gefasst, einigermassen gefasst sein, das will ich. Auch nicht zu sehr, nein. Zu sehr gefasst sein hiesse zu frech sein. Wozu Bedeutsames im Leben gew?rtigen? Muss das sein? Ich bin ja etwas so Kleines. Daran, daran halte ich ungebunden fest, daran, dass ich klein, klein und nichtsw?rdig bin. Und Fr?ulein Benjamenta? Wird sie wirklich sterben? An das wage ich nicht zu denken, und ich darf auch nicht. Ein h?heres Empfinden verbietet es mir. Nein, ich bin kein Kr?sus. Und was das Doppelleben betrifft, so f?hrt jedermann eigentlich ein solches. Wozu sich da br?sten? Ach, all diese Gedanken, all dieses sonderbare Sehnen, dieses Suchen, dieses H?nde-Ausstrecken nach einer Bedeutung. Mag es tr?umen, mag es schlafen. Ich lasse es einfach nun kommen. Mag es kommen.
Ich schreibe in fliegender Hast. Ich bebe am ganzen K?rper. Es flackert vor meinen Augen wie auf und ab tanzende Irrlichter. Etwas Furchtbares ist geschehen, scheint geschehen, kaum bin ich meiner selber und dessen bewusst, was vorfiel. Herr Benjamenta hat einen Anfall gehabt und hat mich -- erw?rgen wollen. Ist das wahr? O weh, alle meine Gedankenkr?fte schwinden, und ich kann mir nicht sagen, ob alles das wahr ist, was da vorging. Aber ich merke an der Zerr?ttung, die mich beherrscht, dass es wahr ist. Der Vorsteher kam in eine unbeschreibliche Wut hinein. Er glich einem Simson, jenem Mann aus der Geschichte Pal?stinas, der an den S?ulen eines hohen, menschenerf?llten Hauses r?ttelte, bis der festliche, l?sterne Palast, bis der steinerne Triumph, bis die Bosheit zusammenst?rzte. Zwar hier, d. h. vor kaum einer Stunde, war ja durchaus keine Bosheit, keine Niedertracht umzuwerfen, und S?ulen und Pfeiler gab es ebenfalls keine, aber es sah doch so aus, genau so, und ich geriet in eine nie vorher gekannte, hasenartige, schreckliche Angst hinein. Ja, ein Hase war ich, und in der Tat, ich hatte auch Ursache zur hasenartigen Flucht, sonst w?re es mir sicher elend ergangen. Ich entschl?pfte mit, ich kann es nicht anders sagen, wunderbarer Behendigkeit seinen zusammenschn?renden F?usten, und ich glaube, ich habe ihn, den grossen Herrn Benjamenta, den Riesen Goliath, sogar in den Finger gebissen. Vielleicht rettete der rasche, energische Biss mir das Leben, denn es ist leicht m?glich, dass der Schmerz, den die Wunde ihm beibrachte, ihn pl?tzlich wieder an Art und Weise, an Vernunft und Menschlichkeit erinnerte, derart, dass ich einer groben Verletzung des z?glinghaften Anstandes m?glicherweise das Leben zu verdanken habe. Gewiss, die Gefahr, erdr?ckt zu werden, lag nahe, aber, wie ist das alles gekommen, wie war das alles m?glich? Gleich einem Rasenden hat er sich auf mich gest?rzt. Geworfen hat er sich mit seinem m?chtigen K?rper auf mich wie ein dunkles St?ck verr?ckt gewordenen J?hzornes; wie eine Meerwelle kam es auf mich zu, um mich zu zerschmettern an den harten Wasserw?nden. Ich fable da von Wasser. Das ist Unsinn, gewiss, aber ich bin eben noch ganz benommen, ganz verwirrt und ersch?ttert. >>Was machen Sie da, verehrter, lieber Herr Vorsteher? He?<< schrie ich aus und rannte wie besessen zur Bureaut?re hinaus. Und da horchte ich wieder. So wie ich mit heiler Haut im Korridor stand, schob ich, allerdings zitternd mit all meinen Gliedern, mein Ohr ans Schl?sselloch und horchte. Da h?rte ich's leise lachen. Ich st?rzte hierher an den Schultisch, und hier bin ich, und ich weiss nicht, ob ich das getr?umt, oder ob ich das tats?chlich erlebt habe. Nein, nein, es ist, es ist Tatsache. Wenn doch nur Kraus k?me. Mir ist doch ein wenig bange. Wie nett w?re es, wenn der gute Kraus k?me und mir wieder ein wenig, wie schon so oft, die Leviten l?se. Ich m?chte ein wenig ausgeschimpft, abgekanzelt, verknurrt und verdonnert werden, das w?rde mir unsagbar wohltun. Bin ich ein Kind? --
Ich war eigentlich nie Kind, und deshalb, glaube ich zuversichtlich, wird an mir immer etwas Kindheitliches haften bleiben. Ich bin nur so gewachsen, ?lter geworden, aber das Wesen blieb. Ich finde an dummen Streichen noch ebenso viel Geschmack wie vor Jahren, aber das ist es ja, ich habe eigentlich nie dumme Streiche gemacht. Meinem Bruder habe ich ganz fr?h einmal ein Loch in den Kopf geschlagen. Das war ein Geschehnis, kein dummer Streich. Gewiss, Dummheiten und Jungenhaftigkeiten gab es die Menge, aber der Gedanke interessierte mich immer mehr als die Sache selber. Ich habe fr?h begonnen, ?berall, selbst in den dummen Streichen, Tiefes herauszuempfinden. Ich entwickle mich nicht. Das ist ja nun so eine Behauptung. Vielleicht werde ich nie ?ste und Zweige ausbreiten. Eines Tages wird von meinem Wesen und Beginnen irgend ein Duft ausgehen, ich werde Bl?te sein und ein wenig, wie zu meinem eigenen Vergn?gen, duften, und dann werde ich den Kopf, den Kraus einen dummen, hochm?tigen Trotzkopf nennt, neigen. Die Arme und Beine werden mir seltsam erschlaffen, der Geist, der Stolz, der Charakter, alles, alles wird brechen und welken, und ich werde tot sein, nicht wirklich tot, nur so auf eine gewisse Art tot, und dann werde ich vielleicht sechzig Jahre so dahinleben und -sterben. Ich werde alt werden. Doch ich habe kein Bangen vor mir. Ich fl?sse mir durchaus keine Angst ein. Ich respektiere ja mein Ich gar nicht, ich sehe es bloss, und es l?sst mich ganz kalt. O in W?rme kommen! Wie herrlich! Ich werde immer wieder in W?rme kommen k?nnen, denn mich wird niemals etwas Pers?nliches, Selbstisches am Warmwerden, am Entflammen und am Teilnehmen verhindern. Wie gl?cklich bin ich, dass ich in mir nichts Achtens-und Sehenswertes zu erblicken vermag. Klein sein und bleiben. Und h?be und tr?ge mich eine Hand, ein Umstand, eine Welle bis hinauf, wo Macht und Einfluss gebieten, ich w?rde die Verh?ltnisse, die mich bevorzugten, zerschlagen, und mich selber w?rde ich hinabwerfen ins niedrige, nichtssagende Dunkel. Ich kann nur in den untern Regionen atmen.
Ich gehe durchaus mit den Vorschriften, die hier -- immer noch -- gelten, einig, wenn sie befehlen, dass die Augen des Z?glings und Lebenslehrlings gl?nzen m?ssen vor Munterkeit und gutem Willen. Ja, Augen m?ssen Festigkeit der Seele ausstrahlen. Ich verachte Tr?nen, und doch habe ich geweint. Allerdings mehr innerlich, aber das ist vielleicht gerade das Schauderhafteste. Fr?ulein Benjamenta sagte zu mir: >>Jakob, ich sterbe, weil ich keine Liebe gefunden habe. Das Herz, das kein W?rdiger zu besitzen, zu verwunden begehrt hat, es stirbt jetzt. Ich sage dir adieu, Jakob, schon jetzt. Ihr Knaben, Kraus, du und die andern, ihr werdet dann ein Lied singen am Bett, in dem ich liegen werde. Klagen werdet ihr, leise klagen. Und jeder von euch, ich weiss es, wird eine frische, vielleicht gar vom Naturtau noch feuchte Blume auf das Laken legen. Lass mich dich, junges Menschenherz, ganz ins geschwisterliche, ins l?chelnde Vertrauen ziehen. Ja, dir, Jakob, etwas anzuvertrauen, das ist so nat?rlich, denn man meint, du, der du so aussiehst wie jetzt, du m?sstest f?r alles und jedes, selbst f?r das Unsagbare und Unh?rbare, ein Ohr, eine horchende Brust, ein Auge, eine Seele und ein mitleidendes, mitempfindendes Verst?ndnis haben. Ich gehe am Unverst?ndnis derjenigen, die mich h?tten sehen und fassen sollen, am Wahn der Vorsichtigen und Klugen, und an der Lieblosigkeit des Zauderns und des Nicht-recht-m?gens zugrunde. Man glaubte mich eines Tages zu lieben, und mich zu haben zu w?nschen, doch man zauderte, man liess mich stehen, und auch ich zauderte, aber ich bin ja ein M?dchen, ich musste zaudern, ich durfte und sollte es. Ah, wie hat mich die Untreue betrogen, wie haben mich Leerheit und F?hllosigkeit eines Herzens gepeinigt, an das ich glaubte, weil ich glaubte, es sei voll von echten, dr?ngenden Gef?hlen. Etwas, das ?berlegen und unterscheiden kann, ist kein Gef?hl. Ich spreche zu dir von dem Mann, an den anmutige s?sse Tr?ume mich glauben, unbedenklich glauben hiessen. Ich kann dir nicht alles sagen. Lass mich lieber schweigen. O das Vernichtende, das mich t?tet, Jakob. Die Trostlosigkeiten alle, die mich brechen! -- Doch genug. Sage, hast du mich lieb, wie junge Br?der Schwestern lieb haben? Schon gut. Jakob, nicht wahr, es ist alles ganz gut, so wie es ist? Nein, nicht wahr, wir beide, wir wollen nicht grollen, nicht zweifeln? Und nicht wahr, nie wieder irgend etwas zu begehren haben, ist sch?n? Oder nicht? Ja, ja doch. Das ist sch?n. Komm' und lass mich dich k?ssen, ein einziges unschuldiges Mal. Sei weich. Ich weiss, du weinst nicht gern, aber jetzt lass uns ein wenig zusammen weinen. Und ganz still jetzt, ganz still.<< Sie f?gte nichts mehr hinzu. Es war, als wenn sie vieles noch h?tte sagen wollen, doch als wenn sie f?r ihre Empfindungen keine Worte mehr f?nde. Draussen im Hof schneite es in nassen grossen Flocken. Das erinnerte mich an den Schlosshof, an die innern Gem?cher, wo es ebenfalls in nassen grossen Flocken geschneit hatte. Die innern Gem?cher! Und ich dachte mir immer, Fr?ulein Benjamenta sei die Herrin dieser innern Gem?cher. Ich habe sie mir immer als zarte Prinzessin gedacht. Und jetzt? Fr?ulein Benjamenta ist ein leidender feiner weiblicher Mensch. Keine Prinzessin. Sie wird also eines Tages da drinnen im Bett liegen. Der Mund wird starr sein, und um die leblose Stirne werden sich die Haare tr?gerisch kr?useln. Doch wozu sich das ausmalen? Jetzt gehe ich zum Vorsteher. Er hat mir sagen lassen, ich solle zu ihm kommen. Auf der einen Seite eine M?dchenklage und -leiche, auf der andern Seite ihr Bruder, der noch gar nicht gelebt zu haben scheint. Ja, Benjamenta kommt mir wie ein ausgehungerter, eingesperrter Tiger vor. Und wie? Ich, ich begebe mich in den g?hnenden Rachen hinein? Nur hinein! Mag er seinen Mut k?hlen an einem wehrlosen Z?gling. Ich stehe ihm zur Verf?gung. Ich f?rchte ihn, und zugleich ist etwas in mir, das ihn auslacht. Ausserdem ist er mir ja noch die Erz?hlung seiner Lebensgeschichte schuldig. Er hat mir das fest versprochen, und ich werde ihn daran zu erinnern wissen. Ja, so kommt er mir vor: noch gar nicht gelebt hat er. Will er sich jetzt etwa an mir ausleben? Nennt er etwa gar Verbrechenaus?ben Ausleben? Das w?re dumm, sehr dumm, und gef?hrlich. Aber es zwingt mich! Ich muss zu diesem Menschen hineingehen. Eine Seelengewalt, die ich nicht verstehe, n?tigt mich, ihn immer wieder von neuem aushorchen, ausforschen zu gehen. Mag mich der Vorsteher fressen, mit andern Worten, mir Leid und Schmach antun. Jedenfalls bin ich dann an etwas Grossherzigem zugrunde gegangen. Hinein jetzt ins Kontor. Die arme Lehrerin! --
Ein wenig ver?chtlich, muss ich sagen, sonst aber ganz zutraulich , klopfte mir der Vorsteher mit der Hand auf die Schulter und lachte mich mit seinem breiten aber wohlgeformten Mund an. Die Z?hne kamen dabei zum Vorschein. >>Herr Vorsteher,<< sagte ich unglaublich zornig, >>ich muss bitten, mich mit etwas weniger kr?nkender Freundlichkeit zu behandeln. Noch bin ich Ihr Z?gling. Im ?brigen verzichte ich, und das nicht ausdr?cklich genug, auf Gnaden. Seien Sie einem Lumpen gegen?ber herablassend und g?tig. Mein Name ist Jakob von Gunten, und das ist ein zwar junger, aber trotzdem seiner W?rde bewusster Mensch. Ich bin nicht zu entschuldigen, das sehe ich, aber auch nicht zu beleidigen, das verhindere ich.<< -- Und mit diesen geradezu l?cherlich anmassenden Worten, mit diesen so wenig ins gegenw?rtige Zeitalter passenden Worten stiess ich die Hand des Herrn Vorstehers zur?ck. Darauf lachte Herr Benjamenta noch fr?hlicher und sagte: >>Ich muss mich einfach halten, ich muss dich anlachen, Jakob, und ich muss mich halten, dass ich dich nicht k?sse, du prachtvoller Bursche.<< -- Ich rief aus: >>Mich k?ssen? Sind Sie verr?ckt geworden, Herr Vorsteher? Ich will nicht hoffen.<< -- Ich staunte selber ?ber die Ungeniertheit, mit der ich das sagte, und ich trat, wie um einem Hieb auszuweichen, unwillk?rlich einen Schritt zur?ck. Herr Benjamenta aber, die G?te und Schonung selber, sagte mit vor seltsamer Genugtuung bebenden Lippen: >>Junge, Knabe, du bist k?stlich. Mit dir zusammen in W?sten oder auf Eisbergen im n?rdlichen Meere zu leben, das w?rde mich locken. Komm' her. Ei, der Teufel, f?rchte dich doch, bitte, nicht vor mir. Nichts tu' ich dir. Was k?nnte, was verm?chte ich dir denn anzutun? Dich wertvoll und selten empfinden, sieh, das muss ich, das tu' ich, aber davor brauchst du doch keine Angst zu haben. Im ?brigen, Jakob, und jetzt ganz ernsthaft gesagt, h?re: Willst du ganz, ganz bei mir bleiben? Du verstehst das nicht recht, also lass dir das ruhig auseinandersetzen. Hier geht es zu Ende, verstehst du das?<< -- Ich platzte dumm heraus mit den Worten: >>Ah, Herr Vorsteher, meine Ahnungen!<< -- Er lachte von neuem und sprach: >>Sieh da, geahnt hast du es schon, dass das Institut Benjamenta gleichsam heute noch lebt und morgen nicht mehr. Ja, so kann man sagen. Du bist der letzte Sch?ler gewesen. Ich nehme keine Z?glinge mehr an. Blick' mich an. Mich freut es so m?chtig, verstehst du, dass ich dich, den jungen Jakob, noch habe kennen lernen d?rfen, einen so rechtgearteten Menschen, bevor ich hier zuschliesse f?r immer. Und nun frage ich dich, Schelm, der du mich mit so eigenartigen fr?hlichen Ketten fesselst, willst du mit mir gehen, wollen wir zusammenbleiben, zusammen irgend etwas anfangen, etwas unternehmen, wagen, schaffen, wollen wir beide, du der Kleine, ich der Grosse, zusammen versuchen, wie wir das Leben bestehen? Bitte, antworte sogleich.<< -- Ich erwiderte: >>Meiner Ansicht nach hat die Beantwortung dieser Frage noch Zeit, Herr Vorsteher. Aber was Sie sagen, interessiert mich, und ich werde mir die Sache, etwa bis morgen, ?berlegen. Doch glaube ich, dass ich mit ja antworten werde.<< -- Herr Benjamenta konnte sich, wie es schien, nicht enthalten, zu sagen: >>Du bist entz?ckend.<< -- Nach einer Pause nahm er das Wort wieder und sagte: >>Denn schau', mit dir liesse sich so etwas wie eine Gefahr, wie ein k?hnes, abenteuerliches, entdeckerisches Unternehmen bestehen. Aber es kann ruhig auch irgend etwas Feines und Sittsames sein, das wir machen k?nnen. Du bist von beiderlei Blut, von zartem und unerschrockenem. Mit dir vereint wagt man entweder etwas Mutiges oder etwas sehr Delikates.<< -- >>Herr Vorsteher,<< sagte ich, >>schmeicheln Sie mir nicht, das ist garstig und erregt Verdacht. Und dann halt! Wo ist die Geschichte Ihrer Vergangenheit, die Sie mir zu erz?hlen versprochen haben, wie Sie sich wohl noch erinnern werden?<< -- In diesem Augenblick riss jemand die T?re auf. Kraus, er war es, st?rzte atemlos, ganz blass im Gesicht, und unf?hig, die Meldung, die er offenbar auf den Lippen hatte, vorzutragen, ins Zimmer herein. Er machte nur eine hastige Geste, wir sollten kommen. Wir alle drei traten in die dunkelnde Schulstube. Was wir hier sahen, machte uns erstarren.
Am Boden lag das entseelte Fr?ulein. Der Vorsteher ergriff ihre Hand, liess sie aber, wie von Schlangen gebissen, fahren und schauderte, von Entsetzen gepackt, zur?ck. Dann kam er wieder in die N?he der Toten, schaute sie an, entfernte sich wieder, um gleich wieder heranzutreten. Kraus kniete zu ihren F?ssen. Ich hielt den Kopf der Lehrerin in beiden H?nden, damit er den harten Boden nicht zu ber?hren brauchte. Die Augen standen noch offen, nicht sehr weit, sondern gleichsam blinzelnd. Herr Benjamenta schloss sie. Auch er kniete am Boden. Wir alle drei sprachen kein Wort, aber wir waren nicht in >>tiefe Gedanken versunken<<. Wenigstens ich konnte an nichts Ausgepr?gtes denken. Aber ich war ganz ruhig. Ich kam mir sogar, so eitel das auch klingt, gut und sch?n vor. Ich h?rte von irgend woher ein ganz d?nnes Geriesel von Melodien. Linien und Strahlen bogen sich vor meinen Augen hin und her. >>Ergreift sie,<< sagte leise Herr Vorsteher, >>kommt. Tragt sie ins Wohnzimmer. Sachte, sachte, o sachte anfassen. Sorgsam, Kraus. Um Gotteswillen, nicht so rauh. Jakob, gib acht, ja? Nicht irgendwo anstossen. Ich will euch helfen. Ganz langsam vorw?rts. So. Und einer strecke die Hand aus und ?ffne die T?re. So, so. Es geht. Nur sorgf?ltig.<< -- Er sprach meiner Ansicht nach ?berfl?ssige Worte. Wir trugen Fr?ulein Lisa Benjamenta aufs Bett, dessen Decke der Vorsteher rasch wegriss, und nun lag sie da, wie sie es mir zum voraus gleichsam angek?ndigt hatte. Und dann kamen die Schulkameraden, und alle sahen es, und dann standen wir alle so da, am Bett. Herr Vorsteher gab uns einen verst?ndlichen Wink, und wir Eleven und Knaben fingen an, im Chor ged?mpft zu singen. Das war die Klage, die das M?dchen gew?nscht hatte zu vernehmen, wenn sie auf dem Lager l?ge. Und jetzt, so bildete ich es mir ein, vernahm sie den leisen Gesang. Es war uns, glaube ich, allen, als w?re es Unterrichtsstunde, und wir s?ngen auf Befehl der Lehrerin, der wir immer so rasch gehorchten. Als das Lied zu Ende gesungen war, trat Kraus aus dem Halbkreis, den wir gebildet hatten, vor und sprach, ein wenig langsam, aber um so eindringlicher, folgendes: >>Schlafe, ruhe s?ss, verehrtes Fr?ulein. Entwunden bist du den Schwierigkeiten, entfesselt vom Bangen, befreit von den Sorgen und Schicksalen der Erde. Wir haben dir am Bett gesungen, Verehrte, wie du es befahlst. Sind wir, deine Z?glinge, nun verlassen? So scheint es, so ist es. Doch du, Fr?hgestorbene, wirst unsern Ged?chtnissen nie, nie entschwinden. Du wirst am Leben bleiben in unsern Herzen. Wir, deine Knaben, die du gemeistert und beherrscht hast, wir werden uns im flatterhaften und m?hevollen Leben, Gewinn und Unterkommen suchend, zerstreuen, so, dass vielleicht alle alle nie wieder finden und sehen. Aber wir alle werden an dich denken, Erzieherin, denn die Gedanken, die du uns eingepr?gt, die Lehren und Kenntnisse, die du in uns befestigt hast, werden uns immer an dich, die Sch?pferin des Guten, was in uns ist, erinnern. Ganz von selber. Essen wir, so wird uns die Gabel sagen, wie du w?nschtest, dass wir sie f?hren und handhaben sollen, und wir werden anst?ndig zu Tisch sitzen, und das Bewusstsein, dass wir das tun, wird uns an dich zur?ckdenken machen. In uns herrschest, gebietest, lebst, erziehst und fragst und t?nst du weiter. Irgend einer von uns Z?glingen, der es etwas weiter als der andere im Leben bringt, wird vielleicht seinen zur?ckgebliebenen ?rmeren Kameraden, wenn er ihn antrifft, nicht mehr kennen wollen. Gewiss. Doch dann denkt er unwillk?rlich ans Institut Benjamenta zur?ck und an die Herrin, und er wird sich sch?men, deine Grunds?tze so rasch und so hochm?tig verleugnet und vergessen zu haben. Und er wird dem Kameraden, dem Bruder, dem Menschen ohne alle ?berlegung die Hand zum Gruss reichen. Was lehrtest du uns, Verblichene? Du sagtest uns stets, wir sollten bescheiden und willig bleiben. Ah, das werden wir nie vergessen, so wenig wie wir die liebe Person, die es ausgesprochen hat, werden ?berwinden und vergessen k?nnen. Schlaf' wohl, du Verehrte. Tr?ume! Sch?ne Einbildungen m?gen dich fl?sternd umschweben. Die Treue, die gl?cklich ist, dir nahe zu sein, beuge ihr Knie vor dir, und die dankbare Anh?nglichkeit und das erinnerungsl?sterne, z?rtliche Nie-Vergessen-K?nnen streuen Bl?ten, Zweige, Blumen und Worte der Liebe dir um Stirne und H?nde. Wir, deine Z?glinge, wir wollen jetzt noch eines singen, und dann haben wir die Gewissheit, dass wir an deinem Totenlager, das uns das Lustlager frohen und hingebungsvollen Gedenkens sein wird, gebetet haben. So lehrtest ja du uns beten. Du sagtest: Singen sei Beten. Und du wirst uns h?ren, und wir werden uns einbilden, du l?cheltest. Uns will es die Herzen zerschneiden, dich hier liegen zu sehen, dich, deren Bewegungen uns vorgekommen sind wie dem Durstigen frisches, belebendes Quellwasser. Ja, schmerzvoll ist das. Doch wir beherrschen uns, und gewiss w?nschtest auch du das. So sind wir gefasst. So gehorchen wir dir und singen.<< -- Kraus trat vom Lager zu uns zur?ck und wir sangen noch ein Lied, das ebenso leise dahin- und daherklang wie das erste. Dann traten wir, einer hinter dem andern, ans Bett, und jeder dr?ckte einen Kuss auf die Hand des toten M?dchens. Und jeder von den Eleven sprach etwas. Hans sagte: >>Ich will es Schilinski erz?hlen. Und Heinrich muss es auch wissen.<< -- Schacht meinte: >>Lebe wohl, du warst immer so gut.<< Peter: >>Ich will deine Gebote befolgen.<< Dann traten wir in die Schulstube zur?ck, indem wir den Bruder bei der Schwester, den Vorsteher bei der Vorsteherin, den Lebendigen bei der Toten, den Einsamen bei der Einsamen, den Schmerzgebeugten bei der Vollendeten, Herrn Benjamenta bei Fr?ulein Benjamenta allein liessen.
Ich habe von Kraus Abschied nehmen m?ssen. Kraus ist gegangen. Ein Licht, eine Sonne ist geschwunden. Mir ist es, als wenn es von jetzt ab in der Welt und Umwelt nur noch Abend sein k?nnte. Bevor eine Sonne untertaucht, wirft sie noch r?tliche Strahlen ?ber die dunkelnde Gegenwart, ?hnlich Kraus. Er hat mich, bevor er ging, rasch noch einmal ausgescholten, und der ganze veritable Kraus ist dabei noch ein letztes Mal zum leuchtenden Vorschein gekommen. >>Adieu, Jakob, bessere dich, ?ndere dich,<< sagte er zu mir, indem er mir, beinahe ?rgerlich dar?ber, dass er es tun musste, die Hand reichte. >>Ich gehe jetzt fort, in die Welt, in den Dienst. Das wirst auch du hoffentlich bald tun m?ssen. Schaden wird es dir sicher nicht. Ich w?nsche dir Hiebe auf deinen Unverstand hinauf. Man soll dich t?chtig bei den ungezogenen Ohren nehmen. Lache nur nicht noch beim Abschied. ?brigens ziemte dir das. Und wer weiss, vielleicht sind die Verh?ltnisse dieser Welt so t?richt, dass sie dich in die H?he heben. Dann kannst du in der Unversch?mtheit, im Trotz, in der ?berhebung und in der l?chelnden Tr?gheit, in Spott und allen m?glichen Sorten Unarten ruhig und frech fortfahren und sorgenlos bleiben, was du bist. Dann kannst du dich br?sten bis zum Zersprengen, mit all dem, was du dir hier im Institut Benjamenta nicht hast abgew?hnen wollen. Aber ich hoffe, dass Sorgen und M?hen dich in ihre harte, untugendenzerschmetternde Schule nehmen. Sieh', Kraus spricht hart. Und doch meine ich es vielleicht besser mit dir Bruder Lustig, als die, die dir Gl?ck in den Schoss und ins offene Maul w?nschen w?rden. Arbeite mehr, w?nsche weniger, und noch etwas: bitte vergiss mich ganz. Ich w?rde mich nur ?rgern, wenn ich d?chte, du habest f?r mich irgend einen abgelegten alten, sch?bigen, solch einen t?nzelnden Komm' ich heute nicht-komm' ich morgen-Gedanken ?brig. Nein, B?rschchen, merke dir's, Kraus braucht keinen von deinen von Guntenschen Sp?ssen.<< -- >>Liebloser, lieber Mensch,<< rief ich voller banger Abschiedsahnungen und -empfindungen aus. Und ich wollte ihn umarmen. Doch er verhinderte das auf die einfachste Art der Welt, indem er sich rasch, und f?r immer, entfernte. >>Heute noch ein Institut Benjamenta und morgen keines mehr,<< sprach ich laut zu mir selber. Ich trat zu Herrn Vorsteher herein. Es war mir, als wenn die Welt einen gl?hend-z?ndend-klaffenden Riss von einer r?umlichen M?glichkeit bis zur entgegengesetzten andern bekommen h?tte. Mit Kraus war die H?lfte des Lebens gegangen. >>Von jetzt ab ein anderes Leben!<< murmelte ich. Es ist ?brigens ganz einfach: ich war betr?bt und ein wenig best?rzt. Wozu sich in grossen Worten ergehen? Vor dem Vorsteher verneigte ich mich f?rmlicher als je, und es erschien mir schicklich, >>guten Tag, Herr Vorsteher<< zu sagen. >>Bist du toll, alter Junge?<< rief er. Er kam mir entgegen und w?rde mich umarmt haben, aber ich verhinderte das, indem ich ihm einen Schlag auf den ausgestreckten Arm versetzte. >>Kraus ist gegangen,<< sagte ich tiefernst. Wir schwiegen und begn?gten uns, uns ziemlich lange anzuschauen.
>>Ich habe,<< sagte dann Herr Benjamenta in ruhigem, m?nnlichem Ton, >>den andern allen, deinen Kameraden, heute Stellungen verschafft. Nur noch wir drei, du, ich und sie, die da drinnen auf dem Bett liegt, bleiben noch hier. Die Tote , sie wird morgen abgeholt werden. Das ist ein h?sslicher, aber notwendiger Gedanke. Heute sind wir drei noch zusammen. Und wir werden die Nacht ?ber wach bleiben. Wir beide werden reden an ihrem Lager. Und wenn ich nun so denke, wie du da eines Tages mit der Bitte, Forderung und Frage anlangtest, in die Schule aufgenommen zu werden, packt mich eine unerh?rte Lebens- und Lachlust. Ich bin ?ber Vierzig. Ist das alt? Es war alt, doch jetzt, wie du so da bist, Jakob, bedeutet es gr?nende und kr?ftig knospende Jugend, dieses Vierziger-Alter. Mit dir, du Gem?t von einem Jungen, ist frisches, ist ?berhaupt erst Leben ?ber mich und in mich hineingekommen. Ich habe hier, siehst du, hier im Bureau, schon verzweifelt, bin hier schon ganz eingetrocknet, habe mich hier geradezu begraben. Ich hasste, hasste, hasste die Welt. Unsagbar ist von mir alles dies Wesen, Bewegen und Leben gehasst und gemieden worden. Da tratest du ein, frisch, dumm, unartig, frech und bl?hend, duftend von unverdorbenen Empfindungen, und ganz nat?rlich schnauzte ich dich m?chtig an, aber ich wusste es, so wie ich dich nur sah, dass du ein Prachtbursche seiest, mir, wie es mir vorkam, vom Himmel heruntergeflogen, von einem alleswissenden Gott mir gesandt und geschenkt. Ja, dich brauchte ich gerade, und ich l?chelte immer heimlich, wenn du von Zeit zu Zeit zu mir eintratest, um mich mit deinen reizenden Frechheiten und Grobheiten, die mir wie gutgelungene Gem?lde erschienen, zu bel?stigen. O nein, zu bet?ren. Ruhig, Benjamenta, ruhig. -- Hast du es, sage mir das, nie bemerkt, dass wir Zwei Freunde waren? Doch still. Und wenn ich dann so meine W?rde vor dir bewahrte, o dann h?tte ich sie zerreissen m?gen, zerreissen in Fetzen. Wie rasend f?rmlich du dich sogar heute noch vor mir verbeugt hast! Doch h?re, wie ist es eigentlich nur mit dem Wutanfall von neulich? Habe ich dir wehtun wollen? Wollte ich mir selber einen t?dlichen Streich versetzen? Vielleicht weisst du es, Jakob? Ja? Dann, bitte, kl?re mich sofort auf. Sofort, hast du verstanden! Wie ist mir? Wie? Was sagst du?<< -- >>Ich weiss es nicht. Ich hielt Sie f?r wahnsinnig, Herr Vorsteher,<< sagte ich. Es ?berlief mich kalt angesichts der ?berstr?menden Z?rtlichkeit und Lebenslust, die aus den Augen des Mannes hervorbrachen. Wir schwiegen eine Weile. Pl?tzlich kam mir der Einfall, Herrn Benjamenta an die Geschichte seines Lebens zu erinnern. Das war sehr gut. Das konnte ihn unter Umst?nden zerstreuen, ihn von m?rderischen neuen Anf?llen abhalten. Ich war in diesem Moment fest ?berzeugt, dass ich mich in den Krallen eines halb-Verstandlosen bef?nde, und ich sagte daher rasch, indem mir der Schweiss ?ber die Stirne herabrann: >>Ja, Ihre Geschichte, Herr Vorsteher? Wie ist es damit? Wissen Sie, dass ich Andeutungen verabscheue? Sie haben mir dunkel angedeutet, dass Sie ein entthronter Herrscher seien. Nun wohlan. Bitte, dr?cken Sie sich deutlich aus. Ich bin sehr gespannt.<< -- Er kraute sich ganz verlegen hinter dem Ohr. Dann wurde er pl?tzlich geradezu b?se, kleinlich b?se, und er herrschte mich im Feldwebelston an: >>Abtreten. Mich allein lassen!<< -- Nun, ich liess mir das nicht zweimal sagen, sondern verschwand augenblicklich. Sch?mte er sich, gr?mte er sich um irgend etwas, dieser K?nig Benjamenta, dieser L?we im K?fig? Jedenfalls war ich wieder einmal recht froh, draussen im Korridor stehen und lauschen zu k?nnen. Es herrschte Totenstille. Ich ging in die Kammer, z?ndete einen Kerzenstumpf an und vertiefte mich in den Anblick des Bildes von Mama, das ich stets sorgsam aufbewahrt hatte. Sp?ter klopfte es an die T?re. Es war der Vorsteher, er war ganz schwarz angezogen. >>Komm,<< befahl er mit eiserner Strenge. Wir gingen ins Wohnzimmer, um bei der Entschlafenen zu wachen. Herr Benjamenta wies mir mit einer leichten Handbewegung meinen Platz an. Wir setzten uns. Gottlob, ich sp?rte wenigstens gar keine k?rperliche M?digkeit. Das war mir sehr lieb. Das Gesicht der Toten war sch?n geblieben, ja, es schien sogar noch anmutiger geworden zu sein, und noch etwas: von Moment zu Moment schien immer mehr Sch?nheit, R?hrung und Anmut darauf niederzufallen. Etwas wie l?chelnde Vergebung jeder Art Fehltrittes schien im Wohnzimmer zu schweben und leise zu t?nen. Es zirpte so. Und es war auf so helle, lichte Art ernst in der Stube. Nichts, nichts Unheimliches. Mir wurde es sch?n zumut, denn schon das allein, dass ich hier wachte, liess mich die Ruhe, die in einer stillen Pflichterf?llung liegt, angenehm empfinden.
>>Sp?ter, Jakob,<< ergriff der Vorsteher das Wort, indem wir so sassen, >>sp?ter erz?hle ich dir alles. Wir werden ja doch zusammenbleiben. Ich glaube ganz fest, sogar felsenfest an deine Zustimmung. Du wirst morgen, wenn ich dich nach deinen Entscheidungen frage, nicht nein sagen, das weiss ich. F?r heute muss ich dir sagen, dass ich kein wirklicher abgesetzter K?nig bin, ich meinte, ich sagte dir das nur so, des Bildes halber. Wohl aber gab es Zeiten, wo dieser Benjamenta, der hier neben dir sitzt, sich als Herr, als Eroberer und als K?nig f?hlte, wo das Leben vor mir zum Erfassen dalag, wo alle meine Sinne an Zukunft und an Gr?sse glaubten, wo meine Schritte mich elastisch dahin wie ?ber teppich?hnliche Wiesen und Beg?nstigungen trugen, wo ich besass, was ich anschaute, genoss, an was ich nur fl?chtig dachte, wo alles bereit war, mich mit Befriedigung zu kr?nen, mit Erfolgen und Errungenschaften mich zu salben, wo ich K?nig war, ohne es kaum zu ahnen, gross, ohne dass ich n?tig hatte, mir eine bewusste Rechenschaft davon abzulegen. In diesem Sinne, Jakob, bin ich hoch gewesen, d. h. einfach jung und vielversprechend, und in diesem Sinne geschah die Entf?rstung und Entthronung. Ich st?rzte. Und ich zweifelte an mir und an allem. Wenn man verzweifelt und trauert, lieber Jakob, ist man so jammervoll klein, und immer mehr Kleinheiten werfen sich ?ber einen, gefr?ssigem, raschem Ungeziefer gleich, das uns frisst, ganz langsam, das uns ganz langsam zu ersticken, zu entmenschen versteht. Also das mit dem K?nig war eine Phrase. Ich bitte dich, kleiner Zuh?rer, um Entschuldigung, wenn ich dich an Szepter und Purpurmantel habe glauben machen. Doch glaube ich, dass du es eigentlich wusstest, wie es mit diesen gestammelten und geseufzten K?nigreichen im Grunde gemeint war. Nicht wahr, ein wenig gem?tlicher komme ich dir jetzt vor? Jetzt, da ich kein K?nig mehr bin? Denn das gibst du doch selbst zu, dass solche Herrscher, wenn sie gen?tigt sind, Unterricht usw. zu erteilen und Institute zu er?ffnen, gewiss unheimliche Patrone w?ren. Nein, nein, ich war nur zukunftsstolz und -froh: das sind meine L?ndereien und k?niglichen Eink?nfte gewesen. Dann war ich lange, lange Jahre entmutigt und entw?rdigt. Und nun bin ich wieder, d. h. fange an, wieder ich selber zu sein, und es ist mir, als h?tte ich eine Million geerbt, ach was, Million geerbt, nein, es ist mir, als w?re ich -- -- zum Herrscher erhoben und gekr?nt worden. Allerdings kommen mir immer wieder die dunklen, grauenhaft dunklen Stunden, wo mir alles schwarz vor den Augen und hassenswert vor dem gleichsam, versteh' mich, verbrannten und verkohlten Gem?t wird, und in solchen Stunden zwingt es mich, zu zerreissen, zu t?ten. O meine Seele, du, w?rdest du, trotzdem du das nun weisst, bei mir bleiben? K?nntest du dich, vielleicht aus einfacher menschlicher Neigung zu mir, oder aus irgend einer andern dir zusagenden Empfindung, dazu entschliessen, der Gefahr, die dir mit dem Zusammensein mit mir Unmenschen droht, zu trotzen? Kannst du hohen Herzens trotzen? Bist du solch ein Trotzkopf? Und nimmst du das alles nicht ?bel? ?bel? Ach was, Dummheiten. ?brigens weiss ich es ja, Jakob, dass wir zusammen leben werden. Es ist entschieden. Wozu dich noch fragen? Siehe, ich kenne doch ja meinen fr?heren Z?gling. Jetzt, Jakob, bist du nicht mehr mein Z?gling. Ich will nicht mehr bilden und lehren, sondern ich will leben und lebend etwas w?lzen, etwas tragen, etwas schaffen. O, es l?sst sich so herrlich, so herrlich leiden mit solch einem Herzen von Kameraden. Ich besitze, was ich besitzen wollte, und drum ist mir, k?nnte ich alles, ertr?ge und litte ich fr?hlich alles. Kein Gedanke, kein Wort mehr. Bitte, schweige. Du sagst mir morgen, nachdem man mir dieses Leben da, das da auf dem Bett liegt, weggetragen hat, nachdem ich die rein ?usserliche Feierlichkeit habe abstreifen d?rfen und in eine innerliche habe umwandeln d?rfen, deine Meinung. Du sagst ja, oder du sagst nein. Wisse, du bist ja jetzt vollkommen frei. Du kannst sagen und tun, was dir beliebt.<< -- Ich sagte ganz leise, zitternd vor Verlangen, diesen mir etwas allzu zuversichtlichen Menschen ein wenig zu erschrecken: >>Aber der Brotkorb, Herr Vorsteher? Den andern verschaffen Sie Unterkommen, und gerade mir nicht? Das finde ich seltsam. Das ist nicht recht. Und ich bestehe darauf. Es ist Ihre Pflicht, mir einen ordentlichen Arbeitsposten zu vermitteln. Ich will unbedingt in Stellung und Amt gehen.<< -- Ah, er zuckte zusammen. Er erschrak. Wie musste ich innerlich kichern. Teufeleien sind doch das Netteste am Leben. Herr Benjamenta sagte traurig: >>Du hast recht. Es ziemt sich, dir auf Grund deines Abgangszeugnisses eine Stelle zu verschaffen. Gewiss, du hast vollkommen recht. Nur dachte ich, nur -- dachte ich -- --, du machtest eine Ausnahme.<< -- Ich rief wie in z?ndender Entr?stung: >>Ausnahme? Ich mache keine Ausnahmen. Niemals. Das schickt sich nicht f?r den Sohn eines Grossrates. Meine Bescheidenheit, meine Geburt, alles, was ich empfinde, verbietet mir, mehr zu wollen, als was meine Schulgenossen bekommen haben.<< -- Von da an sprach ich kein Wort mehr. Mir gefiel es, Herrn Benjamenta einer sichtbaren, f?r mich schmeichelhaften Unruhe zu ?berlassen. Den Rest der Nacht verbrachten wir schweigend.
Aber w?hrend ich so sass und wachte, ?berfiel mich doch der Schlaf. Zwar nicht lang, eine halbe Stunde, oder vielleicht noch etwas l?nger, war ich der Wirklichkeit entr?ckt. Mir tr?umte , ich bef?nde mich auf einer Bergmatte. Sie war ganz dunkelsamtgr?n. Und sie war mit Blumen wie mit blumenhaft gebildeten und geformten K?ssen bestickt und besetzt. Bald erschienen mir die K?sse wie Sterne, bald wieder wie Blumen. Es war Natur und doch keine, Bildnis und K?rper zugleich. Ein wunderbar sch?nes M?dchen lag auf der Matte. Ich wollte mir einreden, es sei die Lehrerin, doch sagte ich mir rasch: >>Nein, das kann es nicht. Wir haben keine Lehrerin mehr.<< Nun, dann war es halt jemand anderes, und ich sah f?rmlich, wie ich mich tr?stete, und ich h?rte den Trost. Es sagte deutlich: >>Ah bah, lass das Deuten.<< -- Das M?dchen war schwellend und gl?nzend nackt. An dem einen der sch?nen Beine hing ein Band, das im Wind, der das Ganze liebkoste, leise flatterte. Mir schien, als wehe, als flattere der ganze spiegelblanke s?sse Traum. Wie war ich gl?cklich. Ganz fl?chtig dachte ich an >>diesen Menschen<<. Nat?rlich war es Herr Vorsteher, an den ich so dachte. Pl?tzlich sah ich ihn, er war hoch zu Ross und war bekleidet mit einer schimmernd schwarzen, edlen, ernsten R?stung. Das lange Schwert hing an seiner Seite herunter, und das Pferd wieherte kampflustig. >>Ei, sieh da! Der Vorsteher zu Pferd',<< dachte ich, und ich schrie, so laut ich konnte, dass es in den Schluchten und Kl?ften ringsum widerhallte: >>Ich bin zu einem Entschluss gekommen.<< -- Doch er h?rte mich nicht. Qualvoll schrie ich: >>Heda, Herr Vorsteher, h?ren Sie.<< Nein, er wandte mir den R?cken. Sein Blick war in die Ferne, ins Leben hinab- und hinausgerichtet. Und nicht einmal den Kopf bog er nach mir. Mir scheinbar zuliebe rollte jetzt der Traum, als wenn er ein Wagen gewesen w?re, St?ck um St?ck weiter, und da befanden wir uns, ich und >>dieser Mensch<<, nat?rlich niemand anders als Herr Benjamenta, mitten in der W?ste. Wir wanderten und trieben mit den W?stenbewohnern Handel, und wir waren ganz eigent?mlich belebt von einer k?hlen, ich m?chte sagen, grossartigen Zufriedenheit. Es sah so aus, als wenn wir beide dem, was man europ?ische Kultur nennt, f?r immer, oder wenigstens f?r sehr, sehr lange Zeit entschwunden gewesen seien. >>Aha,<< dachte ich unwillk?rlich, und wie mir schien, ziemlich dumm: >>Das war es also, das!<< -- Aber was es war, was ich da dachte, konnte ich nicht entr?tseln. Wir wanderten weiter. Da erschien ein Haufe von uns feindlich gesinnten Menschen, wir aber zerstreuten ihn, ohne dass ich eigentlich sah, wie das zuging. Die Erdgegenden schossen mit den Wandertagen blitzartig vor?ber. Ich empfand die Erfahrung von ganzen vor?berwinkenden, langen, schwer zu ertragen gewesenen Jahrzehnten. Wie war doch das eigent?mlich. Die einzelnen Wochen sahen sich an wie kleine, glitzernde Steinchen. Es war l?cherlich und herrlich zugleich. >>Der Kultur entr?cken, Jakob. Weisst du, das ist famos,<< sagte von Zeit zu Zeit der Vorsteher, der wie ein Araber aussah. Wir ritten auf Kamelen. Und die Sitten, die wir sahen, entz?ckten uns. Es war etwas Unverst?ndlich-Mildes und Zartes in den Bewegungen der L?nder. Ja, mir war es, als marschierten, nein eher, als fl?gen die L?nder. Das Meer zog sich majest?tisch dahin wie eine grosse blaue nasse Welt von Gedanken. Bald h?rte ich V?gel schwirren, bald Tiere br?llen, bald B?ume ?ber mir rauschen. >>Also bist du nun doch mitgekommen. Ich wusste es ja,<< sagte Herr Benjamenta, den die Indier zum F?rsten erhoben hatten. Wie toll! So grauenhaft ?berspannt es ist: Tatsache war, dass wir in Indien Revolution machten. Und scheinbar gl?ckte uns der Streich. Es war so k?stlich zu leben, das f?hlte ich in allen Gliedern. Das Leben prangte vor unsern weitausschauenden Blicken wie ein Baum mit Zweigen und ?sten. Und wie stunden wir fest. Und durch Gefahren und Erkenntnisse wateten wir wie in eiskaltem, aber unserer Hitze wohltuendem Flusswasser. Ich war immer der Knappe, und der Vorsteher war der Ritter. >>Schon gut,<< dachte ich mit einmal. Und wie ich das dachte, erwachte ich und schaute mich im Wohnzimmer um. Herr Benjamenta war ebenfalls eingeschlafen. Ich weckte ihn, indem ich ihm sagte: >>Wie k?nnen Sie einschlafen, Herr Vorsteher. Doch erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, dass ich mich entschlossen habe, mit Ihnen zu gehen, wohin Sie wollen.<< -- Wir gaben einander die Hand, und das bedeutete viel.
Ich packe. Ja, wir beide, der Vorsteher und ich, wir sind mit Packen, mit richtigem Zusammenpacken, Abbrechen, Aufr?umen, Auseinanderzerren, Schieben und R?cken besch?ftigt. Wir werden reisen. Schon gut. Mir passt dieser Mensch, und ich frage mich nicht mehr, warum. Ich f?hle, dass das Leben Wallungen verlangt, nicht ?berlegungen. Meinem Bruder werde ich heute Adieu sagen. Ich werde hier nichts hinterlassen. Mich bindet nichts, verpflichtet nichts, zu sagen: >>Wie w?r's, wenn ich -- --<< Nein, es gibt nichts mehr zu w?ren und zu wennen. Fr?ulein Benjamenta liegt unter der Erde. Die Eleven, meine Kameraden, sind zerstoben in allerlei ?mtern. Und wenn ich zerschelle und verderbe, was bricht und verdirbt dann? Eine Null. Ich einzelner Mensch bin nur eine Null. Aber weg jetzt mit der Feder. Weg jetzt mit dem Gedankenleben. Ich gehe mit Herrn Benjamenta in die W?ste. Will doch sehen, ob es sich in der Wildnis nicht auch leben, atmen, sein, aufrichtig Gutes wollen und tun und nachts schlafen und tr?umen l?sst. Ach was. Jetzt will ich an gar nichts mehr denken. Auch an Gott nicht? Nein! Gott wird mit mir sein. Was brauche ich da an ihn zu denken? Gott geht mit den Gedankenlosen. Nun denn adieu, Institut Benjamenta.
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