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Read Ebook: Marthe und ihre Uhr: Novelle by Storm Theodor

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Ebook has 29 lines and 5599 words, and 1 pages

Paetels

Taschenausgaben

Im Sonnenschein

Drei Sommergeschichten

von

Theodor Storm

Dreizehnte Auflage

Verlag von Gebr?der Paetel

Berlin

Druck von G. Kreysing in Leipzig

Meiner Mutter

zum

W e i h n a c h t a b e n d 1854

MARTHE UND IHRE UHR.

W?hrend der letzten Jahre meines Schulbesuchs wohnte ich in einem kleinen B?rgerhause der Stadt, worin aber von Vater, Mutter und vielen Geschwistern nur eine alternde, unverheiratete Tochter zur?ckgeblieben war. Die Eltern und zwei Br?der waren gestorben, die Schwestern bis auf die j?ngste, die einen Arzt am selbigen Ort geheiratet hatte, ihren M?nnern in entfernte Gegenden gefolgt. So blieb denn Marthe allein in ihrem elterlichen Hause, worin sie sich durch das Vermieten des fr?heren Familienzimmers und mit Hilfe einer kleinen Rente sp?rlich durchs Leben brachte. Doch k?mmerte es sie wenig, dass sie nur Sonntags ihren Mittagstisch decken konnte; denn ihre Anspr?che an das ?ussere Leben waren fast keine; eine Folge der strengen und sparsamen Erziehung, die der Vater sowohl aus Grundsatz, als auch in R?cksicht seiner beschr?nkten b?rgerlichen Verh?ltnisse allen seinen Kindern gegeben hatte. Wenn aber Marthen in ihrer Jugend nur die gew?hnliche Schulbildung zuteil geworden war, so hatte das Nachdenken ihrer sp?teren einsamen Stunden, vereinigt mit einem behenden Verstande und dem sittlichen Ernst ihres Charakters, sie doch zu der Zeit, in der ich sie kennen lernte, auf eine f?r Frauen, namentlich des B?rgerstandes, ungew?hnlich hohe Bildungsstufe gehoben. Freilich sprach sie nicht immer grammatisch richtig, obgleich sie viel und mit Aufmerksamkeit las, am liebsten geschichtlichen oder poetischen Inhalts; aber sie wusste sich daf?r meistens ?ber das Gelesene ein richtiges Urteil zu bilden und, was so Wenigen gelingt, selbst?ndig das Gute vom Schlechten zu unterscheiden. M?rikes >>Maler Nolten<<, der damals erschien, machte grossen Eindruck auf sie, so dass sie ihn immer wieder las; erst das Ganze, dann diese oder jene Partie, wie sie ihr eben zusagte. Die Gestalten des Dichters wurden f?r sie selbstbestimmende lebende Wesen, deren Handlungen nicht mehr an die Notwendigkeit des dichterischen Organismus gebunden waren; und sie konnte stundenlang dar?ber nachsinnen, auf welche Weise das hereinbrechende Verh?ngnis von so vielen geliebten Menschen dennoch h?tte abgewandt werden k?nnen.

Die Langeweile dr?ckte Marthen in ihrer Einsamkeit nicht, wohl aber zuweilen ein Gef?hl der Zwecklosigkeit ihres Lebens nach aussen hin; sie bedurfte jemandes, f?r den sie h?tte arbeiten und sorgen k?nnen. Bei dem Mangel n?her Befreundeter kam dieser l?bliche Trieb ihren jeweiligen Mietern zugute, und auch ich habe manche Freundlichkeit und Aufmerksamkeit von ihrer Hand erfahren. -- An Blumen hatte sie eine grosse Freude, und es schien mir ein Zeichen ihres anspruchslosen und resignierten Sinnes, dass sie unter ihnen die weissen und von diesen wieder die einfachen am liebsten hatte. Es war immer ihr erster Festtag im Jahre, wenn ihr die Kinder der Schwester aus deren Garten die ersten Schneegl?ckchen und M?rzblumen brachten; dann wurde ein kleines Porzellank?rbchen aus dem Schranke herabgenommen; und die Blumen zierten unter ihrer sorgsamen Pflege wochenlang die kleine Kammer.

Da Marthe seit dem Tode ihrer Eltern wenig Menschen um sich sah und namentlich die langen Winterabende fast immer allein zubrachte, so lieh die regsame und gestaltende Phantasie, die ihr ganz besonders eigen war, den Dingen um sie her eine Art von Leben und Bewusstsein. Sie borgte Teilchen ihrer Seele aus an die alten M?bel ihrer Kammer, und die alten M?bel erhielten so die F?higkeit, sich mit ihr zu unterhalten; meistens freilich war diese Unterhaltung eine stumme, aber sie war daf?r desto inniger und ohne Missverst?ndnis. Ihr Spinnrad, ihr braungeschnitzter Lehnstuhl waren gar sonderbare Dinge, die oft die eigent?mlichsten Grillen hatten; vorz?glich war dies aber der Fall mit einer altmodischen Stutzuhr, die ihr verstorbener Vater vor ?ber f?nfzig Jahren, auch damals schon als ein uraltes St?ck, auf dem Tr?delmarkt zu Amsterdam gekauft hatte. Das Ding sah freilich seltsam genug aus: zwei Meerweiber, aus Blech geschnitten und dann ?bermalt, lehnten zu jeder Seite ihr langhaariges Antlitz an das vergilbte Zifferblatt; die schuppigen Fischleiber, die von einstiger Vergoldung zeugten, umschlossen dasselbe nach unten zu; die Weiser schienen dem Schwanze eines Skorpions nachgebildet zu sein. Vermutlich war das R?derwerk durch langen Gebrauch verschlissen; denn der Perpendikelschlag war hart und ungleich, und die Gewichte schossen zuweilen mehrere Zoll mit einemmal hinunter. -- Diese Uhr war die beredteste Gesellschaft ihrer Besitzerin; sie mischte sich aber auch in alle ihre Gedanken. Wenn Marthe in ein Hinbr?ten ?ber ihre Einsamkeit verfallen wollte, dann ging der Perpendikel tick, tack! tick, tack! immer h?rter, immer eindringlicher; er liess ihr keine Ruh, er schlug immer mitten in ihre Gedanken hinein. Endlich musste sie aufsehen; -- da schien die Sonne so warm in die Fensterscheiben, die Nelken auf dem Fensterbrett dufteten so s?ss; draussen schossen die Schwalben singend durch den Himmel. Sie musste wieder fr?hlich sein, die Welt um sie her war gar zu freundlich.

Die Uhr hatte aber auch wirklich ihren eigenen Kopf; sie war alt geworden und kehrte sich nicht mehr so gar viel an die neue Zeit; daher schlug sie oft sechs, wenn sie zw?lf schlagen sollte, und ein andermal, um es wieder gut zu machen, wollte sie nicht aufh?ren zu schlagen, bis Marthe das Schlaglot von der Kette nahm. Das Wunderlichste war, dass sie zuweilen gar nicht dazu kommen konnte; dann schnurrte und schnurrte es zwischen den R?dern, aber der Hammer wollte nicht ausholen; und das geschah meistens mitten in der Nacht. Marthe wurde jedesmal wach; und mochte es im klingendsten Winter und in der dunkelsten Nacht sein, sie stand auf und ruhte nicht, bis sie die alte Uhr aus ihren N?ten erl?st hatte. Dann ging sie wieder zu Bette und dachte sich allerlei, warum die Uhr sie wohl geweckt habe, und fragte sich, ob sie in ihrem Tagewerk auch etwas vergessen, ob sie es auch mit guten Gedanken beschlossen habe.

Nun war es Weihnachten. Den Christabend, da ein ?berm?ssiger Schneefall mir den Weg zur Heimat versperrte, hatte ich in einer befreundeten, kinderreichen Familie zugebracht; der Tannenbaum hatte gebrannt, die Kinder waren jubelnd in die langverschlossene Weihnachtsstube gest?rzt; nachher hatten wir die unerl?sslichen Karpfen gegessen und Bischof dazu getrunken; nichts von der herk?mmlichen Feierlichkeit war vers?umt worden. -- Am andern Morgen trat ich zu Marthe in die Kammer, um ihr den gebr?uchlichen Gl?ckwunsch zum Feste abzustatten. Sie sass mit untergest?tztem Arm am Tische; ihre Arbeit schien l?ngst geruht zu haben.

>>Und wie haben Sie denn gestern Ihren Weihnachtabend zugebracht?<< fragte ich.

Sie sah zu Boden und antwortete: >>Zu Hause.<<

>>Zu Hause? Und nicht bei Ihren Schwesterkindern?<<

>>Ach,<< sagte sie, >>seit meine Mutter gestern vor zehn Jahren hier in diesem Bette starb, bin ich am Weihnachtabend nicht ausgegangen. Meine Schwester schickte gestern wohl zu mir, und als es dunkel wurde, dachte ich wohl daran, einmal hinzugehen; aber -- die alte Uhr war auch wieder so drollig; es war akkurat, als wenn sie immer sagte: >Tu es nicht, tu es nicht! Was willst du da? Deine Weihnachtsfeier geh?rt ja nicht dahin!<<<

Und so blieb sie denn zu Haus in dem kleinen Zimmer, wo sie als Kind gespielt, wo sie sp?ter ihren Eltern die Augen zugedr?ckt hatte, und wo die alte Uhr pickte ganz wie dazumalen. Aber jetzt, nachdem sie ihren Willen bekommen und Marthe das schon hervorgezogene Festkleid wieder in den Schrank verschlossen hatte, pickte sie so leise, ganz leise und immer leiser, zuletzt unh?rbar. -- Marthe durfte sich ungest?rt der Erinnerung aller Weihnachtabende ihres Lebens ?berlassen: Ihr Vater sass wieder in dem braungeschnitzten Lehnstuhl; er trug das feine Sammetk?ppchen und den schwarzen Sonntagsrock; auch blickten seine ernsten Augen heute so freundlich; denn es war Weihnachtabend, Weihnachtabend vor -- ach, vor sehr, sehr vielen Jahren! Ein Weihnachtbaum zwar brannte nicht auf dem Tisch -- das war ja nur f?r reiche Leute --; aber statt dessen zwei hohe dicke Lichter; und davon wurde das kleine Zimmer so hell, dass die Kinder ordentlich die Hand vor die Augen halten mussten, als sie aus der dunklen Vordiele hineintreten durften. Dann gingen sie an den Tisch, aber nach der Weise des Hauses ohne Hast und laute Freuden?usserung, und betrachteten, was ihnen das Christkind einbeschert hatte. Das waren nun freilich keine teuern Spielsachen, auch nicht einmal wohlfeile, sondern lauter n?tzliche und notwendige Dinge, ein Kleid, ein Paar Schuhe, eine Rechentafel, ein Gesangbuch und dergleichen mehr; aber die Kinder waren gleichwohl gl?cklich mit ihrer Rechentafel und ihrem neuen Gesangbuch, und sie gingen eins ums andre, dem Vater die Hand zu k?ssen, der w?hrenddessen zufrieden l?chelnd in seinem Lehnstuhl geblieben war. Die Mutter mit ihrem milden, freundlichen Gesicht unter dem enganliegenden Scheiteltuch band ihnen die neue Sch?rze vor und malte ihnen Zahlen und Buchstaben zum Nachschreiben auf die neue Tafel. Doch sie hatte nicht gar lange Zeit, sie musste in die K?che und Apfelkuchen backen, denn das war f?r die Kinder eine Hauptbescherung am Weihnachtabend; die mussten notwendig gebacken werden. Da schlug der Vater das neue Gesangbuch auf und stimmte mit seiner klaren Stimme an: Frohlockt, lobsinget Gott; die Kinder aber, die alle Melodien kannten, stimmten ein: der Heiland ist gekommen; und so sangen sie den Gesang zu Ende, indem sie alle um des Vaters Lehnstuhl herumstanden. Nur in den Pausen h?rte man in der K?che das Hantieren der Mutter und das Prasseln der Apfelkuchen. -- --

Tick, tack! ging es wieder; tick, tack! immer h?rter und eindringlicher, Marthe fuhr empor; da war es fast dunkel um sie her, draussen auf dem Schnee nur lag tr?ber Mondschein. Ausser dem Pendelschlag der Uhr war es totenstill im Hause. Keine Kinder sangen in der kleinen Stube, kein Feuer prasselte in der K?che. Sie war ja ganz allein zur?ckgeblieben; die andern waren alle, alle fort. -- Aber was wollte die alte Uhr denn wieder? -- Ja, da warnte es auf elf -- und ein andrer Weihnachtabend tauchte in Marthens Erinnerung auf, ach! ein ganz andrer; viele, viele Jahre sp?ter. Der Vater und die Br?der waren tot, die Schwestern verheiratet; die Mutter, die nun mit Marthen allein geblieben war, hatte schon l?ngst des Vaters Platz im braunen Lehnstuhl eingenommen und ihrer Tochter die kleinen Wirtschaftssorgen ?bertragen; denn sie kr?nkelte seit des Vaters Tode, ihr mildes Antlitz wurde immer bl?sser, und ihre freundlichen Augen blickten immer matter; endlich musste sie auch den Tag ?ber im Bette bleiben. Das war schon ?ber drei Wochen, und nun war es Weihnachtabend. Marthe sass an ihrem Bett und horchte auf den Atem der Schlummernden; es war totenstill in der Kammer, nur die Uhr pickte. Da warnte es auf elf, die Mutter schlug die Augen auf und verlangte zu trinken. >>Marthe,<< sagte sie, >>wenn es erst Fr?hling wird, und ich wieder zu Kr?ften gekommen bin, dann wollen wir deine Schwester Hanne besuchen; ich habe ihre Kinder eben im Traume gesehen; -- du hast hier gar zu wenig Vergn?gen.<< -- Die Mutter hatte ganz vergessen, dass Schwester Hannes Kinder im Sp?therbst gestorben waren; Marthe erinnerte sie auch nicht daran, sie nickte schweigend mit dem Kopf und fasste ihre abgefallenen H?nde. Die Uhr schlug elf. --

Auch jetzt schlug sie elf, aber leise, wie aus weiter, weiter Ferne. --

Da h?rte Marthe einen tiefen Atemzug; sie dachte, die Mutter wolle wieder schlafen. So blieb sie sitzen, lautlos, regungslos, die Hand der Mutter noch immer in der ihren; am Ende verfiel sie in einen schlummer?hnlichen Zustand. Es mochte so eine Stunde vergangen sein; da schlug die Uhr zw?lf! -- Das Licht war ausgebrannt, der Mond schien hell ins Fenster; aus den Kissen sah das bleiche Gesicht der Mutter. Marthe hielt eine kalte Hand in der ihrigen. Sie liess diese kalte Hand nicht los, sie sass die ganze Nacht bei der toten Mutter. --

So sass sie jetzt bei ihren Erinnerungen in derselben Kammer, und die alte Uhr pickte bald laut, bald leise; sie wusste von allem, sie hatte alles mit erlebt, sie erinnerte Marthe an alles, an ihre Leiden, an ihre kleinen Freuden. --

Ob es noch so gesellig in Marthens einsamer Kammer ist? Ich weiss es nicht; es sind viele Jahre her, seit ich in ihrem Hause wohnte, und jene kleine Stadt liegt weit von meiner Heimat. -- Was Menschen, die das Leben lieben, nicht auszusprechen wagen, pflegte sie laut und ohne Scheu zu ?ussern: Ich bin niemals krank gewesen; ich werde gewiss sehr alt werden. -- Ist ihr Glaube ein richtiger gewesen und sollten diese Bl?tter den Weg in ihre Kammer finden, so m?ge sie sich beim Lesen auch meiner erinnern. Die alte Uhr wird helfen; sie weiss ja von allem Bescheid.

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