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Read Ebook: Im Brauerhause: Novelle by Storm Theodor

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Ebook has 224 lines and 13123 words, and 5 pages

Paetels

Taschenausgaben

Im Sonnenschein

Drei Sommergeschichten

von

Theodor Storm

Dreizehnte Auflage

Verlag von Gebr?der Paetel

Berlin

Druck von G. Kreysing in Leipzig

Meiner Mutter

zum

W e i h n a c h t a b e n d 1854

IM BRAUERHAUSE.

Es war in einem angesehenen B?rgerhause, wo wir am Abendteetisch in vertrautem Kreis beisammensassen. Unsere Wirtin, eine F?nfzigerin von frischem Wesen, mit einem Anflug heiterer Derbheit, stammte nicht aus einer hiesigen Familie; sie war in ihrer Jugend als wirtschaftliche St?tze in das elterliche Haus ihres jetzigen Mannes, unseres trefflichen Wirtes, gekommen und hatte in solchem Verh?ltnisse dort gelebt, bis der einzige Sohn so gl?cklich gewesen war, sie als seine Ehefrau bleibend festzuhalten. Das Vertrauen, womit des Br?utigams Mutter gleich nach der Hochzeit der J?ngeren ihren eigenen Platz im Hause einr?umte, hat diese nun schon manches Jahr ?ber das Leben ihrer beiden Schwiegereltern hinaus gerechtfertigt. Bei ihrem, jetzt den Siebzigern nahen Ehemann selber begann schon das Greisenalter seine leise Spur zu ziehen; aber wo ihm eine Kraft versagte, da suchte sie unbemerkt die ihre einzusetzen; wo ihrerseits eine Entsagung n?tig oder auch nur erw?nscht schien, da blickte sie nur mit um so freundlicheren Augen auf ihren Mann und blieb bei ihm allein, wenn andere dem Vergn?gen nachgingen. Der alte Herr selber war nicht von vielen Worten; aber die ruhige Sicherheit einer gegenseitig bew?hrten Liebe war in diesem Hause allen f?hlbar, und alle f?hlten sich dort wohl.

Am heutigen Abend jedoch wollte das gewohnte Gespr?ch, worin man sich sonst ?ber Stadt- und Landesangelegenheiten mit Behaglichkeit erging, noch immer nicht in rechten Fluss geraten; denn in einer unserer Nachbarst?dte war fr?h am Morgen etwas Ausnahmsweises und Entsetzliches, es war die Hinrichtung eines Raubm?rders dort vollzogen worden, und die Luft schien mit diesem Unterhaltungsstoffe so erf?llt, dass kaum etwas anderes daneben zur Geltung kommen konnte. Hier war nun ?berdies noch ein abergl?ubischer Unfug im Gefolge der Exekution gewesen; ein Epileptischer hatte von dem noch rauchenden Blute des Justifizierten trinken und dann zwischen zwei kr?ftigen M?nnern laufen m?ssen, bis er pl?tzlich, von seinen Kr?mpfen befallen, zu Boden gest?rzt war. Dennoch galt dies Verfahren als ein untr?gliches Heilmittel seiner Krankheit. Und noch zu anderen Kuren und sympathetischen Wundern sollten Haare, Blut und Fetzen von der Kleidung des Hingerichteten unter die Leute gekommen sein.

An unserem Teetisch erhob sich dar?ber ein lebhaftes Durcheinanderreden; alle diese Dinge wurden gleichzeitig als unzul?ssig und strafbar, als verabscheuungsw?rdig und als l?cherlich bezeichnet. Nur unsere verehrte, sonst so teilnehmende Wirtin sass pl?tzlich so still und in sich versunken da, dass endlich alle es bemerken mussten.

Als wir sie eben darauf ansahen, rief ihre ?lteste Tochter zu ihr hin?ber: >>Mutter, du denkst gewiss an Peter Liekdoorns Finger!<<

>>Ja, ja, Peter Liekdoorn!<< sagte nun auch der alte Herr; >>das ist eine Geschichte! Erz?hl sie nur, Mutter; deine Gedanken kommen sonst ja doch nicht davon los; und zu verschweigen ist ja nichts dabei!<<

>>Nein, mein Vater,<< sagte die alte Dame; >>es ist ja einstens auch genug davon geredet worden.<<

Dann sah sie uns alle der Reihe nach mit ihren freundlichen Augen an, und als auch wir dann baten, begann sie in ihrer mitteilsamen Weise: >>Mein seliger Vater hatte, wie das Ihnen allen wohl bekannt ist, eine Brauerei; keine bayerische, wie sie heutzutage sind; es wurde nur Gutbier und D?nnbier gebraut; aber beides war gut f?r den Durst und nicht so gallenbitter wie das jetzige, das nicht einmal zu einer Biersuppe zu gebrauchen ist.<<

Wir lachten, und sie lachte herzlich mit uns.

>>Das Gesch?ft,<< fuhr sie dann fort, >>war noch von Grossvaters Zeiten her und lange das einzigste am Ort gewesen; im Jahre meiner Konfirmation aber wurde von einem reichen B?cker noch ein zweites etabliert. Wenn man hinten aus unserem Brauhause auf den Weg hinaustrat, konnte man am Nordende der Stadt das neue rote Dach ?ber den Gartenb?umen scheinen sehen; und ich glaube freilich nicht, dass mein Vater, und noch viel weniger, dass unser alter Brauknecht Lorenz es eben mit Vergn?gen sahen; aber unser Bier hatte doch seinen alten Ruf, und die Kundschaft blieb gross genug, dass wir alle satt hatten und mein Vater jedem zahlen konnte, was er schuldig war.

Da, nicht lange nachher, geschah es, dass auch bei uns ein ganz abscheulicher Kerl hingerichtet wurde. Wie er eigentlich hiess, weiss ich nicht einmal; aber die Leute nannten ihn >Peter Liekdoorn<; denn er hatte nichts gelernt und suchte sich deshalb als H?hneraugenoperateur durchzuhelfen. Nun, ich h?tte den Kerl nicht an meinen H?hneraugen haben m?gen! -- Da er viel Branntwein trank und wenig in der Tasche hatte, so brachte er seine eigene, fast neunzigj?hrige Tante ums Leben, von der er wusste, dass sie einen Strumpfsocken mit Banktalern in ihrem Bettstroh aufbewahrte; aber bevor er noch einen davon ins Wirtshaus tragen konnte, so hatten sie ihn schon fest und auf der Frohnerei; und endlich war denn auch sein Prozess zu Ende; er sollte draussen auf dem Galgenberg enthauptet und dann sein K?rper auf das Rad geflochten werden. Und das war wohlverdient; denn die alte Tante hatte den Bengel, der eine Waise war, vor Jahren mit Not und Hunger aufgezogen, und die Banktaler hatte sie sich zum ehrlichen Begr?bnis aufgespart.

Wie ich schon sagte, hatten wir derzeit noch unseren alten Brauknecht Lorenz, der, wie das Gesch?ft selbst, auch noch von meinem Grossvater stammte; eine treue, fromme Seele! ?ber sein Wandbett hatte er sich mit Kreide den halb plattdeutschen Spruch geschrieben:

>Lorenz Hansen is mein Nam'; Gott hilf, dass ich in'n Himmel kam!<

Und sooft auch die Magd ihn am Sonnabend mit der Seifenb?rste wegwusch, er malte ihn am Sonntag immer geduldig wieder hin. Uns Kindern, wenn wir abends in der Brauerei am grossen Steinbottich bei ihm sassen, wusste er Geschichten zu erz?hlen, dass wir zuletzt vor Gruseln ihm alle auf den Schoss gekrochen waren, und wie das heutzutage kein Mensch mehr so versteht. Das war nun gut; aber warum er solche Geschichten so erz?hlen konnte, das war nun nicht so gut! Er glaubte n?mlich selber an all das dumme Zeug, womit er uns traktierte. Am Paaschabend, wenn er sein Dutzend Ostereier ausgel?ffelt hatte, schlug er sorgsam alle Schalen entzwei; sonst, sagte er, k?nnten die Hexen darin nisten; beim Bierbrauen legte er allemal ein Kreuz von Holz ?ber den G?rk?bel, so konnte keiner den Gest rauben, und das Bier konnte nicht verrufen werden. Meiner Mutter, die uns auch oft beim Geschichtenerz?hlen auseinanderjagte, war all so etwas in den Tod zuwider; sie schalt ihn oft dar?ber und auch auf meinen Vater, dass er solche Narrenspossen unter seinem Dache leide. Aber unser Vater war eben, wie wir auf plattdeutsch sagen, ein >liedsamer<, ein gelassener Mann; er strich schmunzelnd seiner kleinen lebhaften Frau mit der Hand ?bers Gesicht und sagte: >Mutter, lass mir den alten Lorenz; so einen Brauknecht gibt es keinen zweiten; er meint's gut, und es schadet keinem.<

Damit war meine kleine Mutter allemal fertig, zumal, wenn sie noch einen Kuss dazu bekam; aber recht hatte er darum doch nicht; denn dumm ist dumm, und es sollte niemand sagen, dass die Dummheit keinen Schaden tue.

Als es nun so weit war, dass Tages darauf der M?rder Peter Liekdoorn sich durch Hingabe seines irdischen Leibes mit seinem Gott vers?hnen sollte, hatte unser Lorenz es sich von dem B?rgermeister und seinem Brotherrn ausgebeten, dass er dem armen S?nder in seiner letzten Nacht Gesellschaft leisten durfte; denn sie waren Nachbarskinder gewesen, und in der Schule hatte Lorenz ihm oft die eine H?lfte von seinem Butterbrot gegeben, und Peter Liekdoorn hatte sich dann die andere noch dazu gestohlen. Aber als nun der gute Lorenz mit ihm beten und seiner armen Seele beistehen wollte, trieb der sch?ndliche B?sewicht nur Possen und Eulenspiegeleien.<<

>>Herr Amtsrichter,<< fuhr die Erz?hlerin fort, sich voll nachtr?glicher Entr?stung zu mir wendend -- >>man mag es ja kaum erz?hlen! >Juckst du noch,< hatte er zu seinem Kopf gesagt, indem er sich in seine d?nnen Haare kratzte; >und morgen sollst du schon herunter?< Der alte Lorenz hat das nie vergessen k?nnen.

Der Richtplatz auf dem Galgenberg war so nahe bei der Stadt, dass man von unserem obersten Brauhausboden alles deutlich h?tte mit ansehen k?nnen; aber w?hrend die halbe Stadt hinausgezogen war, steckte ich in dem dunkelsten Verschlage unter der Bodentreppe; denn ich hatte, trotz meiner sechzehn Jahre, die dumme Idee, dass ich es sonst ?berall im Hause h?ren m?sste, wenn dem B?sewicht der Kopf herabgeschlagen w?rde. Erst als meine Mutter anklopfte und rief: >Es ist vorbei; sie kommen alle schon zur?ck!< kroch ich wieder an das Tageslicht. Ich h?r' es noch vor meinen Ohren, wie es in dicken Haufen draussen auf der Gasse vorbeizog und ein Gemurmel und ein Summen als wie in einem Immenschwarm.

Und das Gerede kam auch noch in Wochen nicht zur Ruh'; denn draussen auf dem Richtplatz hart an der Landstrasse lag ja Peter Liekdoorns K?rper auf das Rad geflochten. Wenn meine beiden j?ngeren Geschwister aus der Schule kamen, warfen sie die B?cher hin und liefen auf den Brauhausboden; dann kamen sie mit grossen Augen wieder in die Stube; bald hatte meine Schwester zwei Raben auf dem Rade sitzen sehen, bald hatte mein Bruder ganz deutlich wahrgenommen, wie der auf dem Pfahle steckende Kopf mit den d?nnen Haaren vom Wind herumgekreiselt war, bis zuletzt mein guter Vater ein Schloss vor die Bodenluke legte und einen Trumpf darauf setzte, es solle von diesen abscheulichen Dingen f?rderhin kein Wort im Hause mehr gesprochen werden.<<

Die Erz?hlerin nahm ein Schl?ckchen aus ihrer Tasse und fuhr dann fort:

>>Nicht lange nachher sassen wir -- ich weiss noch, es war an einem Sonntag -- bei unserer Abendmahlzeit. Da es Reisbrei mit Kaneel und Zucker gab, so hatte ich auch noch unseren Nachbar Ivers dazu holen m?ssen, dessen Leibgericht das war. Wir hatten uns schon alle zu Tisch gesetzt; auch Lorenz und die Magd; allein mein Bruder fehlte noch. Mein Vater sah sich eben recht verdriesslich nach ihm um, als erst die Haust?r und dann die T?r zur Stube aufgerissen wurde und der Junge mit einer Fahrt hereingest?rzt kam.

>Mein Gott, Christian,< rief meine Mutter, >weshalb kommst du nicht zu rechter Zeit? Du weisst doch, dass dein Vater das nicht leiden kann!<

>Ja,< sagte er, >aber die Jungens sind alle auf dem Markt zusammengelaufen!<

-- >Die Jungens? Was haben die des Abends auf dem Markt zu tun?<

>Nichts,< sagte Christian, >sie sprechen nur miteinander.<

>Nun, so sprich du auch jetzt!< sagte mein Vater. >Lass ihn reden, Mutter!<

Aber der Junge schwieg und sah seinem Vater starr ins Angesicht.

>Christian, so sprich doch, Christian!< rief meine Mutter.

>Ich darf ja nicht,< entgegnete er; >Vater hat ja gesagt, er wolle von dem dummen Zeug nun nichts mehr h?ren.<

>Nachbar,< sagte der alte Ivers, der ein Junggeselle und sehr neugierig war, >so lassen Sie den Jungen doch seine Geschichte von sich tun!<

Mein Vater klopfte den Alten mit seinem schelmischen Lachen auf die Schulter. >Nun, Christian, so schiess denn los; du sollst doch Nachbar Ivers nicht die Nachtruh' vorenthalten!<

>Ja,< sagte der Junge; aber er sah sich erst mal um, ob doch auch alle anderen h?rten; >es ist ganz gewiss, sie haben Peter Liekdoorn seinen einen Finger weggestohlen!<

-- >Wer hat euch das gesagt?<

>Das hat Ratsdiener Ferdinand uns selbst erz?hlt.<

>Ei was! Der Fuchs wird ihn geholt haben,< sagte mein Vater; >wer sollte denn dergleichen stehlen!<

-- >Nein, nein, Vater; das Rad ist viel zu hoch, da k?nnen die F?chse nicht daran!<

Der alte Ivers hatte schweigend zugeh?rt. >Sag mir einmal, mein J?ngelchen,< begann er jetzt, >was ist's denn eigentlich f?r ein Finger?<

-- >Wie meinst du das, Nachbar Ivers?<

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