Read Ebook: Im Brauerhause: Novelle by Storm Theodor
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Ebook has 224 lines and 13123 words, and 5 pages
-- >Wie meinst du das, Nachbar Ivers?<
>Nun, ich meine, ist's der kleine Finger oder der Goldfinger oder --<
>Nein, nein; es ist der Daumen!< unterbrach ihn Christian; >ich weiss aber nicht, von welcher Hand.<
>So,< sagte Ivers, >der Daumen! das hatte ich mir gedacht. Er braucht eigentlich nur von einem Dieb zu sein; aber besser ist gewisslich immer besser; nein, den Daumen hat sich nicht der Fuchs geholt, den k?nnen ganz andere Leute noch gebrauchen! Da fragt nur euren Lorenz, wenn Ihr's nicht selber wisst!<
Aber Lorenz sah auf seinen Teller und ass schweigsam seinen Reisbrei.
>So erz?hlt es doch nur, Nachbar!< sagte meine Mutter; denn sie wollte nicht, dass er den alten Lorenz necken sollte.
>Kann leicht geschehen, Frau Nachbarn,< erwiderte er; >aber wisst Ihr das denn nicht? Wer solch einen Finger unter seinem Dr?mpel eingegraben hat, dem str?mt die Kundschaft in das Haus hinein! -- Nun,< setzte er gutm?tig hinzu, >hier, Gott sei Dank, sind solche K?nste nicht vonn?ten!<
>Das walte Gott!< sprach meine Mutter leise und klopfte unter den Tisch, um die ?ble Berufung abzuwenden. Denn solche Dinge z?hlte sie nicht zum Aberglauben, und sie konnte ganz b?se werden, wenn man ihr dawider stritt; dagegen wusste sie wohl, dass das grossv?terliche Verm?gen in viele Teile gegangen und die Brauerei derzeit mit schweren Schulden von ihrem Manne ?bernommen war.
Mein Vater war ganz ernst geworden. >Setz dich, Christian,< sagte er zu dem Jungen, der noch immer auf der Diele herumstand, >und mach, dass du mit deinem Reisbrei fertig wirst!<
Ich weiss noch wohl, unsere Mahlzeit ging ganz still zu Ende.<<
Nachdem auf Befragen einer mitteldeutschen Anverwandten noch erkl?rt war, dass unter dem plattdeutschen Worte >>Dr?mpel<< eine T?rschwelle zu verstehen sei, begann die Erz?hlerin wieder: >>Man h?tte glauben sollen, dass wir nun endlich mit Peter Liekdoorn fertig gewesen w?ren; aber, leider Gottes, das alles war nur erst der Anfang.
Es war im Juli und ungew?hnlich heiss; die Ernte hatte schon begonnen. Von den umliegenden D?rfern kam ein Wagen nach dem anderen hinten vor unserem Brauhaus angefahren, um Gut- und D?nnbier f?r Herrschaft und Leute abzuholen, und nicht nur viertel und halbe, sondern fast immer ganze Tonnen wurden aufgeladen. Mein Vater und unser alter Lorenz arbeiteten in hellem Schweisse, aber mit vergn?gten Angesichtern. In unserer hohen, k?hlen Aussendiele, unter dem Fenster, lagen zwei F?sser f?r den Hausverkauf; ich habe manches Mass voll da herausgezapft, denn seit meiner Konfirmation hatte ich das zu besorgen. Aber jetzt liess es mich in Wahrheit kaum zu Atem kommen; ich merkte wohl, auch die Leute in der Stadt hatten bei der grausamen Hitze einen sch?nen Durst; Kopf an Kopf stand es oft um mich herum, und mit all den Kr?gen und Kannen, die sie gegen mich streckten, trieben sie mich eines Tages so in die Enge, dass ich erst auf einen Tritt und dann oben auf die Fensterbank mich retirieren und von dort aus erst eine ordentliche Rede halten musste, bevor ich nur wieder zu meinem Fass hinunter konnte.<<
Die Erz?hlerin sah uns an und nickte. >>Ja,<< sagte sie, >>es mag wunderlich ausgesehen haben; aber ich war damals auch noch eine flinke, leichte Dirne! Und was war das f?r eine Freude, wenn ich so mittags und abends zwei schwere, blanke H?nde voll vor meinen Vater auf den Tisch sch?tten konnte! Ich weiss noch, morgens, bevor die Zeit herangekommen war, wie ich in der Stube am Fenster stand und es nicht erwarten konnte, bis ich den ersten mit Krug oder Blechgem?ss unserem Hause zusteuern sah.
So stand ich auch eines Vormittags und konnte nicht begreifen, dass das lustige Geldeinnehmen noch immer nicht in Gang kommen wollte; denn es war schon ?ber zehn, und im Flur draussen von unserer Hausuhr schlug es erst ein Viertel, dann halb; aber es kam noch immer niemand. Endlich ging ich hinaus und vor die Haust?r; da kamen zwei arme Kinder mit ihren kleinen T?pfen, dann hintereinander noch ein paar andere Leute von dem ?ussersten Ende der Stadt, und als ich die abgefertigt hatte, schlug die Uhr zu meinem grossen Schrecken elf; denn ich wusste nun, dass die Verkaufszeit f?r diesen Vormittag so gut wie vor?ber sei.
Ich hatte endlich nur ein paar armselige Schillinge, die ich mittags vor meinem Vater hinlegen konnte.
>Was ist das, Nane?< sagte er. >Weshalb gibst du mir nicht alles?<
>Das ist alles, Vater.<
-- >Alles? Das ist ja sonderbar.< Weiter sagte er nichts.
Aber auch am Nachmittage und den zweiten und die folgenden Tage blieb es ebenso; ja selbst die Wagen von den D?rfern kamen immer weniger, und aus einem grossen Dorfe, wo wir sonst die beste Kundschaft hatten, blieben sie v?llig weg. >Lorenz,< h?rte ich einmal, da ich ?ber den Hof ging, unseren Vater fragen, >wann hat Marx Sievers zum letztenmal geholt?<
>Ich denke, Herr, die andere Woche geht eben heut zu Ende.<
>Bei der grausamen Hitze? -- Lorenz,< und an meines Vaters Stimme h?rte ich, wie er voll Angst und Sorge war; >was ist passiert, Lorenz? Wir haben nimmer besser Bier gehabt!<
>Weiss nicht, Herr!< erwiderte der Alte d?ster.
Ich mochte nicht stehen bleiben und h?ren, was sie weiter sprachen; aber ich wusste wohl, Marx Sievers war der gr?sste Bauer in jenem Dorfe, und wie jetzt, in der Ernte, pflegte sein Fuhrwerk sonst fast jeden dritten Tag zu kommen.
In der n?chsten Zeit wurden die Darre und die Braupfannen auf das sorgf?ltigste nachgesehen und gereinigt; mein Vater untersuchte jeden Sack mit Hopfen, ob auch irgendwo eine Verstockung sich eingenistet habe; aber er kam stets kopfsch?ttelnd von solchem Tun zur?ck; es war nichts zu finden, was nicht in Ordnung war. Wir gingen alle wie verst?rt umher, denn jeder wusste, die Erntezeit sollte den Hauptverdienst des ganzen Jahres bringen; und die paar guten Tage, die so schnell vor?bergegangen waren, konnten dabei nichts verschlagen. Bei den Mahlzeiten wurde jetzt kein Wort gesprochen, die Augen unserer Mutter gingen angstvoll nach ihres Mannes Angesicht, w?hrend sie uns schweigend zuteilte. Der alte Lorenz aber war pl?tzlich ein ganz wunderlicher tr?ger Mensch geworden; nicht, weil er keine Geschichten mehr erz?hlte, denn wer h?tte Lust gehabt, die jetzt zu h?ren! Sogar die Kinder nicht! Aber, was nimmer noch passiert war, zu zweien Malen, als ich ihn zum Mittagessen rufen wollte, fand ich ihn bei hellichtem Tage hinter einem Braufass eingeschlafen. Und da ich ihn weckte, sagte er nur: >Danke, Nane, danke!< Als ob das ganz so in der Ordnung w?re. Mir aber war das ganz unheimlich; denn der alte Lorenz war ja fast die halbe Brauerei.
Da, eines Sonntags morgens, kam mein Bruder Christian wieder einmal mit solcher Fahrt hereingest?rzt, wie er es allemal tat, wenn er was Besonderes zu verk?nden hatte. Aber, Gott bewahre, wie sah der Junge in seinen Sonntagskleidern aus! Das ganze Gesicht voll Blut; das eine Auge dick verschwollen!
>Wo kommst du her?< rief mein Vater. >Bist du in dem Krieg gewesen?<
>Nein,< sagte der Junge; >wir haben uns nur gepr?gelt.<
-- >Schon wieder einmal? Und das am heiligen Sonntag? Was ist denn heute wieder los gewesen?<
>Ja, Vater,< sagte Christian und wischte sich erst mit dem ?rmel das Blut von seiner Backe; >sie haben schon mehrmals so gelogen, ich hab' es euch nur nicht erz?hlen m?gen; die Jungens sagen, Peter Liekdoorns Finger ist in unserem Bier gewesen!<
Meine Mutter schrie laut auf; mein Vater war nur totenbleich geworden. >Darum also!< sagte er leise.
In diesem Augenblicke wurde angeklopft, und Nachbar Ivers trat herein, der lange nicht dagewesen war.
>Nun, Ivers!< sagte mein Vater, >kommt Ihr auch einmal? Ihr wagt's ja auch nicht mehr, von unserem Bier zu trinken!<
>Hm!< machte der Alte und sah meinen Vater mit seinen klugen Augen an. >Aber, um Christi willen, was ist mit dem Jungen da passiert!<
-- >Ja, was ist mit ihm passiert! Erz?hl's nur selber, Christian, warum du dich geschlagen hast.<
>Ja, Nachbar Ivers,< sagte Christian, >die Jungens sagen alle, Peter Liekdoorns Finger ist in unserem Bier gewesen!<
-- >Hm -- so, mein J?ngelchen! Und da hast du mit allen dich deshalb geschlagen?<
>Nein, nicht mit allen; nur mit ein St?cker viere, aber t?chtig!<
Der Alte sah ihm in sein verschwollenes Angesicht und nickte. >Aber es n?tzt nur nicht viel, Christian, und wenn du es auch mit allen fertig gebracht h?ttest. -- Nachbar Ohrtmann,< wandte er sich zu meinem Vater, >ich komme just um dessen willen zu Euch; ich m?cht' Euch raten, nehmt Euren alten Lorenz einmal t?chtig ins Gebet! Ihr wisset wohl nicht, weshalb er mit seinem alten Kameraden durchaus die Henkersnacht hat teilen wollen?<
>Ei freilich,< rief meine Mutter; >er hat ihm f?r die gestohlenen Butterbr?te die himmlische Wegzehrung wollen bereiten helfen!<
>Das nebenbei, Frau Nachbarn,< sagte Ivers, >vor allem aber hat er ihm noch bei lebendigem Leibe seinen Daumen abgekauft; die alten Weiber in der Stadt erz?hlen sich das ganz genau.<
>Habt Ihr nichts anderes zu berichten, Ivers, als dies dumme Zeug?< frug mein Vater.
>Nein, Nachbar Ohrtmann; aber vergesset nicht, den Alten qu?lt die neue Brauerei, wenn sich das Bier mit Eurem gleich nicht messen kann; und dann -- der Finger war ja hinterher auch ohne Kauf zu haben! Nach der Hexenweisheit war es zwar genug, ihn unterm Dr?mpel einzugraben, aber besser ist gewisslich immer besser; und so wird er denn gleich in den Braukessel selbst hineingekommen sein.<
Mein Vater sch?ttelte den Kopf.
>Ihr wollt mich doch nicht glauben machen, dass unser alter Lorenz sich den Finger von dem Hochgericht geholt habe?<
>Das will ich allerdings, Nachbar! Wisst Ihr, beim Reisbrei damals, als er nicht Antwort geben wollte, da ich von der Sache anfing?<
>Ei, Ivers, Lorenz ist nicht gew?hnt, an seiner Herrschaft Tische mitzureden; und ?berdies, er f?hlte wohl, dass Ihr ihn necken wolltet.<
>Mag sein,< versetzte Ivers; >aber was hat er bei nachtschlafender Zeit da draussen an dem Galgenberg herumzukriechen?<
>Was sagt Ihr, Nachbar?< rief meine Mutter.
>Ich sag' nur,< erwiderte er, >was die Hebamme Clasen mir selbst erz?hlt hat; vorgestern nach Mitternacht, als sie dort vorbeigefahren, hat sie etwas von oben den Galgenberg hinunterlaufen sehen, und da sie ihre Laterne, die sie bei sich hatte, darauf hingewandt hat, ist die Gestalt in einen Busch gesprungen; aber an den grossen, blanken Kn?pfen auf der Jacke, die sonst kein Mensch hier tr?gt, hat sie genug erkennen k?nnen, wer der Mann gewesen ist. Und auch noch andere wollen des Nachts ihn dort gesehen haben.<
Ich war sehr erschrocken, als der Nachbar das erz?hlte; denn ich sah, was ich keinem verraten hatte, den alten Lorenz wieder bei hellem Tage zwischen seinen F?ssern schlafen.
>Aber, Ivers,< sagte mein Vater; >das Unheil, wenn denn Lorenz es sollte angestiftet haben, war ja schon geschehen; was konnte er jetzt noch auf der Richtstatt suchen wollen!<
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