Read Ebook: Siddhartha: eine indische Dichtung by Hesse Hermann
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Ebook has 542 lines and 37969 words, and 11 pages
"So willst du dein Vorhaben aufgeben?"
"Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagen wird."
Der erste Schein des Tages fiel in die Kammer. Der Brahmane sah, dass Siddhartha in den Knien leise zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein Zittern, fernhin blickten die Augen. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha schon jetzt nicht mehr bei ihm und in der Heimat weile, dass er ihn schon jetzt verlassen habe.
Der Vater ber?hrte Siddharthas Schulter.
"Du wirst," sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Hast du Seligkeit gefunden im Walde, so komm und lehre mich Seligkeit. Findest du Entt?uschung, dann kehre wieder und lass uns wieder gemeinsam den G?ttern opfern. Nun gehe und k?sse deine Mutter, sage ihr, wohin du gehst. F?r mich aber ist es Zeit, an den Fluss zu gehen und die erste Waschung vorzunehmen."
Er nahm die Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus. Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er bezwang seine Glieder, verneigte sich vor seinem Vater und ging zur Mutter, um zu tun, wie der Vater gesagt hatte.
Als er im ersten Tageslicht langsam auf erstarrten Beinen die noch stille Stadt verliess, erhob sich bei der letzten H?tte ein Schatten, der dort gekauert war, und schloss sich an den Pilgernden an--Govinda.
"Du bist gekommen", sagte Siddhartha und l?chelte.
"Ich bin gekommen," sagte Govinda.
BEI DEN SAMANAS
Am Abend dieses Tages holten sie die Asketen ein, die d?rren Samanas, und boten ihnen Begleitschaft und Gehorsam an. Sie wurden angenommen.
Siddhartha schenkte sein Gewand einem armen Brahmanen auf der Strasse. Er trug nur noch die Schambinde und den erdfarbenen ungen?hten ?berwurf. Er ass nur einmal am Tage, und niemals Gekochtes. Er fastete f?nfzehn Tage. Er fastete acht und zwanzig Tage. Das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und Wangen. Heisse Tr?ume flackerten aus seinen vergr?sserten Augen, an seinen dorrenden Fingern wuchsen lang die N?gel und am Kinn der trockne, struppige Bart. Eisig wurde sein Blick, wenn er Weibern begegnete; sein Mund zuckte Verachtung, wenn er durch eine Stadt mit sch?n gekleideten Menschen ging. Er sah H?ndler handeln, F?rsten zur Jagd gehen, Leidtragende ihre Toten beweinen, Huren sich anbieten, ?rzte sich um Kranke m?hen, Priester den Tag f?r die Aussaat bestimmen, Liebende lieben, M?tter ihre Kinder stillen--und alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles stank nach L?ge, alles t?uschte Sinn und Gl?ck und Sch?nheit vor, und alles war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war das Leben.
Ein Ziel stand vor Siddhartha, ein einziges: leer werden, leer von Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid. Von sich selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden, im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn alles Ich ?berwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann musste das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das grosse Geheimnis.
Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, gl?hend vor Schmerz, gl?hend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr f?hlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das Wasser ?ber frierende Schultern, ?ber frierende H?ften und Beine, und der B?sser stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen, bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden Haut tropfte das Blut, aus Schw?ren der Eiter, und Siddhartha verweilte starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr floss, bis nichts mehr stach, bis nichts mehr brannte.
Siddhartha sass aufrecht und lernte den Atem sparen, lernte mit wenig Atem auskommen, lernte den Atem abzustellen. Er lernte, mit dem Atem beginnend, seinen Herzschlag beruhigen, lernte die Schl?ge seines Herzens vermindern, bis es wenige und fast keine mehr waren.
Vom ?ltesten der Samanas belehrt, ?bte Siddhartha Entselbstung, ?bte Versenkung, nach neuen Samanaregeln. Ein Reiher flog ?berm Bambuswald--und Siddhartha nahm den Reiher in seine Seele auf, flog ?ber Wald und Gebirg, war Reiher, frass Fische, hungerte Reiherhunger, sprach Reihergekr?chz, starb Reihertod. Ein toter Schakal lag am Sandufer, und Siddharthas Seele schl?pfte in den Leichnam hinein, war toter Schakal, lag am Strande, bl?hte sich, stank, verweste, ward von Hy?nen zerst?ckt, ward von Geiern enth?utet, ward Gerippe, ward Staub, wehte ins Gefild. Und Siddharthas Seele kehrte zur?ck, war gestorben, war verwest, war zerst?ubt, hatte den tr?ben Rausch des Kreislaufs geschmeckt, harrte in neuem Durst wie ein J?ger auf die L?cke, wo dem Kreislauf zu entrinnen w?re, wo das Ende der Ursachen, wo leidlose Ewigkeit beg?nne. Er t?tete seine Sinne, er t?tete seine Erinnerung, er schl?pfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen, war Tier, war Aas, war Stein, war Holz, war Wasser, und fand sich jedesmal erwachend wieder, Sonne schien oder Mond, war wieder Ich, schwang im Kreislauf, f?hlte Durst, ?berwand den Durst, f?hlte neuen Durst.
Vieles lernte Siddhartha bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung durch den Schmerz, durch das freiwillige Erleiden und ?berwinden des Schmerzes, des Hungers, des Dursts, der M?digkeit. Er ging den Weg der Entselbstung durch Meditation, durch das Leerdenken des Sinnes von allen Vorstellungen. Diese und andere Wege lernte er gehen, tausendmal verliess er sein Ich, stundenlang und tagelang verharrte er im Nicht-Ich. Aber ob auch die Wege vom Ich hinwegf?hrten, ihr Ende f?hrte doch immer zum Ich zur?ck. Ob Siddhartha tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein verweilte, unvermeidlich war die R?ckkehr, unentrinnbar die Stunde, da er sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des auferlegten Kreislaufes empfand.
Neben ihm lebte Govinda, sein Schatten, ging dieselben Wege, unterzog sich denselben Bem?hungen. Selten sprachen sie anderes miteinander, als der Dienst und die ?bungen erforderten. Zuweilen gingen sie zu zweien durch die D?rfer, um Nahrung f?r sich und ihre Lehrer zu betteln.
"Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele erreicht?"
Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst ein grosser Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede ?bung gelernt, oft haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o Siddhartha."
Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, h?tte ich schneller und einfacher lernen k?nnen. In jeder Kneipe eines Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und W?rfelspielern h?tte ich es lernen k?nnen."
Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie h?ttest du Versenkung, wie h?ttest du Anhalten des Atems, wie h?ttest du Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen sollen?"
Und Siddhartha sagte leise, als spr?che er zu sich selber: "Was ist Versenkung? Was ist Verlassen des K?rpers? Was ist Fasten? Was ist Anhalten des Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze Bet?ubung gegen den Schmerz und die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze Bet?ubung findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann f?hlt er sein Selbst nicht mehr, dann f?hlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze Bet?ubung. Er findet, ?ber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert, dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen ?bungen aus ihrem K?rper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o Govinda."
Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und weisst doch, dass Siddhartha kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der Trinker Bet?ubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt zur?ck aus dem Wahn und findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden, hat nicht Erkenntnis gesammelt, ist nicht um Stufen h?her gestiegen."
Und Siddhartha sprach mit L?cheln: "Ich weiss es nicht, ich bin nie ein Trinker gewesen. Aber dass ich, Siddhartha, in meinen ?bungen und Versenkungen nur kurze Bet?ubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von der Erl?sung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das weiss ich, o Govinda, das weiss ich."
Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verliess, um im Dorfe etwas Nahrung f?r ihre Br?der und Lehrer zu betteln, begann Siddhartha zu sprechen und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem rechten Wege? N?hern wir uns wohl der Erkenntnis? N?hern wir uns wohl der Erl?sung? Oder gehen wir nicht vielleicht im Kreise--wir, die wir doch dem Kreislauf zu entrinnen dachten?"
Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen."
Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser ?ltester Samana, unser ehrw?rdiger Lehrer?"
Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser ?ltester z?hlen."
Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir werden ebenso alt werden und werden uns ?ben, und werden fasten, und werden meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden Tr?stungen, wir finden Bet?ubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns t?uschen. Das Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht."
"M?gest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten M?nnern, unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrw?rdigen Samanas, unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen M?nnern keiner den Weg der Wege finden?"
Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas sp?ttischen Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen, den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer habe ich nach Erkenntnis ged?rstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen. Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr. Vielleicht, o Govinda, w?re es ebenso gut, w?re es ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt h?tte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir 'Lernen' nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist ?berall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben dies Wissen hat keinen ?rgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die H?nde und sprach: "M?gest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden be?ngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die Ehrw?rdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es so w?re wie du sagst, wenn es kein Lernen g?be?! Was, o Siddhartha, was w?rde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was ehrw?rdig ist?!"
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer Upanishad:
Wer nachsinnend, gel?uterten Geistes, in Atman sich versenkt, Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit.
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch ?brig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bew?hrt sich? Und er sch?ttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden J?nglinge gegen drei Jahre bei den Samanas gelebt und ihre ?bungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein Ger?cht, eine Sage: Einer sei erschienen, Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt ?berwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe er, von J?ngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen und F?rsten beugten sich vor ihm und w?rden seine Sch?ler.
Diese Sage, dies Ger?cht, dies M?rchen klang auf, duftete empor, hier und dort, in den St?dten sprachen die Brahmanen davon, im Wald die Samanas, immer wieder drang der Name Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der J?nglinge, im Guten und im B?sen, in Lobpreisung und in Schm?hung.
Wie wenn in einem Lande die Pest herrscht, und es erhebt sich die Kunde, da und dort sei ein Mann, ein Weiser, ein Kundiger, dessen Wort und Anhauch gen?ge, um jeden von der Seuche Befallenen zu heilen, und wie dann diese Kunde das Land durchl?uft und jedermann davon spricht, viele glauben, viele zweifeln, viele aber sich alsbald auf den Weg machen, um den Weisen, den Helfer aufzusuchen, so durchlief das Land jene Sage, jene duftende Sage von Gotama, dem Buddha, dem Weisen aus dem Geschlecht der Sakya. Ihm war, so sprachen die Gl?ubigen, h?chste Erkenntnis zu eigen, er erinnerte sich seiner vormaligen Leben, er hatte Nirwana erreicht und kehrte nie mehr in den Kreislauf zur?ck, tauchte nie mehr in den tr?ben Strom der Gestaltungen unter. Vieles Herrliche und Unglaubliche wurde von ihm berichtet, er hatte Wunder getan, hatte den Teufel ?berwunden, hatte mit den G?ttern gesprochen. Seine Feinde und Ungl?ubigen aber sagten, dieser Gotama sei ein eitler Verf?hrer, er bringe seine Tage in Wohlleben hin, verachte die Opfer, sei ohne Gelehrsamkeit und kenne weder ?bung noch Kasteiung.
S?ss klang die Sage von Buddha, Zauber duftete aus diesen Berichten. Krank war ja die Welt, schwer zu ertragen war das Leben--und siehe, hier schien eine Quelle zu springen, hier schien ein Botenruf zu t?nen, trostvoll, mild, edler Versprechungen voll. ?berall, wohin das Ger?cht vom Buddha erscholl, ?berall in den L?ndern Indiens horchten die J?nglinge auf, f?hlten Sehnsucht, f?hlten Hoffnung, und unter den Brahmanens?hnen der St?dte und D?rfer war jeder Pilger und Fremdling willkommen, wenn er Kunde von ihm, dem Erhabenen, dem Sakyamuni, brachte.
Auch zu den Samanas im Walde, auch zu Siddhartha, auch zu Govinda war die Sage gedrungen, langsam, in Tropfen, jeder Tropfen schwer von Hoffnung, jeder Tropfen schwer von Zweifel. Sie sprachen wenig davon, denn der ?lteste der Samanas war kein Freund dieser Sage. Er hatte vernommen, dass jener angebliche Buddha vormals Asket gewesen und im Walde gelebt, sich dann aber zu Wohlleben und Weltlust zur?ckgewendet habe, und er hielt nichts von diesem Gotama.
"O Siddhartha", sprach einst Govinda zu seinem Freunde. "Heute war ich im Dorf, und ein Brahmane lud mich ein, in sein Haus zu treten, und in seinem Hause war ein Brahmanensohn aus Magadha, dieser hat mit seinen eigenen Augen den Buddha gesehen und hat ihn lehren h?ren. Wahrlich, da schmerzte mich der Atem in der Brust, und ich dachte bei mir: M?chte doch auch ich, m?chten doch auch wir beide, Siddhartha und ich, die Stunde erleben, da wir die Lehre aus dem Munde jenes Vollendeten vernehmen! Sprich, Freund, wollen wir nicht auch dorthin gehen und die Lehre aus dem Munde des Buddha anh?ren?"
Sprach Siddhartha: "Immer, o Govinda, hatte ich gedacht, Govinda w?rde bei den Samanas bleiben, immer hatte ich geglaubt, es w?re sein Ziel, sechzig und siebzig Jahre alt zu worden und immer weiter die K?nste und ?bungen zu treiben, welche den Samana zieren. Aber sieh, ich hatte Govinda zu wenig gekannt, wenig wusste ich von seinem Herzen. Nun also willst du, Teuerster, einen neuen Pfad einschlagen und dorthin gehen, wo der Buddha seine Lehre verk?ndet."
Sprach Govinda: "Dir beliebt es zu spotten. M?gest du immerhin spotten, Siddhartha! Ist aber nicht auch in dir ein Verlangen, eine Lust erwacht, diese Lehre zu h?ren? Und hast du nicht einst zu mir gesagt, nicht lange mehr werdest du den Weg der Samanas gehen?"
Da lachte Siddhartha, auf seine Weise, wobei der Ton seiner Stimme einen Schatten von Trauer und einen Schatten von Spott annahm, und sagte: "Wohl, Govinda, wohl hast du gesprochen, richtig hast du dich erinnert. M?gest du doch auch des andern dich erinnern, das du von mir geh?rt hast, dass ich n?mlich misstrauisch und m?de gegen Lehre und Lernen geworden bin, und dass mein Glaube klein ist an Worte, die von Lehrern zu uns kommen. Aber wohlan, Lieber, ich bin bereit, jene Lehre zu h?ren--obschon ich im Herzen glaube, dass wir die beste Frucht jener Lehre schon gekostet haben."
Sprach Govinda: "Deine Bereitschaft erfreut mein Herz. Aber sage, wie sollte das m?glich sein? Wie sollte die Lehre des Gotama, noch ehe wir sie vernommen, uns schon ihre beste Frucht erschlossen haben?"
Sprach Siddhartha: "Lass diese Frucht uns geniessen und das weitere abwarten, o Govinda! Diese Frucht aber, die wir schon jetzt dem Gotama verdanken, besteht darin, dass er uns von den Samanas hinwegruft! Ob er uns noch anderes und Besseres zu geben hat, o Freund, darauf lass uns ruhigen Herzens warten."
An diesem selben Tage gab Siddhartha dem ?ltesten der Samanas seinen Entschluss zu wissen, dass er ihn verlassen wollte. Er gab ihn dem ?ltesten zu wissen mit der H?flichkeit und Bescheidenheit, welche dem J?ngeren und Sch?ler ziemt. Der Samana aber geriet in Zorn, dass die beiden J?nglinge ihn verlassen wollten, und redete laut und brauchte grobe Schimpfworte.
Govinda erschrak und kam in Verlegenheit, Siddhartha aber neigte den Mund zu Govindas Ohr und fl?sterte ihm zu: "Nun will ich dem Alten zeigen, dass ich etwas bei ihm gelernt habe."
Indem er sich nahe vor dem Samana aufstellte, mit gesammelter Seele, fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte ihn stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl ihm, lautlos zu tun, was er von ihm verlangte. Der alte Mann wurde stumm, sein Auge wurde starr, sein Wille gel?hmt, seine Arme hingen herab, machtlos war er Siddharthas Bezauberung erlegen. Siddharthas Gedanken aber bem?chtigten sich des Samana, er musste vollf?hren, was sie befahlen. Und so verneigte sich der Alte mehrmals, vollzog segnende Geb?rden, sprach stammelnd einen frommen Reisewunsch. Und die J?nglinge erwiderten dankend die Verneigungen, erwiderten den Wunsch, zogen gr?ssend von dannen.
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