Read Ebook: Unterm Birnbaum by Fontane Theodor
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page
Ebook has 670 lines and 38731 words, and 14 pages
Unterm Birnbaum.
Von
Theodor Fontane.
Berlin, G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung. 1885.
?bersetzungsrecht vorbehalten.
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort, setzte sich auf den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit einem schl?frigen >>H?h<< an, wenn ?berhaupt von Antreiben die Rede sein konnte. Und nun klapperte der Wagen nach rechts hin den Fahrweg hinunter, erst auf das Bauer Orth'sche Geh?ft sammt seiner Windm?hle und dann auf die weiter draussen am Oderbruch-Damm gelegene ?lm?hle zu. Hradscheck sah dem Wagen nach, bis er verschwunden war, und trat nun erst in den Hausflur zur?ck. Dieser war breit und tief und theilte sich in zwei H?lften, die durch ein paar Holzs?ulen und zwei dazwischen ausgespannte H?ngematten von einander getrennt waren. Nur in der Mitte hatte man einen Durchgang gelassen. An dem Vorflur lag nach rechts hin das Wohnzimmer, zu dem eine Stufe hinauff?hrte, nach links hin aber der Laden, in den man durch ein grosses, fast die halbe Wand einnehmendes Schiebefenster hineinsehen konnte. Fr?her war hier die Verkaufsstelle gewesen, bis sich die zum Vornehmthun geneigte Frau Hradscheck das Herumtrampeln auf ihrem Flur verbeten und auf Durchbruch einer richtigen Ladenth?r, also von der Strasse her, gedrungen hatte. Seitdem zeigte dieser Vorflur eine gewisse Herrschaftlichkeit, w?hrend der nach dem Garten hinausf?hrende Hinterflur ganz dem Gesch?ft geh?rte. S?cke, Citronen- und Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand entlang, w?hrend an der andern ?bereinandergeschichtete F?sser lagen, ?lf?sser, deren stattliche Reihe nur durch eine zum Keller hinunterf?hrende Fallth?r unterbrochen war. Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links hin die F?sser in Ordnung, so dass die untere Reihe durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte.
So war der Flur. Hradscheck selbst aber, der eben die schmale, zwischen den Kisten und ?lf?ssern freigelassene Gasse passirte, schloss, halb ?rgerlich halb lachend, die trotz seines Verbotes mal wieder offenstehende Fallth?r und sagte: >>Dieser Junge, der Ede. Wann wird er seine f?nf Sinne beisammen haben!<<
Und damit trat er vom Flur her in den Garten.
Hier war es schon herbstlich, nur noch Astern und Reseda bl?hten zwischen den Buchsbaumrabatten, und eine Hummel umsummte den Stamm eines alten Birnbaums, der mitten im Garten hart neben dem breiten Mittelsteige stand. Ein paar M?hrenbeete, die sich, sammt einem schmalen mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen, an eben dieser Stelle durch eine Spargel-Anlage hinzogen, waren schon wieder umgegraben, eine frische Luft ging, und eine schwarzgelbe, der nebenanwohnenden Wittwe Jeschke zugeh?rige Katze schlich, muthmasslich auf der Sperlingssuche, durch die schon hoch in Samen stehenden Spargelbeete.
Hradscheck aber hatte dessen nicht Acht. Er ging vielmehr rechnend und w?gend zwischen den Rabatten hin und kam erst zu Betrachtung und Bewusstsein, als er, am Ende des Gartens angekommen, sich umsah und nun die R?ckseite seines Hauses vor sich hatte. Da lag es, sauber und freundlich, links die sich von der Strasse her bis in den Garten hineinziehende Kegelbahn, rechts der Hof sammt dem K?chenhaus, das er erst neuerdings an den Laden angebaut hatte. Der kaum vom Winde bewegte Rauch stieg sonnenbeschienen auf und gab ein Bild von Gl?ck und Frieden. Und das alles war sein! Aber wie lange noch? Er sann ?ngstlich nach und fuhr aus seinem Sinnen erst auf, als er, ein paar Schritte von sich entfernt, eine grosse, durch ihre Schwere und Reife sich von selbst abl?sende Malvasierbirne mit eigenth?mlich dumpfem Ton aufklatschen h?rte. Denn sie war nicht auf den harten Mittelsteig, sondern auf eins der umgegrabenen M?hrenbeete gefallen. Hradscheck ging darauf zu, b?ckte sich und hatte die Birne kaum aufgehoben, als er sich von der Seite her angerufen h?rte:
>>Dag, Hradscheck. Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren k?mmen all von s?lwst.<<
Er wandte sich bei diesem Anruf und sah, dass seine Nachbarin, die Jeschke, deren kleines, etwas zur?ckgebautes Haus den Blick auf seinen Garten hatte, von dr?ben her ?ber den Himbeerzaun kuckte.
>>Ja, Mutter Jeschke, 's wird Zeit,<< sagte Hradscheck. >>Aber wer soll die Birnen abnehmen? Freilich wenn Ihre Line hier w?re, die k?nnte helfen. Aber man hat ja keinen Menschen und muss alles selbst machen.<<
>>Na, Se hebben joa doch den Jungen, den Ede.<<
>>Ja, den hab' ich. Aber der pfl?ckt blos f?r sich.<<
>>Dat sall woll sien,<< lachte die Alte. >>Een in't T?ppken, een in't Kr?ppken.<<
Und damit humpelte sie wieder nach ihrem Hause zur?ck, w?hrend auch Hradscheck wieder vom Garten her in den Flur trat.
Hier sah er jetzt nachdenklich auf die Stelle, wo vor einer halben Stunde noch die Rapss?cke gestanden hatten, und in seinem Auge lag etwas, als w?nsch' er, sie st?nden noch am selben Fleck oder es w?ren neue statt ihrer aus dem Boden gewachsen. Er z?hlte dann die F?sserreihe, rief, im Vor?bergehen, einen kurzen Befehl in den Laden hinein und trat gleich danach in seine gegen?ber gelegene Wohnstube.
Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigenth?mlichen Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter war, als sich's f?r einen Kr?mer und Dorfmaterialisten schickte. Die zwei kleinen Sophas waren mit einem hellblauen Atlasstoff bezogen, und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau, weisslackirt und mit Goldleiste. Ja, das in einem Mahagoni-Rahmen ?ber dem kleinen Klavier h?ngende Bild war ein Sonnenuntergang mit Tempeltr?mmern und antiker Staffage, so dass man sich f?glich fragen durfte, wie das alles hierherkomme? Passend war eigentlich nur ein Stehpult mit einem Gitter-Aufsatz und einem Kuckloch dar?ber, mit Hilfe dessen man, ?ber den Flur weg, auf das grosse Schiebefenster sehen konnte.
Hradscheck legte die Birne vor sich hin und bl?tterte das Kontobuch durch, das aufgeschlagen auf dem Pulte lag. Um ihn her war alles still, und nur aus der halboffenstehenden Hinterstube vernahm er den Schlag einer Schwarzw?lder Uhr.
Es war fast, als ob das Ticktack ihn st?re, wenigstens ging er auf die Th?r zu, anscheinend um sie zu schliessen; als er indess hineinsah, nahm er ?berrascht wahr, dass seine Frau in der Hinterstube sass, wie gew?hnlich schwarz aber sorglich gekleidet, ganz wie Jemand, der sich auf Figurmachen und Toilettendinge versteht. Sie flocht eifrig an einem Kranz, w?hrend ein zweiter, schon fertiger an einer Stuhllehne hing.
>>Du hier, Ursel! Und Kr?nze! Wer hat denn Geburtstag?<<
>>Niemand. Es ist nicht Geburtstag. Es ist blos Sterbetag, Sterbetag Deiner Kinder. Aber Du vergisst alles. Blos Dich nicht.<<
>>Ach, Ursel, lass doch. Ich habe meinen Kopf voll Wunder. Du musst mir nicht Vorw?rfe machen. Und dann die Kinder. Nun ja, sie sind todt, aber ich kann nicht trauern und klagen, dass sie's sind. Umgekehrt, es ist ein Gl?ck.<<
>>Ich verstehe Dich nicht.<<
>>Und ist nur zu gut zu verstehn. Ich weiss nicht aus noch ein und habe Sorgen ?ber Sorgen.<<
Er antwortete nicht, und erst nach einer Weile nahm er den Kranz, der ?ber der Stuhllehne hing, und sagte: >>H?bsch. Alles, was Du machst, hat Schick. Ach, Ursel, ich wollte, Du h?ttest bessere Tage.<<
Dabei trat er freundlich an sie heran und streichelte sie mit seiner weissen, fleischigen Hand.
Sie liess ihn auch gew?hren, und als sie, wie beschwichtigt durch seine Liebkosungen, von ihrer Arbeit aufsah, sah man, dass es ihrer Zeit eine sehr sch?ne Frau gewesen sein musste, ja, sie war es beinah noch. Aber man sah auch, dass sie viel erlebt hatte, Gl?ck und Ungl?ck, Lieb' und Leid, und durch allerlei schwere Schulen gegangen war. Er und sie machten ein h?bsches Paar und waren gleichaltrig, Anfang vierzig, und ihre Sprech- und Verkehrsweise liess erkennen, dass es eine Neigung gewesen sein musste, was sie vor l?nger oder k?rzer zusammengef?hrt hatte.
Der herbe Zug, den sie bei Beginn des Gespr?chs gezeigt, wich denn auch mehr und mehr, und endlich fragte sie: >>Wo dr?ckt es wieder? Eben hast Du den Raps weggeschickt, und wenn Leist das ?l hat, hast Du das Geld. Er ist prompt auf die Minute.<<
>>Ja, das ist er. Aber ich habe nichts davon, alles ist blos Abschlag und Zins. Ich stecke tief drin und leider am tiefsten bei Leist selbst. Und dann kommt die Krakauer Geschichte, der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn. Er kann jeden Tag da sein.<<
Hradscheck z?hlte noch anderes auf, aber ohne dass es einen tieferen Eindruck auf seine Frau gemacht h?tte. Vielmehr sagte sie langsam und mit gedehnter Stimme: >>Ja, W?rfelspiel und Vogelstellen ...<<
>>So, so,<< sagte sie, w?hrend sie mechanisch an dem Kranze weiter flocht und vor sich hin sah, als ?berlege sie, was wohl zu thun sei.
>>Soll ich Dich auf den Kirchhof begleiten,<< frug er, als ihn ihr Schweigen zu bedr?cken anfing. >>Ich thu's gern, Ursel.<<
Sie sch?ttelte den Kopf.
>>Warum nicht?<<
>>Weil, wer den Todten einen Kranz bringen will, wenigstens an sie gedacht haben muss.<<
Und damit erhob sie sich und verliess das Haus, um nach dem Kirchhof zu gehen.
Hradscheck sah ihr nach, die Dorfstrasse hinauf, auf deren rothen D?chern die Herbstsonne flimmerte. Dann trat er wieder an sein Pult und bl?tterte.
Eine Woche war seit jenem Tage vergangen, aber das Spielgl?ck, das sich bei Hradscheck einstellen sollte, blieb aus und das Lottogl?ck auch. Trotz alledem gab er das Warten nicht auf, und da gerade Lotterie-Ziehzeit war, kam das Viertelloos gar nicht mehr von seinem Pult. Es stand hier auf einem St?nderchen, ganz nach Art eines Fetisch, zu dem er nicht m?de wurde, respektvoll und beinah mit Andacht aufzublicken. Alle Morgen sah er in der Zeitung die Gewinn-Nummern durch, aber die seine fand er nicht, trotzdem sie unter ihren f?nf Zahlen drei Sieben hatte und mit sieben dividirt glatt aufging. Seine Frau, die wohl wahrnahm, dass er litt, sprach ihm nach ihrer Art zu, n?chtern aber nicht unfreundlich, und drang in ihn, >>dass er den Lotteriezettel wenigstens vom St?nder herunternehmen m?ge, das verdr?sse den Himmel nur und wer dergleichen th?te, kriege statt Rettung und Hilfe den Teufel und seine Sippschaft ins Haus. Das Loos m?sse weg. Wenn er wirklich beten wolle, so habe sie was Besseres f?r ihn, ein Marienbild, das der Bischof von Hildesheim geweiht und ihr bei der Firmelung geschenkt habe.<<
Davon wollte nun aber der best?ndig zwischen Aber- und Unglauben hin und her schwankende Hradscheck nichts wissen. >>Geh mir doch mit dem Bild, Ursel. Und wenn ich auch wollte, denke nur, welche Bescheerung ich h?tte, wenn's Einer merkte. Die Bauern w?rden lachen von einem Dorfende bis ans andere, selbst Orth und Igel, die sonst keine Miene verziehen. Und mit der Pastor-Freundschaft w?r's auch vorbei. Dass er zu Dir h?lt, ist doch blos, weil er Dir den katholischen Unsinn ausgetrieben und einen Platz im Himmel, ja vielleicht an seiner Seite gewonnen hat. Denn mit meinem Anspruch auf Himmel ist's nicht weit her.<<
Und so blieb denn das Loos auf dem St?nder, und erst als die Ziehung vor?ber war, zerriss es Hradscheck und streute die Schnitzel in den Wind. Er war aber auch jetzt noch, all seinem sp?ttisch-?berlegenen Gerede zum Trotz, so schwach und abergl?ubisch, dass er den Schnitzeln in ihrem Fluge nachsah, und als er wahrnahm, dass einige die Strasse hinauf bis an die Kirche geweht wurden und dort erst niederfielen, war er in seinem Gem?the beruhigt und sagte: >>Das bringt Gl?ck.<<
Zugleich hing er wieder allerlei Gedanken und Vorstellungen nach, wie sie seiner Phantasie jetzt h?ufiger kamen. Aber er hatte noch Kraft genug, das Netz, das ihm diese Gedanken und Vorstellungen ?berwerfen wollten, wieder zu zerreissen.
>>Es geht nicht.<<
Und als im selben Augenblick das Bild des Reisenden, dessen Anmeldung er jetzt t?glich erwarten musste, vor seine Seele trat, trat er erschreckt zur?ck und wiederholte nur so vor sich hin: >>Es geht nicht.<<
So war Mitte Oktober heran gekommen.
Im Laden gab's viel zu thun, aber mitunter war doch ruhige Zeit, und dann ging Hradscheck abwechselnd in den Hof, um Holz zu spellen, oder in den Garten, um eine gute Sorte Tischkartoffeln aus der Erde zu nehmen. Denn er war ein Feinschmecker. Als aber die Kartoffeln heraus waren, fing er an, den schmalen Streifen Land, darauf sie gestanden, umzugraben. ?berhaupt wurde Graben und Gartenarbeit mehr und mehr seine Lust, und die mit dem Spaten in der Hand verbrachten Stunden waren eigentlich seine gl?cklichsten.
Und so beim Graben war er auch heute wieder, als die Jeschke, wie gew?hnlich, an die die beiden G?rten verbindende Heckenth?r kam und ihm zusah, trotzdem es noch fr?h am Tage war.
>>De T?ffeln sinn joa nu rut, Hradscheck.<<
>>Ja, Mutter Jeschke, seit vorgestern. Und war diesmal 'ne wahre Freude; mitunter zwanzig an einem Busch und alle gross und gesund.<<
Add to tbrJar First Page Next Page