Read Ebook: Semper der Jüngling by Schmidt Otto Ernst
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Ebook has 1756 lines and 88746 words, and 36 pages
Semper der J?ngling
Ein Bildungsroman
von
Otto Ernst
Sechsundf?nfzigstes bis sechzigstes Tausend
Leipzig - Verlag von L. Staackmann - 1914
Schon trat aus ferner, tannendunkler Pforte Der Schlaf hervor. Schon raunte mir die ersten, leisen Worte Der Traum ins Ohr. Da klang von nahen Zweigen Ein tiefer Freudenschall Und klang getrost und stark durch Nacht und Schweigen. In meinen Traum sang eine Nachtigall.
Ich ritt durch flimmerdunkle Waldesr?ume Im Traum, im Traum. Nur fern, o fern, durch mittern?cht'gen B?ume Ein lichter Saum. Doch horch: von jenen R?ten Ein s?ss geheimer Hall, Ein weiches, tiefes, morgenstilles Fl?ten! In meinen Traum sang eine Nachtigall.
Nun weiss ich auch, dass mir dieselbe Stimme Von je erklang Und mir das Herz in Kampf und Leidensgrimme Voll Hoffnung sang. Ein Land des Lichtes tr?umen Wir armen Seelen all! Ich aber h?re Klang aus jenen R?umen: In meinen Traum singt eine Nachtigall.
Erstes Buch
Spiel und Arbeit
Handelt von Balladen und Pr?paranden, Gendarmen und hebr?ischen Handschriften, zum Gl?ck auch von Pr?parandinnen.
Asmus Semper, der halbwegs sechzehnj?hrige Sch?ler des Hamburger Pr?parandeums, schwamm bis ?ber die Augenbrauen in Seligkeit. Vor seinen Blicken wogte eine warme, goldene Flut. Herr T?nnings, der Ordinarius, der genau so aussah wie die Geometrie mit einem Stehkragen und von dem ein Ger?cht ging, dass er vor sieben Jahren den einen Mundwinkel zu dem Versuch eines L?chelns verzogen habe, Herr T?nnings also hatte soeben verk?ndet, dass u. a. auch Asmus Semper eine Hospitantenstelle erhalten solle. Man denke, was das heisst: eine Hospitantenstelle! Jeden Morgen von 8-12 Uhr sollte er in einer Volksschule dem Unterricht der Kleinen zuh?ren d?rfen, und daf?r bekam er noch obendrein ein j?hrliches Gehalt von dreihundertundsechzig Mark! Jeden Morgen sollt' er aus n?chster N?he hineinhorchen d?rfen in die Werdestatt der Seelen, in die Wiege der Erkenntnis; das hohe Wunder sollt' er nun begreifen: wie der Geist des Menschen Nahrung aufnimmt, w?chst und sich vollendet!
Und noch dreihundertundsechzig Mark! Er hatte ja nichts von dem Geld, wollte auch keinen Pfennig davon, haha - aber auf das Gesicht seiner Eltern freute er sich, dass ihm die Augen heiss wurden. Er wollt' es ihnen nicht eher sagen, als bis er sie beide beisammen hatte, und dann wollte er die Wirkung beobachten; aber die kleine Wohnung der Semper betrat man durch die K?che, und in der K?che briet Frau Rebekka die Abendkartoffeln, und als er seine Mutter sah, konnte Asmus sich nicht mehr halten, und weil er wusste, was seine Mutter am meisten freute, rief er: >>Ich kriege dreihundertundsechzig Mark das Jahr!<<
Im n?chsten Augenblicke war Frau Rebekka schon in der anstossenden Zigarrenmacherstube, schwang das Messer, mit dem sie die Kartoffeln umger?hrt hatte, hoch in der Luft und rief: >>Freude war in Trojas Hallen!<< Aber da stand auch schon Asmus neben ihr, und damit sie ihm nicht zuvorkommen k?nne, rief er: >>Lass, Mutter, lass, ich will es Vater sagen! - Ich krieg' eine Hospitantenstelle mit dreihundertundsechzig Mark das Jahr!<<
Und da hatte Asmus wieder den Anblick, der ihm vielleicht von allen auf der Welt der liebste war: in dem weissumwallten Jupiterantlitz Ludwig Sempers gingen zwei Sonnen auf und verbreiteten Licht durch die ganze Welt.
>>Ach nein - es ist ja wohl nicht m?glich!<< rief der Vater, indem er den Kopf zur?ckwarf.
>>Ganz gewiss!<< rief Asmus. >>Nun verdiene ich mehr, als wenn ich Handwerker geworden w?re. Seht mal, wenn ich Tischler oder Hutmacher lernte, dann kriegte ich das erste Jahr gar nichts oder vielleicht drei Mark die Woche, und dies sind beinahe sieben Mark die Woche, und das geb' ich nat?rlich alles euch!<<
Da schlug Ludwig Semper heftig das linke Bein ?ber das rechte, wie er immer tat, wenn er in seinem Innern sehr zornig oder sehr lustig war, und redete fast den ganzen Rest des Abends mit stumm bewegten Lippen zu sich selber. Und hin und wieder lachte sein Gesicht laut und hell auf, ohne dass man einen Ton geh?rt h?tte, und unz?hlige Tabakbl?tter verschnitt er an diesem Abend und warf sie in die Abfallsch?rze, weil er mit seinem Messer immer wieder sausend ?ber die sonnigen Felder und Weiden seiner Jugend fuhr. Ach, er hatte ja auch studieren sollen; aber dann war der finanzielle Zusammenbruch seines Vaters gekommen, und dann die Sorge, dann der Krieg mit den D?nen, dann seine Tr?umerei und sein erhabener Leichtsinn, und dann die Liebe, und dann immer ein Kind nach dem andern. Und so machte er mit 58 Jahren noch immer Zigarren. Aber mit einem Schlage war jetzt seine Jugend wieder da - da stand sie vor ihm, f?nfzehnj?hrig, rotwangig - nichts war verloren; denn ob nun Ludwig Semper oder Asmus studierte, das war ja vollkommen dasselbe.
Rebekka aber, als sie von >>sieben Mark die Woche<< h?rte, vergass all ihre Sparsamkeit, lief in die K?che und schob noch ein St?ck Rindertalg unter die Kartoffeln, und als sie auch da noch ziemlich trocken ausschauten, griff sie leichtsinnig nach dem Teekessel und goss einen gewaltigen Strahl Wassers in die Pfanne, dass eine m?chtige Wolke wie eines Dankopfers zu den Himmlischen emporstieg.
Dann kam die Pfanne auf den Tisch, und sieben Semper versammelten sich and?chtig um das zentrale Heiligtum. Sie waren alle gesund, das sah man an den Bewegungen der Gabeln; aber Adalbert, der J?ngste, war so gesund, dass Frau Rebekka nach einer Weile ausrief: >>Halt, mein Junge, du hast jetzt genug. Es wird kein Fresser geboren, es wird einer gemacht!<<
Adalbert wollte sich melancholisch zur?ckziehen, da sprach der Vater: >>Lass doch den Jungen essen!<< und trat seine Anspr?che an die Allgemeinheit ab.
Und nach dem Essen - obwohl die Semper ?ber das Abendbrot hinaus bis gegen Mitternacht zu arbeiten pflegten - warf Ludwig Semper Messer, Tabak und Rollklotz in die Ecke, holte den stark zerlesenen und vergilbten >>Faust<< vom B?cherbrett und las und warf das linke Bein ?ber das rechte und bewegte die Lippen und l?chelte. Und alle waren still, und Asmus wusste: Nun kommt eine heilige Stunde. Und wirklich, es w?hrte nicht lange, da klang es durch den Raum:
>>Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles, Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst Dein Angesicht im Feuer zugewendet. -<<
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In einem wunderlieben Dorfe, das sich jetzt zu einer grossen, h?sslichen Vorstadt Hamburgs ausgewachsen hat, damals aber noch im heitern Frieden seiner Kindheit lag, in einem Garten mit Rosen und Apfelb?umen fand Asmus die Schule, an der er hospitieren sollte. >>Ich habe zuviel Gl?ck,<< dachte er, als er sie nach einst?ndiger Wanderung vor sich liegen sah. Gew?hnlich, wenn er solch ein stummes Dankgebet in den Himmel hinaufsandte, zog ihm gleich darauf das Gl?ck etwas ab, als wenn es d?chte: Der ist auch mit weniger zufrieden. Das erste n?mlich, was er tun musste, war: sich im Portal der Schule aufstellen und alle Sch?ler aufschreiben, die zu sp?t kamen. So hatte sich Asmus das Belauschen der Kindesseele nicht gedacht. Aber da es nun einmal sein Amt war, so notierte er gewissenhaft alles, was an Buben oder M?dchen den letzten Glockenschlag vers?umte, obwohl es ihm bei den M?dchen mitunter schwer wurde. Anfangs empfand er wohl so etwas wie die W?rde einer obrigkeitlichen Stellung, namentlich als ein Vater, der mit dem Schulgeld im R?ckstande war, an ihn herantrat und bat, dass man noch ein wenig Geduld mit ihm haben m?chte, und ihm heimlich ein paar Zigarren in die Hand dr?cken wollte. Asmus wich zwar ?ngstlich zur?ck und rief: >>Dar?ber habe ich leider gar nichts zu sagen!<< - aber als deutscher J?ngling f?hlte er sich doch geschmeichelt, dass man ihn f?r eine Beh?rde hielt. Diese Reize indessen verfl?chtigten sich schon nach wenigen Tagen. Dann kam eines Morgens ein blasses, frierendes, von Regen durchn?sstes M?gdelein, das weinte.
>>Warum weinst du?<< fragte Asmus.
>>Ich konnte nicht eher kommen; mein Vater hat meine Mutter 'rausgeschmissen.<<
>>Warum das denn?<<
>>Och, er is all wieder duhn .<<
>>So fr?h schon?<<
>>Ja, er s?uft immer 'rum.<<
Asmus erschrak. Gab es Kinder, die so ?ber ihren Vater reden konnten?
>>Geh' nur zu,<< sagte er. Das war ja selbstverst?ndlich, dass man die nicht aufschrieb. Er sah ihr nach und dachte daran, dass sie fror. Und dachte, wie er als Junge gefroren, wenn ihm der Wind unter die d?nne Jacke fuhr.
Von nun an fragte er ?fter nach dem Grunde der Versp?tung, und er notierte immer weniger. Und eines Tages sagte er sich: Entweder man muss alle aufschreiben oder keinen. Und nun liess er alle vorbeilaufen und arbeitete an seiner ersten Ballade, die handelte von einem Fischer, der aufs Meer fuhr, um seinen Sohn zu retten, und der dann mit seinem Sohne ertrank. Das Sch?nste an dieser Ballade war eine Refrainstrophe, die mit den Zeilen schloss:
>>Drunten klingt verworrner Klang, T?nt es nicht wie Grabgesang?<<
Alles, was nach Grab und Ungl?ck klang, das fand der gl?ckliche Asmus jener Tage ohne weiteres sch?n.
>>Warum notieren Sie nicht die Zusp?tkommenden?<< fragte schliesslich der Oberlehrer.
>>Ich mag das nicht,<< sagte Asmus verlegen.
>>Ja, danach geht es nicht,<< rief der Vorgesetzte. Aber bald darauf wurde die ganze Einrichtung aufgehoben, und der Posten des Kulturgendarmen wurde eingezogen.
Der Oberlehrer sch?tzte den jungen Semper wegen anderer F?higkeiten. Leider, dachte Asmus. Denn wenn die Wache am Portal vor?ber war, musste er im Amtszimmer des Schulleiters dickleibige Sch?lerregister anlegen und auf dem Laufenden halten, Schulgeldrechnungen schreiben, sie mit den Hebeprotokollen >>kollationieren<< und endlose Kolonnen von Schulgeldern addieren. Auch das f?hrte den Begierigen nicht in die Tiefen der Kindesseele. Es waren f?nf Pr?paranden da: zwei junge M?dchen und drei junge >>M?nner<<, sie alle mussten Protokolle schreiben und Rechnungen addieren. Unter den jungen Herren war aber einer, dessen Handschrift man zun?chst immer f?r hebr?ische Schriftzeichen hielt; erst nach und nach kam man dahinter, dass es die bekannten deutschen Buchstaben sein sollten. Da Claus M?nz ?berdies ohne jedes Schamgef?hl addierte, so wurde er schon nach drei Tagen in die Klassen zum Hospitieren geschickt. Asmus hingegen, weil er eine gute Handschrift hatte, seine Rechnungen sogar mit einem gewissen Sch?nheitsbed?rfnis schrieb und es nicht ?ber sich gewann, falsch zu addieren, Asmus durfte im Bureau sitzen bleiben. Ihm fielen die Verheissungen des Herrn R?sing, seines alten Lehrers ein, der jeden Morgen gesagt hatte: >>Jungens, schafft euch 'ne sch?ne Handschrift an; wer 'ne sch?ne Handschrift hat, kommt ?berall fort!<<
Freilich: sein Sch?nheitsbed?rfnis hatte auch schon in den ersten Tagen das Gl?ck herausgefunden, das auch mit dieser Schreibstube wieder verbunden war, und dieses Gl?ck war eine der Pr?parandinnen, die sehr h?bsch war und noch obendrein br?nett. Asmus schrieb und addierte den ganzen Morgen mit einer selig-schmerzlichen Spannung in der Brust, und der Schmerz kam daher, dass er sich sagte: Ich kann ja noch lange nicht heiraten. Und wenn ich heiraten kann, hat sie ein anderer geholt. Die andern beiden J?nglinge kokettierten in unschuldiger, aber fleissiger Weise mit den beiden M?dchen. Asmus dachte nicht daran, auch nur den Versuch zu wagen, weil er von seiner vollkommenen T?lpelhaftigkeit in dieser Hinsicht durchaus ?berzeugt war. Und eines Tages machte er dennoch den Versuch, zu imponieren. Das Zimmer war ?berheizt, wie alle Schreibstuben, und man klagte dar?ber. >>Ja,<< sagte Asmus, der nahe dem Ofen sass, >>hier sitzt man wie die Sau am Spiess; denn er hatte das Gef?hl, dass eine kraftvolle Ausdrucksweise den Mann verrate. Aber, o weh: die Damen fuhren wie wild mit den K?pfen in ihre Arbeit und kicherten, wie nur Backfische kichern k?nnen. Sie denken: das ist ein Bauernt?lpel, sagte sich Asmus, und f?hlte, dass er von den Haarwurzeln bis unter den Halskragen err?te. Und die m?nnlichen Kollegen Asmussens, Herr M?nz und Herr Morieux, betrachteten ihn mit ?berlegen-mitleidigen Blicken, als wollten sie sagen: Ist das ein ungebildeter Mensch. Aber als wenige Tage darauf von Rousseaus >>Emile<< die Rede war, da zeigte sich, dass nur Asmus wusste, was wirklich darin steht, und die Braune hielt ihre braunen Augen so lange auf ihn gerichtet, als wenn sie ihn heute zum ersten Male sehe.
Wie Asmus im Vorhof der P?dagogik weilen durfte, wie er eine andere Religion bekam, auf den Spuren Aglaias wandelte und Herrn Rothgr?n nicht hinaustrampeln wollte.
Endlich, als einmal alle Rechnungen geschrieben waren und auch das letzte Protokoll >>auf dem Laufenden<< war, durften auch die ?brigen Pr?paranden in die Klasse gehen und hospitieren. Welch' ein Gl?ck, dachte Asmus, und mit weihevollem Herzen ging er der erhofften Offenbarung entgegen. Aber zun?chst kam er an einen Lehrer, der es liebte, die Kinder so still zu besch?ftigen, dass sie ihn m?glichst wenig bel?stigten, und der sich, w?hrend die Sch?ler schrieben und rechneten, mit dem jungen Semper ?ber Gehalts- und Anstellungsverh?ltnisse, ?ber seine Frau, ?ber Bismarck, oder ?ber den letzten Raubmord unterhielt. Das war ja nun recht unterhaltend und wenig anstrengend; aber es war nicht das, was Asmus gesucht hatte. Er kam zu einem andern Lehrer, der hatte das ganze Einmaleins auf Reime und Bilder gebracht: die Bilder hatte er auf die Wandtafel gezeichnet, und nun mussten die Kinder die zugeh?rigen Verse hersagen, z. B.:
oder
aber der gute Mann bedachte gar nicht, dass sich die Worte >>beiss' ich<< ebensogut auf 32 wie auf 36 reimen, und wenn dann ein Sch?ler die falsche Zahl nannte, so schalt ihn der Lehrer in komischer Verwechslung einen Esel, zerriss sich vor Aufregung und liess die kunstreichen Verse bis zum vollkommenen Stumpfsinn wiederholen.
>>Bei dem kann ich auch nichts lernen,<< sagte Asmus zu jenem Mitpr?paranden mit der hebr?ischen Handschrift, und dieser sah ihn ob solcher Anmassung mit grenzenloser Verwunderung an.
Und schliesslich fand Asmus doch einen, der auf manchen stillen Wegen der Kindesseele heimisch war, der mit den Kindern in ihrer Sprache zu reden verstand und sie, wenn auch nicht immer, so doch manchmal, aus wirrer Dunkelheit den Weg zur Klarheit f?hren konnte. Er war kein hoher und starker Geist, dieser Mann; aber er war sein Lebenlang mit einem Fuss im Kinderlande stehen geblieben, und so verstand er unbewusst die Regungen der Kindesseele. Hier befiel nun den Hospitanten eine andere Not: er brannte vor Ungeduld, sich selbst vor den Kindern zu versuchen; ja, manchmal schien es ihm, als wisse er einen Ausweg, wenn der Lehrer in der Wirrnis des Kindergeistes stecken blieb. Aber er h?tte sich eher die Zunge abgebissen, als vor diesem Manne dergleichen laut werden zu lassen. Und alles Wippen von einem Fuss auf den andern, wenn er am Fenster stand und horchte und nicht einmal Finken und Apfelbl?te seine Sinne nach aussen zu locken vermochten, alle Ungeduld half ihm nichts; er musste warten.
Inzwischen feierte er jeden Nachmittag und jeden Abend hohe Feste. Er hatte ja in der Pr?parandenanstalt eines der herrlichsten Geschenke seines Lebens empfangen: da war ein Religionslehrer, der sagte nicht: Das muss man glauben, sonst ist man verdammt; der fragte ?berhaupt nicht, was man glaube; der trug Stunde f?r Stunde vor, was die Wissenschaft zu den Berichten der Bibel sagt. Gleich in der ersten Stunde, im Sch?pfungsbericht, trennte er die Erz?hlung des Jehovisten von der des ersten Elohisten und von der des zweiten Elohisten, und vor den Augen des jungen Semper zerriss ein vielj?hriger Nebel. Also hatte nicht Moses diese Dinge geschrieben, also war es nicht unfehlbares Gotteswort. Sie hatten ihn bedr?ckt wie eine dumpfe Last, hatten ihn gequ?lt, ge?ngstigt; aber er hatte keinen Ausweg gewusst. Mit einem Male gab ihm dieser Mann eine Waffe und ein Licht. Und mit solchem Licht und solcher Waffe durchwanderte der Mann die ganze Bibel, festen Schrittes und unablenkbar; was nur die menschliche Wissenschaft zur Bibel zu sagen wusste, das kannte er, und er trug es frei aus dem Kopfe vor. So fest hing Asmus an seinen Lippen, dass er kein Wort zu schreiben wagte, aus Furcht, es m?chte ihm ein Wort des Redenden entgehen. Und sieh: wenn er am Abend daheim sass, dann konnte er den ganzen Vortrag von Anfang bis Ende niederschreiben; so fest hing alles mit ehernen Klammern zusammen.
Ein merkw?rdiger Mann, dieser Herr Stahmer. Er sprach ausser seinen Vortr?gen kaum ein Wort zu seinen Sch?lern; er verl?ngerte fast jede Stunde um die ganze folgende Erholungspause - ein Ding, das Sch?ler nicht lieben - er verlangte viel und verschonte weder Tr?gheit noch Dummheit. Aber er bedurfte keiner Disziplinarmittel. Von diesen jungen Leuten, unter denen manch ein dreister Gelbschnabel war, h?tte nicht einer ein unehrerbietiges Wort gegen ihn gewagt; instinktiv verehrten sie in ihm das lautere Gef?ss einer grossen Kraft. W?hrend zweier Jahre brauchte er wohl nie die Worte >>Wahrheit<< und >>Gerechtigkeit<<, und doch war das die stumme Lehre seines ganzen Wirkens: Wer Wissenschaft will, der muss wahrhaftig und gerecht sein, und wenn es das Leben gilt. Kein Gottesdienst hatte je das Herz des Asmus erhoben wie dieser.
Leider gab es davon nur zwei Stunden die Woche. In seiner Dorfschule waren es w?chentlichen sieben bis acht Stunden gewesen. Und welchen Erfolg hatten die gehabt? Mit einem leidenschaftlichen Hass gegen diese sogenannte >>Religion<< hatte er die Schule verlassen. In dieser Schule hatte die >>Religion<< die ganze Naturgeschichte aufgefressen. Ein einziges Mal hatte Herr Cremer von den Giftpflanzen gesprochen und Bilder dazu gezeigt, nicht etwa die Pflanzen selbst, und ein andres Mal hatte ein anderer Lehrer ganz unmotiviert die Feigwurz behandelt. Die Giftpflanzen und #Ranunculus ficaria# - das war die Naturgeschichte, mit der Asmus Semper, ein Kind der darwinischen Zeit, das Pr?parandeum bezog. Aber da stapfte nun zweimal w?chentlich mit drolligen Koboldschritten der naturselige >>Papa Hamann<< herein; er schleppte jedesmal eine Botanisierdose, die so gross war wie er selbst, und sein Gesicht gl?nzte wie ein Pfannkuchen, wenn er mit anstossender Zunge sagte: >>Heute meine Herren, hab' ich Ihnen etwath ganth Bethondereth mitgebracht!<<
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