Read Ebook: Semper der Jüngling by Schmidt Otto Ernst
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Ebook has 1756 lines and 88746 words, and 36 pages
Leider gab es davon nur zwei Stunden die Woche. In seiner Dorfschule waren es w?chentlichen sieben bis acht Stunden gewesen. Und welchen Erfolg hatten die gehabt? Mit einem leidenschaftlichen Hass gegen diese sogenannte >>Religion<< hatte er die Schule verlassen. In dieser Schule hatte die >>Religion<< die ganze Naturgeschichte aufgefressen. Ein einziges Mal hatte Herr Cremer von den Giftpflanzen gesprochen und Bilder dazu gezeigt, nicht etwa die Pflanzen selbst, und ein andres Mal hatte ein anderer Lehrer ganz unmotiviert die Feigwurz behandelt. Die Giftpflanzen und #Ranunculus ficaria# - das war die Naturgeschichte, mit der Asmus Semper, ein Kind der darwinischen Zeit, das Pr?parandeum bezog. Aber da stapfte nun zweimal w?chentlich mit drolligen Koboldschritten der naturselige >>Papa Hamann<< herein; er schleppte jedesmal eine Botanisierdose, die so gross war wie er selbst, und sein Gesicht gl?nzte wie ein Pfannkuchen, wenn er mit anstossender Zunge sagte: >>Heute meine Herren, hab' ich Ihnen etwath ganth Bethondereth mitgebracht!<<
Und dann kramte er aus mit dem Gesicht eines Vaters, der seine Kinder zur Weihnacht ?berrascht, und Asmus h?rte zum erstenmal vom Bau und vom Leben der Pflanze, und wenn man ihn sah, so konnte man glauben, er wolle die Pflanzen im w?rtlichsten Sinne verschlingen, so versessen war er auf dies neue Erkennen. Freilich blieb die Wissenschaft des guten Papas einigermassen an der Oberfl?che; er sprach allerlei vom Chlorophyll; aber was es f?r eine Bedeutung habe, wusste er eigentlich selbst nicht. F?r den ausgehungerten Geist des kleinen Semper aber war alles, was er ihm bot, Gewinn, und ?berdies war die Lehrweise des Alten so v?terlich und fr?hlich und mit so wundervollen Redeblumen geschm?ckt!
>>Eth mag wohl funfthehn Jahre thein,<< sagte Papa Hamann zum Beispiel, >>dath ich dath Vergn?gen hatte, den Schwanth eineth Walfischeth von Angethicht zu Angethicht zu thehen!<<
Oder wenn er zu den Damen von den Pflanzen einer bestimmten Familie sprach, so sagte er:
>>Einige von ihnen, meine Damen, thind ganth reitthende Pfl?ntthchen; andere dagegen thind h?thlich und widerlich!<<
Und darin hatte er recht, einige von diesen Pr?parandinnen, die in einer anstossenden Strasse unterrichtet wurden, waren wirklich ganz reizende Pfl?nzchen, und Asmus und ein paar B?rschchen mit ihm liessen es sich nicht nehmen, dreien von ihnen, die auf gleichem Wege heimw?rts wandelten, an laulichen Abenden in respektvoller Entfernung zu folgen und sich ihnen durch lautgesprochene Galanterien und wundervolle Witze bemerklich zu machen. Bald schon taufte Asmus die drei auf die Namen Aglaia, Euphrosyne und Thalia, und die eine von ihnen - es war Aglaia - verehrte Asmus viele Monde hindurch, ohne jemals ihre Vorderseite gesehen zu haben. Aber sie hatte einen anmutsvollen Gang, und ein sch?ner Gang griff Asmussen ans Herz.
Auf andern Wegen schw?rmten andre Herzen, und nach den drei Grazien zu urteilen, schien den jungen Damen der sch?chterne Kultus der J?nglinge durchaus nicht zu missfallen; sie verfielen wenigstens aus einer zeitweiligen entr?steten Gangart immer wieder in Kichern, Lachen und tr?umendes Hinschlendern; aber sei es nun, dass irgendwo ein J?ngling dem Drange seines Busens zu weit nachgegeben hatte, sei es, dass sich unter den verfolgten Unschulden ein strenges oder ein eifers?chtiges Herz befand - eines Tages lief eine Klage beim Seminardirektor ein, und dieser Mann hatte aus seinem heimischen Preussen und aus dem franz?sischen Kriege, in dem er als Reserveoffizier gefochten, einige ?ble Gewohnheiten mitgebracht. Er hielt eine donnernde Standrede und nannte die ritterlichen Pr?paranden >>gr?ne Jungen<<. Man war sich sofort dar?ber einig, dass man sich das mit f?nfzehn bis sechzehn Jahren nicht mehr bieten lassen k?nne und dass der einm?tige Austritt aller aus der Anstalt die einzig w?rdige Antwort auf diese Roheit sei. Am folgenden Tage dachte man milder ?ber die Sache; man bedurfte ja der Einwilligung der Eltern zum Austritt, und man hielt es im stillen f?r m?glich, dass die Eltern sich von der Auffassung des Direktors nicht wesentlich entfernen m?chten. Am dritten Tage endlich beschloss man, die unqualifizierbare ?usserung des Direktors auf dessen preussische Unbildung zur?ckzuf?hren und ihn zu verachten.
Nur ein pathetisches Herz vermochte sich nicht zu bezwingen. Der Tr?ger dieses Herzens war ein gewandter Zeichner; er zeichnete an die Wandtafel einen Pfahl, der einen preussischen Adler trug, und dazu eine Kanone, die sich gegen das fl?gelspreizende Wappentier entlud. Der Direktor kam, sah das Bild, kratzte sich l?chelnd den schwarzweissen Stachelbart, tickte dann mit den Fingern auf den Adler und sagte zur Klasse: >>Da k?nnen Se lange schiessen, bis Se den runterkriegen ...<< und wandte sich seinen Gesch?ften zu.
Und als diese erledigt waren, trat in breiter Aufmachung Herr Rothgr?n, der Lehrer der Geschichte, herein. Wenn Herr Rothgr?n auftrat, so sah das immer aus wie: Jetzt beginnt eine neue Epoche der Wissenschaft. Und Herr Rothgr?n begann, Geschichtszahlen zu repetieren. Er nannte das Ereignis, und der Sch?ler musste die Zahl nennen:
>>2200.<<
>>Vertreibung der Hyksos?<<
>>1580.<<
>>Durch wen?<<
>>Durch Thutmosis.<<
>>Amenophis?<<
>>1500.<<
Oder Herr Rothgr?n nannte die Zahl und der Sch?ler das geschichtliche Faktum, was genau ebenso bildend und interessant war. So ging es die ganze Stunde hindurch; denn fortfahren in der Geschichte konnte Herr Rothgr?n nicht, weil er heute nichts wusste.
>>Er war wieder mal nicht pr?pariert,<< sagten die Pr?paranden, als er fort war.
In der n?chsten Geschichtsstunde begann Herr Rothgr?n nach effektvollem Eintritt und imperatorenhafter Besteigung des Katheders von neuem:
>>Phul?<<
>>770.<<
>>Tiglat Pilesar?<<
>>740.<<
Und so fort ?ber ?gypter, Ph?nizier, Israeliten, Meder, Perser, Griechen und R?mer bis zu den Franken und Merowingern. Wer die Zahl wusste, war gescheit, wer sie nicht wusste, dumm.
Als auch diese Stunde der Pein vor?ber war, ward es abgemacht: Wenn er die n?chste Stunde wieder Zahlen b?ffelt, dann trampeln wir. Aber keiner darf sich melden! Man kannte Herrn Rothgr?n schon als einen langatmigen Hasser, der sich auch bei den sp?testen Examinibus derer erinnerte, die ihm einmal missfallen hatten. Asmus und einige andere waren gegen dieses heimliche Verfahren. Das sei >>unm?nnlich<<. Man solle eine Abordnung zu Herrn Rothgr?n schicken und sich ?ber seinen Unterricht beschweren.
>>Ich gehe mit,<< sagte Asmus. Aber die andern wollten nicht, und da sagte Asmus: >>Allein will ich auch nicht.<<
>>Semper will artig Kind spielen,<< spottete einer.
>>Du bist ein Esel!<< rief Asmus. >>Trampeln tu ich nicht. Aber die Folgen trage ich nat?rlich mit.<<
Wie die Augen des Asmus die Jahrhunderte der Vergangenheit und wie sie die Dinge der lebendigen Welt sahen, und wie er darum mit diesen Augen zum Arzt musste.
Die n?chste Geschichtsstunde erschien, und Herr Rothgr?n begann: >>Tiglat Pilesar?<<
>>740,<< sagte der Gefragte, und dann ging ein Trampeln durch die Klasse, das wie grollender Donner klang.
Herr Rothgr?n wurde weiss.
>>Was soll das?<< rief er.
Keine Antwort.
>>Was soll das heissen?<<
Eisiges Schweigen.
>>Es wird ja wohl einer den Mut haben, aufzustehen und zu sagen, was das bedeuten soll?<< schrie der Lehrer.
Niemand r?hrte sich.
>>Nun, dann bleibt mir nichts anderes ?brig, als Herrn Direktor Korn zu melden, dass ich durch ein unerkl?rliches Ger?usch im Unterricht gest?rt worden bin.<<
Aber Herr Rothgr?n erstattete dem Direktor keine Meldung; denn er wusste wohl, dass der einen sehr direkten Schluss auf seinen Unterricht ziehen w?rde. Der Direktor hielt zu dem Grundsatze: >>Unterrichtet nur gut; dann kommt der Respekt der Sch?ler von selbst.<< Auch erkl?rte sich Herr Rothgr?n das >>unerkl?rliche Ger?usch<< sehr schnell und richtig; er begann sofort zu erz?hlen; diesmal erz?hlte er freilich noch mangelhaft, weil er den Stoff nur in einigen Reminiszenzen beherrschte, aber von der n?chsten Stunde an vorz?glich; denn wenn er wollte, so konnte er's vielleicht am besten von allen Lehrern der Anstalt.
Geschichte h?ren oder Geschichte lesen, das gab Asmus immer besondere Freuden. Nicht, dass er an die Geschichte geglaubt h?tte, - er glaubte die profane Geschichte so wenig wie die biblische. Aus seiner >>Faust<<-Lekt?re wusste er sehr wohl:
>>Die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heisst, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, Darin die Zeiten sich bespiegeln.<<
und dem stimmte er von ganzem Herzen zu. Um wirklich zu wissen, musste man von all den F?rsten, Feldherren und Priestern, musste man vor allem von der Menge des Volkes wissen, was sie bei ihren Handlungen dachten, f?hlten, beabsichtigten und w?nschten, und davon h?rte man so gut wie nichts. Kaum dass einmal durch einen gl?cklichen Zufall ein Lichtschein in diese ewig versunkene Welt fiel, wie ein Sonnenstrahl in eine Kammer einer versch?tteten Stadt. Und die Menschen der Geschichte waren ihm wie die Gebilde einer rohen Holzschneidekunst, die die menschliche Gestalt kaum in leisen Andeutungen erkennen lassen. Dass man aus der Geschichte etwas lernen k?nne, das glaubte er nicht. Aber lange Zeitl?ufte der Geschichte formten sich ihm zu riesigen Bildern von wunderbarer Gewalt, und in diese Bilder versank er mit aufgerissenen Augen und horchender Seele, wenn er h?rte und las. Er sah ein Jahrhundert, da stille M?nche in stiller Zelle sassen und vom Virgil oder Cassiodor den Blick erhoben und durchs Fenster voll gl?ubiger Hoffnung schauten ?ber weites, unbesiedeltes deutsches Land, indessen andere, das Kreuz in der Hand, durch unerforschte W?lder schritten und auf heiterer Lichtung ein Kirchlein oder eine Kapelle errichteten. Er sah ein Jahrhundert voll Weihrauch und Messgew?nder, da k?nigliche V?ter b?ssend vor unnat?rlichen S?hnen knieten und lange S?ndenregister, vom Priester singenden Tones verlesen, bekannten, und das ganze neunte Jahrhundert ward ihm zum >>L?genfeld<<. Dann gab es eine lange Zeit, deren Angesicht in die bunte Glut des Ostens schaute und blinkende Ritter und d?stere M?nche, M?nner und Weiber, Greise und Kinder in jahrhundertelangen Z?gen nach den ewigen Spuren des Nazareners wandern sah. Das ernste Jahrhundert des Wittenberger M?nches baute sich ihm auf mit den strengen und n?chternen S?ulen eines lutherischen Gotteshauses, aus dem die streitbaren Glaubensges?nge hinausklangen in einen grauen und feuchten Novembertag; dann kam ein Jahrhundert, das lag verborgen unter den Brand- und Blutwolken eines endlosen Krieges, und so nah zogen die Wolken ?ber den Erdboden dahin, dass die Menschen nur geb?ckt dahinschlichen. Aber das achtzehnte Jahrhundert, das sah er trotz aller Kriege und aller grossen Revolution wie eine friedsame Stadt mit winkelig-sauberen G?sschen, wo aus schnurrig gegiebelten H?usern Gelehrte mit Z?pfen und Kniehosen hervortraten und bedachtsam ?ber die Strasse schritten zum Nachbar von dr?ben, um mit ihm ?ber die Schriften Voltaires oder ?ber das neueste Werk des erstaunlichen K?nigsberger Professors zu streiten.
Das und manches andere im heiligen Tempel des Pr?parandeums war nun wohl gut und sch?n; aber es gab auch gef?rchtete Stunden, und die gef?rchtetsten waren die Zeichenstunden, die in einer weit entlegenen Gewerbeschule genommen werden mussten. Sie waren so schlecht, dass sie sogar den Charakter verdarben.
Wie hatte sich Asmus aufs Zeichnen gefreut! Von fr?her Kindheit an hatte er gezeichnet, und in den Berg- und Waldlandschaften, die er kopiert hatte, hatte er ein frommes und seliges Leben gelebt. Selbst der k?mmerliche Zeichenunterricht seiner Dorfschule hatte ihm noch Freude gemacht. Als Asmus zum ersten Male in dem riesigen Zeichensaal, der so viel mit der Kunst gemein hatte wie das Wartezimmer eines Bezirkskommandos, Platz genommen hatte, da setzte ihm Herr Semmelhaack ein dreiseitiges Prisma von Holz vor. Asmus zeichnete willig den Holzklotz und wartete die Wiederkunft des Lehrers ab.
Herr Semmelhaack kam und legte das Prisma auf eine Seitenfl?che.
Asmus zeichnete den Klotz in der neuen Stellung und erwartete den Lehrer.
Herr Semmelhaack kam und legte das Prisma auf eine andere Seitenfl?che.
Asmus dachte: Aller Anfang ist ?de, und zeichnete den Klotz zum dritten Male.
Herr Semmelhaack hatte an der Zeichnung einiges auszusetzen und legte dann den Klotz auf die grosse Seitenfl?che.
Asmus dachte: Die Wurzeln der Kunst sind bitter; aber ihre Fr?chte sind s?ss, und portr?tierte das interessante Holz zum vierten Male.
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