Read Ebook: Erinnerungen by Thoma Ludwig
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Ebook has 1432 lines and 57016 words, and 29 pages
Ludwig Thoma
Mit 8 Zeichnungen von Olaf Gulbransson
Einmalige Ausgabe
Deutsche Hausb?cherei Hamburg
INHALTSVERZEICHNIS
Kinderzeit Schuljahre Im Berufe
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Thoma mit dem Wilderer Bismarck auf der Durchreise in Prien Thoma als Anwalt in Dachau Auf der Jagd Thoma beim Tarock Thoma und Ganghofer Thoma mit Taschner, Peter Thoma und Schauspieler Deng ,,UM MICH IST HEIMAT. UND DIE ERDE KANN EINMAL DEN, DER SIE HERZLICH LIEBTE, NICHT DR?CKEN" Handschriftenfaksimile
KINDERZEIT
,,Die ?cker lagen brach, auf den Wiesen flog der Wald an, und die Bauern taten nichts mehr als jagen", erz?hlt der Chronist.
Allm?hlich mag's wieder besser geworden sein, denn als am 4. September 1786 Herr Wolfgang von Goethe auf seiner Fahrt nach Italien von Karlsbad her durchreiste, fand er in dem Stifte Waldsassen ein ,,k?stliches Besitztum der geistlichen Herren, die fr?her als andere Menschen klug waren". Vielleicht stand unter irgendeinem Torbogen der noch nicht zwanzigj?hrige Sohn des Joseph Adam Thoma und sah die Eilkutsche vor?berrollen, in der der Olympier sass und sich freute, dass ihm die heimliche Abreise so wohl gelungen war.
Die Begegnung liesse sich einbilden, denn mein Urgrossvater hielt sich dazumal in Waldsassen auf.
Er wurde in Waldsassen im Januar 1767 geboren - genau hundert Jahre vor mir -, trat 1791 in kurbayrische Dienste, kam 1799 nach M?nchen als Rat der Landesdirektion Bayerns und trat 1817 an die Spitze der bayrischen Forstverwaltung.
In dieser Stellung verblieb er bis 1849.
Am 7. Mai 1841 hatte er unter grosser und freudiger Teilnahme der Forstbeamten im ganzen K?nigreiche sein 50j?hriges Jubil?um begangen."
Als sein hervorragendes Werk wird ihm die Forstorganisation von 1822 nachger?hmt, durch welche erst die Einheit der bayrischen Forstverwaltung geschaffen wurde, und die in ihren Grundz?gen bis 1885 erhalten blieb. Auch als J?ger genoss er ein hohes Ansehen, und als um 1841 die Verh?ltnisse in der Leibgehegsjagd zu starken Klagen Veranlassung gaben, wandten sich die Revierf?rster und Jagdgehilfen vertrauensvoll an meinen Urgrossvater, der Abhilfe schuf.
Der K?nig verlangte von ihm ein Gutachten ?ber einen passenden Vorstand der Hofjagd-Intendanz. Es handelte sich um zwei Bewerber, Forstmeister Kaltenborn von Freising und Forstmeister Reverdys von Berchtesgaden, die beide ihre Laufbahn als k?nigliche Leibj?ger begonnen hatten, dann Revierf?rster und Forstmeister geworden waren.
Nach der in unserer Familie erhaltenen ?berlieferung war mein Urgrossvater ein stattlicher Mann von w?rdevollem Wesen, g?tig, wortkarg, doch geselligen Freuden nicht abgeneigt, ein eifriger J?ger bis ins hohe Alter und ein gesch?tzter Musiker.
Ich besitze eine nach der Natur gezeichnete Lithographie von ihm, die von der hohen Portr?tkunst jener Zeit ein sprechendes Zeugnis ablegt.
Das kr?ftig geschnittene Gesicht, an dem die hohe Stirn und ein Paar kluge, versonnene Augen auffallen, zeigt keinen b?rokratischen Zug und liesse in ihm, wenn die Unterschrift fehlte, einen K?nstler vermuten.
Die Verw?stung seiner Jagd griff meinem Grossvater ans Herz, und er mochte nicht mehr in den ausgeschossenen Revieren bleiben.
Meine Mutter wusste mir viel Freundliches von ihrem Schwiegervater, der sie sehr gesch?tzt haben muss, zu erz?hlen. Er war ein temperamentvoller Herr, und meine Neigung zum J?hzorn soll ich von ihm geerbt haben, aber f?r gew?hnlich zeigte er eine gewinnende Fr?hlichkeit, und ein Schreiben der B?rger Schongaus, die ihrem Forstmeister zum 25j?hrigen Jubil?um gratulierten, r?hmt ihm besonders Herzensg?te gegen Arme nach.
Meine Mutter hiess ihn einen Kavalier von der alten Schule, ohne mir den Unterschied zu der neueren zu erkl?ren, und meine Tante Friederike, die als ,,k?nigliche Forstmeisterstochter ?lterer Ordnung" erst vor einigen Jahren im Damenstifte Neuberghausen starb, r?hmte ihrem Vater peinliche Akkuratesse in der ?usseren Erscheinung nach.
Er war mein Vater.
Er bestand die theoretische Pr?fung der Forstkandidaten und wurde zur praktischen Vorbereitung auf den h?heren Forstdienst zugelassen. Drei Wochen sp?ter wurde ihm von seinem Forstmeister und Vater Franz Thoma er?ffnet, dass ihm die ,,Praxisnahme auf dem Forstrevier Hohenschwangau" gestattet sei, und dass er f?r diese Er?ffnung einen Taxbetrag von 34 Kreuzern zu erlegen habe.
Im Januar 1846 wurde er zum Verweser des Gehilfsposten beim Reviere Wies mit einer ,,Remuneration von t?glich 15 Kreuzern" gn?digst bestimmt und avancierte dann zum wirklichen Forstgehilfen in Thierhaupten, sp?ter in Peissenberg.
Als Aktuarsverweser in Ettal bezog er bereits im Jahre 1847 eine Taggeb?hr von 45 Kreuzern und bewies alle Zeit die Wahrheit des Sprichwortes: Mit wenigem lebt man wohl.
Er galt als guter J?ger und Kugelsch?tze. Dagegen scheint er beim Trinken Zur?ckhaltung beobachtet zu haben. Ein Freund macht ihm brieflich diesen Vorwurf, woraus ich schliesse, dass man damals den Fehler als ungew?hnlich r?gen durfte.
Er lachte gerne und liess sich keine M?he verdriessen, um einen Spass von langer Hand her vorzubereiten und sorgf?ltig durchzuf?hren.
Man war damals harmlos und fr?hlich in Altbayern, gemessener im Ernste, derber im Scherze als heute. Bei Scheibenschiessen und Jagden war lustige Neckerei nicht bloss gern gesehen, sie galt als notwendige W?rze der Geselligkeit.
Das Sturmjahr 1848 ist, wie es mir scheinen will, an meinem Vater vor?bergegangen, ohne ihn in seinen Tiefen aufzuw?hlen.
Er war stark angef?rbt von dem Humor, der damals die Gestalten des Barnabas W?hlhuber und des Kasimir Heulmaier in den ,,Fliegenden Bl?ttern" schuf, und seiner ruhigen, festen Art sagten die Aufl?ufe der Philister vor dem Hause der Lola Montez so wenig zu wie die mit Tiraden gespickten Flugbl?tter.
Im ?brigen konnte dem jungen Forstmanne das, was er zun?chst vor Augen hatte, nicht als neuer Segen erscheinen.
Die Familie Pfeiffer, fr?her in Oberau ans?ssig und beg?tert, stand in gutem Ansehen. Damals waren Gastwirte Respektspersonen in der Gemeinde, die ihr Gewerbe neben der Landwirtschaft trieben und sich um des Fremdenverkehrs willen nichts vergaben.
Sie hielten scharfes Regiment im Hause aufrecht und litten keine Unordnung.
Der Schwabenwirt, ein kurz angebundener Mann, galt etwas und brachte sich vorw?rts, unterst?tzt von einer braven Frau, die zuweilen bei so hohen G?sten wie K?nig Max Ehre mit ihrer Kochkunst einlegte.
Es war selbstverst?ndlich, dass die T?chter bei jeder h?uslichen Arbeit mithelfen mussten, in K?che und Keller, wie in der Gaststube.
Die Kinder sagten zu jener Zeit ,,Sie" zu den Eltern, und der Verkehr in der Familie bewegte sich in gemessenen Formen, die keine unziemliche Vertraulichkeit oder Unbescheidenheit aufkommen liessen.
Ein Brief, in dem meine Mutter als sechzehnj?hriges M?dchen ihre Eltern um Beisteuer zu einem Sommerkleide bittet, zeigt nach Stil und Inhalt so viel altv?terliche, strenge Zucht, dass man versucht ist, ihn sehr viel weiter zur?ckzudatieren.
Was sie hier sah und lernte, trug sie s?uberlich in ein dickes Heft ein. Gedruckte Kochb?cher hatten damals wenig Geltung, und ich habe heute noch das st?rkere Vertrauen zu jenen geschriebenen Rezepten, die ich als Erinnerungen aufbewahre.
Die Schwabenwirtst?chter, deren jugendliche Anmut mir eine Daguerreotypie zeigt, fanden neben ihrer Arbeit immer noch Zeit, ihren Geist zu bilden, und wenn sie nicht allzuviel lasen, so lasen sie ganz gewiss nie einen seichten Roman.
Man erg?tzte sich gemeinsam mit Gleichstrebenden an einem guten Buche, und ein studierender J?ngling konnte sich in den Ferien hohe Anerkennung erwerben, wenn er seine erst k?rzlich erworbenen Kenntnisse in literarhistorischen Bemerkungen zu ,,Werthers Leiden" oder zu ,,Hermann und Dorothea" zeigte. Man las neben einigen Klassikern auch Stifters Studien, dies und jenes von Jean Paul, und man f?hrte dar?ber empfindsame Gespr?che, bei denen die M?dchen wohl nur die Zuh?rerinnen abgaben.
Dies alles bewegte sich in bescheidenen Grenzen, f?hrte nicht zu ?berklugheit und f?rderte eine wirkliche Herzensbildung.
Wie das im lieben Deutschland ?blich ist und war, mussten auch in Oberammergau gleichgestimmte Naturen einen Verein gr?nden zur Pflege ihrer Ideale, oder der Liebe zum ,,Guten, Wahren und Sch?nen", wie man damals sagte.
Der Verein erhielt den Namen ,,Ambronia" mit Beziehung auf den lieblichen Fluss, der sich durch das Tal schl?ngelt.
Hochstrebende J?nglinge, die sp?ter als Notare, ?rzte und geistliche R?te im Vaterlande wirkten, schlossen den Bund, dem auch bildungsfrohe M?dchen beitreten durften.
Wer sich geneigt f?hlt, dar?ber zu l?cheln, der lege sich die Frage vor, wo heute noch in einem kleinen, abgelegenen Dorfe eine solche Vereinigung zustande kommen k?nnte, und ob in diesem Streben nicht ein gesunderer Kern steckte als im Literaturklatsch und in den Moderichtungen unserer gr?sseren St?dte.
Im ?brigen war Oberammergau in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein geeigneter Platz f?r solche Neigungen und Ziele.
Es sassen weitgereiste Leute dort, denn ein reger Handel mit Schnitzereien, nicht zuletzt mit den reizvollen Spielwaren, ging durch ganz Europa und auch ?ber See. Mancher hatte sich t?chtig in der Welt umgetan und den Wert gediegener Bildung sch?tzen gelernt, aber jeder f?hlte sich erst wieder gl?cklich, wenn er heimgekehrt war und behaglich im Ampergrunde zu F?ssen des Kofels sass.
Unter den Schnitzern gab es vortreffliche K?nstler, die, weil sie sich zu bescheiden wussten, Vollendetes leisteten. Sie alle haben ihr K?nnen der gemeinsamen Aufgabe, dem Passionsspiele, gewidmet, und dieses stand damals in seiner sch?nsten Bl?te, denn im ganzen und in jeder Einzelheit zeigte es die aus traditioneller Kunstfertigkeit hervorgegangene Eigenart, die es sp?ter im Grossbetriebe mit den von ausw?rts bezogenen echten Dekorationen und Kost?men verloren hat.
Die Hingabe der Gemeinde an den ,,Passion", den Ruhm der Heimat, war damals frei von ungesunden Spekulationen, von Hoffnungen auf unm?ssigen und leichten Gewinn.
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