Read Ebook: Die Räuberbande by Frank Leonhard
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Ebook has 2205 lines and 72664 words, and 45 pages
achte er sich auf den Heimweg.
Vor ihm ging langsam ein Fremder und betrachtete die alten H?uschen. Er hatte einen Gummimantel an. Oldshatterhand blickte auf ihn, ging unauff?llig um ihn herum, und immer wenn der Fremde stehen blieb, blieb auch Oldshatterhand stehen, sah auf das H?uschen, auf den Fremden zur?ck. Seine W?nsche glitten aus der verhassten Gegenwart in die Zukunft. Seine Sehnsucht liess ihn zum Fremden werden.
>>Bitte sch?n, wo ist die Domstrasse?<< fragte der Fremde einen B?rger und ging in der angezeigten Richtung fort.
Auf den Zehenspitzen balancierend, bewegte Oldshatterhand den Oberk?rper hin und her, um den Fremden so lange wie m?glich sehen zu k?nnen.
Ein Mann mit einem Fensterfl?gel auf der Schulter kam auf ihn zu.
>>Sie . . . Sie!<<
Der Mann blieb stehen.
>>K? . . . k?nnen Sie mir nicht sagen, wo die Domstrasse ist? . . . Ich bin fre . . . fre . . . fremd in W?rzburg.<<
Verbl?fft sah der Mann Oldshatterhand an. >>Du bist doch der Sohn vom Schreiner Vierkant . . . Du Lausbub! Dir geb ich . . .<< Er hob die Hand. Oldshatterhand wich zur?ck und sah zwischen Lachen und Weinen dem Manne nach.
Beim Julius-Echter-Denkmal holte er seine Mutter ein, eine kleine, dicke Frau mit nachdenklichem Gesicht, worin die klugen, guten Augen ?ber Last und Sorgen und Auswegen nachsannen. Unvermittelt konnten die Furchen der Sorge in ihrem Gesicht sich in Linien der G?te verwandeln.
Sie schleppte einen grossen Henkelkorb, dessen Deckel klaffte, so dass die Kleider, die der Korb barg, zu sehen waren. >>Sechs Mark waren diesmal drauf. Und siebenundzwanzig Pfennig Zinsen hat er mir abgenommen . . . F?nf Mark muss ich dem Vater geben, f?r Vesper- und Ausgehgeld, bleiben mir von seinem Lohn drei Mark f?r die ganze Woche. Und damit soll ich Essen f?r vier Kinder und einen Mann auf den Tisch stellen . . . Die Hausmiete ist auch schon f?llig. Wenn ich nur einmal nimmer leben t?t.<<
Oldshatterhand schwieg eine Weile und fragte dann, was es heute abend g?be.
>>F?r'n Vater hab ich a T?uble<<, sagte die Mutter und stellte ihren Korb ab. >>Er isst's doch so gern . . . Ja no, er muss ja die ganze Woche hart arbeiten . . . Und wir, wir trinken halt unsern Kaffee. Tr?gst mir e bissle helf? . . . Siehst, das ist f?r dich.<< Sie holte aus dem Korb ein St?ckchen Kuchen und legte Oldshatterhand die Hand auf die Schulter. Ihr Gesicht wurde tiefrot, sie lachte, dass ihre Schultern sch?tterten, und konnte sich gar nicht beruhigen, weil sie ihren Sohn mit Kuchen ?berrascht hatte.
Mutter und Sohn fassten den Henkel: der Korb schwebte zwischen den beiden nahe dem Boden die Domstrasse hinunter und ?ber die alte Br?cke.
>>Mutter, schau mal die Wolke an ?ber der Festung. Sie sieht aus wie Rom.<<
Die Mutter lachte in sich hinein. >>Was bist du f?r einer . . . Wie Rooom!<<
Es war elf Uhr nachts.
Der vierzehnj?hrige Buchbinderlehrling und Hauptmann der R?uberbande, Sohn der verm?genden Gastwirtswitwe Benommen, stand nackt in seiner Dachkammer am offenen Fenster und hielt in jeder Faust ein B?geleisen. An einem Strick, der um seine Lenden gebunden war, hing vorne ein handgrosses, zinnoberrotes T?chlein. Sein weisser K?rper war vom Mondlicht getroffen. Hinten in der Kammer war tiefschwarze Nacht.
Von der Bierkneipe unten im Hause, die der ?ltere Bruder des Hauptmanns betrieb, klang der Gesang der Soldaten herauf:
>>Ich wollte sie verf?hren, Dazu hat sie kein Mut.<<
Der Hauptmann, genannt der bleiche Kapit?n, fing an zu ?ben: er reckte den Brustkasten heraus, sog ihn voll mit Luft und zog die ausgebreiteten Arme mit den B?geleisen kraftvoll zum K?rper, schnellte sie auseinander, zog sie an, und so fort. Dabei blickte er, den Kopf zur?ckgezogen, dass sich ein sp?rliches Doppelkinn bildete, die Unterlippe vorgeschoben, hinunter auf das Spiel seiner Armmuskeln.
Unten wurde, von M?dchenlachen begleitet, die Wirtschaftst?r zugeknallt, und eine Wolke Bierdunst schlug in des Hauptmanns Kammer.
Ein Schakalruf ert?nte in die Nachtstille. >>U . . . u!<< klang es d?ster, >>U . . . u!<<
Der bleiche Kapit?n horchte, fuhr in Hose und Rock und schlich, die Schn?rstiefel in der Hand, str?mpfig die Treppe hinunter.
Vor dem Hause, unter der Gaslaterne, stand ein Junge, elegant auf sein d?nnes Spazierst?ckchen gest?tzt, das sich fast zum Halbkreis bog: der Schreiberlehrling des Rechtsanwalts Karfunkelstein.
Die zwei Knaben schlichen dicht an den altersschiefen H?uschen eine enge Gasse aufw?rts, die bis an den Fuss des dunklen Schlossberges f?hrte. Auf dem steilen Bergrasen standen m?chtige, alte Linden, durch die sich ein Sandweg hinauf zur Festung zog. Achtzehnhundertsechsundsechzig war die Festung von den Preussen genommen und geschleift worden. Seitdem lag eine Kompagnie Trainsoldaten im Schloss, und am ?ussersten Rand des Berges, bei einem Auslugh?uschen, stand eine alte Kanone, die abgefeuert wurde, um B?rger und Feuerwehr zu alarmieren, wenn unten in der Stadt W?rzburg ein Brand ausbrach.
Die Knaben standen im schwarzen Schatten, den die Linden warfen. Es war vollkommen still. Der Schreiber sah sich ?ngstlich um. >>Horch . . . h?rst du nichts?<<
>>Da herauf kommt kein Mensch um diese Zeit<<, sagte der bleiche Kapit?n, sah sich auch um und zog die Schuhe an.
>>Es ist eigentlich gar nicht unheimlich . . . Wenn man nur keine Angst hat.<<
>>Das ist schon wahr . . . Schau, in der Elefantengass gibt's Gummiabs?tz. Das Paar nur zehn Pfennig. Da hab ich mir f?nfzehn Paar kauft.<< Sitzlings streckte der bleiche Kapit?n das Bein zum Schreiber in die H?he. >>Die andern vierzehn Paar hat mei Mutter glei' wieder zur?ckgetragen und hat g'sagt, die brauchet ich nit . . . Ich trau mich gar nimmer an dem G'sch?ft vorbei. Als ob man in seinem Leben nit f?nfzehn Paar Gummiabs?tzli aufbrauchen k?nnt. Es ist wirklich ganz unglaublich.<<
>>Das h?tt ich mir nit g'fall lass.<<
>>Gott, was willst denn mach.<< Er st?lpte die dicken Negerlippen m?rrisch nach aussen. >>No, lang dauert's ja nimmer. Die wenn w?sst, was wir vorham . . . Heiliger Gott!<<
>>Mei Vater hat heut zu mir g'sagt, wenn ich noch einmal mit Oldshatterhand und mit dir und den andern verkehre, k?nnte ich was erleben . . . Gr?n und blau wollt er mir ihn schlagen. Er weiss aber ganz genau, dass ich mir das nit g'fall lass.<<
>>Ja no.<<
>>Das eine weiss ich<<, sprach der Schreiber hochdeutsch, >>so saudumm w?rde ich nicht sein, wenn ich Vater w?re.<<
>>Gott, die ham ja keine Ahnung. Aber Augen werden die noch machen.<< Der bleiche Kapit?n erhob sich und trat pr?fend von einem Fusse auf den andern. >>Es ist wahrhaftig so, wie wenn man ?berhaupt keine Schuh anh?tt. Ich versteh absolut nit, warum mei Mutter mir die andern vierzehn Paar wieder zur?ckgetragen hat.<<
>>So sind sie halt. Da kannst wirklich nix mach. Gehn wir jetzt.<<
>>Ja, aber leis.<<
Sie stiegen den Schlossberg hinauf, bis vor das eisenbeschlagene, wuchtige Bohlentor, durch das man in die Festung gelangt. Um diese Zeit war das Tor geschlossen.
Geb?ckt schlichen sie auf dem Bergr?cken nach links, bis an den Rand vor, von wo aus man tief unten die Stadt liegen sieht, hoben wie auf Kommando die Arme, sch?ttelten die F?uste, riefen: >>Weh dir!<< zur Stadt hinunter und sprangen in den Festungsgraben.
Von allen Seiten kamen jetzt kleine, dunkle Gestalten den Schlossberg heraufgeschlichen, bis an den Rand vor, riefen: >>Weh dir!<< und sprangen, den bequemen Weg verachtend, die hohe Mauer hinunter in den Festungsgraben.
Die R?uberbande, eine Schar vierzehnj?hriger Lehrjungen, war versammelt.
Es war eine wunderbar klare Mondnacht im Herbst.
Oben stand dunkel das Schloss. Tief unten lagen die alte Br?cke, die H?user und krummen Gassen von W?rzburg. Die dreissig Kircht?rme bebten im Mondlicht. Der Main, der die Stadt in zwei Teile trennt, gl?nzte. Jeder Stern stand klar und scharf am gr?nlichen Himmel. Die ganze alte Stadt war aus purem Silber.
Die R?uber sassen im Kreis im Festungsgraben und rauchten ernst die Friedenspfeife: ein langes St?ck Schilf, derart viel im Graben wuchs.
Knapp vorbei am R?uberkreis, der noch im Mondlicht sass, fiel der tiefschwarze Schlagschatten, den die Schlossmauer warf.
Ein Vogel erwachte und flatterte im Brombeerbusch. Die R?uber sassen reglos und starrten auf das Lagerfeuer, das in ihrer Mitte flackerte.
Oben auf dem Feuer brannte und rauchte ein gerahmter Straminhaussegen, auf dem >>Bet' und arbeit', so hilft Gott allzeit<< gestickt war. Die Worte rollten sich zusammen, und Gott und Arbeit gingen in Flammen auf. Winnetou hatte den Haussegen daheim gestohlen.
Er verschluckte den ?tzenden Speichel, den auszuspucken als Schande galt, und sprach: >>In S?damerika sind die Indianer klein, falsch und furchtsam.<<
>>S?damerika!<< sagte ver?chtlich der bleiche Kapit?n.
>>Und arbeiten sogar f?r die Weissen. Ich habe nachgesehen.<<
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