Read Ebook: Aus meinem Leben by Hindenburg Paul Von
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Ebook has 1173 lines and 118241 words, and 24 pages
Generalfeldmarschall von Hindenburg
Aus meinem Leben
Verlag von S. Hirzel in Leipzig
Copyright by S. Hirzel in Leipzig 1920
Die Firma Albert Bonnier in Stockholm besitzt das alleinige ?bersetzungsrecht f?r folgende Sprachen: D?nisch-norwegisch, Englisch , Finnisch, Franz?sisch, Holl?ndisch, Japanisch, Italienisch, Schwedisch und Spanisch
ZUR EINF?HRUNG
Die folgenden Erinnerungen verdanken ihre Entstehung nicht einer Neigung zum Schreiben, sondern vielfachen Bitten und Anregungen, die von aussen an mich herantraten.
Nicht ein Geschichtswerk wollte ich verfassen sondern die Eindr?cke wiedergeben, unter denen mein Leben sich vollzog, und die Richtlinien klar legen, nach denen ich glaubte, denken und handeln zu m?ssen. Fern lag es mir, eine Rechtfertigungs- oder Streitschrift zu verfassen, am fernsten aber war mir der Gedanke an Selbstverherrlichung. Als Mensch habe ich gedacht, gehandelt und geirrt. Massgebend in meinem Leben und Tun war f?r mich nicht der Beifall der Welt sondern die eigene ?berzeugung, die Pflicht und das Gewissen.
Inmitten der schwersten Zeit unseres Vaterlandes niedergeschrieben, entstanden die folgenden Erinnerungsbl?tter doch nicht unter dem bitteren Drucke der Hoffnungslosigkeit. Mein Blick ist und bleibt unersch?tterlich vorw?rts und aufw?rts gerichtet.
Ich widme das Buch dankbar allen Denen, die mit mir im Feld und in der Heimat f?r des Reiches Gr?sse und Dasein k?mpften.
Im September 1919.
INHALTSVERZEICHNIS
Zur Einf?hrung V
Erster Teil. Aus Kriegs- und Friedensjahren bis 1914 3-67 Meine Jugend 3-15 Hindenburg-Beneckendorff 3-5. Eltern und fr?heste Jugend 6-8. Im Kadettenkorps 9-15. Im Kampf um Preussens und Deutschlands Gr?sse 16-47 Im 3. Garderegiment zu Fuss 16-17. 1866. Ins Feld 18. Bei Soor 19. K?niggr?tz 20-25. Nach K?niggr?tz 26. In die Heimat zur?ck 26-27. In Hannover 28-29. 1870. Wieder ins Feld 30. Bei St. Privat 31-35. Nach der Schlacht bei St. Privat 36. In die Schlacht bei Sedan 37-38. Sedan 39. Vor Paris 40-41. Kaiserproklamation 41-42. In Paris 42-44. Die Kommune 45-46. Der zweite Einzug in Berlin 47. Friedensarbeit 48-63 Kriegsakademie 48. Generalstab 49-50. Bei Generalkommando und Division 50-52. Kompagniechef 52-53. Im Grossen Generalstab 53-56. Lehrer an der Kriegsakademie 57. Im Kriegsministerium 58. Regimentskommandeur 58-59. Korpschef 59-60. Divisionskommandeur 60. Kommandierender General 61-62. Abschied 63. ?bergang in den Ruhestand 64-67 Deutsches Heer und Volk 64-66. Ausblick 66-67.
Zweiter Teil. Kriegf?hrung im Osten 69-144 Der Kampf um Ostpreussen 71-99 Kriegsausbruch und Berufung 71-74 Deutsche Politik und Dreibund 71-73. Mobilmachung 74. Zur Front 75-79 Armeef?hrer. General Ludendorff 75. Lage im Osten 76. Verh?ltnis zu General Ludendorff 77-79. Tannenberg 79-91 Im Armee-Hauptquartier 79. Russische Absichten 80. Entwickelung des Schlachtenplans 81. Gefahr von Seite Rennenkampfs 82. St?rkeverh?ltnisse 83. Die Marienburg 84. Tannenberg 85. Entwickelung der Schlacht 86-87. Entscheidungskampf 88-89. Ergebnis 90-91. Die Schlacht an den masurischen Seen 91-99 Neue Aufgaben 91-93. Rennenkampf 93-94. Zum Angriff vor 95. Verlauf der Schlacht 96-99. Der Feldzug in Polen 100-116 Abschied von der 8. Armee 100-104 Zusammenwirken mit der ?sterreichisch-ungarischen Heeresleitung 100-102. Nach Schlesien 102-104. Der Vormarsch 104-108 Operative Lage 104-105. Polnische Zust?nde 106. K?mpfe bei Iwangorod und Warschau 106-107. Russische Gegenoperation 108. Der R?ckzug 109-112 Neue Pl?ne 109. Weiterer Widerstand in Polen 110. R?ckzug an die schlesische Grenze 111-112. Oberbefehlshaber im Osten 112. Unser Gegenangriff 112-116 Wechselspiel der Operationen 112-115. Ende der K?mpfe in Polen 116. 1915 117-134 Frage der Kriegsentscheidung 117-122 K?mpfe und Operationen im Osten 122-130 Ansichten der ?sterreichisch-ungarischen Heeresleitung 123. Winterschlacht in Masuren 124-125. Russische Gegenangriffe 125. Unsere allgemeine Offensive im Osten. Rolle des Oberkommandos Ost 126-127. Eigene Pl?ne. Nowo Georgiewsk. Wilna 128-130. L?tzen 130-133 Kowno 133-134 Das Feldzugsjahr 1916 bis Ende August 135-144 Der Russenangriff gegen die deutsche Ostfront 135-140 Der Winter 1915/16 135-136. Schlacht am Naroczsee 137-140. Der Russenangriff gegen die ?sterreichisch-ungarische Ostfront 140-144 Verdun und Italien 140-141. Wolhynien und Bukowina 142-143. Erweiterung des Befehlsbereichs 143-144.
Dritter Teil. Von der ?bertragung der Obersten Heeresleitung bis zur Zertr?mmerung Russlands 145-294 Berufung zur Obersten Heeresleitung 147-167 Chef des Generalstabes des Feldheeres 147-148 Kriegslage Ende August 1916 148-150 Politische Lage 150-154 Die deutsche Oberste Kriegsleitung 154-161 Die ?sterreichisch-ungarische Wehrmacht 156-158. Das bulgarische und t?rkische Heer 158-159. Unsere Leistungen im Kriege 160-161. Pless 161-167 K?nig Ferdinand von Bulgarien 162. Kaiser Franz Joseph 163. Generaloberst Conrad von H?tzendorf 163-164. Enver Pascha 164-165. General Jekoff 165. Talaat Pascha 166-167. Radoslawow 167. Leben im Grossen Hauptquartier 168-175 Regelm?ssiger Tagesverlauf 168-172. Besucher 173-175. Kriegsereignisse bis Ende 1916 176-198 Der rum?nische Feldzug 176-187 Unsere politische und milit?rische Lage zu Rum?nien 176-177. Bulgarischer Angriff in Mazedonien 178. Rum?nische Kriegserkl?rung 179. Bisheriger Feldzugsplan 179-181. Niederwerfung Rum?niens 182-187. K?mpfe an der mazedonischen Front 187-189 Auf den asiatischen Kriegsschaupl?tzen 189-192 Die Ost- und Westfront bis zum Ende des Jahres 1916 192-198 Unterst?tzung Rum?niens durch Russland 192-194. Fortdauer der K?mpfe vor Verdun 194-195. Zum erstenmal an der Westfront 196-198. Meine Stellung zu politischen Fragen 199-218 ?ussere Politik 199-210 Politik und Kriegf?hrung 200-201. Polnische Frage 201-203. Polnische Freiwilligentruppen 203-204. Irrige Hoffnungen 204. Dobrudscha-Frage 205-206. Politische Erregung in Bulgarien 206-207. T?rkische Politik 207-210. Die Friedensfrage 210-215 Innere Politik 215-218 ,,Hindenburg-Programm" 216. Vaterl?ndischer Hilfsdienst 216-218. Vorbereitungen f?r das kommende Feldzugsjahr 219-237 Unsere Aufgaben 219-227 Allgemeine Lage Winter 1916-17. Aufgezwungene Verteidigung 219-222. ,,Siegfriedstellung" 223. Ablehnung von Angriffspl?nen in Italien und Mazedonien 224-227. Aufgabe der T?rkei f?r 1917 227. Der Unterseebootkrieg 228-234 Blockade und Menschlichkeit 228-229. Amerikanische Munition 229. Hoffnungen verbunden mit dem Unterseebootkrieg 230-232. Erw?gungen und Entscheidung 232-233. Der h?chste Einsatz 234. Kreuznach 235-237 Der feindliche Ansturm im ersten Halbjahr 1917 238-251 Im Westen 238-244 Vorbereitung f?r die Abwehrschlachten 238-240. Fr?hjahrsschlacht bei Arras 240-242. Doppelschlacht Aisne-Champagne 242-244. Im nahen und fernen Orient 244-246 An der Ostfront 246-251 Russische Revolution 246-247. Eigene Zur?ckhaltung 247-248. Weiterentwickelung des russischen Umsturzes 248-249. Letzte russische Anst?rme 250-251. Unser Gegenstoss im Osten 252-258 Das Wagnis des Gegenstosses 252-254. Tarnopol 254-255. Riga und ?sel 256-258. Angriff auf Italien 259-263 Fortsetzung der feindlichen Angriffe im zweiten Halbjahr 1917 264-293 Im Westen 264-268 Ausgang der flandrischen Schlacht 264-265. Cambrai 265-267. Erfahrungen 267-268. Angriffe der Franzosen 268. Auf dem Balkan 268 In Asien 269-276 Englische Operationen in Asien 269-272. Pl?ne zur Wiedereroberung Bagdads 272-273. Verh?ltnisse im t?rkischen Heere 274. Unsere Unterst?tzungen 275-276. Ein Blick auf die inneren Zust?nde von Staaten und V?lkern Ende 1917 277-293 Der t?rkische Staat 277-279. Bulgarien 280-283. ?sterreich-Ungarn 283-284. Die deutsche Heimat 284-288. Frankreich 288-289. England 290. Italien 290-291. Vereinigte Staaten von Nordamerika 291. Kriegsverl?ngerung 291-293.
Vierter Teil. Entscheidungskampf im Westen 295-354 Die Frage der Westoffensive 297-314 Absichten und Aussichten f?r 1918 297-312 Aussichten und Vertrauen 297-301. Angriffsabsichten 301. Lage und Entschluss 301-303. Truppenschulung 304. Vereinigung der Kr?fte im Westen 305. Schwierigkeiten im Osten 306-307. Finnische Expedition 308. ?sterreichisch-ungarische Unterst?tzung 308-309. Truppen aus Bulgarien und der T?rkei 310. Defensive 1918? 311-312. Spa und Avesnes 312-314 Unsere drei Angriffsschlachten 315-338 Die ,,Grosse Schlacht" in Frankreich 315-321 Die Schlacht an der Lys 321-326 Die Schlacht bei Soissons und Reims 327-333 Die Schlacht 328-331. Die Menschlichkeit auf dem Schlachtfelde 332-333. R?ckblick und Ausblick Ende Juni 1918 333-338 Im Angriff gescheitert 339-354 Der Plan zur Schlacht bei Reims 339-343 Die Schlacht bei Reims 343-354 Unser Angriff 343-346. Ergebnis 347. Des Feindes Gegenstoss 348-351. Entschluss zur R?umung des Marnebogens 351. Haltung unserer Truppen 352. Bedeutung des Schlachtausgangs 353-354.
F?nfter Teil. ?ber unsere Kraft 355-402 In die Verteidigung geworfen 357-366 Der 8. August 357-361 Die Folgen des 8. August und die Fortsetzung unserer K?mpfe im Westen bis Ende September 362-366 Der Kampf unserer Bundesgenossen 367-389 Bulgariens Zusammenbruch 367-377 Der Sturz der t?rkischen Macht in Asien 377-383 Milit?risches und Politisches aus ?sterreich-Ungarn 383-389 Unterst?tzung unserer Westfront 384. K?mpfe in Albanien 385. Erstreben des Kriegsendes 386. Graf Czernin 386-388. Graf Burian 388. Letzte ?sterreichische Friedensversuche 389. Dem Ende entgegen 390-402 Vom 29. September zum 26. Oktober 390-397 Verh?ltnisse an der Kampffront 390-391. Unser schwerster Entschluss 392-393. Unser Waffenstillstands- und Friedensangebot 394-395. Fortschreitender Zerfall der Heimat 396-397. Vom 26. Oktober zum 9. November 397-402 Das Ende des Widerstandes unserer Bundesgenossen 398-399. Die h?chste Spannung und das Zerreissen 400-402. Mein Abschied 403-406
Personenverzeichnis 407-409
ERSTER TEIL
AUS KRIEGS- UND FRIEDENSJAHREN BIS 1914
Meine Jugend
An einem Fr?hlingsabend des Jahres 1859 sagte ich als 11j?hriger Knabe am Gittertor des Kadettenhauses zu Wahlstatt in Schlesien meinem Vater Lebewohl. Der Abschied galt nicht nur dem geliebten Vater sondern gleichzeitig meinem ganzen bisherigen Leben. Aus diesem Gef?hl heraus stahlen sich Tr?nen aus meinen Augen. Ich sah sie auf meinen ,,Waffenrock" fallen. ,,In diesem Kleid darf man nicht schwach sein und weinen" fuhr es mir durch den Kopf; ich riss mich empor aus meinem kindlichen Schmerz und mischte mich nicht ohne Bangen unter meine nunmehrigen Kameraden.
Soldat zu werden war f?r mich kein Entschluss, es war eine Selbstverst?ndlichkeit. Solange ich mir im jugendlichen Spiel oder Denken einen Beruf w?hlte, war es stets der milit?rische gewesen. Der Waffendienst f?r K?nig und Vaterland war in unserer Familie eine alte ?berlieferung.
Unser Geschlecht, die ,,Beneckendorffs", entstammt der Altmark, wo es urkundlich im Jahre 1280 zum erstenmal auftritt. Von hier fand es, dem Zuge der Zeit folgend, ?ber die Neumark seinen Weg nach Preussen herauf. Dort waren schon manche Tr?ger meines Namens in den Reihen der Deutschritter als Ordensbr?der oder ,,Kriegsg?ste" gegen die Heiden und Polen zu Felde gezogen. Sp?ter gestalteten sich unsere Beziehungen mit dem Osten durch Gewinn von Grundbesitz noch inniger, w?hrend diejenigen mit der Mark immer lockerer wurden und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ganz aufh?rten.
Die G?ter bei Heiligenbeil wurden infolge dieser Erbschaft verkauft. Auch Limbsee musste, der Not gehorchend, nach den Befreiungskriegen ver?ussert werden. Aber Neudeck ist heute noch im Besitz unserer Familie; es geh?rt der Witwe meines n?chst?ltesten Bruders, der nicht ganz zwei Jahr j?nger als ich war, so dass unsere Lebenswege in treuer Liebe nahe nebeneinander herliefen. Auch er wurde Kadett und durfte seinem K?nige lange Jahre als Offizier in Krieg und Frieden dienen.
Nach dem Tode meiner Grosseltern zogen meine Eltern 1863 nach Neudeck. Wir fanden also von da ab dort, in den uns so vertrauten R?umen, das Elternhaus. Wo ich einst in jungen Jahren so gern geweilt hatte, da habe ich mich sp?ter oft mit Frau und Kindern von des Lebens Arbeit ausgeruht.
So ist denn Neudeck f?r mich die Heimat, der feste Mittelpunkt auch meiner engeren Familie geworden, dem unser ganzes Herz geh?rt. Wohin mich auch innerhalb des deutschen Vaterlandes mein Beruf f?hrte, ich f?hlte mich stets als Altpreusse.
Als Soldatenkind wurde ich 1847 in Posen geboren. Mein Vater war zu der Zeit Leutnant im 18. Infanterie-Regiment. Meine Mutter war die Tochter des damals auch in Posen lebenden Generalarztes Schwickart.
Das einfache, um nicht zu sagen harte Leben eines preussischen Landedelmannes oder Offiziers in bescheidenen Verh?ltnissen, das in der Arbeit und Pflichterf?llung seinen wesentlichsten Inhalt fand, gab naturgem?ss unserm ganzen Geschlecht sein Gepr?ge. Auch mein Vater ging daher v?llig in seinem Berufe auf. Aber er fand hierbei immer noch Zeit, sich Hand in Hand mit meiner Mutter der Erziehung seiner Kinder - ich hatte noch zwei j?ngere Br?der und eine Schwester - zu widmen. Das sittlich tief angelegte, aber auch auf das praktische Leben gerichtete Wesen meiner teuren Eltern zeigte auch nach aussen hin eine vollendete Harmonie. In gegenseitiger Erg?nzung der Charaktere stand neben der ernsten, vielfach zu Sorgen geneigten Lebensauffassung meiner Mutter die ruhigere Anschauungsart meines Vaters. Beide vereinten sich in warmer Liebe zu uns, und so wirkten sie denn auf diese Weise in voller ?bereinstimmung auf die geistige und sittliche Heranbildung ihrer Kinder ein. Es ist daher schwer zu sagen, wem ich dabei mehr zu danken habe, welche Richtung mehr vom Vater und welche mehr von der Mutter gef?rdert wurde. Beide Eltern bestrebten sich, uns einen gesunden K?rper und einen kr?ftigen Willen zur Tat f?r die Erf?llung der Pflichten auf den Lebensweg mitzugeben. Sie bem?hten sich aber auch, uns durch Anregung und Entwickelung der zarteren Seiten des menschlichen Empfindens das Beste zu bieten, was Eltern geben k?nnen: den vertrauensvollen Glauben an Gott den Herrn und eine grenzenlose Liebe zum Vaterlande und zu dem, was sie als die st?rkste St?tze dieses Vaterlandes anerkannten, n?mlich zu unserm preussischen K?nigstum. Der Vater f?hrte uns zugleich von fr?her Jugend an in die Wirklichkeit des Lebens hinaus. Er weckte in uns im Garten und auf Spazierg?ngen die Liebe zur Natur, zeigte uns das Land und lehrte uns die Menschen in ihrem Dasein und in ihrer Arbeit erkennen und sch?tzen. Unter ,,uns" verstehe ich hierbei ausser mir meinen n?chst?ltesten Bruder. Die Erziehung meiner nach diesem folgenden Schwester lag selbstredend mehr in H?nden der Mutter, und mein j?ngster Bruder trat erst ins Leben, kurz bevor ich Kadett wurde.
Das Los des Soldaten, zu wandern, f?hrte meine Eltern von Posen nach K?ln, Graudenz, Pinne in der Provinz Posen, Glogau und Kottbus. Dann nahm mein Vater den Abschied und zog nach Neudeck.
Von Posen habe ich aus damaliger Zeit nur wenig Erinnerung. Mein Grossvater m?tterlicherseits starb bald nach meiner Geburt. Er hatte sich 1813 in der Schlacht bei Kulm als Milit?rarzt das Eiserne Kreuz am Kombattantenbande erworben, weil er ein f?hrerlos und wankend gewordenes Landwehrbataillon wieder geordnet und vorgef?hrt hatte. Meine Grossmutter musste uns in sp?teren Jahren noch viel von der ,,Franzosenzeit", die sie in Posen als junges M?dchen durchlebt hatte, erz?hlen. Genau entsinne ich mich eines hochbetagten G?rtners meiner Grosseltern, der noch 14 Tage unter Friedrich dem Grossen gedient hatte. So fiel gewissermassen auf mich als Kind noch ein letzter Sonnenstrahl ruhmvoller friderizianischer Vergangenheit.
Unser Aufenthalt in K?ln und Graudenz war nur von kurzer Dauer. Aus der K?lner Zeit schwebt mir das Bild des m?chtigen, jedoch noch unvollendeten Domes vor.
In Pinne f?hrte mein Vater nach damaligem Brauch vier Jahre hindurch als ?berz?hliger Hauptmann eine Landwehrkompagnie. Er war dienstlich nicht sehr beansprucht, so dass er sich gerade in der Zeit, in welcher sich mein jugendlicher Geist zu regen begann, uns Kindern besonders widmen konnte. Er unterrichtete mich bald in Geographie und Franz?sisch, w?hrend mir der Schullehrer Kobelt, dem ich noch heute eine dankbare Erinnerung bewahre, Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Aus dieser Zeit stammt meine Vorliebe f?r Geographie, welche mein Vater durch sehr anschauliche und anregende Lehrart zu wecken verstand. Den ersten Religionsunterricht erteilte mir in zum Herzen redender Weise meine Mutter.
Immer mehr entwickelte sich in diesen Jahren und aus dieser Art der Erziehung ein Verh?ltnis zu meinen Eltern, das zwar ganz auf den Boden unbedingter Autorit?t gestellt war, das aber zugleich auch bei uns Kindern weit mehr das Gef?hl grenzenlosen Vertrauens als blinder Unterwerfung unter eine zu strenge Herrschaft wachrief.
Pinne ist ein kleines St?dtchen mit angrenzendem Rittergut. Letzteres geh?rte einer Frau von Rappard, in deren Hause wir viel verkehrten. Sie war kinderlos aber sehr kinderlieb. In der N?he sass ihr Bruder, Herr von Massenbach, auf dem Rittergut Bialokosz. In dessen grosser Kinderschar fand ich mehrere liebe Spielgef?hrten. Die Erinnerung an Pinne hat sich bei mir stets sehr rege erhalten. Ich besuchte im Sp?therbst 1914 den Ort von Posen aus und betrat mit R?hrung das kleine bescheidene H?uschen im Dorfteile, in welchem wir einst ein so gl?ckliches Familienleben gef?hrt hatten. Der jetzige Besitzer des Gutes ist der Sohn eines meiner einstigen Spielgef?hrten. Der Vater ist schon zur ewigen Ruhe gegangen.
In die Glogauer Zeit f?llt mein Eintritt in das Kadettenkorps. Ich hatte dort vorher je zwei Jahre die B?rgerschule und das evangelische Gymnasium besucht. Wie ich h?re, hat man mir in Glogau dadurch ein freundliches Andenken bewahrt, dass eine an unserm damaligen Wohnhaus angebrachte Tafel an meinen dortigen Aufenthalt erinnert. Ich habe die Stadt zu meiner Freude wiedergesehen, als ich Kompagniechef im benachbarten Fraustadt war.
Das Leben in dem preussischen Kadettenkorps war damals, man kann wohl sagen, bewusst und gewollt rauh. Die Erziehung war neben der Schulbildung auf eine gesunde Entwicklung des K?rpers und des Willens gestellt. Tatkraft und Verantwortungsfreudigkeit wurden ebenso hoch bewertet als Wissen. In dieser Art der Erziehung lag keine Einseitigkeit sondern eine gewisse St?rke. Die einzelne Pers?nlichkeit sollte und konnte sich auch in ihren gesunden Besonderheiten frei entwickeln. Es war etwas von dem Yorkschen Geiste in jener Erziehung, ein Geist, der so oft von oberfl?chlichen Beurteilern falsch aufgefasst worden ist. Gewiss war York gegen sich wie gegen andere ein harter Soldat und Erzieher, aber er war es auch, der f?r jeden seiner Untergebenen das Recht und die Pflicht des freien selbst?ndigen Handelns forderte, wie er selbst diese Selbst?ndigkeit gegen jedermann zum Ausdruck brachte. Der Yorksche Geist ist daher nicht nur in seiner milit?rischen Straffheit sondern auch in seiner Freiheit einer der kostbarsten Z?ge unseres Heeres gewesen.
F?r die humanistische Bildung anderer Schulen, soweit sie sich vorherrschend mit den alten Sprachen besch?ftigt, habe ich nur wenig Verst?ndnis. Der praktische Nutzen f?r das Leben bleibt mir unklar. Als Mittel zum Zweck betrachtet, nehmen meiner Meinung nach die toten Sprachen im Lehrplan viel zu viel Zeit und Kraft in Anspruch, und als Sonderstudium geh?ren sie in sp?tere Lebensjahre. Ich w?nschte, auf die Gefahr hin, f?r einen B?otier gehalten zu werden, dass in solchen Schulen auf Kosten von Latein und Griechisch die lebenden Sprachen, neuere Geschichte, Deutsch, Geographie und Turnen mehr in den Vordergrund gestellt w?rden. Muss denn das, was im dunklen Mittelalter das einzige war, an welches sich die Bildung anklammern konnte, wirklich auch noch in heutigen Tagen in erster Linie stehen? Haben wir uns nicht seitdem in harten K?mpfen und schwerer Arbeit eine eigene Geschichte, eine eigene Literatur und Kunst geschaffen? Bed?rfen wir nicht, um im Weltverkehr unsere Stellung richtig einnehmen zu k?nnen, weit mehr der lebenden als der toten Sprachen?
Aus dem eben Gesagten soll keine Missachtung des Altertums an sich herausklingen. Dessen Geschichte hat im Gegenteil von fr?her Jugend an auf mich eine grosse Anziehungskraft ausge?bt. Vornehmlich war es die der R?mer, welche mich fesselte. Sie hatte f?r mich etwas Gewaltiges, fast D?monisches, ein Eindruck, der mir in sp?tern Lebensjahren bei dem Besuche Roms besonders lebhaft vor Augen trat und sich unter anderm darin ?usserte, dass mich dort die Denkm?ler der alten ewigen Stadt mehr anzogen als die Sch?pfungen italienischer Renaissance.
Roms kluges Erkennen der Vorz?ge und M?ngel v?lkischer Eigent?mlichkeiten, seine r?cksichtslose Selbstsucht, die im eigenen Interesse kein Mittel Freund und Feind gegen?ber verschm?hte, seine geschickt aufgemachte tugendhafte Entr?stung, wenn die Feinde einmal mit gleichem vergalten, sein Ausspielen aller Leidenschaften und Schw?chen innerhalb der feindlichen V?lker, wie es in so kluger Weise ganz besonders den germanischen St?mmen gegen?ber angewendet wurde und hier mehr nutzte als Waffengebrauch, fand nach meinen sp?teren Erfahrungen sein Spiegelbild und seine Vervollkommnung in der britischen Staatsweisheit, der es gelang, all diese Seiten diplomatischer Kunst bis zur h?chsten Verfeinerung und Weltt?uschung auszubauen.
Meine Jugendhelden suchte ich bei aller Verehrung des Altertums nur unter meinen eigenen Volksgenossen. Offen und ehrlich spreche ich meine Auffassung dahin aus, dass wir nicht so einseitig und undankbar sein d?rfen, ?ber der Bewunderung f?r einen Alcibiades oder Themistokles, f?r die verschiedenen Katos oder Fabier so manche derjenigen M?nner ganz zu ?bersehen, die in der Geschichte unseres eigenen Vaterlandes eine mindestens ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie jene einst f?r Griechenland und Rom. Ich habe traurige Wahrnehmungen in dieser Beziehung leider wiederholt im Gespr?ch mit deutscher Jugend gemacht, die mir dann bei aller Gelehrsamkeit doch etwas weltfremd vorkam.
Vor solcher Weltfremdheit bewahrten uns im Kadettenkorps unsere Lehrer und Erzieher, und ich danke ihnen das noch heute. Dieser Dank geb?hrt vornehmlich einem damaligen Leutnant von Wittich. Ich war ihm, als ich nach Wahlstatt kam, durch einen Verwandten empfohlen worden, und er nahm sich meiner stets besonders freundlich an. Selbst erst vor wenigen Jahren dem Kadettenkorps entwachsen, f?hlte er ganz mit uns, beteiligte sich gern an unseren Spielen, besonders den Schneeballgefechten im Winter, wirkte ?berall erfrischend und anregend und besass obenein ein hervorragendes Lehrtalent. Er hat mich 1859 in Sexta in Geographie und sechs Jahre sp?ter in Berlin in Selekta im Gel?ndeaufnehmen unterrichtet, und als ich nach weitern Jahren die Kriegsakademie besuchte, fand ich auch dort wieder den Generalstabsmajor von Wittich als Lehrer vor. Dieser besch?ftigte sich schon als Leutnant mit Kriegsgeschichte und gab uns manchmal w?hrend der sonnt?glichen Spazierg?nge durch Anlage kleiner ?bungen in geeignetem Gel?nde anschauliche Bilder ?ber den Gang der Schlachten, welche damals, 1859, in Oberitalien geschlagen wurden, wie z. B. Magenta und Solferino. Sp?ter, in Berlin, regte er mich, den Kadetten, auch bereits zum Studium der Kriegsgeschichte an und lenkte dadurch mein jugendliches Interesse in Bahnen, die f?r meinen weiteren Werdegang von Bedeutung waren. Ist doch die Kriegsgeschichte der beste Lehrmeister f?r die h?here Truppenf?hrung. Als ich sp?ter in den Generalstab versetzt wurde, geh?rte ihm Oberstleutnant von Wittich auch noch an bedeutsamer Stelle an, und schliesslich sind wir beide sogar noch gleichzeitig Kommandierende Generale, also Befehlshaber ?ber Armeekorps, gewesen. Das hatte der kleine Sextaner in Wahlstatt nicht geahnt, als ihm der Leutnant von Wittich in der Geographiestunde einen freundschaftlichen Jagdhieb mit dem Lineal versetzte, weil er Montblanc und Monte Rosa verwechselt hatte.
Unter der harten Schulung des Kadettenlebens hat unser Frohsinn nicht gelitten. Ich wage es zu bezweifeln, dass sich das frische jugendliche Toben, dem nat?rlicherweise die gelegentliche Steigerung bis zum tollen ?bermut nicht fehlte, in irgend welchen anderen Bildungsanstalten mehr geltend machte, als bei uns Kadetten. Wir fanden in unseren Erziehern meist verst?ndnisvolle, milde Richter.
Ich selbst war zun?chst keineswegs das, was man im gew?hnlichen Leben einen Mustersch?ler nennt. Anfangs hatte ich eine aus fr?heren Krankheiten zur?ckgebliebene k?rperliche Schw?chlichkeit zu ?berwinden. Als ich dann dank der gesunden Erziehungsart allm?hlich erstarkte, hatte ich anf?nglich wenig Neigung dazu, mich den Wissenschaften besonders zu widmen. Erst langsam erwachte in dieser Beziehung mein Ehrgeiz, der sich mit den Jahren bei gutem Erfolge immer mehr steigerte und mir schliesslich unverdientermassen den Ruf eines besonders begabten Sch?lers einbrachte.
Bei allem Stolz, mit welchem ich mich ,,K?niglicher Kadett" nannte, begr?sste ich doch die Tage der Einkehr in das Elternhaus stets mit unendlichem Jubel. Die Reisen waren in der damaligen Zeit, besonders w?hrend des Winters, freilich nicht einfach. Je nach dem Reiseziel wechselten langsame Bahnfahrten in ungeheizten Wagen mit noch langsamern Postfahrten ab. Aber alle diese Schwierigkeiten traten in den Hintergrund bei der Aussicht, die Heimat, Eltern und Geschwister wiederzusehen. Der Sehnsucht des Sohnes schlug das Herz der Mutter am w?rmsten entgegen. So entsinne ich mich noch meiner ersten Weihnachtsheimkehr nach Glogau. Ich war mit anderen Kameraden die ganze Nacht hindurch von Liegnitz in der Post gefahren. Noch im Dunkeln trafen wir, durch Schneefall versp?tet, in Glogau ein. Da sass die liebe Mutter in der schwach erleuchteten, kaum erw?rmten sogenannten Passagierstube an wollenen Str?mpfen strickend, als wolle sie durch das Nachgeben gegen?ber der Sehnsucht zu einem ihrer Kinder die Vorsorge f?r das Wohl der anderen nicht vers?umen.
In mein erstes Kadettenjahr fiel im Sommer 1859 ein Besuch des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm, des sp?teren Kaisers Friedrich, und seiner Gemahlin in Wahlstatt. Wir sahen fast alle bei dieser Gelegenheit zum ersten Male Mitglieder unseres K?nigshauses. Noch nie hatten wir beim Parademarsch unsere Beine so hoch geworfen, noch nie bei dem sich hieran anschliessenden Vorturnen so halsbrecherische ?bungen gemacht als an diesem Tage. Und von der G?te und Leutseligkeit des Prinzenpaares sprachen wir noch lange Zeit.
Einen ebenso erhebenden als ernsten Ton brachte in unser Kadettenleben der Beginn des Jahres 1864. Der Krieg gegen D?nemark brach aus, und ein Teil unserer Kameraden schied im Fr?hjahr von uns, um in die Reihen der k?mpfenden Truppen zu treten. Mich selbst verhinderte leider noch das jugendliche Alter daran, zu der Zahl dieser Vielbeneideten zu geh?ren. Mit welch heissen W?nschen die ausziehenden Kameraden von uns begleitet wurden, bedarf keiner Schilderung.
?ber die politischen Gr?nde, die zu dem Kriege f?hrten, zerbrachen wir uns den Kopf noch nicht. Aber wir hatten doch schon das stolze Empfinden, dass in das matte und haltlose Wesen des Deutschen Bundes endlich einmal ein erfrischender Wind gefahren war, und dass die Tat wieder mehr gelten sollte als das Wort und die Aktenb?ndel. Im ?brigen verfolgten wir mit gl?hendem Interesse die kriegerischen Ereignisse, wohnten freudig klopfenden Herzens der Einbringung der eroberten Gesch?tze und dem Siegeseinzug der Truppen als Zuschauer bei und glaubten zu dem Gef?hl berechtigt zu sein, einen Teil jenes Geistes in uns zu haben, der auf den d?nischen Kampffeldern unsere Truppen zum Erfolge f?hrte. War es zu verwundern, wenn wir seitdem kaum den Tag erwarten konnten, der uns selbst in die Reihen unserer Armee f?hren sollte?
Bevor dies geschah, wurde uns noch die Ehre und das Gl?ck zuteil, unserm K?nig pers?nlich vorgestellt zu werden. Wir wurden zu dem Zweck in das Schloss gef?hrt und hatten dort Seiner Majest?t Namen und Stand des Vaters zu nennen. Kein Wunder, dass da mancher in der Aufregung erst kein Wort hervorbrachte und dann die Worte durcheinander warf. Hatten wir doch noch nie unserm greisen Herrscher so nahe gegen?ber gestanden, ihm noch nie so scharf in das g?tige Auge geblickt und seine Stimme geh?rt. Ernste Worte sprach der K?nig zu uns. Er ermahnte uns, auch in schweren Stunden unsere Schuldigkeit zu tun. Bald sollten wir Gelegenheit haben, dies in die Tat umzusetzen. Manche von uns haben ihre Treue mit dem Tode besiegelt.
Im Fr?hjahr 1866 verliess ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem dieser milit?rischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner pers?nlichen Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben. Ich freute mich immer der hoffnungsvollen jungen Kameraden in des K?nigs Rock. Auch w?hrend des Weltkrieges nahm ich gern Gelegenheit, S?hne meiner Mitarbeiter, meiner Bekannten oder gefallener Kameraden bei mir als G?ste zu sehen. Ein g?nstiger Umstand gab mir sogar Veranlassung, die Feier meines in den Krieg fallenden 70j?hrigen Geburtstages damit zu beginnen, dass ich drei kleine Kadetten in Kreuznach von der Strasse weg an meinen mit essbaren Geschenken reich besetzten Fr?hst?ckstisch rufen lassen konnte. Sie traten vor mich hin, so wie ich die Jugend liebe, frisch und unbefangen, leibhaftige Bilder l?ngst vergangener Zeiten, Erinnerungen an selbsterlebte Tage.
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