Read Ebook: Aus meinem Leben by Hindenburg Paul Von
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page
Ebook has 1173 lines and 118241 words, and 24 pages
Im Fr?hjahr 1866 verliess ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem dieser milit?rischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner pers?nlichen Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben. Ich freute mich immer der hoffnungsvollen jungen Kameraden in des K?nigs Rock. Auch w?hrend des Weltkrieges nahm ich gern Gelegenheit, S?hne meiner Mitarbeiter, meiner Bekannten oder gefallener Kameraden bei mir als G?ste zu sehen. Ein g?nstiger Umstand gab mir sogar Veranlassung, die Feier meines in den Krieg fallenden 70j?hrigen Geburtstages damit zu beginnen, dass ich drei kleine Kadetten in Kreuznach von der Strasse weg an meinen mit essbaren Geschenken reich besetzten Fr?hst?ckstisch rufen lassen konnte. Sie traten vor mich hin, so wie ich die Jugend liebe, frisch und unbefangen, leibhaftige Bilder l?ngst vergangener Zeiten, Erinnerungen an selbsterlebte Tage.
Im Kampf um Preussens und Deutschlands Gr?sse
Am 7. April 1866 trat ich als ,,Sekondlieutenant" in das 3. Garderegiment zu Fuss ein. Das Regiment geh?rte zu denjenigen Truppenteilen, die gelegentlich der grossen Vermehrung aktiver Verb?nde 1859/60 neu errichtet worden waren. Das junge Regiment hatte sich, als ich in dasselbe eintrat, bereits im Feldzug 1864 Lorbeeren erworben. Die Ruhmesgeschichte eines Truppenteiles schlingt ein einigendes Band um alle seine Angeh?rigen und liefert einen Kitt, der sich auch in den schwersten Kriegslagen bew?hrt. Hierin liegt ein unzerst?rbares Etwas, das auch dann weiterwirkt, wenn, wie im letzten grossen Kriege, Regimenter wiederholt einen f?rmlichen Neuaufbau durchmachen mussten. ?briggebliebene Reste des alten Geistes durchstr?mten die neuen Teile in kurzer Zeit.
Ich fand in meinem Regiment, das aus dem 1. Garde-Regiment zu Fuss hervorgegangen war, die gute, alte Potsdamer Schule, den Geist, der den besten ?berlieferungen des damaligen preussischen Heeres entsprach. Das preussische Offizierkorps dieser Zeit war nicht mit Gl?cksg?tern gesegnet, und das war gut. Sein Reichtum bestand in seiner Bed?rfnislosigkeit. Das Bewusstsein eines besonderen pers?nlichen Verh?ltnisses zu seinem K?nig - der Vasallentreue, wie ein deutscher Historiker sich ausdr?ckt - durchdrang das Leben der Offiziere und entsch?digte sie f?r manche materielle Entbehrung. Diese ideale Auffassung war f?r die Armee von unsch?tzbarem Vorteil. Das Wort ,,ich dien'" hatte dadurch einen ganz besonderen Klang.
Vielfach wurde behauptet, dass eine solche Auffassung eine Absonderung der Offiziere den anderen Berufsklassen gegen?ber veranlasst h?tte. Ich habe diese Einseitigkeit im Offizierstande niemals in h?herem Masse gefunden wie in jedem anderen Beruf, der auf sich h?lt und sich daher unter Seinesgleichen am wohlsten f?hlt. Ein in den Grundz?gen wohl zutreffendes Bild des damaligen Geistes innerhalb des preussischen Offizierskorps findet sich in einer Abhandlung ?ber den Kriegsminister von Roon. Dort wird das Offizierskorps dieser Zeit ein aristokratischer Berufsstand genannt, fest und kr?ftig in sich geschlossen, aber durchaus nicht verkn?chert oder dem allgemeinen Leben abgekehrt, auch keineswegs ohne eine Beimischung liberaler Elemente, fachm?nnisch n?chtern aber auch fachm?nnisch reich. Gegen das alte Ideal der weiten Menschlichkeit habe sich in ihm das neue der strammen Berufsbildung erhoben. Seine eifrigsten Vertreter habe es in den S?hnen der alten monarchisch-konservativen Schichten Preussens gefunden. Es sei getragen gewesen von einem starken Gef?hl der staatlichen Macht, von einem friderizianischen Zuge, der Preussen in seinem Heere neue Bet?tigung in der Welt ersehnte.
Als ich beim Regiment in seinem damaligen Standort Danzig eintraf, warfen die politischen Ereignisse der folgenden Monate schon ihre Schatten voraus. Zwar war die Mobilmachung gegen ?sterreich noch nicht ausgesprochen, aber der Befehl zur Erh?hung des Mannschaftsstandes war ergangen und in voller Ausf?hrung begriffen.
Angesichts des bevorstehenden Entscheidungskampfes zwischen Preussen und ?sterreich bewegten sich unsere politischen und milit?rischen Gedankeng?nge v?llig in den Bahnen Friedrichs des Grossen. Dementsprechend f?hrten wir auch in Potsdam, wohin das Regiment nach seiner vollendeten Mobilmachung verlegt worden war, unsere Grenadiere an den Sarg dieses unvergesslichen Herrschers. Auch der Tagesbefehl unserer Armee vor dem Einmarsch in B?hmen trug diesen Gedanken in seinem Schlusssatz mit den Worten Rechnung: ,,Soldaten, vertraut auf eure Kraft und denkt, dass es gilt, denselben Feind zu besiegen, den einst unser gr?sster K?nig mit einem kleinen Heere schlug."
Politisch empfanden wir die Notwendigkeit einer Machtentscheidung zwischen ?sterreich und uns, weil f?r beide Grossm?chte nebeneinander in dem damaligen Bundesverh?ltnis keine freie Bet?tigungsm?glichkeit vorhanden war. Einer von beiden musste weichen, und da solches durch staatliche Vertr?ge nicht zu erreichen war, hatten die Waffen zu sprechen. ?ber diese Auffassung hinaus war von einer nationalen Feindschaft gegen ?sterreich bei uns keine Rede. Das Gef?hl der Stammesgemeinschaft mit den damals noch ausschlaggebenden deutschen Elementen der Donaumonarchie war zu stark entwickelt, als dass sich feindliche Empfindungen h?tten durchsetzen k?nnen. Der Verlauf des Feldzuges bewies dies auch mehrfach. Gefangene wurden von unserer Seite meist wie Landsleute behandelt, mit denen man sich nach durchgefochtenem Streite gern wieder vertr?gt. Die Landeseinwohner auf feindlichem Gebiete, sogar der gr?sste Teil der tschechischen Bev?lkerung, zeigten uns meist ein derartiges Entgegenkommen, dass sich in den Unterkunftsorten das Leben und Treiben wie in deutschen Man?verquartieren abspielte.
Nicht nur in Gedanken sondern auch in der Wirklichkeit schritten wir in diesem Kriege auf friderizianischen Bahnen. So brach das Gardekorps auf viel betretenen Kriegspfaden von Schlesien her bei Braunau in B?hmen ein. Und der Verlauf unseres ersten Gefechtes, desjenigen bei Soor, f?hrte uns am 28. Juni in dem gleichen Gel?nde und in der n?mlichen Richtung von Eipel auf Burkersdorf gegen den Feind, in der sich einst am 30. September 1747 w?hrend der damaligen Schlacht bei Soor Preussens Garde inmitten der in den starren Formen der Lineartaktik anr?ckenden Armee des grossen K?nigs vorbewegt hatte.
Unser 2. Bataillon, bei dessen 5. Kompagnie ich den nach dem damaligen Reglement aus dem dritten Gliede gebildeten 1. Sch?tzenzug f?hrte, hatte an diesem Tage kaum Gelegenheit, in vorderster Linie einzugreifen, weil wir den taktischen Anschauungen dieser Zeit entsprechend zu der schon vor dem Gefecht ausgesonderten Reserve geh?rten. Immerhin hatten wir aber doch wenigstens Gelegenheit, uns in einem Geh?lz nordwestlich Burkersdorf mit ?sterreichischer Infanterie herumzuschiessen und Gefangene zu machen, sowie sp?ter ungef?hr zwei Eskadrons feindlicher Ulanen, welche in einem Grunde ahnungslos hielten, durch unser Feuer zu vertreiben und ihnen ihre Fahrzeuge abzunehmen. In letzteren befanden sich unter anderm die Regimentskasse, welche abgeliefert wurde, viele Brote, welche unsere Grenadiere auf ihre Bajonette gespiesst in das Biwak bei Burkersdorf brachten, und das Kriegstagebuch, welches in dem gleichen Heft wie das des italienischen Feldzuges von 1859 niedergeschrieben war. Vor etwa 12 Jahren lernte ich einen ?lteren Herrn, einen Mecklenburger, kennen, der damals in ?sterreichischen Diensten als Leutnant bei einer der Ulanen-Eskadrons gestanden hatte. Er beichtete mir, dass er bei dieser Gelegenheit seine neue Ulanka eingeb?sst h?tte, die f?r den Einzug in Berlin bestimmt gewesen war.
Da ich bei Soor nicht viel erlebt hatte, so musste ich mich damit begn?gen, wenigstens Pulver gerochen und einen Teil jener seelischen Stimmung durchgemacht zu haben, welche die Truppe bei ihrer ersten Ber?hrung mit dem Gegner ergreift.
Aus meiner Kampfbegeisterung heraus wurde ich am n?chsten Tage sozusagen mit der R?ckseite der Medaille bekannt gemacht. Mir oblag mit 60 Grenadieren die traurige Pflicht, das Gefechtsfeld nach Toten abzusuchen und diese zu beerdigen, eine ernste Arbeit, die dadurch erschwert wurde, dass das Getreide noch auf dem Halm stand. Mit knapper Not erreichte ich, vielfach andere Truppenteile durch Laufen im Chausseegraben ?berholend, mit meinen Leuten am Nachmittag mein Bataillon, das sich schon im Gros der Division im Vormarsch nach S?den befand. Ich kam gerade noch zur Zeit, um die Erst?rmung des Elb?berganges von K?niginhof durch unsere Vorhut mit anzusehen.
Der 30. Juni versetzte mich in die n?chterne Wirklichkeit kriegerischen Kleinkrams. Ich musste mit schwacher Bedeckung etwa 30 Wagen voll Gefangener im Nachtmarsch nach Trautenau bringen, dort in die nunmehr leeren Fahrzeuge Verpflegung aufnehmen und mit dieser dann wieder nach K?niginhof zur?ckkehren. Erst am 2. Juli fr?h konnte ich mich meiner Kompagnie wieder anschliessen. Es war hohe Zeit, denn schon der n?chste Tag rief uns auf das Schlachtfeld von K?niggr?tz.
Nachdem ich in der folgenden Nacht mit meinem Zuge eine Patrouille in der Richtung auf die Festung Josephstadt ausgef?hrt hatte, standen wir am Morgen des 3. Juli ziemlich ahnungslos im nasskalten Vorposten-Biwak am S?dausgang von K?niginhof herum. Da ert?nte das Alarmsignal, und bald darauf kam der Befehl, rasch Kaffee zu kochen und dann marschbereit zu sein. Aufmerksame Lauscher konnten bald heftiges Gesch?tzfeuer aus s?dwestlicher Richtung vernehmen. Die Anschauungen ?ber den Grund des Gefechtsl?rms waren geteilt. Im allgemeinen ?berwog die Meinung, dass die von der Lausitz her in B?hmen eingedrungene 1. Armee des Prinzen Friedrich Karl - wir geh?rten zur 2. des Kronprinzen - irgendwo auf ein vereinzeltes ?sterreichisches Korps gestossen sei.
Diese Besorgnis erwies sich bald als unn?tig. Der Kanonendonner wurde, nachdem wir aus dem Elbtal heraufgestiegen waren, immer deutlicher h?rbar. Auch sahen wir gegen 11 Uhr einen h?heren Stab zu Pferde auf einer Anh?he neben unserem Wege halten, sorgsam durch die Ferngl?ser nach S?den sp?hend. Es war das Oberkommando der 2. Armee, an seiner Spitze unser Kronprinz, der sp?tere Kaiser Friedrich. Sein damaliger Generalstabschef, General von Blumenthal, hat mir nach Jahren ?ber diesen Augenblick folgendes erz?hlt:
Unsere Bewegung wurde zun?chst noch querfeldein fortgesetzt, dann marschierten wir auf, und bald wurden uns die ersten Granaten von den H?hen seitw?rts Horenowes entgegengeschickt. Die ?sterreichische Artillerie bewahrheitete ihren guten, alten Ruf. Eines der ersten Geschosse verwundete meinen Kompagnie-F?hrer, ein anderes t?tete dicht hinter mir meinen Fl?gelunteroffizier und bald schlug auch eine Granate mitten in unsere Kolonne ein und setzte 25 Mann ausser Gefecht. Als dann aber das Feuer verstummte und die H?hen uns kampflos in die H?nde fielen, weil es sich hier nur um eine aus der ?berraschung heraus zum Zwecke des Zeitgewinns schwach besetzte vorgeschobene Stellung des Feindes gehandelt hatte, machte sich ein Gef?hl der Entt?uschung geltend. Freilich nicht f?r lange, denn bald ?ffnete sich uns der Einblick auf einen grossen Teil eines gewaltigen Schlachtfeldes. Halbrechts vorw?rts von uns erhoben sich in der tr?ben Luft schwere Qualmwolken aus den Feuerstellungen unserer 1. und der gegnerischen Armee an der Bistritz. Aufblitzendes Gesch?tzfeuer und die Glut brennender Ortschaften gaben dem Bilde eine eigenartig ernste F?rbung. Der dichter gewordene Nebel, das hohe Getreide und die Bodengestaltung erschwerten dem Gegner das Erkennen unserer Bewegungen. Auffallend gering war daher das Feuer feindlicher Batterien, die uns nun bald aus s?dlicher Richtung beschossen, ohne uns aufhalten zu k?nnen. Sie sind sp?ter gr?sstenteils nach tapferer Verteidigung erobert worden. So drangen wir mit der Schnelligkeit, die das Gel?nde, der schwere, tiefe und glatte Boden, das Getreide, Raps und Zuckerr?ben gestatteten, vorw?rts. Unser Angriff war nach allen Regeln der damaligen Kriegskunst aufgebaut worden, fiel aber bald auseinander. Kompagnien, ja selbst Z?ge begannen sich ihre Gegner zu suchen; alles dr?ngte nach vorw?rts. Den Zusammenhang f?r alle bildete nur der Wille: Heran an den Feind!
Zwischen Chlum und Nedelist traf unser Halbbataillon - eine damals sehr beliebte Gefechtsformation - im Nebel und Getreide ?berraschend auf feindliche, von S?den vorkommende Infanterie. Sie wurde durch das ?berlegene Z?ndnadelgewehr bald zum Weichen gebracht. Ihr mit meinem Sch?tzenzuge in aufgel?ster Ordnung folgend, stiess ich pl?tzlich auf eine ?sterreichische Batterie, die in r?cksichtsloser K?hnheit herbeieilte, abprotzte und uns eine Kart?tschlage entgegenschleuderte. Von einer Kugel, die mir den Helm durchbohrte, am Kopf gestreift, brach ich f?r kurze Zeit bewusstlos zusammen. Als ich mich wieder aufraffte, drangen wir in die Batterie ein. F?nf Gesch?tze waren unser, die drei anderen entkamen. Das war ein stolzes Gef?hl, als ich hochaufatmend, aus leichter Kopfwunde blutend unter meinen eroberten Kanonen stand. Aber ich hatte nicht Zeit, auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Feindliche J?ger, kenntlich an den Hahnenfedern auf ihren H?ten, tauchten im Weizen auf. Ich wies sie ab und folgte ihnen bis zu einem Hohlwege.
Der Zufall wollte es, dass im Verlauf des letzten grossen Krieges dieses mein erstes Schlachterlebnis in ?sterreich bekannt wurde. Ein verabschiedeter ehemaliger Offizier, Veteran von 1866, schrieb mir infolgedessen aus Reichenberg in B?hmen, dass er bei K?niggr?tz als Regimentskadett in der von mir angegriffenen Batterie gestanden habe, und belegte diese Tatsache durch eine Skizze. Da er noch einige freundliche Worte hinzuf?gte, dankte ich ihm herzlich, und so war zwischen den einstigen Gegnern ein recht kameradschaftlicher Briefwechsel zustande gekommen.
Als ich den oben erw?hnten Hohlweg erreichte, hielt ich Umschau. Die feindlichen J?ger waren im Regendunst verschwunden. Die umliegenden D?rfer - vor mir Wsestar, rechts Rosberitz und links Sweti - waren merkbar noch in Feindes Hand; um Rosberitz wurde bereits gek?mpft. Ich selbst war mit meinem Zug allein. Hinter mir war nichts von den Unsrigen zu sehen. Die geschlossenen Abteilungen waren mir nicht s?dw?rts gefolgt, sondern schienen sich nach rechts gewendet zu haben. Ich beschloss, meiner Einsamkeit auf dem weiten Schlachtfelde dadurch ein Ende zu machen, dass ich mich in dem Hohlweg nach Rosberitz heranzog. Bevor ich mein Ziel erreichte, brausten noch mehrere ?sterreichische Schwadronen, mich mit meiner Handvoll Leuten nicht bemerkend, an mir vor?ber. Sie ?berschritten vor mir den Hohlweg an einer flachen Stelle und stiessen kurze Zeit darauf, wie mir das lebhafte Gewehrfeuer verriet, im Gel?nde nord?stlich Rosberitz auf mir unsichtbare diesseitige Infanterie. Bald rasten von dorther ledige Pferde zur?ck und schliesslich jagte alles wieder an mir vorbei. Ich schickte noch einige Kugeln nach; die weissen M?ntel der Reiter boten in der tr?ben Witterung gute Ziele.
Die Lage in Rosberitz war, als ich dort eintraf, eine ernste. Ungest?m vordr?ngende Z?ge und Kompagnien verschiedener Regimenter unserer Division waren daselbst auf sehr ?berlegene feindliche Kr?fte geprallt. Hinter unsern schwachen Abteilungen befanden sich zun?chst keine Verst?rkungen. Die Masse der Division war von dem hochgelegenen Dorfe Chlum angezogen worden und stand dort in heftigem Kampf. Mein Halbbataillon, mit dem ich mich am Ostrande von Rosberitz gl?cklich wieder vereinigte, war daher die erste Hilfe.
Wer mehr ?berrascht ist, die ?sterreicher oder wir, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls dr?ngen die zusammengeballten feindlichen Massen von drei Seiten auf uns, um das Dorf wieder ganz in Besitz zu nehmen. So f?rchterlich unser Z?ndnadelgewehr auch wirkt, ?ber die st?rzenden ersten Reihen kommen immer wieder neue auf uns zu. So entsteht in den Dorfgassen zwischen den brennenden, strohbedeckten H?usern ein m?rderisches Handgemenge. Von Kampf in geordneten Verb?nden ist keine Rede mehr. Jeder sticht und schiesst um sich, so viel er kann. Prinz Anton von Hohenzollern vom 1. Garderegiment bricht schwerverwundet zusammen. F?hnrich von Woyrsch, der jetzige Feldmarschall, bleibt mit einigen Leuten im hin- und herwogenden Kampf bei dem Prinzen. Dessen goldene Uhr wird mir ?berbracht, damit diese nicht etwa feindlichen Pl?nderern in die H?nde f?llt. Bald laufen wir Gefahr, abgeschnitten zu werden. Aus einer in unseren R?cken f?hrenden Seitengasse t?nen ?sterreichische Hornsignale, h?rt man die dumpfer als die unserigen klingenden Trommeln des Feindes. Wir m?ssen, auch in der Front hart bedr?ngt, zur?ck. Ein brennendes Strohdach, das auf die Strasse herabst?rzt und sie mit Flammen und dichtem Qualm absperrt, rettet uns. Wir entkommen unter diesem Schutz auf eine H?he dicht nord?stlich des Dorfes.
Weiter wollen wir in wilder Erbitterung nicht zur?ckgehen. Major Graf Waldersee vom 1. Garde-Regiment zu Fuss, der 1870 vor Paris als Kommandeur des Garde-Grenadierregiments K?nigin Augusta fiel, l?sst als ?ltester anwesender Offizier die bei uns befindlichen beiden Fahnen in die Erde stecken; um diese geschart werden die Verb?nde wieder geordnet. Schon nahen auch von r?ckw?rts Verst?rkungen. Und so geht es denn bald wieder mit schlagenden Tambours vorw?rts, dem Feinde entgegen, der sich mit der Besitzergreifung des Dorfes begn?gt hat. Auch dieses r?umt er bald, um sich der allgemeinen R?ckzugsbewegung seines Heeres anzuschliessen.
In Rosberitz fanden wir den Prinzen von Hohenzollern wieder, der aber nach kurzer Zeit im Lazarett zu K?niginhof seinen Wunden erlag. Seine treue Bedeckung hatte der Feind als Gefangene mitgef?hrt. Auch aus meinem Zuge teilten mehrere Grenadiere dieses Schicksal, nachdem sie sich in einer Ziegelei tapfer verteidigt hatten. Als wir zwei Tage sp?ter auf dem Weitermarsch abends s?dwestlich der Festung K?niggr?tz Biwaks bezogen, fanden sich die braven Leute wieder bei uns ein. Der Kommandant der Festung hatte sie in der Richtung auf die preussischen Biwakfeuer hinausgeschickt, um der Sorge ihrer Ern?hrung enthoben zu sein. Sie hatten das Gl?ck, gerade ihren eigenen Truppenteil vorzufinden.
Als Abschluss des Kampfes gingen wir noch bis Wsestar vor und blieben dort, bis wir das Schlachtfeld verliessen. Der Arzt wollte mich wegen meiner Kopfwunde in ein Lazarett schicken; ich begn?gte mich aber in Erwartung einer zweiten Schlacht hinter der Elbe mit Umschl?gen und einem leichten Verbande und durfte fortan auf den M?rschen statt des Helmes die M?tze tragen.
Eigenartige Gef?hle waren es, welche mich am Abend des 3. Juli bewegten. N?chst dem Dank gegen Gott den Herrn herrschte besonders das stolze Bewusstsein vor, an einem Werke mitgetan zu haben, das ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte des preussischen Heeres und des preussischen Vaterlandes geworden war. ?bersahen wir auch noch nicht die volle Tragweite unseres Sieges: dass es sich um mehr als in den vorhergegangenen Gefechten gehandelt hatte, war uns doch schon klar. In Treue gedachte ich der gefallenen und verwundeten Kameraden. Mein Zug hatte die H?lfte seines Bestandes verloren, ein Beweis daf?r, dass er seine Schuldigkeit getan hatte.
Als wir am 6. Juli die Elbe bei Pardubitz auf einer Kriegsbr?cke ?berschritten, erwartete dort der Kronprinz das Regiment und sprach uns seine Anerkennung ?ber das Verhalten in der Schlacht aus. Wir dankten mit lautem Hurra und zogen weiter, stolz auf das uns von dem Oberbefehlshaber unserer Armee und Erben der Krone Preussens gespendete Lob, freudig bereit, ihm zu neuen K?mpfen zu folgen.
Der weitere Verlauf des Feldzuges brachte uns aber nur noch M?rsche und somit keine erw?hnenswerten Erlebnisse. Der am 22. Juli eintretende Waffenstillstand traf uns in Nieder?sterreich, etwa 40 km von Wien entfernt. Als wir von hier aus bald darauf den R?ckmarsch in die Heimat antraten, begleitete uns ein unheimlicher Gast, die Cholera. Erst allm?hlich verliess sie uns, nicht ohne noch manches Opfer aus unseren Reihen gefordert zu haben.
Die Erinnerung an den Besuch dieses Schlachtfeldes wurde in mir im Verlauf des letzten Krieges wieder besonders lebendig. Liegt doch ein Vergleich der Lage Preussens 1757 mit der Deutschlands 1914 nahe. Wie nach dem auf Prag folgenden Kolin, so n?tigte nach der manchem Siege folgenden Marneschlacht das Scheitern unseres grossen Offensivgedankens das Vaterland zu einer verh?ngnisvollen Verl?ngerung des Daseinskampfes. Aber w?hrend uns der Ausgang des siebenj?hrigen Ringens ein m?chtiges Preussen zeigt, erblicken wir am Ende des letzten vierj?hrigen Verzweiflungskampfes ein gebrochenes Deutschland. Waren wir der V?ter nicht w?rdig gewesen?
Am 2. September ?berschritten wir in Fortsetzung des R?ckmarsches die b?hmisch-s?chsische Grenze, dann am 8. September auf der Chaussee Grossenhain-Elster die Grenze der Mark Brandenburg. Eine Ehrenpforte begr?sste uns. Durch sie kehrten wir unter den Kl?ngen des ,,Heil Dir im Siegerkranz" in die Heimat zur?ck. Mit welchen Gef?hlen, bedarf keiner Erl?uterung.
Am 20. September war der feierliche Einzug in Berlin. Die Paradeaufstellung erfolgte auf dem jetzigen K?nigsplatz, damals einem sandigen Exerzierplatz. Wo jetzt das Generalstabsgeb?ude steht, befand sich ein Holzhof, der mit der Stadt durch einen mit Weiden besetzten Weg verbunden war. Krolls ,,Etablissement" gab es dagegen bereits. Vom Aufstellungsplatze weg r?ckte die Einzugstruppe durch das Brandenburger Tor die Linden herauf zum Opernplatz. Dort war der Vorbeimarsch vor Seiner Majest?t dem K?nig. Bl?cher, Scharnhorst und Gneisenau sahen von ihren Postamenten zu. Sie konnten mit uns zufrieden sein!
Zum Einr?cken in die Paradeaufstellung hatte sich mein Bataillon am Floraplatz versammelt. Dort wurde mir vom Kommandeur der Rote Adlerorden 4. Klasse mit Schwertern mit der Weisung ?berreicht, ihn sofort anzulegen, weil die neuen Auszeichnungen beim Einzug getragen werden sollten. Als ich mich ziemlich ratlos umsah, trat aus der Menge der Zuschauer eine ?ltere Dame heraus und befestigte mit einer Stecknadel das Ehrenzeichen auf meiner Brust. So oft ich in sp?tern Jahren, sei es zu Fuss, sei es zu Pferde, ?ber den Floraplatz kam, stets gedachte ich in Dankbarkeit der freundlichen Berlinerin, die dem 18j?hrigen Leutnant dort einst seinen ersten Orden angeheftet hat.
Nach dem Kriege wurde dem 3. Garderegiment Hannover als Friedensgarnison zugewiesen. Man wollte dadurch wohl der bisherigen Hauptstadt eine Aufmerksamkeit erweisen. Ungern gingen wir hin, als aber nach 12 Jahren die Scheidestunde durch Versetzung des Regiments nach Berlin schlug, da war wohl keiner in dessen Reihen, dem die Trennung nicht schwer wurde. Ich selbst hatte die sch?ne Stadt, die ich schon 1873 verlassen musste, so lieb gewonnen, dass ich mich sp?ter nach meiner Verabschiedung dorthin zur?ckzog.
Bald hatten wir in dem neuen Standort Bekanntschaften angekn?pft. Manche Hannoveraner hielten sich freilich aus politischen Gr?nden g?nzlich zur?ck. Wir haben die Treue gegen das angestammte Herrscherhaus nie verurteilt, so sehr wir von der Notwendigkeit der Einverleibung Hannovers in Preussen durchdrungen waren. Nur da, wo das Welfentum im Verhalten einzelner seinen Schmerz nicht mit W?rde trug, sondern sich in Ungezogenheiten, Beleidigungen oder Widersetzlichkeiten gefiel, sahen wir in ihm einen Gegner.
Immer mehr lebten wir uns im Laufe der Jahre in Hannover ein, das in gl?cklichster Weise die Vorteile einer Grossstadt nicht mit den Nachteilen einer solchen vereinigt. Eine rege, vornehme Geselligkeit, welche sp?ter, nach dem franz?sischen Kriege, dadurch ihren H?hepunkt erreichte, dass Ihre K?niglichen Hoheiten der Prinz Albrecht von Preussen und Gemahlin dort jahrelang weilten, wechselte mit dem Besuch des vorz?glichen Hoftheaters ab, der dem jungen Offizier f?r ein Billiges erm?glicht war. Herrliche Parkanlagen und einer der sch?nsten deutschen W?lder, die Eilenriede, umgeben die Stadt; an ihnen konnte man sich in dienstfreien Stunden zu Fuss und zu Pferde erfreuen. Und nahmen wir an den Man?vern in der Provinz teil, anstatt zu den Herbst?bungen des Gardekorps nach Potsdam zu fahren, so lernten wir allm?hlich ganz Niedersachsen vom Fels zum Meer in seiner anmutenden Eigenart kennen und sch?tzen. Der kleine Dienst spielte sich auf dem Waterlooplatz ab. Dort habe ich drei Jahre hintereinander meine Rekruten ausgebildet und in einer der an diesem Platz gelegenen Kasernen meine erste Dienstwohnung, Wohn- und Schlafstube, innegehabt. Noch jetzt versetze ich mich gern, wenn ich diesen Stadtteil betrete, in Gedanken in die goldene Jugendzeit zur?ck. Fast alle meine damaligen Kameraden sind schon bei der grossen Armee versammelt. Meinen mehrj?hrigen Kompagniechef, Major a. D. von Seel, durfte ich jedoch noch k?rzlich wiedersehen. Ich verdanke dem jetzt mehr als 80j?hrigen unendlich viel; war er mir doch ganz besonders ein Vorbild und Lehrer in strengster Dienstauffassung.
Im Sommer 1867 besuchte Seine Majest?t der K?nig zum ersten Male Hannover. Ich stand bei der Ankunft in der Ehrenkompagnie vor dem Palais im Georgspark und wurde von meinem Kriegsherrn durch die Frage begl?ckt, bei welcher Gelegenheit ich mir den Schwerterorden verdient h?tte. In sp?tern Jahren, nachdem ich mir noch das Eiserne Kreuz f?r 1870/71 erworben hatte, hat mein Kaiser und K?nig die gleiche Frage noch manchesmal bei Versetzungs- und Bef?rderungsmeldungen an mich gerichtet. Stets durchzuckte es mich dann mit ebensolchem Stolz und ebensolcher Freude wie damals.
Immer fester f?gten sich die staatlichen, milit?rischen und sozialen Verh?ltnisse Hannovers ineinander. Bald sollte sich auch diese neue Provinz auf blutigen Schlachtfeldern als ebenb?rtiger Bestandteil Preussens bew?hren!
Bei Ausbruch des Krieges 1870 r?ckte ich als Adjutant des 1. Bataillons ins Feld. Mein Kommandeur, Major von Seegenberg, hatte die Feldz?ge von 1864 und 1866 im Regiment als Kompagniechef mitgemacht. Er war ein kriegserprobter altpreussischer Soldat von r?cksichtsloser Energie und unerm?dlicher F?rsorge f?r die Gruppe. Unsere gegenseitigen Beziehungen waren gute.
Ich betrachte mir die Lage. In ?stlicher Richtung, fast in der rechten Flanke unserer jetzigen Front, liegt auf einer allm?hlich ansteigenden H?he St. Privat, mit dem etwa zwei Kilometer entfernten Ste. Marie aux Ch?nes durch eine gradlinige, mit Pappeln bestandene Chaussee verbunden. Das Gel?nde n?rdlich dieser Strasse ist durch die Baumreihen grossenteils der Sicht entzogen, macht aber den gleichen deckungslosen Eindruck, wie das Feld s?dlich der Chaussee. Auf den H?hen selbst herrscht eine fast unheimliche Stille. Unwillk?rlich strengt sich das Auge an, dort vermutete Geheimnisse zu entdecken. Ihnen durch Aufkl?rung den Schleier zu nehmen, scheint man auf unserer Seite nicht f?r n?tig zu halten. So bleiben wir denn ruhig liegen.
Gegen 5 1/2 Uhr nachmittags trifft unsere Brigade der Angriffsbefehl. Wir sollen hart ?stlich Ste. Marie vorbei in n?rdlicher Richtung antreten und dann jenseits der Chaussee gegen St. Privat zum Angriff einschwenken. Das Bedenken, dass diese k?nstliche Bewegung von St. Privat her in der rechten Flanke gefasst w?rde, dr?ngt sich sofort auf.
Kurz bevor sich unsere Bataillone erheben, wird das ganze Gel?nde um St. Privat lebendig und h?llt sich in den Qualm feuernder franz?sischer Linien. Die nicht zu unserer Division geh?rige 4. Gardebrigade geht n?mlich bereits s?dlich der Chaussee vor. Gegen sie wendet sich daher vorl?ufig die ganze Kraft der gegnerischen Wirkung. Diese Truppe w?rde in k?rzester Zeit zur Schlacke ausbrennen, wenn wir, die 1. Gardebrigade, nicht baldm?glich n?rdlich der Chaussee angreifen und dadurch Entlastung schaffen w?rden. Freilich, dort hin?berzukommen, erscheint fast unm?glich. Mein Kommandeur reitet mit mir vor, um das Gel?nde einzusehen und dem Bataillon im Rahmen der Brigade die Marschrichtung anzugeben. Ein ununterbrochener Feuerorkan fegt jetzt auch gegen uns ?ber das ganze Feld. Doch wir m?ssen versuchen, die eingeleitete Bewegung durchzuf?hren. Es gelingt uns auch, die Strasse zu ?berschreiten. Jenseits dieser nehmen die sich dicht dr?ngenden Kolonnen Front gegen die feindlichen Feuerlinien und st?rzen, sich auseinanderziehend, vorw?rts gegen St. Privat. Alles strebt danach, so nahe als m?glich an den Gegner heranzukommen, um die dem Chassepot gegen?ber minderwertigen Gewehre brauchen zu k?nnen. Der Vorgang wirkt ebenso ersch?tternd wie imponierend. Hinter den wie gegen ein Hagelwetter vorst?rmenden Massen bedeckt sich das Gel?nde mit Toten und Verwundeten, aber die brave Truppe dr?ngt unaufhaltsam vorw?rts. Immer und immer wieder wird sie von ihren Offizieren und Unteroffizieren, die bald von den t?chtigsten Grenadieren und F?silieren ersetzt werden m?ssen, auf- und vorgerissen. Ich sehe im Vorbeireiten, wie der Kommandierende General des Gardekorps, Prinz August von W?rttemberg, zu Pferde am Ortsausgang von Ste. Marie haltend, die gewaltige Krisis verfolgt, in die seine herrlichen Regimenter sich hineinst?rzen, um darin vielleicht zugrunde zu gehen. Ihm gegen?ber soll der Marschall Canrobert am Eingange von St. Privat gestanden haben.
Um sein Bataillon aus der Anstauung der Massen nord?stlich Ste. Marie herauszubringen und ihm die f?r den Kampf notwendige Armfreiheit zu schaffen, l?sst mein Kommandeur dasselbe nicht gleich die Front auf St. Privat nehmen, sondern setzt mit ihm zun?chst in einer Falte des Gel?ndes die bisherige n?rdliche Bewegung fort. So schieben wir uns in leidlicher Deckung so weit seitlich heraus, dass wir nach dem Einschwenken den linken Fl?gel der Brigade bilden. In diesem Verh?ltnis gelangen wir unter zunehmenden Verlusten in die Gegend halbwegs Ste. Marie-Roncourt.
In der Front nimmt unterdessen das blutige Ringen seinen Fortgang. Von feindlicher Seite aus ein ununterbrochen rollendes Infanteriefeuer aus mehreren Linien, das alles Leben auf dem weiten, deckungslosen Angriffsfeld niederzudr?cken versucht. Auf unserer Seite eine l?ckenreiche Linie loser Truppentr?mmer, die sich aber nicht nur am Boden festkrallen, sondern wie in krampfhaften Zuckungen sich immer wieder auf den Gegner zu st?rzen versuchen. Mit verhaltenem Atem sehe ich auf diese Schlachtszenen, aufs ?usserste gespannt, ob nicht ein feindlicher Gegenstoss unsere Truppen wieder zur?ckschleudern w?rde. Doch die Franzosen bleiben bis auf einen nicht ?ber das erste Anreiten hinauskommenden Versuch, mit Kavallerie n?rdlich um St. Privat herum vorzubrechen, starr in ihren Stellungen.
Eine Atempause im Infanteriekampf tritt ein. Beide Teile sind ersch?pft und liegen sich, nur wenig feuernd, gegen?ber. Die Waffenruhe auf dem Schlachtfelde ist so ausgesprochen, dass ich vom linken Fl?gel bis fast zur Mitte der Brigade und zur?ck in der Feuerlinie entlang reite, ohne das Gef?hl einer Gefahr zu haben. Aber dann beginnt die Zerm?rbungsarbeit unserer vorgezogenen Artillerie, und bald schieben sich ausserdem die frischen Kr?fte der 2. Gardebrigade von Ste. Marie her in die im Verbluten begriffenen Reste der 4. und 1. ein, w?hrend von Nordwesten auch s?chsische Hilfe naht. Der Druck, der auf der schwer ringenden Infanterie lag, wird f?hlbar leichter. Wo eine Zeitlang nur Tod und Verderben zu sein schien, r?hrt sich neues Kampfesleben, zeigt sich neuer Kampfeswille, der schliesslich im Sturm auf den Feind seinen heldenhaften Abschluss findet. Es ist ein unbeschreiblich ergreifender Augenblick, als sich bei sinkender Abendsonne unsere vordersten Kampflinien zum letzten Vorbrechen erheben. Kein Befehl treibt sie an, das gleiche seelische Empfinden, der eherne Entschluss zum Erfolg, ein heiliger Kampfesgrimm dr?ngt nach vorw?rts. Dieser unwiderstehliche Zug reisst alle mit sich fort. Das Bollwerk des Gegners st?rzt bei Einbruch der Dunkelheit. Ein ungeheuerer Jubel bem?chtigt sich unser.
Als ich sp?t Abends die Reste unseres Bataillons z?hlte und dann am andern Morgen die noch viel schw?chern Tr?mmer der ?brigen Teile meines Regimentes wiedersah, als die innere Abspannung eintrat, da kamen weichere Seiten menschlichen Gef?hles zu ihrer Geltung. Man denkt dann nicht nur an das, was im Kampfe gewonnen wurde sondern auch an das, was dieser Erfolg gekostet hat. Das 3. Garderegiment hatte einen Gesamtverlust von 36 Offizieren, 1060 Unteroffizieren und Mannschaften aufzuweisen, davon tot 17 Offiziere und 304 Mann. ?hnliche Zahlen ergaben sich bei allen Garde-Infanterie-Regimentern. Im Verlauf des letzten grossen Krieges sind Gefechtsverluste in der H?he, wie sie die Garde bei St. Privat erlitten, innerhalb unserer Infanterieregimenter h?ufig geworden. Ich konnte aus meinen damaligen Erfahrungen ermessen, was das f?r die Truppe bedeutet. Welch eine Masse bester, vielfach unersetzlicher Kr?fte sinken da ins Grab! Welch ein herrlicher Geist muss aber andererseits in unserem Volke lebendig gewesen sein, um trotzdem in jahrelangem Ringen unsere Armee weiter kampfkr?ftig zu erhalten!
Am 19. August begruben wir unsere Toten, und am 20. nachmittags marschierten wir nach Westen ab. Unser Divisionskommandeur, Generalleutnant von Pape, sprach uns unterwegs seine Anerkennung f?r unsere Erfolge aus und betonte, dass wir damit aber nur unsere Pflicht und Schuldigkeit getan h?tten. Er schloss mit den Worten: ,,Im ?brigen gilt f?r uns der alte Soldatenspruch: Ob tausend zur Linken, ob tausend zur Rechten, ob alle Freunde sinken, wir wollen weiterfechten!" Ein donnerndes Hurra auf Seine Majest?t den K?nig war unsere Antwort.
Welche milit?rische Kritik man auch an den Kampf um St. Privat anlegen mag, er verliert jedenfalls dadurch nichts von seiner inneren Gr?sse. Sie liegt in dem Geiste, in dem die Truppe die stundenlange furchtbare Krisis ertrug und schliesslich siegreich ?berwand. Dieses Gef?hl war f?r uns in der Erinnerung an den 18. August fortan ausschlaggebend. Die ernste Stimmung, die sich durch die Schlacht unserer Mannschaften bem?chtigt hatte, verfl?chtigte sich bald; daf?r erhielt sich der Stolz auf die pers?nlichen Leistungen und die Taten der Gesamtheit bis auf den heutigen Tag. Noch im Jahre 1918 feierte ich, wieder auf feindlichem Boden, den Tag von St. Privat mit dem 3. Garderegiment, dem ich dank der Gnade meines K?nigs wieder angeh?rte. Mehrere ,,alte Herren", Mitk?mpfer von 1870, darunter auch der fr?her erw?hnte Major a. D. von Seel, waren zu dem Gedenktag aus der Heimat an die Front geeilt. Es war das letztemal, dass ich das stolze Regiment gesehen habe!
Wie ich h?re, sind die Denkm?ler der preussischen Garde auf den H?hen von St. Privat jetzt von unseren Gegnern niedergerissen worden. Sollte dies wirklich wahr sein, so glaube ich nicht, dass solche Tat geeignet ist, deutsches Heldentum zu erniedrigen. Vielfach habe ich deutsche Offiziere und Soldaten vor franz?sischen Kriegsdenkm?lern, auch wenn sie auf deutschem Boden standen, in stiller Ehrung weilen sehen und ihnen die Achtung vor gegnerischen Leistungen und Opfern nachempfunden.
Nach der Schlacht ?bernahm mein Bataillonskommandeur als der einzige unverwundete Stabsoffizier die F?hrung des Regiments. Ich blieb auch in der neuen Stellung sein Adjutant.
Der Verlauf derjenigen Operation, die bei Sedan ihren denkw?rdigen Abschluss fand, brachte wenig Bemerkenswertes f?r mich. Das Vorspiel, die Schlacht bei Beaumont, durchlebten wir am 30. August in der Reserve stehend nur als Zuschauer. Auch am 1. September verfolgte ich den Gang der Schlacht vornehmlich in der Rolle eines Beobachters. Das Gardekorps bildete den nord?stlichen Teil des eisernen Ringes, der sich im Laufe des Tages um die Armee Mac Mahons schloss. Die 1. Gardebrigade stand im besondern von morgens bis nachmittags hinter den ?stlich des Grundes von Givonne gelegenen H?hen abwartend bereit. Ich benutzte diese Unt?tigkeit dazu, mich zu den am H?henrande in langer Linie aufgefahrenen Gardebatterien zu begeben, welche ihre Geschosse ?ber den Grund hinweg in die auf den jenseitigen, meist bewaldeten H?hen stehenden Franzosen schleuderten. Von hier hatte man einen beherrschenden Blick auf die ganze Gegend vom Ardenner Wald bis zum Abfall gegen die Maas. Im besondern lag das H?hengel?nde von Illy und die franz?sische Stellung westlich des Givonne-Baches einschliesslich des Bois de la Garenne zum Greifen nahe vor mir. Die Katastrophe der franz?sischen Armee entwickelte sich also geradezu vor meinen Augen. Ich konnte verfolgen, wie der deutsche Feuerkreis sich allm?hlich um den ungl?cklichen Gegner schloss, und wie die Franzosen heldenhafte, aber von Anbeginn an v?llig aussichtslose Versuche machten, durch einzelne Vorst?sse unsere Umklammerung zu durchbrechen. F?r mich hatte der Kampf noch ein besonderes Interesse. Am Tage vor der Schlacht hatte ich n?mlich beim Durchmarsch durch Carignan von einem gespr?chigen franz?sischen Sattler, bei dem ich mir im Vorbeireiten eine Reitpeitsche kaufte, erfahren, dass der franz?sische Kaiser bei seiner Armee sei. Ich meldete dies weiter, fand aber keinen Glauben. Als ich am Schlachttage angesichts der sich immer mehr vollendenden feindlichen Vernichtung die ?usserung tat: ,,In diesem Kessel befindet sich auch Napoleon", wurde ich ausgelacht. Mein Triumph, als sich sp?ter meine Ansicht best?tigte, war gross.
Mein Regiment kam an diesem Tage nicht zu einer gr?sseren Gefechtst?tigkeit. Wir folgten gegen 3 Uhr nachmittags dem 1. Garderegiment ?ber den Givonne-Abschnitt. Zu diesem Zeitpunkt war dem franz?sischen Widerstand durch unsere von allen Seiten wirkende Artillerie schon die Waffe aus der Hand geschlagen worden. Es handelte sich eigentlich nur noch darum, den Feind gegen Sedan zusammenzupressen, um ihm die Aussichtslosigkeit weiteren Widerstandes recht nachdr?cklich vor die Augen zu f?hren. Die Vernichtungsbilder, die ich bei diesem Vorgehen an dem Nordostrand des Bois de la Garenne sah, ?bertrafen alle Schrecken, die mir je auf Schlachtfeldern entgegengetreten sind.
Schon zwischen 4 und 5 Uhr richteten wir uns in unsern Biwaks ein. Die Schlacht war beendet. Nur ein Gewehrschuss fiel noch gegen Abend und eine Kugel pfiff ?ber uns hinweg. Als wir zum Waldrand aufblickten, schwang dort ein Turko mit drohender Geb?rde sein Gewehr und verschwand dann mit langen S?tzen im Dunkel der B?ume.
Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page