Read Ebook: Flöten und Dolche: Novellen by Mann Heinrich
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Ebook has 193 lines and 11613 words, and 4 pages
dich nicht betrogen. Ich glaubte. Erst da es Ernst werden soll, merke ich, es war Kom?die. Auch das war Kom?die, wie alles ?brige. Verzeih mir, geliebtes kleines M?dchen. Es ist nicht einfache Feigheit -- es ist nur, weil man sich zum Schluss einer Kom?die doch nicht wirklich umbringt.<<
Da hob er die Waffe vom Boden.
>>Und ich tu's doch! Sieh nur, ich tu's!<<
Er riss sich das Hemd auf, zeigte ihr die Dolchspitze auf seiner Brust.
>>Siehst du's? Und erkennst du's an? Ich tu's, weil du zusiehst, nur f?r dich!<<
Aber er bemerkte, dass ihre Augen glasig waren.
>>Du bist tot? Was ist das! Wir sollten zusammen sterben, und du verl?sst mich? In dem Augenblick, wo ich bereit bin, wo ich dir alles, alles opfere, nicht ein einzelnes Leben wie du mir, sondern die hundert unerschaffenen, die in mir sind -- in dem Augenblick verschwindest du? Bist fort f?r immer?<<
Er stammelte wirr.
>>Ja dann -- was tue ich? Was bleibt mir zu tun? Ich weiss nichts mehr.<<
Er hob die Arme, liess sie fallen. Seine Blicke, irr umherflatternd, trafen ins Gesicht des Pippo Spano.
>>Du! Was t?test nun du! Erlebtest du einmal solche Niederlage? Du bist der Starke, der mich verf?hrt hat. Du warst mein Gewissen. Du bist schuld! Was soll ich tun!<<
Pippo Spano l?chelte. Sein mondgrelles L?cheln, sein L?cheln aus einem ?bermass grausamer Selbstsicherheit, st?rzte in Frauen und fesselte. Es bannte Mario Malvolto. Er befragte es mit all seiner Seele, die H?nde faltend, wankend und nach Atem ringend, unter fliegender Hitze und kalten Schweissausbr?chen, zerst?rt und von Jammer hingerafft -- ein stecken gebliebener Kom?diant.
Fulvia
Es war sp?t. Raminga ordnete mit ihrer fetten und russigen Hand zwei sparsame Scheite in den Kamin. Gioconda beendete ihre bescheidene Klatschgeschichte zu F?ssen der Marchesa Grimi, die g?hnte. Die Marchesa Quattrocchi blinzelte in die Flamme. Niemand sprach mehr; ?ber die D?cher, aus der Nacht kam die aufgeregte Stimme eines Gl?ckchens. Die alte Fulvia sagte pl?tzlich:
>>Ihr Jungen, ihr redet immer, als k?me alles im Leben auf Liebesgeschichten an. Ich k?nnte euch Frauen zeigen, die sie manchmal verachtet haben, weil ihr Herz nach Wichtigerem schlug.<<
>>O,<< machte die Marchesa Grimi. Sie lebte von ihrem Mann getrennt, und sie lebte nur der Anstrengung, mit der sie Tr?stungen entsagte.
Die Marchesa Quattrocchi war ganz bedeckt mit Abenteuern. Sie meinte erstaunt:
>>Wichtigere Dinge?<<
Raminga und Gioconda sagten mit saurer Heiterkeit:
>>Die Mama hat leicht reden, da sie ja den Papa gehabt hat. Da m?chten auch uns die Liebesgeschichten gleich sein.<<
>>Einer der Befreier des Landes,<< erkl?rte die Marchesa Grimi. >>Das waren noch Ritter, mit denen liess sich leben.<<
Sie seufzte. Die Marchesa Quattrocchi rief:
>>Liebe und Freiheit!<<
>>Die Freiheit ging uns vor,<< sagte Fulvia. >>S?ssen wir sonst hier?<<
Und sie lauschte. Von Rom war nichts vernehmlich als das einzige Gl?ckchen.
>>H?tten wir sonst Ferrara, unsere Stadt, h?tten wir unsere Familie verlassen, mein Mann und ich? W?ren wir gegen die Deutschen gezogen? H?tten wir unser Verm?gen dem Lande gegeben? H?tte Claudio seine Gesundheit und einen Arm darangegeben, und ich mein Behagen? O, viele haben die Opfer, die sie der Freiheit brachten, als Einsatz ben?tzt, und haben grossen Gewinn gemacht. Wir nicht. Claudio wollte Gemeiner bleiben, er, ein Advokat. Alle Grade hat er sich auf Schlachtfeldern geholt, und unser Oberst Calvi, der Arme, den die Deutschen zu Mantua geh?ngt haben, er war es, der meinen Mann zum Kapit?n machte, auf dem Markusplatz in Venedig.
Wie viel Not, wie viele Erm?dungen, wie viel Blut von 48 bis 70! Wir wurden von der Regierung als Beamte in Alpend?rfer geschickt, und kamen im Eise um. Wir mussten Ordnung und Sicherheit herstellen in Cesena und Forli, St?dten, die unter der langen Priesterherrschaft verwildert waren. Wenn Claudio abends ausging, zitterte ich in meinem Bett; denn man fand jeden Morgen Leichen vor den Schwellen ihrer H?user. Dann waren wir Unterpr?fekten in Comacchio, wo es in den S?mpfen nichts gab als Aale und Aalfischer; dann in Pesaro, wo die Damen der guten Gesellschaft zur H?lfte fr?here Dienstm?dchen, zur anderen H?lfte alte Balletteusen waren, und alle gingen in Holzschuhen . . . Endlich, das ist wahr, kamen wir als Pr?fekten nach Parma. Wir wohnten in dem Palast der Marie Luise, wir gaben Feste, in jedem Theater geh?rte uns eine Loge. Es fror uns sehr in den weiten S?len mit ihrem vergoldeten Stuck. Aber ich, Fulvia Galanti, habe mit dem K?nig Viktor Emanuel getanzt.<<
Die vier Frauen sahen stumm zu ihr hin?ber, sie erkannten einen Abglanz ihrer alten Gr?sse auf Fulvia. Sie sass am andern Ende des staubigen Salons, weit fort von dem Feuer, das sie verachtete, und an dessen Reste sie erst sp?t in der Nacht, wenn alle schliefen, heimlich ihre gekr?mmten H?nde hielt. Ganz allein sass sie vor dem langen Tisch, mager, steif wie ein Idol, mit goldenen Ketten bedeckt, und weisse, gebrannte Locken ?ber dem langen, weissen Gesicht.
>>Aber als sie Claudio pensionierten, was blieb uns? Er wollte in Rom sterben, und in Rom ist er gestorben. Auch ich werde hier sterben; das ist alles, was uns beiden die Freiheit des Landes eingetragen hat. Und es ist genug.<<
>>Du hattest auch die Liebe,<< sagte hartn?ckig Raminga, und liess sich von ihrem H?ndchen das Gesicht lecken.
>>Wenn ich Lino h?tte heiraten k?nnen!<< ?usserte Gioconda. >>Aber wir sind zu arm, wir sind der Freiheit des Landes geopfert; und sie hat es uns nicht vergolten, wie dir, Mama. Du hattest, was du wolltest.<<
>>Meint ihr, T?chterchen? . . . Ihr habt recht, ich war gl?cklich mit eurem Vater. Das hindert nicht, dass Oreste sch?n war.<<
Ihre Augen wurden ganz klein, ihre Falten verschoben sich; man wusste nicht, ob sie lachte. Es war dahinten in unsicherm Licht die weisse, beunruhigende Grimasse eines Idols.
>>Wer war Oreste?<< fragte die Marchesa Grimi.
>>Oreste Gatti, der Neffe des Kardinal-Legaten. Er hatte blaue Augen, er war mein Jugendfreund. Wir spielten im Garten des erzbisch?flichen Palastes, auch war ich oft bei den Conversazioni der Damen und Herren. Es gab Zuckerwasser oder Wasser ohne Zucker, aber gek?hlt gem?ss der Jahreszeit. Die S?le hatten ein Echo. Eine alte Contessa, deren Namen ich nicht mehr weiss, liess eine silberne Kugel, in der heisses Wasser war, immerfort von einer Hand in die andere fallen.
Als ich sechzehn Jahre alt war, kam er von Rom, von der Universit?t, und begann mir den Hof zu machen. Auf der Promenade ging er zwanzigmal ganz langsam an mir vorbei und gr?sste sogar meine Magd hinter mir. Am Abend stellte er sich mit seinen Freunden unter meinen Balkon und spielte und sang. Er hatte eine Stimme, ich h?re sie noch.
Eines Abends aber, als ich vom Spaziergang heimkehrte, war die Stadt ganz voll und laut. Man hatte eben das Ghetto geschlossen, sein Tor lag gleich beim grossen Platz. Ich sah einen jungen Mann am Turm neben dem Tor hinaufklettern und oben eine Axt schwingen. Dann bestiegen viele andere die Mauer und das Tor, schlugen auf die Steine und Bretter und rissen daran. Die Juden sollten herauskommen. Ich erfuhr, dies geschehe im Namen der Freiheit. In mir stand damals ein grosses Gef?hl auf, das mich nie mehr verlassen hat. Mir scheint, es steht noch heute in meiner Brust, und es hat die Gestalt des J?nglings, der als erster auf dem Turm des Ghetto die Axt schwang. Das war, T?chter, euer Vater.
Er war nicht sch?n, er war eher schw?chlich, und ich sehe es als Wunder an, dass ich ihn durchgebracht habe, bis ins sechsundsiebzigste Jahr . . . Ich erblickte ihn am Tage nachher auf der Promenade und nickte ihm zu, obwohl unsere Eltern sich nicht kannten. Ich n?tigte meinen Papa, zu dem seinigen zu gehen. Auch Claudio machte mir den Hof, aber meistens redete er von der Freiheit, ja, von der Freiheit des Landes, und von Rom. Er war ein grosser Sprecher, und seine Arme arbeiteten so dabei, dass ich alles begriff und mitf?hlte. Er wachte sp?t ?ber B?chern, die, wenn man sie bei ihm entdeckt h?tte, ihn ins Gef?ngnis gebracht h?tten. Er trank viel heissen Kaffee dazu, hinterher eiskaltes Wasser, darum sind ihm auch sp?ter alle Z?hne, noch heil und gesund, aus dem Munde gefallen.
Oreste seinerseits erkl?rte mir, er wolle mich heiraten. Als er wieder einmal meiner Magd ein Briefchen zugesteckt hatte, antwortete ich ihm, ich werde nur einen Freund der Freiheit heiraten, und einen, der die Priester verjagen werde. Oreste sagte, dieser Brief sei sehr gef?hrlich, und zerriss ihn vor meinen Augen. Ich beschwor ihn, die Freiheit zu lieben. Er sagte, er sei mit dem Claudio Galanti schon in Rom zusammengestossen. Jener sei unter den liberalen Studenten der dreisteste gewesen; er, Oreste, k?nne ihn sich jeden Augenblick vom Halse schaffen.
>>Du bist feige!<< rief ich.
Er zog die Brauen zusammen.
>>Ich f?rchte ihn nicht, er soll bleiben was er ist. Aber auch ich bleibe das.<<
>>Glaube, mein Oreste, an diese grosse Sache, die Freiheit! F?hle mit uns, mit deinem Lande, mit diesem edlen, alten Lande, das im Joch von Fremden und Priestern vor Scham zittert!<<
>>Ich bin Graf Oreste Gatti, der Neffe des Legaten. Ich geh?re zu den Herren. Was t?te ich bei den Emp?rten? Eure Freiheit lebt nur im Geschw?tz ehrs?chtiger Plebejer.<<
>>O du, du h?ttest nicht das Tor des Ghetto einzuschlagen gewagt!<<
>>H?tte ich's nicht? Wir wollen sehen, was ich wage!<<
Er haschte nach mir, wir jagten uns, wir scherzten. Ich weiss noch, es war seltsam, wie mir schwindelte, als er mich fing, zwischen den zwei Kamelienstr?uchern voll roter Blumen, wo aus dem Sockel des grossen steinernen Bildes ein Quell rann. Er atmete ganz ruhig unter seinen kurzen, blonden Locken; und am Hals sah aus seinem Samtmantel ein St?ck seines Spitzenkragens. Ich begriff wohl, er war Graf Oreste, der Neffe des Legaten.
Wir gingen langsam zwischen den geschnittenen B?umen zur?ck bis unter die Fenster des Palastes. Dort stand ein Brunnen, ein grosses, mechanisches Werk, wo Kraft des Wassers viele k?nstliche Figuren sich bewegten, arbeiteten oder Scherz trieben. Ein Mann auf einem Esel ritt um den Brunnenrand. Ganz oben warfen mehrere sich eine schwere Kugel zu. Oreste sprang pl?tzlich auf den Esel und steckte den Kopf zwischen die H?nde derer, die Ball spielten. Ich schrie auf; er zog lachend den Kopf zur?ck. Einen Augenblick sp?ter, und die schwere Kugel h?tte ihn zerschlagen.
Am Portal kam uns ein Diener entgegen mit dem Befehl des Kardinals, Oreste habe bis morgen abend in seinem Zimmer zu bleiben. Der Kardinal hatte gesehen, wie sein Neffe den Kopf zwischen die Kugelwerfer hielt; und er war erz?rnt.
Ich stand in jener Nacht an meinem Fenster, sehr betr?bt, weil Oreste nicht kommen durfte und singen; und immerfort sah ich hin?ber zu ihm. Die R?ckseite meines Hauses ging auf G?rten, und dahinter war der Palast und sein Zimmer. Der Mond ging auf, wir erkannten uns. Er trat auf seinen Balkon, wir gr?ssten uns aus der Ferne. Wir liessen vorsichtig unsere T?cher flattern, es war im Mondschein nur wie ein wenig Silber, das rieselte. Ich h?rte den Schritt der Wache auf dem Hofe unter ihm.
Auf einmal schwang er sich ?ber das geschmiedete Gitter des Balkons, h?ngte sich mit den H?nden an zwei gebogene St?be und schaukelte. Der Posten ging eben, abgewendet, am anderen Ende der langen Hofmauer. Oreste blickte hinter sich; die Mauer war drei Meter entfernt und fast so hoch wie das erste Stockwerk, wo er hing. Er schaukelte st?rker; ich dr?ckte mein Tuch ganz in den Mund hinein. Da liess er sich los, er flog ?ber die Mauer weg. Ich fiel hin. Als ich aufstand, war er schon davon, ?ber die weiche Erde des Gartens. Er fand eine Pforte, er verschwand im Schatten des G?sschens, auf der Strasse zu mir. Ich weiss nicht, wie ich die Treppe hinuntersteigen konnte, ohne entdeckt zu werden, und die Stange vor der Haust?r wegschieben, ohne dass sie klirrte. Denn ich zitterte und f?hlte das Herz im Halse. Wir dr?ngten uns in den Winkel bei der T?r, nur einige Minuten und ohne zu sprechen.
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