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Read Ebook: Flöten und Dolche: Novellen by Mann Heinrich

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Ebook has 193 lines and 11613 words, and 4 pages

Auf einmal schwang er sich ?ber das geschmiedete Gitter des Balkons, h?ngte sich mit den H?nden an zwei gebogene St?be und schaukelte. Der Posten ging eben, abgewendet, am anderen Ende der langen Hofmauer. Oreste blickte hinter sich; die Mauer war drei Meter entfernt und fast so hoch wie das erste Stockwerk, wo er hing. Er schaukelte st?rker; ich dr?ckte mein Tuch ganz in den Mund hinein. Da liess er sich los, er flog ?ber die Mauer weg. Ich fiel hin. Als ich aufstand, war er schon davon, ?ber die weiche Erde des Gartens. Er fand eine Pforte, er verschwand im Schatten des G?sschens, auf der Strasse zu mir. Ich weiss nicht, wie ich die Treppe hinuntersteigen konnte, ohne entdeckt zu werden, und die Stange vor der Haust?r wegschieben, ohne dass sie klirrte. Denn ich zitterte und f?hlte das Herz im Halse. Wir dr?ngten uns in den Winkel bei der T?r, nur einige Minuten und ohne zu sprechen.

Sehr bald darauf heiratete ich Claudio. Zwei Jahre nach dem Sturm auf das Ghetto, am 12. Mai 1848, brachen wir auf gegen die Deutschen. Ich ging mit meinem Mann, er stand im Freikorps. Der Papst selbst war mit uns, weil sein Bruder, ein Verschw?rer, gefangen sass. Der Papst selbst hatte unsere Fahnen gesegnet. Die Deutschen schlugen uns ?berall, in Vicenza, bei Cornuda, in Venedig. In Vicenza glaubten wir, sie w?rden in die Stadt dringen, wir k?nnten sie aus den Fenstern mit Pflastersteinen zermalmen und mit ?l verbrennen, die Armen. Sie aber beschossen uns von den Bergen. Was wollt ihr, wir waren unerfahren. In Venedig schlossen sie uns ein, wir lebten von Eselsfleisch, und das kostete ein Auge aus dem Kopf. Wir waren immer voll Freude und Zuversicht. Ich trug eine dreifarbige Sch?rpe, ihr seht sie in jenem Glaskasten; und mein Haus war voll Verwundeter, die ich pflegte. Meinem Mann durchschossen sie die Wange; der halbe Schnurrbart war fort. Die rechte H?lfte ist sp?ter immer ?rmer an Haaren gewesen als die linke.

Aber als wir nach Ferrara zur?ckkehrten, hatte der Papst schon l?ngst Angst bekommen vor den Deutschen. Sein Bruder war heraus aus dem Gef?ngnis. Der Papst war nun der Freund unserer Feinde. Nun waren wir Verr?ter; wir, die mit seinem Segen auf unseren Fahnen hinausgezogen waren.

Claudio wollte die Advokatur aus?ben; sie verboten es ihm. Er kam manchmal nach Hause und sagte, er wundere sich, dass er nicht verhaftet werde. Die meisten seiner Freunde waren schon verhaftet auf Befehl der Triumvirn. Einer dieser drei Schergen des Papstes war Oreste Gatti.

Indes durchsuchten sie unser Haus. Wir w?ren verloren gewesen, h?tten sie die Waffen gefunden. Aber sie lagen in einem K?chentisch, von dem die F?sse abgeschraubt waren, und der in die Wand hineingeklappt war; es sah aus, als hinge nur ein Brett an der Wand. Sie fanden Papiere, die Claudio unterschreiben sollte. Er weigerte sich. Auch als Oreste Gatti ihn rufen liess, weigerte er sich.

Mir war sehr unheimlich zumute, ich beschloss mit dem Legaten zu sprechen. Er hatte mir doch oft ?ber die Wange gestrichen, als ich klein war. Wie ich eintrat, sahen sie mich bedenklich an. Ich trug alte Kleider, Claudio verdiente ja nichts. Ich hatte durch das Ghetto gehen m?ssen, ein ?liger Schmutz war an meinen Schuhen. Man holte mich aus dem Vorzimmer von den anderen Bittstellern weg und f?hrte mich in ein Kabinett, wo ich allein war. Da ging die T?r auf und Oreste kam.

>>Wie bist du braun geworden,<< sagte er. >>Du bist noch viel sch?ner.<<

Er wollte wie fr?her nach mir greifen, er streifte mit der Hand meine Schulter.

>>Dort hat die Trikolore gelegen,<< sagte ich, und trat von ihm fort. Er faltete die Brauen.

>>Du wirst bald frei sein, dein Mann lebt nicht mehr lange.<<

>>Ich weiss,<< erwiderte ich, >>dass der und jener unterschrieben haben und geh?ngt sind. Aber Claudio unterschreibt nicht.<<

>>Jene w?ren auch ohne Unterschrift geh?ngt worden.<<

>>Du h?ttest meinen Mann gleich damals verraten sollen, wie er als Student f?r die Freiheit sprach. Du h?ttest deine Feigheit nicht so lange aufsparen sollen.<<

Er blieb ruhig.

>>Ich weiss, dass du mein sein wirst,<< sagte er. >>Ich verlange nichts, du gibst alles von selbst.<<

Er besann sich.

>>Dein Mann muss fl?chten; es steht nicht in meiner Macht, ihn zu schonen. Er soll heute abend um sieben als Bauer durch das Tor fahren.<<

Ich ging nach Hause. Claudio kam; seine Freunde hatten ihm geraten zu fliehen. Ich liess ihn die Kleider des Mannes anziehen, der uns Gem?se brachte, und er entkam.

Ich blieb zur?ck; Claudio wollte mich nicht mitnehmen auf seine ungewisse Fahrt. ?brigens wusste ich, man h?tte mich nicht fortgelassen. Ich war ganz allein in unserem Hause, ich hatte nichts mehr f?r mich selbst zu essen, viel weniger f?r eine Magd. Und aus welchem Fenster ich den Kopf steckte, immer sah ich in das Gesicht eines Spions. Sie liessen niemand hinein zu mir.

Eines Abends aber h?rte ich das Haustor gehen. Ich lugte aus meinem Zimmer. Drunten im Flur war alles finster. Aber in der Finsternis n?herten sich feste Schritte. Ich schloss nicht meine T?r, ich fand alles nutzlos. Eine j?he, fiebernde Angst sprang in meinen Adern -- nicht vor dem, der jetzt die Treppe heraufkam, nicht vor ihm. Es war heiss, mein Hals war entbl?sst. Und ich hatte Angst vor meiner eigenen Brust und vor den Schl?gen darin. Ich suchte nach Hilfe; da nahm ich meine dreifarbige Sch?rpe und legte sie ?ber meine nackte Brust. So stand ich und wartete.

Er trat ein, und er verzog den Mund.

>>Da stehst du und weisst genau, dass du mein bist --, und mit einem gef?rbten Tuch willst du trotzen, mir und dir. Wie t?richt bist du!<<

Aber ich f?hlte jetzt Mut. Eine ?llampe mit drei brennenden Schn?beln flackerte auf dem Tisch hinter mir; er sah von meinem Gesicht nur den Umriss. Ich aber konnte erkennen, wie bleich er war. Grosse Schatten tanzten um uns her an den W?nden. Er sagte:

>>Aber so war es immer. Du hast dir die Freiheit immer nur wie ein Tuch umgebunden, weil du mir deine Sch?nheit versagen wolltest. Und du liebst mich, von jeher liebtest du mich! Ist es wahr, dass du geweint hast, als ich vom Balkon ?ber die Mauer gesprungen war?<<

>>Es ist wahr,<< sagte ich. >>Und ich h?tte dich geliebt. Aber ich durfte nicht, denn es gab etwas Gr?sseres, das ich erblickt hatte und nicht vergessen durfte: Jenen, der auf dem Turm vor dem Ghetto stand und seine Axt ins Tor schlug.<<

>>Wie viel Gewissen!<< rief er. >>Jetzt sind wir allein in diesem Hause, in das keiner den Fuss setzt. Jener andere ist fern, verschwunden, wer weiss wo. Was lebt jetzt noch von der Welt umher? Auch die Freiheit ist tot, jenes Phantom. Wir sind allein: jetzt wirst du den Mut haben zu unserer Liebe. Und hast du ihn nicht, dann hab' ich ihn f?r dich mit!<<

Er warf die Arme um meinen Hals, ich f?hlte sie zittern. Ich stiess ihn zur?ck, lief aus der T?r, die Treppe hinab. Er war immer hinter mir. Drunten in einem der dunklen Zimmer ergriff er mich von neuem; wir st?rzten hin, rafften uns auf, stolperten weiter. Zuweilen trennten uns M?bel, die wir nicht sahen und die er umstiess. Dann fl?sterte er wieder dicht an meinem Gesicht: >>Du liebst mich!<< Und ich w?rgte an einem >>Nein<<.

Endlich gelangten wir, wir wussten nicht wie, in den Garten. Es war kein Mond da. Wir taumelten stumm und atemlos hintereinander her, durch schwarze B?sche. In einer Laube, in tiefer Nacht fing er mich und warf mich auf die Bank. Seine Hand lag auf meiner nackten Brust; das dreifarbige Tuch war mir l?ngst entfallen, irgendwo im dunklen Hause. Wir f?hlten, dass wir einander in die Augen sahen: und dabei unterschied keiner des anderen Gesicht. Auch sp?rte ich sein Herz klopfen und er meines. Ein Blatt raschelte ?ber unseren K?pfen. Einmal meinte ich, hinter der Gartenmauer schliche ein Schritt. Wir waren bewacht. Haus und Garten und Stadt lagen schwarz und gebannt. Es gab in der Welt nur noch unsere klopfenden Herzen. Ich hatte wieder Angst, solche Angst wie noch nie. Ein Gl?ckchen fing an zu h?mmern, ein gewisses Gl?ckchen mit einer aufgeregten Stimme. Mir war doch, ich h?rte es wieder?<<

Die alte Fulvia lauschte. Aber ?ber den D?chern Roms war die Nacht ganz verstummt.

>>Wie man sich erinnert,<< murmelte sie. >>Wie wenig bedarf es.<<

>>Ich sagte dort in der Laube mit trauriger Stimme:

>>H?re, Oreste, es ist seltsam, mir schwindelt, wie zwischen jenen Kamelienstr?uchern im Garten des Kardinals, wo du mich gefangen hast. Auch damals hatten wir einander gejagt. Aber wir waren damals besser.<<

>>Es ist deine Schuld,<< erwiderte er, und ich, ohne ihm zuzuh?ren:

>>Wir waren ganz jung, und alle B?ume im Garten hingen voll von unseren Tr?umen. Weisst du noch, wie wir bei den Conversazioni zwischen den alten Leuten sassen, und sprachen eine Sprache ganz f?r uns?<<

>>Und auf der Promenade,<< setzte er hinzu, >>wenn wir einander begegnet waren und uns in die Augen geblickt hatten; dann z?hlte ich meine Schritte: f?nf, zehn, zwanzig. Nun kehrtest du um, und ich durfte dir wieder entgegengehen, und meine F?sse wurden so leicht, als ob der Weg zu dir durch die Luft f?hrte.<<

Wir schwiegen. Dann sagte er hart:

>>Und nun bin ich endlich ganz bei dir. Nun kann ich dich haben. Du wolltest es doch so? Und unser Geschick hat uns doch hierher gef?hrt?<<

Pl?tzlich liess er mich los, trat von mir fort, in das Laub hinein, dass ich nicht einmal mehr seinen Schattenriss sah.

>>Nein, nicht hierher,<< sagte er. Ich fl?sterte:

>>Ich wollte, in Vicenza h?tten sie mich erschossen . . . O, Oreste, du weisst nicht, wie gut es sich stirbt f?r diese grosse Sache, f?r die Freiheit!<<

>>Doch. Seit ich dich dort draussen wusste, weiss ich auch das. Und ich wollte, wir k?nnten zusammen durch eine Stadt wandern, auf die Kugeln fallen. Sag doch, Fulvia, hast du einmal daran gedacht, dass die gleiche Kugel auf uns beide h?tte niederfallen k?nnen?<<

>>Wenn du mit mir gewesen w?rest, ja, und mit der Freiheit . . . Ich habe mit meinen H?nden die Pflastersteine ausgegraben, die wir aus den Fenstern werfen wollten. Warum warst du nicht da, mir zu helfen?<<

>>Du hast auch Wunden gepflegt. H?tte ich eine t?dliche bekommen und w?re an ihr gestorben! Nur deine Lippen h?tten sie zum Schluss streifen sollen!<<

>>Es kommen andere Schlachten,<< sagte ich nach einem Schweigen leise.

>>Ich gehe hin!<< rief er, aufstampfend. >>Auch ich geh?re diesem Lande und will es frei machen!<<

>>Wann gehst du?<<

>>Gleich. Heute nacht!<<

Ich erschrak, ich schrie auf.

>>Nein! Du wirst mich nicht verlassen. Auch Claudio ist verschwunden. Soll ich immer in diesem Hause bleiben, wo nichts atmet? Wo, scheint mir's, kein Tag mehr aufgehen wird? Oreste!<<

Ich glitt von der Bank, ich sank vor ihm hin, tastete nach seinen Knien. All meine Besinnung war fort, eine kranke N?rrin war ich.

>>Nimm mich hin,<< sagte ich. >>Nimm mich lieber hin! Aber geh nicht fort! Verlass mich nicht!<<

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