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Read Ebook: Heinrich von Kleist und die Kantische Philosophie by Cassirer Ernst

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Ebook has 99 lines and 23943 words, and 2 pages

Die nahen Beziehungen, die zwischen dem spekulativen Grundgedanken des Aufsatzes ?ber das Marionettentheater und der romantisch-idealistischen Philosophie bestehen, sind in der interessanten und gehaltvollen Schrift von ~Hanna Hellmann~ ?ber Kleist eingehend dargelegt worden. Als Vertreter dieser romantischen Philosophie wird jedoch hier im wesentlichen nur ~Schelling~, ~Novalis~ und ~Friedrich Schlegel~ genannt, w?hrend ~Fichte~, auf dessen Wissenschaftslehre doch auch Novalis' und Schlegels Spekulationen durchweg basieren, fast v?llig ?bergangen wird. Was den Versuch betrifft, den Grundgedanken des Aufsatzes ?ber das Marionettentheater als das Symbol zu erweisen, aus dem auch die ~Dichtung~ Kleists durchg?ngig zu verstehen und zu deuten sei, und die >>drei Stufen vom Schema des Marionettentheaters<< im Amphitryon, in der Penthesilea, im K?thchen und im Prinzen von Homburg wiederzufinden, so gestehe ich freilich, dass ich von ihm nicht ?berzeugt worden bin. Dass Kleist >>Metaphysiker<< gewesen ist, wie es nur je ein Dichter war, scheint mir durch Hanna Hellmanns Darstellung nicht erwiesen: zum mindesten handelt es sich hier um eine >>Metaphysik<<, die selbst so rein k?nstlerischer Art ist, dass sie sich in die Grundbegriffe und Grundgegens?tze der romantischen Philosophie nicht ohne Zwang einf?gen l?sst.

~Fichte~, S?mtl. Werke hg. von J. H. Fichte, IV, 353.

Von diesen allgemeinen Pr?missen aus begreift man erst ganz die besondere These, die Kleists Aufsatz ?ber das Marionettentheater durchf?hrt. Auch Kleist scheidet das Wesen der k?nstlerischen T?tigkeit scharf und bestimmt von allem begrifflichen, allem bloss reflektierenden Bewusstsein. Dieses letztere wirkt freilich, so lange wir uns gleichsam in der ~Mitte~ des ?sthetischen Gebiets halten, so lange wir das k?nstlerische Durchschnittstalent und seine Leistung betrachten, ?berall als Faktor mit. Aber weit entfernt, den eigentlichen Gehalt der k?nstlerischen Leistung zu begr?nden, greift es in sie vielmehr st?rend und verwirrend ein. Alle echte k?nstlerische >>Grazie<< beruht auf der Naivit?t, beruht also auf dem Ausschluss der Reflexion. Wir m?ssen unter oder ?ber ihr stehen, wir m?ssen die Reflexion entweder noch nicht erreicht oder sie wieder hinter uns gelassen haben, um der h?chsten ?sthetischen Forderung zu gen?gen. Das mechanisch-unbewusste Tun und die h?chste geistige Spontaneit?t, -- die Marionette und das Genie, sind in dieser Hinsicht f?r uns Auspr?gungen ein und derselben Wahrheit. In dem Masse, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schw?cher wird, tritt die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervor. >>Doch so wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punkts, nach dem Durchgang durch das Unendliche pl?tzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, pl?tzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so dass sie zu gleicher Zeit in demjenigen menschlichen K?rperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins oder ein unendliches Bewusstsein hat; d. h. in dem Gliedermann oder in dem Gott.<< Hier liegt der Punkt, wo die beiden Enden der ringf?rmigen Welt ineinander greifen. Wir m?ssen vorw?rts, wir m?ssen die ganze Bahn der Erkenntnis durchmessen, um zuletzt wieder in den Stand der Unschuld zur?ckzukehren. >>Das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir m?ssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist<<. --

Freilich musste sich in eben dieser epigrammatischen Wendung f?r Kleist wiederum das Unbefriedigende zeigen, das jeder bloss dialektischen Bezeichnung und L?sung der fundamentalen geistigen Probleme anhaftet. Die Antithese zur Reflexion, die hier aufgestellt ist, geh?rt selber noch ganz dem Gebiet und den Mitteln der Reflexion an. Ueber dies Gebiet scheinen wir uns erst wahrhaft erheben zu k?nnen, indem wir die Frage vom Denken in das Tun verlegen. Immer bestimmter nimmt Kleist, von dem Augenblick an, als die grossen politischen Aufgaben der Zeit ihn ergreifen, diese Richtung. An die Stelle des Gr?belns und Spekulierens, an die Stelle der theoretischen Besinnung ?ber allgemeine Ziele und Aufgaben, soll das entschlossene, auf das n?chste praktische Ziel gerichtete Handeln treten. Hier wenn irgendwo muss die eigentliche L?sung der Konflikte des Daseins gesucht werden. Immer wieder wird in den >>Berliner Abendbl?ttern<< dieses Thema variiert: es findet sich ebenso in den >>Betrachtungen ?ber den Weltlauf<<, wie in der Paradoxe >>von der Ueberlegung<<, in der parodistischen Aufstellung eines >>allerneusten Erziehungsplans<< wie in der Betrachtung ?ber >>Wissen, Schaffen, Zerst?ren, Erhalten<< wieder. Im Tun allein liegt die Rettung; das Tun aber kann nicht warten, bis das Wissen mit seinen Erw?gungen und Bedenken zu Ende gelangt ist. Es muss glauben und wagen; es muss in den Gang der Dinge eingreifen, unbek?mmert darum, ob sich die Wirkung und der Erfolg dieses Eingreifens im voraus ~berechnen~ l?sst. Das aber ist eben das Grund?bel der Deutschen, dass sie dieses unmittelbar befreiende Tun mehr und mehr verlernt haben. Ihr Verstand hat -- wie es im >>Katechismus der Deutschen<< heisst --, durch einige scharfsinnige Lehrer einen Ueberreiz bekommen; sie reflektieren, wo sie empfinden oder handeln sollten. Dass auch diese Bemerkung Kleists -- so befremdlich dies vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag -- in erster Linie auf ~Fichte~ zielt, kann kaum zweifelhaft sein; es wird durch die Epigramme, die Kleist im >>Phoebus<< gegen den >>P?dagogen<< Fichte und seinen Plan einer neuen Nationalerziehung gerichtet hat, unmittelbar best?tigt. Alle >>P?dagogik<< erschien Kleist jetzt nur noch wie ein beschwerlicher Umweg. Der Mensch braucht nicht erst durch eine ausgekl?gelte Erziehung >>gebildet<<, er braucht nicht durch irgendwelches philosophische System, das doch stets von fragw?rdigem Wert bleibt, k?nstlich gemodelt zu sein: es gen?gt, ihm die Bahn des entschlossenen Handelns zu weisen und ihn alsdann getrost den eigenen Kr?ften zu ?berlassen. Auf welch schwankender Grundlage st?nde auch das Geb?ude des menschlichen Gl?ckes und die Zukunft des menschlichen Geschlechts, wenn es auf der Wahrheit irgendwelcher abstrakter Theorien beruhte! >>Wie misslich w?rde es mit der Sittlichkeit aussehen, wenn sie kein tieferes Fundament h?tte, als das sogenannte gute Beispiel eines Vaters oder einer Mutter, und die platten Ermahnungen eines Hofmeisters oder einer franz?sischen Mamsell. -- Aber das Kind ist kein Wachs, das sich in eines Menschen H?nden zu einer beliebigen Gestalt kneten l?sst: es lebt, es ist frei; es tr?gt ein unabh?ngiges und eigent?mliches Verm?gen der Entwicklung und ein Muster aller innerlichen Gestaltung in sich.<< Man sieht, bis zu welchem Grade Kleist, der einst selbst ein so fanatischer P?dagoge gewesen war, jetzt allen Theorien gram geworden ist, sofern sie beanspruchen, den Vorrang vor dem Leben und Tun zu besitzen und beides nach ihrem Muster zu bilden. Daher bot ihm auch die so energische und aktive Richtung der Fichteschen Lehre kein Gen?ge. Fichtes System wollte im eigentlichen und radikalen Sinne Philosophie der Tat sein, aber es schien eben darum die Tat wieder durch die Philosophie zu ersetzen; es schien das Reflektieren ?ber das Tun zum Ausgangspunkt und zur Bedingung des Tuns selbst zu machen. Der Politiker Kleist war es, der sich jetzt gegen diese Forderung des Theoretikers einer nationalen Politik wandte. Nehmen wir ?brigens an, dass Kleist schon fr?her mit Fichte bekannt geworden war -- dass die >>Bestimmung des Menschen<< es gewesen war, die einst in ihm die entscheidende geistige Krise hervorgerufen hatte, so w?rde dadurch auch auf seine sp?tere Haltung gegen Fichte neues Licht fallen. Er h?tte dann an sich selbst die zerst?rende Kraft erfahren, die der theoretische Radikalismus besitzt, wenn er unmittelbar ins Leben eingreift und die Gesamtrichtung des Lebens zu bestimmen sucht: -- und aus diesem Erlebnis heraus wandte er sich nun immer energischer gegen die blosse Spekulation und verwies ihr gegen?ber, auf den unmittelbaren praktischen Entschluss und die praktische Tat als einziges Heilmittel.

Vgl. Reinh. ~Steigs~ Ausg. der Kleist'schen Prosaschriften; Werke hg. von Erich Schmidt, IV, S. 163, 180, 182, 210, 265, 276.

Aber eben die nationalen und politischen Tendenzen, die Kleist jetzt ganz erf?llten, scheinen ihm nun auf der andern Seite ein neues Verst?ndnis f?r die Ethik ~Kants~ und f?r ihren entscheidenden Grundgedanken: f?r die Gleichsetzung von ~Autonomie und Freiheit~ er?ffnet zu haben. F?r diese letzte eingreifende Wandlung, die Kleists Verh?ltnis zu Kant erfahren zu haben scheint, l?sst sich freilich aus den Briefen Kleists kein unmittelbares Zeugnis anf?hren. Aber die ~Dichtung~ Kleists spricht hier eine um so deutlichere und ?berzeugendere Sprache. Nur wer den Stil und Charakter dieser Dichtung v?llig verkennt, k?nnte freilich daran denken ihr irgendwelche allgemeine philosophische >>Ideen<< unterlegen und sie aus ihnen >>erkl?ren<< zu wollen. Aber wie der >>Prinz von Homburg<< verglichen mit Kleists fr?heren dramatischen Werken, mit dem Guiscard und den Schroffensteinern, mit K?thchen und Penthesilea, einen v?llig eigenen und neuen Stimmungsgehalt besitzt -- so spricht sich in ihm unverkennbar auch eine neue ~geistige~ Gesamthaltung aus. Die tragische Problematik selbst hat sich hier vertieft und erweitert. Auch die Tragik des Prinzen von Homburg geht, wie die aller Kleistischen Gestalten, auf die >>Verwirrung des Gef?hls<< zur?ck, die er in sich erlebt. In dem Augenblick, in dem er sich im h?chsten Triumphgef?hl des Sieges und in leidenschaftlicher Liebe und Hingebung dem Kurf?rsten naht, sieht er sich von diesem zur?ckgestossen -- sieht er sich der starren und f?hllosen Strenge des Gesetzes ?berantwortet. Vergebens versucht er, in der Unterredung mit Hohenzollern, dem Unbegreiflichen den Glauben zu versagen, -- versucht er, den Tatsachen zum Trotz, sich auf sein innerstes Gef?hl vom Kurf?rsten zur?ckzuziehen: im Anblick des offenen Grabes bricht die Selbstgewissheit dieses Gef?hls zusammen. Und nun ist alles andere, was seinem Leben Wert und Gehalt gab, zugleich vernichtet. Es ist ein tragisches Paradoxon, aber ein Moment von h?chster psychologischer Wahrheit und Kraft, dass in diesem Augenblick, in welchem er allen ideellen Gehalt des Daseins versinken sieht, das Gef?hl des Daseins selbst, der blosse Lebenstrieb als solcher in ihm um so m?chtiger hervorbricht. Er klammert sich an die nackte Existenz, als das einzige, was ihm geblieben ist; er begehrt nur noch das Leben, ohne Inhalt und Zweck, im Kreis herumzujagen, bis es am Abend niedersinkt und stirbt. Denn noch begreift er die Macht, die ihm gegen?bersteht, nur als eine ~physische~ Macht, der er seinen ungebrochenen und unbedingten physischen Lebenswillen entgegenstellt. Der Brief des Kurf?rsten erst bringt die Peripetie. In dem Moment, da der Prinz sich selber zur Entscheidung aufgerufen f?hlt, ist diese Entscheidung bereits gefallen. Denn jetzt naht ihm sein Geschick nicht mehr als ein dunkler Zwang, gegen den er sich mit allen Kr?ften des individuellen Seins und der individuellen Empfindung zur Wehr setzt. Er versteht die Gewalt, der er unterliegt; und dieses Verst?ndnis ist mit ihrer freien Anerkennung gleichbedeutend. In dem Gegensatz zwischen Ich und Welt, wie er sich sonst in der Dichtung Kleists darstellte und entfaltete, ist jetzt ein neues Motiv zur Geltung gelangt. Den Kleist'schen Helden war, gleichviel ob sie diesen Gegensatz leidend oder t?tig auffassten, ob sie sich gegen die >>Einrichtung der Welt<< leidenschaftlich erhoben oder sich ihr unterwarfen, dennoch der eine Zug gemeinsam: dass sie sich der Welt als einem durch und durch R?tselvollen und Irrationalen gegen?ber fanden. Sie konnten sich ihr mit ihrem Verstand gefangen geben und sich ihr in schweigender Duldung unterordnen; aber der unbedingten Klarheit und Sicherheit des Innern blieb doch stets das Aeussere, blieben Schicksal und Welt als dumpfe und unbegriffene M?chte, die den Menschen bestimmen, gegen?berstehen. Im Prinzen von Homburg aber stellt sich ein neues Verh?ltnis der Grundmomente her, aus denen der tragische Gegensatz und die tragische Entscheidung hervorwachsen. Auch hier steht die individuelle Welt des Gef?hls gegen eine >>objektive<< Macht; aber diese Macht geh?rt selbst einer anderen Ordnung, als bisher, an. Es ist nicht die Objektivit?t des Seins und Geschehens, sondern die des Sollens, die den einzelnen bestimmt und bindet. Diese Objektivit?t aber kann nicht anders ?berwunden werden, als indem das Individuum sie frei anerkennt und sie damit in ihrem wahrhaft notwendigen Grunde begreift. >>Des Gesetzes strenge Fessel bindet nur den Sklavensinn, der es verschm?ht<<: wo die Forderung, die an den Willen des Individuums ergeht, in diesen Willen selbst aufgenommen wird, da hat sie ihre ?usserliche zwingende Gewalt verloren.

Und nicht nur im Prinzen von Homburg selbst, sondern auch im Kurf?rsten vollzieht sich eine analoge, wenngleich entgegengerichtete Entwicklung: und aus dem Gegeneinander dieser beiden inneren Bewegungen geht erst der eigentliche dramatische Grundprozess hervor. Wie der Kurf?rst zuerst dem Prinzen gegen?bertritt, -- da ist er nichts anderes als der H?ter und der Vollstrecker des objektiven Gesetzeswillens. Nur von dem reinen Inhalt des Gesetzes selbst, nur von seiner unbedingten und unbeugsamen Forderung ist die Rede; -- nicht von dem Subjekt, an welches die Forderung ergeht. Nun aber, in dem Gespr?ch mit Natalie, offenbart sich mit einem Male, wie in dieser rein-sachlichen Haltung, in diesem Richterspruch, der ohne Ansehen der ~Person~ ergeht, auch der Anspruch und das tiefere Recht der freien ~Pers?nlichkeit~ verletzt ist. Und von dieser Einsicht erf?hrt nun auch die so geschlossene und festgef?gte Welt des Kurf?rsten eine innere Ersch?tterung. >>Verwirrt<< und >>im ?ussersten Erstaunen<< h?rt er den Bericht Nataliens an. In diesem Moment begreift und f?hlt er, wie die Aufgabe des Rechts erst zur H?lfte erf?llt ist, wenn nur die objektiv rechtliche Ordnung als solche hergestellt und ihrem Gebot gen?gt wird. Wie er den Sieg verwarf, den Zufall und Willk?r ihm errungen haben, so verwirft er jetzt auch eine Form des Rechtsspruchs, die auf Willk?r gegr?ndet scheint, weil sie sich an den passiven Gehorsam, statt an die eigene Einsicht und an das subjektive Gef?hl des Rechts selbst wendet. Hier erfasst er die neue Aufgabe, die er von jetzt ab sich selbst und dem Prinzen gegen?ber durchf?hrt. Der eigentlich sittliche, nicht der physische Vollzug des Gesetzes liegt nicht in der tats?chlichen Vollstreckung des Urteilsspruches; er geh?rt nicht der Welt des Geschehens und Daseins, sondern der Welt des ~Bewusstseins~ an. Sobald im Bewusstsein des Prinzen die klare und sichere Entscheidung gefallen ist, bedarf es keiner weiteren rechtlichen Zur?stungen mehr: denn nur aus dem Mittelpunkt des ~Willens~ und der freien Pers?nlichkeit geht der wahrhafte, der eigentlich gesicherte Bestand der Gesetzesordnung selbst hervor.

Zwischen dem Kurf?rsten und dem Prinzen aber steht Kottwitz, -- und f?r ihn freilich gilt jene dialektisch-dramatische Entwicklung nicht, die sich in beiden vollzieht. Denn er ist ganz aus einem Guss: er ist am Anfang, was er am Ende ist. F?r ihn gibt es keinen Gegensatz zwischen dem, was sein Gef?hl, was sein Herz und dem, was das Gesetz ihm gebietet: denn was er als seine Pflicht erkennt, das ist zugleich der Inhalt seiner Liebe und seiner freien Hingabe. So stellt sich hier, in der unmittelbar-konkreten Einheit der Pers?nlichkeit, die wahrhafte Synthese zwischen der objektiven Notwendigkeit des Pflichtgebots und dem Recht der freien Subjektivit?t her. Das Gesetz stellt die allgemeine Regel des Handelns auf; aber die Anwendung dieser Regel, die letzte Entscheidung dar?ber, was sie im gegebenen einzelnen Fall erheischt, kann nur aus der Kraft und aus der Selbstverantwortung des Individuums heraus erfolgen. Kein blosses Schema, keine ein f?r allemal feststehende Schablone kann das Ich dieser urspr?nglichen selbstverantwortlichen Entschliessung entheben. Die Szene, in der Kottwitz vor dem Kurf?rsten diese Grundanschauung verteidigt, ist ganz individuell, ganz dramatisch gestaltet; -- sie entspringt aus der konkreten Anschauung der Situation und der besonderen Charaktere. Aber nichtsdestoweniger gewinnt diese Szene zugleich eine allgemeine ideelle Pr?gung. Die Rechtfertigung des Prinzen und seiner Tat geht wie von selbst in die Darlegung jenes >>spitzfindigen Lehrbegriffs der Freiheit<< ?ber, den Kottwitz nun vor dem Kurf?rsten entfaltet. Von neuem zeigt sich darin, wie stark und einheitlich das dramatische Grundthema des >>Prinzen von Homburg<< in den mannigfachsten Variationen durch alle besonderen Gestalten hindurchwirkt:

>>Willst du das Heer, das gl?hend an dir h?ngt, Zu einem Werkzeug machen, gleich dem Schwerte Das tot in deinem goldnen G?rtel ruht? Der ?rmste Geist, der in den Sternen fremd, Zuerst solch eine Lehre gab! Die schlechte, Kurzsicht'ge Staatskunst, die, um eines Falles, Da die Empfindung sich verderblich zeigt, Zehn andere vergisst, im Lauf der Dinge, Da die Empfindung einzig retten kann! Sch?tt' ich mein Blut dir, an dem Tag der Schlacht, F?r Sold, sei's Geld, sei's Ehre, in den Staub? Beh?te Gott, dazu ist es zu gut! Was! meine Lust hab', meine Freude ich, Frei und f?r mich, im stillen, unabh?ngig, An deiner Trefflichkeit und Herrlichkeit, Am Ruhm und Wachstum deines grossen Namens! Das ist der Lohn, dem sich mein Herz verkauft!<<

Worte dieser Art, die ganz aus der unmittelbaren leidenschaftlichen Empfindung hervorquellen, wird man gewiss nicht als blosse dramatische Umschreibung irgendwelcher abstrakten >>philosophischen<< Grund?berzeugungen deuten wollen. Und doch ist unverkennbar, dass Kleist jetzt, mitten in der Reinheit der k?nstlerischen Gestaltung, zugleich in einer neuen ~Gedankenwelt~ steht, die ihn bestimmt und bewegt. Der Name Kants dr?ngt sich hier unwillk?rlich auf. Denn wer ausser Kant hatte in dieser Sch?rfe und Klarheit den Gegensatz zwischen >>Willen<< und >>Willk?r<<, zwischen den wechselnden Antrieben des >>subjektiven<< Affekts und der Objektivit?t und Notwendigkeit des allgemeinen und allgemeing?ltigen Gesetzes verk?ndet? Es braucht hier kaum der besonderen Hinweise: denn es handelt sich hier um das einheitliche immer wiederkehrende intellektuelle Motiv, aus dem das Ganze der Kantischen Ethik hervorgegangen ist. >>Verstand, Witz und Urteilskraft<< -- so heisst es in der >>Grundlegung zur Metaphysik der Sitten<< -- >>und wie die Talente des Geistes sonst heissen m?gen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze, als Eigenschaften des ~Temperaments~, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und w?nschenswert; aber sie k?nnen auch ?usserst b?se und sch?dlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgesetzen Gebrauch machen soll und dessen eigent?mliche Beschaffenheit darum ~Charakter~ heisst, nicht gut ist.<< Dieser sittliche Grundwert des >>Charakters<< kann nur im Widerstreit zu dem Spiel der Affekte und Gef?hle gewonnen werden, die, so edel, so erhaben sie sich auch d?nken m?gen, sich doch zuletzt als blosse >>Anwandlungen<< und >>Aufwallungen<< ohne dauernde und fortwirkende Kraft erweisen. Von hier aus nimmt Kant den Kampf gegen die Willk?r, den Ueberschwang und die Schw?rmerei jeder blossen Gef?hlsbestimmung auf, durch den er -- wie ~Goethe~ geurteilt hat -- die Moral, die vor ihm schlaff und knechtisch geworden war, wieder in ihrer ?bersinnlichen Bedeutung aufrichtete und die Epoche von der Weichlichkeit zur?ckbrachte, in die sie versunken war. >>Das ist noch nicht die echte moralische Maxime unseres Verhaltens, die unserem Standpunkte unter vern?nftigen Wesen, als Menschen, angemessen ist, wenn wir uns anmassen, gleichsam als Volont?re, uns mit stolzer Einbildung ?ber den Gedanken von Pflicht hinwegzusetzen und als vom Gebote unabh?ngig bloss aus eigener Lust das tun zu wollen, wozu f?r uns kein Gebot n?tig w?re. Wir stehen unter einer ~Disziplin~ der Vernunft und m?ssen in allen unseren Maximen der Unterw?rfigkeit unter derselben nicht vergessen, ihr nichts zu entziehen oder dem Ansehen des Gesetzes durch eigenliebigen Wahn dadurch etwas abk?rzen, dass wir den Bestimmungsgrund unseres Willens, wenngleich dem Gesetze gem?ss, doch worin anders, als im Gesetz selbst und in der Achtung f?r dieses Gesetz setzten.<< Hier ist das Moment bezeichnet, das f?r Kant, nach der ~psychologischen~ Seite hin, als die eigentliche L?sung der grundlegenden Antithese zwischen der Objektivit?t und Unbedingtheit des reinen Gesetzes und den subjektiven, menschlichen Triebfedern des Handelns erscheint. Die Achtung vor dem Gesetz geh?rt selbst der Sph?re des Gef?hls an: aber sie ist kein >>pathologisches<< sondern ein rein >>praktisches<< Gef?hl. Sie geht nicht aus der sinnlichen Rezeptivit?t, sondern allein und ausschliesslich aus der intellektuellen und sittlichen Spontaneit?t hervor. Kraft dieses ihres Ursprungs geht sie niemals auf ~Sachen~, sondern jederzeit nur auf ~Personen~. Und in diesem ethischen Grundbegriff der Person entdeckt Kant nun das neue Korrelat zum reinen Gesetzesbegriff: ein Korrelat, kraft dessen dieser selbst erst seinen vollen Gehalt und seine spezifische Eigenart gewinnt. Im Prinzip der Autonomie des Handelns geht der Gedanke des Selbst mit dem Gedanken des Gesetzes in eins zusammen. >>Der Mensch und ?berhaupt jedes vern?nftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloss als Mittel zum beliebigen Gebrauche f?r diesen oder jenen Willen ... Der praktische Imperativ wird also folgender sein: handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst.<<

Goethe zu Kanzler v. M?ller. 29. April 1818.

Vergegenw?rtigt man sich diesen allgemeinen gedanklichen Umriss der Kantischen Ethik und stellt man ihm die dichterische Anschauungs- und Stimmungswelt des >>Prinzen von Homburg<< gegen?ber, so treten die feinen und tiefen Beziehungen, die zwischen beiden obwalten, sogleich zutage. Es bedarf hier keiner ins einzelne gehenden Parallelisierung: ja gerade eine solche w?rde das wahre geistige Verh?ltnis nur unzureichend und oberfl?chlich bezeichnen. Denn der >>Prinz von Homburg<< ist ebensowenig als irgend ein anderes Kleistisches Werk, ein Thesenst?ck. Die Dialektik, die in ihm wirksam ist, ist durch und durch dramatische Dialektik, die nicht von Tendenzen und Ideen, sondern von Gestalten und Charakteren ausgeht. Aber eben in der Art, wie Kleist jetzt seine Menschen und ihre inneren Gegens?tze sieht, pr?gt sich ein neuer Zug, eine ver?nderte Stellung zu der Gesamtheit der Lebensprobleme und der grossen Lebensentscheidungen aus. Wir glauben zu erkennen, wie die Kantische Lehre bei dieser inneren Wandlung mitgewirkt hat; -- aber freilich hat hierbei ihre eigene Grundform eine bezeichnende Umgestaltung erfahren. Auf der Grundlage des Kantischen Pflichtbegriffs erw?chst bei Kleist, im Zusammenhang mit den Antrieben der Zeit und mit seinen eigenen politischen W?nschen und Forderungen, eine neue konkrete Form des Allgemeinen: die Allgemeinheit eines neuen nationalen und eines neuen Staatsgef?hls.

So glauben wir zu sehen, wie das, was Kleist mit Kant verbindet und was ihn von Kant trennt, nicht auf einen einzelnen Moment seines Lebens beschr?nkt bleibt, sondern wie dieses Verh?ltnis der Anziehung und Abstossung in allen Lebensphasen, wenngleich in verschiedener St?rke und Deutlichkeit, wiederkehrt. Noch einmal tritt hier deutlich hervor, was Kants Philosophie, nicht als schulm?ssiges System, sondern als unmittelbar lebendige geistige Macht f?r ihre Zeit bedeutet hat. Man hat von Kleist gesagt, dass er sich von den >>Klassikern<< der deutschen Literatur, von Goethe, Schiller, Herder dadurch unterscheide, dass diese nicht nur als K?nstler, sondern auch als vorbildliche Typen gewirkt h?tten, die uns auf ein gemeinsames ideales Ziel der Bildung hinweisen. >>Kleist geh?rt gar nicht zu den F?rderern dieser dauernden Renaissance als ein Mann, der nie den G?ttern der Vergangenheit oder der Gegenwart gedient, der nie eine Erziehungstendenz oder eine Humanit?tsidee vertreten hat.<< In der Tat wird man den eigentlichen Massstab f?r Kleist, f?r sein Wesen und seine Dichtung immer nur seiner Individualit?t selbst, nicht der allgemeinen Entwicklung der deutschen Geistes- und Bildungsgeschichte entnehmen k?nnen. Das Gesetz und die innere Norm seiner K?nstlerschaft steht dieser grossen Entwicklungslinie als ein Eigenes und Selbst?ndiges gegen?ber. Auch wenn man versucht hat, das Ganze von Kleists Dichtung aus dem >>metaphysischen<< Lebensgef?hl, das in ihm wirksam war, zu begreifen und abzuleiten, so ist doch das Gef?hl, auf das man hier hinzielt, so eigener Art und geh?rt so rein und v?llig der Sph?re des K?nstlers an, dass es sich sofort zu verdunkeln und zu verwirren scheint, wenn man versucht, es in die abstrakte Begriffssprache, in die Kategorien und Termini der systematischen Philosophie zu ?bersetzen. Aber gerade weil Kleist in dieser Weise abseits steht, empfindet man um so st?rker die Beziehungen, die nichtsdestoweniger zwischen ihm und der grossen intellektuellen Bewegung der Zeit bestehen. F?r die tiefe Wirkung, die insbesondere die Kantische Lehre in allen geistigen Lebenskreisen ge?bt hat, ist gerade die Kraft, mit der sie auch in das Leben und Schaffen dieses Einsamen eingegriffen hat, der ihr eher zu widerstreben, als sie zu suchen schien, ein ?berzeugender Beweis.

~Eloesser~, Kleists Leben, Werke und Briefe S. 272.

VERLAG VON REUTHER & REICHARD IN BERLIN W. 35.

Von den #Philosophischen Vortr?gen#, ver?ffentlicht von der #Kantgesellschaft#, sind bis jetzt erschienen:

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Heft 13. #Machtverh?ltnis und Machtmoral# von Dr. phil. #Alfred Vierkandt#, Prof. a. d. Univ. Berlin. Mk. 1.60.

Heft 14. #Individualismus, Universalismus, Personalismus# von Dr. phil. #Ottmar Dittrich#, Prof. a. d. Univ. Leipzig. Mk. 1.--.

Heft 15. #Wechselseitige Erhellung der K?nste# von Dr. #Oskar Walzel#, Geh. Hofrat, Prof. a. d. Technischen Hochschule in Dresden. Mk. 2.40.

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Heft 18. #?ber den Zufall# von D. Dr. #Adolf Lasson#, weil. Professor an der Universit?t Berlin. 2. Auflage. Mk. 2.--.

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Heft 20. #Grundgedanken der personalistischen Philosophie# von Dr. #William Stern#, Professor am Allgemeinen Vorlesungswesen in Hamburg. Mk. 2.--.

Heft 21. #Hermann Cohens philosophische Leistung unter dem Gesichtspunkte des Systems# von #Paul Natorp#, Professor an der Universit?t Marburg. Mk. 1.40.

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Buchdruckerei von Max Dietrich, Berlin W. 50.

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ihn besch?ftigt, eine neue Bedeuutng und eine ?berraschende Konsequenz ihn besch?ftigt, eine neue Bedeutung und eine ?berraschende Konsequenz

~Fichte~, S?mtl. Werke hg. von J, H. Fichte, IV, 353. ~Fichte~, S?mtl. Werke hg. von J. H. Fichte, IV, 353.

Naivit?t, beruht also auf den Ausschluss der Reflexion. Wir m?ssen Naivit?t, beruht also auf dem Ausschluss der Reflexion. Wir m?ssen

oder in dem Gott. Hier liegt der Punkt, wo die beiden Enden der oder in dem Gott.<< Hier liegt der Punkt, wo die beiden Enden der

Witz und Urteilskraft -- so heisst es in der >>Grundlegung zur Metaphysik Witz und Urteilskraft<< -- so heisst es in der >>Grundlegung zur Metaphysik

der Sitten<< -- und wie die Talente des Geistes sonst heissen m?gen, oder der Sitten<< -- >>und wie die Talente des Geistes sonst heissen m?gen, oder

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Dr. #Albert G?rland#. M. 2.--. Dr. #Albert G?rland#. Mk. 2.--.

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an der Universit?t Marburg. M. 1.40. an der Universit?t Marburg. Mk. 1.40.

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