Read Ebook: Das Judengrab; Aus Bimbos Seelenwanderungen: Zwei Erzählungen by Huch Ricarda
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ich einmal bewegte, waren wie sicher treffende Blitze.
Aber, wie die Frauen sind, trotzdem ist ihm meine Mutter untreu gewesen, nachdem ich einige Jahre auf der Welt war. Es scheint, dass sie schwach und eitel und nicht einmal besonders sch?n war, aber dass sie gerade in ihrer Schw?che und Hilflosigkeit einen grossen Zauber besass. Das Gespr?ch der Leute war, dass mein Vater, als er ihre Untreue erfuhr, sie mit seinen eignen H?nden erw?rgt habe, was allerdings nur ein Gerede gewesen sein kann, wie vieles andre, was ?ber ihn im Umlauf war. Denn weil er ein kluger Mann war und mehr wusste als die ?brigen, namentlich in der Arzneikunde und Chirurgie, glaubte man, dass er mit D?monen im Bunde stehe und mit ihrer Hilfe ?bermenschliche Dinge verrichten k?nne. So sagte man zum Beispiel, es habe ihn noch niemand mit den Augen blinzeln sehen, er bed?rfe des Schlafes nicht, ja sei wohl sogar des Todes ?berhoben, wenn ihm nicht die Geister, die er jetzt beherrschte, einmal den Hals br?chen. Wahr ist das, dass er Tage und N?chte hintereinander wachen konnte, ohne darunter zu leiden, und ich erinnere mich, wie ich ihn manchmal mit heimlichem Grauen betrachtete, ob er nicht die Augenlider bewegen w?rde, ohne dass es geschah. Weiter sagte man von meinem Vater, dass er die Leute behexen und mit dem blossen Blick seiner Augen krank machen, ja totschauen k?nne, und namentlich dass er, wen er wolle, und w?re er Papst von Rom, auf das Blutger?st unter sein Schwert zu bringen verm?chte, indem er denselben nur einmal fl?chtig mit der Spitze seines Schwertes ber?hrte. Deswegen, obschon sie seiner Hilfe in allerlei ?ffentlichen und heimlichen Sachen ben?tigten und diese auch meistens gutwillig, wenn auch gegen reichliches Entgelt, geleistet wurde, hatten sie doch Furcht vor ihm, und die Regierung h?tte sich vielleicht seiner auf irgendeine Weise entledigt, wenn sie seiner Rache sich auszusetzen gewagt h?tte. Gegen die Untergebenen in unserm kleinen Reiche, das, viele Geh?fte umfassend, weit ausserhalb der Stadt lag, war er, soweit es die Roheit der w?sten Knechte zuliess, grossm?tig und nachsichtig. Mich behandelte er sogar mit Z?rtlichkeit, wenn ich von einigen Anf?llen rasender Wut absehe, die ihn bei Gelegenheit von ein paar unbedeutenden kindlichen Vergehungen ergriff, und so grausam er mich auch in diesen F?llen behandelte, liebte ich ihn doch abg?ttisch, ja ich h?tte mir von ihm mit Freuden die Seele aus dem Leibe martern lassen. Nur manchmal ?berkam mich ein Gef?hl des Hasses von derselben St?rke, n?mlich dann, wenn mir zuf?llig, indem ich seine H?nde ansah, in den Sinn kam, dass er mit ihnen meine Mutter erw?rgt hatte.
Unser Haus lag auf der Heide, die sich bis an das Meer erstreckte; vom Hause aus konnte man es nicht sehen, wohl aber auf dem weiter nordw?rts gelegenen Richtplatze, wo es nichts als Sand gab ausser einigen uralten, verwitterten Steinen, die halb darin versunken waren. Man hielt sie f?r Grabsteine vornehmer Gerichteter; denn hier war seit undenklichen Zeiten die Richtst?tte der Republik gewesen; wahrscheinlicher ist es freilich, dass das Meer die Bl?cke angeschwemmt und ebbend auf der Heide zur?ckgelassen hatte. Wie dem auch sei, wir pflegten uns oft des Abends auf diese Steine niederzusetzen und auf das gl?nzendschwarze Geflimmer des Meeres hinzusehen, und wenn er dann seine Hand auf dem Steine neben mir ruhen liess, kam sie mir zuweilen wie eine weisse Tigerin vor, die schl?ft, weil sie satt von Blut ist, oder die sich schlafend stellt und lauert, um ein argloses Opfer zu zerfleischen. Dann dachte ich an meine Mutter, deren Bild ich deutlich vor Augen hatte und der ich selbst innen und aussen vielfach glich, und malte mir aus, wie sie sich in dem eisernen Arme des sch?nen Blutmannes gekr?mmt hatte, bis mir der Hass in die Kehle stieg und ich eine verzweifelte Lust sp?rte, mich auf ihn zu werfen und die Ader an seinem Halse aufzubeissen, damit er verblutete. Mein Vater sagte nie etwas dar?ber, obgleich er es mir ansah, und ich glaube sogar, er h?tte mir nicht gewehrt, auch wenn ich es getan h?tte. Dieser Gewaltige, der, wie man sagte, sechs M?nner mit einem Schwertschlage enthaupten konnte, dass ihre K?pfe wie Disteln abschnellten, h?tte sich von meinen schwachen H?nden umbringen lassen, so etwa wie Erwachsene stillhalten, wenn spielende Kinder mit ihren winzigen Schl?gen ?ber sie herfahren.
Mich m?chtig, ber?hmt und gelehrt zu machen, war der Ehrgeiz seines Lebens, und mit dem Gelde, das er aufh?ufte, erm?glichte er es, mir so viele Bildungsmittel zuzuf?hren, wie den strebsamsten und verm?glichsten Menschen der Zeit zug?nglich waren. Er schickte mich in andre L?nder, damit ich an hohen Schulen studierte, und liess es sich Hunderte und Tausende kosten, dass mein Herkommen und Stand verborgen blieben. Aber er dachte nicht etwa daran, mich in h?here Kasten einzuschmuggeln, nein, ich sollte nach ihm Scharfrichter werden, wie das einmal seit unvordenklichen Zeiten das Los unsers Geschlechtes war, nur sollte ich aus Schmach und Elend heraus sie alle durch meinen Geist ?bergl?nzen und beherrschen, auf den Knien sollten sie nachts mit Lebensgefahr zu mir rutschen, die mich am Tage wie einen tollen Hund von ihrer Schwelle hetzen durften. Ich freilich hatte an allen Schulen nichts gelernt als h?fliche Sitten und Herrenleben, weniger aus Faulheit als aus Torheit, die mich den Wert der Zeit nicht bedenken liess; im Innersten hoffte ich, es w?rde so in Saus und Braus in Ewigkeit weitergehen. Dem Befehle meines Vaters wagte ich aber nicht mich zu widersetzen, und es hatte auch etwas grausig Verlockendes f?r mich, einst Blutk?nig in dem einsamen Reich auf der Heide zu werden. Nur suchte ich den Augenblick, wo ich selbst das Handwerk aus?ben sollte, hinauszuschieben, worauf mein Vater auch bereitwillig einging, weil ich schlank und zierlich von Wuchs war und er meinte, ich m?sste mich noch durch viele k?rperliche ?bungen auf meinen Beruf vorbereiten.
Da kam eines Tages die Gelegenheit, die meinem Vater schicklich erschien, mich einzuf?hren; es handelte sich n?mlich darum, einen Papageien ?ffentlich mit dem Schwerte zu richten.
Herr Quarre, der kaiserliche Vogt, sass zwar bis ?ber den Hals in Schulden, achtete sich aber der Majest?t, die er vertrat, in allem gleich, war hochm?tig wie ein Pfau und dumm wie ein Pfannenstiel, wor?ber die Gassenbuben auf der Strasse Spottlieder genug zu singen wussten. Um seine Lage zu verbessern und seine Stimme im Rat zu verst?rken, trachtete er nach der Hand der Tochter des regierenden B?rgermeisters, deren lockende G?te und Holdheit sich in aller Leute Herz schmeichelte, so dass selbst die b?sen Kramverk?uferinnen auf dem Markte sie die kleine Wonne nannten, n?mlich Wunneke in jener altniederdeutschen Sprache. In ihrer ?berm?tigen Jugend lachte sie ?ber den abgeschmackten Freier, der zu allem andern ein dicker alternder Mann und trunks?chtig war, und gab sich nicht die M?he, ihre Verachtung seiner ungef?gen Person zu verbergen. Dar?ber war ihr Vater, der B?rgermeister, des Kaisers wegen in grossen ?ngsten, und wenn er auch nicht daran dachte, seine Tochter zu einer solchen l?cherlichen Verbindung zu zwingen, h?tte er die Sache doch gern aufs glimpflichste geordnet.
Nun geschah es, dass Herr Quarre den B?rgermeister besuchen wollte, ihn aber nicht zu Hause fand und in guter Zuversicht die Jungfrau Tochter bitten liess, die auch in wenigen Minuten zu erscheinen versprach. W?hrend er in einem stattlichen Empfangszimmer ihrer wartete, h?rte er im Nebenzimmer erst ein Pfeifen und Knarren, dann ein Singen, in dem er deutlich die Melodie und schliesslich auch die Textworte unterscheiden konnte; es lautete n?mlich:
Herr Quarre w?r ein Held Und h?tt auch Gott geprellt Ums Regiment der Welt, Wenn nicht das Beste fehlt': Die Gr?tze und das Geld.
Sogleich geriet Herr Quarre in einen brennenden Zorn, und als nun l?chelnden Mundes Wunneke ins Zimmer trat, ergoss er sich in w?tenden Reden und forderte tobend, dass ihm der Name des unversch?mten Rebellen genannt w?rde, der so aufreizende Lieder von sich g?be, damit eine nachdr?ckliche Strafe ?ber ihn verh?ngt w?rde. Wunneke entgegnete sanftm?tig, der Herr Vogt werde besagten Gesang auf der Strasse vernommen haben, wo man leider oft von liederlichen Leuten die gottlosesten Dinge h?ren m?sse. Herr Quarre blieb aber dabei, es sei im Nebenzimmer gewesen, und liess auch einfliessen, es sei eine helle und gewissermassen lieblich pfeifende Stimme gewesen, wobei er drohende Blicke auf das Fr?ulein schoss. Wunneke ver?nderte aber ihre unschuldige Miene nicht und sagte ruhig, im Nebenzimmer sei niemand anders gewesen als Fl?mmchen, der Papagei, der dort seinen Standort habe und allerdings, was sie nicht leugnen wolle, sowohl sprechen wie singen k?nne, so dass es, wenn auch unwahrscheinlich, doch nicht unm?glich sei, dass er den Unfug getrieben habe. Herr Quarre verlangte murrend die angebliche Bestie in Augenschein zu nehmen und wurde von Wunneke h?flich in das Nebenzimmer gef?hrt, wo auf einer goldenen Stange Fl?mmchen sass, mit einem Kettlein am Fusse daran festgebunden. Sie forderte den Vogel unter Streicheln und Liebkosen auf, zu wiederholen, was er vorher gesungen habe; aber man vernahm nur ein leises woll?stiges Knarren, das er von sich gab, indem er sein gr?ngoldiges K?pfchen langsam an der weissen M?dchenwange rieb.
Herr Quarre hielt sich nunmehr f?r gefoppt und schnaubte von dannen unter der Androhung, dass er den B?rgermeister und sein ganzes Haus wegen Majest?tsbeleidigung vor Gericht ziehen werde. Sein Zorn verdoppelte sich noch, als Herr Schmitz, der B?rgermeister, obwohl er sich verschworen hatte, alles zu tun, um den Gekr?nkten zu beg?tigen, sich mit Vorbringung fadenscheiniger Ausfl?chte entschuldigte, als der Vogt sich Wunneke selber zur Entsch?digung ausbat. Er brachte eine Klage bei dem Rat ein, und es wurde schleunig eine Sitzung anberaumt, bei der der B?rgermeister, als selbst beklagt und beteiligt, den Vorsitz Herrn Muslieb, dem zweiten B?rgermeister, abtreten musste.
Dieser war zwar dem kaiserlichen Vogte, der best?ndig die Gerechtsame der Republik schm?lern wollte, so feind, wie es ihm zukam, andrerseits aber war es ihm angenehm, dartun zu k?nnen, dass, wenn auch seine Stellung bescheidener als die des regierenden B?rgermeisters, doch sein Name nicht minder fleckenlos war, und er beschloss, die Gerechtigkeit alle Partei-, Privat- und Sonderinteressen ?berwiegen zu lassen. Er ersuchte zun?chst Herrn Quarre, das Lied vorzutragen, das die Ursache des Prozesses war, was derselbe nicht ohne Unwillen tat; s?mtliche Ratsherren konnten nicht umhin, mit strengem Kopfsch?tteln sich dahin zu erkl?ren, dass es keine geringe Keckheit und Unanst?ndigkeit sei, wenn Lieder so schandbaren Inhalts in einem obrigkeitlichen Hause in aller Fr?hlichkeit laut w?rden. Der B?rgermeister und seine Tochter beteuerten, dass keiner ausser dem Papagei das Lied h?tte singen k?nnen, und das Fr?ulein f?hrte zu seiner Entschuldigung an, dass er wahrscheinlich, am offenen Fenster stehend, das Schelmenst?ckchen geh?rt und in seiner Torheit nachgeplappert h?tte. Herr Quarre zog dies in Zweifel, da noch nicht einmal bewiesen und ?berhaupt sehr unwahrscheinlich sei, dass das dumme und eitle Tier sprechen k?nne, welcher Beweis denn nun freilich auf der Stelle geleistet wurde. Indessen war Fl?mmchen nicht zu bewegen, etwas andres zu sagen als: Guten Morgen, Wunneke! Komm mit, Wunneke! K?ss mich, Wunneke! welche Reden er s?sslich qu?kend und unter geschwindem Augenrollen mehr als n?tig wiederholte. Daraufhin erkl?rte der vorsitzende B?rgermeister den Papageien f?r wohlbef?higt, das Verbrechen, dessen er geziehen wurde, begangen zu haben, und Herr Quarre, der den Vogel nunmehr zwischen Furcht und Staunen f?r einen Zauberer ansah, neigte zu der Ansicht, dass er der T?ter sei.
Trotzdem glaubte der Rat ohne weiteren Beweis nicht zu einem Urteil schreiten zu d?rfen, und die Herren gingen dem Vogel mit Singen und Pfeifen eifrig zu Leibe; denn sie hofften ihn zur Wiederholung des Liedes zu bewegen, indem sie die Melodie und ersten Worte desselben anh?ben. ?ber diese Zur?stungen war Fl?mmchen so erschreckt, dass er nur den Schnabel auf und zu machte, ohne einen h?rbaren Laut zu ?ussern, was Herr Quarre als Berechnung und Verstellung auslegte. Die ?brigen Herren z?gerten in grosser Verlegenheit, bis das Fr?ulein den Vorschlag machte, es m?chten einige Vertrauenspersonen ausgew?hlt und beauftragt werden, Fl?mmchen w?hrend einer gewissen Zeit scharf zu beobachten; denn es sei anzunehmen, falls er das Lied wirklich einmal gewusst h?tte, dass er es wiederholen w?rde, sowie er nicht wie jetzt durch eine hohe und majest?tische Versammlung eingesch?chtert w?re. Hierauf gingen alle mit Freuden ein, und es wurden sofort drei kundige und anstellige Ratsherren mittels geheimer Abstimmung ausgew?hlt, die drei Tage und N?chte hintereinander das Gestell des Vogels umgeben und auf alle seine ?usserungen achten sollten. Da ihnen Reden sowie Gespr?ch und Gel?chter jeder Art der gr?sseren Aufmerksamkeit wegen verboten war, vertrieben sie sich die Zeit mit schweigendem W?rfeln und Kartenspielen, das nur zuweilen dadurch unterbrochen wurde, dass ein jeder die Ausrufungen des Papageien auf einem Pergamentstreifen verzeichnete. Es war aber nach Verlauf der Zeit nichts vorgefallen, was auf Fl?mmchens Kenntnis des bez?glichen Liedes schliessen liess, und man h?tte ihn freigesprochen, wenn sich nicht Herr Quarre mit ?usserster Wut dagegen gesetzt h?tte. Ein sauberes Regiment, sagte er, das sich von einem ausl?ndisch aufgeputzten Vogel ?ber das Ohr hauen lasse; er w?rde die ganze Republik zusammenstampfen wie ein ?pfelmus, wenn der ihm zugef?gte Schimpf nicht an dem Misset?ter ger?cht w?rde. Nachdem B?rgermeister und Rat eine Zeitlang in den Gesetzen nachgeschlagen und gebl?ttert hatten, erkl?rten sie einm?tig, dass sie zun?chst das Mittel der Tortur versuchen m?ssten, um ein gutwilliges Gest?ndnis zu erpressen.
Und so ist es gekommen, dass ich Wunneke sah. Denn trotzdem es allgemeiner Missbilligung unterlag, dass sie unser verfemtes Reich betreten und einer Handlung so schauriger Art beiwohnen wollte, hatte sie sich nicht davon zur?ckhalten lassen, ihren Liebling auf seinem Martergange zu begleiten. Ich Ungl?cklicher stand an meines Vaters Seite, als sie in das moderige Gew?lbe eintrat, wie ein wandelnder Narzissenstrauss, wie ein Kelch aus Milchglas voller Veilchen, mit dem ein duftendes Fr?hlingsgew?lk in die kalte Finsternis hineinschwebt. Ach mehr -- wie vor dem ermattenden Schwimmer, der sich eben in den unvermeidlichen Untergang geschickt hat, mitten aus dem ?den Wassermeer eine bl?hende Insel auftaucht, mit Orangenhainen bewaldet, denen die Tropfen noch von den glatten Bl?ttern rieseln, so stand sie pl?tzlich vor mir und schaute mir mit l?chelnden Augen ins Gesicht. Nur mich l?chelte sie an, gegen die andern bewahrte sie eine absichtliche Feierlichkeit, und vor meinem Vater schien sie zu erschrecken; von Abscheu war nichts darin, nur Erstaunen und Bangen. Woher wusste sie, dass meine Augen alles so sahen wie ihre? Obgleich wir nie ein Wort miteinander gesprochen hatten, sahen wir, w?hrend die Handlung sich entfaltete, einander an wie zwei schelmische Kinder, die eine Falle gestellt haben und aus ihrem Versteck aufpassen, wie die Geneckten hineintappen. Und nun ert?nte das silberne Harfenspiel ihrer Stimme, wie sie zu meinem Vater sagte: >>Herr Marx Grave, wollt bedenken, dass der Beklagte ein zartes und verw?hntes Gesch?pf ist, dem das Lebensf?dchen leicht v?llig zerreissen k?nnte, wenn man allzuhart daran zerrte.<<
Mein Vater antwortete laut und ernsthaft: >>Die Vernunft und die Gesetze gebieten, edles Fr?ulein, die Pein nicht ?ber das Verm?gen des Delinquenten hinausgehen zu lassen. Seid versichert, dass ich es bei den ersten und angenehmsten Graden der Folter bewenden lassen werde.<<
In dem Augenblick, als das Tier meinem Vater ?bergeben wurde und seine rechte Hand sich ihm mit einem schraubenartigen Werkzeug n?herte, brach der Papagei in ein lautes Gezeter aus, das sich deutlich in einige Worte zerlegen liess, und zwar in ebendieselben, die den Anfang des Spottliedchens ?ber Herrn Quarre bildeten. Dieser, der, um sich an den Qualen seines Feindes zu erg?tzen, ganz nahe bei meinem Vater gestanden hatte, triumphierte hoch und verlangte, dass er dem ?berf?hrten ?belt?ter augenblicklich den Hals umdrehe. Mein Vater entgegnete k?hl: >>Und wenn der Papagei Euch, Herr Quarre, das Herz aus dem Leibe gehackt h?tte und dessen gest?ndig w?re, w?rde ich ihm doch kein Federchen kr?mmen, bis er nach Recht gerichtet und mir in herk?mmlicher Form zur Vollstreckung des Urteils ?bergeben w?re.<<
Herr Quarre brach in gr?ssliches Schimpfen aus und rief: >>H?rt den Mistfinken! das Blutschwein! ich kenne euch alle, frei m?chtet ihr sein und schert euch einen Kuckuck um die Majest?t des Kaisers, der euer Dreckgehirn wie N?sse mit dem Absatz zerknacken k?nnte!<< In welchen giftigen Reden ihn aber Herr Muslieb mit ernster H?flichkeit unterbrach, indem er ihn auf das Unbedachte seines Geschw?tzes aufmerksam machte. Dem Papagei, sagte er, werde sein verdientes Urteil gesprochen werden, ohne dass das Recht um ein T?ttelchen geschm?lert w?rde, danach aber werde man untersuchen, ob der Kaiser in Wahrheit Anspruch darauf habe, eines ehrbaren Rats reichsfreier Stadt K?pfe absch?tzig zu betiteln und mit F?ssen zu treten, was, soviel er wisse, nicht einmal in der T?rkei und andern ?ppigen Sultansl?ndern Sitte sei.
>>Wenn die Narren den h?bschen Vogel wirklich zum Schwerte verurteilen,<< sagte mein Vater, nachdem sich alle entfernt hatten, >>sollst du an meiner Stelle amtieren;<< denn, meinte er, er selbst sei f?r solche Albernheiten zu alt, w?rde auch n?tigenfalls den Herren mit seiner Dienstordnung in der Hand beweisen, dass er zu ernstem, vern?nftigem Gesch?ft, nicht aber zu eitelm Firlefanz berufen sei. Mir aber w?rde es wohl anstehen, mich bei dieser Gelegenheit zum ersten Male ?ffentlich zu zeigen, denn fehlen k?nnte ich bei so leichter Arbeit nicht, dagegen den Beifall von M?dchen und Toren, deren es viele g?be, erwerben.
Gott weiss, wie mir damals Tage und N?chte vergingen. Mein Herz war wie ein junger Falke, der unaufh?rlich mit den Fl?geln rauscht, um sich zum ersten Fluge aufzuschwingen, und zwischen Furcht und ungeduldigem Mute zaudert. Auf der Heide lag mein Leib, aber ich selbst fuhr wie eine Sturmschwalbe dar?ber hinweg, schreiend und die salzige Meerluft schlingend, dass ich sie k?hl und berauschend bis in die tiefste Seele hinein f?hlte. Ich sauste um den alten Leuchtturm, schlug mit klatschenden Fl?geln an sein starres Gem?uer, st?rzte mich in die brennende Pechpfanne auf seiner Zinne, peitschte mit der schwarzroten Flamme die fliehende Luft und empfand mit Wonne, wie ich mich dehnte, indem ich mich selber verzehrte. Dabei war ich mir wohl bewusst, wer sie war und wer ich war, und dass ich eher die Wange des Mondes als die ihre je mit meinen Lippen ber?hren k?nnte. Aber diese Unm?glichkeit eben erh?hte meinen Wahnsinn, denn was mir in den Eingeweiden brauste, h?tte mich vor mir selber l?cherlich gemacht, wenn es sich um ein allt?gliches Lieben und Werben gehandelt h?tte. Auch war in meinem Gef?hl das Bewusstsein von einer magnetischen Kraft, die sie doch einmal an mein Herz reissen m?sste, wenn ich auch nicht dar?ber nachdachte, wie das geschehen k?nnte. Und als ich vollends am Tage der Papageihinrichtung mein neues Amtsgewand trug, ganz aus schwarzem Tuch, das kurze M?ntelchen, mit karmesinroter Seide gef?ttert, schwarze und rote Federn auf dem Barett, zweifelte ich nicht, dass der Himmel sich ?ber meiner Sch?nheit ?ffnen und Rosen auf mich herabsch?tten w?rde, Rosen von jenseits, mit Ambrosia betaute, die ich alle der erbleichenden Wunneke in den Schoss werfen w?rde.
Von weitem her sah ich den Armes?nderkarren durch den braunen herbstlichen Wohlgeruch der Heide stolpern, auf dem sie sass in ihrem schwarzsamtenen Kleide, den Papageien an einem silbernen Kettlein haltend, der, von dem Anblick der weiten hohen Welt und der un?bersehbaren Menschenmenge bet?ubt, bald in sich zusammensank als ein erl?schendes Fl?mmchen, bald mit gestr?ubten Federn, heftig kreischend und schimpfend, auf dem Arme seiner Herrin auf und ab lief. Ihr gegen?ber sass der Propst, welcher auf ihr Verlangen dem S?nder als Trost auf seinem letzten Gange beigegeben war. Dies hatte sie allerdings nicht ohne M?he durchgesetzt, denn die R?te waren in der Mehrzahl der Ansicht gewesen, bei einer vernunftlosen Bestie sei geistlicher Zuspruch nicht nur unn?tig, sondern sogar ?bel angebracht. Aber Wunneke wendete ein, wenn Fl?mmchen denn vernunftlos sei, d?rfe man ihm auch sein schelmisches Singen nicht zum Vorwurf machen, worauf Herr Quarre in einen gl?hroten Zorn geriet, seinen borstigen Schnurrbart str?ubte, dass man an der Spitze jedes Haares ein Fr?schlein h?tte aufspiessen k?nnen, und sagte, ohne Vernunft sei der Vogel zwar nicht, aber seine Vernunft sei des Teufels, und wenn ihn die s?mtlichen Kirchenv?ter mit dem Papst an der Spitze zum Schafotte geleiteten und ihm die ganze Bibel aufsagten, w?rde das dem ruchlosen Federvieh nur zu Spott und Gel?chter dienen. Hierauf aber sagte der Propst, den man nebst mehreren andern Theologen zu Rate gezogen hatte, damit sie die heikelige Sache beurteilten, wenn dem so sei, m?sse man um so mehr dazu tun, dass der g?ttliche Vernunftsinn dem Teufel entrissen w?rde, und er wollte sich der Aufgabe wohl unterziehen. ?berhaupt, sagte er, fehlten zwar auch dem gescheitesten Tier die vern?nftigen Begriffe, weil es nicht unterwiesen sei, aber man gebe ja auch einem neugeborenen oder gar idiotischen Kinde die heilige Taufe, das sei eins wie das andre, man m?sse eben den Heiligen Geist spenden, wie der liebe Gott die Sonne und ein S?mann die K?rner, soviel als m?glich und aufs Geratewohl, schaden k?nne es nicht und zuviel sei besser als zuwenig. Auf diesen gelehrten Sermon wusste niemand etwas zu erwidern, auch f?rchteten B?rgermeister und Rat den Propst, der weit und breit grosses Ansehen genoss und die dumme, lenksame Riesenseele des Volkes in der Hand hielt.
So sassen der Propst und das Fr?ulein auf dem Karren und unterhielten sich leise und l?chelnd, und mir schien es, wie ich das weisse Seelengesicht ?ber dem schwarzen Kleide schweben sah, als f?hre man in feierlicher Prozession eine auf ferner neuentdeckter Insel gefundene Wunderblume durch das Land, damit alles Volk sie s?he und ihren Duft einatmete. Das Schafott hatte mein Vater selbst mit hochrotem Samt ?berzogen, und ich eilte die Stufen hinan, als w?re ich der K?nigssohn und sollte mich dem Volke zeigen. Das war auch in lustiger Bewegung, weil es ein so seltsames Schauspiel mit ansehen sollte, und viele M?nner und Frauen hoben ihre Kinder hoch und riefen: Schau, L?tte Grave; denn da ich wie mein Vater Marx hiess, nannte man mich zum Unterschiede den Kleinen, das ist L?tte in jener niederdeutschen Sprache. Fl?mmchen hatte ich am Kettlein auf der Hand sitzen wie einen Edelfalken, und ich f?hlte meine zierliche Sch?nheit ordentlich aus mir herausbl?hen. Wie mein Vater mich gelehrt hatte, kniete ich mich zuerst nieder und sagte: Gott walte deiner und meiner! stand dann wieder auf, neigte meines kleinen Schwertes Spitze dahin, wo die Obrigkeit versammelt war, und schickte mich an, meinen Delinquenten zu richten.
In diesem Augenblick sah ich zum erstenmal, wie sch?n Fl?mmchen war: das gr?ne K?pfchen gl?nzte, als w?re Goldschaum dar?ber geblasen, und die roten und blauen Federn im Schwanz und in den Fl?geln flammten wie edle Steine. Er bemerkte meine Bewunderung sogleich, und seine runden, spiegelnden Augen sagten halb flehentlich, halb listig: T?te mich nicht, L?tte Grave! Willst du mich, das h?bsche Fl?mmchen, den kriechenden Breitm?ulern da unten zuliebe umbringen? Fliegen wirst du mich lassen ... Es fehlte nicht viel, so h?tte ich ihn wirklich fliegen und als ein goldenes Fl?mmchen in den lachenden blauen Himmel steigen lassen; aber ich besann mich, dass er als ein unfreier, halbbeseelter Menschengeselle auf Wunnekes Schulter zur?ckfliegen und dem Tode doch nicht entgehen w?rde, daher entschloss ich mich und hieb mit einem kurzen geschwinden Streich das kleine Schelmenhaupt vom Rumpfe. So geschickt f?hrte ich es aus, dass ich den abfliegenden Kopf mit der Spitze meines Schwertes auffing und ihn so dem Volke zeigen konnte als Beweis der v?llig und gl?cklich ausgef?hrten Exekution. Bei diesem Anblick brach die Menge in helles Freudengeschrei aus, die Kinder klatschten in die H?nde, und ?ber die warme, tr?umende Heideluft verbreitete sich blitzschnell Jubel und Gel?chter. Die Obrigkeit trollte sich eilig und unzufrieden davon, denn sie trauten sich nicht, der unanst?ndigen Ausgelassenheit zu steuern; aber das Volk wogte noch bis zum k?hlen Abend auf der Heide umher, als ob Jahrmarkt w?re.
Wunneke hatte ich w?hrend der ganzen Handlung nicht einmal angeschaut, aber gef?hlt hatte ich sie, wo sie war, wie sie unter Tr?nen l?chelte und was sie dachte, und ihr Herz blieb bei mir zur?ck, und ich legte mich damit in das bl?hende Kraut, seliger, als wenn es ihr sch?ner warmer Leib gewesen w?re. Erst am andern Morgen flohen mir die guten Gl?cksgeister davon, und das Gestrige lag unter der neuen Sonne wie ein elendes, abgegriffenes Rumpelkammerspielwerk, das man als Kind einmal f?r das herrlichste Kleinod gehalten hat. Und gerade am Abend dieses w?sten Tages kam sie. Sie kam wie ein leichtes, fl?sterndes Blatt, das der Wind vor sich her weht, und schien sich an die Dunkelheit anschmiegen und in sie verbergen zu wollen. Ein andrer h?tte sie ohne weiteres in seine Arme genommen -- denn war sie nicht fast ein Strandgut an unsre f?rchterliche K?ste geworfen --, mir aber kam das nicht in den Sinn, vielmehr hielt ich mich weit von ihr, w?hrend ich sie in unser Haus geleitete. Auf meines Vaters Frage sagte sie, dass sie gekommen sei, um sich Fl?mmchens Leichnam auszubitten, den sie begraben wolle, und unter seinem Blick err?tend, setzte sie hinzu, ihr Vater w?rde ihr die unschuldige Bitte ausgeschlagen haben, darum sei sie heimlich bei der Dunkelheit gekommen.
>>Habt Ihr nicht gewusst,<< sagte mein Vater, >>dass Ihr des Scharfrichters Haus nicht betreten d?rft? Und dass er mit seinem Leben bezahlen muss, wenn er Euch empf?ngt, bewirtet oder ber?hrt?<<
Es qu?lte mich, dass Wunneke nicht ein Wort zu entgegnen vermochte, obschon sie sich M?he gab, zu sprechen; sie starrte ihm ins Gesicht und h?tte sich, glaub ich, von ihm niederschlagen lassen, ohne den leisesten Versuch zur Verteidigung oder zur Flucht zu machen. Nach einer langen Pause fuhr mein Vater fort: >>Nehmt das zu Herzen, wenn mir oder meinem Sohne ein Haar sollte gekr?mmt werden um Euretwillen, weil es Euerm buhlerischen Leichtsinn nach Abenteuern gel?stet, so m?sst Ihr zahlen: unsre Tr?nen mit Euerm Blut, unser Blut mit Eurer Seele.<< Ich war so gewohnt, mich unter dem tyrannischen Willen meines Vaters zu beugen, dass ich mich w?hrenddessen ganz still verhalten hatte, dazu stand ich auch unter dem Eindrucke seiner wilden Sch?nheit, die sich immer dann am pr?chtigsten auftat, wenn das Blut in ihm zu kochen anfing. Erst nach einer Weile, als er sie mit einem milderen Blick musterte, in dem etwas kalt woll?stig Absch?tzendes war, gewann ich mich selbst wieder, trat vor und sagte: >>Warum erschreckst du das Fr?ulein, Vater, das ohne b?se Absicht als eine Bittende zu uns gekommen ist? Erlaube, dass ich ihr den Vogel suche und sie dann wieder heimbegleite.<<
Mein Vater sah mich scharf an, und ich glaube, dass er in diesem Augenblick alles durchschaute, was ich f?hlte, w?nschte und hoffte, und vielleicht auch, welchen Ausgang es nehmen w?rde, denn es schlich sich ein mehr mitleidiges und vorwurfsvolles als spottendes L?cheln um seinen Mund; aber er winkte mir nur mit der Hand, zu gehen, ohne noch einen Blick auf das M?dchen zu werfen. Sie dr?ngte sich an mich und folgte mir, und als wir draussen waren, sahen wir uns heimlich lachend an und sch?ttelten uns wie Kinder, die Schelte bekommen haben; dann liefen wir spornstreichs mitten in die Heide hinein.
Das tote Fl?mmchen hatte ich bald gefunden und aus dem Sande herausgew?hlt, von dem es nur eben bedeckt gewesen war; danach setzten wir uns auf das samtbeschlagene Ger?st, das in der D?mmerung hoch und schwarzrot dastand, und blickten auf das gleichm?ssig brandende Meer. Ich erz?hlte ihr dunkle Geschichten von den M?nnern und Frauen, die seit Jahrhunderten auf diesem St?ck Heide von meinen Vorv?tern waren hingew?rgt worden, die ich zum Teil in meiner Kindheit von unsern Knechten geh?rt hatte. Die Seelen der Gerichteten hausten im Meere, sagte ich, die meisten hielten sich dicht am Ufer, und wenn frisches Blut vergossen w?rde, schlichen sie sich nachts heran und tr?nken davon in schrecklicher L?sternheit nach dem irdischen Leben. Die Ferne war schwarz bis auf einen weissgelben Streifen, der wie ein einsamer Pfad ?ber die dunkeln Berge der Ewigkeit schimmerte; aber dicht vor uns bewegten sich vom Wasser her ?ber das Heidegestr?pp kriechende Nebel, die man in Wirklichkeit f?r geisterhafte Phantome h?tte halten k?nnen. Einige schienen verzweifelt die d?nnen stehenden Arme zu ringen, w?hrend sich andre auf die Erde gekr?mmt, verstohlen, ihrer verfluchten Blutgier sich sch?mend, auf uns zuschlichen. ?ber diesen Anblick begann Wunneke pl?tzlich sich zu f?rchten, und ich geleitete sie in Sicherheit heim, versprach ihr aber zuvor, dass ich Fl?mmchens zeitliche ?berreste auf dem n?chsten Gottesacker ordentlich und lieblich bestatten wollte, was ich mir unter dem Schutze des Totengr?bers, den ich gut kannte, wohl auszuf?hren getraute.
Dieser gestand mir auch gleich alles zu, um was ich ihn bat, und nachdem ich ihn in seiner Gef?lligkeit noch durch ein namhaftes Trinkgeld best?rkt hatte, w?hlte ich mir ein Pl?tzchen an der Hecke aus, wo lauter alte, verfallene Gr?ber lagen, um die sich niemand mehr bek?mmerte. Dort warf ich ein schmales H?glein auf und bepflanzte es ?ber und ?ber mit bl?henden Astern, dass es wie ein einziger grosser Blumenstrauss aussah. Am folgenden Abend kam Wunneke, wie sie mir aus freien St?cken angesagt hatte, und wir setzten uns auf einen halb eingesunkenen Stein unter einer hohen Pappel, die der Wind rauschend auf und nieder bewegte. Welke Bl?tter sausten in Schw?rmen an uns vor?ber, und weiterhin sahen wir sie wie ein dunkles Gew?lk ?ber die bleichen Gr?ber jagen. Vielleicht war die feuchte, g?rende Luft voll von den Lebenskeimen aller der Begrabenen, die seit Jahren und Jahrhunderten hier moderten, denn mir war es, als saugten wir mit jedem Atemzuge mehr treibenden, schwellenden Drang in uns hinein. Bis dahin hatte ich sie noch nicht ein einziges Mal ber?hrt, und jetzt auch h?tte ich es nicht getan, wenn sie sich mir nicht selber an die Brust geworfen und meine ehrlosen Mordknechtsh?nde mit K?ssen bedeckt h?tte.
Aber trotzdem sie nun viele Abende, ich erinnere mich nicht mehr, wie viele es waren, zu mir auf den Kirchhof kam, wurde ich immer trauriger. Ich musste immer dar?ber nachdenken, ob sie wohl z?rtlicher gegen mich sei, als sie gegen Fl?mmchen gewesen war, und ob sie mich wohl so innig liebkosen w?rde, wenn Fl?mmchen noch lebte, und ob sie wohl gerade das an mich gezogen h?tte, dass ich verfemt war, und meinen Leib, so jung und sch?n er war, anzur?hren Schande und Tod brachte. Sie ?brigens meinte es treu mit den ?berschwenglichsten Liebesworten, wie sie denn ganz unf?hig gewesen w?re, Liebe zu heucheln. Alles, was folgte, war einzig meine Schuld, denn ich wusste schon damals, was sie nicht wusste, n?mlich, dass sie mich nicht liebte, mich nicht liebte, trotzdem sie es mir allabendlich heilig beteuerte. Ein einziges Mal hatte ich den Mut, es ihr zu sagen, worauf sie mich wohl eine Minute lang nachdenklich und erschrocken ansah; dann st?rzten ihr pl?tzlich Tr?nen aus den Augen, und sie umarmte mich, als ob sie mich nicht mehr von sich lassen wollte. W?hrend ich bebend die k?hle Tr?nenflut ?ber mein Gesicht rinnen f?hlte, sagte sie unter Schluchzen, wie sie mich liebte, ewig, ewig nur mich, wie wenn ich ein goldener Stern des Himmels w?re, der nachts zu ihr herunterstiege, um sich von ihr k?ssen zu lassen. Auf meine Frage, weshalb sie weine, wusste sie nichts zu erwidern. Aber das war das merkw?rdigste, dass ich seitdem, obwohl ich nie mehr darauf zur?ckkam, noch weniger an ihre Liebe glaubte als vorher. Und dass ich recht hatte, zeigte sich nun bald, nachdem der Totengr?ber mich verraten hatte.
Der Totengr?ber war ein kurzes, dickes M?nnchen mit dickem Kopfe, nicht b?se, nicht gewinns?chtig, nicht streits?chtig noch schadenfroh, obwohl er lauter Handlungen beging, aus denen man das und ?rgeres h?tte schliessen m?ssen. Nur war er hilflos und unberaten, tappte blindlings und tolpatschig ins Leben hinein, bis er pl?tzlich an ein beliebiges Steinchen im Wege anstiess, zur Besinnung kam und nun pl?tzlich von unaufhaltsamer Angst ?berfallen wurde, dass er eine grosse Unvorsichtigkeit begangen habe, in diese oder jene Falle geraten werde und ?berhaupt verloren sei. In solchen Augenblicken schonte er niemand, denn er glaubte alle samt und sonders wider sich verschworen und konnte andre ins Verderben st?rzen, w?hrend er sich f?r ein armes Opfer hielt, das eben schlau genug sei, sich aus der Schlinge zu ziehen. Er hatte ein paar runde, braungl?nzende Augen, denen er den Ausdruck alles durchdringender Pfiffigkeit zu geben suchte, obgleich er eigentlich gar nichts mit ihnen sah oder beobachtete. Aber er wollte um jeden Preis die Dummheit, die er deutlich in sich sp?rte, vor der Welt verbergen, damit er nicht ?bervorteilt und ausgelacht w?rde.
Er hatte mir damals bereitwillig die Erlaubnis gegeben, den Papagei auf dem ihm unterstellen Kirchhof zu begraben, mir sogar geholfen, das kleine Grab zu graben und den H?gel aufzuwerfen. Er hatte sich, ausserordentlich dabei belustigt, und wenn Wunneke kam, pflegte er mir heimliche Zeichen zu machen, in sich hineinzukichern und sich die H?nde zu reiben; ohne dass ich ihn darum gebeten h?tte, liess er um unsertwillen die Friedhoft?r l?nger ge?ffnet als gew?hnlich und schloss sie hinter uns, kurz, er war uns in jeder Hinsicht bei der Ausf?hrung unsrer Zusammenk?nfte behilflich. Pl?tzlich nun kl?rte ihn seine Frau, die hinter die Sache gekommen war, dar?ber auf, was das eigentlich auf sich habe und was f?r un?bersehbare und verderbliche Folgen daraus entstehen k?nnten. Denn dass ich des Scharfrichters Sohn war, wusste sie so gut, wie sie sah, dass Wunneke ein vornehmes Fr?ulein war; das aller?rgste schien ihr aber merkw?rdigerweise das zu sein, dass wir den Vogel in geweihter Erde begraben hatten.
Die warnenden Reden seiner Frau erschreckten den Totengr?ber so, dass er schnurstracks, um Leib und Leben zu retten, hinlief und seine Anzeige vor Gericht machte. Er erz?hlte aufs glaubw?rdigste, wie ich ihn mit nacktem Schwert bedroht h?tte, weil er den Greuel nicht h?tte dulden wollen, wie aber sein Gewissen ihm keine Ruhe gelassen h?tte, besonders seit das feine Fr?ulein in meiner Gesellschaft gewesen w?re, das leider wohl auch ein Opfer meines Frevelmutes sein m?chte. Als ich, ohne hiervon einen Verdacht zu haben, pl?tzlich vor einen heimlichen Rat gestellt wurde, war ich nicht wenig best?rzt, konnte mich aber doch so weit fassen, dass ich beschloss, nichts auszusagen, was Wunneke gef?hrlich werden k?nnte. So kam es, dass ich auf die Frage, was mich bewogen h?tte, einen ganz gemeinen ausl?ndischen Vogel an heiliger St?tte zu begraben, antwortete -- denn es wollte mir in der Bedr?ngnis und Eile nichts Besseres einfallen -- das h?tte ich getan, weil ich es ihm auf dem Schafott in seiner Sterbestunde als seinen letzten Wunsch tr?stlicherweise versprochen h?tte. Dies Gest?ndnis rief ein gewaltiges Erstaunen hervor, und es wurden Beratschlagungen veranstaltet, wie meine Worte aufzufassen w?ren. Viele erinnerten sich, dass ich in der Tat mit gez?cktem Schwerte einige Augenblicke gez?gert und, dem Papagei ins Auge blickend, mit dem Zuschlagen gewartet habe, gerade als ob ich Zwiesprache mit ihm pfl?ge, so dass meiner Aussage wohl Glauben zu schenken sei; wie denn ?berhaupt nicht wenige wegen meines ?beraus h?bschen und freundlichen Aussehens mir wohlwollten. Dass der Papagei der Sprache m?chtig gewesen sei und auch vern?nftig habe reden k?nnen, sei ohnehin bewiesen, meinten diese, denn sonst h?tte er ja den kaiserlichen Vogt nicht verlachen und beschimpfen k?nnen. Ob das vern?nftig reden heisse, ihn und Seine Majest?t zum besten haben, grollte Herr Quarre; worauf sich jene wieder verantworteten, dass man vern?nftig, das heisst vern?nftigen Inhalts, und vernunftgem?ss, das heisst den Gesetzen des Denkens entsprechend, unterscheiden m?sse. Indessen blieb man doch, selbst wenn es festgestellt sei, dass der Papagei h?tte vern?nftig denken und reden k?nnen, im Zweifel dar?ber, ob seine Gedanken sich auch auf das Jenseits und ein ewiges Leben erstrecken k?nnen, welche Frage wiederum die Geistlichkeit sollte zu entscheiden haben.
Noch sehe ich in meiner Erinnerung den Propst eintreten mit seiner hohen, etwas gebeugten und zierlich gebauten Gestalt in den pr?chtigen Ratssaal, und wie er mit seinen Feueraugen umhersah und alles ruhig und geschwinde musterte. Halbversunken waren diese alten Augen, und die Blicke kamen aus der Tiefe hervor wie Drachenzungen aus einer dunkeln H?hle, nur dass sie keinerlei Gift oder Bosheit an sich hatten, aber scharf, schnell und sicher trafen sie ins Herz. Als ich sie auf mir ruhen f?hlte, nachdem man ihm meine Aussage samt allen daran gekn?pften Bedenklichkeiten vorgetragen hatte, wurde es mir ganz wohl und gl?ckselig zumute, und es schien mir auf einmal alles nichts weiter als ein sch?nes Fastnachtsspiel zu sein, dem ich zuschauen d?rfte.
Warum, begann sogleich der Propst, ohne auf dem ihm dargebotenen Sessel Platz zu nehmen, die H?nde auf den langen Ratstisch gest?tzt, warum sollte es eine S?nde sein, den h?bschen Papageien auf den Gottesacker zu begraben, da er doch kein T?rke, Heide oder Jude, sowie kein Henker, Selbstm?rder, Hexenmeister oder Seilt?nzer gewesen sei?
Der Vorsitzende erwiderte, Fl?mmchen sei allerdings nur ein Vogel gewesen, aber ein von Rechts wegen gek?pfter; worauf der Propst erkl?rte, man m?sse die Strafe anders ansehen als eine ?ber Menschen verh?ngte, denn einem Menschen w?rde ein so kleines Vergehen nicht mehr als einen Verweis oder eine Ohrfeige eingetragen haben, was aber h?tte man mit einem Vogel anfangen sollen? Geld bes?sse er keines, und gefangen w?re er so wie so, jede K?rperstrafe w?rde aber in Ansehung seines gebrechlichen Leibchens ohnehin in Todesstrafe ausgeartet sein. Also sei er eigentlich nur zuf?llig und aus Not gek?pft und brauchte das weiter keine Entehrung ?ber den Tod hinaus im Gefolge zu haben.
Aber ob eben ein Vogel schlechthin w?rdig sei, auf dem christlichen Friedhof begraben zu werden, das sei die Frage, wandte der Vorsitzende ein.
Wie? sagte der Propst, ob man denn nicht wisse, dass der Heilige Geist in Gestalt einer Taube die Menschen heimsuche? Wer k?nne wissen, ob nicht in jenen antipodischen L?ndern, wo es vielleicht keine Tauben g?be, der Geist durch Papageien verbreitet w?rde? Jedenfalls sei erwiesen, dass ein Vogel nichts Unreines sei, sonst w?rde es dem Heiligen Geist nicht belieben, hineinzufahren, und es sei die Frage, ob nicht mancher Christ in der geweihten Erde liege, in dem er vor aufgeh?uftem Unrat nicht h?tte hausen m?gen noch k?nnen.
>>Flausen!<< rief nun der kaiserliche Vogt, kirschbraun im Gesicht und mit starrendem Schnurrbart, >>Tiere sind Tiere und geh?ren auf den Schindanger, wenn sie nicht nach Gottes Ordnung als Speise gegessen und verdaut werden.<<
Jetzt aber beugte sich der Propst weit vor, so dass er dem Vogte dicht in die Augen sah, und sagte, indem er seine feine Hand zur Faust ballte und fest auf die Bibel legte, die zum Zwecke der Eidesleistung der Zeugen auf dem Ratstische lag: >>Es steht geschrieben im ersten Buche Moses: Und Gott sprach zu Noah, ich richte einen Bund mit euch auf und mit allem lebendigen Tier bei euch an V?geln, an Vieh und an allen Tieren auf Erden bei euch, dass hinfort keine S?ndflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe. Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken, der soll das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde. -- Gott in seiner Majest?t also hat mit V?geln und andern Tieren einen Bund geschlossen, wie man mit Ebenb?rtigen zu tun pflegt, und wir, vor Gott nichts als Tiere, denen er mit seinem Atem ein wenig Licht in die Seele geblasen hat, besinnen uns, ob wir einem guten Papageien zwischen andern armen S?ndern seine Ruhe lassen wollen!<<
Nach einer Pause, w?hrend deren kein Wort, nicht einmal ein R?uspern laut wurde, f?gte der Propst, indem er die Stimme etwas fallen liess, gelassener hinzu, gleichsam als einen ?berfl?ssigen Beweis ohnehin offenbarer Wahrheit: >>Gott hat den Lieblingen seiner Sch?pfung, den V?geln, das ?berirdische Luftreich zur Wohnung angepriesen; sollten wir schmutzige Kriechtiere ihnen eine Handvoll schwarzer Erde missg?nnen?<<
Alle waren sehr besch?mt und blickten vor sich nieder, ausgenommen der kaiserliche Vogt, der trotzend die Augen rollte und den Mund spitzte, als ob er pfeifen wollte, was er denn freilich doch nicht in Aus?bung setzte. Der Propst hob die Sitzung auf, indem er sagte: >>Es ist dies meine erwogene Meinung, dass L?tte Grave wegen eigenm?chtiger Beerdigung des Papageien nicht zu bestrafen sei, vielmehr sogleich der Freiheit zur?ckgegeben werden sollte.<<
Mit diesem unsch?dlichen Ausgang w?re aber dem Vogte nicht gedient gewesen, der liebte, dass auch etwas Ordentliches dabei herauskam, wenn einmal zu Gericht gesessen wurde, und ebenso sch?rte der Totengr?ber, dass man das angez?ndete Feuer beileibe nicht ausgehen lasse. Denn dieser, der von der ganzen Verhandlung nichts verstanden hatte, war bei sich ?berzeugt, wenn ich freigesprochen w?rde, ginge es ihm an den Hals, einer m?sse das Opfer sein, und nat?rlicherweise w?nschte er sehnlich, dass ich es w?re. Also fingen diese wieder an, von dem Fr?ulein zu reden und nachzuforschen, wer diese gewesen sein k?nne, und da geschah es denn, dass Wunneke ihrem Vater alles gestand. Nicht weil die Liebe zu mir sie ?ber?ngstlich und besinnungslos gemacht h?tte, sondern weil sie hoffte, ihr Vater, der B?rgermeister, k?nne die ganze Sache niederschlagen, damit nichts an den Tag k?me, und es sei, wie wenn nichts geschehen w?re. Sie hatte sich aber in ihrem Vater verrechnet; dieser war zwar gutm?tig und unentschlossen im Handeln, so dass er sich tagelang besann, bevor er einen vorlauten Schw?tzer ein St?ndchen am Pranger stehen liess, wenn aber einmal eine Leidenschaft in ihm aufgeregt wurde, die seine schwere Maschine in T?tigkeit setzte, war er wie eine losgeschossene Bombe, Feuer und Verderben im Bauche, die sich nicht halten l?sst, bis sie ihr Ziel erreicht und alles zusammenge?schert hat.
Ohne zu denken, was f?r Folgen daraus f?r seine Tochter erwachsen k?nnten, bezeichnete er mich als ihren Verf?hrer, liess mich in den Kerker werfen und verlangte mit derselben Erbitterung mein Blut fliessen zu sehen wie damals der Vogt das des armen Papageien. Damit hatte er aber einen Gegner in die Schranken gerufen, der m?chtiger als alle war, n?mlich meinen Vater.
Ich sollte ohne Sorge sein, sagte er mir, es w?rde mir kein Haar gekr?mmt werden, denn die Herren w?ssten, sagte er, dass er auf meinem Grabe so lange Menschen schlachten und Blut vergiessen w?rde, bis ich selbst mein Haupt aus der Erde h?be und sagte: Ich bin ges?ttigt. Dergleichen wilde Prahlereien kamen mir halb komisch, halb grausig vor, aber ich glaubte in Wahrheit, mein Vater w?rde schon Mittel und Wege finden, mich zu erretten, so dass ich in aller Gem?chlichkeit dahinlebte, bis ich eines Abends erfuhr, was mein Vater im Schilde f?hrte und wie er, um mich zu retten, mich als erstes Opfer mit den F?ssen zertrat.
Es war der Abend, als sich die T?r auftat und Wunneke zu mir eintrat, nicht mehr ein bl?hender Veilchenstrauss, den Kinder und Frauen im Triumphe geleiten, sondern wie ein losgerissenes Blatt, vom Nordwinde hereingeblasen, wie ein Seufzer ?ber die Erde huschend, todm?de und ruhelos kam sie herein, setzte sich neben mich und weinte. In einem Augenblick f?hlte ich die h?chste Seligkeit, da ich sie sah, und Todesschmerz, als ich inne wurde, was mit ihr vorgegangen war und was sie wollte. Noch ehe sie ein Wort gesprochen hatte, wusste ich, dass sie mich nicht mehr liebte und dass sie gekommen war, es mir zu sagen und mich um Verzeihung zu bitten. Wenn es nur das gewesen w?re! Aber nachdem ich ihr freundlich gesagt hatte, dass ich ihr nicht z?rnte, sah sie mich immer noch mit beschw?renden Augen an, als sei das von allem das Geringste gewesen, als sollte ich noch mehr erraten. Nichts warnte mich, nichts brachte mich darauf; erst als sie es mir gestanden hatte, stand es hell vor meinen Augen, als ob ich es immer gewusst h?tte, dass sie ihn, meinen Vater, liebte.
Sowie er erfahren hatte, dass mein Leben in Gefahr war, hatte er es erm?glicht, sie zu sehen und zu sprechen, hatte sie gemahnt an das, was er ihr angedroht hatte, und ihr mit entsetzlichen, mitleidlosen Anklagen die Seele zermalmt. Seine Forderung war, dass sie mich unter dem Schafott, wie es das Recht gestattete, f?r sich zum Manne begehrte und mit mir ausser Landes ginge; f?r Geld, um uns draussen weiterzuhelfen, wollte er schon sorgen. Sich ihm zu widersetzen, fehlte ihr der Mut, weniger aus Furcht oder weil sie sich im Unrecht wusste, sondern aus sklavischer Liebe, die ihr das Mark aus den Knochen gezogen hatte. In ihrer Not kam sie zu mir und klagte, dass sie zwar alles tun und auch mit mir entfliehen wollte, meine Frau aber nicht werden k?nnte mit der f?rchterlichen Flamme f?r meinen Vater im Busen. Nachdem das Gest?ndnis einmal von ihren Lippen gekommen war, wurde es ihr sichtlich leichter ums Herz, sie dr?ngte sich zutraulich an mich und erz?hlte mir, wie alles gekommen war, und von ihrem Zustande und Leiden, als ob ich ihr Bruder w?re. Seine Blicke voll w?tender Verachtung, seine strafenden Worte hatte sie zu seinen F?ssen aufgesammelt, die Stacheln in die Brust gedr?ckt, Dornenkr?nze daraus geflochten und sich aufs Haupt gesetzt. Ich kann nicht sagen, wie gross mein Hass und meine Liebe war. Aber erst nachdem sie mich verlassen hatte, kam es aus meinem Gem?t herausgequollen und ?berschwemmte meine Seele. Ich presste mich mit ganzem Leibe an die kalte Mauer und gab mich ohne Widerstand meinem Jammer hin; unter tausend Einf?llen und Gedanken kam es mir wieder zu Sinne, wie sie meinem Vater das erstemal gegen?bergestanden hatte und wie, w?hrend sie blass, erschrocken und ohne Worte auf ihn schaute, sein Blick pl?tzlich wie mit kostenden Zungen an ihr heruntergeglitten war. Es schien mir zweifellos, dass er darum wissen musste. Warum hatte ich sie von mir gehen lassen? Wusste ich nicht, dass er sie zu mir begleitet und draussen im Hofe des Kerkers auf sie gewartet hatte? Denn wie w?re sie sonst zu mir gekommen?
Auf einmal sah ich sie deutlich mit meinem inneren Auge nebeneinander die lange Strasse ?ber die Heide gehen. Der Wind fuhr hinter ihnen her und l?ftete den schwarzen Mantel meines Vaters, dass er wie eine Wolke ?ber ihren H?uptern flatterte. Sie gingen den graden unabsehbaren Weg, von dem ich als Kind geglaubt hatte, er habe kein Ende und f?hre ins Jenseits; und als sie an der Schmiede vor?berkamen, warf das Feuer einen roten Schein auf ihre Gesichter, und ich konnte erkennen, wie sie sich mit starren verlangenden Augen ansahen. Das alles war viel n?her und springender vor mir, als wenn ich es in Wirklichkeit gesehen h?tte, die beiden heissbeleuchteten Gesichter waren so dicht, dass ich das blanke Weiss in ihren Augen sah, und wollten sich nicht verscheuchen lassen, bis meine Tr?nen hin?berflossen und sie ausl?schten.
Da waren Eifersucht, Hass und Wut ganz vorbei, und ich f?hlte nichts weiter als eine grenzenlose Verlassenheit in meinem Herzen. Es schien mir, als w?re ich mein Leben lang in diesem Kerker gewesen und h?tte nie einen andern Freund gehabt als die geduldige Spinne, die in einer Ecke des Kerkers ihr Netz hatte. Als h?tte niemand je mich freundlich angesehen, niemand mein feines Angesicht und meinen schlanken K?rper gelobt, und doch w?rden meinem Herzen bei der leisesten Liebkosung glitzernde Tr?nen des Gl?ckes entstr?men. Es h?tte klingen k?nnen, lauter wie eine Glocke, l?uten, dass die blauen Luftwellen aufgerauscht und am roten Ufer der Sonne gebrandet w?ren -- aber nun war es vermauert, und niemand w?rde es je h?ren, begraben war es schon, eh noch das Todesurteil an mir vollstreckt war.
Ich konnte somit wohl gelassen sein, als mir das Urteil verk?ndet wurde, und war es wirklich im Innern so sehr, dass mir nur eine schwache Erinnerung davon geblieben ist. Aber bald darauf kam mein Vater, dessen ich in diesen Tagen so oft mit Bitterkeit, Fluch und Raserei gedacht hatte; kaum dass ich seinen Schritt und seine Stimme vernahm, die mich anrief, vergass ich alles und warf mich an seine Brust, wie ich als Kind getan hatte. Wie aus einem leichten Schlummer heraus, h?rte ich, was er erz?hlte: wie sie einen Scharfrichter aus dem Nachbarland h?tten kommen lassen, unter dem Vorwande, dass ein Henker nicht k?nne gezwungen werden, seinem eignen Kinde den Kopf vom Rumpf zu schlagen, dass er aber Einspruch getan h?tte, weil der Ordnung nach in unsrer Stadt Gebiet kein Richtschwert von Rechts wegen schalten d?rfe als das seine, ferner wie sie ihn f?rchteten und wie ich ohne Sorge sein sollte, da er alles aufs beste eingerichtet h?tte und es nicht fehlschlagen k?nne. Solange er bei mir war, glaubte ich alles Gute, aber sowie er fortging, schwand mir die Hoffnung wie ein Licht, das einer im L?mpchen einen langen dunkeln Gang hinuntertr?gt; schw?cher und bleicher wird der Schimmer, bis er endlich in der Dunkelheit verrinnt.
Ich wusste sicher, dass ich sterben m?sse, und glaubte es vollends, als ich das Folgende gesehen hatte: Am Abend n?mlich vor dem Tage meiner Hinrichtung geschah es mir noch einmal, dass ich mich von mir selber losl?ste und ?ber die Heide ging, w?hrend mein K?rper bewusstlos auf den Strohb?ndeln des Kerkers lag. Ich ging schnell und trotzdem langsamer als der graue Schatten einer Wolke, der vor mir her lief. Sie flog, als wenn ein Sturm sie vor sich her bliese, obwohl es ganz windstill war; nur weiter weg, wo das Meer war, pfiff ein dunkles Sausen. Ich f?hlte mein kleines furchtsames Kinderherz in der Brust, das vor vielen Jahren so angstvoll geschlagen hatte, wenn ich abends allein die lange Strasse gehen musste, und freute mich so wie damals, als ich ein Licht vom Hofe meines Vaters in der Ferne erblickte. Indessen war es, als ich n?her kam, das Feuer der Schmiede, das ungew?hnlich hoch brannte, und wie ich neugierig hinzutrat, sah ich meinen Vater davorstehen und sein grosses Schwert sch?rfen, w?hrend der Schmied mit der Zange die Glut sch?rte. Ich wusste wohl, dass mein Vater das Schwert f?r mich gebrauchen wollte, aber das k?mmerte mich nicht; ich starrte ihn nur bewundernd an, wie schrecklich sch?n er aus diesem H?llenscheine ragte. Erst als mein Blick auf seine Hand fiel, die mit dem Hammer mitten durch die Flamme fuhr und aussah wie von Blut ?berstr?mt, kam es mir in den Sinn, dass er mit derselben meine Mutter erw?rgt hatte und nun mich, ihr armes Kind, t?ten wollte, und Hass und Rache stiegen in mir auf, so heftig und pl?tzlich, dass ich fast die Besinnung dar?ber verlor. Zugleich wusste ich aber auch, dass, so nah ich auch bei ihm stand, mein Vater mich nicht sehen konnte, ebensowenig wie ich ihn h?tte anreden oder ber?hren k?nnen, und in diesem Gef?hl von Ohnmacht brach ich in Tr?nen aus, die mir wie das erstemal das Bild auswischten.
Am andern Morgen erwachte ich mit einem ungeduldigen Freudengef?hl, weil ich nun Erde und Sonne wiedersehen sollte; was danach kommen w?rde, lag ausserhalb meines Bewusstseins, und sowie mein Geist diese traurige Schattenregion betrat, schauderte er zur?ck, um sich wieder im Lichte zu baden. Was f?r ein Tag war es aber auch! Die Sonne war wie ein riesiger Springbrunnen am Himmel, der die Erde mit goldenem Schaumwein ?berflutete, so dass nicht nur die Menschen, sondern alles bis auf die Steine herab davon trunken war. Das Himmelsgew?lbe glich einem blauen gl?sernen Pokal, angef?llt mit dem funkelnden Safte der s?ssesten Sonnentrauben, damit die k?rperlosen Geister dr?ben sich den Rausch ewiger Seligkeit daraus tr?nken. Es war mir klar, dass die Menschenmenge, die die Heide erf?llte, nur deshalb hier zusammengelaufen war, um an diesem Festwein, den der Herrscher umsonst fliessen liess, sich satt zu trinken. An meiner Seite war der Propst, und am Wege stand der Totengr?ber, kl?glich weinend und mit dem dicken Kopfe nach mir nickend, den ich wohl freundlich gr?sste, aber ohne das mindeste dabei zu empfinden; denn meine Gedanken waren besch?ftigt, auszumalen, dass ich, wenn ich da oben auf dem Ger?st st?nde, das Meer ?berblicken w?rde. Ich h?rte es schon rauschen und dachte, es erwartete mich, und wenn wir uns erblickten, w?rde es ein Wiedersehen geben, dass die Erde davon erzitterte. Wie ich nun die Stufen hinangesprungen war, sah ich es liegen; schwarz, denn w?hrend der Wind zu Lande nur m?ssig ging, w?hlte er mitten ins Meer hinein; aber durchsichtig schwarz wie Menschenaugen, und zuweilen loderte eine gr?ne Flamme in den blanken Wasserleibchen hinauf. Die K?hne, die am Ufer lagen, flogen auf und nieder, und man h?rte das Klirren der Ketten, mit denen sie angebunden waren, durch das Br?llen der Brandung.
Am h?chsten gingen die Wellen da, wo der klotzige Leuchtturm aus dem Schwall starrte; sie sprangen an ihm in die H?he und warfen sich klatschend gegen seine Mauer, dass sie zerbarsten und in schaumigen Fetzen mit den aufgeregten M?wen um seine Zinne flogen. Als sie meiner ansichtig wurden, fassten sie sich bei den kalten H?nden und tanzten einen wilden Ringelreihen um den Leuchtturm herum, wobei sie mit gellenden Trompetenstimmen schrien: Tanz mit mir, L?tte Grave, tanz mit mir! und dazwischen pfiffen sie in gewissen springenden Rhythmen, wie kleine Jungen einander Zeichen zu geben pflegen.
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