Read Ebook: Das Judengrab; Aus Bimbos Seelenwanderungen: Zwei Erzählungen by Huch Ricarda
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Ebook has 53 lines and 12453 words, and 2 pages
Am h?chsten gingen die Wellen da, wo der klotzige Leuchtturm aus dem Schwall starrte; sie sprangen an ihm in die H?he und warfen sich klatschend gegen seine Mauer, dass sie zerbarsten und in schaumigen Fetzen mit den aufgeregten M?wen um seine Zinne flogen. Als sie meiner ansichtig wurden, fassten sie sich bei den kalten H?nden und tanzten einen wilden Ringelreihen um den Leuchtturm herum, wobei sie mit gellenden Trompetenstimmen schrien: Tanz mit mir, L?tte Grave, tanz mit mir! und dazwischen pfiffen sie in gewissen springenden Rhythmen, wie kleine Jungen einander Zeichen zu geben pflegen.
W?hrend ich nichts andres f?hlte und dachte, als wie ich zu diesen Kameraden gelangen k?nnte, war um mich herum allerlei vorgegangen, was mich betraf und was ich, als der Propst selber mich anfasste und meine Aufmerksamkeit darauf lenkte, nach allem, was mir bekannt war, wohl erraten konnte. Ich sah auf einmal meinen Vater in schwarzer Amtstracht, sein Schwert unter dem Arme, und Wunneke nicht weit von ihm, die Augen starr auf ihn geheftet, und eine grosse Bewegung unter der Volksmenge, weil die Tochter des B?rgermeisters mich vom Schwerte losgebeten hatte zu ihrem Manne. Sie stand da, ohne sich zu r?hren, festgeklammert in dem eisernen, unentrinnbaren Blick meines Vaters, der ?ber sie herrschte, matt und glanzlos wie ein abgerissener, sterbender Schmetterling. Ich begriff, dass es nun auf mich ankam, ein Zeichen zu geben, ob ich wollte, und sch?ttelte heftig den Kopf zur Verneinung; das tat ich weniger, weil sie mich damals im Kerker angefleht hatte, dass ich sie nicht zur Frau nehmen sollte, denn merkw?rdigerweise war ich jetzt eigentlich innig ?berzeugt davon, dass sie mich lieb hatte und lieber auch als meinen Vater -- als weil mir das alles so unendlich weit weg zu liegen schien, und so unwichtig und beinahe l?cherlich kam es mir vor, dass so ungeheuer viele Menschen um so geringf?giger Sache wegen in Bewegung und Erregung waren. Ich hatte ein ganz leises s?sses Gef?hl z?rtlichen Mitleids f?r Wunneke, aber nur so, wie man f?r ein Kind hat, das wegen eines Schmerzes weint, der in kurzen Minuten vor?ber sein wird, und als der Probst mir dringlich zufl?sterte: Sag ja, L?tte Grave! rief ich laut und ?rgerlich: Nein, nein, nein, ich will nicht! und f?rchtete fast, sie w?rden mich mit Gewalt vom Schafott reissen und in ihr Gew?hl hineinzerren, da ich den B?rgermeister heftige Zeichen und Winke geben sah. Diese bezweckten aber ganz etwas andres; denn nun stieg ein schwarz umh?llter Mann zu mir hinauf, der, von mir unbemerkt, dicht unter dem Ger?st bereitgestanden hatte und von dem ich sofort wusste, dass es der fremde Scharfrichter war, der gekommen war, um mir den Garaus zu machen. In diesem Augenblick ?nderte sich pl?tzlich alles in mir; es war, als ob sich alles Blut in meinem K?rper in einer Springflut ?ber mein Herz erg?sse, eine solche Todesfurcht packte mich, so j?h anprallend, dass ich auf die Knie fiel und abwehrend meine Arme ausstreckte und auch, wie ich glaube, laut aufschrie. Ja, in diesem Augenblicke stand es mir fest, eher sollte die Welt untergehen, als dass ich den Tod erlitte. Aber gleich darauf, als mein Vater kam, war alles vor?ber. Ich h?rte ihn meinen Namen rufen und blickte nach ihm hin, der etwas weiter weg von mir gestanden hatte. Die Obrigkeit hatte in seiner N?he eine Reihe bewaffneter M?nner aufgestellt, f?r den Fall, dass er etwas Gewaltt?tiges unternehmen sollte; diese alle dr?ngte er nun ohne M?he beiseite, um sich den Weg zu mir zu bahnen. Da sah ich etwas Entsetzliches: ich sah, wie er den kaiserlichen Vogt, die Ratsherren allesamt, beide B?rgermeister und Wunneke im Vorbeigehen mit der Spitze seines Schwertes streifte, und erinnerte mich an das Gerede des Volkes, dass er damit, wen er wolle, auf das Blutger?st bringen k?nne. Ich sah im Geiste ?ber die graue Heide Blut rinnen, Blut, Blut und Blut, sah, wie sie es einschluckte, bis sie fett und feucht war wie dunkles Moos, und wie es zusammensickerte und in das Meer rann, dass es von gr?n rot wurde und purpurn und schwarz -- aber das war alles nur ein Bild, das wie ein Blitz kam und ging. Denn nicht eine Minute, nachdem mein Vater mich gerufen hatte, war er schon oben bei mir, packte den fremden Scharfrichter bei der Brust, warf ihn ?ber das Ger?st hinunter und beugte sich ?ber mich. Mir war zumute wie als Kind, wenn ich mich in einsamer Dunkelheit gef?rchtet hatte und meinen Vater kommen sah: ein seliges Gef?hl von Geborgensein wickelte mich ganz ein wie ein dunkelpurpurner Samtmantel. Dem kleinen Knaben Tells, als er sich von seinem Vater den Apfel vom Kopfe schiessen liess, kann nicht leichter und zutraulicher ums Herz gewesen sein als mir. Das letzte, dessen ich mich entsinne, war, dass ich auf das Pfeifen des Meeres horchte, wie es rief: Tanz mit mir, L?tte Grave! aber dumpfer als vorher, weil ich den Kopf auf den Block gelegt und der weite Mantel meines Vaters sich wie ein Vorhang ?ber mir herabgelassen hatte.
Druck von der Offizin Fr. Richter in Leipzig
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