Read Ebook: Der Courier des Czaar (Michael Strogoff) by Verne Jules
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Ebook has 3207 lines and 108079 words, and 65 pages
Uebrigens geizten ihre Journale nicht mit dem Gelde, jenem bis jetzt sichersten, schnellsten und vollkommensten Mittel, sich zu informiren. Zu ihrer Ehre sei aber hier eingeflochten, dass weder der Eine noch der Andere je ?ber die Mauer des Privatlebens sah oder horchte, und dass sie nur dann in Th?tigkeit traten, wenn politische oder sociale Interessen in's Spiel kamen. Mit einem Worte, sie waren, wie man seit den letzten Jahren zu sagen pflegt, ,,die grossen politischen und milit?rischen Berichterstatter".
Indess wird man bei n?herer Betrachtung sehen, dass sie die Thatsachen und ihre Consequenzen meist auf besondere Art und Weise ansahen, da sie eben jeder seine besondere Manier hatten, zu sehen und zu urtheilen. Da sie jedoch stets mit Freimuth handelten und bei jeder Gelegenheit ihr M?glichstes thaten, so w?rde man Unrecht thun, sie deshalb zu tadeln.
Der franz?sische Correspondent hiess Alcide Jolivet. Harry Blount war der Name des englischen Reporters. Sie begegneten sich eben zum ersten Male bei dem Feste im Neuen Palais, ?ber welches sie ihren Journalen Bericht erstatten wollten. Die Verschiedenheit ihres Charakters in Verbindung mit einer gewissen Gesch?ftsvorsicht, konnte ihnen nur wenig gegenseitige Sympathie einfl?ssen. Jedoch, sie vermieden sich deshalb nicht, ja, sie suchten sich sogar, um Einer dem Anderen die Neuigkeiten des Tages abzulocken. Sie waren Alles in Allem zwei Nimrods, die auf dem n?mlichen Gebiete jagten. Was der Eine fehlte, konnte ja dem Anderen zum Schusse gelegen kommen und ihr Interesse verlangte es, dass sie immer so weit F?hlung behielten, um einander zu sehen und zu h?ren.
An diesem Abend befanden sich Beide auf dem Anstande. Offenbar lag etwas in der Luft.
,,Und wenn's nur ein Volk Enten w?re, sagte sich Alcide Jolivet, einen Flintenschuss wird's doch werth sein!"
Die beiden Correspondenten kamen also in ein Gespr?ch w?hrend des Balles, kurze Zeit, nachdem General Kissoff die Salons verlassen hatte, und Beide klopften erst gegenseitig auf den Busch.
,,Wahrlich, mein Herr, dieses kleine Fest ist reizend! begann Alcide Jolivet, mit der liebensw?rdigsten Miene von der Welt die Unterhaltung mit dieser ausgesprochen franz?sischen Phrase einleitend.
-- Ich habe schon telegraphirt: splendid! antwortete frostig Harry Blount mit besonderer Betonung dieses Wortes, welches jeder B?rger des Vereinigten K?nigreichs als Ausdruck seiner Bewunderung zu gebrauchen pflegt.
-- Ich jedoch, f?gte Alcide Jolivet hinzu, glaubte meiner Cousine ...
-- Ihrer Cousine?... wiederholte Harry Blount erstaunt, indem er seinen Collegen unterbrach.
-- Ja wohl, fuhr Alcide Jolivet fort, ich stehe mit meiner Cousine Madelaine in Briefwechsel, sie hat es gern, schnell Alles zu erfahren, meine Cousine!... Ich glaubte ihr also mittheilen zu m?ssen, dass die Stirn des Souver?ns bei diesem Feste doch von einigen W?lkchen beschattet gewesen sei.
-- Mir dagegen schien sie strahlend frei, antwortete Harry Blount, der wahrscheinlich seine Ansicht ?ber diesen Gegenstand zu verbergen suchte.
-- Und in Folge dessen haben Sie sie auch in den Spalten des Daily-Telegraph ,strahlen' lassen?
-- Gewiss.
-- Erinnern Sie sich, Herr Blount, sprach Alcide Jolivet weiter, was im Jahre 1812 in Zakret vorgekommen ist?
-- So genau, als ob ich dabei gewesen w?re, erwiderte der englische Reporter.
-- Nun, sagte Alcide Jolivet, so ist Ihnen bekannt, dass man bei einem dem Kaiser Alexander zu Ehren gegebenen Feste diesem die Nachricht brachte, dass Napoleon mit der franz?sischen Vorhut soeben den Niemen ?berschritten habe. Der Kaiser verliess jedoch das Fest nicht, trotz der Wichtigkeit dieser Nachricht, die ihm seine Herrschaft kosten konnte, und bek?mpfte ?usserlich jede Unruhe ...
-- So wenig wie unser Wirth eine solche zeigte, als ihm General Kissoff die Meldung machte, dass die telegraphischen Verbindungen zwischen der Grenze und dem Gouvernement von Irkutsk unterbrochen seien.
-- Ah, Sie kennen diese Einzelheiten?
-- Ich kenne sie.
-- Ich muss wohl davon unterrichtet sein, da mein letztes Telegramm bis Udinsk gelangt ist, bemerkte Alcide Jolivet mit einer gewissen Genugthuung.
-- Und die meinigen nur bis Krasnojarsk, erwiderte Harry Blount etwas unwirsch.
-- So wissen Sie auch, dass schon Befehle an die Truppen von Nicolajewsk abgegangen sind?
-- Ja wohl, mein Herr, gleichzeitig als man den Kosaken des Gouvernements Tobolsk telegraphisch die Ordre zugehen liess, sich zu sammeln.
-- Sehr richtig, Herr Blount, auch diese Massnahmen sind mir vollkommen bekannt, und glauben Sie, meine liebensw?rdige Cousine wird schon morgen Einiges davon zu erz?hlen wissen.
-- Ganz so wie die Leser des Daily-Telegraph davon unterrichtet sein werden, Herr Jolivet.
-- Das kommt davon, wenn man Alles sieht, was ringsum vorgeht ...
-- Und wenn man Alles h?rt, was gesprochen wird!
-- Da wird's einen interessanten Feldzug zu verfolgen geben.
-- Dem ich mich anschliesse, Herr Jolivet.
-- O, dann kann sich's treffen, dass wir uns auf einem minder sicheren Terrain, als das Parket dieses Saales, wieder begegnen.
-- Wohl einem minder sicheren, aber auch ...
-- Einem weniger glatten!" antwortete Alcide Jolivet, der seinen Collegen in den Armen auffing, als dieser eben beim R?ckw?rtsgehen fast umgefallen w?re.
Sp?ter trennten sich die beiden Collegen, ganz zufrieden zu wissen, dass Keiner dem Andern um eine Nasenl?nge voraus war.
Jetzt sprangen die Th?ren der anstossenden S?le auf. Dort zeigten sich verschiedene grosse und pr?chtig servirte Tafeln, schwer beladen mit kostbarem Porzellan und goldenen Gef?ssen. Auf der mittelsten, f?r die Prinzen, Prinzessinnen und die Mitglieder des diplomatischen Corps reservirten Tafel gl?nzte ein Tafelaufsatz von unsch?tzbarem Werthe aus Londoner Werkst?tten und rund um dieses Meisterwerk der Juwelierarbeit spiegelten sich unter dem Glanze der Lustres die unz?hligen St?cken des herrlichsten Geschirrs, das jemals die Manufacturen von S?vres verlassen hatte.
Die G?ste des Neuen Palais begaben sich nach den Speises?len.
In diesem Augenblicke n?herte sich der General Kissoff, der inzwischen zur?ckgekehrt war, rasch dem Officier der Gardej?ger.
,,Nun, wie steht's? fragte dieser lebhaft.
-- Die Telegramme gehen nicht ?ber Tomsk hinaus, Sire.
-- Sofort einen Courier!"
Der Officier verliess den grossen Saal und zog sich in ein daneben liegendes grosses Gemach zur?ck. Es war das ein mit Eichenm?beln sehr einfach ausgestattetes Arbeitscabinet an einer Ecke des Neuen Palais. Einige Bilder, darunter einzelne Oelgem?lde von Horace Vernet, hingen an den W?nden.
Der Officier riss schnell ein Fenster auf, als habe es seinen Lungen an Sauerstoff gemangelt, und sog auf einem m?chtigen Balcon die laue Luft der sch?nen Julinacht ein.
Vor seinen Augen breitete sich, in sanftes Mondlicht gebadet, eine Art Festungswerk aus, in welchem sich zwischen zwei Kathedralen drei Pal?ste und ein Arsenal erhoben. Rings um dasselbe die bestimmt unterschiedenen St?dte: Kita?-Gorod, Bolo?-Gorod und Zemliano?-Gorod, das ungeheure europ?ische, tartarische und chinesische Quartier, ?berragt von Th?rmen und Minarets, von den Kuppeln der dreihundert Kirchen mit ihren gr?nen D?chern und dem silbernen Kreuz darauf. Ein kleiner Fluss mit vielgewundenem Laufe gl?nzte manchmal in den Strahlen des Mondes. Das Ensemble bildete eine wunderbare, verschieden gef?rbte Mosaik, welche ein zehn Stunden langer Rahmen umschloss.
Dieser Fluss war die Moskowa; diese Stadt war Moskau, jenes Festungswerk war der Kreml und jener Officier der Gardej?ger, der mit gekreuzten Armen und tr?umerischer Stirn nur halb den L?rmen des Festes h?rte, der sich aus dem Neuen Palais ?ber die alte Stadt der Moskowiter verbreitete - das war der Czaar.
Zweites Capitel.
Russen und Tartaren.
Wenn der Czaar so unerwartet und gerade in dem Augenblicke, als das Fest, welches er den Spitzen der Civil- und Milit?rbeh?rden gab, in sch?nstem Glanze strahlte, die Salons des Neuen Palais verliess, so kam das daher, dass sich jenseit des Ural sehr wichtige Ereignisse vorbereiteten. Es war gar nicht zu bezweifeln: eine furchtbare Invasion drohte die sibirischen Provinzen der russischen Autonomie zu entziehen.
Das asiatische Russland oder Sibirien bedeckt eine Oberfl?che von 560,000 Quadratmeilen und z?hlt etwa zwei Millionen Einwohner. Es erstreckt sich von dem Gebirgszuge des Ural, der es von dem europ?ischen Russland trennt, bis nach dem Gestade des Pacifischen Oceans. Nach S?den zu schliesst es Turkestan und das Chinesische Reich mit einer, h?ufig unbestimmten Grenze ab, im Norden der arktische Ocean von dem Karameere bis zur Behringsstrasse. Es wird in Gouvernements oder Provinzen getheilt, n?mlich die von Tobolsk, Jeniseisk, Irkutsk, Omsk und Jakutsk; ferner umfasst es zwei Districte, die von Ochotsk und von Kamschatka, und besitzt endlich zwei L?nder, welche jetzt dem moskowitischen Scepter unterthan sind, das Land der Kirghisen und das Land der Tschuktschen.
Diese ungeheure Strecke von Steppen, in der L?ngenausdehnung ?ber 110 Graden von Westen nach Osten umfassend, bildet den Deportationsort f?r Verbrecher, das Exil f?r diejenigen, welche ein Ukas mit Verbannung belegte.
Zwei Generalgouverneure vertreten die Oberherrschaft des Czaaren in diesem weiten Reiche. Der Eine residirt in Irkutsk, der Hauptstadt des westlichen Sibiriens. Der Tchuma, ein Nebenfluss des Jenisei, trennt die beiden H?lften des Territoriums.
Noch furcht keine Eisenbahn diese unendlichen Ebenen, unter denen einige ausnehmend fruchtbar sind; kein Schienenweg entlastet die reichen Mienen, welche bei ihrer Ausdehnung ?ber grosse Strecken den Boden Sibiriens unter der Erde kostbarer erscheinen lassen, als auf der Oberfl?che. Im Sommer reist man daselbst im Tarantass; im Winter im Schlitten.
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