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Read Ebook: In Stahlgewittern aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers by J Nger Ernst

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Ebook has 927 lines and 70237 words, and 19 pages

Ein Lichtblick in diesem ?den Einerlei war die allabendliche Ankunft der Feldk?che an der Ecke des Hiller-W?ldchens, wo sich bei der ?ffnung des Kessels ein k?stlicher Duft nach Erbsen mit Speck oder anderen herrlichen Sachen verbreitete. Aber auch hier gab es einen dunklen Punkt: das D?rrgem?se, das von entt?uschten Gourmets als >>Drahtverhau<< oder >>Flurschaden<< geschm?ht wurde.

Am angenehmsten waren die Ruhetage in Orainville, die mit Ausschlafen, Reinigen der Sachen und Exerzieren verbracht wurden. Die Kompagnie hauste in einer gewaltigen Scheune, die nur zwei h?hnerleiterartige Treppen als Ein- und Ausgang hatte. Obwohl das Geb?ude noch mit Stroh gef?llt war, standen ?fen darin. Eines Nachts rollte ich gegen den einen und erwachte erst infolge der Bem?hungen einiger Kameraden, die mich kr?ftigen L?schversuchen unterzogen. Zu meinem Schrecken gewahrte ich, dass meine Uniform an der R?ckseite arg verkohlt war, so dass ich l?ngere Zeit in einem frackartigen Anzuge umherlaufen musste.

Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment hatten wir fast alle Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren. Statt der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose N?chte vorgefunden, zu deren Bezwingung ein uns wenig liegendes Heldentum geh?rte. Diese dauernde ?beranstrengung war Schuld der F?hrung, die den Geist des neuartigen Stellungskrieges noch nicht erfasst hatte. In einem kurzen, draufg?ngerischen Kriege kann und muss der Offizier die Mannschaft r?cksichtslos ersch?pfen, in einem sich lang hinschleppenden f?hrt dies zu physischem und moralischem Zusammenbruch. Die ungeheure Postenzahl und die ununterbrochene Schanzarbeit war zum gr?ssten Teil unn?tig und sogar sch?dlich. Nicht auf gewaltige Verschanzungen kommt es an, sondern auf den Mut und die Frische der Leute, die dahinterstehen. >>Eiserne Herzen auf h?lzernen Schiffen gewinnen die Schlachten.<<

Wohl h?rten wir im Graben Geschosse pfeifen, bekamen auch ab und zu einige Granaten von den Reimser Forts, aber diese kleinen kriegerischen Ereignisse blieben weit hinter unseren Erwartungen zur?ck. Trotzdem wurden wir manchmal an den blutigen Ernst gemahnt, der hinter diesem scheinbar absichtslosen Geschehen lauerte. So schlug am 8. Januar eine Granate in die Fasanerie und t?tete den Leutnant Schmidt, unseren Bataillons-Adjutanten.

Am 27. Januar liessen wir unserem Kaiser zur Ehre drei kr?ftige Hurras erschallen und stimmten auf der langen Front, von feindlichen Gewehren begleitet, ein >>Heil dir im Siegerkranz<< an.

In diesen Tagen hatte ich ein sehr unangenehmen Erlebnis, das meine milit?rische Laufbahn fast zu einem vorzeitigen und unr?hmlichen Abschluss gebracht h?tte. Die Kompagnie lag am linken Fl?gel, und ich musste mich gegen Morgen nach v?llig durchwachter Nacht mit einem Kameraden in den Bachgrund auf Doppelposten begeben. Ich hatte der K?lte wegen verbotenerweise meine Decke um den Kopf geschlagen und lehnte an einem Baum, nachdem ich mein Gewehr neben mich in einen Busch gestellt hatte. Pl?tzlich h?rte ich hinter mir ein Ger?usch, griff danach -- die Waffe war verschwunden! Der revidierende Portepee-Tr?ger, ein Offizier-Stellvertreter, hatte sich an mich herangeschlichen und sie unbemerkt an sich genommen. Um mich zu bestrafen, schickte er mich eigenm?chtig, nur mit einer Beilpicke bewaffnet, in der Richtung auf die franz?sischen Postierungen, ungef?hr 100 Meter weit, vor, eine Indianeridee, die mich beinahe ums Leben gebracht h?tte. W?hrend meiner merkw?rdigen Strafwache schlich n?mlich eine Patrouille von drei Kriegsfreiwilligen durch das Schilf vor, wurde von den Franzosen bemerkt und beschossen. Einer von ihnen, namens Lang, wurde getroffen und nie wieder gesehen. Da ich ganz in der N?he stand, bekam ich auch mein Teil von den damals so beliebten Gruppensalven ab, so dass mir die Zweige des Weidenbaumes, an dem ich stand, um die Ohren pfiffen. Ich biss die Z?hne zusammen und blieb aus Trotz stehen. Ich habe dem Offizier-Stellvertreter diese Gemeinheit nie vergessen k?nnen.

Wir waren alle herzlich stolz, als uns mitgeteilt wurde, dass wir diese Stellung endg?ltig verlassen sollten, und feierten unseren Abschied von Orainville durch einen kr?ftigen Bierabend in der grossen Scheune. Am 4. Februar 1915 marschierten wir, von einem s?chsischen Regiment abgel?st, nach Bazancourt.

Dieser Monat war f?r mich, obwohl der h?rteste des ganzen Krieges, doch eine gute Schule. Ich hatte den Wacht- und Arbeitsdienst in seiner schwersten Form gr?ndlich kennengelernt. Das bewahrte mich sp?ter, als ich selbst f?hrte, davor, von meinen Leuten Unm?gliches zu verlangen.

Von Bazancourt bis Hattonch?tel.

In Bazancourt, einem ?den Champagne-St?dtchen, wurde die Kompagnie in der Schule einquartiert, die infolge des geradezu erstaunlichen Ordnungssinnes unserer Leute in kurzer Zeit das Aussehen einer Friedenskaserne annahm. Da gab es einen Unteroffizier vom Dienst, der Morgens p?nktlich weckte, Stubendienst und allabendliche Appells durch die Korporalschaftsf?hrer. Jeden Morgen r?ckten die Kompagnien aus, um auf den umliegenden ?dfeldern einige Stunden stramm zu exerzieren. Diesem Dienstbetrieb wurde ich nach einigen Tagen durch Abkommandierung zum Offizier-Aspiranten-Kursus in Recouvrence entzogen.

Recouvrence war ein entlegenes, in lieblichen Kreideh?geln verstecktes D?rfchen, in das von der Division eine Anzahl junger Leute geschickt wurde, um durch den von jedem Regiment gestellten Offizier und einige Unteroffiziere eine gr?ndliche milit?rische Ausbildung zu erhalten. Wir 73er haben in dieser Beziehung dem ?usserst f?higen, leider kurz darauf gefallenen Leutnant Hoppe viel zu verdanken.

Das Leben in diesem weltabgeschiedenen Neste setzte sich aus einer merkw?rdigen Mischung von Kasernendrill und akademischer Freiheit zusammen. Tags?ber wurden die Z?glinge nach allen Regeln der Kunst zum milit?rischen Menschen geschliffen, abends versammelten sie sich mit ihren Lehrern um riesige F?sser, wo in ebenso gr?ndlicher Weise gezecht wurde. Wenn in den Morgenstunden die verschiedenen Abteilungen aus ihren Kneiplokalen str?mten, hatten die kleinen Kreidesteinh?user den ungewohnten Anblick eines studentischen Walpurgistreibens. Unser Kursusleiter, ein Hauptmann, hatte ?brigens die erzieherische Gewohnheit, den Dienst an den darauffolgenden Tagen mit doppelter Energie zu handhaben.

Unser Verkehr untereinander war, wie bei Leuten derselben Bildungsstufe unter diesen Verh?ltnissen selbstverst?ndlich, sehr kameradschaftlich. Wir wohnten zu dritt oder viert zusammen und f?hrten gemeinsame Wirtschaft. Besonders ist mir noch unser regelm?ssiges Abendessen von R?hrei und Bratkartoffeln in guter Erinnerung. Sonntags leisteten wir uns das landess?bliche Kaninchen oder einen Hahn. Da ich den Einkauf f?r den Abendtisch besorgte, legte mir unsere Wirtin einmal eine Anzahl von Bons vor, die sie von requirierenden Soldaten erhalten hatte; meist des Inhalts, dass der F?silier N. N. der Tochter des Hauses Liebensw?rdigkeiten erwiesen und daf?r 12 Eier requiriert habe. Zur Anf?hrung ist diese erg?tzliche Bl?tenlese des Volkshumors leider durchweg zu saftig.

Unser Bataillon wurde in dem St?dtchen H?rinnes untergebracht, inmitten einer Landschaft von fl?mischer Behaglichkeit. Ich erlebte hier recht gl?cklich meinen 20. Geburtstag.

Obwohl die Belgier in ihren H?usern gen?gend Platz hatten, wurde unsere Kompagnie aus falscher R?cksichtnahme in eine grosse zugige Scheune gesteckt, durch die w?hrend der kalten M?rzn?chte der rauhe Seewind jener Gegend pfiff. Sonst war uns der Aufenthalt in Herne eine gute Erholung; es wurde zwar viel exerziert, doch gab es auch gute Verpflegung und Lebensmittel f?r geringes Geld.

Die halb aus Flamen, halb aus Wallonen bestehende Bev?lkerung war sehr freundlich zu uns. Ich unterhielt mich oft mit dem Besitzer eines Estaminets, einem eifrigen Sozialisten und Freigeist, der mich am Ostersonntag zum Festmahl einlud und sogar f?r seine Getr?nke kein Geld nehmen wollte. Man kann sich kaum vorstellen, wie wohltuend eine solche Begegnung inmitten der rauhen Schule der Feldkameradschaft wirkt.

Gegen Ende unseres Aufenthaltes wurde das Wetter sch?n und lud zu Spazierg?ngen in der lieblichen, wasserreichen Umgebung ein. Die Landschaft war malerisch verziert durch die vielen entkleideten Kriegsleute, die, ihre W?sche auf dem Schoss, l?ngs der pappelums?umten Bachufer eifrig der L?usejagd oblagen. Von dieser Plage bislang ziemlich verschont geblieben, war ich indes meinem Kriegskameraden Priepke, einem Hamburger Exportkaufmann, behilflich, in seine wollene Weste, die bev?lkert war wie weiland das Habit Simplicii Simplicissimi, zu Desinfektionszwecken einen schweren Stein zu wickeln und sie in einen Bach zu versenken. Da unser Aufbruch von Herne sehr pl?tzlich erfolgte, wird sie sich dort wohl noch heute eines ungest?rten Aufenthalts erfreuen.

Am 12. April 1915 wurden wir in Hal verladen und fuhren, um Spione zu t?uschen, ?ber den Nordfl?gel der Front in die Gegend des Schlachtfeldes von Mars-la-Tour. Die Kompagnie bezog ihr gewohntes Scheunen-Quartier im Dorfe Tronville, einem der ?blichen langweiligen, aus flachd?chrigen, fensterlosen Steink?sten zusammengew?rfelten lothringischen Drecknester. Der Fliegergefahr wegen mussten wir uns meist in dem ?berf?llten Orte aufhalten, in dessen N?he die ber?hmten St?tten von Mars-la-Tour und Gravelotte liegen. Wenige hundert Meter vom Dorfe wurde die Strasse nach Gravelotte von der Grenze geschnitten, an der der franz?sische Grenzpfahl zerschmettert am Boden lag. Abends machten wir uns oft das wehm?tige Vergn?gen eines Spazierganges nach Deutschland.

Unsere Scheune war so bauf?llig, dass man balancieren musste, um nicht durch die morschen Bretter auf die Tenne zu st?rzen. An einem Abend, als unsere Gruppe gerade unter Vorsitz ihres biederen Korporals Kerkhoff besch?ftigt war, auf einer Krippe die Portionen zu teilen, l?ste sich ein ungeheurer Eichklotz aus dem Geb?lk und st?rzte krachend herunter. Zum Gl?ck klemmte er sich dicht ?ber unseren K?pfen zwischen zwei Lehmw?nden. Wir kamen mit dem Schrecken davon, aber unsere sch?ne Fleischportion war durch den aufgewirbelten Schutt ungeniessbar geworden. Kaum hatten wir uns an diesem omin?sen Abend niedergelegt, als kr?ftig an das Tor gedonnert wurde und die alarmierende Stimme des Feldwebels uns vom Lager trieb. Zuerst, wie immer in solchen Augenblicken, ein Moment der Stille, dann wirres Durcheinander und Gepolter: >>Mein Helm! Wo ist mein Brotbeutel? Ich kriege meine Stiefel nicht an! Du hast meine Patronen geklaut! Hol't Mul, du August!<<

Zuletzt war doch alles fertig, und wir marschierten zum Bahnhof von Chamblay, von wo wir in einigen Minuten mit der Bahn bis Pagny-sur-Moselle fuhren. In den Morgenstunden erklommen wir die Moselh?hen und, blieben in Pr?ny, einem romantischen, von einer Burgruine ?berragten Bergdorf. Diesmal war unsere Scheune ein mit aromatischem Bergheu gef?llter Steinbau, aus dessen Luken wir auf die weinbepflanzten Moselberge und das im Tal gelegene St?dtchen Pagny blicken konnten, das oft mit Granaten und Fliegerbomben belegt wurde. Einige Male schlug ein Geschoss in die Mosel, eine turmhohe Wassers?ule hochschleudernd.

Das warme Wetter und die pr?chtige Landschaft wirkten wahrhaft belebend auf uns und reizten in den Freistunden zu langen Spazierg?ngen. Wir waren so ?berm?tig, dass wir abends noch einige Zeit ulkten, bevor alles zur Ruhe kam. Unter anderem war es ein beliebter Scherz, Schnarchern aus einer Feldflasche Wasser oder Kaffee in den Mund zu giessen.

Am Abend des 22. April marschierten wir von Pr?ny ab, legten ?ber 30 Kilometer bis zum Dorfe Hattonch?tel zur?ck, ohne trotz dem schweren Gep?ck einen Marschkranken zu haben, und schlugen rechts von der ber?hmten Grande Tranch?e mitten im Walde Zelte auf. Es war aus allen Anzeichen zu ersehen, dass wir am n?chsten Tage ins Gefecht kommen w?rden. Wir empfingen Verbandp?ckchen, zweite Fleischb?chsen und Signalflaggen f?r die Artillerie.

Am Abend sass ich noch lange in jener ahnungsvollen Stimmung, von der die Krieger aller Zeiten zu erz?hlen wissen, auf einem von blauen Anemonen umwucherten Baumstumpf, ehe ich ?ber die Reihen der Kameraden an meinen Zeltplatz kroch, und tr?umte in der Nacht wirres Zeug zusammen, in dem ein Totenkopf die Hauptrolle spielte. Priepke, dem ich am Morgen davon erz?hlte, hoffte, dass es ein Franzosensch?del gewesen sei.

Les Eparges.

Das junge Gr?n des Waldes schimmerte im Morgen. Wir wanden uns durch versteckte Wege zu einer engen Schlucht hinter der vorderen Linie. Es war bekanntgegeben, dass das Regiment 76 nach 20minutiger Feuervorbereitung st?rmen und wir als Reserve bereitstehen sollten. Punkt 12 Uhr er?ffnete unsere Artillerie eine heftige Kanonade, die vielfach in den Waldschluchten widerhallte. Zum ersten Male vernahmen wir hier das schwere Wort: Trommelfeuer. Wir sassen auf den Tornistern, unt?tig und erregt. Eine Ordonnanz st?rzte zum Kompagnief?hrer. Hastige Worte. >>Die drei ersten Gr?ben sind in unserer Hand, sechs Gesch?tze erbeutet!<< Ein Hurra flammte auf. Draufg?ngerstimmung erwachte.

Endlich kam der ersehnte Befehl. Wir zogen in langer Reihe nach vorn, von wo verschwommenes Gewehrfeuer prasselte. Es wurde ernst. Zur Seite des Waldpfades dr?hnten in einem Tannendickicht dumpfe St?sse, Zweige und Erde rauschten nieder. Ein ?ngstlicher warf sich unter erzwungenem Gel?chter der Kameraden zu Boden. Dann glitt der Mahnruf des Todes durch die Reihen: >>Sanit?ter nach vorn!<<

Auf der Grande Tranch?e hasteten Truppen vor. Um Wasser flehende Verwundete kauerten am Strassenrand, bahrentragende Gefangene keuchten zur?ck, Protzen rasselten im Galopp durchs Feuer. Rechts und links stampften Granaten den weichen Boden, schweres Ge?st brach nieder. Mitten im Wege lag ein totes Pferd mit riesigen Wunden, daneben dampfende Eingeweide. An einem Baume lehnte ein b?rtiger Landwehrmann: >>Jungens, jetzt feste ran, der Franzmann ist im Laufen!<<

Wir gelangten in das kampfzerw?hlte Reich der Infanterie. Der Umkreis der Sturmausgangsstellung war von Geschossen kahl geholzt. Im zerrissenen Zwischenfelde lagen die Opfer des Sturmes, den Kopf feindw?rts; die grauen R?cke hoben sich kaum vom Boden ab. Eine Riesengestalt, mit rotem, blutbesudeltem Vollbart starrte zum Himmel, die F?uste in die lockere Erde gekrallt. Ein junger Mensch w?lzte sich in einem Trichter, die gelbliche Farbe des Todes auf den Z?gen. Unsere Blicke schienen ihm unangenehm, mit einer gleichg?ltigen Bewegung zog er sich den Mantel ?ber den Kopf und wurde still.

Wir l?sten uns aus der Marschkolonne. Fortw?hrend zischte es in langem, scharfem Bogen heran, Blitze wirbelten den Boden der Lichtung hoch. >>Sanit?ter!<< Wir hatten den ersten Toten. Dem F?silier S. zerriss eine Schrapnellkugel die Halsschlagader. Drei Verbandp?ckchen waren im Nu vollgesogen. Er verblutete in Sekunden. Neben uns protzten zwei Gesch?tze ab, noch st?rkeres Feuer anziehend. Ein Artillerieleutnant, der im Vorgel?nde nach Verwundeten suchte, wurde durch eine vor ihm hochfahrende Dampfs?ule niedergeschleudert. Er erhob sich langsam und kam mit markierter Ruhe zur?ck. >>Eben ziemlichen Torkel entwickelt!<< Unsere Augen gl?nzten ihn an.

Es dunkelte, als wir den Befehl zu weiterem Vorr?cken erhielten. Unser Weg f?hrte uns durch dichtes, geschossdurchklatschtes Unterholz in einen endlosen Laufgraben, den fliehende Franzosen mit Gep?ck bestreut hatten. In der N?he des Dorfes Les Eparges mussten wir, ohne Truppen vor uns zu haben, eine Stellung in festes Gestein hauen. Zuletzt sank ich in einen Busch und schlief ein.

>>Mensch, aufstehen, wir r?cken ab!<< Ich erwachte in taufeuchtem Grase. Durch die sausende Garbe eines Maschinengewehres st?rzten wir in unseren Laufgraben zur?ck und besetzten eine verlassene franz?sische Stellung am Waldsaume. Ein s?sslicher Geruch und ein im Drahtverhau h?ngendes B?ndel erweckten meine Aufmerksamkeit. Ich sprang im Morgennebel aus dem Graben und stand vor einer zusammengeschrumpften franz?sischen Leiche. Fischartiges, verwestes Fleisch leuchtete gr?nlichweiss aus zersetzter Uniform. Mich umwendend prallte ich entsetzt zur?ck: Neben mir kauerte eine Gestalt an einem Baum. Leere Augenh?hlen und wenige B?schel Haar auf dem schwarzbraunen Sch?del verrieten, dass ich es mit keinem Lebenden zu tun hatte. Ringsumher lagen noch Dutzende von Leichen, verwest, verkalkt, zu Mumien ged?rrt, in unheimlichem Totentanz erstarrt. Die Franzosen mussten monatelang neben den gefallenen Kameraden ausgehalten haben, ohne sie zu bestatten.

In den Vormittagsstunden durchbrach die Sonne den Nebel und entsandte eine behagliche W?rme. Nachdem ich etwas auf der Grabensohle geschlafen hatte, ging ich durch den vereinsamten, am Vortage erst?rmten Graben, dessen Boden mit Bergen von Proviant, Munition, Ausr?stungsst?cken, Waffen und Zeitungen bedeckt war. Die Unterst?nde glichen gepl?nderten Tr?dell?den. Dazwischen lagen die Leichen tapferer Verteidiger, deren Gewehre noch in den Schiessscharten steckten. Aus zerschossenem Geb?lk ragte ein eingeklemmter Rumpf. Kopf und Hals waren abgeschlagen, weisse Knorpel gl?nzten aus r?tlich-schwarzem Fleisch. Es wurde mir schwer, zu verstehen. Daneben ein ganz junger Mensch auf dem R?cken, die glasigen Augen und die F?uste im Zielen erstarrt. Ein seltsames Gef?hl, in solche toten, fragenden Augen zu blicken. Ein Schaudern, das ich im Kriege nie ganz verloren habe. Neben ihm lag seine arme, ausgepl?nderte B?rse.

Mit zunehmender Klarheit verst?rkte sich das Artilleriefeuer und steigerte sich bald zu w?stem Tanze. Ich kehrte zu meiner Gruppe zur?ck. In immer k?rzeren Pausen flammte es um uns auf. Weisses, schwarzes und gelbes Gew?lk mischte sich. Manchmal erdr?hnten Schl?ge von unheimlicher Brisanz, dazwischen schwirrten mit eigenartigem Singen die Z?nder. Bald war der Wald in Brand geschossen, Flammen kletterten knatternd an den B?umen empor. Ich sass mit einem Kameraden auf einer in den Lehm der Grabenwand gestochenen Bank, w?hrend neben uns ein hagerer Rekrut vor Angst an allen Gliedern schlotterte. Mein Gef?hrte machte sich den grausamen Scherz, heimlich eine Handvoll aufgeraffter Schrapnellkugeln neben ihn zu schleudern.

Ich beobachtete mit merkw?rdiger Ruhe das Vorgel?nde. >>Sie wissen ja gar nicht, wo du bist. -- Sie k?nnen dich gar nicht sehen, sie schiessen ja ganz wo anders hin.<< Es war der Mut der Unerfahrenheit. Pl?tzlich knallte das Brett der Schiessscharte, und ein Infanteriegeschoss schlug zwischen unseren K?pfen in den Lehm. In diesem Augenblick tauchte ein Mann an der Ecke unseres Grabenst?ckes auf: >>Nach links folgen!<< Wir gaben den Befehl weiter und schritten die rauchdurchschwelte Stellung entlang. Gerade waren die Essenholer zur?ckgekommen und Hunderte von verlassenen Kochgeschirren dampften auf der Brustwehr. Wer mochte jetzt essen? Eine Menge Verwundeter mit blutdurchtr?nkten Verb?nden presste sich an uns vor?ber, die Aufregung des Kampfes auf den bleichen Gesichtern. Die Ahnung einer schweren Stunde t?rmte sich vor uns auf. >>Vorsicht, Kameraden, mein Arm, mein Arm!<< >>Los, los, Mensch, halt Anschluss!<<

Der Graben endete in einem Waldst?ck. Unentschlossen standen wir unter gewaltigen Buchen. Aus dichtem Unterholz tauchte unser Zugf?hrer, ein Leutnant, auf und rief dem ?ltesten Unteroffizier zu: >>Lassen Sie ausschw?rmen in Richtung auf die untergehende Sonne und Stellung nehmen. Meldungen erreichen mich im Unterstande an der Lichtung.<< Fluchend ?bernahm jener das Kommando.

Der Eindruck, den dieses Verhalten auf die Leute machte, ist mir w?hrend meiner ganzen F?hrerzeit eine eindringliche Lehre gewesen. Sp?ter lernte ich diesen Offizier, der sich noch oft auszeichnete, als Kameraden kennen und erfuhr, dass er dort Wichtiges zu tun gehabt. Gleichviel, der Offizier darf sich unter keinen Umst?nden in der Gefahr von der Mannschaft trennen. Die Gefahr ist der vornehmste Augenblick seines Berufes, da gilt es, gesteigerte M?nnlichkeit zu beweisen. Ehre und Ritterlichkeit erheben ihn zum Herrn der Stunde. Was ist erhabener, als hundert M?nnern voranzuschreiten in den Tod? Gefolgschaft wird solcher Pers?nlichkeit nie versagt, die mutige Tat fliegt wie Rausch durch die Reihen.

Wir schw?rmten aus und legten uns erwartungsvoll in eine Reihe flacher Mulden, von irgendwelchen Vorg?ngern ausgehoben. Mitten in scherzende Zurufe schnitt markersch?tterndes Geheul. Zwanzig Meter hinter uns wirbelten Erdklumpen aus weisser Wolke und klatschten hoch ins Ge?st. Vielfach rollte der Schall durch den Wald. Beklommene Augen starrten sich an, K?rper schmiegten sich in niederdr?ckendem Gef?hl v?lliger Ohnmacht an den Boden. Schuss folgte auf Schuss. Stickige Gase schwammen im Unterholz, Qualm verh?llte die Gipfel, B?ume und Zweige st?rzten rauschend zu Boden, Schreie wurden laut. Wir sprangen hoch und rannten blindlings, von Blitzen und bet?ubendem Luftdruck gehetzt, von Baum zu Baum, Deckung suchend und wie gejagtes Wild riesige St?mme umkreisend. Ein Unterstand, in den viele liefen, erhielt einen Treffer, der den dicken Balkenbelag hochriss.

Ich eilte mit dem Unteroffizier keuchend um eine m?chtige Buche. Pl?tzlich blitzte es in dem weit ausgreifenden Wurzelwerk, und ein Schlag gegen den linken Oberschenkel warf mich zu Boden. Ich glaubte, von einem Erdklumpen getroffen zu sein, doch belehrte mich reichlich str?mendes Blut bald, dass ich verwundet war. Es zeigte sich sp?ter, dass mir ein haarscharfer Splitter eine Fleischwunde geschlagen hatte, nachdem seine Wucht durch meine dicke Leder-Geldtasche abgeschw?cht war.

Ich warf meinen Tornister fort und rannte dem Graben zu, aus dem wir gekommen waren. Von allen Seiten strebten Verwundete aus dem beschossenen Geh?lz strahlenf?rmig darauf zu. Der Durchgang war entsetzlich, von Schwerverwundeten und Sterbenden versperrt. Eine bis zum G?rtel entbl?sste Gestalt mit aufgerissenem R?cken lehnte an der Grabenwand. Ein anderer, dem ein dreieckiger Lappen vom Hintersch?del herabhing, stiess fortw?hrend schrille, ersch?tternde Schreie aus. -- Und immer neue Einschl?ge.

Ich will offen gestehen, dass mich meine Nerven restlos im Stiche liessen. Nur fort, weiter, weiter! R?cksichtslos rannte ich alles ?ber den Haufen. Ich bin kein Freund des Euphemismus: Nervenzusammenbruch. Ich hatte ganz einfach Angst, blasse, sinnlose Angst. Ich habe sp?ter noch oft kopfsch?ttelnd an jene Momente zur?ckgedacht.

In der N?he lag ein mit St?mmen gedeckter Sanit?tsunterstand, in dem ich die Nacht, eng zusammengedr?ngt mit vielen Verwundeten, verbrachte. Ein abgespannter Arzt stand mitten im Gew?hl st?hnender Menschen, verband, machte Einspritzungen und gab mit ruhiger Stimme Ermahnungen. Als ich am n?chsten Morgen fortgetragen wurde, durchbohrte ein Splitter das Segeltuch der Tragbahre zwischen meinen Knien.

Ich wurde ?ber die immer noch schwer beschossene Grande Tranch?e zum Hauptverbandplatze und dann in die Kirche des Dorfes St. Maurice transportiert. Neben mir im stampfenden Lazarettwagen lag ein Mann mit Bauchschuss, der die Kameraden flehentlich bat, ihn mit der Pistole des Sanit?ters zu erschiessen. In St. Maurice stand schon ein Lazarettzug unter Dampf, der uns in zwei Tagen nach Heidelberg bef?rderte. Beim Anblick der von bl?henden Kirschb?umen bekr?nzten Neckarberge empfand ich ein eigent?mliches, starkes Heimatgef?hl. Wie sch?n war doch das Land, wohl wert, daf?r zu bluten und zu sterben.

Die Schlacht von Les Eparges war meine erste. Sie war ganz anders, als ich gedacht. Ich hatte an einer grossen Kampfhandlung teilgenommen, ohne einen Gegner zu Gesicht bekommen zu haben. Erst viel sp?ter erlebte ich den Zusammenprall, den Gipfelpunkt des modernen Kampfes im Erscheinen des Infanteristen auf freiem Felde, das f?r entscheidende, m?rderische Augenblicke die chaotische Leere des Schlachtfeldes unterbricht.

Douchy und Monchy.

Meine Wunde war in vierzehn Tagen geheilt; ich wurde zum Ersatzbataillon nach Hannover entlassen und meldete mich dort als Fahnenjunker. Nachdem ich einen Kursus in D?beritz besucht hatte und zum F?hnrich bef?rdert war, fuhr ich im September 1915 zum Regiment zur?ck.

Ich verliess mit einer Abteilung Ersatz beim Sitze des Divisionsstabes, dem Dorfe St. L?ger, den Zug und marschierte nach Douchy, dem Ruheorte des Regiments. Vorn war die Herbstoffensive im vollen Gange. Die Front hob sich, eine lange wallende Wolke, aus weitem Gel?nde. ?ber uns knatterten die Maschinengewehre von Luftgeschwadern. Ein Fesselballon schien uns ersp?ht zu haben, am Dorfeingang sprang der schwarze Kegel einer Granate vor uns auf. Ich bog ab und f?hrte die Kolonne auf Umwegen in den Ort.

Douchy, das Ruhedorf des F?silier-Regiments 73, war von mittlerer Gr?sse und hatte durch den Krieg noch wenig gelitten. Dieser im wellenf?rmigen Gel?nde des Artois gelegene Platz wurde dem Regiment w?hrend seines eineinhalbj?hrigen Stellungskampfes in jener Gegend zur zweiten Garnison, zu einer St?tte der Erholung und inneren Festigung nach schweren Tagen des Kampfes und der Arbeit in vorderer Linie. Wie oft atmeten wir auf, wenn uns durch dunkle Regenn?chte ein einsames Licht vom Dorfeingang entgegenschimmerte! Man hatte doch wieder ein Dach ?ber dem Kopf und sein einfaches, ungest?rtes Lager. Wie neugeboren war man am ersten Ruhetage, wenn man gebadet und den Anzug vom Schmutz des Grabens gereinigt hatte. Auf den umliegenden Wiesen wurde exerziert und Turnspiele veranstaltet, um die eingerosteten Knochen gelenkig zu machen und das Zusammengeh?rigkeitsgef?hl der in langen Nachtwachen vereinsamten Leute wieder zu erwecken. Das gab Spannkraft f?r neue, lastenreiche Tage. In der ersten Zeit marschierten die Kompagnien abwechselnd in die vordere Linie zu n?chtlicher Schanzarbeit. Diese anstrengende Doppelbesch?ftigung unterblieb sp?ter auf Anordnung unseres Oberstleutnants von Oppen. Die Sicherheit einer Stellung beruht auf der Frische und dem unersch?pften Mut ihrer Verteidiger, nicht auf dem verschlungenen Bau ihrer Ann?herungswege und der Tiefe der Kampfgr?ben.

In den freien Stunden bot Douchy seinen grauen Bewohnern manche Quelle ungezwungener Erholung. Zahlreiche Kantinen waren reichlich versehen mit Ess- und Trinkbarem; es gab ein Lesezimmer, eine Kaffeestube und sp?ter sogar, kunstvoll in eine grosse Scheune eingebaut, ein Lichtspiel. Die Offiziere hatten ein vorz?glich eingerichtetes Kasino und eine Kegelbahn im Garten des Pfarrhauses. Oft wurden grosse Kompagniefeste gefeiert, bei denen Offiziere und Mannschaft auf gut altdeutsch im Trinken wetteiferten.

Da die Zivilbev?lkerung noch im Dorfe wohnte, musste der vorhandene Raum in jeder Weise ausgenutzt werden. In den G?rten waren zum Teil Baracken und Wohnunterst?nde erbaut; ein grosser Obstgarten in der Mitte des Dorfes war zum Kirchplatz, ein anderer, der sogenannte Emmich-Platz, zum Lustgarten umgewandelt. Am Emmich-Platz lagen in zwei mit Baumst?mmen bedeckten Unterst?nden die Rasierstube und die Zahnstation. Eine grosse Wiese neben der Kirche diente als Begr?bnisplatz, zu dem fast t?glich eine Kompagnie marschierte, um einem oder vielen Kameraden unter den Kl?ngen eines Chorals das letzte Geleit zu geben.

Die franz?sische Bev?lkerung war am Ausgange nach Monchy kaserniert. Meist scheue, mitleiderweckende Gestalten, die schwer am Kriege zu tragen hatten. Ahnungslose Kinder spielten vor den Schwellen der bauf?lligen H?user, und Greise schlichen gebeugt durch das neue Getriebe, das ihnen mit brutaler R?cksichtslosigkeit die St?tten entfremdete, an denen sie ihr Leben verbracht hatten. Die jungen Leute mussten jeden Morgen antreten und wurden vom Ortskommandanten, dem Oberleutnant Oberl?nder, der ein strenges Regiment f?hrte, zur Bewirtschaftung der Dorfgemarkung eingeteilt. Wir kamen mit den Einheimischen nur zusammen, wenn wir ihnen unsere W?sche zum Reinigen brachten oder Butter und Eier einkaufen wollten. Zarte Beziehungen waren ?usserst selten; die Erotik fand keinen Raum in dem w?sten, zerr?ttenden Getriebe.

Eine merkw?rdige Erscheinung war der v?llige Anschluss zweier verwaister kleiner Franzosen an die Truppe. Die beiden Jungen, von denen der eine acht, der andere zw?lf Jahre alt sein mochte, waren ganz in feldgrau gekleidet, sprachen fliessend deutsch und gr?ssten alle Vorgesetzten auf der Strasse vorschriftsm?ssig. Von ihren Landsleuten sprachen sie, wie sie es den Soldaten abgesehen hatten, nur ver?chtlich als >>Schangels<<. Ihr gr?sster Wunsch war, einmal mit ihrer Kompagnie in Stellung gehen zu d?rfen. Sie konnten tadellos exerzieren, traten bei Appells an den linken Fl?gel und baten, wenn sie den Kantinengehilfen zum Einkauf nach Cambrai begleiten wollten, um Urlaub. Als das zweite Bataillon f?r einige Wochen zur Ausbildung nach Qu?ant kam, sollte der eine, namens Louis, auf Befehl des Oberstleutnants von Oppen in Douchy zur?ckbleiben, um der Zivilbev?lkerung keinen Anlass zu unwahren Ger?chten zu geben; er wurde auch w?hrend des Marsches nicht mehr gesehen, sprang aber bei der Ankunft des Bataillons ganz vergn?gt aus dem Packwagen, in dem er sich versteckt hatte. Leider nahmen unvern?nftige Leute die Kleinen ?fters mit in die Kantine und machten sich den schlechten Spass, ihnen Alkohol zu geben. Der ?ltere soll sp?ter nach Deutschland auf Unteroffiziersschule geschickt worden sein.

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