Read Ebook: Menschen im Krieg by Latzko Andreas
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Ebook has 479 lines and 43300 words, and 10 pages
DER ZERST?RTE TASSO
AUSGEW?HLTE GEDICHTE VON THEODOR TAGGER
LEIPZIG KURT WOLFF VERLAG
B?cherei >>Der j?ngste Tag<<, Bd. 62/63
Gedruckt Ende 1918 bei E. Haberland in Leipzig
INHALT
OHNMACHT UND AUFRUHR Seite Drei Stossgebete 9 Der Dichter 12 Abraham und Lot 15 Eva und Susanna 18 Die Eselin 20 Lilie 21 Fantasia Contrappuntistica 23 Preludio, Fughetta ed Fuga Esercizio 25 Die Irren 28 Ariadne 32 Bilder und Aufraffung des Einsamen 35 Der L?wenb?ndiger 38 Das Bett 42 Der zerst?rte Tasso 44
LANDSCHAFTEN Mann am See 51 Abendsonne 52 Sp?te Landschaft 54 Nacht 55 Ohnm?chtige Stunde, Versailles 56 Landschaft 57 Nasser Abend 58 Mitternacht 59 Mittag 60 Winter 61 Sommerabend 62
PSALMEN DAVIDS Der erste Psalm 65 Der sechzehnte Psalm 66 Der einhundertundzweite Psalm 67 Der siebenundsechzigste Psalm 70 Der f?nfundvierzigste Psalm 71 Der dreiunddreissigste Psalm 72 Der neununddreissigste Psalm 74 Der einhundertundneununddreissigste Psalm 76 Der einhundertvierundvierzigste Psalm 80 Der einhundertsiebenundvierzigste Psalm 83 Der einhundertf?nfzigste Psalm 86
OHNMACHT UND AUFRUHR
STOSZGEBETE
Ich liebe dich, Herr. Aufgerissen ?ber alle Massen stehe ich zwischen den Tagen. Ich habe keine Hinneigung mehr, bin nur noch Schwanken, allem zuge?ffnet --, und beraubt. Aber es kommt einmal deine Hand und du verschliesst mich leise, dass ich reife und mich ausblaue in mir. O, hebe mein Weinen auf, Herr, lass mich erseligen an dir, du Gr?nen und du Tr?ne an den Zweigen des Frostes.
Herr, du mein Mond, o scheine mir wieder n?chtliche Erl?sung. Giesse die heissen und dunkelen Balsame aus deinen H?nden, hebe die Lider vor den Psalmen deiner Augen.
O, wie kannst du k?hlen, s?nftigen und verscheinen! O, wie kannst du, Herr, ?berschleiern!
Sieh, ich leide hier an den schmerzlich schreckvollen Tagen, ach, die brennenden Tumulte der Sonne wirren mich m?d und schwindelig, dass vor meinen Augen alles auseinandersplittert. Ich fasse nicht mehr, was die Erscheinungen sagen, ich h?re nicht mehr die Stillen in den Stimmen, nur mehr das Klirren, ununterbrochen und sehne mich, Herr, ach, nach dir, o du, du Herr, du Nacht, du Dunkelblau der Tr?stungen, du ?berschleierer aller Anblendungen.
Alles in mir br?llt zu dir hin, alles reisst sich dir zu. Ich bin nicht mehr dein Baum und dein Wild, dein Knecht und dein Kind. Ich bin dein Hunger, deine M?digkeit, der Schlag aus deinem Mund, und der Schmerz aus deiner Hand.
O Herr, o Donner der ?ber meine Himmel weht, ich will zu dir restlos mich verfl?chtigen, o Blitz du, streife mich an und verbrenne mich in die Landschaft.
DER DICHTER
Alle Schritte f?hren mich den einen Weg, s?dliches Orchester des Herzens tausend Stimmen unter einem Stab. Ich habe keine Bilder und keine Gesichte stelle ich vor den Blick, ihn zu verschliessen.
Ungeheuer bauen sich meine Leben auf. Was ich fasse zerteilen meine H?nde in die Verse des Augenblicks, Ding weilen in S?nften meines Denkens. Lang und im geduldigen Lauf trage ich sie vor?ber an den Denkm?lern vergessenen Aufwands. Anhauchen Herzen, steigen schlagend vor meinem Munde auf, Verz?ckungen der Knie -- o welche Strophen! Lieder, menschliches Ver?ussern, strenge H?nde, angelehnte Blicke, und das weibliche Verschaukeln der Schultern, aufgestellte Seelen und die Verschlingungen des Teppichs umrasen sanft meine segelnde Stirn.
F?hren Zypressen der Blicke mich in einen Hain, drehen elektrische Bahnen auf der Strasse, und klein um mich herum, Menschen schwimmen. Aber ich gehe, wie Moses, auf den Wellen schaukelnd ?ber sie hin.
Winkt der Turm Verheissung der Sammlung, und ich breite die Arme, mich zu zerstreun. Bahnhofshallen dunkeln kirchlich an, Wiesen bl?hen auf den Asphalten, Autos werden breite, m?hende K?he, die Welt steht still auf einer platten Scheibe. Gott herbstet vor meinen Augen, aber ich trage mich nicht zu seinem Verwelken hin. Ich bl?te, unbegrenzt kommen Farben ohne zu verfallen.
Pole sammeln mit fechtenden Spitzen sich wieder, meine Brust tr?gt sie beide im Schoss. Sommern?chtig verkupfern kaum angek?ndete Lieder, l?sen langsame Bl?tter von den Herzen sich los.
Blutig wandet die Seele Blick und Ged?chtnis, alles wird Einkreis, Brot und gequ?lt. Bleibt ein Traum, schwarzes, d?nnes Verm?chtnis, pl?tzlich stehen und verz?hlt.
Landschaften wellen keinen H?gel, und die berauschten weissen Hirsche springen nicht mehr auf und ab. Milchstrasse, ?thernde Augen, l?ndliches Ger?usch vertauschten sich und dunkelten in den Morgen hinab.
Zinnober und Sepia w?scht der gelbe Aufgang aus dem Gesichte der Nacht. Ich gehe, unb?ndig angetan, fr?stelnd und vergeblich lang ?ber die Wiesen der Gassen hinan.
ABRAHAM UND LOT
Da der Herr Abraham aus seinem Lande rief, ihm zu folgen: sanft mit des Gl?ubigen unbedunkeltem Herzen nahm Abraham sich auf und folgte. F?nfundsiebzigj?hrig zog er aus Haran mit den leichten Schritten des J?nglings bis zum ber?hmten Tale und nahm M?hsal und Unruh sp?ten Aufbruchs mit der milden Demut des Wanderers zu Gott. Gab voll Verheissung sein Weib dem Pharao preis, um zu leben, und war Abraham wie der Strauch Strauch ist und bl?ht und nicht fertig wird, es zu sein. Dieweil Lot sich kr?mmte und feilschte um die Worte des Herrn, verbrannt sein Gesicht war und nicht schimmerte zu den blauen Wiesen tr?chtiger Einfalt. Doch der Herr hat verflucht sein Geschlecht und mit der Faust gestossen in die dunklen Keller von Neugier und Verbrechen. Liess erstarren sein Weib und die T?chter sch?nden vom Vater, dass in die Ewigkeit sie der Missbrauchnis des Lebens unz?chtiges, drohendes Beispiel sind. Straflos schreien die Taten des Herrn, aus der Menschen Lust und Wildnis brechen geschlossene Leiber auf, und die H?nde des Richters pressen Eiter und Blut der Verruchnis aus den klaffenden Herzen.
Doch werden einmal Abraham und Lot freundlich aufeinandergehen und sich umarmen. Der eine bricht dem andern langsam von dem Brot, aus dem die Paradiese bluten f?r die Armen.
Der j?ngste Tag err?tet alle St?dte und Sodom und Gomorrha duften unter Flieder, die Wollust kauert sanft an einem Knabenbette, n?chtige S?nder singen Morgenlieder --
der Tiger hebt die ungekrallte Tatze, schon l?cheln M?rder und Blutsch?nder leise, sorglos sitzt der Dieb und kaut auf offnem Platze, und alles Leben stummet auf in niegeh?rter Weise.
EVA UND SUSANNA
Strahlt deine Keuschheit Schuschan durch das gel?uterte Glas erhaben in das bet?rte s?ndenflammende Babel leicht mit dem Geruch des jungfr?ulichen Knaben, der aus dem get?teten Abel noch heute duftend str?mt. Tausend Wege sch?umender Verf?hrung miedest du in der Stadt lauten Vers?ndens sanft wie ein Gruss des Herzens. Die Wasser der Wollust schiedest du und gingst, eine himmlische Wolke mit unbeflecktem Fuss. Dieweil Eva, deine Schwester, in die G?rten mildesten Verscheinens eine Schlange lockte und die ?pfel giftete. Panther, Tauben und Hy?nen n?hrten sich vom sanften Anblick, aber deine Schwester ?berliess sich dunkelnder Versuchung kleiner Triebe, und sie stiftete Elend, Verfolgung und Scham in der Stadt warmen Verstillens, dem Paradies.
Doch werden einmal schwesterlich umschlungen die beiden in den Himmel fahren und ihre K?rper auferstehend runden. Engel haben d?nne Zungen schon angehoben, und wilder Honig spriesst ihnen entgegen. Umringt von selig aufkl?ffenden Hunden und freundlich angetan mit den zahlreichen Jahren, kommt Gott und breitet ?ber Niederungen die eine Hand. Schmelzen die S?nden ausgesungen und stehen G?tter, Heilige und Scharen himmlischer Geschwister -- und alle leuchten im Gesang -- um dich und sehn dich an -- liegst, Eva, du im Paradiese wieder ausgestreckt, keusch gehen deine Schenkel auf und deine Bl?sse schimmert sanft und lang.
DIE ESELIN
Hat der Heiland dich verkannt, du stilles Tier, und setzte sich auf deinen R?cken, als er einzog. War es nicht, als wollte er noch mit gr?sserer Zier strahlen von dir ab, die du so arm bist?
Aber uns?glicher Glanz ging aus von dir, kahl und voller D?rftigkeit erschienest du auf und zogst die Blicke nach den ungereinten Hufen, hinter deinem klaffenden und harten Lauf sprachloser Magdschaft. Alles auf der Erde hier
f?rbt ab von deinem langgedr?ckten Rufen und erschrickt zu sich und seiner N?chternheit und wird ?rmlich kahl und schier, und es grauen die Gef?hle an. Auf allen Stufen
stehen D?rftige zu Gott gewandt. Deine Demut schreit h?sslich und geschlagen von der Niedertracht, w?hrend Jesus noch in Lumpen auf dir sitzt und strahlt.
Doch mild und von den Einfalten des Herzens eingeschlossen sind deine Blicke blind und offen vorgerichtet und es lacht die Landschaft blitzend erst von weissen Rossen sanft in seligem Eindummen, w?hrend sie schon fahlt.
LILIE
Die heilige Gertrudis und Anton von Padua stehen angetan, aufrechte Statuetten auf den L?ften in deinem rosenlichten Glanz. Schimmernd umweisst dein sanftes Bl?hen den heiligen Franz, dich tr?gt Josef auf den Bildern mit Maria, der jungfr?uliche Mann.
Die keusche Schuschan hat ihren Namen schon von dir, und sie blaut noch immer vor den Augen angesonnt. In den Kirchen aus dem Stengel kelcht der Welten Horizont, und es umarmen deine Linnen schmelzend Mensch und Tier.
Du arbeitest nicht und du spinnest nicht, und selbst Salomon hat Gott nicht bekleidet wie dich und deine Blumen. Du w?chst leise scheinend in den ?berhellten Ruhmen aus des Heilands rechtem Auge, sitzt beim Weltgericht er auf dem Thron.
Schiesst das Schwert aus seiner Linken gegen die Verdammten, Lilie, den Verkl?rten ?ffnet deine Taufe sich und leuchtet lang, ?berscheinet sie wie Morgensonne rot verperlt und samten, und sie sternen vor dir ein, fromm und langsam zu Gesang.
FANTASIA CONTRAPPUNTISTICA
An Ferruccio Busoni
Choral auf dem Klavier, der vergeistigten Orgel. Sanfte Weisen des Orchesters scheinen eines Chores ausspannenden Meergesang. Gott ist in den Welten, geistlich Lied: die Welt, m?nnliches Thema, von mondenen Wolken bald umspielt und himmelgezogen. Sanft und leicht, leise und begeistert ruht entscheidender Aufstieg auf frauenhaften Schultern. Hebt des Chores Inbrunst entb?rgerlichten Bach in die Reiche volkloser, geistoffenbarter Musik. Wunder, das Pianoforte von erlauchter ?berstimmenschaft, ?berstrahlt feuernd der Orgel erstickendes Gleichmass, blendet in Farben, orange, purpur und ocker kommen die Kl?nge, festliche Gestalten, Prozessionen mit Fahnen, Weihrauch und marienhaftem Blau. Arien der Madonna in leise durchlichtetem Sopran lagern, schweben sch?ferwolkenweiss ?ber den K?pfen mit. Aber Nerven und Zuckungen und die Konfessionen ekstatischen Gef?hls verschmelzen, aus Tasten gehoben zu lebendigem Zittern angespannte Saiten. Kommt die Fuge, zweifach, dreifach und vierfach in das Firmament der Kl?nge und die W?lbungen der Kontrapunkte aufgebaut. Majest?tisch, g?tig, schweigsam und erhaben dringt B, A, C, H in die F?hrung vor, und es gehen mild und im milden Duft der Milch die vier Stimmen schwesternhaft ineinander ein. Noch einmal erbraust, aus dem erstickenden Gleichmass der Pfeifen gehoben, der lebendigen, verz?ckt aufgespannten Saitenleiber unbeschreibliches Schwingen, ehe sie selig verklingend sich in der Ruhe s?dlicher Sonne dehnen und das weisse Meer der Tasten ebbt zur klaren, sanft spiegelnden Fl?che.
PRELUDIO, FUGHETTA ED ESERCIZIO
An Ferruccio Busoni
Zartgestrichene Monotonie italienischer Landschaft, und braungrauende Horizonte wandern in gleichm?ssigen H?geln. Langsam beschattet die Sonne unbewegte Luft und die getragenen Z?ge ferner Schalmei.
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