Read Ebook: Seelenverkäufer: Das Schicksal einer Deutsch-Amerikanerin by Gontard Schuck M
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Ebook has 2247 lines and 57651 words, and 45 pages
M. GONTARD-SCHUCK
SEELENVERK?UFER
DAS SCHICKSAL EINER DEUTSCH-AMERIKANERIN
VIERTES UND F?NFTES TAUSEND
BERLIN / F. FONTANE & CO.
Das erste bis dritte Tausend erschien als erste Auflage im Juni 1914, das vierte und f?nfte Tausend im darauffolgenden Monat.
Auf Grund des U. G. vom 19. Mai 1909 gegen Nachdruck gesch?tzt.
Copyright 1914 by F. Fontane & Co.
Per me si va nella citt? dolente, Per me si va nell' eterno dolore, Per me si va tra la perduta gente.
Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen, Der Eingang bin ich zu den ew'gen Qualen, Der Eingang bin ich zum verlorenen Volke ...
Inhalt
Kindheit.
Zum letzten Male liegst du vor mir, mein treuer Weggenoss. Zum letzten Male, ehe ich dich hinausschicke in die Welt.
Sinnend ruhen meine Blicke auf den ersten Aufzeichnungen aus jener Zeit, da die verschlossenen T?ren des Lebens sich f?r mich ?ffneten.
Ein Kind war ich noch damals, und wie hart hat mich das Schicksal in die Schmiede genommen, um einen Menschen aus mir zu machen, der Menschen und menschliche Schw?chen versteht.
Und war es nicht gut, dass ich noch so jung war? Wie w?re es mir sonst m?glich gewesen, die furchtbaren Erlebnisse meiner ersten Jugend so vollst?ndig verwinden zu k?nnen?
Die kindlich unfertigen Schriftz?ge da vor mir, die noch so gar keine Charakteristik zeigen, wecken nur eine leise, wehm?tige R?hrung in mir. Von dem Schmerz, der Bitterkeit jener Tage sp?re ich nichts, gar nichts mehr.
Vielleicht, weil ich jetzt verstehe, wie alles kommen konnte, ja, wie alles kommen musste. Wie eine Schuld, die andere nach sich zog, und wie auch an mir der uralte Fluch sich erf?llte, wie in mir das Vergehen der Eltern seine S?hne fand.
Und war es denn ?berhaupt ein Vergehen? War es S?nde?
Meine arme Mutter, was wusste sie von S?nde in ihrer Waldeinsamkeit?
Ihre Eltern waren stille, wortkarge Menschen, und sie f?hlte sich oft sehr einsam in dem grossen, alten Jagdhause oben im Gebirge. Und der Erbprinz, der als leidenschaftlicher J?ger oft ganze Wochen dort oben zubrachte, hatte nach den Pirschg?ngen am fr?hen Morgen Zeit und Musse genug, sich mit der sch?nen F?rsterstochter zu besch?ftigen.
Mehr als f?r Ruhe und Gl?ck des M?dchens gut war. -- -- --
Der Prinz war ein sch?ner Mann, und das F?rsterkind liebte ihn.
Sie musste ihn ja lieben!
Wie selten kamen Fremde in ihre Waldeinsamkeit; und wie begreiflich ist es, dass ihr junges Herz dem ersten, der sich um sie bem?hte, zuflog.
Wer will da von Schuld und S?nde sprechen?
Aber der rosenrote Traumhimmel des jungen M?dchens wurde gar rauh zerst?rt, als die Folgen sich zeigten. Und Lisbeth musste heiraten. Zwar nicht den Prinzen, wohl aber seinen B?chsenspanner.
Alles Str?uben half nichts, der Vater war unerbittlich!
Hoheit w?nschte es, so war es f?r ihn Befehl.
Der B?chsenspanner erhielt die Pachtung der Dom?ne Neuhof, und ich wurde als Tochter des Herzoglichen Dom?nenp?chters Georg Albrecht geboren. --
Ich beneide jeden, der auf eine frohe, ungetr?bte Kindheit zur?ckblicken kann.
Meine ersten Erinnerungen haften an einzelnen h?sslichen Szenen im Elternhause. Die weinende, betr?bt einherschleichende Mutter, der zornig scheltende Vater sind die am fernsten liegenden Bilder. Sp?ter entsinne ich mich, dass die Mutter immer krank war. H?ssliche Auftritte gab es auch da noch. Ich f?rchte, ich habe die Mutter nicht so geliebt, wie sie es um mich verdient hat.
Ihr stilles Dulden lag meiner wilden, aufbrausenden Natur nicht. Am liebsten w?re ich ihrem Peiniger an die Kehle gesprungen, wenn er ihr harte Worte gab, wenn er mich Wechselbalg oder Kuckucksei nannte. Obgleich ich die Bedeutung der Worte gar nicht verstand. --
Ich war noch nicht zw?lf Jahre alt, als meine Mutter starb. F?r die arme Dulderin war es eine Erl?sung -- f?r mich ein Ungl?ck, dessen Tragweite ich erst in sp?teren Jahren voll ermessen konnte. Erst viel sp?ter, Jahrzehnte sp?ter, habe ich verstehen gelernt, was mir an jenem Tage genommen worden war.
Die Jahre nach dem Tode meiner Mutter, bis zu meinem f?nfzehnten Jahre sind mir wie eine ununterbrochene Kette von Unannehmlichkeiten in Erinnerung. Lichtblicke waren es, wenn ich zu den Grosseltern durfte. Bei ihnen war ich daheim.
Und als ich eines Tages von meinem Vater gez?chtigt worden war -- ungerecht, wie ich meinte -- da riss ich aus, und wanderte zu Fuss die neun Stunden ?ber den Wald zu den Grosseltern.
Einige Tage durfte ich bei ihnen bleiben, dann kam mein Vater, und ich musste wieder mit nach Hause.
Liebe zu mir war es nicht, die ihn dazu trieb, mich wieder zu holen. Erst viel sp?ter habe ich begriffen, dass, solange er mich bei sich hatte, immer eine gewisse Nachsicht mit ihm ge?bt wurde, wenn er mit der Pacht im R?ckstande war. Und das war wohl meistens der Fall.
Das flotte Leben, das er f?hrte, verschlang zu viel.
Oft h?rte ich damals des Abends Gl?serklingen und lustiges Frauenlachen aus den unteren R?umen zu mir herauft?nen.
Ich war neugierig -- sehr neugierig.
Aber die alte Rosine schalt mich aus, wenn ich sie fragte.
>>Du hast getr?umt, Kind! In der Nacht schl?ft man. Wo sollten hier denn Damen herkommen?<<
Ich hatte aber doch nicht getr?umt. Ich weiss es jetzt.
Mein Tagebuch.
Ich habe mir ein Tagebuch gekauft, und heute will ich es einweihen, heute am Todestage meiner lieben, toten Mutter.
Nun ich aber davorsitze, weiss ich gar nicht, was ich schreiben soll. Ich erlebe so gar nichts. Soll ich schreiben, dass ich sehr ungl?cklich bin? Das kann ich nicht! Ich bin mir selbst nicht recht klar ?ber mein Empfinden. Ich habe etwas sehr B?ses getan und weiss nicht, was aus mir werden wird, und dar?ber m?sste ich doch traurig sein, aber ich bin es nicht.
Die Grosseltern werden schon f?r mich sorgen, sie haben es ja immer getan. -- Und Rudolph? Wie kommt es, dass ich so wenig an ihn denke in meiner Verbannung? Und wie kommt es, dass ich keine Nachricht von ihm bekomme? Ist sein Vater noch immer nicht gesund? --
Den 4. Februar.
Ich sitze wieder vor meinem Tagebuch und weiss nicht, was ich schreiben soll. Ich will deshalb eintragen, warum ich hier in E. bin und warum ich eigentlich ungl?cklich sein sollte. -- --
Ich war im Fr?hjahr f?nfzehn Jahre alt und sollte Ostern konfirmiert werden. Unser Inspektor war zum 1. Januar gegangen, und Vater war immer in einer f?rchterlichen Laune.
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