Read Ebook: Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten by D Blin Alfred
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Ebook has 774 lines and 63047 words, and 16 pages
Alfred D?blin
Die Lobensteiner reisen nach B?hmen
Zw?lf Novellen und Geschichten
Zweite Auflage
M?nchen 1917 bei Georg M?ller
Inhalt
Linie Dresden-Bukarest Das Femgericht Die Schlacht, die Schlacht! Der Kaplan Die Nachtwandlerin Von der himmlischen Gnade Vom Hinzel und dem wilden Lenchen Der Riese Wenzel Das Krokodil Das Gespenst vom Ritthof Der vertauschte Knecht Die Lobensteiner reisen nach B?hmen
Linie Dresden-Bukarest
Vor der Abfahrt des Zuges l?chelte Frau Barinianu auf dem Bahnhof Bukarest. Ihr Mann der Oberst, neben ihr promenierend, schob einen Zeitungsausrufer beiseite, bl?hte die Nase, straffte seinen Uniformrock, indem er seinem kolossalen Brustkasten einen scharfen Ruck gab: >>Liebe Cesarine, ich weiss, dass du von einer Last befreit bist, aber wir sind auf dem Hauptbahnhof und du gehst in Trauer. Es brauchen nicht alle Leute sehen, dass dir mein seliger Vater nichts bedeutet hat.<<
Sie nahm sich kaum zusammen; mit heiter verwirrtem Ausdruck hauchte sie hinter ihrem schwarzen Schleier: >>Verzeih, ich geh heute zum ersten Male ein paar Schritt.<<
Er zog ein Portefeuille mit braunen Banknoten aus der Brusttasche. Als die Maschine pfiff, rief er ins Coup?fenster hinauf, sie solle gleich ein paar Aussteuersachen f?r Matilda in Dresden besorgen. Die Wagen rollten. Der Oberst klappte etwas zusammen. Sie winkte und nickte. Er, tr?umerisch mit dem S?belknauf spielend, fuhr in der Kalesche ins Kasino zum Festdiner.
Frau Barinianu sass in dem schmetternden Zug auf dem roten Polster der ersten Klasse. Das Coup? leer. Runde Backen hatte sie und sehr kleine F?sse in grauen Gamaschen. Der Hut neben ihr rutschte vom Sitz; sie beugte sich zur Seite, um ihn festzuhalten. Sich aufrichtend sah sie im Rundspiegel dr?ben, dass das Haar ihr ?ber die Stirn gesunken war und vor der koketten Nase wehte, ebenholzschwarz und ohne einen einzigen grauen Faden. Dunkler Flaum auf der Oberlippe. Das Gesicht ger?tet und weiss und so kindlich lebendig, dass sie sich freudig zur?cklehnte, den Hut hinuntergleiten liess und die metallstrahlenden Augen schloss. Den Gang kamen dauernd Menschen herauf, Kinder sprangen vorbei, der Kellner warf eine Speisekarte herein. Sie g?hnte und zog sich die langen Lederhandschuhe ab.
Herr Fortunesku stieg in Plojescht ein und sah sie sitzen. Er schlenkerte in seiner ausbaldowernden Art herum und dr?ckte sein breites Gesicht draussen viermal gegen die Scheibe. Seine durchgestossenen Hosen rutschten hoch. Als der Kontrolleur vorbeikam, las er angestrengt die Bestimmungen ?ber das Verhalten des Publikums bei Ungl?cksf?llen. Mit festem Entschluss sagte er: >>Diese oder keine.<< Er ging mit seinem K?fferchen auf die Toilette, zog sich um, eleganter, etwas knapp sitzender Cutaway, schwarze Samtweste, gestreifte braune Hosen, eng um die Kniee. Das braune Haar klebte er mit Wasser in d?nner Lage auf den Sch?del. Geb?rstet, mit ?bertriebenen Bewegungen, die seine athletischen Muskeln hervortreten liessen, spazierte er in das Nachbarcoup? Cesarines.
W?hrend sanfter Fahrt st?rzte pl?tzlich der Dame eine Hutschachtel ?ber die Arme und knallte vor ihre F?sse. Sie schrie leise auf, sah ?ber sich. Die T?re des Abteils ?ffnete sich; ein gescheitelter Kopf streckte sich vor: >>Was ist? Um Gottes willen, ich eile zu Hilfe. Oh!<< Und Herr Fortunesku sammelte den Deckel, den Hut und die Apfelsinen auf, die unter die Sitze gerollt waren; auch ein langer Lederhandschuh lag da. Sie r?ckte in die Ecke, als er um ihre F?sse herum tastete. Er stellte sich mit glatten Worten als Verlagsdirektor aus Jassy vor, jawohl aus Jassy. Er schnalzte, fl?sterte, schmatzte, schon am Boden, in einer naiven Art. Es sei eine zu l?cherliche Geschichte; sie sei ihm schon mal passiert, vor vier f?nf Monaten, hinter Braila, zwischen Lanza und Braila; doch damals sei es keine Hutschachtel gewesen, sondern in der Hutschachtel eine Bombe, so gross wie ein Schneeball oder eine gewisse Sorte von Zwerg?pfeln; freilich sei sie nicht explodiert, die Bombe; es hat ja auch in der Zeitung davon gestanden. Aber dieser Knall, es war unvergesslich. Und so sang er bis Kronstadt in Ungarn, wo er ihr ein Glas Milch brachte. Er beteuerte, dass sich manche Damen bei dem Sturz von Hutschachteln verletzten; aber diese h?tten dann weniger volles Haar, als die Gn?dige. Langes Haar mache es nicht, es m?sse auch volles sein.
Wie er sich vom Fenster zur T?r, von der T?r zum Gep?ckhalter bewegte, entwickelte er eine ausserordentliche Grazie. Er hatte grossartige formvolle Bewegungen. Sie verfolgte ihn aus ihrer Ecke mit den Blicken und sagte es ihm. Er verkroch sich geschmeichelt in seinen Halskragen, so dass sie erstaunte. Er sei n?mlich Turner, Springer, Fechter, Stafettenl?ufer, nat?rlich im Nebenberuf aus Sportleidenschaft. Auch wette er gelegentlich bei sch?ner Sommerluft, alles Temperamentssache. >>Und was sind Sie im Hauptberuf?<<
>>Verlagsdirektor, meine Gn?dige, ich sagte es schon.<<
>>Ah so.<<
>>Ich verlege Zeitungen, Brosch?ren, B?cher, am liebsten aus meinem Interessengebiet. Turnen geht mir ?ber alles; M?llerei, M?llerei erh?lt mich. Sehn Sie so --<<
Er begann eine Kniebeuge zu machen und den Rumpf zu verdrehen.
>>Und sehen Sie so.<<
Sie prustete heraus und versteckte sich hinter ihrer Muffe.
>>Meine ?bungen scheinen Sie zu belustigen.<<
>>Nein, Ihr ?rmel ist ja geplatzt.<<
Er erstarrte, wurde lang: >>Ah so, schlechter Stoff. Ziehen wir aus. Gestatten Gn?dige?<< Noch als der Rock lag, boxte er ihn mit misstrauischen beleidigten Mienen: >>Ziehen wir aus. Ein unerh?rter Stoff. Gekauft in Braila; schlechte Industrie, wo die Stoffe platzen.<<
Er agierte in Hemds?rmeln langsam weiter, ?fter mit Blicken auf den Rock. Als sie ihn aufforderte, sich zu ruhen, machte er einen besch?mten H?pfer ans Fenster: >>Es ist dieselbe Stadt, wo die Bombe fiel. Dieser Ort ist mir verh?ngnisvoll. Ich ruhe jetzt, meine Gn?dige.<<
Er plumpste keuchend auf den Sitz ihr gegen?ber: >>Nun ruhe ich.<<
Inzwischen rutschte unter seinen Hemds?rmeln ein braunes dickes Flanellhemd an den Kn?cheln vor; leicht err?tend nahm sie die Jacke auf, legte sie ihm ?ber: >>Sie sind Junggeselle, Herr Fortunesku?<<
Sein Mund verbreiterte sich, eine Feuchtigkeit schwamm ?ber die drehenden Augen, er fuhr nach ihrem Handgelenk: >>Ein liebes Wesen starb mir vor Jahresfrist; sagen wir rund ein Jahr und zwei Monate. Sie ist mir entrissen worden.<<
>>Und warum schweigen Sie jetzt, mein Herr?<<
>>Situationen gibt es, die nicht nachlassen, an einem M?nnerherz zu pressen. Bis es schwillt, schwillt; ?berschwillt.<<
Sie klopfte warm seine Finger. Er sch?ttelte sich, wischte sich die Stirn mit dem Zeigefinger, machte eine krampfhafte Klimmzugbewegung. Hin und her wandernd st?hnte er. Die Schwermut riss ihn hin. Er beugte sich zu ihr; im Nu hatte er sie an seiner Brust, sass eng bei ihr. Die Tropfen aus den Augen des trostlosen Mannes fielen auf ihren Rock. Bet?ubt hielt sie still. >>Was ist das?<< dachte sie, >>ich kann mir das nicht gefallen lassen. Das ist ja entsetzlich.<< Sie brachte aber nur seufzend heraus: >>Es ging aber doch recht schnell. Sie halten mich fest, mein Herr.<<
Triumphierend gl?nzte sein Gesicht. Sie fl?sterte ?ngstlich: >>Schliessen Sie wenigstens die T?r; ich habe Kaffee bestellt.<<
Ein Zug am Riegel, Einschnappen des Schlosses. Sie hing gehoben auf seinem Schoss, so dass sie die weichen Patschen faltete, befangen l?chelte: >>Es ist wunderbar. Man muss das erlebt haben.<<
An ihrem Spiegelbild sah sie vorbei. Die Wagen ratterten. Heller und dumpfer klirrten die Scheiben in ihren Holzrahmen. Er strich sich den Schnurrbart. Auch ihr Gesicht fing an zu gl?hen. Seine Brauen waren borstig, seine Augen klein wie Murmeltiere. Ihr dicker runder K?rper sackte, von ihm losgelassen, gegen den roten Pl?sch. Zwei M?nnerarme schlossen sich um ihren atmenden widerstandslosen Rumpf, dr?ckten ihn hoch; eine stopplige nasse Haut rieb gegen ihre Wange. W?hrend ihre Lippen einander benetzten, Z?hne ?ber Z?hne strichen, schwindelte ihr leicht hinter der Stirn. Entfernt schnaubte die Lokomotive; sie f?hlte das Stossen der R?der herauf. Seine Knie unter ihr zitterten.
Da kam ihr vor, als ob es seitlich von ihr irgendwo knackte. Und wie sie den Kopf ?ber seine Schulter schob und mit dem rechten Auge herunterschielte an seinem R?cken, blinkte auf dem Polster eine kleine Beisszange an ihrem Handgelenk, ihr Armband lag frei daneben. Unwillk?rlich zuckte ihr Arm. Blitzschnell waren Zange und Schmuck in seinem gebauschten Hemds?rmel verschwunden, Schlaff w?lbte sich ihr R?cken nach einem tiefen Atemzug. Ihr Mund fiel auf seine knochige Schulter und mahlte das blaue Westenfutter. Er, von unten den Blick zu ihr drehend, bettelte, ob ihr schlecht w?re, ob er sie legen sollte. Sie fixierte ihn halb ohnm?chtig aus den schmalen Augenschlitzen: >>Ist das ein Lump. Es ist ein Hochstapler, ein Eisenbahnr?uber. Ich setze mich in den Zug, um nach Dresden zu fahren und er sieht mich und stiehlt meine Brillanten.<<
Er kratzte sich mit der freien rechten Hand den Scheitel, so dass sich eine Haarstr?hne wie ein gebogenes Horn aufstellte: >>Seelische Strapazen peinigen mich, meine sch?ne Dame. Nennen Sie mir Ihren Namen, Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.<<
Angstvoll, ohne ein Glied zu bewegen, lag sie. Sie dachte: >>Es geschieht mir recht. Wo ist er denn jetzt? Ich habe goldene Strumpfschnallen.<<
Und schon knackte es wieder. Sie weinte halb, warf jammernde Blicke gegen die Notbremse: >>Ich kann nichts machen gegen ihn. Er kompromittiert mich, wenn das Bahnpersonal kommt. Und diese Hemds?rmeln. Er ist solch Lump.<<
>>Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.<<
Sein Haar war d?nn; seine Ohren standen ab, braune B?schel wuchsen daraus: >>Er ist vielleicht ausgebrochen aus dem Zuchthaus. Er hat im Zuchthaus gesessen. -- Wie schrecklich w?re es, wenn er ein anst?ndiger Mensch w?re und ich mich so gehen liesse. Was w?rde er von mir denken, von mir erz?hlen. Wo w?rde ich ihm begegnen k?nnen. Dem werde ich nie begegnen, dem Strolch. Bei ihm bin ich gut aufgehoben.<<
Sie dr?ckte Auge und Nase fester gegen seinen Gummikragen: >>Der prahlt h?chstens mit mir. In einer Kaschemme r?hmt er sich.<<
Sie sp?rte, wie er die Knie vorsichtig unter ihr wegzog, bog den spitzenverh?llten Arm um seinen Hals: >>Du prahlst mit mir, nicht wahr? Wenn du mit deinen Freunden bist? Wo bist du her? Du musst mir erz?hlen.<<
Er fuhr hoch. Diese Frau duzte ihn. In einer Zuckung streckten sich seine Beine quer ?ber den Gang; sein linker Arm stemmte sich auf den Pl?sch. Es kollerte und klirrte etwas ?ber seine F?sse. Sie hielt ihn, liess ihn nicht los, Stirn dicht auf Stirn: >>Ist dir was hingefallen? Hebs sp?ter auf. Lass doch liegen. Du musst mich nachher noch so lange begleiten. Ich fahre nach Dresden. Ich hole meine Tochter aus dem Pensionat. Ja, ich bin verheiratet, und mein Mann ist Offizier in Bukarest. Aber unseren Namen sag ich dir nicht, denn du bist solch Strolch, ich durchschaue dich, solch frecher, frecher Strolch.<<
Fortunesku atemlos unter ihrem Dr?ngen, schnitt ungeschickte Grimassen; er gaffte aus dem Ring ihrer Arme auf die Leiste des Spiegels: >>Das ist eine besondere Frau. Sie bringt mich um. Ich will ihr alles wiedergeben.<<
>>Madame,<< ?ffnete er indigniert den schlecht rasierten Mund. Aber sie hatte ihn schon mit vergn?gtem Gel?chter um die Taille gefasst. Sie kniff ihm in den Arm, quietschte: >>Bin ich froh, bin ich froh ?ber dich, du Lump. Weil du solch Lump bist.<< Er wand sich, verdrehte sich schlangenhaft. Sie stand zugleich mit ihm auf. Sie packte ihn bei den H?ften, liess ihn nicht los, liess ihn nicht los. --
Als Cesarine zwischen Znaim und Iglau, wohlig ausgestreckt, sich von dem Zug ab- und auffedern liess, plauderte sie von Dresden, von ihrer Familie. Sie blinzelte gegen die grelle Deckenbeleuchtung, lobte Matilda und ihren Verlobten. >>Madame,<< fing Fortunesku an, von Z?rtlichkeit und Gewissensbissen ?berw?ltigt, w?hrend er sich ihr gegen?ber den Schn?rsenkel festzog, >>wollen Sie zwei Worte von mir anh?ren. Ich bin, wie Sie sehen, Kavalier und Ritter. Ein Mann von meinem Temperament und Gewandtheit, in meinem Gesellschaftsrang ist nat?rlich von einer Vielseitigkeit, die anderen Berufsarten fremd erscheint. Ich hebe Lasten, ?ffne Schl?sser. Ich mache Scherze als Turner, die Uneingeweihte missverstehen.<<
Sie zog den Fenstervorhang vor ihr Gesicht: >>Ja, Sie k?nnen turnen wie kein Mensch auf der ganzen Erde.<< Die Bremse knarrte, die Wagen schaukelten; ein s?dlicher Vorort Dresdens blitzte. Cesarine rauschte hoch, stiess mit den F?ssen gegen Metall.
>>Aber heben Sie doch Ihre Sachen auf.<<
Unsicher l?chelnd stemmte Fortunesku, noch sitzend, die Arme in die Weichen; er streifte sich die geborstene Jacke ?ber.
Der lange Ruck, die weisse W?lbung der Bahnhofshalle. Gep?cktr?ger br?llten in die Fenster.
Sie drehte sich sanft, in Trauerhut und Schleier, zu ihm, der geb?ckt stand, hauchte: >>Sind Sie fertig?<<
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