Read Ebook: Hermann Lauscher by Hesse Hermann
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Ebook has 741 lines and 48471 words, and 15 pages
Der Wunsch meines Vaters, mich selber zu unterrichten, hielt dem allgemeinen Brauch und dem Rat aller Freunde und Verwandten nicht stand. Ich wurde einer ?ffentlichen Schule ?bergeben, hatte mehrere Lehrer, die j?hrlich wechselten, und litt unter allen ?belst?nden dieser Anstalten. Schule und Haus waren zwei streng getrennte Dinge, mein Gehorsam hatte zwei Oberh?upter, von denen das eine mit meiner Liebe, das andere mit meiner Furcht rechnen musste. Das erste ?bel lag darin, dass ich, von einem strengen Lehrer an h?ufige Schl?ge und Arrest gew?hnt, die v?terlichen Strafen bald nicht mehr in der fr?heren Weise achtete, so dass h?usliche Z?chtigungen ihren Wert verloren und meinem Vater dieser einfachste Austrag moralischer Unebenheiten allm?hlich unm?glich gemacht wurde. Daraus folgte f?r ihn unendlich viel Sorge und M?he und f?r mich viel Elend, da nun alle Besserungen und Verzeihungen erschwert waren und lange Zeit erforderten. In solchen kritischen Zeiten war ich manchesmal verzweifelt, krank vor Sorge und Wut, und plagte mich mit Elend, Scham, ?rger und Stolz. In der Schule ?bel behandelt, zu Hause von irgend einer begangenen ?beltat schweigend bedr?ckt, warf ich mich oft in der grossen Wiese zu Boden und rang schluchzend gegen eine unbekannte, grausame ?bermacht. Diese Stunden am Mittagstisch, wenn kein Gespr?ch m?glich war, wenn ich mit Angst an die n?chste b?se Schulstunde dachte, w?hrend eine zur?ckgedr?ngte v?terliche Strafrede den Eltern, den j?ngeren Geschwistern und sogar den Dienstboten in allen Mienen zu lesen war, diese schweigsamen, trotzigen Spazierg?nge mit meinem Vater, auf denen ich die Bitte um Verzeihung oder sonst eine Aussprache, welche er erwartete, aus Trotz und Scham in mir niederhielt, liegen mir noch mit aller Schwere hart und widerlich im Ged?chtnis.
Da meine Unruhe und einged?mmte Leidenschaftlichkeit und Lebensf?lle Raum forderte, warf ich mich auf die mir bisher fremden Knabenspiele mit aller Wildheit meiner jungen Sinne. Ich sprang bald allen Kameraden voran, als Turner, als Feldherr, als R?uberhauptmann oder Indianerh?uptling, am hitzigsten, wenn zu Hause schlechtes Wetter war. Meine Eltern und am meisten die bek?mmerte Mutter sahen mich mit Trauer in den Ruf eines Wildfangs und Anstifters geraten, w?hrend ich unter ihren Augen meistens stumm und bedr?ckt umherschlich.
In meinem dritten Schuljahre hatte ich eines Tages einem armen Handwerker in unserer Strasse mit meiner Schleuder ein Fenster eingeworfen. Der Mann lief zu meinem Vater, erz?hlte ihm meine, wie er glaubte, absichtlich begangene Tat und f?gte noch hinzu, dass ich auch ausserdem ein Tunichtgut und Strassentyrann w?re. Als am Abend mein Vater mir dies alles wieder berichtete und auf ein Gest?ndnis drang, war ich ?ber den Ankl?ger so emp?rt, dass ich auch den unbestreitbar geschehenen Fensterschuss hartn?ckig leugnete. Ich wurde ungew?hnlich hart gez?chtigt und glaubte nun vollends meinen Trotz nicht brechen lassen zu d?rfen. So verhielt ich mich einige Tage scheu und feindselig, w?hrend mein Vater schwieg und ein Schatten auf dem ganzen Hause lag. In diesen Tagen war ich ungl?cklicher als jemals vorher. Nun musste mein Vater f?r eine Woche verreisen. Als ich an jenem Tag aus der Schule kam, war er schon abgereist und hatte ein Brieflein f?r mich dagelassen. Nach Tisch begab ich mich in die oberste Bodenkammer und ?ffnete den Brief. Ein sch?nes Bild fiel heraus, und ein Zettel von der Hand des Vaters:
>>Ich habe dich f?r ein Vergehen gestraft, das du nicht gestanden hast. Hast du die Sache dennoch begangen und mich also angelogen, wie soll ich dann noch mit dir reden? Ists anders, dann habe ich dich mit Unrecht geschlagen. In einer Woche, wenn ich wiederkomme, sollte doch einer von uns dem andern verzeihen k?nnen.
Dein Vater.<<
Den ganzen Tag lief ich beklommen und erregt mit dem Zettel in Haus und Garten herum. Dieses Wort von Mann zu Mann erf?llte mich mit Stolz und Reue und traf mich im Herzen, wie kein anderes Wort es h?tte k?nnen. Am n?chsten Morgen kam ich mit dem Blatt ans Bett meiner Mutter, weinte und fand keine Worte. Darauf ging ich im Hause umher wie nach einer langen Abwesenheit, alles war so alt und neu, war mir wiedergeschenkt und von einem Bann erl?st. Abends sass ich seit langer Zeit zum erstenmal meiner Mutter zu F?ssen und h?rte sie erz?hlen wie in den Kleinkinderjahren. Es kam so s?ss und m?tterlich von ihrem Munde, aber was sie erz?hlte, war kein M?rchen. Sie sagte mir von Zeiten, da ich ihr fremd geworden sei, und wie da ihre Angst und Liebe mich begleitete; sie besch?mte und begl?ckte mich mit jedem Wort, und dann redeten wir beide mit Namen der Liebe und Ehrfurcht von meinem Vater und freuten uns mit Sehnsucht auf seine Heimkehr.
Der Tag seiner Zur?ckkunft war zugleich der letzte Tag vor meinen Sommerferien und vollendete so mein Gl?ck. Nach einer kurzen Unterredung kam der Vater mit mir aus seinem Studierzimmer hervor und f?hrte mich der Mutter zu, indem er sagte:
>>Hier hast du unseren Buben wieder, Mama. Er geh?rt seit heute wieder mir.<<
>>Mir schon seit einer Woche!<< rief sie l?chelnd dagegen, und wir sassen fr?hlich zu Tische.
Die mit diesem Tag beginnende Ferienzeit liegt in meinen Schuljahren wie ein umz?unter, gr?ner Garten. Tage voll Sonne, Abende mit Spiel und Geplauder, N?chte festen Schlafs mit gutem Gewissen! Jeden Abend wanderte mein Vater Hand in Hand mit mir in einen Steinbruch, der eine halbe Stunde weit vor der Stadt lag. Dort bauten wir H?user und H?hlen, schleuderten Steine nach dem Ziel und h?mmerten nach Versteinerungen. Auf dem R?ckweg tranken wir Milch und assen Brot in einem Meierhof und verzichteten darauf stolz auf das m?tterliche Abendessen, die Mutter mit allerlei Geheimnissen neckend und uns jedes Meisterwurfes und jedes gefundenen R?tels oder Glitzersteines r?hmend. Mein Vater erwies sich als Pfadfinder, J?ger, Scheibensch?tz und Erfinder. Halbe Tage wanderten und ruhten wir in Wiesen und an Waldabh?ngen, ganz mit uns allein, einen Brotlaib in der Tasche, Wege entdeckend und Pflanzen sammelnd, und ich sp?rte etwas davon, dass mein Vater seine eigene Jugend wieder aufsuchte und sich seiner erfrischten Brust und seiner ger?teten Wangen erfreute, denn er war von zarter Gesundheit und wurde viel von Kopfschmerzen und anderen Leiden heimgesucht. Nun wanderten wir wie zwei Knaben miteinander, schnitten Lanzen, liessen Drachen steigen, gruben im Garten und zimmerten im Hofraum allerlei Ger?t und Kasten zusammen.
In dieser Zeit etwa begann mein Ohr zu erwachen und meine Phantasie sich mit Melodien zu besch?ftigen. Ich liebte es, in Freistunden zum M?nster zu gehen und mich durch das Tor zu schleichen, um das Spiel des Organisten zu h?ren, der stundenlang dort sich seiner Kunst erfreute. Ich summte und sang auf dem Schulweg, im Garten, sogar im Bette, und pr?gte mir viele Chor?le und Liedermelodien fr?he ein.
Und mit neun Jahren, an meinem Geburtstage, schenkten mir die Eltern eine Geige. Von diesem Tage an ist das hellbraune Geiglein auf allen Fahrten mit mir gegangen, viele Jahre lang, und von diesem Tage an hatte ich ein Abseits, eine innere Heimat, eine Zuflucht, wo seither unz?hlige Erregungen, Freuden und K?mmernisse sich versammelten.
Der Lehrer war mit mir zufrieden. Mein Geh?r und Ged?chtnis war scharf und peinlich treu, und allm?hlich zeigte sich im Lauf der Lehrjahre das, was den Geiger macht, der feste, f?hige Arm, das freie Gelenk, die ausdauernden, kr?ftigen Finger.
F?rs erste erwies sich leider die Musik als ein unerwartetes ?bel, denn sie nahm mich fast v?llig gefangen und verleidete mir den Sch?lerfleiss. Dagegen lenkte sie meinen Ehrgeiz und meine Knabenwildheit von den gr?beren Spielen und Freveln ab, sie milderte meine Hitze und Leidenschaft, sie machte mich schweigsam und vertr?glich. Ich wurde keineswegs zum Geiger erzogen, mein Lehrer war sogar ein Dilettant, daher war der Unterricht mir ein Vergn?gen und zielte weniger auf strenge ?bung und Pr?zision, als auf ein baldiges Etwask?nnen. Der erste Choral, zum Geburtstag der Mutter gespielt, war ein festliches Ereignis. Und alsdann die erste Gavotte, die erste Haydnsonate! Ich war selber voll Freude und Eitelkeit, aber allm?hlich sp?rte meine Natur doch einen Mangel, so dass ich vor einem gewissen flotten Strich, einer Dilettantenverve gef?hrlicher Art, bewahrt blieb. Die Schule ging neben dem her und behielt f?r mich alle die Jahre bis zum vierzehnten hindurch die Schw?le einer Zwangsanstalt. Wie viel von meinen Leiden und meiner Verbitterung, neben meinen eigenen Fehlern, der ganzen Erziehungsart zur Last f?llt, kann ich nicht urteilen; aber in den acht Jahren, welche ich in den niederen Schulen zubrachte, fand ich nur einen einzigen Lehrer, den ich liebte und dem ich dankbar sein kann. Wer die Kindesseele ein wenig kennt und selber einen Rest ihrer Zartheit sich bewahrt hat, der kennt das Leiden, dessen ein Schulknabe f?hig ist, und zittert noch in Scham und Zorn, wenn er sich der Rohheiten mancher Schulmeister erinnert, der Qu?lereien, der ber?hrten Wunden, der grausamen Strafen, der unz?hligen Schamlosigkeiten. Wahrlich, ich meine nicht die fleissige Rute, deren jeder Knabe bedarf; ich meine aber die Frevel, die an dem Glauben und dem Rechtssinn des Kindes geschehen, die rohen Antworten auf sch?chterne Kinderfragen, die Gleichg?ltigkeit gegen den Trieb der Kindheit nach einer Einigung ihrer st?ckweise erworbenen Kenntnis der Dinge, den Spott als Antwort auf kindergl?ubige Naivet?ten. Ich weiss, dass ich nicht allein in solcher Weise gelitten habe, und dass mein Unwille dar?ber und meine Trauer um zerst?rte und verk?mmerte Teile meiner jungen Seele nicht die Verbitterung eines nerv?sen Einzelnen ist; denn ich habe von vielen diese Klagen geh?rt. Ich weiss wohl mit der eigent?mlichen Art des Knabenalters zu rechnen, als einer heiklen, problematischen Zeit der Scheidungen, Beschneidungen und H?utungen, voll von schwer verst?ndlichen Erregungen und Exzessen; aber ich kann mich der Trauer und der Anklage nicht enthalten. Die ganze Zeit meines sp?teren Lebens bin ich mit einer besonderen Vorliebe den kleinen Knaben zugetan gewesen und fand gar oft meine ehemaligen ?ngste in err?tenden Knabengesichtern wieder.
Es widerstrebt mir, einige dieser Bitternisse aufzuzeichnen, meine Erinnerung irrt in dieser Zeit der verwelkenden Kindheit und erwachsenden J?nglingszeit befangen und bedr?ckt umher.
Hell und verkl?rt von Verehrung und Liebe zeigen sich mir die Unterweisungen, die ich in Garten, Feld und Studierzimmer von meinem Vater genoss. Diese schlossen mir die verschwisterten Reiche der Geschichte und der Dichtung auf. Mit gekr?nten K?nigen und geschlagenen Duldern, mit Heerz?gen und prachtvollen St?dten breitete sich die Geschichte der Griechen aus, und die der R?mer mit ruhmbekr?nzten Siegern, unterjochten Erdteilen und fabelhaften Triumphz?gen, neben welcher Pracht und H?he lange Zeit die Jagden und blutigen Wanderungen der ?ltesten deutschen Zeit mir wenig Freude machten.
Der freundschaftlich in Frage, Antwort und Erz?hlung erteilte v?terliche Unterricht legte einen guten Grund in mir. Was in der Schulstube und im Mund der Lehrer mir langweilig und peinlich erschien, gewann hier anziehende Formen und schien mir alles ernstlichen Fleisses w?rdig.
In meiner Klasse pflegte ich, obwohl ich nie ein Lehrerliebling war, meist mich auf den oberen Pl?tzen zu halten und besonders im lateinischen Unterricht mir gute Zeugnisse zu erwerben. Die lateinische Sprache lernte ich leicht und mit Eifer, sie blieb durch meine Sch?lerzeit und durch mein Leben mir befreundet und gel?ufig.
So fand man mich zur Vorbereitung auf den Eintritt in eine schw?bische gelehrte Schule w?rdig. Das Examen wurde leidlich bestanden. Meine erste Schulzeit war zu Ende und ein sommerlicher Ferienmonat lag vor dem ehrgeizig erstrebten Eingang der gelehrten Klosterpforte.
In diesen Ferien las mir mein Vater zum erstenmal Lieder Goethes vor. >>?ber allen Wipfeln<< war sein Liebling.
An einem silbernen Abend, im fr?hen Monde, stand er mit mir auf einem bewaldeten Berge. Wir atmeten vom Steigen aus und schwiegen nach einem ernsten, herzlichen Gespr?ch vor der Sch?nheit der mondhellen, stillen Landschaft.
Mein Vater setzte sich auf einen Stein, blickte rundum, zog mich zu sich nieder, schlang den Arm um mich und sprach leise und feierlich jenes unergr?ndliche, wunderbare Lied:
?ber allen Gipfeln Ist Ruh. In allen Wipfeln Sp?rest du Kaum einen Hauch, Die V?glein schweigen im Walde, Warte nur, balde Ruhest du auch.
Hundertmal habe ich seitdem diese Worte geh?rt und gelesen und gesprochen, in hundert Lagen und Stimmungen -- die V?glein schweigen im Walde -- und jedesmal befiel mich eine milde, herzl?sende Schwermut, und jedesmal senkte ich dabei das Haupt und hatte ein seltsam wehes Gl?cksgef?hl, als k?men die Worte aus dem Munde meines an mich gelehnten Vaters, als f?hlte ich seinen Arm um mich gelegt, und s?he seine grosse, klare Stirn, und h?rte seine leise Stimme.
Die Novembernacht. Eine T?binger Erinnerung.
?ber T?bingen hing eine schwarze, verw?lkte Novembernacht. Sturm und Spr?hregen klirrte und zitterte durch die engen Gassen, aufflackernde rote Laternenlichter gl?nzten tr?b auf dem nassen Pflaster wider. Tr?b und schwarz mit zwei, drei kleinen roten Fensteraugen lag das alte Schloss wie ein halbschlafendes tr?ges Untier auf seinem langen H?gel, Fetzen von Wolkenschleiern um die spitzen D?cher. In den grossen, ernsten Alleen standen die alten Kastanien, Linden und Platanen kahl und hager im Sturm wie eine tr?bselig standhafte Armee von Greisen. Bl?tterwirbel trieben ?ber die feuchten Wege, faul und grau lagen die grossen Herbstwiesen, an den R?ndern da und dort von einer windscheuen Laterne zackig und roh beleuchtet. Der langgezogene, m?de Pfiff des letzten Reutlinger Zuges drang vom nahen Bahnhof durch die schwere Luft und passte mit seinem heiseren, hinsterbenden Ger?usch vortrefflich in die Tonart des ganzen Abends.
In den Pausen des Sturmes ward das k?hle Rauschen des Neckars laut. Die Ufer lagen tief in graue, traurige Ruhe geh?llt und von den vielen hellen liederlauten Sommerabendfesten war keine leise Spur mehr geblieben, so wenig dem breiten, traurigen Stiftsgeb?ude noch eine Spur von den zahlreichen, gl?nzenden Geistern anhing, die darin vor Zeiten schw?rmerische, d?mmernde Jugendsemester verlebten. Es seien denn einzelne nachklingende, elegische Laute aus der umflorten Harfe des armen H?lderlin. Statt dessen brannte dort die strenge, fleissige Gegenwart in zahlreichen Studierampeln ?ber die ganze Breitseite des Stifts verteilt und gl?nzte mattrot durch die breiten, niederen Fenster. Dort lagen jetzt Kompendien, W?rterb?cher und Texte ohne Zahl vor ernsthaften, jungen Augen aufgeschlagen, Ausgaben des Platon, Aristoteles, Kants, Fichtes, vielleicht auch Schopenhauers, Bibeln in hebr?ischer, griechischer, lateinischer und deutscher Sprache; vielleicht br?tete hinter diesen Fenstern zur Stunde ein junges, philosophisches Genie ?ber seinen ersten Spekulationen, w?hrend zugleich ein zuk?nftiger schwergeharnischter Apologet die ersten Steine seines Trutzgeb?udes legte.
Zwei junge M?nner, die jetzt von der unteren Neckarbr?cke her durch die Platanenallee gegangen kamen, blickten lachend hin?ber und zeigten wenig Respekt vor der ernsten zukunftschwangeren Geistesburg. Sie wandelten, in grauen Lodenm?nteln, des Regens ungeachtet, langsam durch die st?rmende Herbstnacht. >>Hast du noch was drin?<< fragte der Kandidat Otto Aber seinen Begleiter, worauf dieser, der Dichter Hermann Lauscher, eine bauchige Benediktinerflasche aus der Manteltasche zw?ngte und dem Kandidaten reichte.
>>Der letzte Schluck!<< rief dieser und schwenkte die Flasche gegen das jenseits des Flusses ragende Stift. >>Prosit Stift!<<
Er leerte die Bouteille mit einem kurzen Schluck.
>>Was machen wir mit dem Scherben?<< fragte Lauscher. >>Wir k?nnten auf die Wache gehen und ihn der lieben T?binger Stadtpolizei verehren.<<
>>Was Stadtpolizei!<< lachte Aber. >>Da!<< und er schleuderte die Flasche ?ber den Neckar, dass sie an einem Pfeiler des Stiftsbaues zersplitterte. >>Jetzt wohin?<<
>>Ja wohin?<< sagte Lauscher nachdenklich. >>In der Steinlach krepiert man am Wein, in der Silberburg ist die Schorschel nimmer da, im Kaiser s?uft der Roigel, in der Sonne ists zu voll, im L?wen --<<
>>Halloh, in den L?wen!<< rief Aber. >>Mir f?llt ein, dass der S?belwetzer und der Elenderle heut abend dort sind und die Mensur vom Donnerstag verschwellen. Komm! ?brigens ists ein Sauwetter.<<
Der Kandidat zog seinen langen Mantel enger an sich und schlug ein rascheres Tempo an.
>>Was rennst du!<< rief Lauscher. >>F?r uns ist das Wetter lang gut genug. Mir passt's so besser, als Lump im Sonnenschein zu spielen. Wenn der Benediktiner nicht ausgepfiffen h?tte, w?r ich f?r eine Naturkneipe. Ausserdem ist der S?belwetzer langweilig und der Elenderle wird schon bald wieder am Heulen sein. -- Trinken sie Uhlbacher? Dann geh ich nicht mit, der Uhlbacher vom L?wen hasst mich. Aber was versteht ihr von Wein!<<
>>Weinprotz!<< lachte Aber. >>Nein, sie haben eine uralte Moselwette dort stehen, oder Winkler oder was ?hnliches. Jedenfalls was besseres. -- Dabei f?llt mir ein: warum gr?nden wir eigentlich nichts? Wir vier oder f?nf hocken doch ewig zusammen, man k?nnte den Appenzeller und so ein paar Bierh?hner mitlotsen, es g?be so was wie eine Ausstellung der Zur?ckgewiesenen.<<
>>Gr?nden?<< brauste Lauscher auf, der damals das sp?tere c?nacle noch nicht ahnte. >>Lieber werd ich Eremit.<<
>>Warum nicht gar! Es g?be ein Kollegium von Ausgetretenen aus allen fashionablen Verbindungen, oder von Rettungslosen aus allen Fakult?ten. Der Elenderle w?rde die S?ndenlast der Gesellschaft in Tr?nen umsetzen, der S?belwetzer bek?me ein Dauerpaukwams und w?rde auf alle Waffen f?r uns losgehen, ich w?re die Bierkommission, du Schrift- und Weinw?rtel . . .<<
>>Und so weiter. Schon gut.<<
>>Der Appenzeller w?rde sich un?bertrefflich dazu qualifizieren, Mitteilungen und Forderungen der Gesellschaft den Chargierten der Verbindungen zu ?berbringen. Der Nebukadnezar w?re ein censor morum ohnegleichen. Der Kaisser hat einen Onkel, der Weinberge besitzen soll; der Schnauzer ist reich und dumm --<<
>>Und dann w?rden wir eine Kneipe mieten und zweimal in der Woche >Altheidelberg< und >es geht ein Lumpidus< miteinander singen. Und F?chse keilen. Und Pr?sidepauken schwingen. Ich danke.<<
>>Warum? Wir k?nnten im Schwarzw?lder kneipen und im Komment alle anst?ndigen Lok?ler verbieten. Z. B.: Wer im Ochsen oder im Innern der Aula betroffen wird, zahlt eine Mark Busse. Wer fachsimpelt, zahlt zwei Mass . . .<<
>>Nein, bitte, du f?ngst wieder an nach Komment zu riechen.<<
Die Freunde waren auf der alten Br?cke angelangt. Aus der Kneipe der Burschenschaft klang lauter Chorgesang. Der Neckar str?mte wild um den breiten Br?ckenpfeiler, auf dem raschen Wasser gl?nzten unruhig die Laternenlichter, schwarz und grossartig streckte sich die Platanenallee in die Nacht. Vom Turm der Stiftskirche t?nte das Stundenhorn, zackig und wechselvoll beleuchtet, stand die malerische H?userreihe des hohen Neckarufers bis zum alten Stift hinab. Beide Freunde schwiegen, so lange sie ?ber die Br?cke gingen. Vielleicht stieg beim Anblick der sch?nen, n?chtlichen Stadt, beim Rauschen des Neckars und Singen der Studenten in beiden das Erinnern an die kaum vergangenen Tage auf, da ihnen noch die eigent?mliche, romantische Sch?nheit und Stimmung dieser Stelle ahnungsvoll und freudig ans Herz ger?hrt hatte, da sie noch mit der Hoffnung und dem ganzen s?ssen, krausen Stimmungsduft der ersten Semester hier gegangen waren.
Sie bogen um die Br?ckenm?hle, stiegen die steile Gasse zum Holzmarkt hinauf, gingen an der Stiftskirche vor?ber, ?ber die schmale Kirchgasse und den ?den Markt an der Sonne vorbei und gelangten durch N?sse und Schmutz an die Hintert?r des L?wen, durch welche man ?ber drei steile Stufen hinab direkt in das >>Nebenzimmer<< tritt. Ehe sie eintraten, blickten sie durch eins der niederen Fenster in die schmale Stube hinab und sahen Elenderle und S?belwetzer am letzten Tisch beim Wein sitzen.
>>Sie trinken Winkler!<< frohlockte Aber. >>Hab ich's nicht gesagt? Du meldest dich mit deiner Blume, wegen ungeb?hrender Respektlosigkeit.<<
>>Prolet! Meinetwegen,<< murrte Lauscher, und trat zuerst in die schmale T?r. Aber folgte nach, drehte unwillig ein an der Wand h?ngendes Gerolsteiner Mineralwasserplakat um und liess sich von der herzueilenden Wirtstochter Mathilde den Mantel abnehmen.
Jetzt bemerkten die Weintrinker die Ankommenden.
>>H?chste Zeit,<< rief der S?belwetzer. >>Wollet ihr trinken? Wollet ihr ein Bad nehmen? Wollet ihr euch ers?ufen? An Winkler fehlt es nicht. Mein Leben mach ich keine solche Wette mehr. F?nfzehn Flaschen, ists nicht zum Langweiligwerden?<<
>>Keine Angst!<< rief Lauscher. >>Mathilde, zwei Gl?ser!<< Er pr?fte eine der im K?bel stehenden Flaschen und schenkte ein. >>Meine Blume, Aber!<<
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