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Read Ebook: Henriette Goldschmidt: Ihr Leben und ihr Schaffen by Pr Fer Johannes Siebe Josephine

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Ebook has 229 lines and 39308 words, and 5 pages

Henriette Benas heiratete im Jahre 1853 einen Verwandten, den Prediger an der deutsch-j?dischen Gemeinde in Warschau, Dr. Abraham Goldschmidt. Diesmal brauchte es keiner schweren ?berlegung, sie f?hlte rasch heraus, dieser Mann war ihr geistesverwandt, und in einer langen, beide Gatten begl?ckenden Ehe hat sie niemals den Schritt bereut, der sie, wie sie es sp?ter oft nannte, nach Halbasien f?hrte.

Der Mann ihrer Wahl, ein Neffe ihres Vaters, stammte aus einer kinderreichen, in bescheidenen Verh?ltnissen lebenden Familie. Auch seine Studien erstreckten sich zuerst wie die des Grossvaters auf das Hebr?ische, doch auch wie dieser strebte er weiter und suchte sich deutsche Geistesbildung anzueignen. Er ging nach Breslau, um dort zu studieren. Er ging im wahrsten Sinne des Wortes, denn seine beschr?nkten Mittel reichten nicht zu einer Postfahrt aus. K?mmerlich genug musste er sich durchschlagen, es gelang ihm aber doch, das Gymnasium zu besuchen, sich weiterzubilden, und nach einigen Jahren erhielt er eine Anstellung an der j?dischen Elementarschule in Krotoschin. Damals wurde kurze Zeit die junge Henriette seine Sch?lerin, und von diesem Lehrer h?rte sie auch die erste Predigt in deutscher Sprache. Es war bei einem Besuche, den er seiner Mutter in Krotoschin machte, als man ihn aufforderte, in einem sehr d?rftigen Betsaal eine deutsche Predigt zu halten. Zu dieser nahm der Vater Benas seine kleine Tochter mit, er stellte diese auf seinen Sitzplatz, damit sie in dem ?berf?llten Saal gesch?tzt blieb. Die Erinnerung an dies Ereignis hielt sie fest, und als nach Jahren der Vetter, ein gereifter Mann, vor sie trat - er hatte in Breslau weiterstudiert, war jetzt Prediger in Warschau, hatte geheiratet und seine Frau verloren - gab sie ihm nach kurzem Sichkennenlernen das Jawort; es schreckte sie nicht, dass sie gleich die schwere und verantwortungsvolle Pflicht auf sich nahm, drei Knaben zu erziehen, von denen der ?lteste zehn Jahre alt war.

Dr. Goldschmidt war ein freigeistiger Mann, dem jede Orthodoxie fernlag, zu ihm konnte seine Frau auch das Wort sagen: ,,Meine Erzv?ter sind Schiller, Lessing und Goethe."

Henriette Goldschmidt hat sich dabei immer zum Judentum bekannt, zu der monotheistischen Weltanschauung. Sie sagte davon: ,,Wenn auch der Kultus im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Formen angenommen hat, so ist doch der innerste Gedanke in der Gesamtheit derselbe geblieben. Das Grundprinzip, der Einheitsgedanke, der Monotheismus bleibt unangetastet. Diese Bemerkung erkl?rt auch meinen eigenen Standpunkt. Ganz und gar erf?llt von dem, was der deutsche Geist gezeitigt hat, und begeistert von den Idealen, die der deutsche Genius zu gestalten strebt, ist mir die Tradition meiner V?ter heilig geblieben. Die Einheitsidee alles Seins ist als religi?se Idee Monotheismus."

In dieser Grundanschauung fanden sich die Gatten, und Henriette Goldschmidt-Benas hat daran festgehalten. Auch hier zeigte sich die gerade Linie, die durch ihr ganzes Leben geht, dieses unverr?ckbare Sich-selbst-treubleiben. Bei dieser Denkungsart musste es sp?ter die Greisin, die von jeher allen Ausw?chsen des Judentums ganz fern stand, tief schmerzen, als sie den wachsenden Antisemitismus der Kriegsjahre noch erlebte, wie sie ihn schon in den siebziger Jahren erlebt hatte. Ihr reiner, hoher, nur dem Geistigen zugewandter Sinn konnte diese Bewegung einfach nicht verstehen. Zu einer j?ngeren Freundin sagte sie einmal, es war kurz vor ihrem Tode bei einer Auseinandersetzung ?ber die Gr?nde, die zum Antisemitismus f?hren k?nnen, ganz still und feierlich wie ein Gebet das Goethesche Wort:

Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord- und s?dliches Gel?nde ruht im Frieden seiner H?nde.

Nur an eines Mannes Seite, der so vollkommen die gleiche Einstellung zur Welt hatte, konnte Henriette Benas das Leben in Warschau ertragen. Sie schrieb: ,,An unserem Verlobungstage sagte mein Br?utigam zu mir, wenn ich nicht die Hoffnung hegte, nach Deutschland zur?ckzukehren, w?rde ich nicht dein Schicksal an das meine gekettet haben! Die Bedeutung dieses Ausspruches habe ich erst w?hrend meines Aufenthaltes in Warschau erkannt!"

Gott sch?tz' uns vor dem Frankenkind Und vor dem Zaren, deinem Schwager.

Zaristische Tyrannei und in dies Land ein junges Weib, in dessen Herzen die Lieder der vierziger Jahre bluteten. Sie sang wohl mit heller Stimme in ihrer Stube Herweghsche Lieder, innerlich noch ganz in dieser grossen Bewegung lebend.

Als sie mit ihrem Gatten die russische Grenze passierte und beide sahen, wie ein Beamter einfach ganze Seiten eines Buches schwarz ?berstempelte, sagte der Mann leise zu seiner jungen Frau: ,,Wenn die w?ssten, welche Bibliothek ich in dir ?ber die Grenze bringe!" Sie berichtet ?ber ihren ersten Eindruck in Warschau: ,,Ich kam aus der Hauptstadt der polnischen Provinz Posen, die Preussen einverleibt war; so ganz fremdartig h?tten mich die Verh?ltnisse nicht ber?hren sollen, und doch war mir alles so fremd und unheimlich. Zun?chst in R?cksicht auf die j?dische Bev?lkerung, die unter einem besonderen Drucke lebte. Die preussische Regierung war bestrebt, die Kultivierung des Landes und aller seiner Bewohner im Sinne des fortgeschrittenen Geistes seines Staats- und Volkslebens zu beeinflussen. So war es mir in dem grossen gl?nzenden Warschau, als w?re ich in einem Traumlande; ich f?hlte mich um Hunderte von Jahren in einen gewesenen Zustand versetzt. Unheimlich war es mir bei jeder Ber?hrung mit den ?usseren Verh?ltnissen zumute, und am liebsten w?rde ich mit Mann und Kindern zur?ckgewandert sein und w?re es auch nach Krotoschin gewesen."

Aber Mann und Kinder bildeten bald das unl?sbare Band, das die junge Frau in der Fremde hielt. Die drei Kinder, drei begabte gutartige Knaben, schlossen sich bald mit grosser Liebe an die lebhafte geistvolle zweite Mutter an. Eine kleine Geschichte zeigt, wie innig dieses Verh?ltnis war; der j?ngste Sohn Benno, den die Neunzigj?hrige noch ,,mein Bennochen" nannte, trug noch Kleidchen, als ihm Henriette Goldschmidt Mutter wurde. Bald darauf aber sollte er in H?slein gehen, die ?lteren Br?der sp?ttelten schon ?ber das ,,M?dchen", da sagte die junge Stiefmutter einmal: ,,Ach, es gef?llt mir gar nicht, dass du nun auch schon ein grosser Junge in Hosen sein wirst", und der Kleine antwortete treuherzig: ,,Wenn's dir lieber ist, Mamachen, kann ich ja noch ein M?dchen bleiben."

Diesen starken inneren Anhalt an Mann und S?hne brauchte die junge Frau aber auch. Im Hause sass ihr der Unfriede. Die Mutter der verstorbenen, liebensw?rdigen und begabten Frau tat der zweiten Gattin, wie es in alten Volkserz?hlungen heisst, wirklich alles gebrannte Herzeleid an. Sie erschwerte ihr das Leben in dem d?steren Hause der engen Gasse, und draussen lauerte das Grauen; denn die Aussicht, die Henriette Goldschmidt hatte, wenn sie einmal an das Fenster trat, war das Gef?ngnis. Die Pr?gelstrafe war damals ein Hauptbesserungsmittel des zaristischen Russland, und das Schreien der armen Opfer gellte in die d?stere Wohnung hinein.

Gl?cklicherweise gab es ein sch?nes geistiges Miteinander der Gatten; in Dr. Goldschmidts B?cherei standen die deutschen Klassiker, stand manch verbotenes Buch der vierziger Jahre. Gleichgesinnte Freunde fanden sich und an manchem Abend ert?nten hinter fest verschlossenen Fenstern die deutschen Freiheitslieder. Da wurden mit verteilten Rollen Schillers Werke gelesen und alles in allem, trotz den schweren ?usseren Verh?ltnissen, brachte das Leben in Warschau Henriette Goldschmidt doch auch wieder innere Bereicherung. Eine harte Schule hat sie es selbst genannt. ,,Einen H?llentraum konnte man mein Leben in Warschau nennen und wiederum ein harmonisch sch?nes Leben. Dass aber diese Mischung den Wunsch in mir rege erhielt, den Boden zu verlassen, auf dem ich niemals heimisch werden konnte, war nat?rlich."

Nach reichlich f?nfj?hrigem Aufenthalte schlug der Familie die Stunde der Erl?sung. In den Erinnerungen heisst es: ,,Und wie ein Wunder erschien es mir, als nach f?nf Jahren meines Aufenthaltes in Warschau mein Schicksal die Wendung nahm, nach der auch mein Mann sich sehnte. Es war das bedeutendste, folgenreichste Ereignis meines Lebens, als er den Entschluss fasste, die Stellung eines Predigers bei der israelitischen Gemeinde in Leipzig zu ?bernehmen. Als wir die Grenze ?berschritten hatten, das unter dem zaristischen Drucke seufzende Land hinter uns liegen sahen, war es mir, als h?rte ich das erste Bundeswort am Sinai: ,Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich gef?hrt hat aus ?gypten, dem Lande der Knechtschaft, in ein freies Land!'"

Es ist Henriette Goldschmidt immer bedeutungsvoll erschienen, dass sie gerade im Schillerjahr 1859 nach Deutschland zur?ckkehren konnte. Freilich in einem wirklich freien Lande lag Leipzig, in das die Familie gerade im Trubel der weltber?hmten Messe einzog, auch nicht. Aber befreit f?hlten sich die Gatten mit ihren drei S?hnen doch, es war das ein andres Atmen; Henriette Goldschmidt schrieb dar?ber: ,,Zwar ein Land der Freiheit konnte man Deutschland am wenigsten in den f?nfziger Jahren nennen, denn dem Jahre 48 folgte die Zeit der Reaktion auf dem Fusse. Jede freie Regung wurde unterdr?ckt, die besten M?nner wurden als Verbrecher ins Gef?ngnis gesetzt oder sie entzogen sich dem durch die Flucht ins Ausland. Doch nicht schlaff und feige liess man die Machthaber gew?hren; der Kampfplatz, den das Jahr 1848 geschaffen hatte, blieb nicht ohne K?mpfer. Nur die Waffe wurde gewechselt, mit der Waffe, die das Volk von ,Gottes Gnaden' erhalten, mit den Worten seiner Denker und Propheten f?hrte es den Kampf."

,,Schillers Glocke, Schillers Locke, Schillers Faust und Schillers Tell" -

Aber doch war ihr Herz, ihr ganzes Sein erf?llt von dem Erleben dieses Jahres, sie tauchte hinein wie in eine Kraftquelle nach der tr?ben ?usseren Gebundenheit ihrer Warschauer Tage. ,,Wer damals jung und doch alt genug war", schreibt sie, ,,um die Zeichen der Zeit zu verstehen, der musste am 10. November 1859 den Nachklang des 18. M?rz vernehmen. Es war der deutsche Volksgeist, dem eine Begeisterung f?r V?lkerfreiheit, Menschenliebe, f?r alles Ideale entstr?mte, die jeder Beschreibung spottet.

Dem Dichter des hohen Liedes ,An die Freude' galt das Fest - ihm, der selbst freudetrunken in dem Glauben an die Verwirklichung seiner Ideale uns alle mit diesem Zaubertranke berauschte. Es war ein Rausch in dem Sinne, dass er zeigte, was der Trunkene f?hlt und denkt. Viele der M?nner, die 49 im ersten deutschen Parlament gesessen, waren Festredner bei den ?ffentlichen Versammlungen. Jakob Grimm und neben ihm die ,wahrhaft Edlen' der Nation gaben Zeugnis von dem Zusammenhang des Volksgeistes mit seinem dichterischen Genius. Man h?rte weniger Literarisches, man f?hlte nur den Verk?nder, den Propheten, den Erl?ser, der dem von der Reaktion zur?ckgedr?ngten Streben nach Freiheit Worte verliehen hatte.

Als ich in mittern?chtiger Stunde des 9. November auf dem Marktplatz in Leipzig mit nur wenigen Bekannten stand und die H?lle von dem hochaufgerichteten Standbild Schillers fiel, da war es mir, als h?rte ich die Worte des jetzt l?ngst vergessenen Dichters Karl Beck:

,L?chle nur, du Mann im Leichenhemde - Die Freiheit naht - des Fr?hlings Herrlichkeit - sie ist dein Zauberm?dchen aus der Fremde'."

Mit Mann und S?hnen ging Henriette Goldschmidt auf die Leipzig umgebenden D?rfer, die Feiern des Volkes zu sehen; sie erlebte Grosses, Erhebendes, sah heiter ?ber unfreiwillige Entgleisungen hinweg, und als Rest blieb ihr doch das grosse tiefe Erleben. -

Sie feierte Schillers Geburtstag noch bis in ihre hohen Altersjahre hinein, ihr war der 10. November immer ein Abglanz von 1859, sie erlebte aber noch wehm?tig ein Abebben der grossen Begeisterung. Als ihr an einer dieser Feiern der Urenkel Schillers vorgestellt wurde, kam die Greisin ganz ersch?ttert von der grossen ?hnlichkeit dieses Nachkommen mit ,,ihrem Schiller" heim. Auch die Freude erlebte sie, dass die deutschen Frauen sich zusammentaten und zum 100. Todestage Schillers f?r die Schillerstiftung in Weimar sammelten und dieser ?ber eine viertel Million zuf?hrten. Sie war 1905 mit in Weimar als Ehrenvorsitzende des Schillerverbandes deutscher Frauen und sass bei Tisch neben dem - russischen Gesandten. Und wie Henriette Goldschmidt immer die Zusammenh?nge zwischen den Ereignissen zu suchen pflegte, so erfasste sie auch gleichsam die Schillerfeier von 1859 symbolisch, sie gibt ihren Eindruck in Beziehung zu ihrem Leben in den Worten Ausdruck: ,,Die Hundertjahrfeier von Schillers Geburtstag war f?r mich keine Episode, sie war ein Erlebnis. Zum ersten Male war ich als B?rgerin in einer wirklich deutschen Stadt. Ich hatte den Boden gefunden, der mir geliebter N?hrboden gewesen war von Kindesbeinen an, ich f?hlte den Pulsschlag des Geistes, der mich beseelte."

Der hohe Aufschwung des Jahres, das sie nach Deutschland zur?ckgef?hrt hatte, hallte in Frau Henriette nach, und sie lebte sich rasch in die neuen Verh?ltnisse ein. Leipzig wurde ihr wirklich Heimat, sie wurde die Stadt ihres Wirkens, die sie nur noch f?r kurze Reisewochen verlassen hat. Zwischen dem Leipzig von damals und der etwa zehnmal gr?sseren Stadt von heute war freilich ein gewaltiger Unterschied; die Greisin aber meinte oft, es w?re nur ein ?usserlicher, ein auf Umfang und Zahl der Bewohner sich beziehender Unterschied. Von dem Leipzig ihrer ersten Wohnjahre schreibt sie dankbar: ,,Leipzig war im Jahre 1859 noch eine recht kleine Grossstadt, aber sie geh?rte zu den bekanntesten St?dten des In- und Auslandes. Es war eine Stimmung in ihr f?r die L?sung politischer, sozialer und kultureller Fragen. So kamen wir bald ?ber den Kreis unserer damals kleinen Gemeinde hinaus in Beziehung zu anderen Kreisen. Ich fand das Wort: ,Mein Leipzig lob' ich mir, es bildet seine Leute' best?tigt. W?hrend der ersten Tage unseres Aufenthaltes, in denen die Wohnungsnot so gross war, dass wir einige Zimmer, die f?r Messfremde bestimmt waren, bewohnen mussten, verlangte die Aufwartefrau eines Tages eine B?rste von mir und anderes Ger?t. Ich war betr?bt, dass ich ihr damit noch nicht dienen konnte und sie sagte, meine Situation begreifend, mir Trost zusprechend: ,Es wird Sie schon in unserem Leipzig gefallen, Leipzig ist die Stadt der Humanit?t.'

Ich lief zu meinem Manne und fragte ihn: ,Wovon wirst du sprechen, wenn die Scheuerfrau in Leipzig von Humanit?t spricht?' Ein zweites Wort, das eines Dienstmannes, sei noch erw?hnt. Ich ?bergab ihm eine Anzahl von Dichter- und Denkerb?sten zur Ausschm?ckung eines Saales mit der Mahnung, recht vorsichtig zu sein; da sagte der Mann einigermassen verletzt zu mir: ,Ich werde schon vorsichtig sein, denn das sind jetzt unsere Heiligen.'"

Ja selbst die gr?ssere Enge der Stadt war nach Warschau Henriette Goldschmidt sympathisch. Mann und S?hne - eigene Kinder blieben ihr versagt - teilten ihre Gef?hle, auch sie lernten die Stadt bald als Heimat lieben.

Die ersten Jahre in Leipzig waren Lehrjahre f?r Henriette Goldschmidt; losgel?st von den ?stlichen Verh?ltnissen, begann sie nun in Mitteldeutschland Wurzel zu fassen und lernte vieles von einem anderen Gesichtswinkel aus anschauen. Manches, was ihr in Warschau nur eine Unfreude gewesen war, lernte sie jetzt als Genuss kennen, so Theater- und Konzertbesuche. Sie ist dann in der intensiven Arbeit ihrer sp?teren Jahre oft um diesen Genuss gekommen, brachte ihn ihrem Schaffen als Opfer dar; aber besonders der Besuch einer Gewandhausprobe blieb ihr noch bis in die letzten Lebensjahre, auch als sie schon die Neunzig ?berschritten hatte, eine tiefe Erbauung.

,,Still bewegt" nannte Henriette Goldschmidt sp?ter die Jahre des Einlebens. Es fand sich bald ein Kreis im demokratischen Geiste gleichgestimmter Menschen zusammen, dazu geh?rten Professor Heinrich Wuttke und seine geistvolle Frau Emma, geb. Biller, auch Professor Rossm?ssler; die S?hne brachten ihre jungen Freunde mit. Von ausw?rts kamen G?ste, deren Namen Klang und Ruf hatten. Adolf Stahr und Fanny Lewald kamen, Gutzkow war einmal ein etwas schweigsamer Gast, und mit Berthold Auerbach schloss das Ehepaar Freundschaft, sie verlebten gemeinsam ein paar sch?ne Sommermonate in Bad K?sen. Die Tischrunde bei Goldschmidts erfreute sich allgemeiner Beliebtheit unter den Freunden des Hauses, es ging damals und sp?ter immer noch einfach dabei her. Zu Festlichkeiten buk Frau Henriette wohl selbst einen Kuchen, und noch als Greisin erz?hlte sie von einer sogenannten Linzer Torte, die ihr immer besonders gut geraten sei. Sie war in diesen ersten Jahren in Leipzig nur Hausfrau und Mutter, war aber in allem auch die verst?ndnisvolle Kameradin ihres Mannes und war wie einst seine Sch?lerin, so nannte sie sich selbst.

Wie sehr die Gatten aneinander Anteil nahmen, beweist eine kurze Notiz in den hinterlassenen Bruchst?cken der Aufzeichnungen: Da heisst es aus den siebziger Jahren: ,,Mein Mann hatte die Einladung zur Einweihung des Lessing-Denkmals in Kamenz erhalten und folgte ihr mit Freuden. Professor Wuttke hatte die Festrede ?bernommen und forderte meinen Mann auf, auch das Wort zu ergreifen. Obgleich unvorbereitet, sprach er, erf?llt von Verehrung und Dankbarkeit f?r den Dichter, der unser war von Kindheit an, in so begeisternder Weise, dass die ganze grosse Versammlung ihm zujauchzte. Diesen Moment nicht mit erlebt zu haben, ist mir lange Zeit schmerzlich gewesen." Doch Henriette Goldschmidt war kein Mensch, der sich mit dem Nurlernen begn?gte, sie war im tiefsten Grund eine sch?pferische Natur, war auf das Tun gestellt. Sie war auch zu sehr Eigenmensch, um nur in der Familie aufzugehen. Obwohl sie immer einen starken Familiensinn besessen hat, und so sehr sie immer ihre Stiefs?hne und sp?ter deren Kinder und Kindeskinder, ebenso die Kinder ihrer Geschwister als ihr zugeh?rig betrachtete, mit wie warmer Liebe sie auch alle umfing und wie gl?cklich sie sich auch in dem Leipziger Freundeskreis f?hlte, ihre Natur verlangte die Tat. Das Hausfrauenleben allein erf?llte sie nicht, in ihr schlummerten Kr?fte, die nach einer anderen Bet?tigung suchten, und in dieser Zeit des inneren Vorw?rtsdr?ngens, des seelischen Unausgef?lltseins lernte sie Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt kennen. Sie begann ?ber die Stellung der Frau im Leben tiefer nachzudenken, und nicht viel sp?ter las sie die Schriften Friedrich Fr?bels, lernte aus seinen Erziehungsideen und beides floss ihr zusammen, wurde ihr eine Einheit, sie fand den Weg dazu kraft ihres immer die gerade Linie suchenden Wesens, und so verschmolzen sich ihr in den kommenden Jahrzehnten anscheinend getrennte Ziele zu ihrem einen grossen Lebensziel.

Luise Otto-Peters hatte 1848 den deutschen Frauen zugerufen: ,,Dem Reich der Freiheit werb' ich B?rgerinnen!" Aber anscheinend war der Ruf, ohne ein Echo zu finden, verhallt, und erst Anfang der sechziger Jahre fanden sich in Leipzig die Frauen zusammen, die erkannten, dass es f?r die Frauen selbst zuerst ein Reich der Freiheit zu suchen galt, um die Frau aus der engen Gebundenheit jahrhundertalter Vorurteile zu erl?sen. Zu diesen Frauen: Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt, gesellte sich noch Henriette Goldschmidt. Sie gr?ndeten zusammen im Februar 1865 zuerst einen Frauenbildungsverein. Henriette Goldschmidt selbst stand so wenig unter einem pers?nlichen Druck, wie die beiden anderen Frauen; ihr Mann liess ihr v?llige Handlungsfreiheit und gerade darum empfand sie besonders tief das Unw?rdige, das in der Stellung der Frau lag, die von jeder Teilnahme am ?ffentlichen Leben ausgeschlossen war. Mit ihrer Schwester Ulrike hatte sie schon manchmal von der Enge gesprochen, in der viele Frauen leben mussten, besonders von der mangelhaften Vorbildung der Frauen zu ihrem eigentlichen Berufe der Mutterschaft.

Aber gerade weil Henriette Goldschmidt in einer harmonischen Ehe lebte und durch ihren Mann alle geistige F?rderung erfuhr, ging sie anfangs nicht ganz mit den beiden anderen Frauen mit. Sie selbst erz?hlte, dass sie entr?stet heimgekommen sei, als die Gr?ndung des ,,Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" beraten wurde, weil Luise Otto-Peters es abgelehnt hatte, M?nner in den Vorstand zu w?hlen. Ihr Mann antwortete gelassen, dies w?re ganz richtig, denn wollten die Frauen selbst?ndig werden, dann m?ssten sie vor allem auch selbst?ndig ihren Weg zu finden suchen. Die Erkenntnis von der Wahrheit dieses Wortes kam der temperamentvollen Frau auch bald, und sie schloss sich enger an die beiden Frauen an, die am 18. Okt. 1865 nach Leipzig eine Konferenz deutscher Frauen einberufen hatten und trotz des geringen Interesses, das diese Versammlung fand, den ,,Allgemeinen Deutschen Frauenverein" gr?ndeten und die Herausgabe eines Frauenblattes unter dem Titel: ,,Neue Bahnen" beschlossen. Die neuen Ideen sollten durch Schriften und Vortr?ge verbreitet werden. Auguste Schmidt war schon eine geschulte Rednerin, Henriette Goldschmidt dagegen hatte noch nicht ?ffentlich gesprochen; ihr erster Vortrag war eine politische Aufkl?rung der Frauen. Sie erz?hlt davon: ,,Wir hatten bei unserer ?bersiedelung nach Leipzig nur an die R?ckkehr nach Deutschland gedacht, und da wir uns als Preussen f?hlten, hatten wir keine Veranlassung, zu einem anderen Staate ?berzutreten. Der Krieg 1866 brach aus und brachte preussische Einquartierung. Ich hatte in meiner Wohnung keinen Platz und sagte zu meinem Hausm?dchen, dass wohl die Hausmannsleute die Soldaten aufnehmen k?nnten. ,Ach,' antwortete dieses, ,wir k?nnen diesen Leuten die preussischen Soldaten nicht anvertrauen, die sind zu bissig.' Dabei erfuhr ich von ihr, dass sie selbst Preussin sei und ihr Bruder im preussischen, ihr Br?utigam aber im s?chsischen Heere diene. W?hrend ich noch ?ber diese traurige Sachlage nachdachte, besuchte mich Luise Otto-Peters und forderte mich auf, einen Vortrag im Frauenbildungsverein zu halten. Als ich sie z?gernd fragte, wor?ber ich eigentlich sprechen sollte, antwortete sie in ihrer s?chsischen Mundart: ,Nu, was Ihnen der G?nius eingibt.' Und ich sagte ihr zu und zu mir: Sprich von der politischen Lage Deutschlands und erkl?re den Frauen aus dem Volke, soviel du es vermagst, die Ursachen dieses Bruderkrieges.

Es ist mir beim Niederschreiben dieser Zeilen ein eigent?mliches Gef?hl, dass mein erstes ?ffentliches Wort an die Frauen sich auf eine der politischen Fragen bezog, die mich fr?her besch?ftigten, ehe ich an eine Frauenfrage und an die Erziehungsfrage dachte. Ich hielt meinen ersten Vortrag und schloss mit den Worten: ,Nicht mit zu hassen - mit zu lieben sind wir Frauen da.'"

Diesem ersten Vortrag schlossen sich bald andere an, die paar Frauen in Leipzig begannen ihre Kreise weiter und weiter zu ziehen, und die Schar der Anh?ngerinnen wuchs. Aus den Erz?hlungen einer freilich unber?hmten, aber sehr gescheiten Frau weiss die Schreiberin dieses kurzen Lebensbildes, dass die Werbekraft der Reden Henriette Goldschmidts sehr gross war. Sie sprach so gut, mit einem so hinreissenden Feuer, dass in Leipzig das Ger?cht entstehen konnte, sie schriebe f?r ihren Mann, der selbst ein guter und geistvoller Redner war, die Predigten nieder. Sie selbst gab bescheiden Auguste Schmidt den Preis, diese w?re in hervorragender Weise des Wortes m?chtig gewesen. ?brigens galt ihre gr?sste verehrendste Liebe Luise Otto-Peters, zu deren f?nfundzwanzigj?hrigem Schriftstellerinnenjubil?um sie einen Vortrag hielt .

Von ihren ersten Vortr?gen, die gedruckt wurden, seien im Anschluss genannt: ,,Die Frauenfrage eine Kulturfrage" , ,,Die Frau im Zusammenhang mit dem Volks- und Staatsleben" .

Zusammenh?nge suchen, das war Henriette Goldschmidts stetes Bestreben, und alle ihre Vortr?ge haben etwas von diesem Suchen nach der grossen Einheit in allen Erscheinungen. Immer war es auch die Idee, die sie packte, und mit noch jugendlich unersch?pfter Hingabe an die Idee der Frauenbewegung leistete sie ihre Werbearbeit. Die Geschichte dieser Werbearbeit ist in anderen Schriften schon niedergelegt und es ist hier nicht die Stelle, um Stadt f?r Stadt anzugeben, die die begeisterten Frauen friedlich zu erobern suchten. Es war nicht immer nur Erhebendes, was sie erlebten, auch starke Abwehr, Unverst?ndnis wurden ihnen zuteil, es fehlte auch nicht an tragikomischen Szenen, die die alte Frau noch lebhaft zu schildern wusste. So setzte der Wirt in einer damals noch kleinen Stadt die mutigen Pionierinnen mit einer - Kunstreitergesellschaft, die im gleichen Ort gastierte, zusammen, weil er dies vermutlich f?r eine besonders passende Gesellschaft hielt. Da es schwer war, eine Aussprache in Fluss zu bringen, die Frauen sich meist scheuten, ihre Ansichten ?ffentlich zu sagen, hatten sich die Leipziger Veranstalterinnen bei einem ausw?rtigen Frauentag vorgenommen, aus ihrem Kreise selbst Fragen aufzuwerfen. Eine Weile h?rten die Zuh?rerinnen das mit an, endlich verliess eine Anzahl den Saal, sie sagten, ,,die sind sich ja selbst nicht einig, zu was sollen wir uns den Streit anh?ren."

Der Krieg von 1870/71 fiel in die erste Zeit des Werbens und K?mpfens. ?ber diese Zeit hat Henriette Goldschmidt einige kurze Anmerkungen gemacht, es heisst da: ,,Deutschland unter Preussens F?hrung - der Staat, dessen ruhmreiche Geschichte ihm ein Recht zu dieser Stellung an Deutschland gab, es war, als stiege die Erf?llung, ,sch?nste Tochter des gr?ssten Vaters', endlich zu uns nieder." Und weiter schildert sie ihre Arbeit in dem Kriegswinter: ,,Den Aufschwung, den die Volksseele erhalten, f?hlten auch die Frauen. Er st?rkte auch unsere Kraft f?r weitere K?mpfe auf unserem Arbeitsfelde. Es war im Kriegswinter 1870/71 und die Sorge um unseren zweiten Sohn, der als Arzt im Felde stand, machte auch mich ruhelos. Da fasste ich zur Ablenkung den Entschluss, eine zusammenh?ngende Reihe von Vortr?gen ?ber die Stellung der Frau in den alten Kulturl?ndern zu halten. Ohne rechtes Bewusstsein der K?hnheit dieses Vorhabens, nicht gesch?tzt durch die Tendenz unseres Vereins und seiner Bestrebungen, wagte ich es, in einer Kulturstadt wie Leipzig wissenschaftliche Vortr?ge zu halten, ohne eingehende Studien gemacht zu haben."

Henriette Goldschmidt erarbeitete sich das Wissen f?r ihre Vortr?ge, sie vertiefte sich in das Frauenleben der Vergangenheit, fand nicht ?berall Verbesserung in der Gegenwart, sondern eher eine Niedrigerstellung der Frau bei manchen V?lkern. Ihre Vortr?ge fanden grossen Anklang, das st?rkte ihre Zuversicht und ihren Mut, und sie hatte die K?hnheit, Forderungen aufzustellen in ihren weiteren Vortr?gen, wie sie damals noch ganz ungew?hnlich waren, so den in der Einf?hrung wiedergegebenen Ruf nach ,,M?ttern der Stadt"; sie war es aber auch, die zuerst davon sprach, jede Frau h?tte die Pflicht, ein Jahr dem Staate zu dienen und soziale Arbeit zu leisten.

In der gleichen Zeit, da Henriette Goldschmidt an ihren Vortr?gen schrieb, fand sie ihr zweites grosses Arbeitsgebiet, eins, das sich ihr innerlich stets mit ihrer Pionierarbeit in der Frauenbewegung verband, weil es sich auf die Erziehung der Frau zu ihrem m?tterlichen Beruf bezog; denn Henriette Goldschmidt hielt von Anfang an den erziehlich m?tterlichen Einfluss der Frau f?r das Besondere, was die Frau ihrer innersten Veranlagung nach im Staatswesen zu leisten hatte. Sie schreibt: ,,W?hrend meiner Arbeit an den Vortr?gen wurde ich immer mehr in der Meinung best?rkt, dass die Frauenfrage nur im Zusammenhang mit dem Familien- und Volksganzen betrachtet werden m?sse. Durch ein paar Zuf?lligkeiten nun, die im Leben eines jeden Menschen eine bedeutsame Rolle spielen, wurde ich der Aufgabe zugef?hrt, die meinem Leben die Richtung geben sollte.

Auf einem Wege in Leipzigs Strassen kam ich in eine Gasse in der N?he der Weststrasse an ein kleines Haus, dessen Parterre die Inschrift: ,,Kindergarten" trug. Ich hatte wohl in Gespr?chen manchmal, wenn auch selten, etwas von Kinderg?rten, Fr?belschen Besch?ftigungen reden h?ren, ohne der Sache besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Doch blieb ich einen Augenblick vor dem Hause stehen, klingelte und stieg einige Stufen hinunter in einen kellerartigen Raum. Denn wo h?tte damals ein Kindergarten anders ein Lokal finden k?nnen als in einem irgendwie ungeh?rigen Raum? Eine junge Dame trat mir entgegen, freudig ?berrascht, dass jemand es der M?he f?r wert hielt, sich nach dem Kindergarten zu erkundigen. Es war noch fr?h morgens, die Kleinen waren noch nicht da und die Kinderg?rtnerin hatte Zeit, mir die Fr?belschen Besch?ftigungsmittel zu zeigen. Sehr erstaunt sah ich sie an - ich f?hlte, hier ist ein Plan, ein System, eine Methode - bald aber kamen die Kleinen, die Kinderg?rtnerin stellte sie im Reigen auf und spielte mit ihnen einige Bewegungsspiele. Hier f?hlte ich nicht nur den Rhythmus, den Takt, die Harmonie, - ich f?hlte mit den Kindern die Freudigkeit, die sie beseelte - ,Freude sch?ner G?tterfunken, Tochter aus Elysium'.

Sehr nachdenklich ging ich nach Hause, holte mir die Fr?belschen Schriften aus der Universit?tsbibliothek, und in den Schriften Friedrich Fr?bels fand ich nicht nur den Plan f?r die Praxis des Kindergartens theoretisch begr?ndet - es war mir, als wehte ein Hauch des Geistes aus seinen Worten in meine Seele, als erschaute ich einen Sch?pfungsakt, der ein neues, noch nicht dagewesenes Gebilde vor meinen Augen entstehen liess. Andacht erf?llte mich f?r das grosse Geheimnis der sch?pferischen Urkraft, die ihr ,Es werde' der Welt verk?ndet."

Eine Offenbarung war Henriette Goldschmidt die Bekanntschaft mit Fr?bels Ideen, und sie hat oft es wieder und wieder gesagt, das Fr?belsche Wort von der Menschheit pflegenden Bestimmung des Weibes, um derentwillen die Frau die gleiche geistige Durchbildung wie der Mann erhalten m?sse. Sie ist darin nicht immer voll verstanden worden, und vielleicht geht erst in der Not und Verrohung unserer Zeit das volle Verstehen auf f?r die Wichtigkeit einer gemeinsamen Familien- und Volkserziehung, einer vertieften Durchbildung der Frauen aller St?nde zu ihrem m?tterlichen Berufe, und zwar einer Ausbildung vor oder nach einer Berufsschulung, sofern die Berufsbildung sich nicht auf den Erziehungsberuf gr?ndet, weil sich der erziehliche Einfluss der Frau durchaus nicht allein auf die Familie, sondern auf das Volksganze erstrecken soll.

In dieser Zeit ihrer Besch?ftigung mit Friedrich Fr?bels Schriften las Henriette Goldschmidt einen Aufruf in der Zeitung von einem Mann, der alle einlud, die sich f?r die Kindergartenfrage interessierten. Sie ging hin, meinte in eine grosse Versammlung zu kommen und fand nur wenige Kinderg?rtnerinnen, die sich in Klagen ?ber die Schwierigkeit ihres Berufes ergingen. Das war der Anstoss, der Henriette Goldschmidt veranlasste, den Verein f?r ,,Familien- und Volkserziehung" in Leipzig zu gr?nden; am 10. Dezember 1871 fand die Gr?ndung mit etwa 150 Mitgliedern statt. Im Herbst 1872 konnte dann der Verein seinen ersten Volks-Kindergarten in der Querstrasse er?ffnen. Der Aufbau des Vereins vom Kindergarten bis zur Hochschule, die Gliederung der einzelnen Anstalten zu schildern, sei dem zweiten Teil dieser kleinen Schrift vorbehalten.

Henriette Goldschmidt hatte mit dieser Gr?ndung sich nicht abseits von ihren Kolleginnen gestellt, denn ihr schmolz eben immer Frauenfrage und Erziehungsfrage zur Einheit zusammen, aber sie hatte doch ihren besonderen Weg eingeschlagen. Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt wurden wohl Mitglieder des Vereins, aber es war doch kein eigentliches Mitarbeiten von ihrer Seite. Sie verloren aber Henriette Goldschmidts Arbeitskraft auch nicht; die damals beinahe f?nfzigj?hrige Frau stand auf der H?he ihrer Leistungsf?higkeit. Sie war ihrem Manne weiter die verst?ndnisvolle Gef?hrtin, an dem Ergehen und Ins-Leben-Treten der drei S?hne nahm sie echt m?tterlichen Anteil; mit ihrer Schwester Ulrike, die in Berlin die ,,Viktoria-Fortbildungsschule" ins Leben rief, verband sie mehr als schwesterliche Zuneigung: eine auf gleichen Lebensansichten beruhende Freundschaft war es.

Sie baute ihren Verein weiter aus; hielt Vortr?ge, so sechs unter dem Titel: ,,Ideen ?ber weibliche Erziehung", die sie sp?ter, als sie die 80 schon ?berschritten hatte, zu ihrem Buch erweiterte: ,,Was ich von Fr?bel lernte und lehrte." Sie erteilte in dem bald darauf gegr?ndeten Seminar f?r Kinderg?rtnerinnen Unterricht, unternahm Vortragsreisen f?r den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und verstand es weiter, in ihrem Hause eine geistig belebte Geselligkeit zu pflegen. Dabei kam es der kleinen zierlichen Frau zugute, dass sie eine eisenfeste Gesundheit besass. Sie erz?hlte, dass sie um vier Uhr fr?h schon aufgestanden sei, um f?r sich zu arbeiten - am Waschtisch schrieb sie ihre ersten Vortr?ge, da sie selbst keinen Schreibtisch besass. Abends hat sie es einmal fertig gebracht, ihrem Manne nach einem reichen Arbeitstag f?nf Stunden hintereinander vorzulesen.

Es war ein geistiges Erarbeiten, ein Ringen um Wissen, das diese Frau auch im Alter nicht verlor, sie war immer im besten Sinne eine Arbeiterin an sich selbst, so wie sie eine Arbeiterin f?r andere war. Ihr Geist ging weite Wege, aber sie wusste auch das Sch?ne zu geniessen, das sich ihr darbot, ohne dabei je um eines Genusses willen ihre freiwillig auf sich genommene Arbeitsverpflichtung zu vers?umen. Sie erz?hlte, dass sie einmal auf einer Reise nach Gastein, bei der ihr Mann sich unwohl f?hlte, sich selbst Vorw?rfe gemacht habe ?ber die unbeschreibliche Freude, die sie beim Anblick der grossen Natur ergriff. ?berhaupt war es die grosse Natur, deren Anblick sie begeisterte, sie sagte selbst, f?r das Idyll h?tte sie nicht so viel Sinn. So stand ihr auch Goethe weniger nahe, so tief sie sich in ihn eingelebt hatte, als Schiller, dessen schwungvolle gl?nzende Sprache sie immer wieder begeisterte.

Henriette Goldschmidts Reisew?nsche blieben aber in der Hauptsache unerf?llt, von ihrer Kindheit an sehnte sie sich, Pal?stina und Amerika zu sehen: die Heimat ihres Volkes und das Land der Freiheit; sie kam nicht hin; die bescheidenen Verh?ltnisse, in denen sie nach ihrer Verheiratung lebte , und die Grossz?gigkeit, mit der sie ihre Kraft und ihre Arbeit f?r ihre Ziele dahingab, gestatteten ihr den Luxus solcher Reisen nicht. Aber das Reisen an sich blieb ihr stets ein Genuss, sie scheute auch im hohen Alter die Anstrengung nicht; 1913 reiste sie zum letztenmal f?r einige Sommerwochen nach Friedrichroda. Wie wenig sie Erm?dung f?hlte, beweist ein Wort, das die beinahe 79j?hrige Frau sprach, als sie von einem Frauentag in K?ln heimkehrte. Sie war die Nacht ?ber gefahren - nicht etwa im Schlafwagen - hatte in K?ln anstrengende Tage durchgemacht und sagte heiter, als sie aus dem Zuge stieg: ,,So eine Nachtfahrt ist doch recht erfrischend."

Nachdem sie 1906 aus dem Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ausgetreten war - Luise Otto-Peters starb 1892, Auguste Schmidt folgte ihr 1902 - gedachte sie ihre Arbeitskraft nun ausschliesslich ihren Anstalten zu widmen, sie dachte an einen leisen Abbau ihrer T?tigkeit, sah die von ihr gegr?ndeten Anstalten damals in den festen, sicheren H?nden von Dr. Agnes Gosche; aber es kam noch einmal eine grosse Arbeitswelle, in die sich Henriette Goldschmidt mit ganz jungem Eifer st?rzte.

Nach ihrem 80. Geburtstag war sie schwer erkrankt, sie meinte, nun k?me das Alter, als sie pl?tzlich das Ziel, das sie bisher nicht erreichen konnte, die Gr?ndung einer Hochschule f?r Frauen - ?hnlich, nur erweitert, wie sie einst Malvida von Meysenbug gedacht hatte - mit der Tendenz ,,dem m?tterlich-erziehlichen Beruf der Frau die wissenschaftliche Weihe zu geben," erreichbar vor sich sah. Ein Leipziger Freund, Geheimrat Hinrichsen, stellte die Mittel zur Verf?gung, und, obwohl schon im f?nfundachtzigsten Jahre stehend, begann Henriette Goldschmidt noch einmal so ruhelos und zielbewusst zu arbeiten wie in der Jugend. Sie fand in Dr. Johannes Pr?fer einen tatkr?ftigen umsichtigen Helfer, und so konnte am 29. Okt. 1911 die Hochschule er?ffnet werden. - Es war erreichte Lebensh?he, wie sie wenigen Menschen beschieden ist.

Da Henriette Goldschmidt ganz und gar Autodidaktin war, sich selbst zu dem gemacht hatte, was sie war, ist es begreiflich, dass in ihrer Arbeitsweise auch eine gewisse Eigenwilligkeit lag, nicht immer ganz bequem f?r ihre Mitarbeiter. Sie hatte dabei aber immer nur das Werk an sich vor Augen; sie lebte nur - war es der Allgemeine Deutsche Frauenverein oder der Verein f?r Familien- und Volkserziehung - den Zielen, die sie sich gesteckt hatte. Da wurde ihr manchmal als Eigenwille ausgelegt, was im Grunde doch nur selbstlose Hingabe an das Werk war. Freilich war sie, wie es Menschen sind, die ihr Leben selbst gemodelt haben, die nicht nur aus sorgsam bereitgehaltenen Gef?ssen trinken, sondern an die Tiefen der Quellen hinabsteigen, nicht immer nachgiebig. Sie ging wohl in Besprechungen bei Fragen, die ihr f?r das Ganze belanglos erschienen, r?cksichtslos zur Tagesordnung ?ber, aber sie war doch keine Natur, die nur Jasager wollte, im Gegenteil w?rdigte sie ein freies Neinsagen. Sie sch?tzte einen logisch begr?ndeten Widerspruch sehr, gab viel j?ngeren Menschen nach, wenn sie die Gegengr?nde einsehen konnte, und besass die Gr?sse, die nicht viele Menschen haben, begangene Fehler einzugestehen. Da wurde es ihr auch zum Beispiel ihrer j?ngeren Freundin, ja selbst ihrem Hausm?dchen gegen?ber nicht schwer, den ersten Schritt zur Verst?ndigung zu tun und von ihrem Irren zu sprechen. Dieser grosse Zug ihres Charakters war es zumeist, der ihr im hohen Alter neben ihrem reichen Wissen das gab, was man als ,,weises Dar?berstehen" bezeichnen kann.

Es ging, besonders in ihren Altersjahren, in denen die intensive Tagesarbeit sie nicht mehr wie sonst vollkommen in Anspruch nahm, selten jemand von ihr, dem sie nicht in kurzem Gespr?ch etwas gab. Ihre Briefe trugen bis zuletzt das pers?nliche Gepr?ge ihres Geistes, die Anmut im Ausdruck, die aus einer vergangenen Zeit stammte und die etwas an die Frauen der Romantik erinnerte.

Innere Treue, die man nicht mit ?usserlichem Darandenken verwechseln muss, geh?rte zu Henriette Goldschmidts besonderen Eigenschaften, so blieb sie auch im tiefsten Grunde den f?hrenden Geistern treu, denen sie, wie sie erkannte, ihre innere Entwicklung verdankte. Zu ihnen geh?rte besonders Friedrich Fr?bel, und um ihn hat sie gelitten, wie wohl wenige um Meister leiden. Sie sagte manchmal tief schmerzlich von den neuen Frauen in der Frauenbewegung: sie verstehen die ,,alte Fr?beltante" nicht, und sie hatte damit nicht ganz unrecht. So richtig in ihrem Wollen ist Henriette Goldschmidt nicht immer verstanden worden. Selbst nicht von den Fr?belianern, weil sie zu sehr in allem die Idee, die dem Fr?belschen System zugrunde liegt, betonte, und manches darum als nichtig abtat, was anderen eben gerade als wichtig erschien. Sie selbst hatte durchaus kein Talent zur Kinderg?rtnerin, h?tte es nie werden k?nnen. Verstanden hat sie darin Berta von Mahrenholtz-B?low, die Henriette Goldschmidt den Apostel Fr?bels nannte, und auch Frau Dr. Jenny Asch in Breslau.

Es kann hier bei dem kleinen Umfang der Schrift nicht auf das n?here Verh?ltnis zwischen den beiden Frauen eingegangen werden; Henriette Goldschmidt hat der Frau, die sie ihre Lehrerin nannte, in Vortr?gen und in der Schrift: ,,Berta von Mahrenholtz-B?low, Leben und Wirken" ein Denkmal gesetzt. Wie sehr die Ideeng?nge der beiden Frauen zusammenklangen, beweist das Wort von Berta von Mahrenholtz: ,,Mit der Erhebung des Kindeswesens ist auch die Erhebung der Frau vorhanden. Mit dieser Weihe der Erzieherin der Menschheit ist alles verkn?pft, was die Frau einsetzt in das volle Recht der Menschenw?rde." Henriette Goldschmidt aber pr?gte sich als Leitwort f?r ihre Arbeit: ,,Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau." Und diesem Worte folgte sie, es beherrschte zuletzt ganz ihr Tun, und sie ?berwand in der festen Zuversicht, den richtigen Weg zu gehen, auch Schwierigkeiten, sie war ganz eins mit ihrer Idee, hatte wirklich aus den vielen Wegen, die sich nach und nach, anfangs langsam, dann immer rascher den Frauen auftaten, den Weg gefunden, der ihrer Veranlagung, ihrer ganzen Geistes- und Gem?tsrichtung entsprach.

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