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Read Ebook: Aus halbvergessenem Lande. Culturbilder aus Dalmatien by Schiff Theodor

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Ebook has 570 lines and 50630 words, and 12 pages

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AUS HALBVERGESSENEM LANDE.

Culturbilder aus Dalmatien

von

THEODOR SCHIFF.

Mit Zeichnungen von K. Kl?? und K. ??dnik.

Wien, 1875. Verlag von Kl?? & Spitzer.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3

Ein abgeschnittener Kopf. 7

Arme Seelen als Schiffsrheder. 15

Die Pestgr?ber von Botticelle. 25

Das Paternosterhaus. 34

Jacuve Ciciola und seine Liebe. 41

Wandelnde Kreuze. 48

Hippolytos und Phaedra. 57

Der Frau Mare Kargotic Gesang. 64

T?rkischer Tabak. 70

Don Martine von Karakaschitza. 77

Ein Gerichtstag in der Morlakei. 87

Ein t?rkisches Schnupftuch. 95

Ein Richter in Bosnien. 103

Morlakischer Winter. 110

Die streitbaren Bocchesen. 118

Der Gouverneur von Scoglio Stipansko. 125

Wie die Agave zum Bl?hen kam. 135

Das Omblathal bei Ragusa. 141

Ein Fischzug bei Lesina. 149

Das Gigg des Kaisers. 155

Ein schmaler Streifen Landes, lang gestreckt und d?nn bev?lkert, liegt Dalmatien fernab vom emsigen Verkehre der V?lker, eingeschlossen zwischen dem massigen Gebirgsgrat der t?rkischen Grenze und den ruhelosen Wogen des Meeres.

Die S?hne des alten Hellas hatten einst seine Inseln bev?lkert -- und die heitere Sitte ihres Vaterlandes war mit ihnen eingezogen in die neue Erde. Die stolze Roma hatte ihren wuchtigen Arm ausgestreckt ?ber die lachende K?ste -- und wie mit einem Zauberschlage wuchsen bl?hende, reich bev?lkerte St?dte, wuchsen riesige Pal?ste hervor, und sch?ne Tempel in heiterem S?ulenschmucke spiegelten sich in den Fluthen der Adria. Barbarenhorden brachen in das Land, Schrecken, Tod und Verderben in ihrem -- Gefolge und zugleich mit ihnen hielt das Christenthum seinen stillen Einzug, siegreich in seiner holden Demuth, freiheitk?ndend in seiner sanften g?ttlichen Lehre. Das finstere, gewaltth?tige Ritterthum entv?lkerte mit seinen Kreuzz?gen Europa -- und Richard L?wenherz fand in Ragusa eine Freistatt. Der erste Napoleon hatte das Land mit seinen Geierkrallen erfasst, und in den kurzen Jahren seines Besitzes hoben sich der Handel und die Industrie des Landes zu nie geahnter Bl?the.

Und heute?

Die erlauchte Kr?mer-Republik Venedig hat Dalmatiens Forste ausgerodet, -- t?rkische Barbarei in demselben ihre blutigen Zeichen gelassen, -- das reichbegabte und dabei so arme Volk verk?mmert jetzt in seiner Einsamkeit und das Gespenst des Hungers h?lt allj?hrlich seinen Umzug durch die schauerlich nackten Felsengebirge. Heute hat sich die Weltgeschichte abgewendet von dem sch?nen armen Lande, das in unth?tiger Ruhe langsam dahinsiecht, -- heute spricht man von Dalmatien wie von einer sagenhaften Erde, und von seinem Volke wie von verklungenen Geschlechtern.

Darum habe ich es versucht, den Schleier zu l?ften, der ?ber Dalmatien liegt und ?ber seinen Bewohnern. Ich habe nichts erdichtet und nichts erfunden, sondern einfach erz?hlt, was ich im Laufe langer Jahre dort gesehen, und die Erinnerungen niedergeschrieben, die mir geblieben sind aus dem Vaterlande meiner Kinder -- aus dem halbvergessenen Lande.

+Wien+ im September 1875.

Theodor Schiff.

AUS HALBVERGESSENEM LANDE.

Ein abgeschnittener Kopf.

Die alte Zanetta sass auf ihrem uralten Lehnstuhl und liess sich's wohl geschehen. An einem spiessartigen St?ck Holz, das sie durch das Band der breiten grossblumigen Sch?rze gesteckt hatte, war der Flachs befestigt, den sie mit den kn?chernen Fingern ihrer linken Hand langsam herabzupfte, und in der rechten Hand liess sie das l?nglichrunde Holz >>il fuso<< kreisen, um das sich das gesponnene Garn wickelte. Auf ihrem Kopfe lagen zwei grosse Krautbl?tter und ?ber denselben ein viereckig gefaltetes schneeweisses Tuch. Signora Zanetta behauptet seit dreissig Jahren t?glich, dass sie +heute+ Kopfschmerzen habe, und dass sie nur frische Krautbl?tter durch vierundzwanzig Stunden auf den Kopf zu legen brauche, um den Kopfschmerz f?r immer zu vertreiben. Und darum tr?gt sie seit dreissig Jahren Krautbl?tter auf dem Kopf und dar?ber das viereckig gefaltete weisse Tuch, was zusammen den Eindruck eines b?sartigen Turbans exotischer Herkunft hervorbringt. Ein von tausend Runzeln durchfurchtes Gesicht, dessen Mund noch eine untadelhafte Reihe blendend weisser Z?hne zeigte, ein verblichenes, aber h?chst sauber gehaltenes Kleid, an den zusammengeschrumpften F?ssen reine weisse Str?mpfe und ein paar t?rkische Schuhe von dickem rothen Leder, sass die Signora Zanetta auf ihrem Lehnstuhl und um sie schwirrten die Schw?rme von Fliegen, wie sie die dreissig Grad Hitze eines Julitages in Spalato zu erzeugen verm?gen.

Ein grosses Gemach mit niedriger Decke -- an den W?nden rohe Alfresco-Malereien, s?mmtlich Theile der Seek?ste darstellend, an welcher Herren und Damen in altv?terischer Tracht lustwandeln, w?hrend in der Ferne der ruhig gl?nzende Spiegel des Meeres sich endlos erstreckt, -- in der Mitte des Zimmers ein ungeheurer Tisch aus dunklem Holze, -- an den beiden L?ngsseiten des Zimmers zwei kleine, schwerf?llige, mit Fl?gelth?ren versehene Kasten, auf denen mindestens ein Dutzend blankpolirter messingener Oellampen stand, -- ?ber dem einen Kasten ein schauerlich gemaltes, den Kaiser Franz als J?ngling vorstellendes Bild, dem gegen?ber ein stark zerfressener Kupferstich mit der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes hing, -- eine alte Wanduhr in einem bis an die Decke reichenden Kasten, -- so sah das Gemach aus, in welchem Signora Zanetta sass, spann und es sich wohl geschehen liess.

In Spalato ist Alles alt. Die H?user, das Pflaster, die Familien, die Kirchen, die Sprache, -- Alles ist uralt. Die Domkirche wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts von dem alten Christenverfolger Diocletian dem Jupiter erbaut, -- die Sphinx vor derselben ist eine Kleinigkeit ?lter und entstammt der achtzehnten Dynastie der Pharaonen, -- und das am Meeresstrande befindliche Franziskaner-Kloster macht einen f?rmlich modernen Eindruck, weil es erst im Jahre 1212 vom heiligen Franz von Assisi gegr?ndet wurde, -- ja, auf dem beliebtesten Spazierwege Spalatos konnte man noch zu Ende der Sechziger-Jahre halb st?dtisch, halb >>national<< gekleidete B?rger mit einem r?ckw?rts herabbaumelnden Zopfe sich ergehen sehen. Das Italienisch, das in allen B?rgerfamilien gesprochen wird, ist genau dasselbe, das man in Venedig vor hundert Jahren h?rte und in Goldoni's Lustspielen noch heute lesen kann. Eine Familie, die ihren sogenannten Adel erst von hundert oder zweihundert Jahren herw?rts datirt, wird so ziemlich als neugeadelt angesehen, und ich kenne selbst in Spalato eine Familie, deren Mitglieder allen Ernstes behaupten, dass ihre in +Salona+ ans?ssigen Vorfahren bereits r?mische Patrizier gewesen seien. Salona wurde aber im Jahre 639 nach Christi Geburt zerst?rt, und das mag der Grund sein, warum das betreffende Adelsdiplom nicht aufgefunden werden konnte.

Es ist ?berhaupt ein merkw?rdiges Volk, das der Dalmatiner und besonders der Spalatiner Adelsgeschlechter. In den engen Gassen der Stadt, in den verstecktesten und ?belriechendsten Winkeln derselben sitzen sie in ihren H?usern, denkend der vergangenen Herrlichkeit, als noch der >>Conte<< nicht viel weniger als ein Souverain und der arme Morlake nicht viel mehr als ein Sklave war, und es f?r jede Ungerechtigkeit, die der >>Conte<< beging, h?chstens eine Geldstrafe gab, f?r das Vergehen des armen Bauern aber nur das Ermessen und die Willk?r seines Herrn massgebend war. Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen, diese Conti, und so gut ?sterreichisch sie auch im Allgemeinen sein m?gen, so denken sie doch noch immer an das verrottete Pascha-Regiment der in ihrem Fett erstickten Republik von Venedig. Ja, -- sowie man heute noch allenthalben auf den Mauern und ?ffentlichen Geb?uden der dalmatinischen St?dte den L?wen des San Marco ?ber seine vergangene Herrlichkeit in steinerner Faulheit trauern sieht, so w?rden s?mmtliche >>Conti<< nicht im mindesten sich wundern, wenn eines sch?nen Tages wieder einmal so ein Provveditore der Republik auf einem altartigen Segelschiffe angefahren k?me, um die verrottete Zopfwirthschaft von neuem zu beginnen.

So wie es unter depossedirten F?rsten ?blich sein mag -- ich stelle es mir wenigstens so vor, -- sich gegenseitig mit >>Majest?t<< anzusprechen, so h?rt man die Spalatiner alten Familien einander den Titel >>Conte<< geben, ohne dass weder der eine noch der andere Theil das mindeste Anrecht auf diese Bezeichnung h?tte. Das >>gemeine<< Volk thut dann das Gleiche in seinem Umgange mit den >>Conti<<, und so wird in Spalato, da man dort nach altvenetianischer Weise die Leute bei ihrem Taufnamen ruft, nur von einem Conte Mome, Conte Zane, Conte Toni, von einer Contessa Mare, Contessa Lele und Contessa Bare gesprochen.

Hieronymus.

Giovanni.

Maria.

Helene.

Barbara.

In dem Hause eines solchen Conte war es, wo ich der alten Zanetta gegen?ber sass, die spinnend und kopfnickend mir ihre Erinnerungen erz?hlte. Da war sie als dreizehnj?hriges Kind in die Familie gekommen, in der sie jetzt als dreiundachtzigj?hrige Greisin das Gnadenbrod ass. Ihren Herrn, den Conte Anastasio, der vor einem Jahre als siebzigj?hriger Greis gestorben, hatte sie damals auf den Armen getragen, -- dessen Mutter, die Contessa Nene, war damals eben erst seit zwei Jahren verheiratet gewesen und trotz ihrer Jugend eine gar strenge Frau. >>Ja, ja, damals hatten die Diener noch Respect vor dem Herrn und der Frau, und wenn sie pfeifen h?rten , da st?rzten sie Alle holterpolter in's Zimmer, -- nicht wie jetzt, wo die Magd hereinschleicht, als ob sie der Frau damit eine Gnade erwiese.<<

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