Read Ebook: Das Geschlechtsleben in der Deutschen Vergangenheit by Bauer Max
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Ebook has 830 lines and 68124 words, and 17 pages
Aug. Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 29. Aufl., S. 67.
Die Wasserprobe fusste auf dem Grundgedanken, dass das reine, heilige Wasser nichts S?ndhaftes in sich dulde. Sank daher das gebundene nackte Weib unter, so war es schuldlos; blieb es auf dem Wasserspiegel schwimmen, dann war seine Schuld zum Beweis erhoben. Jahrhunderte sp?ter gewannen diese Wasserproben, deren Ausgang ganz in der Hand des Fesselnden lag, eine hohe Bedeutung bei den Hexenverfolgungen.
Eine dritte, aber seltener ge?bte Art der Gottesurteile waren die Zweik?mpfe zwischen der Angeklagten und ihrem Ankl?ger. Der Kraftunterschied zwischen Mann und Weib fand dadurch seinen Ausgleich, dass der Mann bis zum G?rtel in einer Grube stehend die Angriffe der mit einem enganliegenden trikotartigen Anzuge bekleideten Frau abzuwehren hat. In >>Talhoffers Fechtbuch<<, der Bilderhandschrift von 1467 auf der Gothaischen Bibliothek, bek?mpft die Frau ihren Widersacher mit einem Schleier, in dem sie einen vier- bis f?nfpf?ndigen Stein eingebunden hat. Der Mann ist mit einer Keule bewehrt, ebenso lang wie der Schleier der Gegnerin. Der K?mpfer steht >>bis an die waichin<< in einer Grube, dessen Rand die Frau umkreist. Nach dem Apollonius vertrat mitunter einer der langen Kleider?rmel den Schleier.
Diu frowe sol hie ouzen g?n, Einen stein in der sto?chen h?n Mit riemen dr?n gep?nden Swaere pi dr?en pfunden Diu stouche sol sol wesen l?n?n Und zweier ellen lanc s?n.
Dass alle Ordalien, der Zweikampf vielleicht ausgenommen, mit der Niederlage der Frau enden mussten, wenn alles mit rechten Dingen zuging, liegt auf der Hand -- soferne das schwache Geschlecht in seiner ererbten Schlauheit nicht Mittel und Wege gefunden h?tte, den Herren der Sch?pfung ein Schnippchen zu schlagen. Sie mogelten bei den wohlvorbereiteten Gottesurteilen nach Herzenslust, und lachten hinterher die dummen, leichtgl?ubigen M?nner weidlich aus. An Gehilfen bei dem Betruge fehlte es nicht, wenn nur Geld genug vorhanden war, die Helfer zu erkaufen.
Gottfried von Strassburg gibt im >>Tristan<< unumwunden den Schwindel zu, den die holde Isolde, seine Heldin, bei einem Gottesurteil aus?bt. Isoldchen, bekanntlich kein Tugendspiegel, soll zur Bezeugung ihrer Unschuld die Feuerprobe bestehen. Sie ist, sehr gerechtfertigter Weise, mit Tristan, dem Neffen ihres alten Gatten, ins Gerede gekommen, und muss nun, um die b?sen M?uler zu stopfen und ihrem Gatten den Glauben an ihre eheliche Treue wiederzugeben, eine Ordalie bestehen. Klein-Isoldchen hat gewichtige Gr?nde, alle Vorsicht walten zu lassen, denn es ist bei ihr sehr viel faul im Staate D?nemark. Sie weiss sich aber zu helfen. Vor der Probe verteilt sie mit beiden H?nden reiche Geschenke an Gold, Silber und Edelsteinen >>um Gottes Huld<<, das heisst an die die Feuerprobe leitenden Geistlichen, die sich solchen Gaben gegen?ber nicht undankbar erweisen d?rfen. Sie wissen die Sache so fein einzuf?deln, dass die Ehebrecherin die Probe tadellos besteht und in ihrer >>bewiesenen<< Fleckenlosigkeit nun aufs neue nach Herzenslust s?ndigen kann. Sie weiss ja, dass bei einem neuerlichen Gottesurteil ihr die fr?heren Helfer wieder aus der Patsche helfen werden.
Einen weiteren Einblick in den Gottesurteil-Schwindel gestattet das Gedicht eines unbekannt gebliebenen mittelhochdeutschen Dichters, das Hans Sachs als Vorlage f?r sein Fastnachtsspiel >>Das heisse Eisen<< ben?tzte. Eine Frau zwingt ihren Mann auf Veranlassung der Gevatterin, >>die ist sehr alt und weiss sehr viel<<, seine eheliche Treue durch das Tragen eines >>heiss Eysen<< zu beweisen. Der Gatte willfahrt scheinbar dem Wunsche seiner Gattin.
>>Ja Frau, das will ich gerne thun! Lass die Gevatt'rin kommen nun, Dass sie das Eisen leg in's Feuer, Ich wage frisch das Abenteuer. Purgieren will ich mich f?r's Leben, Die Gevatterin soll Zeugniss geben.<<
Der Schlauberger zieht dabei verstohlen einen Holzspan aus dem ?rmel in die Handfl?che, auf den er das Eisen derart legen kann, dass es nirgend mit der Haut in Ber?hrung kommt. Nat?rlich besteht er die Probe gl?nzend, weshalb er, nun den Spiess umkehrend, auch seinerseits die Tugendprobe von seiner Frau begehrt. Winselnd sinkt diese auf die Knie und gesteht, in die Enge getrieben, dass sie zuerst mit dem Herrn Kaplan in str?flichem Verkehr gestanden, den erst #ein# Mann, dann wieder einer, schliesslich nach und nach ein ganzes Dutzend abgel?st haben. Die w?rdige Frau, der >>St. Stockmann<< als unentrinnbarer Schutzpatron winkt, fasst nach ihrer Beichte unversehens das inzwischen erkaltete Eisen an, verbr?ht sich aber daran, ein Zeichen, dass sie noch immer nicht die ganze Wahrheit gestanden hat, und rennt scheltend ab.
Hans Sachs, Ausgew. dramatische Werke, ?bers. v. K. Pannier, S. 123 ff. Schimpf und Ernst v. Bruder Joh. Pauli, ibid. Nr. 108 S. 84 ff.
Das von Karls eiserner Faust zusammengeschweisste Weltreich zersplitterte unter seinen schwachen Nachfolgern in jenes Staatengemengsel, dem erst das 19. Jahrhundert ein Ende machte. Karls Sch?pfungen teilten das Schicksal seines Staates. Nur in den Kl?stern glimmte der von Karl angefachte Funke des Bildungsbed?rfnisses unter den Insassen fort.
Die Weltabgeschiedenheit, die von dem ewigen Einerlei gezeugte Langeweile liessen wohl auch manche, sonst nicht gerade wissensdurstige M?nche oder Nonnen zu den B?chern greifen, neben Reliquien, Messger?ten und Kultgew?ndern die kostbarsten Besitzt?mer der Stifte und Kl?ster. Und wohl ihnen, wenn sie Gefallen an dieser Besch?ftigung fanden, die sie von weit s?ndhafterem Treiben abhielt, als es selbst die ?ber alle Massen schl?pfrige M?nchslitteratur, das Singen und Abschreiben von weltlichen Liedern, den >>winileodes<<, war, das Karls Kapitular von 789 verp?nte, oder das Studium der erotischen St?cke eines Plautus oder Terentius und anderer die Sinne erregender klassischer Schriftsteller. Denn auch in dieser Epoche liess die Sittenreinheit der Klostergeistlichkeit schon vieles zu w?nschen ?brig. Durch die Kapitularien Kaiser Karls ist erwiesen, dass manche Nonne ein vagierendes Leben f?hrte, sich r?ckhaltslos, sogar gegen Entlohnung, hingab, und etwaige Folgen dieser Liebschaften durch Verbrechen beseitigte.
Der Wortlaut eines der zahmsten dieser Kapitularien ist folgender: >>Die Frauenkl?ster sollen streng bewacht werden, die Nonnen d?rfen nicht umherschweifen, sondern sollen mit gr?sstem Fleiss verwahrt werden, auch sollen sie nicht im Streit und Hader untereinander leben, und in keinem St?cke den Meisterinnen und ?btissinnen ungehorsam oder zuwider handeln. Wo sie aber unter eine Klosterregel gestellt sind, sollen sie diese durchaus einhalten. Nicht der Hurerei, nicht der V?llerei, nicht der Habsucht sollen sie dienen, sondern auf jede Weise gerecht und n?chtern leben. Auch soll kein Mann in ihr Kloster eintreten u. s. w.<<
Ebenso verbot Karl, die M?nchskl?ster in allzu bequemer Nachbarschaft der Nonnenkl?ster anzulegen -- er hatte Gr?nde daf?r.
Aber nicht nur die Nonnen aus niederem Stande setzten sich ?ber die Klosterregeln hinweg, auch solche aus den h?chsten Kreisen brachen ihr Gel?bde, wenn sich Gelegenheit bot. Wiederholt finden sich in den Chroniken vornehme Klosterschwestern, die sich entf?hren lassen, oder der Klausur entfliehen, um zu heiraten. Wer m?chtig war, durfte hoffen, nachtr?glich die Genehmigung des Ehebundes durch den Kaiser und durch dessen Vermittlung auch die des Papstes zu erlangen. >>Hadburg, die erste Gemahlin K?nig Heinrichs, war eine Nonne, um die er als Herzog f?rmlich warb, die er sich nach alter Weise im Ringe der Seinen verm?hlte, als Herrin seines Hofes feiern liess und gegen die Angriffe der Kirche behauptete. Herzog Miseco von Polen, durch seine erste Gemahlin bekehrt, erwies sein junges Christentum nach deren Tode dadurch, dass er um 977 eine deutsche Nonne aus ihrem Kloster entf?hrte und heiratete.<<
Die Dramen der Roswitha von Gandersheim. ?bersetzt und gew?rdigt von Ottomar Pilz. Leipzig o. J.
Vom 12. Jahrhundert an datiert der geistige und materielle Aufschwung des deutschen Volkes, das ganz allein aus sich heraus erstarkte. Der Handel, das Handwerk und auch die, wenn auch nur auf eine engbegrenzte Menschenklasse, namentlich die Klosterleute und die aus den Klosterschulen Hervorgegangenen sich erstreckende Bildung, hoben sich zusehends, erweiterten den Gesichtskreis, schufen neue Lebensformen und mit ihnen neue Bed?rfnisse. Das altgermanische Kriegertum, die Freude an Fehde und Jagd, das dem Adel noch immer durch die Adern pulsierte, dessen Andenken die unverklungenen, Begeisterung anfachenden Heldensagen wachhielten, gewann eine neue, modernisierte Gestalt im #Rittertume#, dessen romanische Urformen bald stark mit echt deutschem Geist durchsetzt waren, der manchen welschen Firlefanz noch vergr?berte, um namentlich im #Minnedienst#, einem Hauptbestandteile des Ritterwesens, tief unsittliche Formen zu schaffen, die gleich vergiftend auf beide Geschlechter wirkten, besonders aber den Grundpfeiler der menschlichen Gesellschaft, die Ehe, untergruben. Die, gleichviel ob real oder platonisch Geliebte galt alles, die eigene Frau nichts. Man schlug sein Weib, wie Kriemhilde klagt, winselte aber zu F?ssen der angebeteten Herrin um die Gunst, die Hand oder den Fuss k?ssen und den Saum des Gewandes ber?hren zu d?rfen. >>Die Ehe des Ritters, sein Hauswesen, seine Kinder, seine Familiengef?hle, alles holde Behagen der Heimat stand ganz ausserhalb der idealen Welt, in welcher er am liebsten lebte.<< Des steirischen Ritters #Ulrich von Lichtenstein# Donquichoterien, sein Zug als Frau Venus im Jahre 1227, in kostbare Frauengew?nder gekleidet, das Haupt mit Schleiern umh?llt, und seine sonstigen L?ppereien, wie das Trinken des Waschwassers seiner Huldin, die Operation der breiten Oberlippe, das Abhauen eines ihr zu Ehren im Turnier verletzten Fingers, das Mischen unter widerliche Auss?tzige, das ihm die Laune der excentrischen Geliebten anbefiehlt, sind der Gipfelpunkt des sich als ritterlichen Minnedienst gehabenden Bl?dsinnes. Diese sich bis zum Wahnsinn steigernden ?berspanntheiten der Ritter, ihre Spielereien, die bandwurmartig anwachsenden Satzungen umgaben schliesslich das ganze Rittertum mit einem schalen Formelkram, der stark an die moderne Vereinsmeierei gemahnt, der Geheimb?ndeleien des 18. Jahrhunderts gar nicht zu gedenken, denen das Rittertum vielfach zum Vorbilde diente.
Nibelungen, 903.
Das ritterliche Gehaben f?hrte schliesslich zu einer allgemeinen L?derlichkeit, die selbst dem ?berzeugten Romantiker Saint-Pelaye den Stossseufzer entlockte: >>Nie sah man verderbtere Sitten, als in den Zeiten unserer Ritter, und nie waren die Ausschweifungen in der Liebe allgemeiner<<. Jede Modedame musste ihren Ritter haben, der ihre Farben trug und dem Gemahle ins Handwerk pfuschte. Liebschaften von Frauen aus hohem Stande mit Unebenb?rtigen konnten bei solchen Anschauungen nicht ausbleiben. Die Strenge Herzog Rudolfs von ?sterreich, der 1361 eine Hofdame seiner Frau wegen eines Verh?ltnisses mit einem ihrer Diener ertr?nken liess, steht anscheinend vereinzelt da. Der ?sterreichische Dichter Heinrich, der zwischen 1153 und 1163 seine Mahnworte an Pfaffen und Laien richtete, schilderte den Umgangston der ritterlichen Gesellschaft als roh. Der Hauptgegenstand ihrer Unterhaltung waren die Weiber. Wer sich r?hmen konnte, die meisten verf?hrt zu haben, galt am h?chsten. Der Ehebruch war allt?glich, wenn auch ?ber seine Verwerflichkeit die damaligen Dichter einig sind. Aber es war Modesache, Ehebrecher zu sein, oder wenigstens als solcher zu gelten.
>>Hat ein gutes Weib ein Mann Und geht zu einer andern dann, So gleichet er darin dem Schwein. Wie m?cht es jemals ?rger sein? Es l?sst den klaren Bronnen Und legt sich in den tr?ben Pfuhl. Gar mancher hat schon so zu thun begonnen.<<
klagt Meister Sperrvogel. Gottfried von Strassburgs unsterbliches >>Tristan und Isolde<< ist in seiner Gesamtheit eine Verherrlichung des Ehebruches, doch gab es, wie wir eben in dem biederben Sperrvogel sahen, auch Minnes?nger, die gegenteiliger Meinung waren. Ein klarblickender deutscher Dichter des 12. Jahrhunderts gesteht es unumwunden ein, dass die Damen den Rittern keine Vorw?rfe zu machen berechtigt seien, denn:
>>Der wiber chiusche ist entwicht frowen und riter Dine durfen nimmer gefristen We der ir leben bezzer si.<<
Deutscher Minnesang, ?bertragen v. Bruno Obermann, S. 37 ff.
Heinrichs >>Rede von des Todes Geh?gede<< in Goedeckes >>Mittelalter<<, S. 187.
Die Lotterei der franz?sischen Ritter, deren Liebesh?fe oftmals in Orgien ausarteten, bei denen sich verlarvte M?dchen und Frauen schamlos preisgaben, fanden hin und wieder Nachahmung in Deutschland, wenn sie sich auch nicht so allgemein verbreiteten, wie in ihrem Mutterlande, wo Liebesh?fe sogar in den Kl?stern eine St?tte fanden.
>>Uns ist in einem lateinischem Gedicht die Schilderung eines solchen Hofes bewahrt, welcher in einem Kloster der Di?cese von Toul an heiterem Maifest gehalten wurde. Es ist -- wohlgemerkt -- nicht die zornige Schilderung durch einen Frommen, sondern wohlwollende Darstellung durch jemand, der dabei war, und der den Vorfall ganz in der Ordnung erachtet. Die Th?ren werden verschlossen, die alten Nonnen abgesperrt, nur einige verschwiegene Priester zugelassen. Statt des Evangeliums wird von einer Nonne Ovids >>Kunst zu lieben<< vorgelesen, zwei Nonnen singen Liebeslieder. Darauf tritt die Domina in die Mitte, als Mai gekleidet, in einem Gewand, das ganz mit Fr?hlingsblumen besetzt ist, und sagt, Amor, der Gott aller Liebenden, habe sie gesandt, um das Leben der Schwestern zu pr?fen. Vor die Richterin treten einzelne Nonnen und r?hmen die Liebe zu geistlichen Herren, welche Geheimnisse zu bewahren verstehen; andere loben die Ritterliebe, aber ihre Auffassung wird von der Maig?ttin h?chlich gemissbilligt, weil die Laien nicht verschwiegen und allzu ver?nderlich sind. Zuletzt werden die Rebellinnen, welche Ritterliebe nicht meiden wollen, feierlich im Namen der Venus exkommuniziert unter allgemeinem Beifall, und alle sprechen Amen.<<
Auch die Kreuzz?ge trugen das ihre dazu bei, bisher unbekannt gebliebene Ausschweifungen aus dem Oriente nach dem Abendlande zu verpflanzen. Und die gezwungene Strohwitwerschaft eines Heeres von Frauen, deren M?nner unter dem Kreuze fochten, ?ffnete der Unsittlichkeit Th?r und Thor. Die M?nner suchten sich allerdings der Treue ihrer Gattinnen durch rohe Mittel zu versichern, deren entw?rdigendstes der sogenannte #Keuschheitsg?rtel# war. Solche G?rtel werden von den sp?teren Schriftstellern h?ufig erw?hnt, sie kommen aber schon im 13. Jahrhundert vor. In der Bilderhandschrift des Bellifortis von Konrad Kyeser vom Jahre 1405 ist die Zeichnung eines solchen G?rtels enthalten; ein Modell eines dieser Instrumente befindet sich im Museum schlesischer Altert?mer in Breslau. Es ist roh aus Eisen zusammengef?gt, w?hrend die wirklich verwendeten aus besserem Material, meist aus Silber oder Gold, gearbeitet waren.
Bei aller Laxheit der Moral bewahrte doch das durch viele Generationen vererbte deutsche Sittlichkeitsgef?hl vor jenen allzu tollen Excessen, die in Frankreich auf der Tagesordnung waren.
Man darf ?berhaupt im allgemeinen die Sitten der Vorzeit nicht nach dem heutigen Moralcodex messen. Andere Zeiten, andere Sitten!
Ed. Westermarck, >>Geschichte der menschlichen Ehe<<. Aus d. Engl. von L. Katscher und R. Grazer. 2. Aufl.
Man lebte anders, man dachte anders als heutzutage, man war trotz aller Sittenroheit reiner im Denken, als in der Gegenwart. Der Sittenverfall paarte sich h?ufig mit einer Einfalt, die dem Mangel an jeglicher Pr?derie entsprang. Man war derb, geradeaus, woll?stig, aber ohne Cynismus und Pikanterie. Es war eben eine Zeit, in der noch nicht, wie Hippel sagt, eine unnat?rliche Mode, die man Tugend nennt, im Schwange war.
Gawan, in Wolfram von Eschenbachs unsterblichem Parzival, wird von Bene, der jungfr?ulichen Tochter seines Gastfreundes, des Ritters Plippalinot, zu Bette gebracht und am Morgen beim Aufstehen bedient. Ein gleiches Vorgehen in den Burgen ist durch zahlreiche weitere Belegstellen verb?rgt. Man war eben naiv genug, in diesen Dienstleistungen nur die dem teueren Gaste erwiesene Ehrung zu sehen. Da sich aber Menschennatur mit ihrer Begehrlichkeit in ihren Grundz?gen immer gleich blieb, d?rfte es auch nicht immer bei der platonischen Dienstfertigkeit geblieben sein, was auch Wolfram andeutet, als er von Plippalinots T?chterlein schalkhaft versichert:
>>Sie h?tt' ihm Minne wohl gew?hrt, Wenn Minn' er von der Maid begehrt!<<
Parzival 552. 25 ff.
Den Gast begr?sste die Burgfrau mit einem Kuss. Im Nibelungenlied heisst Markgraf R?deger von Bechelaren seine Frau und Tochter die G?ste mit K?ssen bewillkommnen. Der >>bl?ze ritter<< besagt:
>>Sin tohter und sin vrouwen Hierz er in kussen ze hant.<<
Parzival 405. 15.
Dieffenbacher, Deutsches Leben im 12. Jahrh., 161 ff.
Vom K?ssen zu Handgreiflichkeiten war seit jeher nur ein kurzer Weg. >>Das M?dchen, das sich k?ssen l?sst, geht auch bald ins Bett<<, lautet ein altes Sprichwort, das auch im fr?hen Mittelalter volle Geltung besass. Die M?dchen waren meistenteils gar nicht scheu, im Gegenteil, sie benahmen sich oftmals viel ungezwungener als die Herren. Der reine Thor Parzival verkriecht sich rasch im Bette, als Jungfrauen zu ihm ins Schlafgemach kommen:
>>Geschwind sprang der behende Mann Aufs Bette und deckte sich zu.<<
Parzival 243. 28 ff., 166. 21 ff., 167. 30. Wolfdietrich 1386.
Alle waren freilich nicht so schamhaft, und es fehlte durchaus nicht an grobk?rnigen Gesellen, denen ebenso jedes Feingef?hl mangelte, wie den vornehmen Damen, mit denen sie es zu thun hatten. Ritter Gawan betritt kaum die Burg des K?nigs Vergulaht, dessen jungfr?uliche Schwester Antikonie ihn mit dem Willkommenkuss empf?ngt, als er ihr schon mit handgreiflichen Z?rtlichkeiten zu Leibe r?ckt, in welch l?blichem Thun er nur durch den Eintritt eines Ritters unterbrochen wird. >>Diese derbsinnliche Manier, um Liebe zu werben, hat f?r uns etwas Anst?ssiges. Nach den Schilderungen aus der damaligen Zeit scheint jedoch ein derartiges Benehmen sehr nat?rlich gefunden worden zu sein<<, denn die Frauen kamen allenthalben den Rittern auf halbem Wege entgegen, ja boten sich nicht selten selbst an, wie der K?rnberger versichert, oder wie die Tochter des Galagandreiz dem Lanzelot vom See in Ulrich von Zazikhofens Gedicht, die dem Liebhaber sogar einen goldenen Ring zum Lohne verspricht. Die tugendhafte Meli?r schleicht nachts zu dem ihr v?llig unbekannten Partonopier, einem dreizehnj?hrigen Knaben, und >>Sie wurden d? gescheiden Von ir magetuome<<. In Gottfried von Strassburgs Tristan kommt die Prinzessin Blancheflur zu Rivalin, um ihm ihre Jungfr?ulichkeit zu ?berlassen. Hatte die Tochter des Burgherrn ihren Geliebten bei sich, war sie gutm?tig genug, auch f?r das Gefolge ihres Liebsten zu sorgen und ihre Damen zu bestimmen, den Freunden ihres Galans Gesellschaft zu leisten. Isolde stellt es den Genossen Tristans frei, zwischen ihren beiden Begleiterinnen Brangane oder Gym?le zu w?hlen. Grosse Herren hatten es noch leichter, ihnen war jeder nur zu gern gef?llig. Als der Landgraf Ludwig von Th?ringen einem Tanze zusieht und ein besonders sch?nes M?dchen sein Wohlgefallen erregt, erbietet sich sofort einer der Anwesenden, ihm die Gunstbezeugung der Sch?nen zu verschaffen. Und wie er ein anderes Mal Verwandte besucht, wird ihm ein junges Weib: >>Geworfen in s?n bette dar<<. In dieser Naivit?t findet sich vielleicht der Nachhall jener uralten, von Chald?a ausgegangenen und von allen Urv?lkern des Altertums ge?bten Sitte #der gastlichen Prostitution#. Der Hausherr w?hnte in dem Gaste einen Gesandten des Himmels, dem er sein Hab und Gut zur Nutzniessung anbot, darunter auch seine Frau und seine T?chter. Auch die Bibel ist voll von Beispielen der gastlichen Prostitution bei den Hebr?ern, die vielfach den fremden Gast als Engel ansahen. Wenn wir Murner glauben d?rfen, findet sich noch im 16. Jahrhundert die gastliche Prostitution vor. >>Es ist in dem Niderlande auch der bruch, so der wyrt ein lieben gast hat, daz er jm yn frow zulegt uff guten glouben.<< In abgeschiedenen Gegenden Russlands soll sich dieser Brauch bis zum heutigen Tage erhalten haben.
Parzival 405 ff.
Bartsch, cit. bei Pannier, Parzival.
Konrad von W?rzburgs >>Partonopier und Meli?r<<, 1227 ff.
Tristan, herausgegeben von Massmann, S. 33 ff.
Leben der heiligen Elisabeth, 3161 ff. u. 3360.
U. a. 1. Buch Mosis 19. 8 u. 14.
Es lassen sich aus den Dichtwerken jener ?bergangsperiode von der D?mmerung zum Morgenrot noch eine grosse Bl?tenlese von Scenen anf?hren, die wertvolle Fingerzeige ?ber die geltenden Anstandsbegriffe geben. Noch k?mpft die angestammte Roheit gegen eine vom Auslande eingef?hrte ?berfeinerung, die wie ein dem knorrigen Stamme okuliertes Reis nur langsam mit diesem verw?chst. Hand in Hand mit der urspr?nglichen Ungeniertheit ging nun eine affektierte, dem innersten Wesen fremde, gesuchte und daher l?cherliche Zimperlichkeit. L?cherlich ist es, wenn Damen sich ohne Scheu vor dem Knappen im Naturkost?me zeigen, aber verlangen, dass eben dieser Knappe vor ihnen nicht anders als mit Unterkleidern versehen erscheinen sollte, da irgend ein Zufall eine ?rgerliche Entbl?ssung seines K?rpers im Gefolge haben k?nnte, wie das recht ?de, aber sittengeschichtlich wertvolle Lehrgedicht >>Der welsche Gast<< empfiehlt.
Welsche Gast von Thomasin von Zircl?re 457.
>>Der welsche Gast<< ist seinem Inhalte nach so eine Art anticipierter Knigge, ein Vademekum des mittelalterlichen >>Guten Tones in allen Lebenslagen<<, das mit anderen B?chern gleichen Inhaltes, wie Winsbeke und Winsbekin, viel verbreitet, aber ebensowenig befolgt wurde, wie die geschraubten Machwerke gleicher Tendenz in unserer Zeit. Man lebte trotz dieser Vorschriften in jenem seltsamen Gemengsel von ?berfeinerung und Roheit, das in seiner Bizarrerie die extremsten Formen zeitigte. Hier Schamhaftigkeit, die den Anblick blosser F?sse einer Frau zum todesw?rdigen Verbrechen f?r beide Teile stempelte, dort die naivste Zurschaustellung des entbl?ssten K?rpers vor dem Diener und Unfreien. Hier freie Liebe, dort exaltierte Pr?derie.
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