Read Ebook: Schriften 23: Novellen 7 by Tieck Ludwig
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Ebook has 2206 lines and 145957 words, and 45 pages
Ludwig Tieck's Schriften.
Dreiundzwanzigster Band.
Novellen.
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1853.
Ludwig Tieck's gesammelte Novellen.
Vollst?ndige auf's Neue durchgesehene Ausgabe.
Siebenter Band.
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1853.
Inhalt.
Seite Eine Sommerreise 3 Die Wunders?chtigen 157 Pietro von Abano 295
Ludwig Tieck's gesammelte Novellen. Siebenter Band.
Eine Sommerreise. 1834.
Einleitung.
Unter abwechselnden Vorf?llen und Erfahrungen, die sich mir im Lauf meines Lebens auf Reisen oder beim l?ngeren Aufenthalt in fremden St?dten aufdr?ngten, ist mir die Erinnerung so mancher Bekanntschaften erfreulich, so manche Beobachtung lehrreich und ich kann es nicht unterlassen, Einiges davon mitzutheilen, welches vielleicht manche befreundete Gem?ther auf anmuthige Weise anregt.
Schon manches Jahr ist verflossen, seit mir einige interessante Tageb?cher und Briefe in die H?nde geriethen, die mir um so bedeutender wurden, als ich die Verfasser derselben sp?terhin im Verlauf der Zeiten in ganz ver?nderten Verh?ltnissen und mit umgewandelten Gesinnungen wiedersah. Jetzt sind die Theilnehmer an nachfolgender kleinen Begebenheit gestorben oder nach fernen Gegenden gezogen, so dass es harmlos erscheint, Dasjenige mitzutheilen, was ich fr?her schon f?r vertraute Freunde aus jenen Tageb?chern und Briefen ausgezogen habe. Die Erz?hlung ist aus Schriften der drei Hauptpersonen verarbeitet und wird, der Deutlichkeit wegen, mehr wie einmal durch die eigenen Worte der erscheinenden Personen unterbrochen werden.
Walther von Reineck an den Grafen Bilizki in Warschau.
Von Deiner sch?nen Cousine, die ich damals leider nur einmal sah, habe ich bisher noch nichts in Erfahrung bringen m?gen. Und sehr begreiflich, da ich erst in Franken, oder gar in der N?he des Rheins, wie ich es ja weiss, Kundige finde, die mir von ihren Schicksalen und ihrer seltsamen Flucht etwas mittheilen k?nnen. Sollte ich das sch?ne Bild selbst irgendwo wiedersehn? Wenn ich nur wenigstens ihn finde, der sie zu dieser Uebereilung verleitet hat, welche sie Dir entriss, um an ihm die Rache zu nehmen, die ich Dir versprach, so wenig Du sie auch gefordert hast. Ich weiss es, dass ich zu hitzig bin; indessen Du bist besch?ftigt, im Dienst des Staates, geh?rst Deiner kranken Mutter, und ich bin m?ssig und frei genug, um diesen Sommer mich umzutreiben, zu sehn oder zu gaffen, zu lernen oder zu vergessen, und mir dabei einzubilden, ich thue Dir und der Menschheit einen grossen Dienst, indem ich einen andern M?ssigg?nger aufsuche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehn.
Bis jetzt hat das Wetter mich sehr beg?nstigt. Und eine interessante Bekanntschaft habe ich auch schon gemacht. Ich war queer durch das traurige Land gereiset, zwischen den St?dten Frankfurt an der Oder und Crossen hindurch, weil ich in Balkow, einem Dorfe, meine Freundschaft mit der Familie Tauenzien erneuen wollte, die Du auch kennst, weil die vortreffliche Frau aus Warschau geb?rtig ist. Hier herum ist eine seltsame Landesart und fast wilde Einsamkeit, beinah so wie in Polen. So kommt man denn durch abgelegene Wege, immer durch Wald bis an die Oder, wo den Reisenden, an sumpfiger Stelle, die Kretschem genannt, eine F?hre ?bersetzt. Hier fand ich zu meinem Erstaunen einen eleganten Wagen und einen jungen h?flichen Mann, welcher ebenfalls die F?hre erwartete, welche auf wiederholtes Rufen auch schon her?bersteuerte. Der junge Mann hatte jenen dunkeln, tiefsinnigen Blick, den ich an M?nnern wie an Frauen liebe, und so kam ich seiner Freundlichkeit mit Wohlwollen entgegen, und wir behandelten uns nach einigen Minuten, als wenn wir alte Bekannte w?ren. Er sagte mir, diese sumpfige Stelle w?re im Fr?hling und Herbst ziemlich gef?hrlich, weil die F?hre nicht ganz nahe kommen k?nne und der Wagen alsdann tief im Wasser fahre. Ich lernte daraus, dass er hier herum bekannt seyn m?sse. Und so erfuhr ich es denn auch, als wir auf der F?hre neben einander standen: er ist lange in Ziebingen und Madlitz gewesen, zweien G?tern, die der Finkenstein'schen Familie geh?ren. Von dieser Familie, den T?chtern wie den Eltern, spricht er wie ein Begeisterter. Der Vater, der Pr?sident Graf Finkenstein, ist der Sohn des ber?hmten Staatsministers und der Pr?sident selbst ist in der Geschichte, durch jenen vielbesprochenen Arnold'schen Process, nicht unbekannt, in welchem er sich als einen wackern und h?chst rechtlichen wie unerschrockenen Mann zeigte. >>Wer in dieser Familie, rief mein neuer Bekannter aus, eine Weile gelebt hat, der kann sich r?hmen, die echte Humanit?t und Urbanit?t, das Leben in seiner sch?nsten Erscheinung kennen gelernt zu haben. Die Mutter, eine w?rdige Matrone, ist die Freundlichkeit selbst, in ihrer N?he muss jedem wohl werden, der ein echter Mensch ist. Begeisternd, aber freilich weniger sicher ist die Gesellschaft der drei sch?nen und edeln T?chter. Die zweite ernst, die dritte muthwillig und froh und die ?lteste grazi?s und lieblich, erscheinen sie, im Gesange vereinigt, wie das Chor der Himmlischen. Vorz?glich die Stimme dieser ?lteren Schwester ist der reinste, vollste und auch h?chste Sopran, den ich jemals vernommen habe. W?re sie nicht als Gr?fin geboren, so w?rde sie den Namen auch der ber?hmtesten S?ngerinnen verdunkeln. H?rt man diese Henriette die grossen leidenschaftlichen Arien unsers musikalischen Sophokles, des einzigen Gluck, vortragen, so hat man das H?chste erlebt und genossen. Oft verherrlicht noch ein grosser Musikkenner, der Minister Voss, die Gesellschaft, und durch seine Vermittlung und aus der Sammlung dieses vortrefflichen Mannes haben die T?chter grosse Sachen von Jomelli, ?ltere von Durante, Leo, Lotti und Allegri, einige h?chst seltene vom alten Palestrina und dessen Zeitgenossen erhalten, und diese erhabenen Kirchenges?nge werden in dieser Familie so vorgetragen, wie man es vielleicht kaum in Rom so rein und grossartig vernimmt. Der Vater, nachdem er seine Gesch?fte und juristische Laufbahn aufgegeben hat, bewirthschaftet seine G?ter und hat mit malerischem Sinn f?r Natur in Madlitz einen der sch?nsten G?rten angelegt und ausgef?hrt, der uns einfach und ohne Pr?tension die Herrlichkeit der B?ume und Pflanzen zeigt und an hundert anmuthigen Pl?tzen zum poetischen Sinnen und phantasiereichen Tr?umen einladet. Dieser Mann studirt und ?bersetzt den Theokrit und Virgil's Eklogen, so wie einige Gedichte Pindar's. Er kennt, was noch so vielen Poesiefreunden eine geheimnissvolle Gegend ist, viele alt-deutsche Ges?nge und weiss das erhabene Epos der Nibelungen fast auswendig. So oft ich in diesem Kreise war, bin ich besser und unterrichteter aus ihm geschieden.<<
Aus dieser begeisternden Rede schloss ich, dass mein neuer Bekannter der Liebe sehr zugeneigt, in diesem selben Augenblick wohl schon ein Verliebter sei, dass er wohl auch Anlage zum Dichter besitze. Er heisst Ferdinand von Erlenbach und reiset mit noch weniger Absicht als ich in die weite Welt hinein. Wir werden wenigstens bis Dresden beisammenbleiben, er sendet auch von hier, von Guben, seinen Wagen zur?ck, und wir haben in diesem St?dtchen eine Chaise bis Dresden gemiethet.
Nach vielfachen Gespr?chen, in welchen sich der enthusiastische Charakter meines neuen Freundes noch mehr entwickelte, kamen wir, nachdem unsre Kutscher sich ohne Noth im Fichtenwalde verirrt hatten, gegen Abend in dem St?dtchen Guben an, welches f?r die hiesige Landesart eine ganz leidliche Lage hat. Er, der Aufgeregte, ist bei dem sch?nen Wetter noch nach dem Vogelschiessen, auf der Wiese draussen, zu dieser B?rgerlustbarkeit hinausgegangen. Ich habe keinen Sinn f?r dergleichen poetische Prosa. Das Knallen der B?chsen, diese Gespr?che beim Bier, der Pfahlwitz dieser Sch?tzen, Alles dies kann weder meine Neugierde noch mein Behagen erregen. Er reizt sich aber auf, um dergleichen aus Willk?r interessant zu finden; will wohl auch die Menschen studiren. Auch denkt er einen Jugendfreund aufzusuchen, den er seit vielen Jahren nicht gesehn, der sich hier angekauft und verheirathet hat. Ich zog vor zu essen, zu trinken und Dir diesen fl?chtigen Brief zu schreiben. Gedenke Deines treuen Walthers.
Guben, den 15. Junius 1803.
Ferdinand war in der That bis zum Abend beim Scheibenschiessen. Er liebte dergleichen Volksfeste fast ?berm?ssig und seine Phantasie, wenn er gleich nicht mehr in der ersten Jugend war, ?berzog die Gegenwart, die Andern d?rr und finster erschien, mit einem gl?nzenden Firniss. Trotz seinem Nachforschen wollte es ihm aber nicht gelingen, seinen Schulfreund Wachtel anzutreffen. Die Sch?tzen bedeuteten ihm auch, dass dieser nicht zu ihrer Gilde geh?re. In der Vorstadt, wo das ziemlich grosse Haus seines Freundes gelegen war, traf er ihn ebenfalls nicht. Er spazierte also halb verdrossen in der Gegend umher und vernahm aus der Ferne die Sch?sse, die nach der Scheibe zielten, dann begab er sich wieder in das zerstreuende Ger?usch, h?rte hier und dort den Gespr?chen zu und w?nschte so wie die Andern ?ber ungesalzene Geschichten oder Familiensp?sse lachen zu k?nnen. So ward es Abend und finster und er war immer noch zu verdrossen, um nach dem Gasthofe in der Stadt zur?ckzugehen, und sein Lager aufzusuchen.
Schon entfernten sich nach und nach die Sch?tzen mit ihren Frauen und Kindern, ein anmuthig erfrischender Wind strich beruhigend ?ber das Gefilde und die Sterne traten heller und bestimmter aus der dunkelblauen W?lbung; Ferdinand, der gern in der Nacht umherwandelte, war fast entschlossen, im Freien zu bleiben. Da h?rte er im nahen Geb?sch wie ein Klagen, Seufzen und Schelten durch die Stille des Abends, und als er n?her trat, bot sich ihm eine Scene wie von Teniers und Ostade dar, die zu seinen s?ssen Tr?umen gar nicht passen wollte. Ein trunkener Mann lag auf dem gr?nen Rasen und eine Frau, die bald ermahnte, bald wehklagte, bestrebte sich, ihn, indem sie ihn am Arme hielt, emporzurichten. Sie freute sich, als ein anderer Mann ihr nahte, weil sie in ihrer Angst dessen H?lfe sogleich in Anspruch nahm, um den Besinnungslosen nach Hause schaffen zu k?nnen. Indem Ferdinand den Bet?ubten aufzurichten suchte, erz?hlte die Frau, wie der Gatte auf einem Kindtaufschmause beim Amtmann des nahen Dorfes immerdar gelacht und getrunken, so christlich sie ihn auch ermahnt habe; mehr vom Gel?chter noch als Wein berauscht, sei er auf dem R?ckwege zur Stadt, indem auf dieser Stelle erst seine Krankheit sich vollst?ndig gezeigt habe, hier schlafend und wie todt niedergesunken. Lachend und weinend stemmte sich die Frau, durch Ferdinand's kraftvolle Unterst?tzung sichrer gemacht, bis Beide durch richtig angewendete Hebelkraft den Ehemann aufrecht gestellt hatten. Besch?mt und ger?hrt f?hlte sich Ferdinand, der schon seit einiger Zeit im Lallenden und Ohnm?chtigen seinen humoristischen Freund Wachtel wieder erkannt hatte. Er war nur dar?ber froh, dass jener Walther, der neue Bekannte, bei dieser Nichterkennungsscene nicht zugegen war, da er ihm von diesem Herrlichen so viel Gutes und Sch?nes erz?hlt hatte, das ihm selber jetzt als Unwahrheit erschien. Die beiden H?lfreichen f?hrten nicht ohne M?he und Anstrengung den Unbeholfenen in sein Haus, und Ferdinand entfernte sich in der h?chsten Verstimmung. Er durchstreifte wieder die Landschaft und erfreute sich der lieblichen Sommernacht, die warm und doch erfrischend, labend und milde nach dem heissen Tage auf den Feldern und W?ldern webte. Die Lichter des St?dtchens erloschen nach und nach, und seinen Lebenslauf ?bersinnend, kam der Tr?umende nach einer Stunde zur?ck, um seinen Gasthof aufzusuchen. Er musste vor dem Hause des trunkenen Freundes vor?ber, und als er in die N?he desselben kam, vernahm er deutlich Wachtel's Stimme. Er war unten in einer grossen Stube zur ebenen Erde und alle Fenster standen, der Sommerw?rme wegen, offen. Ferdinand kam leise n?her und unterschied in der D?mmerung seinen Freund, der ruhig neben seine."
"Yes, he was talseiner gemessenen Rede fortfuhr: -- denn alle Weisheit ist nur St?ckwerk, und alle Tugend nichts als Flickwerk. Ich betheure Dir, ich war nicht betrunken, wie Du Dir einzubilden scheinst, sondern nur etwas anders, als gew?hnlich, gestimmt; auch war ich nicht abwesend oder gar besinnungslos, wie Du behaupten m?chtest, sondern mein Geist schw?rmte nur in andern Regionen und war eben mit der L?sung der tiefsinnigsten Probleme besch?ftigt. So geht es mir ja oft, dass auf meinem Zimmer sich beim Buch oder im Nachdenken mein Geist in hohen Gen?ssen ergeht, und ich Dich ebenfalls alsdann nicht oder meinen Gevatter Wendling bemerke. Was nun die Behauptung betrifft, Du selbst habest mich nebst einem ganz fremden Manne, unwissend meiner selbst, hieher in mein H?uslein geschleppt, -- so ist das nichts weiter, als was mir und Dir alle Tage geschieht, wenn wir im Wagen sitzen, ?ber dieses und jenes anmuthig genug discurriren und weder wissen noch bedenken m?gen, ob weisse oder schwarze Pferde uns von der Stelle bewegen. Contrair zeigt es nur von einem geringen Sinne, sich um diese Nebendinge allzu?ngstlich zu k?mmern; und wie w?rdest Du selbst mich verachten, wenn ich in einer sch?nen Landschaft, an welcher sich Dein Auge erg?tzte, Dich immer wieder auf die Schimmel und den rothnasigen Fuhrmann aufmerksam machen wollte. Also, nicht einseitig abgeurtheilt, liebe Gattin. W?ren wir nicht so schnell stillgestanden, was Du selbst verlangtest, um zu verschnaufen, wie Du Dich ausdr?cktest, so w?re ich dort am Abhang nicht in die Knie und alsbald mit dem ganzen Leichnam hinab gesunken oder geschurrt; denn Beine und Schenkel und alle jene Muskeln, welche zum Wandeln in Bewegung gesetzt werden m?ssen, thaten ihre Schuldigkeit ganz leidlich, Wille und Vollstreckung immerdar im Takt, Eins zwei, Eins zwei; -- nun aber die pl?tzliche Hemmung -- das war den Sehnen, Muskeln, Gebeinen, und wie sie Namen haben m?gen, ganz unerwartet wie ein Blitzschlag; -- die Geister, die schon Reissaus genommen hatten und in Indien und Calekut schw?rmten, vergassen von ihrer interessanten Pilgerschaft zur?ckzukommen, der Wille lauerte vergeblich auf Befehl, und die Sehnen und Muskeln, die schon lange des langweiligen Takttretens m?de waren, fielen ohne von Willen und Geistbefehl und jenem hartherzigen Bewusstsein tyrannisirt zu werden, zusammen und blieben liegen. Sieh, Schatz, dies ist die pragmatische Geschichte jenes von Dir missverstandenen Vorfalls.
Ganz gut, sagte die Frau, aber ich weiss, was ich weiss, Du kannst mir meine Sinne nicht abdisputiren. Vor acht Tagen sagtest Du wieder, wenn ich Dich unterwegs nur eine einzige Minute h?tte ausruhen lassen, so w?rst Du hier in der Stube nicht so hingeschlagen, dass es Dir zwei Tage im Kopfe brummte.
Richtig, mein Kind, erwiederte der Gatte, mein Genius brummte und knurrte damals lange aus Verdruss, dass man auf seine Weisung nicht gemerkt hatte. Denn ich war mit Bewusstsein dazumal ?berf?llt, es waren zu viele Lebensgeister gegenw?rtig und ein Ueberschwang von Gedanken, philosophischen Begriffen und tiefsinniger N?chternheit qu?lte mich; so war denn nicht Ein Wille bloss meinem Gehn und den Beinen zu Gebot, sondern wohl zehn Willenskr?fte hantirten in mir und zankten gleichsam mit den Lebensgeistern und der obersten Hauptseele oder dem wahren Ich. Du sahst auch, wie die Beine zu schnell liefen, wie ich mit den H?nden haspelte und gestikulirte, die in Wandelsbegeisterung auch Beine zu seyn strebten. H?tte ich nun etwas im Freien geruht, so konnte die Hauptseele so ein Dutzend Lebensgeister nach allen Richtungen fortsenden, mein zu starkes Bewusstsein wurde vern?nftig und gem?ssigt, und ich fiel nachher aus pur ?bertriebener N?chternheit nicht hier auf den Fussboden hin. -- Aber noch schlimmer, dass Du mich bei der fremden Dame, die seit gestern bei uns logirt und morgen, oder vielmehr heut, oder vielmehrest ?bermorgen, das heisst, da jetzt Mitternacht vor?ber ist, eigentlich morgen fr?h abreisen will, in so schlechten Ruf gebracht hast, als wenn ich ein Trunkenbold w?re. Sieh, mein Engel, das fremde gutherzige Frauenzimmer reiset nun in alle Welt und h?ngt mir in den allerentferntesten L?ndern einen Schandfleck an, und macht mir so in Gegenden einen b?sen Namen, wo ich noch nicht einmal einen guten oder gleichg?ltigen Ruf errungen habe; es ist sogar m?glich, ich werde da schon im voraus l?cherlich, wo man mich noch gar nicht kennt; denn Verleumdung findet weit leichter als Verehrung eine Herberge und Wohnung in der Brust der mannichfach redenden Menschen.
Er ist also auch in der Ehe unverbesserlich geblieben, dachte der erz?rnte Ferdinand und ging in die Stadt. Es war ihm in seiner Verstimmung unm?glich, sich jetzt seinem ehemaligen Freunde zu erkennen zu geben.
In einem nicht gar bequemen Fuhrwerke verliessen die Reisenden Guben und zogen langsam durch die Steppen und Fichtenw?lder jener Gegend der wendischen Lausitz. Sie ?bernachteten in Wermsdorf und waren erfreut, bei K?nigsbr?ck eine gr?nere und freundlichere Natur zu finden. Ein sch?ner, voller und dichter Tannenhain, mit vielen alten B?umen, von sch?nen Buchen und Birken erhellt, empfing sie nachher, und gegen Abend sahen sie von einer Waldh?he herab in seiner ganzen Sch?nheit am anmuthig gewundenen Strom das liebliche Dresden vor sich liegen.
Ich war schon oft in dieser Stadt, sagte Ferdinand, und doch bleibt mir der Anblick dieser Gegend immer neu. Die H?gel, die sanften Th?ler umher, der sch?ne Strom, das Gr?n und die Waldpartien, Alles ist zierlich und erg?tzlich zu nennen. Erhaben, ernst, feierlich ist diese Natur nicht und wir h?ren hier keine jener Stimmen, die das Ohr unsers Geistes wohl in Gebirgen vernimmt. Darum hat diese Gegend so recht eigentlich etwas Wohnliches, Behagliches, dass Jedem hier wohl wird, der eines Umganges mit der Natur f?hig ist.
Sollten das nicht alle Menschen seyn? fragte Walther.
Ich zweifle sehr, erwiederte jener: suchen so viele nicht und vermissen in freundlichen Ebenen den Reiz der Gebirge? Entbehren nicht viele schmerzlich in sch?ner Abgelegenheit den Wirrwarr der grossen St?dte?
Das geh?rt auch, erwiederte Walther, zu den Erfreulichkeiten Sachsens und dieser Residenz, dass man sich frei f?hlt, nicht von Mauth und deren Dienern grob und st?rmisch angefahren und genirt wird; dass keine Habgier die Bestechung wie einen Tribut erwartet. Das bildet einen starken Abstich gegen das grosse benachbarte Land, in welchem in dieser Hinsicht so vieles zu verbessern ist.
Schon in der N?he des freundlichen Thorschreibers fielen diese Reden vor und die Reisenden stiegen m?de vor dem Gasthause, der goldene Engel, ab, in welchem sie Erquickung und gute Bewirthung fanden.
Walther von Reineck an den Grafen Bilizki.
Dresden, den 19. Juni 1803.
Man sagt mir hier, die Familie Ensen sei in Karlsbad, und dahin werde ich also vorerst mit meinem Schw?rmer meinen Zug richten, weil ich hoffen kann, von diesen Leuten, welche alle Verh?ltnisse so genau kannten, von der sch?nen Maschinka, oder ihrem Entf?hrer etwas zu erfahren. Ferdinand, wie ich ihn der Abk?rzung wegen nennen will, f?hrte mich sogleich zu einem wackern Schwaben, einem Maler Hartmann hin, so wie zu einem sehr poetischen eigenth?mlichen Landschaftmaler, Friedrich, aus Schwedisch-Pommern geb?rtig. Diese wahrhaft wunderbare Natur hat mich heftig ergriffen, wenn mir gleich Vieles in seinem Wesen dunkel geblieben ist. Jene religi?se Stimmung und Aufreizung, die seit kurzem unsre deutsche Welt wieder auf eigenth?mliche Weise zu beleben scheint, eine feierliche Wehmuth sucht er feinsinnig in landschaftlichen Vorw?rfen auszudr?cken und anzudeuten. Dieses Bestreben findet viele Freunde und Bewunderer, und, was noch mehr zu begreifen ist, viele Gegner. Historie, und noch mehr viele Kirchenbilder haben sich wie oft ganz in Symbolik oder Allegorie aufgel?set, und die Landschaft scheint mehr dazu gemacht, ein sinnendes Tr?umen, ein Wohlbehagen, oder Freude an der nachgeahmten Wirklichkeit, an die sich von selbst ein anmuthiges Sehnen und Phantasiren kn?pft, hervorzurufen. Friedrich strebt dagegen mehr, ein bestimmtes Gef?hl, eine wirkliche Anschauung, und in dieser festgestellte Gedanken und Begriffe zu erzeugen, die mit jener Wehmuth und Feierlichkeit aufgehn und eins werden. So versucht er also in Licht und Schatten belebte und erstorbene Natur, Schnee und Wasser, und eben so in der Staffage Allegorie und Symbolik einzuf?hren, ja gewissermassen die Landschaft, die uns immer als ein so unbestimmter Vorwurf, als Traum und Willk?r erschien, ?ber Geschichte und Legende durch die bestimmte Deutlichkeit der Begriffe und der Absichtlichkeit in der Phantasie zu erheben. Dies Streben ist neu, und es ist zu verwundern, wie viel er mehr wie einmal mit wenigen Mitteln erreicht hat. So meldet sich bei uns in Poesie und Kunst, wie in der Philosophie und Geschichte, ein neues Fr?hlingsleben. Ganz ?hnlich, und vielleicht noch tiefsinniger, strebte ein Freund, der erst seit kurzem von hier in sein Vaterland, Pommern , zur?ckgekehrt ist, die phantastisch spielende Arabeske zu einem philosophischen, religi?sen Kunstausdruck zu erziehn. Dieser lebenskr?ftige Runge hat in seinen Tageszeiten, die bald in Kupferstichen erscheinen werden, etwas so Originelles und Neues hervorgebracht, dass es leichter ist, ?ber diese vier merkw?rdigen Bl?tter ein Buch zu schreiben, als ?ber sie in K?rze etwas Gen?gendes zu sagen. Es war eine Freude, diesen gesunden Menschen diese Zeichnungen selbst erkl?ren zu h?ren, und zu vernehmen, was er Alles dabei gedacht. Ich suchte ihn im vorigen Jahr, als ich mich auch hier befand, darauf aufmerksam zu machen, dass er, besonders in den Randzeichnungen, die die Hauptgestalten umgeben, mehr wie einmal aus dem Symbol und der Allegorie in die zu willk?rliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe gefallen sei. Der bittre Saft, der aus der Aloe trieft, die Rittersporn, die im Deutschen durch Zufall so heissen, k?nnen nicht im Bilde an sich Leiden, Reue oder Tapferkeit und Muth andeuten. So ist in diesen Bildern manches, was Runge wohl nur allein versteht, und es ist zu f?rchten, dass bei seiner verbindenden reichen Phantasie er noch tiefer in das Gebiet der Willk?r ger?th und er die Erscheinung selbst als solche zu sehr vernachl?ssigen m?chte. In derselben Gefahr befindet sich auch wohl Friedrich. Ist es nicht sonderbar, dass gerade die Zeit, die mehr Phantasie entwickelt, als die vorigen Menschenalter, zugleich im Phantastischen und Wunder mehr Bedeutung, Vernunft und ?ussere und innere Beziehung finden will, als fr?her die Menschen von jenen Productionen der K?nste verlangten, die doch gewissermassen ganz aus der Verst?ndigkeit hervorgegangen waren? Man sieht aber wieder, wie Ein Geist immerdar sich im Zeitalter in vielen Gegenden und Gem?thern meldet. Die Novalis auch nicht kennen oder verstehn, sind doch mit ihm verwandt. War es denn auch so zur Zeit des Dante? So weit ich jene Jahre kenne, entdecke ich dort diese Verwandtschaft nicht. Dieser grosse Prophet hat in seinem Geheimniss dieses Streben, Sache und Deutung, Wirklichkeit und Allegorie immerdar in Eins zu wandeln, auf das m?chtigste aufgefasst. Ihn verstehn und f?hlen setzt voraus und fordert eine grosse poetische Sch?pferkraft; mit dem gew?hnlichen Auffassen ist hier nichts gewonnen. Soll man sich aber selbst so loben? Im Briefe vielleicht. Und doch gemahnt es mich, als sei dies kein Lob. Nur Geweihte sollen Dante's Gedicht lesen. Es ist ja keine B?rger- und Menschenpflicht.
Sonderbar, dass viele Menschen, die mit Recht sich etwas darauf einbilden, dass sie Runge's und Friedrich's Bem?hungen nicht abweisen, weil ihr Poesiesinn den Sch?pfungen entgegenkommt, doch die tiefsinnige und ebenso liebliche Symbolik und Allegorie in Correggio's einzigen Werken nicht f?hlen und anerkennen. Wer nichts als den Maler in ihm sieht, der mit Lichteffekten spielt, mag nicht gescholten werden, wenn er mehr als einen Niederl?nder h?her stellt. Runge selbst war immer von diesem grossen Dichter auf das tiefste ergriffen, und es liess sich mit diesem hochbegabten deutschen J?nglinge ?ber diese Gegenst?nde sehr anmuthig sprechen und schw?rmen. Freilich merke ich wohl, dass ich, gegen meinen Begleiter Ferdinand gehalten, mich noch sehr prosaisch ausnehme.
Wir standen vor Rafael's sogenannter Sixtinischen Madonna. Es ist schwer, von einem so ewigen, ganz vollendeten Werke etwas Bedeutendes zu sagen, und um so schwerer, je ?fter und weitl?uftiger schon begeisterte Bewunderer oder forschende Kenner sich dar?ber haben vernehmen lassen.
Kein Werk, darin kommen alle ?berein, ist von Rafael so leicht, mit so weniger Farbe, so weniger Ausf?hrung gemalt. Es hat dar?ber, weil es wohl rasch gef?rdert ist, fast den Charakter eines Freskobildes; in Hinsicht der Einfachheit, Erhabenheit, steht es vielleicht, wenn man einmal unterordnen will, allen Arbeiten dieses gr?ssten Malers voran. Es kommt mir vor, als wenn diese sublime Erscheinung jene Ausf?hrlichkeit so vieler anderer Meisterwerke nicht zuliesse. Denn wie eine Erscheinung wirkt dieses Kunstwerk. Es ist sehr zu tadeln, dass man es so nachl?ssig eingerahmt hat; denn oben ist vielleicht eine Handbreit oder mehr umwickelt, wodurch die gr?nen Vorh?nge und der obere lichte Raum verk?rzt sind. Denkt man sich dieses jetzt Mangelnde hinzu, so schwebt die Gestalt der Maria, sowie des Sixtus und der Barbara noch deutlicher, noch mehr und lebendiger herab. Die Vision der drei Heiligen steigt in die Kirche selbst hernieder, sie erscheint ?ber dem Altar, und Maria bewegt sich im Niederschweben mit dem ernsten Kinde in den Armen zugleich vor. Diese doppelte Bewegung erkl?rt den Flug des Schleiers, sowie das Zur?ckstreben des blauen Gewandes; der verkl?rte Papst, im br?nstigen Gebet, ist gleich in dieser knieenden Anbetung und Stellung gewesen. Die heilige Barbara stand der Mutter Gottes nahe, doch geblendet von der Majest?t und fast erschreckt von den tiefsinnigen Augen des Kindes ist sie so eben in die Knie gesunken und wendet das Antlitz. Diese Verbindung der fr?heren und sp?teren Bewegung liebte Rafael, fast alle seine Bilder zeigen sie, und keiner hat ihn in dieser Kunst, auf diese Weise wahres Leben, Seele in die Stellungen und Gruppen zu bringen, jemals erreicht. Die Engel, als Herolde, sind schon fr?her angelangt, und st?tzen sich unten ruhend auf dem Altar selbst. Getrost, kindlich unbefangen erwarten sie die Heiligen, und der Tiefsinn der Kindheit contrastirt mit dem Angesicht Christi und dem strengen Ernst seiner Augen gar sch?n. Mir unbegreiflich, wie manche seyn wollende Kenner dieser Barbara etwas Weltliches oder gar Coquettes haben andichten wollen. Andre meinen, das Bild sei noch edler, wenn die Figur der Maria ohne alle Begleitung erschiene. F?r wie Viele, und die doch gern mitsprechen, ist das Vollendete doch immerdar ein fest versiegeltes Buch, und eben darum, weil es vollendet ist. Die Mehrzahl der Menschen kann sich nur am Einzelnen entz?cken. Ihr Streben, sowie sich ihnen in Kunst oder Poesie etwas M?chtiges und Sch?nes anbietet, ist, sogleich das Werk zu vereinzeln, um sich dieses und jenes, entweder mit K?lte oder Hitze anzueignen. Die Kalten sind die sogenannten Kenner, die oft mit solcher Wegwerfung diese oder jene Zuf?lligkeit oder eine Nebensache bewundern, dass man, ihren Reden nach, auf den Argwohn kommen m?sste, es sei besser, wenn gar keine Kunst oder Poesie die Welt verwirre. Die Hitzigen versetzen sich zuweilen bis zu Thr?nen in eine ?ngstliche Leidenschaftlichkeit, um ja nur recht bestimmt etwas zu isoliren, irgend ein Sch?nes, das freilich sich wohl auch im Kunstwerke findet. Nur verdient dieses Einzelne erst das Lob, und kann nur verst?ndig seyn, wenn es aus dem Innern des Werkes und seiner Totalit?t verstanden wird. Aber von dieser innern, nothwendigen Vollendung, wodurch erst ein Kunstwerk diesen Namen verdient, von dieamed down from the roon die Eifernden wie die Besonnenen in der Regel nichts wissen; diesen Glauben erkl?ren sie geradezu f?r Aberglauben. Sie k?nnen ein Werk nur bewundern, wenn sie es f?r eine Ann?herung, aber freilich mangelhafte, zu jenem unsichtbaren, unf?hlbaren und unbezeichneten Ideal halten, welches ihnen im chaotischen Nebel vorschwebt.
Es ist merkw?rdig, wie sich so oft die Extreme ber?hren. Diese Rafael'sche Maria h?tte vielleicht niemals copirt werden sollen und kein anderes Bild ist von St?mpern und geschickten Zeichnern so oft wiederholt worden. Den besten aber fehlt das geistige Auge, die wahre Gestalt der Maria wieder zu finden. Vielleicht w?re dem schaffenden Meister selbst keine Copie ganz gelungen. Am schlimmsten sind einige Oelbilder, bloss die ganze Figur der Maria, ausgefallen. Ich kenne welche, die aus dieser erhabenen Gestalt etwas Freches und Gemeines gemacht haben.
Unser Entz?cken vor dem Gem?lde wurde auf eine sonderbare Art gest?rt und unterbrochen. Ein Mann in mittleren Jahren, mit einem scharfen Gesicht und einer etwas rothen Nase, kam mit stolperndem Gang und einem schreienden Ton auf uns zu, und schloss meinen verz?ckten Ferdinand, ob sich dieser gleich etwas str?ubte, fast zu heftig in seine Arme. Er nannte sich Wachtel, kam von Guben her?ber und hatte unsre Namen im Thorzettel gelesen. >>Ihr steht hier<<, rief er unmittelbar nach der Begr?ssung, >>vor dem allercuriosesten Tableau, das der Mensch nur ersinnen kann. Es ist ohne Inhalt und stellt eigentlich gar nichts dar. Man kann sich aus den Abendwolken bessere Geschichten zusammensetzen. Wo kommen diese Creaturen her? Wo wollen sie hin? Warum blieben sie nicht, wo sie waren? Das kommt mir vor wie manche Menschen, die immer eine wichtige Miene machen und hinter diesem nachdenklichen Gesichte doch gar nichts denken. Der Zuschauer muss sich nun zwingen, noch weniger zu denken, und das nennt er dann eine erhabene Stimmung. Wie man beim Feuer, wenn es m?chtig um sich greift, oft klug thut, zwei oder drei H?user einzureissen, damit nicht hundert zu Grunde gehn, so sollte ein durchgreifender Menschenfreund, wie der Kalif Omar, einmal so ein tausend gepriesene Meisterwerke in den Ofen stecken, damit eine Kluft, ein leerer Raum entst?nde, und diese Krankheit von unn?tzer Bewundrung, die immer weiter um sich greift, in sich erstickte, dass die armen Menschen einmal wieder frische Luft holten und zur Besinnung k?men. Was seht ihr z. B. auch dort an dem Tizianschen Christus mit der M?nze? Ich habe einen Schacherjuden gekannt, der ganz wie dieser angebliche Heiland aussah. Diese Maler sind lustige, boshafte Kerle gewesen, und es ist zu verwundern, dass ihnen die Geistlichkeit nicht mehr auf die Finger klopfte. Die Satire, wie der Jude hier die M?nze und den Versucher ansieht, wie die langen Finger so gern mit dem Geldst?ck eins werden m?chten, ist doch allzusehr in die Augen fallend.<<
Ferdinand, der mir vor einigen Tagen soviel Wunder und Sch?nes von diesem Jugendfreunde erz?hlt hatte, h?tte aus der Haut fahren m?gen und durfte doch den t?ppischen Gesellen nicht verleugnen. Er war aber dunkelroth vor Scham, denn noch kurz zuvor hatte er mir und den Umstehenden bewiesen, wie in diesem Bilde, >>Christus mit der M?nze,<< sich Tizian, der nur selten erhaben sei, selber ?bertroffen habe. So sehr er sich wehrte, musste er sich doch von seinem Freunde zu den Teniers und einigen andern niederl?ndischen Bauernscenen schleppen lassen, wo dieser Wachtel sich unter lautem Lachen ganz gl?cklich und behaglich f?hlte. --
Nachdem Walther diesen Brief abgesendet hatte, kehrte er zu seinem Freunde Ferdinand zur?ck, den er im heftigen Wortwechsel mit Wachtel antraf. Was giebt es, fragte er, wor?ber man so laut streiten k?nnte? Wachtel nahm sogleich das Wort und erz?hlte mit grosser Lebhaftigkeit: die Sache, werthgesch?tzter Unbekannter, betrifft, k?rzlich zu sagen, das Herz und die Liebe. Ich bin des Undankbaren ?ltester Freund, und er will es mir verwehren, hier mit ihm zu seyn und ihn nach Teplitz und Karlsbad zu begleiten. Ist das nicht reelle Undankbarkeit? Ich komme her, sehe ihn nach Jahren wieder, und will mein verdumpftes Herz in lichtender, frischer Liebe ausl?ften und durch heilsame Ersch?tterungen von Motten und allem unn?tzen Gespinste reinigen, und er will es mir verwehren, ihn zu begleiten, weil ich ihn, wie er vorgiebt, in seiner verstimmten Erhebung nur st?re. Auch hat er, wie immer, allerhand von Geheimnissen, die ich ihm allzuroh und derb betasten, oder vielleicht gar erdr?cken m?chte, denn er liebt es, sich selbst zu verh?tscheln, und doch hat der arme Schelm seine ganze Schw?rmerei nur einzig und allein von mir gelernt, was er freilich jetzt, nach so manchen Jahren, nicht mehr Wort haben will.
Ferdinand musste lachen und sagte: nun, so begleite mich denn, Freund Wunderlich, wenn jener Herr, mit welchem ich mich schon f?r einige Zeit versprochen habe, nichts gegen die Vermehrung der Gesellschaft hat. Walther schien ?ber die neue Bekanntschaft erfreut, die ihm manche Aufheiterung versprach, und man nahm sogleich die Abrede, vorerst nach Teplitz zu reisen, um zu erfahren, wie man sich untereinander vertr?ge.
An einem tr?ben Tage reisete die Gesellschaft von Dresden ab, ziemlich sp?t, so sehr auch Ferdinand getrieben hatte, damit man noch zeitig in Teplitz anlangen k?nne. Der bequeme Walther aber, der es nicht in der Art hatte, Zeit und Stunde sehr zu beachten, hatte die Stunde vers?umt. Die sch?ne Gegend bei Pirna, die anmuthige bei Giessh?bel, die Waldpartien, die wechselnden Aussichten erg?tzten alle. Auf der Grenze wurden die Reisenden, die nicht viel Gep?ck mit sich f?hrten, nur wenig aufgehalten. Der Weg bis zum Nollendorfer Berg hinauf war erm?dend und langweilig, denn schon in Peterswalde hatte sich ein dichter Nebel herabgesenkt, der jede Aussicht verdeckte. Oben auf dem h?chsten Punkte des Berges von Nollendorf steht eine kleine Kirche. Hier stiegen die Reisenden aus, um, wo m?glich, etwas von der Sch?nheit der Natur zu geniessen.
Der Wagen fuhr indessen das Thal hinunter, als die Naturbeobachter noch oben im dichten Nebel standen und kaum die n?chsten Str?ucher am Wege unterscheiden konnten. Wachtel sagte: Eigentlich, meine Freunde, ist dies, was wir hier nicht sehn, und indem wir nichts sehn, der erhabenste Anblick der Natur. Dies ist ein Bild vom alten uranf?nglichen Chaos, welches der wundersame Grossvater aller Formen und Gestaltungen war. Wir ?bereilen uns, wenn wir uns das Nichts als nichts denken wollen: was sich weder denken noch vorstellen l?sst. Nein, so wie wir es hier vor uns sehen, ist das Nichts beschaffen. Alles, so weit man sieht und denkt, ein unreifer Brei, eine angehende Milch, ein bl?der Lehrling f?r ein Sein. Wie Silhouetten-Gespenster dort die B?ume und Str?ucher, eben nur zu errathen, Finsterniss in diesem bleichen Dunkel, dort ebenso die Wand der Kirche. Alles nur R?thsel: steht da, wie Aberglauben im Meere der Unvernunft. Wenden wir nun einmal dieses eingebr?ute Gleichniss vor uns auf unsre eignen K?pfe an, so -- --
Hier versagte dem Schwatzenden das Wort im Munde, denn einem Wunder gleich riss sich eine grosse breite Spalte in dem dichtgewundenen Nebel, und gr?nes Land, sonnenbegl?nzter Wald lag unten, gegen?ber funkelnde Berge im wachsenden Lichte. Kaum entdeckt, brachen links und rechts neue Kl?fte im weissen Nebelmeer auf, und wie selige Inseln zeigten sich von allen Seiten Gebirg und Flur im spielenden Glanz des fluthenden Sonnenscheines, indessen noch dazwischen wie W?nde oder S?ulen die ineinandergeflochtenen Wolken alle Aussicht deckten. Nun entstand ein Kampf zwischen Licht und Dunkel: Alles wallte und zog hin und wieder. Die Wolken l?seten sich in Streifen, die leichter und wolliger zerflossen und sich endlich in den Glanz verloren und untertauchten. So wurden von unsichtbarer Hand allgemach die Vorh?nge weggehoben und das ganze Gebirge mit seinen sch?nen Formen lag weit ausgebreitet in allen Abstufungen des vollen und gemilderten Lichtes vor den Augen der entz?ckten Beschauer.
Diese Landschaft, rief endlich Ferdinand aus, muss eine der sch?nsten in Deutschland seyn.
Wie oft ich auch die Reise machte, sagte Walther, so habe ich doch niemals dieses ?berraschende Entz?cken genossen, welches mich heut ergriffen hat. Wie herrlich w?re es, wenn der Elbstrom durch dieses Thal fl?sse, denn nur Wasser fehlt dieser lieblichen Natur.
Sprechen wir nur nicht so, rief Wachtel aus, wie ich dergleichen schon so oft habe h?ren m?ssen. Ihr waret ja eben noch entz?ckt, Freunde, und schon fangt ihr an, Mangel zu empfinden, zu kritteln und zu kritisiren. Wie sch?n der Anblick eines gewundenen Stromes auch sei, wenn er wie ein belebender Geist hin durch die Landschaft gl?nzt, so passt er doch nicht in jede Naturscene hinein. Hier, wo Alles lieblich, so einklingend ist, w?rde er mich nur st?ren: er h?be das Gef?hl dieser behaglichen Einsamkeit gewissermassen auf. Rhein, Neckar, Mosel und der sch?ne Theil der Elbe beherrschen die Gegend, durch welche sie str?men, pr?gen ihr den Flusscharakter auf; hier aber f?hren die sch?nen Gebirge unmittelbar selbst das Wort. St?ren kann oft eine kahle, unbedeutend schroffe Wand, wenn sie zwischen den sch?nen Linien der Gebirge sich eindr?ngt, ein nackter H?gel, dem man die Waldung geraubt hat, eine w?ste Sandfl?che, die sich todtenbleich und krank zwischen lustiges, lebensvolles Gr?n der Fluren wirft, aber hier, Freunde, ist Alles so ganz und voll, dass euch nichts mangeln sollte.
Sie stiegen jetzt beim sch?nsten Wetter den Berg hinab. Ein Fusspfad f?hrte sie durch den Wald, aus welchem sie bald hier, bald dort wieder den freien Ausblick zu den Gebirgen hatten. Die Fr?hlingsv?gel sangen nicht mehr, aber durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten die kleinen V?gelchen ihre einfachen kindischen Melodien.
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