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Read Ebook: Schriften 23: Novellen 7 by Tieck Ludwig

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Ebook has 2206 lines and 145957 words, and 45 pages

Sie stiegen jetzt beim sch?nsten Wetter den Berg hinab. Ein Fusspfad f?hrte sie durch den Wald, aus welchem sie bald hier, bald dort wieder den freien Ausblick zu den Gebirgen hatten. Die Fr?hlingsv?gel sangen nicht mehr, aber durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten die kleinen V?gelchen ihre einfachen kindischen Melodien.

Sie trafen im Thale ihren Wagen wieder, aber die Abendsonne beschien die Kapelle oberhalb Culm und den Weingarten, auf welchem sie schimmerte, so einladend, dass die Uebrigen Walther's Vorschlage gerne folgten, noch zum H?gel hinaufzuklimmen, um den Untergang der Sonne von dort zu geniessen. Die Freude an der Natur erzeugt oft, indem man in der Aufregung keine Erm?dung f?hlt, eine Art von Rausch, welcher dann Mattigkeit und Ern?chterung herbeif?hrt, wenn man, wie beim Wein, die S?ttigung zu lange hinausschiebt. So erging es den Reisenden. Die Sonne war untergesunken, sie stiegen in der D?mmerung hinab und hatten noch bis zum Nachtquartier einen ziemlich weiten Weg vor sich. Der Fuhrmann schmollte ?ber die unn?tze Verz?gerung, um so mehr, da die Finsterniss, schnell wachsend, hereinbrach. Jetzt f?hlten die Abentheurer obenein, dass sie, aus Freude an der Reise und weil sie sp?t von Dresden ausgefahren, das Mittagmahl vers?umt hatten, und mit der zunehmenden Erm?dung und Dunkelheit wuchs in ihnen Hunger und verdr?ssliche Stimmung. Es wurde v?llig finster, so dass man die n?chsten Gegenst?nde, selbst den Weg nicht mehr unterscheiden konnte, und der Fuhrmann, der der Gegend unkundig war, erkl?rte auf das Bestimmteste, dass er in dieser pechrabenschwarzen Nacht unm?glich schneller fahren k?nne, wenn er nicht sich und seine verehrten Herren der wahrscheinlichsten Lebensgefahr aussetzen wolle.

M?hselig, verdrossen, langsam ging die Reise fort. Immer noch erschien Teplitz nicht, und Mitternacht war schon l?ngst vor?ber. Endlich ersahen die Verstimmten eine dunkle Masse, in welcher nur wenige Lichtpunkte flimmerten, vor sich. Der Kutscher fuhr seitw?rts, wie es schien, um das Thor zu finden. Keine Antwort auf wiederholtes Rufen und Klopfen. Endlich h?rte man von innen, dass dies die Wohnung des K?sters und der Eingang zum Kirchhof sei. Der Kutscher tastete herum und fand ein grosses Gatterthor. Noch weniger ward hier auf das laute Klopfen und Schreien R?cksicht genommen. Es war vom Felde her der Eingang zum sogenannten F?rstenhause. M?hselig fand man sich in der tr?ben Finsterniss zum Thore und zur T?pferschenke hin. Hier schlief aber l?ngst Alles. Ein Kellner und eine K?chenmagd erschienen endlich, nur halb erwacht. Der Wagen ward untergeschoben, die Zimmer schloss man auf. Die Aufwartenden verwunderten sich ?berm?ssig, dass die Ankommenden noch zu speisen begehrten. Butter, Schinken und ein kaltes Huhn wurden, nach vielem Widerspruch, nebst einer Flasche Wein noch herbeigeschafft. Die Betten waren in Ordnung. Aus Mitleid liess man die Aufw?rter wieder schlafen gehen. Doch Walther bildete sich ein, er fr?re und habe sich erk?ltet. Ein grosses Kamin war im Zimmer, und Wachtel, der allenthalben die Augen hatte, entdeckte auf dem Gange einige Scheite Holz. Man versuchte ein Feuer zu machen, das anfangs hell brannte, bald aber das Zimmer mit Rauch anf?llte. Es ward entdeckt, dass das Kamin oben zugemauert, also nicht zu gebrauchen war. Die Ueberm?den hatten viele Noth, bis sie den Rauch wieder durch die Fenster hinausgetrieben hatten. So, unges?ttigt, matt, verdrossen und ?berreizt begaben sie sich auf ihr Lager, indem Wachtel noch behauptete, es sei nichts so mit Pein versalzen, als die Vergn?gungen des Lebens.

-- Viel lieber durch Leiden M?cht' ich mich schlagen, Als so viel Freuden Des Lebens ertragen. --

So sang am Morgen Wachtel mit lauter Stimme und erweckte die beiden schlafenden Freunde. Als Alle munter und angekleidet waren, erschien das Fr?hst?ck und mit ihm die Wirthin, die es entschuldigte, dass die Reisenden in der Nacht eine so schlechte Aufnahme gefunden h?tten. In der Entschuldigung wegen des Rauches war ein gelinder Vorwurf eingeh?llt, dass man sich ohne Anfrage zu willk?hrlich des Feuers bem?chtigt habe. Bei der neuen Einrichtung, schloss die Frau, sollten diese Zimmer nur f?r den Sommer benutzt werden, und ich will diesen ungeschickten Kamin auch noch fortschaffen lassen, damit er nicht ?fter Irrungen veranlasst.

Der Spaziergang nach Dorna erg?tzte die Freunde, sie wandelten dann nach der Liebemay, einem anmuthigen Walde. Allenthalben erfreute der Anblick der Gebirge.

Am folgenden Tage sollte ihr Kutscher sie nach Dux bringen, sie geriethen aber, da er des Weges unkundig war, nach Kloster Ossek. Auf dem R?ckwege besahen sie Dux und die Andenken an den ber?hmten und ber?chtigten Wallenstein, der seit einigen Jahren durch des edlen Schillers Gedicht f?r die deutsche Nation ein neues Interesse bekommen hatte.

Die Bergstadt Graupen und ihre alte Kirche, die Ruine oben und die sch?ne Gegend nahmen den folgenden Tag in Anspruch. In der Kirche traf Walther zwei Damen aus Berlin, Mutter und Tochter, und sie beschlossen, die Spazierg?nge in Gemeinschaft zu besuchen. Wir werden noch den jungen Herrn von B?rwalde hier sehen, den wir gestern in Bilin fanden, sagte die Mutter, einen jungen Mann, den wir im vorigen Winter kennen lernten. Ein bescheidenes, stilles Wesen, setzte die Tochter die Beschreibung fort, ich habe in meiner Vaterstadt, in Berlin, mit ihm getanzt: er war fast zu ernst und verschlossen und tanzte auch mit einer gewissen feierlichen Miene. Alles dies wurde still und fast ?ngstlich w?hrend des Gottesdienstes in der Kirche verhandelt, und so leise sie sprachen, sahen die and?chtigen B?hmen doch mehr wie einmal drohend nach den Ketzern sich um. Pl?tzlich sprangen zwei junge, wohlgekleidete Leute durch die Th?r der Kirche, stellten sich laut sprechend in die Mitte, den R?cken gegen den Altar und Priester gekehrt, und kritisirten die Gruppen der h?lzernen Figuren, die gegen?ber auf dem Chore einen Theil der Leidensgeschichte, kr?ftig und wild ausgearbeitet, darstellten, so wie man unten an der Seite durch gelbgef?rbtes Glas in das Fegefeuer und die Qual der S?nder hineinsah; Alles auch ganze Figuren. Waren diese Gegenst?nde auch nicht der Kunst, vielleicht selbst der Kirche nicht ganz geziemend, so war das ?berlaute Gespr?ch und Lachen der J?nglinge ungezogen und so anst?ssig, dass die Damen, von den drei Reisenden begleitet, in grosser Angst aus der Kirche fl?chteten.

Um des Himmels Willen! rief das junge M?dchen, indem sie die H?he hinanstiegen, kennen Sie, liebe Mutter, den sanften, trocknen, zu bescheidenen T?nzer in diesem ?berm?thigen, affektirten Don Juan wieder?

Ist Ihnen denn, werthes Fr?ulein, sagte Walther, dieser Ton der sogenannten feinern Welt noch unbekannt geblieben? Diese neumodischen ungezogenen Herren, die in Gesellschaften, im Schauspiel und in der Kirche sich l?rmend und schreiend betragen, sind beim Tanze so steif und ehrbar, dass sie um Alles nicht lachen oder l?cheln und ihre T?nzerin kaum noch mit einem finstern, halb abgekehrten Blicke ansehen. Auf dem Balle darf sich keine Spur von Fr?hlichkeit zeigen, sie tanzen, als wenn sie zur Frohn arbeiteten, oder wie die Baugefangenen mit Schellen und Kl?tzen an den Beinen.

Die Frauen hatten solche Furcht vor jenen beiden J?nglingen, dass sie in der Gesellschaft der Reisenden ?ber Maria-Schein schnell nach Teplitz zur?ckkehrten. Nach dem Mittagsessen traf man sich auf dem Schlossberge wieder, von wo man am sch?nsten das ganze Thal von Teplitz ?bersieht, und Abends begab man sich in das kleine Theater.

Ein ?cht deutsches St?ck wurde gegeben: >>Der seltne Prozess.<< Ein verarmter, rechtlicher, frommer und bibelfester Weber weiss seiner Noth kein Ende, um so weniger, da seine Frau ihn seit Kurzem mit Zwillingen beschenkt hat. Der Segen des Himmels, den beide dankbar anerkennen, dr?ckt sie aber so zu Boden, dass nach langem Kampfe und vielem Schmerz sie sich entschliessen, das eine Kind in der Nacht einem reichen Manne heimlich zu ?bergeben. Dieser aber hat in derselben Nacht schon ein Wickelkind erhalten, er l?sst Acht geben, und als der Arme jetzt mit schwerem Herzen seinen Sohn dem Zufall und der Menschenliebe ?bergeben will, wird er ergriffen, gescholten und ihm, der nicht zu Worte kommt, das dritte Kind mit Gewalt in die Arme gelegt. Mit diesem Segen und Jammer befrachtet, muss er nach Hause gehen, und die Klagelieder der Frau kann sich Jeder denken. Indessen ist schon die unerwartete H?lfe nah. Eine Summe Geldes bringt der neue Ank?mmling mit und ein Schreiben, dass f?r die Ern?hrung des Kindes reichlich soll gezahlt werden. Nun wird grosse Freude aus der Trauer. Aber der Reiche erf?hrt diese Entwickelung, er will das Kind sammt dem Gelde und der Verk?stigung zur?ck haben, und so wird der seltne Prozess vor Gericht gef?hrt. Ein edler Advokat, der die Sache des armen Webers f?hrt, weist sich endlich als der Vater des Findlings aus, und Alle werden am Schluss zufriedengestellt. Ein komischer Richter erheitert die Verhandlung.

Es waren noch nicht viele Brunneng?ste in Teplitz und darum, besonders bei dem sch?nen Wetter, das Theater sehr menschenleer. Eine hohe, edle Gestalt gab sich die M?he, den Schauspielern und dem schlechten St?cke oft zu klatschen und sie durch lauten Beifall zu ermuntern. Walther erkannte, als sie nach dem St?cke noch den Garten besuchten, in ihm den ber?hmten witzigen Prinzen de Ligne, der hier meist den Sommer zubrachte. Als Walther ihm seine Begleiter vorgestellt hatte, erkl?rte der geistreiche Prinz, dass es ihm nicht darum zu thun sei, die gespielte Armseligkeit f?r etwas Gutes auszugeben, sondern es komme ihm nur darauf an, die armen Schauspieler etwas zu ermuthigen.

Ist es nicht, f?gte Walther hinzu, um diese ernsthaften Deutschen etwas Sonderbares! Wenn der heutige Schwank theatralisch gelten sollte, so m?sste er eben als Schwank, als Posse vorgetragen werden. In diesem Sinne sah ich die Geschichte vor einigen Jahren in Rom spielen. Ein eigensinniger Misogyn jagt seinen Bedienten, Truffaldin, aus dem Dienst, weil er geh?rt hat, er sei verheirathet. In komischer Verzweiflung kommt der Spassmacher nach Hause und findet die Zwillinge. Possierlicher Jammer der Aeltern, was anzufangen sei. Der Entschluss wird gefasst, das Kind dem Findelhaus zu ?bergeben. Aber welches? Beide Kinder machen auf gleiche Liebe Anspruch. Man streitet, zankt, weint und lacht: der Zufall soll es entscheiden, und die Kinder werden wie Loose ?bereinandergerollt und Truffaldin greift blindlings hinein. Beim Findelhaus wird ihm aber der dritte S?ugling nach einigen Schl?gen, die er mitnehmen muss, aufgezwungen, und in dieser burlesken Art entwickelt sich, ohne Prozess, so viel ich mich erinnern kann, das tolle Lustspiel. Die Italiener, die gerne lachen, hatten grosse Freude an dieser lustigen Parodie der V?terlichkeit und des menschlichen Elends, viele gesetzte Deutsche aber, die sich alle zu den guten und besten K?pfen rechneten, meistens Vornehme, die sich sonst nicht von der Moral geniren liessen, fanden den Spass ?usserst unsittlich und folgerten aus dem Lachen des unbefangenen Volks, das durch halbe Cultur noch nicht verdreht war, die tiefe Versunkenheit der Italiener, weil sie beim mindesten edeln Gef?hl dergleichen Abscheulichkeit nicht w?rden dulden k?nnen.

Das Albern-Sentimentale, fuhr Wachtel im Gespr?ch fort, diese Krankheit, die dem wahren Gef?hle ganz entgegengesetzt ist, hat von je bei den Deutschen g?tige Aufnahme gefunden. Doch sind die Franzosen in vielen ihrer Dramen und Romane auch nicht frei von dieser nerv?sen Hautkrankheit. Den schlimmsten Ausschlag hat wohl unser Kotzebue gehabt und gegeben. Hiob rieb sich in seinem Elend mit Scherben: wir gehn in die Kom?die, um uns zu erleichtern. >>Der kratze sich, den es juckt,<< sagt Hamlet: das thun wir denn redlich.

Der F?rst lachte und nach einigen Wechselreden trennte man sich, weil es schon sp?t geworden war. Von Karlsbad schrieb Walther folgenden Brief an seinen Freund nach Warschau.

Karlsbad, den 28. Junius 1803.

Die Familie Essen habe ich aufgesucht, so wie ich nur hieher kam. Aber ich weiss nichts Bestimmteres, da diese Leute, die etwas tr?ge scheinen, selber keine n?hern Nachrichten haben. Nur so viel scheint aus Allem hervorzugehen, dass der Entf?hrer oder Verf?hrer sich unter verschiedenen Namen herumgetrieben hat, und dass es deswegen um so schwieriger ist, ihm auf die Spur zu kommen. Nach Franken deuten die etwanigen unbestimmten Anzeigen. Ich muss es also fast dem Zufalle ?berlassen, ob ich ihn oder sie auf meiner seltsamen Pilgerfahrt antreffen werde. Man wird selber saumselig, wenn man sieht, wie wenig die Menschen sich ereifern, die die Sache doch auch, der Verwandtschaft wegen, interessirt.

Mein wunderbarer Reisegef?hrte Ferdinand wird mir um so lieber, je ?fter ich mit ihm zanke, je weniger ich in eine von seinen seltsamen Meinungen eingehen kann. So wie man von Sachsen aus die b?hmische Grenze betritt, ist Natur und Menschenstamm anders. Am auffallendsten aber ist das katholische Wesen, die Heiligenbilder und Crucifixe auf Wegen und Stegen, in D?rfern und St?dten, abseits auf dem Felde, wo man nur hinsieht, begegnen dem Auge diese h?lzernen und aus Stein gemeisselten Figuren, die meisten, wie sich von selbst versteht, widerw?rtig, schroff, und die Gem?lde und angestrichenen Passionsfiguren blutig und unannehmlich. Engel, die in Kelchen das Blut des Heilandes auffangen, das Antlitz des Erl?sers beregnet von rothen Tropfen, Maria meist mit nussgrossen Thr?nen, und Alles, wie in der Kirche zu Graupen, darauf hingearbeitet, um Schauder und Grauen zu erregen.

Als ich nun einmal dar?ber klagte, wie so Vieles in unserm Vaterlande, welches ?ffentlich aufgestellt wird, mehr dazu dient, die Barbarei zu bef?rdern und das Auge zu verderben, anstatt den Sinn f?r Sch?nheit zu n?hren und zu erh?hen, gerieth er in einen erhabenen Zorn und rief nach manchen Aeusserungen: W?ssten wir doch nur erst, was Sch?nheit ist und was wir so nennen sollen! Ist sie denn nicht so oft nur eine Verlarvung des Lebens und der Wahrheit? Auch die alten Griechen, uns Musterbilder im Sch?nf?hlen, hegten vor jenen Kl?tzen und Unformen, die ihnen aus uralter, fast vorgeschichtlicher Zeit ?berkommen waren, eine heilige Ehrfurcht und Scheu, und die Frommen f?hlten vor diesen Fratzenbildern in Ahndung und Erinnerung mehr, als vor jenen neuen, sch?ngeschnitzten G?tterbildern. Die S?sslichkeit mancher neuen Maler oder Bildner, wenn sie den Heiland als einen Siegwart, oder empfindsamen verliebten Landprediger, oder im Akt des Brodbrechens als einen idealisirten B?ckergesellen darstellen, ist mir das Verhassteste in allen Verirrungen unserer gef?hlvollen Zeit. Das Leiden des Gottmenschen, die Geheimnisse unserer Religion, die Wehmuth, der Schreck unseres Innern, die uns von dieser dunkeln, zu nahen Erde in die himmlischen Regionen des Glaubens und Anschauens hinaufr?cken sollen, k?nnen und d?rfen anderer Natur seyn, als jene Bewegungen, die uns das Sch?ne erregt. Wo der Landmann seine Aecker ?berschaut, der wilde J?ger aus seinem Forst tritt, der fremde Wandersmann in den Bezirk kommt, sehen sie die Hinweisung auf Erl?sung, Erbarmen, Mitleid und das Wunder des Ueberirdischen. Wird durch Fleiss und Th?tigkeit, durch Tugend und Kraftanstrengung nicht immerdar etwas Geistig-G?ttliches von der Qual und vom Tode erl?st? Geschieht nicht auch dieses in Arbeit und M?he durch Schmerz und Aufopferung? Der Bettler empf?ngt in jedem Brodschnitt nicht nur die Milde des Gebers, sondern auch dessen Kampf und Schweiss. So weit diese Bilder hier in den frommen Gauen stehen, werfen sie ihre leuchtenden Strahlen segnend ?ber die Aehren und die Fr?chte, ?ber den jungen Wald, B?che und Wege dahin, und Alles, so weit das Auge reicht, ist wie gesegnet und ?ber den Tod und Fluch des Irdischen erhaben.

Wir fuhren ?ber Dux, Brixen und Saatz, wo wir Mittag machten. Der Abend und der sch?nste Sonnenuntergang traf uns auf der H?he vor Engelhaus. Ich erinnere mich kaum, in meinem Leben etwas so Wundervolles in der Natur gesehen zu haben. Ferdinand, bei dem alle Gef?hle leicht in R?hrung ?bergehen, hatte Thr?nen in den Augen. Sie standen seinem h?bschen bl?henden Gesichte sehr gut, was mit daher r?hrt, weil der liebe Mensch von aller Affectation v?llig frei ist. Was er nun sprach, war wirklich wie in Entz?ckung, und als wenn er eben einer Vision theilhaftig w?re.

Kann man nicht diese Glut, diesen Purpurbrand und alle diese R?then in ihren Abstufungen bis zum lichten Rosenschmelz, als Blut des Heilandes, vom Haupte str?mend, aus der Seite, den F?ssen und H?nden fliessend, anschauen? Sein Haupt, die Sonne, sinkt tiefer und tiefer hinab, der Nacht und dem Tode entgegen; nun ist die g?ttliche Scheibe verschwunden, und die R?the gleitet ihr dunkler und farbloser nach. Er ist scheinbar todt, der g?ttliche Tag, und sein Alles erleuchtendes Licht erloschen. Ueber uns th?rmen sich Wolken und kreisen umher, vom letzten Licht getroffen und schwach gef?rbt. Sie b?umen sich auf und ergreifen flockend, anwachsend, sich l?send, diese und jene Gestalt. Es sind die alten Fabelg?tter, die ein Traum- und Scheinleben erringen. Da sitzt der alte Jupiter, ungeheuer und in sich schwankend, auf seinem bebenden Dunstthrone, Bacchus erhebt trotzig und jubelnd den Pokal, und so wie er trinken will, zerfliesst und schwindet der grosse Arm und die Figur des Trunkenen wandelt sich unvermerkt in den springenden Pardel, der jetzt den leeren Wagen zieht. Von dort schreitet der Juno erhabene grosse Gestalt durch das dunkle Blau, sie sucht ihren Gemahl und schrickt zusammen, weil dort schon ein goldner Stern durch den Aether blinkt. Haupt und Locken l?sen sich, die gew?lbte Brust schmilzt wie Silber im Ofen, die zerbrochenen Formen leuchten noch einmal auf und tauchen dort in den finstern Streif, in welchen sich alle rollenden Bildnisse versenken. Der Traum ist ausgetr?umt und die dunkle Nacht tritt herauf. Ein Sternbild nach dem andern bricht aus dem finstern Dome gl?nzend hervor; oben die unverg?nglichen festen Lichter, unten auf Erden Dunkelheit, Nacht, Tod; kein Fels, kein Wald mehr zu unterscheiden, Alles unkenntlich in eine schwarze Masse zerronnen, die ohne Anfang, die ohne Ende ist. Beides ein Bild der stummen Ewigkeit. So steht die Nacht fest, unersch?tterlich, wie es scheint. Abend- und Morgenroth sind Wahn; die erhabne Unendlichkeit der Gestirne, die unz?hlbaren Lichter und Welten in unermesslichen Fernen wandeln dem r?ckgekehrten Blick die Erde in nichtig Spielwerk und den Glauben an Gnade und Erl?sung in Fieberphantasie. Der Zweifel und das Dahingeben in das Unbegrenzte, Schrankenlose, giebt sich f?r Wahrheit und Religion. Da erzittert die ewige Nacht in sich selbst, die finstern W?lder sch?tteln sich im Morgenhauch, die ergrauende D?mmerung w?chst wie weissagend am Horizont empor. Pl?tzlich tritt die liebliche Morgenr?the hervor, mit ihren Wundern ?ber die Berge klimmend; Farbe, Licht, Wonne, Gestalt vertreiben siegreich den Unglauben der formlosen Nacht, und der Glaube tritt wieder in die jauchzende Natur. Sie tr?gt, die trostreiche, freundliche Mutter, den gl?nzenden, auferstandenen Sohn als leuchtendes Kind in ihren Armen, und W?lder und Gebirge sind im blauen und gr?nen Schimmer der letzte Saum des fliessenden Gewandes, wie sie aufgerichtet steht, hoch in die Himmel ragend. Und die Str?me jauchzen und schluchzen in Freude, und die Blumen lachen und duften, und die Felsen erklingen, und die Waldung rauscht Lobgesang.

Wir konnten seine begeisterten Augen nicht mehr sehen, denn es war ganz finstere Nacht geworden. Wundersam leuchteten von unten die zerstreuten Lichter aus Karlsbad, und nach vielem R?tteln und Stossen unseres Wagens, indem einmal der grosse h?lzerne Hemmschuh brach, der hier dem Rade untergelegt wird, gelangten wir sp?t und nicht ohne Gefahr in dem St?dtchen an.

Solltest Du nun nach Allem, was ich erz?hlt habe, nicht glauben, mein Reisegef?hrte Ferdinand sei katholisch geboren und erzogen? Allein nichts weniger, er ist Protestant und aus einem protestantischen Lande. Der wunderliche Wachtel, der sich die Miene giebt, ihn ganz genau zu kennen, ihn aber doch vielleicht nicht immer begreift, behauptet mit seiner gew?hnlichen K?lte und Sicherheit: wenn Ferdinand in einem katholischen Lande erzogen w?re, oder wenn es nur schon Ton und Mode w?re, wie es vielleicht dahin k?me, sich katholisch zu d?nken, so w?rde unser Schw?rmer eben so extravagant ein Protestant seyn. Ich lasse das dahingestellt seyn. Denn wer mag dergleichen behaupten oder widerlegen?

Wir sind mit Hardenberg und seiner liebensw?rdigen Frau nach dem sogenannten Heilingsfelsen gefahren. Eine von jenen Sagen, mit denen die Phantasie nicht viel anzufangen weiss, kn?pft sich an diese Gegend. Die Spitzen der Felsen sind grotesk und gleichen in der Ferne gewissermassen menschlichen Gestalten. Nun fabelt man, es sei eine Hochzeit, die pl?tzlich, mit allem Gefolge, in fr?her Vorzeit sei versteinert worden. -- Mich d?nkt, der Vielschreiber Spiess hat einen Geisterroman daraus gemacht. Diese gelesenen, beliebten Autoren l?sen in Deutschland einander nach gewissen Zeitr?umen ab, und selten, dass der neue Liebling besser als der abgesetzte Vorfahr ist. Dieselben Leser aber, die den neuen Demagogen bewundern, k?nnen alsdann nicht fassen, wie der fr?here ihnen nur irgend etwas habe seyn k?nnen.

Man erlebt immer noch unerwartete, m?chte man doch sagen wunderbare Dinge. In einer geistreichen, vornehmen Gesellschaft, in welche wir ebenfalls eintraten, als wir oben vom Hirschsprung zur?ckgekehrt waren, erhob sich zwischen zwei Baronen, schon bejahrten Leuten, ein unerwarteter und lebhafter Streit. Der ?ltere meinte und behauptete, das Thal von Karlsbad ?bertreffe nicht nur das Teplitzer bei weitem, sondern sei auch ausserdem eine der sch?nsten Gegenden in Deutschland. Ich habe wohl erlebt, dass man B?cher, Autoren, Musiker und Schauspieler protegirt, und dass der Protektor seine Meinung, wenn er ein Vornehmer ist, so zur Ehrensache macht, dass ihm keiner, h?chstens etwa ein Gleichgestellter, doch immer nur milde, widerspricht. Dass man aber in demselben Sinne auch die Natur protegiren k?nne, war mir eine ganz neue Erscheinung. Der Baron B. focht nun aber mit allen Waffen gegen Herrn A. f?r sein geliebtes Teplitz, und behauptete, dieses sei ohne Bedenken durch seine Heiterkeit, sch?ne Fernen, milde Luft und Bergfiguren dem elenden, bedr?ngten und dr?ckenden Karlsbad vorzuziehen, wo die nahen Berge wie die Mauern eines Gef?ngnisses jedes Gem?th, das noch irgend Sinn f?r Natur habe, be?ngstigten. Als die beiden Gegner immer empfindlicher wurden und sich mit jeder Gegenrede sch?rferer Ausdr?cke bedienten, wollte unser Wachtel den Streit durch gutgemeinte Uebertreibung schlichten oder l?cherlich machen, indem er rief: >>Meine Herren! Karlsbad, so wie Teplitz in Ehren! Aber, abgesehn von aller partiellen Vorliebe, wo immer eine gewisse Einseitigkeit sich meldet, auf die ein universeller Naturfreund, der ich zu seyn glaube, keine R?cksicht zu nehmen hat, so glaube und behaupte ich gegen sie Beide: dass der Hirschsprung dort oben sch?ner sei, wie irgend etwas in dieser Gegend oder bei Teplitz, ja in ganz Deutschland wenigstens, um nicht Europa zu sagen. Aber zugegeben selbst, Karlsbad sei ausb?ndig sch?n, wie sch?n dann der Hirschsprung, der hier unbedingt und ohne Frage das Sch?nste ist. Von tausend und aber tausend Malern ist nur Ein Rafael, der das H?chste und Vollkommenste erreicht hat; unter seinen vielen Bildern muss Eins das vorz?glichste seyn; auf diesem vorz?glichsten Tableau wird ohne Zweifel Eine Figur die beste seyn und -- um ganz vollst?ndig das Argument zu endigen -- auf und an dieser Figur wird die Nase, der rechte Arm oder das linke Bein, oder wohl ein verk?rzter Finger das allerkunstreichste darstellen -- und, Vortrefflichste, diesen Finger, oder die Nase, oder was es nun sei, weise man mir nach, und ich bin in meiner Ueberzeugung gl?cklich, und f?hle mich im Mittelpunkt der Kunst und scheere mich um den ganzen Rafael nichts mehr, die ?brigen Sudler, St?mper oder vollendete grosse Meister gar nicht zu erw?hnen. Und so ist mir mein Hirschsprung mein Delphi, mein Nabel der Erde.

Dieser Scherz aber, statt die Stimmung der Kriegf?hrenden zu mildern, erbitterte sie nur noch mehr, und er endigte, wie ich gleich f?rchtete, mit einer Ausforderung. Zum Gl?ck ist die Sache gut abgelaufen, die Kugeln sind ganz nahe dem Ziele vorbei gegangen, ohne zu verletzen, und der Teplitzer Fanatiker ist nach seinem Lieblingsorte unmittelbar nach dem Kampfe abgereist, indem er in das Fremdenbuch seine Verachtung der hiesigen Gegend mit starken Ausdr?cken eingezeichnet hat. --

Kann ein Gebildeter, so hat Baron A. diese Schm?hung im Gastbuche zu widerlegen gesucht, so unbillig seyn, die Natur entgelten zu lassen, was bloss seine eigne Verstimmung, oder sein Mangel an Sinn verschuldet hat? Die Engherzigkeit kann kein Urtheil f?llen, am wenigsten ?ber ein Geheimniss, und ein solches ist und bleibt die Sch?nheit der Natur. Der Krittler wird immer mit ihr ?ber den Fuss gespannt seyn.

O wie wahr! sagte Wachtel zum Schreibenden, denn nun verstehe ich erst, warum ich diesen meinen lieben Hirschsprung allen Dingen in der Welt vorziehe. Meine Vorliebe ist eigentlich das Herz und der Kern der Ihrigen, Herr Baron, wie dieser Felsen nur ein Theil des Ganzen; darum kann meine Liebe aber auch um so inniger seyn, weil sie sich durch nichts zerstreuen l?sst. --

Doch genug von diesen Thorheiten; der gute Wachtel, so habe ich entdeckt, liebt den Wein noch mehr, wie irgend eine Sch?nheit in Kunst oder Natur. Er absentirt sich oft und huldigt im Geheim seiner Leidenschaft. Besonders ist es die sogenannte Mennische Essenz, ein vortrefflicher rother und s?sser Ungarwein, der sein Herz ganz gewonnen hat. Ferdinand sieht ihn nachher oft mit seinen grossen braunen Augen an, und kann aus den Faseleien und wilden Reden nicht klug werden, die Wachtel dann ohne Kritik und Aengstlichkeit von sich giebt. In diesem halben oder ganzen Rausch scheint sich dieser wunderliche Mensch am meisten zu gefallen. --

N?chstens mehr, und hoffentlich eine bestimmte Nachweisung.

Die drei Reisenden, welche man jetzt schon die drei Freunde nennen konnte, nahmen von dem trefflichen Hardenberg Abschied und reiseten den folgenden Tag bis nach Eger. Hier f?llt der grosse st?mmige Menschenschlag auf, sowie die d?rre, kalte und unfreundliche Gegend. Man besuchte, aus Verehrung gegen den grossen Dichter noch am Abend das Haus, in welchem Wallenstein war ermordet worden. Am folgenden Tage fuhr man ?ber Thiersheim nach Wunsiedel und Sichersreuth, dem Bade, welches Alexanderbrunnen genannt wird. Hier ruhten die Freunde bei stechender Mittagshitze aus und erfreuten sich an der sonderbaren Gegend und Aussicht. Die Natur zeigt sich hier wild, man m?chte den Ausdruck einen trotzigen nennen; dazwischen erfreuen Wald und gr?ne Wiesenstellen, und wunderbar zeigt sich die nahe Luxburg und der Burgstein. In diesem wundersamen Geklipp und durcheinander und ?bereinander geworfenen und k?hn geschleuderten Felsenmassen erhebt sich das Gem?th in der Einsamkeit der unabsehbaren Tannenw?lder zu den k?hnsten Tr?umen. Ein poetisches Grauen weht in diesen Kl?ften und auf den steilen H?hen.

Diese Seltsamkeiten des Fichtelgebirges, die N?he von Wunsiedel, die barocke Gestalt der Natur, die doch nicht ohne Lieblichkeit ist, f?hrte das Angedenken der Freunde von selbst auf ihren geliebten Jean Paul Richter. Man sprach viel ?ber diese echt deutsche Natur und ?ber seine wundersamen Werke, deren Ruhm sich mit jedem Jahre mehr in Deutschland verbreitet hatte. Mehr noch traten und gl?nzender die Gestalten der hohen Reisenden hervor, die k?rzlich hier gewandelt hatten. Der Name des K?nigs von Preussen und seiner sch?nen Gemahlin war in Aller Munde. Alt und Jung r?hmten die Milde und Herablassung, die Holdseligkeit der edeln Frau, und wo man nur einen merkw?rdigen Fleck des Gebirges betrat, waren Spuren, Namen, Denkspr?che der Einwohner, um den Regierern die Verehrung und Liebe der ger?hrten Herzen zu wiederholen. Wie hatte sich seit zehn Jahren die Stimmung hier und allenthalben im Baireuthschen ge?ndert. Denn damals ging das Volk nur ungern zur preussischen Herrschaft ?ber. Jetzt fand man sich begl?ckt und Alle sahn mit Vertrauen und fester Liebe zu ihren Herrschern hin; und die Reise des K?nigs und der K?nigin hierher hatte die Gem?ther aller Einwohner noch mehr erhoben.

Als man sich am andern Morgen auf dem Wege nach Baireuth befand, sagte Ferdinand: sonderbar ist es, Freunde, dass man immer, wenn man die St?tte selbst betritt, wo eine merkw?rdige Geschichte vorgefallen ist, wo ein grosser Mann wandelte, sich in der Regel abgek?hlt und ern?chtert f?hlt. Es ist, als wenn die Phantasie ohne Nachh?lfe der Wirklichkeit die Sachen viel besser und passender verarbeitet. So hat mir in Eger das Haus des B?rgermeisters, in welchem der Feldherr ermordet wurde, nur einen tr?ben Eindruck gemacht. Schiller's t?nende Reden und ergreifenden Scenen wollen sich nicht recht in diese Localit?t f?gen; man wird durch diese Umgebung herabgestimmt und das tragische Gef?hl sinkt dort zur peinlichen Empfindung eines widerw?rtigen Meuchelmordes herab.

Ja freilich, antwortete Wachtel, ist es fast immer so und kann auch nicht anders seyn. Die meisten Menschen prickeln und kneifen dann an ihrem lamentirenden Herzen, um sich hinaufzuschrauben. Ein Anderes ist es freilich, in dem sch?nen Sanssouci zu wandeln und an Friedrich den zweiten zu denken; die Wiesen zu betreten, die sich am Avon bei Stratford hinziehn und sich dort Shakspeare als Knabe und Mann vorzustellen. Hier l?sst uns die Natur frei dichten. Kirchen, wie der Strasburger M?nster, Schl?sser wie das zu Warwick, erheben, indem sie grosse Kunstwerke sind, das Gem?th auch, wenn es sich dort Geschichte und Sage vergegenw?rtigt; aber so ordinaire Fleckchen, H?user, dunkle Zimmer, Kirchh?fe, stimmen herab. Unser lieber wunderlicher Jean Paul hat mir oft erkl?rt, er schildere there was no sign of en, die er niemals gesehn, w?rde auch den Anblick derselben vermeiden, weil ihn die Wirklichkeit nur st?ren m?chte.

Ferdinand hatte eine grosse Vorliebe f?r Berneck und die Uebrigen erstiegen mit ihm die Ruine. Hinter Berneck tritt man in die Ebene und hatte nur zuweilen den R?ckblick auf das Fichtelgebirge. Als man in Baireuth zu Mittag gegessen hatte, begab man sich nach dem Garten, der Eremitage. Hier war Ferdinand sehr unzufrieden, weil man Vieles ge?ndert hatte, um in dieser sonderbaren Composition, die aber nicht ohne poetischen Sinn entstanden war, einige sogenannte englische Partien hineinzubringen, die den gut gef?hrten franz?sischen Anlagen ganz unharmonisch widersprachen. Es war aber noch so viel des Sch?nen ?brig geblieben, dass die Freunde in dem warmen Sommerwetter sich sehr behaglich in diesen gr?nen Laubengew?lben ergingen.

Bald wandelte man, bald setzte man sich nieder, und da der Garten von Menschen nicht besucht war, so konnten sie ungest?rt von den Werken ihres Freundes, Jean Paul, sich unterhalten. So sehr sie ihn bewunderten und lobten, so kamen doch Alle darin ?berein, dass man der Kunst und Poesie Unrecht thue, wenn man seine wundersamen B?cher Romane nennen wolle. Ein Roman sei ohne besonnene Kunstanlage unm?glich, und die Plane Richter's seien so willk?rlich, unzusammenh?ngend und von Laune und Eigensinn gesponnen, dass gerade die scheinbare Einheit, der precaire Zusammenhang um so mehr verletze, um so mehr er oft mit falscher K?nstlichkeit berechnet sei. So, fuhr Walther fort, haben wir wohl nur einen wahren Roman in deutscher Sprache, unsern Wilhelm Meister, den man nie genug studiren kann.

Wachtel sagte: dieser Wilhelm verdient gewiss alle Achtung, wenn man ihn nur nicht gegen den einzigen Don Quixote messen will. Dieses grosse Kunstwerk steht nun jetzt seit zwei Jahrhunderten als ein unerreichtes und als ein Musterbild da. Nicht als Muster insofern, dass andre Romane diesem ?hnlich seyn sollten, sondern als Vorbild, wie jeder in seiner Welt, die er darstellt, in seinem Zweck, den er verfolgt, so durchaus ein Ganzes und Befriedigendes seyn k?nne und m?sse.

Man hat an diesem herrlichen Buche, fiel Walther ein, ohne Noth so viel getadelt, was der weise Autor doch gerade mit vielem Bedacht seiner sinnreichen Geschichte eingewebt hat. Zum Beispiel kommen nicht die meisten Kritiker darin ?berein, die musterhafte Novelle des Neugierigen sei ?berfl?ssig und st?rend? Unser lieber Manchaner selbst, so treu, edel und herzhaft er ist, nimmt sich etwas vor, das, obgleich es sch?n und herrlich ist, es auszuf?hren er keine Mittel besitzt. Dieses K?mpfen f?r Recht und Unschuld, dieses Ritterthum und Kriegf?hren, wie er es sich vormalt, war aber auch zweitens niemals so in der Welt und konnte niemals so da seyn. Auch ein Herkules oder ein Amadis, mit allen Kr?ften und Tugenden ausgestattet, m?sste einer solchen wahnsinnigen Aufgabe des Lebens erliegen. Nur hie und da, in verschiedenen Zeiten und L?ndern, that sich etwas, mehr oder minder, von dieser poetischen Ritterwelt in der wirklichen Geschichte hervor. Die Phantasie des ebenso braven als poetischen Manchaners ist durch jene B?cher verschoben, die schon l?ngst der Poesie ebenso sehr wie der Wahrheit abgesagt hatten. Das, was noch in ihnen poetisch war, oder jenes Phantastische, was das Unm?gliche erstrebte, sowie die sch?nen Sitten der Ritterzeit, alles Dies durfte der ehrsame Herr Quixada wohl in einem feinen Sinne bewahren, ja sich zu jener adligen Tugend seines eingebildeten Ritters hinan erziehn; -- wenn er nicht darauf ausgegangen w?re, diese Fabelwelt in der wirklichen aufzusuchen und in diesem von Sonne und Mond zugleich beschienenen Gem?lde den Mittelpunkt und die Hauptfigur selbst zu formiren. Er war aber im Recht, wenn er, manchen seiner Zeitgenossen entgegen, die Lichtseite und die Poesie jener entschwundenen Zeit und Sitte w?rdigte, wenn er sich selbst als Dichterfreund an dem ganz Th?richten und Phantastischen seiner B?cher erg?tzte. Nun aber zog er aus, alles Das, was ihm begeisternd vorschwebte, selbst zu erleben; jenes unsichtbare Wunder, welches ihn reizte, wollte er mit seinen k?rperlichen H?nden erfassen und als einen Besitz sich aneignen.

Sehr richtig, erwiederte Ferdinand, und deshalb ist die getadelte Novelle des Neugierigen nur ein tiefsinniges Gegenbild, welches von einer andern Seite die Thorheit des Manchaners erl?utert. Auch Anselm will das Unsichtbare, welches wir nur im edlen Glauben besitzen, sichtbar, k?rperlich in der Hand haben; das Richtige, Irdische soll ein Himmlisches vertreten und ihm die Gew?hr der Treue und Liebe seyn. So zerst?rt er durch Aberweisheit, durch ^impertinente curiosidad^, was wir nicht ?bersetzen k?nnen, die Keuschheit und den Adel seines Weibes, die ohne diese Anfechtung wohl nie jene List und schreckliche Kunstfertigkeit, die widerw?rtigen Feinde der reinen Unschuld, in sich entwickelt h?tte. Zweifel also auf der einen Seite, und ein th?richtes Bestreben, das Unsichtbare sichtbar zu machen, zerst?ren so einen geistigen Schatz, jene Treue, die der Zweifler eben so mit Recht Aberwitz schilt, wie der edle Glaube sie f?r felsenfest ansieht und durch eigene Kraft ihr die Unersch?tterlichkeit mittheilt.

Wir sind hier?ber einverstanden, antwortete Walther, geht es Ihnen aber, theurer Ferdinand, nicht vielleicht eben so? Ihre aufgeregte Phantasie w?rdigt die sch?ne und bildreiche Seite des katholischen Cultus, Sie sind in unsern sp?ten Tagen von jener R?hrung durchdrungen, die einst kr?ftige Jahrhunderte begeisterten. Seit kurzem ist ein religi?ser Sinn bei jungen Gem?thern in Deutschland wiedererwacht, Novalis und dessen Freunde sprechen, reimen und dichten, um das verkannte Heilige in seine Rechte wieder einzusetzen; aber diese Anerkennung, diese s?sse Poesie des stillen Gem?thes in der Wirklichkeit suchen oder erschaffen wollen, scheint mir ganz derselbe Missverstand zu seyn, den wir eben charakterisirt haben.

Sehr wahr, warf sich Wachtel eifernd dazwischen, -- wie sch?n ist es, wie uns Herder einmal auf den tiefen und r?hrenden Sinn mancher Heiligenlegenden hingewiesen hat; nachher hat der romanhafte Kosegarten einige mit mehr oder minder Gl?ck vorgetragen. Im vorigen Jahre sah ich den Verfasser der Genovefa und des Oktavian wieder und er erz?hlte mir von einem Buch und zeigte mir einige Bl?tter davon, welches denselben Gegenstand behandeln sollte. Die Einleitung und Form war nicht ungl?cklich. In einem sch?nen Gebirgslande verirrt sich ein edler J?ngling, der ganz in der zweifelnden Aufgekl?rtheit seiner Zeit erzogen, aber dabei schw?rmerisch verliebt ist, in der Einsamkeit des Waldgebirges. Unvermuthet trifft er auf einen einsiedelnden Greis, der den Erm?deten in seine Zelle aufnimmt und ihn erquickt. Des Alten Freundlichkeit gewinnt das Herz des jungen Mannes und sie werden ganz vertraut mit einander. Ueber den Beruf der Einsiedler, ?ber die Wunder der Kirche, ?ber die Legende und Alles, was sich in diesem Kreise bewegt, verwundert sich der J?ngling und kann es nicht unterlassen, auf seine Weise zu spotten und mit Witz des Zweiflers zu verh?hnen. >>Wie? ruft der Greis dann aus, Du bist in Liebe entz?ndet, Du schw?rmst f?r Deine Sophie und kannst doch kein Wunder fassen? Ist die Blume, das Band, welches Dein M?dchen ber?hrt, die Locke, die sie Dir geschenkt hat, nicht Reliquie, empfindest, siehst Du an ihnen nicht Licht und Weihe, die kein andrer Gegenstand Dir bietet? Wo Du mit ihr wandelst, ist heiliger Boden, wenn sie Dir die Hand oder die Lippen zur Ber?hrung reicht, bist Du verz?ckt, -- und doch verkennst Du in der Geschichte der Vorzeit den Ausdruck dieser Liebe, in den seltsamen Entwicklungen begeisterter Gem?ther, bloss weil sie diese Sehnsucht und Herzenstrunkenheit nicht auf ein Weib hingelenkt haben?<< -- Der J?ngling wird nachdenkend und besucht den Alten nun, so oft er die Stunde er?brigen kann. In diesen Zeitr?umen erz?hlt ihm der Greis jene wundersamen Legenden von Einsiedlern, Jungfrauen, M?nnern und Kirchen?ltesten, die ihr ganzes Gem?th der Beschauung des Himmlischen, der Entfaltung jener geheimnissvollen Liebe widmeten. Diese K?mpfe des Zweifels, diese Erscheinungen aus fremder Welt, diese uns unbegreiflichen Aufopferungen werden nach und nach vorgef?hrt, wo sich aus dem Erz?hlten selbst die Erkl?rung und das Verst?ndniss ergiebt. Nach einigen Monaten kommt der junge Liebende wieder zum Greise und dankt ihm, wie einem Vater, der ihm den Geist geweckt und ihm ein neues Leben erschaffen habe; er sei darum auch entschlossen, in den Schooss der alten Kirche zur?ckzukehren. >>Nein, ruft der Greis bei dieser Erkl?rung, verwechsele nicht diese unsichtbare Liebe, mein Sohn, mit den Zuf?llen der Wirklichkeit. Du w?rdest, anstatt des G?ttlichen, nur die Schwachheit unserer Priester kennen lernen. Wozu, dass Du Deine innern Entz?ckungen, die im Geheimniss Deiner Brust Wahrheit und Bedeutung haben, in die kalte Wirklichkeit verpflanzen willst, an welcher sie erstarren und verwelken m?ssen?<< So rieth ihm derselbe Greis ab, der ihn erst in die Liebe und Bedeutung jener Visionen eingeweiht hatte. -- Und ich wende das Resultat jenes noch nicht erschienenen Buches wieder auf Dich an, mein Ferdinand. Das erste Wahrnehmen, der Blick der Begeisterung, die Aufregung der Liebe findet immer und trinkt den reinen Brunnquell des Lebens; -- aber nun will der Mensch im Schauen das Wahre noch wahrer machen, der Eigensinn der Consequenz bem?chtigt sich des Gef?hls und spinnt aus dem Wahren eine Fabel heraus, die dann oft mit den Wahngeburten der Irrenh?usler in ziemlich naher Verbindung steht.

Somit w?re also, rief Ferdinand aus, der Indifferentismus, der nur Alles gesehn und erfahren hat, nichts aber seinem Gem?the sich einb?rgern l?sst, die h?chste Weisheit und Menschenw?rde! Es kann aber die Zeit kommen, in welcher edle Geister sich wieder ?ffentlich zu dieser Kirche, dem alten, echten Christenthum bekennen.

M?glich, sagte Walther, w?sste man nur bestimmt und klar, welches das ?lteste Christenthum sei. Jeder deutet sich die Sache in seiner Weise aus. Auch m?glich, dass die jetzt vergessenen Pietisten durch diese religi?se Anregung und Begeisterung wieder erwachen; vielleicht giebt es in einigen Jahren deutsche Puritaner und Methodisten. Die geistige feine Linie, auf welcher hier das Wahre und Sch?ne schwebt, kann so leicht h?ben und dr?ben ?berschritten werden; -- und bem?chtigt sich erst die Menge, die Leidenschaft, die Turba dieser Vision -- welche Religions-Manieristen m?gen da noch zum Vorschein kommen, wenn nicht sogar Verfinsterung und Verfolgung, Inquisition und Hass von katholischen Priestern und vermeintlich orthodoxen Protestanten wieder gepredigt wird. -- Das scheint aber wohl, dass Verliebte in ihrer erh?hten Stimmung mehr der katholischen, als einer andern Kirche zugeneigt seien, und dass Sie, lieber Ferdinand, ein Verliebter sind, habe ich Ihnen angef?hlt, seit wir uns dort hinten auf der Oder zuerst kennen lernten.

Ferdinand ward blutroth, und verleugnete schwach und stotternd die Anklage. Er ist eigentlich kein J?ngling mehr, sagte Wachtel, aber seit ich ihn kenne, ist er immerdar verliebt gewesen. Doch so tief, wie er jetzt seyn mag, ist es ihm wohl noch niemals ins Herz gegangen, denn er ist bedenklich und viel tiefsinniger und launenhafter als in ?ltern Zeiten.

In einer sch?nen Mondnacht fuhren die Freunde von Baireuth ab und kamen fr?h, schon vor Sonnenaufgang, in Streitberg an. Sie bestiegen die Berge und besuchten die merkw?rdigen H?hlen. Ferdinand, der, wie die Uebrigen, die Gegend schon kannte, war wie trunken von der sch?nen Natur. Ueber Ebermannstadt n?herte man sich dann der Ebene; hinter diesem Orte sind die Wege so schlecht, dass man einen Vorspann von Ochsen herbeiholen musste, um aus der versumpften Stelle den nicht schweren Wagen fortbringen zu k?nnen.

Hinter Bayersdorf streckt sich die sandige Ebene aus und man sieht ein grosses, w?stes Schloss, welches in neuem Styl errichtet, aber nicht ausgebaut ist und als wunderliche Ruine dasteht.

Sehr begierig bin ich, so erz?hlte Ferdinand, hier einen ehemaligen Bekannten wieder aufzusuchen. Ich war ihm vor geraumer Zeit begegnet, und so kam er vor einigen Jahren wieder zu mir; er ist gelehrt und ein Enthusiast f?r die Dichtkunst; er l?sst aber nur einzig und allein die Griechen aus der grossen Zeit f?r Dichter gelten, und unter diesen stellt er wieder seinen Liebling Sophokles allen voran. Es ist nicht ?bertrieben, wenn ich sage, dass er diesen auswendig weiss. Er kennt alle Commentatoren seines Freundes genau, er ist unerm?det, ihn zu studiren und die schwierigen Stellen zu erkl?ren, so dass wir von diesem Eifer gewiss sch?ne Fr?chte erwarten d?rfen. Dieser wackre Termheim, denn so heisst er, hat aber gar keinen Sinn f?r die Sch?nheiten der Neueren; oder vielmehr, er behauptet, sie, von seinem Standpunkte aus, zu verstehn und von dort ihre N?chternheit und Verwerflichkeit einzusehn. Er bel?chelt mitleidig Diejenigen, welche den Shakspeare bewundern; er behauptet, die Barbarei dieses Naturkindes sei h?chstens f?r den Psychologen interessant, der von seiner Stelle diese Waldnatur allenthalben zurecht weisen k?nne. Die Leidenschaften fast pathologisch richtig zu schildern, sei noch lange nicht hinreichend, um sich der Sch?nheit auch nur von fern zu n?hern. Die Grossheit der Alten habe recht geflissentlich alles das verschm?ht, worauf die Neuern ihren Stolz gr?nden wollten. Unsern G?the nennt er nur eine Ausgeburt neuester Kr?nklichkeit, der, zu schwach, das Grosse und Starke zu erfassen, und zu vornehm, um die eigentliche Gestalt des Lebens zu verstehn, in einer unsichern, schwankenden Mitte nur der Verz?rtelung fr?hne. Das klare Aetherlicht, der Hin?berblick ?ber die Natur und Welt, jene gesunde Freiheit des Menschen, der Alles sieht und f?hlt und sich nur dem Besten befreundet, sei nur in Homer, Pindar, Aeschylus und Sophokles zu finden, in Herodot, Thucydides, Plato und Aristoteles; mit Euripides und Xenophon melde sich schon das Krank- und Schlaffwerden der edeln Lebenskr?fte. Unter den Neueren kann fast einzig und allein unser Winkelmann bei ihm Anerkennung finden.

Wenn dieser gelehrte Mann, sagte Wachtel, kein Pedant ist, so ist er ein Narr, der auch mehr vor das Forum der Pathologie, als der Kritik geh?rt.

Sein wir nicht so unbillig, erwiederte Walther, es kann wohl seyn, dass ein innigstes Durchdringen, ein tiefsinniges Anerkennen der echten Sch?nheit den Blick f?r die nah verwandte, wie vielmehr f?r die entfernte, abstumpft.

Das leugne ich eben, sagte Wachtel, die neue Zeit muss uns die alte, und umgekehrt die alte die neue erkl?ren. Es sind zwei H?lften, die sich, um ein echtes Erkenntniss zu gewinnen, nicht trennen lassen. Solche absprechende, hochm?thige Einseitigkeit kann nur so sicher und stolz in sich selber ruhn, wenn ein v?lliger Mangel an Kunstsinn jeden Zweifel, wie jede tiefsinnigere Untersuchung unm?glich macht.

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