Read Ebook: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849 (1/2) by Raumer Friedrich Von
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Ebook has 869 lines and 86571 words, and 18 pages
Man bat um Pressfreiheit. -- Ist schon bewilligt. -- Um Berufung des Landtags. -- Desgleichen. -- Um Ver?nderung der Grunds?tze ?ber Wahlen und Abstimmungen. -- Antwort, g?nstig, jedoch so bedingt, dass kein bestimmtes Ergebniss hervorging. -- Gleichstellung aller Religionsbekenntnisse, ohne staatliche Bevorzugung. -- Antwort: ich bin der gr?sste Freund der Religionsduldung; die Leute d?rfen sich ja nur aussprechen. -- Zwischen E. M. und dem Volke stehen R?the, welche das Vertrauen des Volkes nicht besitzen. -- Antwort: diese M?nner meinen es redlich mit dem Volke und der Krone.
Ich hatte mich aus vielen Gr?nden schweigend im Hintergrunde gehalten, sagte aber, als ich sah dass man zu keinem inhaltsreichen Ergebniss kam: wenn ich S. M. nicht missverstanden, wollten Sie die von der Stadt Berlin vorgetragenen W?nsche, dem Landtage zur Berathung vorlegen und nach Empfange eines Gutachtens entscheiden. -- Auf diesen Antrag ging der K?nig indess nicht einfach ein, weil ja zu pr?fen sei: ob die W?nsche sich zu solch einer Vorlegung eigneten.
Der K?nig sprach nach seiner Weise noch viel, verst?ndig, gem?thlich; hierauf von seiner Macht, seinem Rechte, seinem g?ttlichen Berufe. -- Sagen Sie laut, rief er, dass ich so wahr mir Gott helfe, Alles thun will was zum Wohle meines Volkes gereicht, dass ich aber niemals auch nur einen Fingerbreit von meinen Grunds?tzen abweichen werde, dass mich keine Macht der Welt jemals dazu verm?gen wird. -- -- --
Mir vergingen, im hinteren Gliede stehend, von der unbeschreiblichen Gem?thsbewegung fast die Sinne, ich h?rte nur, was der K?nig ?ber die Heilsamkeit der M?ssigung und allm?liger Entwickelung sagte, als er auf mich zu ging, mit der Hand auf meine Schulter schlug, und die meine ergreifend und sch?ttelnd, sagte: dies ist ein alter Professor der Geschichte; er wird bezeugen ob ich Recht habe. Das konnte ich, in Bezug auf seine zuletzt gesprochenen Worte, aus vollem Herzen; auch war mir jener Handschlag ein Zeichen, dass der Zorn des K?nigs ?ber die akademische Rede ganz verschwunden, und er von meinem rechtlichen Benehmen in der Stadtverordnetenversammlung ?berzeugt sei. -- Alle diese Betrachtungen kamen jedoch erst hintennach; in jenem schweren Augenblicke konnte Niemand an seine eigene unbedeutende Person denken.
Wir stellten endlich das Mildeste und Wesentlichste aus allen Reden des K?nigs zusammen, sodass Bewilligungen, Versprechungen und Hoffnungen jeden Gem?ssigten befriedigen konnten. Auch that diese von uns vorl?ufig auf dem Schlossplatze ausgesprochene Verk?ndigung die beste Wirkung, und die Berathung auf dem k?lnischen Rathhause endete mit einem Vivat auf den K?nig, dem selbst die, sonst zu Unruhe und Widerspruch nur zu geneigten Zuh?rer, beistimmten. Ich habe bei dieser Gelegenheit auch gesprochen, aber in solcher Aufregung, dass mein Ged?chtniss mir den Inhalt nicht vergegenw?rtigt, und ich die Zeitungshalle dar?ber nachlesen muss. Voller Freuden vertheilten wir uns in der Stadt, das Erlangte zu allgemeiner Beruhigung mitzutheilen. Als ich heimkehrend ?ber den Schlossplatz ging, hatte der K?nig vom Balkone gesprochen, die H?te in der Luft, Hurrahrufen, ?berall der gl?cklichste Ausgang. -- Kaum aber hatte ich diese Kunde f?r -- dem -- mitgetheilt, kaum war ich zu Hause angelangt, als die furchtbare Botschaft von neuem Schiessen und Einhauen anlangte. Sogleich legte ich meine Binde als Schutzbeamter um, und forderte mir bekannte, wohlgesinnte B?rger auf mir zu folgen, aber sie warfen mich buchst?blich in einen Laden und beschworen mich mein Leben nicht nutzlos aufzuopfern; es sei ganz unm?glich den Sturm zu beschw?ren. Gleichzeitig allgemeines Geschrei von Verrath und Errichtung unz?hliger Barricaden.
Ueber die Gr?nde und den Hergang des neuen Angriffs auf dem Schlossplatze lauten die Aussagen, selbst der Augenzeugen, so verschieden, dass schon jetzt kaum die volle Wahrheit aufzufinden ist. Ich will nur das mir Wahrscheinliche zusammenstellen.
Als der K?nig sp?ter umherritt und vor dem k?lnischen Rathhause still hielt, eilten die Stadtverordneten hinab, und seiner wohlwollenden Anrede folgte ein lautes, ununterbrochenes Hurrah des unz?hligen Volkes.
Der an f?nf Stunden dauernde Leichenzug ging mit h?chster Ordnung und ohne die geringste St?rung vor sich. K?nig und K?nigin sahen vom Balkone herab; alle H?te beim Vorbeigehen abgenommen, -- und doch welche bittere Stellung f?r jene!
Der Prinz von Preussen ist der allgemeine S?ndenbock und Blitzableiter -- -- -- obwohl ganz unschuldig an dem ihm zur Last Gelegten. Es offenbart sich in vielen Gegenden Deutschlands der k?nstlich berechnete Plan, alle Thronfolger verhasst zu machen.
Der Oberb?rgermeister Krausnick ward auf eine Weise gezwungen, sein Amt niederzulegen, die nach Form und Inhalt gesetzwidrig ist. Insbesondere hatte er gar keinen Theil an Dem, was man ihm vorzugsweise zur Last legt. Er ward des eisernen B?rensprung Nachfolger, weil man seine Vertr?glichkeit und vermittelnde Milde laut pries; dieselben Eigenschaften unterliegen, bei ver?nderten Verh?ltnissen, jetzt dem bittersten Tadel.
,,Am schuldigsten sind die abgegangenen Minister. H?tten sie irgend Scharfsinn und Voraussicht besessen, h?tten sie muthig und einstimmig dem K?nige Vorstellungen gemacht, h?tten sie nicht das Abgestorbene geh?tschelt und gepflegt; wir w?ren in milderem Wege vorw?rts gekommen. Die alte, ?berkluge Bureaukratie hat einen Stoss bekommen, von dem sie sich nicht erholen kann; und die j?ngeren M?nner werden und sollen sich, minder gefesselt denn zuvor, Bahn machen und einen besseren Wirkungskreis gewinnen." -- So die Urtheile!
Grosse St?rme stehen uns noch bevor; geistige Ruhe wird sobald nicht wiederkehren und ein grosser Theil des Verm?gens geht verloren: wenn wir aber zuletzt doch ein wahres Staatsrecht gewinnen, den niederen Klassen aber doch einige H?lfe zu Theil wird; wenn Deutschland, neu begeistert, m?chtiger nach Ost und West aufzutreten f?hig wird; -- so ist Leiden und Verlust nur gering, im Verh?ltnisse zu dem Gewinn. Also: ~nil desperandum!
~ An -- -- -- --
-- M?rz 1848.
Die Zukunft sahest Du mit Adlerblicke, Und herzzerreissend waren Deine Schmerzen! Wo find' ich, riefst Du, wahrhaft treue Herzen, Die mich verstehen und der Welt Geschicke? Wer Dich gekannt, er war Dir treu ergeben, Und bleibt es selbst in dunkler N?chte Grauen, Du Bild der Anmuth, edelste der Frauen, Die gern das Volk gef?hrt zu neuem Leben! So hoch gestellt, und dennoch fern vom Rathen; Cassandra unserer Zeit, Dein heilig Gl?hen Geopfert ward es unter Spott und Hohne! Was kann Dich tr?sten, als wenn neue Saaten, Die Du ersehnt, wie Keiner, jetzt erbl?hen Zu ewigem Schmucke Deiner Dornenkrone!
Den 14. Mai.
Heute werde ich 67 Jahre alt, und bin nun so bejahrt wie der Vater, als er starb. Vor drei Monaten war mein Haus so gut bestellt, dass ich ruhig dahinfahren konnte; es ist nicht meine Schuld, dass es jetzt ganz anders steht. Ein Gl?ck, dass Frau und Kinder dar?ber ruhiger und gefasster sind, als viele Andere, die mit Seufzen und Wehklagen nicht das Geringste ?ndern k?nnen und sich und ihren Umgebungen nur das Leben sauer machen.
Heute schreibe ich meinen Mitb?rgern, dass ich das Amt eines Stadtverordneten niederlege und nicht wieder gew?hlt sein will. Daf?r sprechen viele -- unerfreuliche -- Gr?nde. Alter, ?bermass der Gesch?fte, falsche Richtung der Verwaltung, welche die Stadt bankerott und die Besitzlosen zu Herren macht, Unm?glichkeit ohne Gewalt aus der Anarchie zur Ordnung zur?ckzukehren u. s. w. Wenn man mich endlich bei den Wahlen f?r die Reichstage als verbraucht betrachtet hat, und meine gem?ssigten Grunds?tze feige und ungen?gend nennt, so will ich auch andern und j?ngeren Kr?ften ?berlassen, mit gr?sserer Weisheit den st?dtischen Augiasstall auszumisten.
Die Frage ?ber die R?ckkehr des Prinzen von Preussen hat zu zwei sehr unruhigen N?chten Veranlassung gegeben; die Unruhstifter w?nschten die Gelegenheit zu benutzen, in die Republik hineinzuspringen. Siegt das Ministerium, so ist dies ein grosser Gewinn; eine Niederlage w?re ein +grosses Ungl?ck+.
Die Zeiten, wo Politik oder Theologie allein herrschen, sind allemal ungl?cklich; alles Andere wird vergessen und mit der ?chten menschlichen Bildung geht es r?ckw?rts. Auch die Studenten vernachl?ssigen ihre Wissenschaft und wollen Dinge anordnen und beherrschen, die sie nicht verstehen und die gar nicht ihres Amtes sind. Als ich vorgestern nachsehen wollte, ob ich wohl Zuh?rer f?nde, hiess es: Heute sei keine Zeit, Vorlesungen zu h?ren; die Studenten rathschlagten ?ber den Prinzen von Preussen und die Entlassung des Ministeriums!!!
Ich weiss noch nicht, welche literarische Arbeit ich vorzugsweise unternehmen und ob ich etwas niederschreiben soll. Die Zeit des franz?sischen Terrorismus und Direktoriums erschreckt mich, oder widert mich an. -- Vielleicht am besten, ich schreibe gar nichts mehr; dann mag das B?chlein, welches ich anonym und unter dem Titel +Spreu+ ausgehen liess, f?r eine Art von Testament gelten. Es w?rde mir wahrscheinlich einiges Lob und noch mehr Tadel verschaffen, wenn unsere Zeit Zeit h?tte, sich um kleine B?cher zu bek?mmern.
Bis etwa 14 Tage nach dem 18. M?rz war ?berall fast nur die Rede von den unsterblichen Barricadenhelden, die ihres Gleichen in der ganzen Weltgeschichte nicht h?tten, gegen welche Leonidas und seine 300 Spartaner nur j?mmerliche St?mper w?ren, denen man in Marmor und Erz ewige Denkmale errichten m?sse u. s. w. Seit 4-6 Wochen nimmt keiner mehr das Wort Barricade und Barricadenheld in den Mund, der 18. M?rz wird zum ~noli me tangere~; und in vertrauteren Gespr?chen w?nscht man die Helden, und die polnischen, franz?sischen und deutschen Anordner der ,,glorreichen" Nacht, zum Teufel. So ?ndern sich die Zeiten; und es ist f?r ein Gl?ck zu achten, wenn die h?chlich erz?rnten B?rger nicht die Proletarier n?chstens niederschiessen m?ssen um Ordnung herzustellen. Sehr nat?rlich fordern die verg?tterten Helden den Lohn ihrer Heldenthaten. +Wir+, sagen sie, haben euch die Freiheit erk?mpft, w?hrend +ihr+ furchtsam hinter dem Ofen sasset u. s. w. -- Und neben der Faulheit und dem ?bermuthe, geht wahre, furchtbare Noth her, entstehend aus dem Stillstande des Verkehrs und der Fabriken. Fr?her haben die Fabrikherrn meist das Billigste verweigert; jetzt werden sie zum Unbilligsten gezwungen -- und dadurch bankerott.
Ich fand soeben bei einem Gange durch die Stadt, Mauern und Pumpen mit Anschl?gen gegen den Prinzen von Preussen bedeckt und bestimmte Zeugnisse dass B?rger, Proletarier und Klubs fraternisiren; w?hrend Die, welche sich +gute+ B?rger nennen, nichts thun, die H?nde in den Schoss legen und abwarten, ob durch sogenannte Volksversammlungen in den Zelten, das Ministerium gest?rzt, oder ganz ohnm?chtig wird! Es f?llt den Verblendeten nicht ein, welchem Schicksale Berlin entgegengeht, das nur vom Hofe, Soldaten, Beamten und einigen Fremden lebte. Man braucht nicht melancholisch, oder hypochondrisch zu sein, um auf den Gedanken zu kommen: in den breiten Strassen k?nnte dereinst Gras wachsen.
Neben dem jetzt unentbehrlichen stehenden Heere, ist die B?rgerwehr entstanden, welche durch unz?hlige ?bungen und stete Wachtdienste Zeit, und also Erwerb und Geld verliert. Die an sich heilsame Einrichtung strebt nicht der amerikanischen nach, sondern man erg?tzt sich bereits im Nach?ffen mancher Bocksbeuteleien der europ?ischen Soldaten. Bei den Stadtverordneten kam eine heftige Klage zur Sprache, dass Soldaten die Wache bei Montbijou besetzt h?tten, wodurch die Freiheit in Gefahr gerathe , und die gehorsame Beh?rde unterst?tzte das l?cherliche Gesuch; w?hrend gleichzeitig berichtet wurde: 10 zur Wache berufene B?rger h?tten s?mmtlich geantwortet: sie w?rden nicht kommen, denn sie h?tten etwas Besseres zu thun, als dort Maulaffen feil zu bieten. -- So die Disciplin und die sogenannten Volksansichten. Jeder Haufen von Tagedieben nennt sich Volk, und die lieben B?rger f?rchten sich vor den Barricadenhelden!
Den 17. Mai.
Die Stadt ist wieder mehre Tage in Aufregung gewesen, welche das Ministerium wohl h?tte vermeiden k?nnen. Doch ist es beim Reden geblieben und bei Maueranschl?gen. Zuletzt gewannen Gottlob +die Besseren+ die Oberhand, und bis zur Er?ffnung des Landtages werden die B?swilligen wenigstens nichts +durchsetzen+. Charakteristisch dass die +Wahlm?nner+ zweimal eine Mehrheit f?r den Republikaner B. erstritten, und die +B?rger+ ihn bei der Stadtverordnetenwahl unter bittern Vorw?rfen haben durchfallen lassen. -- Ebenso merkw?rdig dass Arbeiter, denen Mitglieder des politischen Klubs vorgestellt hatten, sie m?chten +faul+ sein um +l?nger+ besch?ftigt zu werden, die Sch?ndlichkeit des Rathschlags einsahen, in die Versammlung drangen und die Verf?hrer selbst mit Schl?gen bedienten. All jener Gefahren w?rden wir gewiss Herr; dass Frankreich aber den edlen, friedliebenden Circourt abruft und Arago hersendet, der seines Terrorismus halber aus Lyon verjagt ward, dass man im Marsfelde die Bilds?ule Deutschlands aufstellt, ist eine nur zu bestimmte Hinweisung auf Krieg und Zerr?ttung unseres ungl?cklichen Vaterlandes. -- Durch Mittel der ?rgsten Art wirken die polnischen Edelleute ?berall zur angeblichen Herstellung ihres Vaterlandes. Beharren sie auf +diesen+ Wegen, so ist nach 30 Jahren keiner mehr von ihnen ?brig; haben sich doch schon im Posenschen die polnischen F?hrer zu den Preussen retten m?ssen, um nicht von ihren eigenen Landsleuten erschlagen zu werden.
Den 20. Mai.
Gestern war die Wahl des Abgeordneten f?r Frankfurt. Die Radikalen stellten den Vierfrager Jacobi mir gegen?ber. Als die Wahlzettel verlesen wurden und es hiess: Geh. Rath v. Raumer, oder Professor v. Raumer, oder Friedrich v. Raumer, so erkl?rte ein Stimmz?hler diese Zettel f?r nichtig; denn es gebe mehre Geh. R?the, Professoren und Friedriche v. Raumer. Dennoch erhielt Jacobi nicht die Mehrheit; bei der zweiten Abstimmung waren etliche auf meine Seite getreten, und ich ward als Erw?hlter verk?ndigt. Jacobi dagegen ward nun zum Stellvertreter erw?hlt, und die Versammlung aufgehoben. +Nachher+ haben einige Eiferer erkl?rt: sie protestirten, meine Wahl sei nichtig. Und ich erkl?rte: erst wenn meine Wahl unbedingt f?r gesetzm?ssig erkl?rt werde, w?rde ich nach Frankfurt gehen, keineswegs aber mich der Gefahr aussetzen, durch irgend einen Spruch, mit Spott und Hohn zur?ckgeschickt zu werden. -- Ich wollte mich +nicht+ wieder zum Stadtverordneten w?hlen lassen. Da aber meine Mitb?rger es dringend w?nschten und von 219 Stimmen 205 f?r mich fielen , habe ich, um den Schein feigen R?ckzugs in schweren Zeiten abzuw?lzen, die Wahl zun?chst f?r ein Jahr angenommen. Helfe Gott weiter!
Den 21. Mai.
In dem Augenblicke, wo ich gestern die Best?tigung meiner, als unantastbar bezeichneten Wahl f?r Frankfurt erhielt, bekam ich die Nachricht dass ich auch in Quedlinburg und im Ascherlebischen Kreise f?r den berliner Reichstag sei gew?hlt worden. Nach ernsten ?berlegungen habe ich mich f?r Frankfurt entschieden und reise heute nach Dessau, dann ?ber K?ln nach Frankfurt.
Zweiter Brief.
Frankfurt a. M., den 25. Mai 1848.
Spaziergang durch den sehr sch?nen Garten von Biberich. Auf der Eisenbahn nach Frankfurt. Ankunft im Weidenbusch, 10 Uhr Abends. Heut war ich zum ersten Mal in der Reichsversammlung. Sehr zahlreich, vom entfernten Platze sehr schlecht geh?rt. Viel unn?tze Antr?ge, schnell und verst?ndig genug beseitigt. Kein L?rm, Gagern guter Pr?sident. -- Nicht abzusehn wo hinaus, wann und welch Ende! -- Melancholisirt. --
Den 26. Mai.
Ich fahre fort in meinem lakonischen Tagebuche. -- Gestern Nachmittag ordnete ich Alles in meiner sehr h?bschen Wohnung, las die ganz verst?ndige Gesch?ftsordnung f?r den Reichstag und ging dann zum pariser Hofe, wo die preussischen Abgeordneten sich versammelten. Hier fand ich solch Gedr?nge der Essenden, Trinkenden, Sprechenden, so unertr?gliche Hitze und so verdorbene Luft, dass ich des Reiches Wohlfahrt daselbst nicht berathen konnte, sondern mich auf die Flucht begab.
Heute waren, wie auch gestern, sehr viele Zuh?rer in der Versammlung, darunter fast die H?lfte Damen, welche meist bis zum Schlusse beharrlich aushielten. Ich hatte mir einen n?heren Platz ausgesucht und h?rte, wenn auch nicht gut, doch besser wie gestern. Auch fehlte es nicht an Zurufen, lauter zu sprechen. Der Hauptvortrag betraf die mainzer Angelegenheit. Der Bericht der Commission war ruhig und unparteiisch gehalten; desto leidenschaftlicher und theatralischer eine, besonders gegen die Preussen gerichtete, Rede eines mainzer Abgeordneten Zitz. Die ultraliberale Partei, welche am meisten von Deutschlands Einheit spricht, gab ?usserungen den h?chsten Beifall, welche es in Wahrheit zersplittern m?ssten. Lichnowski widerlegte geschickt genug mehre Punkte, nur war auch er zu heftig und ?berschrie sich so, dass man ihn kaum verstehen konnte. Robert Blum sprach ?ber sie, wie Antonius ?ber Brutus. Sehr gut redete der ?sterreichische Bundestagsgesandte. Welcker, der Badener sprach, mir unerwartet, durchaus +conservativ+. N., immer auf Allgemeinheiten hinsteuernd, ohne besonderen Anklang. Zum gr?ssten Verdrusse der radikalen Partei beschloss die grosse Mehrheit zur Tagesordnung ?berzugehn, d. h. die Sache in der Erwartung fallen zu lassen, die Regierungen w?rden von selbst das Erforderliche thun.
Die entgegengesetzte Absicht ging dahin: die Verwaltung und die vollziehende Gewalt, pl?tzlich oder allm?lig an sich zu ziehen. Das w?re ein unbedingter Despotismus, welcher Widerstand und Aufl?sung, selbst der Versammlung, nach sich ziehen m?sste. -- Die ganze Verhandlung war sehr anziehend und der Beschluss beruhigend.
Den 27. Mai.
Gestern Abend bin ich bei sch?nem Wetter fast um die ganze Stadt gegangen. So viele enge, h?ssliche, winklige Gassen, die sie neben einigen grossen und sch?nen Strassen innerhalb ihrer Mauern z?hlt; so sch?n sind die Spazierg?nge ringsum, so mannigfaltig die Landh?user und G?rten. An einigen Stellen machen sie einen reizenden, man kann sagen poetischen Eindruck.
Den 28. Mai.
Der Anfang der gestrigen Sitzung bezog sich noch einmal auf die mainzer Angelegenheit, wo man beschloss, am Ende jeder l?ngeren Berathung den Antragsteller und Berichterstatter noch einmal zu h?ren. Hierauf folgte der dringende Antrag einiger ?sterreicher, die Versammlung m?ge eine Erkl?rung erlassen, dass sie in keiner Weise irgend einer Nationalit?t zu nahe treten wolle. Dies sei unumg?nglich n?thig f?r die slavischen Bewohner der ?sterreichischen Staaten, welche in b?ser Absicht unter obigem Vorwande von Panslavisten aufgeregt und zu Hass gegen die Deutschen verf?hrt w?rden. Der Antrag ward genehmigt.
Die wichtigste Verhandlung der ,,constituirenden Nationalversammlung" am 27. Mai, reihte sich an einen mit sehr vielen Verbesserungsvorschl?gen umkr?nzten und allm?lig ge?nderten Antrag des Hrn. Raveau. Der Mittelpunkt des Ganzen war die +h?chst wichtige+ Frage: ?ber das Verh?ltniss der Gesammtverfassung Deutschlands zu den Verfassungen der einzelnen Staaten. Die eine Partei hob hervor: beides seien bis jetzt noch unbekannte Gr?ssen, ?ber deren gegenseitige Stellung nichts k?nne festgestellt werden. Die ganze Berathung sei unn?thig und ?bereilt, und lasse sich erst mit Nutzen und Erfolg anstellen, wenn der Entwurf zur Verfassung Deutschlands fertig sei. Am Schlusse derselben m?ge man bestimmen, wie sich die besonderen Verfassungen dazu verhalten sollten. Aus diesen Gr?nden m?sse jetzt die ganze Sache beseitigt und zur Tagesordnung ?bergegangen werden.
Die entgegengesetzte, zahlreichere Partei f?rchtete dagegen, dass, wie traurige Erfahrungen vieler Jahre zeigten, auch jetzt wieder nichts f?r Einigung und Kr?ftigung Deutschlands zu Stande kommen werde, wenn die Versammlung den g?nstigen Augenblick vers?ume und, anstatt sich m?chtig hinzustellen und kr?ftig auszusprechen, feige und th?richt warte, bis sich in den einzelnen Staaten Hindernisse und Widerspr?che un?berwindlich erh?ben. -- Nach langen, schroff sich widersprechenden oder vermittelnden Reden, beschloss endlich die Versammlung, zu erkl?ren: dass alle Bestimmungen in den Verfassungen einzelner deutscher Staaten, welche mit der Gesammtverfassung Deutschlands nicht ?bereinstimmen, nur nach Massgabe der letzten g?ltig sind.
Da sich 90 Redner gemeldet hatten, und die Versammlung auf Abstimmung drang, bevor die H?lfte gesprochen, so werdet Ihr und meine Herren W?hler es sehr billigen, dass ich mich nicht als der 91. meldete; sonst hatte ich allerdings mancherlei auf dem Herzen, was Keiner hinreichend entwickelte. Man hielt sich n?mlich immer nur an die +f?rmliche+ Frage, ?ber das Verh?ltniss eines +Ganzen+ zu seinen +Theilen+, man bewegte sich in dem Kreise dieser noch inhaltlosen, allgemeinen Abstraction; w?hrend es mir durchaus nothwendig erscheint auf den +Inhalt+ einzugehen, auf das Besondere, Concrete. Da ergiebt sich unwiderleglich: dass die allgemeine Verfassung gewisse Dinge unbedingt feststellen muss, gegen welche keine besondere Verfassung sich erkl?ren darf. Umgekehrt aber giebt es andere Dinge, welche diese besonderen Verfassungen entscheiden, und in welche sich die allgemeine Verfassung oder die centrale Beh?rde eines Bundesstaates gar nicht einmischen darf. Beide, die allgemeine und die besonderen Verfassungen haben ihre eigenth?mlichen Rechte, und ein Hinausgreifen ?ber diese Kreise f?hrt entweder zur Despotie, oder zur Aufl?sung und Zerbr?ckelung. Nat?rlich f?rchtet man hier das Letzte mehr wie das Erste; wahre Staatsm?nner m?ssen aber beide Abwege und Gefahren im Auge behalten und ihnen vorbeugen. In dieser Weise sind die Amerikaner vorgeschritten und haben die schwere Aufgabe gl?cklich gel?set.
Man macht den Einwand: die Nothwendigkeit besonderer Verfassungen verstehe sich von selbst. Dasselbe gilt aber auch von der allgemeinen, und ich will w?nschen, dass jene Erkl?rung des Reichstages nicht als eine Neigung ausgelegt werde, um der Einheit willen, die Mannigfaltigkeit der Entwickelung allzu sehr zu beschr?nken. Ein anderer Einwand: ,,jede n?here Bestimmung h?tte in unzeitige endlose Er?rterungen gef?hrt," beruht mehr auf der Voraussetzung, dass die Versammlung dazu geneigt sei, als auf innerer Nothwendigkeit. Eine halbe Zeile reicht hin zur Beruhigung, welche z. B. die Luxemburger zum Schutze ihrer Verfassung verlangen. Zuletzt kommt freilich Alles auf den Inhalt der zu entwerfenden +allgemeinen+ deutschen Verfassung an. Sie ist ohne Zweifel schwieriger zu Stande zu bringen, wie jede +besondere+.
Dritter Brief.
Frankfurt a. M., den 30. Mai 1848.
Gegen Abend nahm ich eine Droschke und fuhr durch Sachsenhausen bis jenseit des n?chsten Dorfes, durch zierliche Lustg?rten, fleissig bebaute Gem?seg?rten und reiche Felder. Alles fruchtbar, anmuthig, an die erfurtsche Gartencultur erinnernd, und wenn nicht erhaben oder hochpoetisch, doch reizend, und den Geist in so heitere Stimmung versetzend, dass man die Reichstagssorgen auf eine Zeit lang vergisst.
In der gestrigen Sitzung ergab sich was ich vorhergesehen: Abgeordnete von Luxemburg und Triest widersprachen dem, Euch mitgetheilten Beschlusse, welcher die Macht des Reichstages, auf Kosten der ?rtlichen Verh?ltnisse und Verfassungen, zu weit auszudehnen schien. Dies gab Veranlassung zu der Bemerkung, dass der Ausschuss f?r Entwerfung der Verfassung so ?berm?ssig besch?ftigt sei, dass man ihm Gegenst?nde, wie die erw?hnten, nicht zuweisen m?ge. Deshalb beschloss man einen besondern Ausschuss f?r v?lkerrechtliche und sogenannte internationale Fragen und Aufgaben zu erw?hlen. Dies geschieht in der Weise, dass jede der funfzehn Abtheilungen, in welche alle Mitglieder des Reichstages verlooset werden, ein Ausschussmitglied erw?hlt. Die dritte Abtheilung, zu welcher ich verlooset bin, deren Mitglieder mir aber zeither pers?nlich ganz unbekannt waren, erzeigte mir unerwartet die Ehre, mich mit einer sehr grossen Stimmenmehrheit zu erw?hlen. Meine versp?tete Ankunft in Fr. schloss mich von allen bereits fr?her erw?hlten Aussch?ssen aus und minderte die Arbeitslast wenigstens Nachmittags; jener v?lkerrechtliche Ausschuss ist aber fast der bedenklichste und eine Art von ~noli me tangere~: denn Schleswig, Polen, B?hmen, Luxemburg, Limburg, S?dtirol, Triest u. s. w. d?rften daselbst zur Sprache kommen; ohne dass wir Macht haben, die Sprache in That zu verwandeln, ja, ohne die wahre Lage der Verh?ltnisse hinreichend genau zu kennen.
Hierauf folgte in der gestrigen Sitzung die Berathung ?ber einen neuen Entwurf einer Gesch?ftsordnung, und es liess sich so an, als werde ?ber unz?hlige Einzelheiten eine endlose, unn?tze Rederei eintreten. Gottlob, dass die Mehrheit dieses zeitvergeudende Uebel dadurch abschnitt, dass sie die, von einer Commission genau gepr?fte, Ordnung kurzweg im Ganzen annahm und Berathungen ?ber Einzelnes nur dann zulassen wollte, wenn wenigstens 50 Mitglieder es verlangten. Ich wunderte mich, dass -- sich zuerst zum Sprechen gemeldet hatte. Ihr kennt seine Redeweise. Sie machte um so weniger Eindruck, da man Vieles gar nicht verstand, und was ich verstand, bezog sich vorzugsweise auf Allgemeinheiten ?ber die Gr?sse und Schwierigkeiten unserer Aufgabe, wovon sich bei jeder einzelnen Sache etwas sagen liess, ohne zur Sache zu geh?ren. Die einzige hervortretende Forderung: ,,Nichts durch Aussch?sse vorbereiten zu lassen, sondern Alles von Anfang bis Ende allein in der vollen Versammlung zu berathen"; war so unpassend und unpraktisch, dass sie zu Boden fiel, und bei der Mittagstafel in der Mainlust Mehre bemerkten, dass -- Rede ihren Erwartungen gar nicht entsprochen habe. -- Ich nahm mir das ~ad notam~, schrieb es mir hinter die Ohren, dachte an Splitter und Balken, und zupfte mich an meiner eigenen Nase.
Ungeachtet dieser Fingerzeige sammelt sich der Redestoff, und ich werde mich ?ber kurz oder lang der Gefahr aussetzen, mir die Finger zu verbrennen. Insbesondere wegen der ganz unbegr?ndeten Anklagen oder Verl?umdungen, welche unsinnige Eiferer aus S?ddeutschland ?ber Preussen aussprechen. Wir kennen unsere Fehler besser als sie; aber wer hat denn nicht gefehlt und ges?ndigt? Viel Gerede von Deutschlands Macht und Einigkeit, w?hrend kaum +eine+ Million, +sechzehn+ Millionen hochm?thig abweiset! Da soll kein preussischer Landtag berufen werden, bevor die frankfurter Versammlung Alles ins Reine und Feine gebracht hat. Dann soll Preussen seinen Handel, ohne Ersatz und Dank, f?r Schleswig opfern; oder um der Polen willen Russland bekriegen u. s. w.
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