Read Ebook: Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Geistes by Eucken Rudolf J Ckh Ernst Editor
Font size:
Background color:
Text color:
Add to tbrJar First Page Next Page
Ebook has 57 lines and 8295 words, and 2 pages
Editor: Ernst J?ckh
Der Deutsche Krieg
Politische Flugschriften
Herausgegeben von
Ernst J?ckh
Achtes Heft
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart und Berlin 1914
Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Geistes
Von
Dr. Rudolf Eucken
Professor an der Universit?t Jena
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart und Berlin 1914
Alle Rechte vorbehalten
Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, W?rttemberg
Wir alle wissen, dass wir uns heute in einem Riesenkampf um unsere Existenz befinden, und wir wissen auch, dass dabei sehr unw?rdige Mittel seitens unserer Feinde angewandt werden. Eins dieser unw?rdigen Mittel ist die Herabsetzung des deutschen Wesens, die Verleumdung, wir w?ren ein reaktion?res Volk, wir w?ren Gegner der Freiheit und Knechte eines dr?ckenden Militarismus, der die ganze Welt unterwerfen wolle. So scheint es, als k?nne Deutschland und deutsches Wesen ohne Schaden f?r die Menschheit ausgerottet werden. Gegen?ber solcher Anfeindung m?ssen wir uns auf uns selbst besinnen, es gilt klarzumachen, dass wir mehr sind, als jene meinen, dass wir eine weltgeschichtliche Bedeutung haben, die uns aller Neid und Hass der Feinde nicht rauben kann.
Um diese weltgeschichtliche Bedeutung der deutschen Art zu ermitteln, m?ssen wir zun?chst ?berhaupt ihre Eigent?mlichkeit untersuchen; diese Eigent?mlichkeit ist aber nicht ganz einfach und leicht zu fassen. Denken wir nur an das 19. Jahrhundert und seinen Verlauf. Wie hat sich scheinbar das Wesen der Deutschen in ihm ver?ndert! Ja, es mag auf den ersten Anblick scheinen, als enthielte unser Wesen einen Widerspruch, einen Widerspruch, dessen Schroffheit alle wahrhaftige Gr?sse hindern m?sste.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hiessen wir das Volk der Dichter und Denker, damals hat man uns wohl die Inder Europas genannt. Heute sind wir das Volk der Techniker, des welterobernden Handels, der grossartigen Industrie, heute hat man uns wohl die Amerikaner Europas genannt. Inder und Amerikaner, das sind gewaltige Gegens?tze. -- In der Tat waren wir zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein Volk, das in Literatur und Philosophie den Kern der geistigen Arbeit fand. Wir fl?chteten uns damals aus der sichtbaren Welt in ein unsichtbares Reich des Gedankens und der Phantasie, diese unsichtbare Welt wurde uns zur vertrauten Heimat.
Aber dass das so kam, das hatte besondere Gr?nde. Der Dreissigj?hrige Krieg hatte uns bis aufs ?usserste ersch?pft, es dauerte lange, bis wir wieder in einen frischen und kr?ftigen Aufstieg kamen. Dieser Aufstieg erfolgte im 18. Jahrhundert, und zwar seit den dreissiger und vierziger Jahren; nun fand aber die erwachende Kraft keinen Staat und auch kein wirtschaftliches Leben, das Seele und Arbeit gewinnen konnte. Deutschland war ?beraus zersplittert, seine Verh?ltnisse waren nicht eigentlich schlecht, aber kleinlich und d?rftig, sie gew?hrten keinen Boden f?r eine nationale und politische T?tigkeit. So wandte sich das deutsche Streben zum Reich der Wissenschaft und der Kunst, so schuf man sich jene unsichtbare Welt, in der man das innerste Wesen des Menschen zu erfassen und zu gestalten suchte, alle Seelenkr?fte sollten hier belebt und zu voller Harmonie verbunden werden. Man fand in der eigenen Bildung sowie im Verh?ltnis von Mensch zu Mensch, in Liebe und Freundschaft ein edles, feines, zartes Leben, demgegen?ber die sichtbare Welt als eine niedere Stufe erschien. So konnte ein Friedrich Schlegel sagen:
,,Nicht in die politische Welt verschleudere du Glauben und Liebe, aber in der g?ttlichen Welt der Wissenschaft und der Kunst opfere dein Innerstes in den heiligen Feuerstrom ewiger Bildung";
ein Schiller aber mahnen:
,,Werft die Angst des Irdischen von euch, Fl?chtet aus dem engen, dumpfen Leben In des Ideales Reich";
das Reich der Ideale war die unentbehrliche Zuflucht hochstrebender, edler Seelen. Bei W?rdigung dessen muss uns immer die besondere Lage gegenw?rtig sein, welche dem deutschen Geist keine andere Bet?tigung grossen Stiles erlaubte.
Nun kam die Wandlung im 19. Jahrhundert, zun?chst hervorgerufen durch den j?hen Zusammenbruch des preussischen Staates bei Jena, durch die daraus erwachsende Erfahrung, dass aller Glanz von Kunst und Wissenschaft ein Volk nicht bewahrt vor nationaler Erniedrigung, vor schm?hlicher Abh?ngigkeit von Fremden; die Bewegung, die damals entsprang, ist trotz aller Hemmungen unabl?ssig vorgedrungen. Wir haben uns der sichtbaren Welt zugewandt, und wir haben in dieser Welt Gewaltiges geleistet. Namentlich die dreissiger Jahre brachten die neue Denkweise ins ?bergewicht. Die alten Helden sterben, ein Hegel, ein Goethe, ein Schleiermacher, vorher schon Pestalozzi; daf?r steigen neue auf. Liebig gr?ndet 1826 das erste moderne chemische Laboratorium, in Berlin h?lt Alexander von Humboldt 1827/28 in der Universit?t und in der Singakademie die Vorlesungen ?ber physische Weltbeschreibung, welche die Naturwissenschaften als allgemein-bildende Macht zur Geltung bringen. Dann kamen die technischen Fortschritte, vor allem die Eisenbahnen, und f?r das wirtschaftliche Leben war es von h?chster Bedeutung, dass am 1. Januar 1834 der deutsche Zoll- und Handelsverein ins Leben trat. Ein neues Deutschland erhob sich, und wir wissen, was dieses neue Deutschland geleistet hat.
Nun aber kommen die Gegner. Seht, sagen sie, der Deutsche ist sich selber untreu geworden, warum blieb er nicht beim Dichten und Denken? Ja, unsere Anspruchslosigkeit in der sichtbaren Welt war recht bequem f?r die anderen. Jean Paul hat einmal in bitterem Ernst gesagt: Nachdem die Engl?nder das Meer und die Franzosen das Land genommen haben, was bleibt uns Deutschen anderes als die Luft? Dass sp?ter ein Zeppelin kommen und die Deutschen in Wirklichkeit zu Herren der Luft machen werde, das konnte man damals nicht wissen. So konnte auch Schiller in dem bekannten Gedicht zum Antritt des neuen Jahrhunderts nach Schilderung der Herrschgier des Franzosen und des Briten uns nur die Flucht in die heilig-stillen R?ume des Herzens empfehlen. Das kam den anderen V?lkern recht gelegen, von allen Seiten ernteten wir Lob. Noch im Jahre 1837 hat Bulwer, der bekannte englische Romanschriftsteller, einen grossen Roman ,,Maltravers" dem grossen deutschen Volke gewidmet, dem ,,Volk der Denker und Kritiker". Heute stellen wir uns den fremden V?lkern anders dar.
Aber sind wir von uns selber abgefallen, wenn wir uns der sichtbaren Welt zuwandten, wenn wir zu Lande und zu Wasser eine Macht entfalten, wenn wir in der Industrie, in der Technik die F?hrung ?bernehmen? Haben wir damit unser wahres, innerstes Wesen verleugnet? Nein und abermals nein. Wir sind nicht von uns selber abgefallen, sondern wir haben einen wesentlichen Zug unserer eigenen Natur, der von jeher da war, wieder neu belebt und ihn dabei zu einer H?he gebracht wie nie zuvor. Denn wir sind keineswegs ein Volk blosser Dichter und Denker, was doch leicht heisst: der Tr?umer und Schw?rmer, wir sind in die Geschichte eingetreten als ein waffenf?higes, kriegerisches Volk, wir haben das grosse R?merreich zerst?rt, und wir haben es nicht bloss zerst?rt, wir haben auf seinen Tr?mmern neue Reiche aufgerichtet, wir haben ein r?misch-deutsches Kaiserreich geschaffen. Schon damit haben wir gezeigt, dass wir in der sichtbaren Welt ganz wohl etwas leisten k?nnen.
Wir waren dabei nicht bloss tapfere Krieger, wir waren gross auch in den Werken des Friedens. Denken wir an die deutschen St?dte, die St?dte des Mittelalters, denken wir an den deutschen Landbau, dessen treuer Fleiss und z?he T?chtigkeit von der ganzen Welt anerkannt wird. Wir haben unsere Arbeit in alle einzelnen Gebiete hinein erstreckt, wir haben uns dabei ?berall in die besondere Natur des Gegenstandes eingelebt. Denken wir nur an das Forstwesen -- wenn die Engl?nder oder die Amerikaner ihre Forsten in die H?he bringen wollen, so rufen sie Deutsche herbei --, oder an das Bergwesen; hier wie dort ist die sorgsame Durchbildung des Gebietes ein Werk der deutschen Art.
Wir hatten Freude an dieser Arbeit, an dem Ringen mit Widerst?nden, und wir verfolgten dabei nicht bloss betretene Wege, wir vermochten auch neue zu schaffen. Wir waren das Volk der Erfinder. Wir erfanden die Buchdruckerkunst -- jedenfalls f?r Europa --, wir standen fr?he voran im modernen Gesch?tzwesen, das jetzt mit seiner grossartigen Ausbildung ein Grund nationaler Hoffnung wird. Zu Beginn der Neuzeit konnte es heissen:
,,N?rnberger Witz, Ulmer Gesch?tz, Augsburger Geld Regiert die Welt."
Auf uns kommt auch die Erfindung des modernen Spinnrades, der Taschenuhr usw. Noch im Anfang des 17. Jahrhunderts r?hmte der Franzose Bayle, der grosse Kritiker, uns Deutsche wegen unserer zahlreichen Erfindungen; erst im 18. Jahrhundert ist die F?hrung hier auf die Engl?nder ?bergegangen. Ferner fehlte es uns nicht am Verm?gen der Organisation. Denken wir nur an den Deutschen Ritterorden, an jenes Land, das er der deutschen Kultur gewann, und das heute f?r die deutsche Sache so schwer gelitten hat! Denken wir auch an die Hanse und ihre Beherrschung der Meere! ,,Der Adler von L?beck", so hiess das gr?sste Kriegsschiff des 16. Jahrhunderts. So waren wir lange Zeit hindurch stark und erfolgreich in der sichtbaren Welt. Wenn wir uns daher jetzt nach dieser Richtung neu entfalten, so ist das nur eine Wiederaufnahme alter Art, wir haben uns zu uns selbst zur?ckgefunden, sind nicht von uns abgefallen.
Nun werden vielleicht die anderen wiederum einwenden: Nun wohl, dann war jene Goethe-Zeit, jene Zeit der Dichter und Denker, eine blosse Episode, ein Heraustreten des Deutschen aus seiner nat?rlichen Bahn; dem aber widersprechen wir auf das entschiedenste. Das eben ist das Grosse des deutschen Wesens, dass, indem wir kr?ftig in die Welt eingriffen, wir uns zugleich als ein Volk des Seelenlebens, ein Volk tiefer Innerlichkeit erwiesen. Im Mittelalter zeigt sich das vornehmlich in der Religion, namentlich in der noch immer nicht voll gew?rdigten deutschen Mystik. Sie hat seit dem Ende des 13. Jahrhunderts das Streben, die Religion dem Seelenleben jedes einzelnen nahezubringen, zu einer wunderbaren Innerlichkeit und auch zu einer kindlichen Einfalt der Sprache entwickelt. Die Mystiker der anderen V?lker haben ?berwiegend in lateinischer Sprache geschrieben, unsere dagegen deutsch, weil sie das, was sie wollten, den Seelen aller Volksgenossen nahebringen wollten.
Meister Eckhart, der F?hrer der deutschen Mystik , war ein grosser Gelehrter, er wurde vom Papste selbst zum Doktor ernannt, er h?tte in Paris eine gl?nzende Lehrt?tigkeit finden k?nnen, aber er kam nach Deutschland zur?ck, um hier zu wirken und zu f?rdern. An den verschiedensten Orten hat er gepredigt, stets aus tiefster Seele heraus. Er sagt einmal am Schluss einer Predigt -- seine Predigten sind oft mehr philosophische Betrachtungen --: ,,Wer diese Predigt verstanden hat, dem g?nne ich es wohl; wenn sie aber auch niemand verstanden h?tte, dann w?rde ich sie dem Opferstock gehalten haben." Es ist eine innere Notwendigkeit, die aus einem solchen Manne hervorquillt, und das eben ist das Grosse der deutschen Art, ein Schaffen aus innerer Notwendigkeit heraus; nur so findet sich ein volles Wirken von Seele zu Seele. Eckhart ist auch der erste, der dem Wort Gem?t, das sonst nichts anderes als Geist bedeutete, den unterscheidenden und auszeichnenden Sinn gegeben hat, es bedeutet ihm das ,,F?nklein der Seele", wo sie ganz bei sich selber ist.
Diese Innerlichkeit der Religion ist dann in die Neuzeit gef?hrt und hier kr?ftig weiterentwickelt worden. Wie wir uns zum dogmatischen Gehalt der Reformation stellen, das ist eine Frage f?r sich, hier m?gen die Ansichten auseinandergehen. Aber wir alle werden einig sein in der Anerkennung der menschlichen Gr?sse der Reformation, entsprang sie doch dem Verlangen, die Seele des Menschen zu retten durch die st?rkere Entfaltung eines unmittelbaren Verh?ltnisses zu Gott und dabei den Menschen auf sein eigenes Gewissen, auf seine Pers?nlichkeit zu stellen. Von da aus ergab sich bei tiefer Demut des Herzens eine trotzige Selbstgewissheit der ?berzeugung. Einem Luther wurde eingewandt, er ?rgere die Menschen durch sein Auftreten, er errege Anstoss mit seiner Ersch?tterung der altgeheiligten Ordnung. Seine Antwort war: ,,?rgernis hin, ?rgernis her, Not bricht Eisen und kennt kein ?rgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seele geschehen kann. Wo nicht, so soll ich meiner Seele raten, es ?rgere sich dann die ganze oder halbe Welt." Dies Sichstellen auf sein Gewissen und seine Pers?nlichkeit, wenn es sein muss, gegen die ganze Welt, das ist echt deutsch. Diese Gesinnung aber, dieser moralische Ernst, diese ganze Denkweise beschr?nkt sich nicht auf die protestantischen Kirchen, auch der deutsche Katholizismus hat eine weit gr?ssere Innerlichkeit als der Katholizismus der romanischen V?lker. Mir hat einmal ein angesehener d?nischer Theologe den Unterschied zwischen einem Gottesdienst in Notre-Dame in Paris und im Dom zu K?ln mit lebhaften Farben geschildert. Dort viel Schaugepr?nge ohne Teilnahme des Herzens, hier eine tiefe Ergriffenheit der Gl?ubigen. Auch das sei hinzugef?gt, dass diese deutsche Innerlichkeit sich auch im Judentum zeigt. Denn es ist der deutsche Denker Mendelssohn, der diese Religion mit der neueren Kultur in enge Beziehung gebracht und sie dadurch wesentlich gef?rdert hat. Dies Verlangen, die Religion von innen heraus zu begr?nden, hat uns auch zum Volk der Religionsphilosophie gemacht. Wir ertragen es nicht, die Religion so hinzunehmen, wie sie uns von aussen zugef?hrt wird, wir m?ssen sie vor unserem Bewusstsein, unserem Gewissen rechtfertigen, wir wollen sie auch wissenschaftlich begr?ndet haben. So unternahmen es M?nner wie Kant, Schleiermacher, Hegel, sie alle Gr?ssen ersten Ranges.
In der Neuzeit aber erstreckt sich das Wirken der Innerlichkeit bei den Deutschen weit ?ber die Religion hinaus auf alle Lebensgebiete. Die deutsche Philosophie ist wesentlich verschieden von allen anderen Philosophien, sie ist nicht ein blosses Sichorientieren ?ber eine gegebene Welt, sondern ein k?hner Versuch, die Welt von innen heraus zu verstehen, sie bildet grosse Gedankenmassen, gewaltige Systeme, und unternimmt von ihnen aus, die sichtbare Welt zu beleuchten, ja sie in eine unsichtbare umzusetzen. So ein Leibniz, ein Kant, ein Hegel, und noch manche andere w?ren zu nennen; entfalteten wir doch auf diesem Gebiet eine erstaunliche Fruchtbarkeit. Durch alle Mannigfaltigkeit der Leistungen aber ging ein Ringen der Seele mit dem All, ein Ergiessen der Seele in die Wirklichkeit, ein Ansichziehen der Dinge. Dies Streben zur Innerlichkeit gibt auch der deutschen Erziehung ihre Eigent?mlichkeit und ihre ?berragende Gr?sse: sie will nicht dressieren f?r irgendwelche praktischen Zwecke, nicht geschickt machen f?r gewisse Leistungen, sondern sie erfasst den Menschen bei sich selbst und sucht seine Kr?fte auszubilden, um aus ihm ein inneres Ganzes, eine selbst?ndige Pers?nlichkeit und Individualit?t zu machen, dabei ?berzeugt, dass, wenn das gewonnen ist, auch alles andere sich werde gewinnen lassen. Diese Art der deutschen Erziehung ist tief in unserem Wesen begr?ndet. Kein Volk, auch nicht die alten Griechen, hat das Kindesalter so verstanden wie das deutsche Volk. Wir sind es, welche durch Campe die Kinderliteratur aufgebracht haben und in ihr die F?hrung besitzen, wir bereiten das Kinderspielzeug f?r die ganze Welt. Das ist nur m?glich, weil wir uns in die Seele des Kindes hineinzuversetzen verm?gen, und dieses k?nnten wir nicht, wenn wir nicht in der innersten Seele selbst etwas Kindliches, Einfaches, Urspr?ngliches h?tten.
Dieselbe reine Innerlichkeit finden wir auch in der deutschen Kunst. Die deutsche Musik hat darin ihre unvergleichliche Gr?sse, dass sie von innen her ganze Welten schafft, dass sie sonst verborgene Tiefen der Seele aufschliesst und damit das Leben weiterbildet. Es sei hier nur eines Bach und eines Beethoven gedacht. ?hnlich die deutsche Lyrik. Was kann sich auf diesem Gebiet mit einem Goethe messen, mit seinem Sehen und F?hlen der Welt von innen heraus? Wie ein Zauberer durchwandert er die Natur wie das Menschenleben, bringt alle Dinge zum Sprechen und l?sst sie ihm ihre Seele enth?llen. So wird die Welt sein Eigentum und ein treuer Spiegel seiner Seele.
Demnach haben wir die merkw?rdige Erscheinung -- merkw?rdig f?r den ersten Anblick --, dass unser Leben zwei verschiedenartige Bewegungen enth?lt, einmal das Streben nach einer Unterwerfung der sichtbaren Welt und damit die Entfaltung einer Arbeitskultur, sodann aber ein Sichversetzen in die Innerlichkeit der Seele, ein Weben und Wirken aus ihren tiefsten Gr?nden, das Schaffen einer Seelenkultur.
Ist das nicht ein Widerspruch und muss dieser Widerspruch nicht unser Leben ins Stocken bringen? Einmal die Richtung auf die Welt und das Verlangen, die Dinge zu unterwerfen, dann die Zur?ckziehung von ihnen und das Sichversenken in das Reich der Seele. Wie steht es damit? Sind wir in der Tat einem Widerspruch verfallen? Das sei aufs entschiedenste verneint. Dass wir jene beiden Seiten in uns tragen, das gibt unserem Leben eine einzigartige Gr?sse und eine fortlaufende innere Bewegung. Diese beiden Seiten mit ihren Leistungen sind nur die Pole eines umfassenden Lebens. Wir tragen in unserer Natur die Aufgabe, eine weltumspannende Innerlichkeit zu vers?hnen und auszugleichen mit t?chtiger Arbeit an der sichtbaren Welt.
Gewiss k?nnen wir nicht leugnen, dass Gefahren in dieser Doppelheit liegen. Es kann sein, dass der Zug in das Innere den Menschen zu einer eigensinnigen Absonderung f?hrt. Dass die Deutschen so viel miteinander streiten, dass sie mehr in Parteien zerfallen als andere V?lker, das h?ngt wohl damit zusammen, dass wir uns mehr auf uns selber stellen und eigene Wege zu gehen lieben. Hier liegt die Gefahr einer Zersplitterung, auch die eines Verfallens in ein vages Gef?hlsleben, eines Sichverlierens in eine abgesonderte Innerlichkeit.
Auf der anderen Seite droht die Gefahr, dass wir uns der Arbeit hingeben, ohne sie seelisch zu beleben, dass uns der Stoff ?berw?ltigt, dass wir nur aufeinanderh?ufen, wie es die deutsche Gelehrsamkeit oft getan hat. So sind zwiefache Gefahren vorhanden, aber ein kr?ftiges Volk ist solchen Gefahren gewachsen.
Ja, wir d?rfen sagen: kein Mensch und kein Volk ist wahrhaft gross, das nicht einen Gegensatz in sich tr?gt und diesen Gegensatz durch schaffende Arbeit ?berwindet. Auf seiner H?he und auch im Kern seines Lebens hat das deutsche Volk jenen Gegensatz ?berwunden und dabei Leistungen hervorgebracht, die einzigartig dastehen, und auf deren Festhaltung und Fortsetzung die Zukunft der Menschheit beruht.
Fragen wir, was der deutschen Arbeit einen besonderen Charakter und eine Gr?sse gibt. Es ist ohne Zweifel dieses, dass die Arbeit uns nicht ein blosses Mittel f?r ausser ihr liegende Zwecke bedeutet, sondern dass wir unsere Seele in sie hineinlegen, in der Arbeit unser Wesen entfalten. So wird sie uns wertvoll um ihrer selber willen. Daher hat auch kein Volk mit solcher Liebe und W?rme den Begriff des Berufs ausgebildet, als der Lebensarbeit, der innerlich zusammenh?ngenden Lebensarbeit. Der Beruf ist uns nicht ein Mittel, um ?usserlich weiterzukommen und Geld zu verdienen, sondern der Weg, unsere geistige Art zu entfalten und damit uns selber zu finden; so k?nnen wir in der Berufst?tigkeit reine Freude und innere Erhebung gewinnen. Wir preisen den deutschen Lehrstand. Ja, wenn man rein auf die Bezahlung sieht und auf die ?ussere Ehre, so ist das bescheiden genug und k?nnte nicht im mindesten die hingebungsvolle Arbeit, die Liebe zu ihr, die Freude an ihrem Gelingen rechtfertigen. Es ist die Versetzung in die Sache, das Einswerden mit der Sache, das den Menschen hier ?ber alle selbstischen Beweggr?nde hinaushebt.
Heute bewundern wir die Heldentaten unseres Heeres, aber m?glich geworden sind sie nur durch unerm?dliche treue Arbeit. In dieser deutschen Arbeit, die um der Sache willen geschieht, liegt zugleich der Charakterzug der Gr?ndlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt. Wir sind ?berzeugt, dass in der Arbeit auch das Kleinste nicht gering zu achten ist, die Arbeit muss in sich selbst vollendet sein. Diese Treue und Gr?sse der Arbeit ist aber nur m?glich, weil hinter dieser der ganze Mensch steht, weil er sich in die Arbeit hineinlegt und in ihr sich einen eigenen Daseinskreis, einen geistigen Existenzraum schafft. Aber wie die Arbeit die Seele verlangt, so verlangt auch die Seele die Arbeit. Denn das deutsche Innenleben ist sehr eigent?mlicher Art, es ist grundverschieden von dem indischen und ?berhaupt dem orientalischen. Es ist nicht eine Flucht in eine weltfremde Stimmung, nicht ein Sichzur?ckziehen von den Dingen, sondern es tr?gt in sich den Drang, vollauf zu gestalten, was in uns wohnt, die Tiefen herauszuarbeiten in Kunst und in Philosophie, aber auch in Erziehung und in Moral. Durch den ganzen Umkreis des Lebens wollen wir nicht eine blosse Innerlichkeit der einzelnen Seele, sondern wir verlangen eine Innenwelt, die jener allein einen Inhalt zu geben vermag. Wir wollen uns nicht in ertr?umte Welten verlieren, sondern wir wollen die Wirklichkeit in ein Reich der Innerlichkeit verwandeln. So strebten unsere Philosophen nach einem zusammenh?ngenden Gedankenreiche, nach einem weltumfassenden System. So bedeutete auch die Innerlichkeit der Religion nicht ein blosses Fliehen in fromme und weiche Gef?hle, sondern es war eine Belebung und Umwandlung des ganzen Bestandes der Religion von den Tiefen der Seele her, es war ein Ringen, alles ?ussere, alles Widerstrebende innerlich anzueignen und es zu einem Ganzen zu f?gen. Auch unsere grossen K?nstler, vornehmlich unsere Musiker, haben uns nicht einzelne Stimmungen, einzelne subjektive Regungen gebracht, sondern sie haben, wie wir schon sahen, neue Welten reichsten Inhalts er?ffnet. So finden wir darin das Grosse des deutschen Wesens, dass jene beiden Seiten sich gegenseitig suchen und erg?nzen, damit aber den Aufbau einer bei sich selbst befindlichen Welt vollziehen und zugleich unserem Leben allererst einen Inhalt und einen Selbstwert geben. Ein derartiges Beisichselbstsein des Lebens mit seiner inneren Freude erhebt uns weit ?ber alle blosse N?tzlichkeit, es macht uns auch das heutige englische Verfahren unverst?ndlich, welches Soldaten durch Erh?hung des Lohnes zu gewinnen sucht; hat dort doch sogar eine Zeitung die ?usserung gewagt, der Soldat k?nne, wenn er aus dem Kriege zur?ckkomme, ein h?bsches S?mmchen er?brigt haben. Eine solche Denkweise verachten wir, wir halten es mit Aristoteles, wenn er sagt, dass es Sache eines freien und grossgesinnten Menschen sei, nicht das N?tzliche, sondern das Sch?ne zu suchen, d. h. was an sich wertvoll ist und durch sich selbst gef?llt.
Wer wegen des Erfolges arbeitet, wegen eines ausser ihm liegenden Zweckes, der wird damit abh?ngig von Fremdem; auch kommt ein solches Leben nie zu einem Ruhen in sich selbst, sondern es dr?ngt immer wieder ?ber sich selbst hinaus, es ist kein volles Leben, sondern nur ein Lebenwollen, ein blosses Haschen nach wahrhaftigem Leben. So empfinden es namentlich die Inder am modernen europ?ischen Leben. Indem sie das englische Leben mit seinem N?tzlichkeitsstreben f?r das europ?ische ?berhaupt halten, meinen sie, ein solches Leben sei gar kein echtes Leben, ?ber dem Jagen nach den Mitteln und den Bedingungen des Lebens entfliehe das Leben selbst, bleibe man innerlich leer, sei man bei allen Erfolgen in tiefster Seele unbefriedigt. Aber dieses Hasten und Jagen, dies Ideal der N?tzlichkeit, ist nicht das deutsche Lebensideal. Indem wir Inneres und ?usseres sich gegenseitig steigern lassen und beides zu einem Lebensganzen, einer Wirklichkeit verbinden, finden wir unser Ziel und unsere Freude im Leben selbst, befestigen wir uns im eigenen Wesen, werden wir aller blossen N?tzlichkeit ?berlegen.
Aus solcher Grundbeschaffenheit zieht das deutsche Schaffen und Leben eigent?mliche Eigenschaften. Das Leben, das im Ringen von Seele und Welt sich uns bildet, hat zun?chst den Charakter der Gr?sse. Das ist doch etwas anderes, wenn dieses Leben sich in innere Beziehung zum Weltall setzt, dieses sich anzueignen und die Seele zu einer weltumfassenden Pers?nlichkeit zu gestalten sucht, als wenn der Mensch nur im b?rgerlichen Dasein diesen oder jenen Vorteil erringt oder diesen oder jenen Gewinn einheimst.
Solches Verlangen nach einem unendlichen Leben aus dem All steckt tief in unserer Natur, und es kommt auch fr?h schon zum Ausdruck. So sagt der erste moderne Philosoph, es war das Nikolaus von Cues :
,,Immer mehr und mehr erkennen zu k?nnen ohne Ende, das ist die ?hnlichkeit mit der ewigen Weisheit. Immer m?chte der Mensch, was er erkennt, mehr erkennen, und was er liebt, mehr lieben, und die ganze Welt gen?gt ihm nicht, weil sie sein Erkenntnisverlangen nicht stillt."
Aus solcher Denkweise ist auch Goethes Faust hervorgegangen, aus solchem Streben nach Unendlichkeit findet das deutsche Leben eine unvergleichliche Gr?sse.
Zugleich aber tr?gt dies Leben in einem besonderen Sinne den Charakter der Wahrhaftigkeit. Als wahrhaftig erscheint uns nur ein solches Leben und Streben, das aus der Notwendigkeit des eigenen Wesens hervorgeht und das dieses Wesen treu zum Ausdruck bringt. Unwahrhaftig ist alles, was nicht die ganze Seele hinter sich hat und dem Menschen nur ?usserlich anh?ngt. Ein solches Streben nach innerer Wahrhaftigkeit geht durch die ganze deutsche Geschichte, auf der H?he des Schaffens hat sich ?berall die Seele in das Werk hineingelegt und damit das Schaffen zu einem Kampf um ein geistiges Selbst gestaltet.
Mir sagte einmal w?hrend meines Aufenthalts in Amerika ein hochgebildeter Amerikaner, als wir miteinander ?ber Fragen und Verwicklungen der Gegenwart sprachen: ,,Wenn nur das deutsche Volk wahrhaftig bleibt, dann haben wir gute Aussichten f?r die Zukunft der Menschheit." Er meinte mit solcher Wahrhaftigkeit eben ein solches Schaffen aus dem eigenen Wesen heraus, aus innerer Notwendigkeit, nicht eines ?usseren Vorteils wegen.
Mit dieser Wahrhaftigkeit aber h?ngt im deutschen Leben Urspr?nglichkeit und Freiheit des Schaffens eng zusammen. Bei Urspr?nglichkeit und Freiheit steht das in Frage, dass wir nichts auf blosse Autorit?t hinnehmen, uns nichts von aussen aufdr?ngen lassen, sondern dass wir unsere eigene ?berzeugung und Erfahrung einsetzen und, wenn es sein muss, den Kampf mit aller Umgebung nicht scheuen. Das Lebenswerk der deutschen schaffenden Geister war meist ein solcher Kampf, ihr Sieg war ein Durchsetzen der eigenen Art und der inneren Notwendigkeit gegen alles, was draussen lag.
Add to tbrJar First Page Next Page