Read Ebook: Die Entwicklung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Galizien (1772-1848) by Von Mises Ludwig
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Wiener Staatswissenschaftliche Studien herausgegeben von Edmund Bernatzik und Eugen von Philippovich in Wien.
Vierter Band. Zweites Heft.
DIE ENTWICKLUNG des GUTSHERRLICH-B?UERLICHEN VERH?LTNISSES IN GALIZIEN
Von
LUDWIG VON MISES.
Wien und Leipzig. FRANZ DEUTICKE 1902.
Vorwort.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
? 1. Galizien 1
? 2. ?berblick ?ber die Entwicklung der b?uerlichen Verh?ltnisse in Polen bis zur ersten Teilung 2
? 3. Die l?ndliche Verfassung Galiziens im 18. Jahrhundert. 9
? 4. Die l?ndliche Verfassung Galiziens im 18. Jahrhundert. 15
? 5. Die l?ndliche Verfassung Galiziens im 18. Jahrhundert. 20
? 6. Die l?ndliche Verfassung Galiziens im 18. Jahrhundert. 24
? 7. Ein Blick auf die Stellung des Staates zur Bauernfrage in Polen und in ?sterreich 28
? 1. Die Organisierung der Verwaltung in ihrem Einwirken auf die l?ndliche Verfassung 31
? 2. Anf?nge des l?ndlichen Arbeiterschutzes 36
? 1. Die Aufhebung der Leibeigenschaft 42
? 2. Die Regulierung der Untertansschuldigkeiten 46
? 3. Massregeln zur Besserung der untert?nigen Besitzrechte 56
? 4. Das Raab'sche System 69
? 5. Reform des obrigkeitlichen Amtes 71
? 6. Die Steuer- und Urbarialregulierung 74
? 1. Die Aufhebung der Steuer- und Urbarialregulierung 79
? 2. Reformen und Reformversuche in der nachjosefinischen Zeit 88
? 3. Das gutsherrlich-b?uerliche Verh?ltnis in der ersten H?lfte des neunzehnten Jahrhunderts 93
? 1. Zur Vorgeschichte des Aufstandes 101
? 2. Die Untertansfrage auf dem Landtage 106
? 3. Der Ausbruch des Aufstandes und die Massnahmen der Regierung 111
? 4. Die ausserordentlich bevollm?chtigte Hofkommission 120
? 5. Die Durchf?hrung der Urbarialregulierung 129
Einleitung.
? 1. Galizien.
? 2. ?berblick ?ber die Entwicklung der b?uerlichen Verh?ltnisse in Polen bis zur ersten Teilung.
In den letzten Jahrhunderten des Mittelalters war die Lage der polnischen Bauern recht g?nstig.
Die furchtbaren Tatareneinf?lle, von denen Polen seit 1241 heimgesucht worden war, hatten das ohnehin nur sch?tter bewohnte Land entv?lkert. Sollte der Staat sich von dem schweren Schlage jemals erholen, so mussten fremde Kr?fte zu Hilfe gerufen werden. Wie die Dinge damals in Deutschland lagen, fiel es nicht schwer, zahlreiche deutsche Bauern zum Aufgeben ihrer Heimat zu bewegen. So str?mten denn seit der zweiten H?lfte des dreizehnten Jahrhunderts Scharen von deutschen Ansiedlern nach Polen.
F?r seine M?hewaltung wurde der Schulze reichlich belohnt. Er erhielt in dem neugestifteten Dorfe mehrere Hufen als Erbeigentum mit dem auf dem Gute haftenden Rechte, das zugleich Pflicht war, der Gemeinde Recht zu sprechen. Ihm geh?rte ferner alles Land auf der Ackerflur, das nicht unter die Kolonisten verteilt worden war , dann der Marktplatz des Dorfes , ferner Wiesen und G?rten. Er hatte das Recht, auf seinen Gr?nden G?rtner, H?usler, Handwerker, ja selbst Bauern anzusetzen, sowie das Recht, ein Wirtshaus und eine M?hle zu errichten -- von sonstigen Nutzungen an Fl?ssen und W?ldern des Herrn ganz abgesehen. Von allen Abgaben und Zinsen, die die Bauern dem Grundherrn entrichteten, empfing er den sechsten Groschen und de omni re iudicata den dritten Groschen. So ausgestattet, war der Schulze vollauf bef?higt, die Rechte der Dorfinsassen dem Grundherrn gegen?ber ebenso wie die des Grundherrn der Gemeinde gegen?ber in entsprechender Weise zu wahren.
Nur in drei F?llen stand es den Bauern frei, fortzuziehen, auch ohne diesen Bedingungen nachgekommen zu sein: wenn der Herr der Frau oder Tochter eines Bauern Gewalt angetan hatte, wenn die Bauern durch die Schuld des Herrn um Hab und Gut gekommen waren, oder wenn der Herr excommunicirt worden war.
Die Haupteinnahmsquelle des polnischen Grossgrundbesitzers bildeten im 13., 14. und noch im 15. Jahrhundert die Abgaben der zinspflichtigen Bauern. Seine eigene Wirtschaft, die er auf dem Gutshofe betrieb, war nur bestimmt, seinen Hausbedarf zu decken. Doch seit dem 15. Jahrhundert ?ndern sich die wirtschaftlichen Voraussetzungen der l?ndlichen Verfassung. Bis dahin hatte Polen kein Absatzgebiet f?r sein Getreide gefunden. Das wird jetzt anders. Schon seit dem Ende des 14. Jahrhunderts exportiert Polen ?ber Danzig einiges Getreide nach England, Frankreich und den Niederlanden. Noch wirken aber st?rend auf den Verkehr die unsicheren Rechtsverh?ltnisse an der unteren Weichsel, wo seit Jahrhunderten zwischen Ordensrittern und Slaven furchtbare K?mpfe w?ten. Zwar sucht Polen durch Vertr?ge mit dem deutschen Orden f?r seinen Export g?nstige Bedingungen zu erwirken, aber erst als die westpreussischen St?dte, unter ihnen Danzig, Memel und Elbing, im Frieden von Thorn endgiltig unter polnische Herrschaft gekommen sind, wird die Weichselschiffahrt frei. Die Nachfrage des Auslandes nach polnischem Getreide wird gr?sser. Der polnische Handel nimmt einen grossartigen Aufschwung. Dieser wirtschaftliche Erfolg wird jedoch mit der Knechtung eines Millionen Seelen z?hlenden Standes erkauft.
Als die Schollenpflicht der Bauern durchgef?hrt war, begann der Adel die Robotsschuldigkeiten durch gesetzliche Massnahmen zu erh?hen. Bald aber wurde dieser Weg aufgegeben, da er nicht zum gew?nschten Ziele f?hrte. Denn auf den meisten G?tern fanden sich noch Vertr?ge zwischen Grundherr und Grundhold, und die Bauern bestanden auf ihrem Rechte, das sie bei Gericht durchzusetzen bem?ht waren. Die Gutsherren w?hlten also ein anderes Mittel: dem Bauer sollte das Recht entzogen werden, gegen seinen Herrn zu klagen. Zuerst wurde der Bauer entgegen dem bisherigen Brauche durch mehrere Reichstagsbeschl?sse unter die ausschliessliche Gerichtsbarkeit des Gutsherrn gestellt. Die Praxis der Gerichte sprach ihm dann das Recht ab, den Herrn gerichtlich zu belangen. Am 30. August 1518 wies das k?nigliche Assessorialgericht in Krakau die Klage eines Landmannes wegen widerrechtlicher N?tigung zur Robot mit der Begr?ndung zur?ck, dass die Untertanen ihre Herren nicht beim K?nig verklagen d?rfen.
Mit der allgemeinen Annahme dieses Grundsatzes war die grosse Umw?lzung, durch welche die l?ndliche Bev?lkerung h?rig wurde, vollendet. Die Grundherren hatten von nun an unumschr?nkte Macht ?ber die Bauern. Von ihrem Willen allein hing die Verf?gung ?ber deren Leben und Tod, Knechtschaft und Freiheit, Eigentum und Arbeitskraft ab. Und es ist nur die Feststellung eines bereits geltenden Rechtszustandes, wenn der Konvokations-Reichstag im Jahre 1573 erkl?rt, dass jeder Herr das Recht habe, seine ungehorsamen Untertanen "tam in spiritualibus, quam in saecularibus" nach seiner Meinung zu strafen.
Zwar stand es jetzt im Belieben des Gutsherrn, dem Bauern nach Willk?r gr?ssere Lasten aufzub?rden, aber er machte trotzdem von diesen Befugnissen nicht vor dem Ende des 17. Jahrhunderts ausgiebigen Gebrauch. Denn noch stand dem Bauer ein Weg offen, sich allzugrossen Anforderungen und Bedr?ckungen zu entziehen: die Flucht. Im Osten der Republik dehnte sich eine unermessliche, nur sp?rlich bev?lkerte Ebene, wo von Gutsherrschaft noch keine Rede war und sein konnte. Dort, wo das Ackerland aus Mangel an Arbeitskr?ften meist brach lag, fehlte auch die Gelegenheit zu marktm?ssiger Verwertung der Bodenerzeugnisse, da der Weg zum schwarzen Meere durch T?rken und Tataren versperrt war. Darum begn?gte sich der Grundherr in jenen Gegenden mit den Zinsungen der Grundholden, ohne daran zu denken, einen eigenen Grossbetrieb einzurichten. Der polnische Bauer aber wusste genau, dass er jederzeit dorthin fliehen k?nne. Dort wurde er von den Grundherren stets mit offenen Armen empfangen und unter g?nstigen Bedingungen angesiedelt. Der Gutsherr im Westen musste sich also h?ten, durch ?bertriebene Strenge seine Untertanen zur Flucht zu reizen. Zwar war in einer Reihe scharfer Gesetze das Verbot ausgesprochen worden, fl?chtige Bauern zu unterst?tzen, bei sich aufzunehmen oder anzusetzen; allein die Gerichte waren unverm?gend, diesen Gesetzen Geltung zu verschaffen. Ja, die Ohnmacht der Beh?rden war so gross, dass die fl?chtigen Bauern sogar in derselben Provinz bleiben konnten. Dann zogen sie als "hultaje" oder "lud?i lu?ni" im Lande umher, und nur zur Zeit der Ernte verdingten sie sich als freie Arbeiter. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde den Bauern jede M?glichkeit zur Flucht benommen. Nach langen Kriegsjahren kehrte der Frieden wieder, im Inneren wurde die Ordnung einigermassen wieder hergestellt, und die Schollenpflicht der Bauern wenigstens in den westlichen Teilen des Staates strenge durchgef?hrt. In den ?stlichen Provinzen allerdings entzogen sich noch in den ersten Jahren der ?sterreichischen Herrschaft die Untertanen den Bedr?ckungen von Seiten des Gutsherrn durch die Flucht nach Podolien und Wolhynien. Im Westen aber erlangten jene Gesetze, die im 16. Jahrhundert erlassen worden waren, unbeschr?nkte Geltung, und die b?uerlichen Verh?ltnisse nahmen jene Gestalt an, in der sie bis zum Untergang des selbst?ndigen polnischen Staatswesens beharrten.
? 3. Die l?ndliche Verfassung Galiziens im 18. Jahrhundert.
Nach der Lehre der polnischen Juristen setzt sich der polnische Staat aus drei St?nden zusammen: K?nig, Senat und Adel. Was ausserhalb dieser drei St?nde ist, hat keinen Einfluss im Staate und keinen Anteil an der Regierung. Tats?chlich haben aber auch K?nig und Senat nicht viel zu sagen. Die ganze Macht liegt vielmehr beim Adel, und zwar beim beg?terten Adel. Rechtlich ist der gesamte Adel gleich. De facto aber besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen den beg?terten und den unbeg?terten Edelleuten.
Dieser einzig berechteten Klasse gegen?ber stehen die mit weitaus geringeren Rechten ausgestatteten B?rger und die v?llig rechtlosen Bauern.
Die Untert?nigkeit ist als Standeseigenschaft erblich, aber die Geburt von untert?nigen Eltern ist nicht die einzige Art ihrer Entstehung. Ein freier Mann wird durch Verheiratung mit einer Untertanin ebenfalls untert?nig. Auch durch Annahme eines untert?nigen Grundes wird Untert?nigkeit begr?ndet. Schliesslich wird jeder schollenpflichtig, der ein Jahr lang auf Grund eines mit der Gutsherrschaft geschlossenen Vertrages in einem Dorfe wohnt. Die Untert?nigkeit erlischt durch Eintritt des Untertans in einen religi?sen Orden, durch Empfang der Weihen und durch Erlangung des Doktorates, ferner durch Entlassung und endlich durch Nobilitierung. Der Gutsherr kann den Untertanen auf zweierlei Art entlassen: entweder durch einen Freilassungsbrief oder durch Erkl?rung vor den Woiewodschaftsakten. Ohne Einwilligung des Herrn darf kein Bauer geadelt werden.
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