Read Ebook: Der Weltkrieg III. Band Vom Eingreifen Amerikas bis zum Zusammenbruch by Helfferich Karl
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en ?berhaupt zu sehen bekamen. ?ber die schweren Bedenken, die bei der Moskauer Vertretung gegen wesentliche Punkte der Zusatzvertr?ge bestanden, konnte man im Berliner Ausw?rtigen Amt nicht im Zweifel sein.
Jedenfalls w?nschte der Staatssekret?r, dass ich meine Abreise nach Moskau nach jeder M?glichkeit beschleunigen m?chte, um mir so bald wie m?glich an Ort und Stelle ein Urteil zu bilden. Die ?ber die Verlegung des Sitzes der deutschen Vertretung zu treffende Entscheidung gab er dabei ganz in meine Hand.
So reiste ich bereits wenige Tage nach meiner Ernennung, am 26. Juli, von Berlin nach Moskau ab. Ich hatte mir vorbehalten, nach Gewinnung eines ?berblicks zur Berichterstattung und zur Ordnung meiner pers?nlichen Verh?ltnisse nach Berlin zur?ckkommen zu d?rfen.
An der Milit?rgrenze, Bahnhof Orscha, erwartete mich ein Vertreter des Volkskommissariats f?r das Ausw?rtige mit einem Extrazug und einer schwer bewaffneten lettischen Schutzwache. Die Reise auf russischem Gebiet ging glatt und rasch vonstatten. Wir h?tten bequem zwischen sieben und acht Uhr abends in Moskau sein k?nnen: Etwa hundert Kilometer vor Moskau erhielt jedoch der Zugf?hrer die Weisung, der Zug d?rfe unter keinen Umst?nden vor zehn Uhr in Moskau einlaufen. Wir fuhren dementsprechend im Schneckentempo. Kurz vor Kunzewo, etwa vierzehn Kilometer vor Moskau, erhielt der Zug Haltesignal. Dr. Riezler erschien an meinem Wagen und forderte mich auf, mit meinem Begleiter, dem der Moskauer Vertretung zugeteilten Legationsrat Grafen Bassewitz, den Zug zu verlassen. Man wolle es vermeiden, mich im Moskauer Bahnhof aussteigen zu lassen. Auf der Strasse erwartete uns Herr Radek, damals Chef der mitteleurop?ischen Sektion des Volkskommissariats f?r das Ausw?rtige, mit seinem Auto und brachte uns unbemerkt nach der Stadt hinein zu der am Djeneshnij, einer ruhigen Seitenstrasse des Arbat, gelegenen Villa Berg, in der unsere Vertretung ihren Sitz genommen hatte. Herr Radek erw?hnte, es liege zwar nichts Besonderes vor, aber meine Ankunft k?nne bekannt geworden sein, und Vorsicht k?nne nichts schaden.
Ich hatte noch am gleichen Abend und am n?chsten Vormittag Gelegenheit, meine wichtigsten Mitarbeiter kennenzulernen, mir von ihnen ?ber den Stand ihrer Gesch?fte berichten zu lassen und ihre Ansicht ?ber die Lage zu h?ren. Alle, Milit?r und Zivil, stimmten darin ?berein, dass die Bolschewikiregierung von innen und aussen schwer bedroht sei; dass es ihr an jeder Spur von gutem Willen fehle, aufrichtig mit Deutschland zusammenzugehen; dass sie zwar in der ernsten Lage, in der sie sich befinde, einen Bruch mit uns vermeiden, ja nach M?glichkeit sich unsere moralische und materielle Unterst?tzung sichern wolle, jedoch jede Deutschland zugutekommende Massnahme unter dem Anschein und dem Versprechen des Entgegenkommens durch den z?hesten passiven Widerstand vereitele; dass das offensichtliche Bestreben gewisser im Ausw?rtigen Amt einflussreicher Leute, mit der Bolschewikiregierung intim zusammenzuarbeiten und namentlich mit ihr die Zusatzvertr?ge abzuschliessen, das ganze nichtbolschewistische Russland geradezu gegen Deutschland aufpeitsche, ohne uns den geringsten greifbaren Vorteil zu bringen; dass schliesslich die deutsche Vertretung in Moskau, trotz verst?rkter Bewachung durch ein Lettenkommando, nach wie vor ernstlich bedroht und ein gedeihliches Arbeiten nicht m?glich sei. Die von Berlin in Aussicht genommene Entsendung von dreihundert Mann in Zivil wurde von den Milit?rs als ein g?nzlich unzureichender Schutz bezeichnet.
Mein erster Besuch galt dem Volkskommissar f?r das Ausw?rtige, Herrn Tschitscherin, der sein Quartier im Hotel Metropol am Theaterplatz aufgeschlagen hatte. Dem Dr?ngen meiner Berater folgend, besuchte ich ihn unangesagt; auch benutzte ich nicht das Gesandtschaftsauto, sondern ein Dogcart. Nach wenigen Minuten verlor das Pferd ein Eisen. Ich ging mit Dr. Riezler, der mich begleitete, unerkannt und unbeobachtet zu Fuss durch die gef?hrliche Stadt, die kaum einen anderen Eindruck machte als sp?ter das revolution?re Berlin.
Herr Tschitscherin, in seinem ?usseren ein verh?rmter und versch?chterter Gelehrter mit schwerm?tigen, traurigen Augen, sprach mir sofort von seinen Sorgen um Baku, das von den t?rkischen Truppen unmittelbar bedroht sei, und berief sich auf die Zusagen, die von unserer Regierung Herrn Joffe wegen des Schutzes von Baku gemacht worden seien. Ich bezweifelte auf Grund meiner Berliner Informationen, dass die T?rken einen Schlag gegen Baku beabsichtigen k?nnten, und gab die Versicherung, dass die deutsche Regierung von den mit ihrem Bundesverh?ltnis zur T?rkei vertr?glichen Mitteln Gebrauch machen werde, um die T?rken zur Zur?ckhaltung zu veranlassen. ?ber die Zusatzvertr?ge sagte Tschitscherin, dass er noch nicht im Besitz der in Berlin zwischen den beiderseitigen Delegationen vereinbarten Redaktion sei; dass nach deren Eingang die Vertr?ge von dem Rat der Volkskommissare einer eingehenden Pr?fung unterzogen werden m?ssten, bevor er Stellung nehmen k?nne. Warm wurde er, als er auf die inneren Verh?ltnisse zu sprechen kam. Die Industrieproletarier h?tten die Revolution gemacht; aber sie seien in Russland der Zahl nach eine geringe Minderheit. Deshalb h?nge das Schicksal der Revolution vom Dorfe ab, das sich bisher indolent oder gar feindlich gezeigt habe. Sie seien jetzt dabei, die >>Dorfarmen<< gegen die >>Dorfreichen<< zu mobilisieren. ?berall auf dem Dorfe w?rden jetzt Sowjets gebildet und in die Macht eingesetzt. Zu diesen Sowjets d?rften nat?rlich nur die Besitzlosen w?hlen. Auf diese Weise werde es der Sowjetregierung gelingen, auch das Land in ihre Gewalt zu bekommen.
In den folgenden Tagen suchte ich mir in intensivster Arbeit und in Besprechungen mit meinen Mitarbeitern wie mit anderen f?r mich erreichbaren landeskundigen Personen ein genaues Bild von der Lage und den sich aus ihr f?r die deutsche Politik er?ffnenden M?glichkeiten zu machen. Das Bild, das sich f?r mich ergab, war folgendes:
Sowjetrussland stand in einer schweren ?usseren und inneren Krisis.
Im Osten machten die Tschecho-Slowaken und die mit ihnen kooperierenden Sibirier bedrohliche Fortschritte. Sie bem?chtigten sich der mittleren Wolga mit den wichtigen St?dten Kasan, Simbirsk, Samara, Sysran und bedrohten Saratow. Gerade in der Zeit, in der ich in Moskau eintraf, kam von der Ostfront eine Hiobspost nach der anderen.
Im S?dosten waren die Kosaken unter Alexejew, Dutow, Denikin und Krasnow im Vordringen. Die Gefahr war gross, dass sie sich bei Zarizyn am Wolgaknie mit den Tschecho-Slowaken vereinigen und so das bolschewistische Russland von der Verbindung mit dem Kaspischen Meer und Baku abschneiden k?nnten. Mit Baku selbst waren die Verbindungen unterbrochen. Genaues ?ber das Schicksal der Stadt war nicht zu erfahren. Bald hiess es, die Armenier h?tten sich der Herrschaft bem?chtigt und die Engl?nder, die in Rescht, an dem persischen S?dufer des Kaspischen Meeres standen, herbeigerufen, bald sollten die T?rken unmittelbar vor Baku stehen oder gar Baku bereits genommen haben.
Im Norden r?ckten Ententetruppen von der Murmank?ste aus in Richtung Petrosawodsk und Petersburg vor. Anfang August besetzten die Engl?nder Archangelsk am Weissen Meer und setzten sich von dort in Marsch gegen Wologda.
Die Rote Garde schlug sich fast ?berall schlecht. Aus Petersburg und Moskau wurden die Lettenregimenter abgezogen und als >>Korsettstangen<< zwischen den Rotgardisten eingesetzt. Unter den Letten selbst herrschte zunehmende Unzufriedenheit mit dem bolschewistischen Regiment, dessen st?rkste und treueste St?tze sie bisher gewesen waren. Die Unzufriedenheit ging so weit, dass angesehene Lettenf?hrer bei uns F?hlung suchten und sich bereit erkl?rten sich mit ihren Truppen zu unserer Verf?gung zu stellen, wenn wir ihnen f?r sp?ter die R?ckkehr in das von uns besetzte Lettland gestatteten und sie in ihren Grundbesitz wieder einsetzten.
Wie ernst die Sowjetregierung selbst die Lage ansah, ergab sich mir aus Er?ffnungen, die mir Herr Tschitscherin, unangesagt und direkt aus einer Beratung im Kreml kommend, am Abend des 1. August im Auftrag des Rates der Volkskommissare machte.
Zun?chst teilte er mir mit, dass angesichts des Vormarschs der Ententetruppen von Murmansk und der Landung der Engl?nder in Archangelsk seine Regierung kein Interesse mehr an ihrem in Berlin ausgesprochenen Wunsch habe, ein deutsch-finnisches Eingreifen in Karelien gegen die Murmank?ste m?chte aufgeschoben werden. Ein offenes milit?risches B?ndnis mit uns sei allerdings in R?cksicht auf die ?ffentliche Meinung unm?glich; m?glich aber sei eine tats?chliche Parallelaktion. Seine Regierung beabsichtige, ihre Truppen um Wologda zu konzentrieren, um Moskau zu decken. Bedingung f?r eine Parallelaktion sei allerdings, dass wir Petersburg nicht besetzten; auch Petrosawodsk sei besser zu vermeiden. -- Tats?chlich bedeutete diese Er?ffnung, dass die Sowjetregierung, um Moskau zu sch?tzen, gen?tigt war, uns um die Deckung von Petersburg zu bitten. Das wurde best?tigt, als mir Tschitscherin am 5. August mitteilte, dass seine Regierung ihre Truppen auch von Petrosawodsk nach Wologda abziehen m?sse, so dass der Weg von Murman nach Petersburg frei und ein schleuniges Eingreifen unsererseits erw?nscht sei; dass ferner in Wologda der Kriegszustand erkl?rt sei und er mich bitten m?sse, unsere Unterkommission f?r Kriegsgefangene von dort zur?ckzuziehen.
Nicht minder Sorge machte ihm der S?dosten. Seine Regierung habe sich entschlossen, auf der bisher von ihr mit allem Nachdruck verlangten R?umung von Rostow und Taganrog durch unsere Truppen nicht zu bestehen, sondern sich mit der von uns angebotenen freien Benutzung der Bahnlinien zu begn?gen, vorausgesetzt, dass sie durch uns >>von Krasnow und Alexejew befreit<< w?rde. Beide Generale spielten unter einer Decke, obwohl Alexejew ententefreundlich sei und Krasnow sich den Anschein gebe, zu uns zu halten, und von uns Unterst?tzung annehme. Auf meine Fragen pr?zisierte er schliesslich unser von ihm gew?nschtes Eingreifen dahin: >>Aktives Eingreifen gegen Alexejew, keine weitere Unterst?tzung an Krasnow.<< Auch hier komme aus denselben Gr?nden wie im Norden kein offenes B?ndnis, sondern nur eine tats?chliche Kooperation in Frage; diese aber sei notwendig. -- Mit diesem Schritt erbat also die Bolschewikiregierung die bewaffnete deutsche Intervention auf grossrussischem Gebiet. Ein schlagender Beweis daf?r, wie hoch ihr das Wasser stand.
Nicht tr?stlicher war die Lage f?r die Sowjetregierung im Innern.
Die kommunistischen Experimente der Bolschewikiregierung hatten zu einer v?lligen Desorganisation und L?hmung des russischen Wirtschaftslebens gef?hrt. Eine neue Ordnung zu schaffen war den Bolschewiki nicht gelungen. Ein grosser Teil der industriellen Betriebe stand still. Die Weiterarbeitenden konnten sich nur mit Hilfe grosser Zusch?sse des Staates halten. Auch die landwirtschaftliche Produktion war schwer beeintr?chtigt. Ausserdem machten die Bauern schon seit langer Zeit Schwierigkeiten, ihre Erzeugnisse gegen das entwertete Papiergeld abzugeben. Der Versuch der Einrichtung eines systematischen Austauschs von gewerblichen Erzeugnissen gegen landwirtschaftliche Produkte war gescheitert. Zwischen den hungernden St?dten und dem Land, das seine keineswegs reichlichen Nahrungsmittel zur?ckhielt, bestand eine starke Spannung. Vielfach zog das Industrieproletariat nach dem Lande, um sich dort gewaltsam in den Besitz von Nahrungsmitteln zu setzen. Das Land setzte sich zur Wehr; an zahlreichen Stellen flammten Bauernunruhen auf. Die Bolschewisierung des Landes durch die Organisation der >>Dorfarmen<< hatte erst begonnen.
Der alte Verwaltungsapparat war zerbrochen. Ein neuer war noch nicht aufgebaut. Die Macht der Moskauer Zentralregierung war eng begrenzt. Die lokalen Sowjets, die sich ?berall gebildet hatten, taten und liessen, was ihnen gefiel.
In Moskau selbst stand die Bolschewikiherrschaft auf schwachen F?ssen. Das Verh?ltnis der Bolschewiki zu den Linken Sozialrevolution?ren war nach wie vor ungekl?rt. Die Sowjetregierung wagte augenscheinlich nicht, gegen diese Gruppe vorzugehen. In der Verfolgung der an dem Attentat gegen den Grafen Mirbach beteiligten Personen dieses Kreises blieb sie trotz meines Dr?ngens unt?tig. In Deutschland wurde allerdings aus den Kreisen des Herrn Joffe verbreitet, die Sowjetregierung habe auf Verlangen Deutschlands Kamkow und Frau Spiridonowa, die ?ffentlich zu dem Attentat aufgefordert hatten, verhaften und erschiessen lassen. Graf Harry Kessler, der mit Herrn Joffe intime Beziehungen unterhielt, hatte mich noch am Abend vor meiner Abreise in Berlin besucht und mir diese angebliche Tatsache als Beweis des guten Willens der Sowjetregierung vorgef?hrt. Als aber deutsche Zeitungen diese Nachricht brachten, liess das Volkskommissariat f?r das Ausw?rtige in der russischen Presse eine Note ver?ffentlichen, diese Nachricht sei selbstverst?ndlich erfunden, die deutschen Zeitungen weigerten sich aber, unter dem Druck der deutschen Zensur, ein Dementi zu bringen. Ich teilte diese Note nach Berlin mit und bat um Aufkl?rung. Das Ausw?rtige Amt antwortete, dass keine deutsche Stelle ein solches Dementi verhindert habe. Als ich nun Herrn Radek auf diese merkw?rdige Sache stellte, bekannte er sich als Verfasser der Note; auf eine Verhinderung des Dementis durch die deutsche Zensur habe er daraus geschlossen, dass auf den nach Berlin gerichteten Auftrag, die Nachricht von der Erschiessung des Kamkow und der Spiridonowa zu dementieren, die Antwort gekommen sei, dem Dementi st?nden >>un?berwindliche Hindernisse<< entgegen. Nach meiner R?ckkehr nach Berlin habe ich von deutschen Journalisten erfahren, dass Herr Joffe selbst ersucht habe, die Nachricht nicht zu dementieren, und dass auch von einer Stelle des Ausw?rtigen Amtes ein Dementi als unerw?nscht bezeichnet worden war! Man wollte bei uns im Interesse des Zustandekommens der Zusatzvertr?ge augenscheinlich die durch die Nichtverfolgung der Attent?ter gegen die Bolschewikiregierung erregte ?ffentliche Meinung beschwichtigen. Erst auf mein Eingreifen hat das Wolffsche Telegraphenbureau ein Dementi ver?ffentlicht.
Die Sowjetregierung nahm aber nicht nur Abstand von jedem ernsthaften Schritt gegen die in das Attentat verwickelten Linken Sozialrevolution?re, sondern sie nahm auch in den ersten Tagen meines Moskauer Aufenthalts die Mitglieder dieser Gruppe, die sie unmittelbar nach dem Attentat und dem Putsch aus der >>Ausserordentlichen Kommission<< und anderen wichtigen K?rperschaften entfernt hatte, wieder in Gnaden auf.
Dagegen ?bte sie gegen alle weiter rechts stehenden Parteien und Gruppen eine wahre Schreckensherrschaft aus. An Zeitungen wurden nur bolschewistische und links-sozialrevolution?re Organe geduldet; alle anderen wurden schonungslos unterdr?ckt. Jede Art von Versammlungen, die nicht von Bolschewisten oder Linken Sozialrevolution?ren veranstaltet wurden, waren verboten. Die >>Ausserordentliche Kommission zur Bek?mpfung der Gegenrevolution<<, deren Befugnisse ?ber Leib und Leben unbeschr?nkt waren, w?tete gegen alles, was nicht zur Partei der Bolschewisten und der Linken Sozialrevolution?re geh?rte, in einer geradezu entsetzlichen Weise. In der Provinz waren es die lokalen >>Sowjets<<, die den Terror aus?bten. Die Mitte Juli erfolgte Hinrichtung des Zaren durch den Sowjet von Jekaterinburg, die von dem Zentralexekutivkomitee in Moskau nachtr?glich gebilligt wurde, war nur ein durch die Person des Betroffenen Aufsehen erregender Einzelfall.
Trotzdem, oder vielleicht gerade infolge dieses unertr?glichen Terrors, machten die gem?ssigteren Elemente einen letzten Versuch, sich zusammenzuschliessen. Es hatte damals den Anschein, als ob es einer Koalition der b?rgerlichen Parteien bei der zweifelhaften Haltung der bolschewistischen Kerntruppen, der tiefgehenden Erbitterung der hungernden Arbeiter in den St?dten und der von gewaltsamen Requisitionen bedrohten Bauernschaft gelingen k?nnte, die zersprengten Ordnungselemente um sich zu sammeln.
Die Sowjetregierung selbst war ernstlich in Sorge. Sie traf in den ersten Augusttagen umfassende Vorkehrungen gegen eine gegenrevolution?re Erhebung. Die oberen Stockwerke in den Quartieren um den Kreml, in dem Lenin und der Rat der Volkskommissare ihren Sitz hatten, wurden gr?sstenteils ger?umt und mit Maschinengewehren zur Verteidigung eingerichtet. Die Razzias nach gegenrevolution?ren Elementen, vor allem nach Offizieren, wurden Tag und Nacht mit verdoppeltem Eifer betrieben. Schliesslich wurde f?r den 7. August eine Registration der s?mtlichen Offiziere angeordnet; bei dieser Gelegenheit wurden Tausende der sich Meldenden in Haft genommen. Wie viele von diesen erschossen worden sind, wird man wohl niemals erfahren.
Die Sowjetregierung hatte allen Grund, ihre Lage f?r gef?hrdet zu halten; denn ihre eigenen Machtmittel in Moskau waren in jenen Tagen schwach und die Bev?lkerung war gleichg?ltig oder schwankend. Um den ?usseren Feind abzuwehren, hatte die Regierung die Lettenregimenter fast restlos zu den Fronten schicken m?ssen; auch meine Lettenwache, deren Belassung mir ausdr?cklich zugesagt worden war, wurde vor?bergehend abgezogen und durch ziemlich ?bel aussehende Rotgardisten ersetzt. Die Bev?lkerung litt auf das schwerste unter dem Mangel an Lebensmitteln. Es herrschte in Moskau die nackte Hungersnot. Was an Nahrungsmitteln ?berhaupt hereinkam, wurde grossenteils von der Roten Garde f?r sich in Anspruch genommen. Brot gab es ?berhaupt nicht mehr. Das Brot f?r das Personal der deutschen Vertretung mussten wir uns durch den Kurier aus Kowno bringen lassen.
Die st?rkste St?tze der Bolschewikiregierung in jener kritischen Zeit war, wenn auch unbewusst und unbeabsichtigt -- die deutsche Regierung. Schon die Tatsache, dass die deutsche Regierung mit den Bolschewisten den Frieden abgeschlossen und die diplomatischen Beziehungen aufgenommen hatte, war in den nichtbolschewistischen Kreisen Russlands als eine moralische Unterst?tzung des bolschewistischen Regiments aufgefasst worden. Das offenkundige Bestreben der Berliner Politik, in Grossrussland mit den Bolschewisten loyal zusammenzuarbeiten, die Leichtigkeit, mit der die Herren, die in Berlin mit Herrn Joffe verhandelten, sich mit der Sch?digung und Vernichtung deutschen Eigentums und deutscher Betriebe durch die kommunistischen Massnahmen der Bolschewisten abfanden, die Leichtfertigkeit, mit der gewisse deutsche Publizisten den Gedanken propagierten, Deutschland m?sse durch F?rderung des Bolschewismus das Russische Reich endg?ltig zertr?mmern und ohnm?chtig machen, das alles erzeugte und verst?rkte in Russland den an sich unzutreffenden Eindruck, dass Deutschland entschlossen sei, das bolschewistische Regime in Grossrussland zum Zwecke der endg?ltigen Zerst?rung der russischen Kraft aufrechtzuerhalten. Man hielt in den russischen Kreisen diese Politik im eigensten Interesse Deutschlands f?r verkehrt; denn man sah als ihre Folge an, dass der Bolschewismus schliesslich gegen uns selbst schlagen werde -- eine Warnung, die ich w?hrend meines kurzen Aufenthalts in Moskau wiederholt und eindringlich von russischer Seite geh?rt habe --; aber man rechnete mit unserer Unterst?tzung des bolschewistischen Regimes als mit einer Tatsache, die schwer auf jeden Gedanken einer eigenen Erhebung dr?ckte.
Die Ermordung des Grafen Mirbach und die daraufhin von dem deutschen Gesch?ftstr?ger unternommenen Schritte erweckten die Hoffnung auf ein Umschwenken der deutschen Politik. Die antibolschewistischen, und zwar nicht nur die reaktion?ren Elemente suchten Anlehnung und Ermutigung bei uns. Herr Miljukow, der fr?her zu den sch?rfsten Gegnern Deutschlands geh?rt und noch als Minister des Ausw?rtigen in der revolution?ren Regierung des F?rsten Lwoff in der entschiedensten Weise Stellung gegen jede Verst?ndigung mit Deutschland genommen hatte, sprach sich jetzt ?ffentlich f?r ein Zusammengehen mit Deutschland aus.
Dar?ber habe ich in Moskau nur eine Stimme geh?rt, dass der Abschluss der Zusatzvertr?ge auf der in Berlin in Aussicht genommenen Grundlage uns das ganze nichtbolschewistische Russland f?r absehbare Zeit zum bittersten Feinde machen m?sse.
Die Bolschewikiherrschaft stand gerade damals sichtbarlich auf zu schwachen F?ssen, als dass die M?glichkeit eines Umschwungs, auch eines nahen Umschwungs, als nicht vorhanden betrachtet werden durfte. Auch heute noch, nachdem gegen alles Erwarten und auch gegen meine damals gewonnene Ansicht die Lenin und Trotzki -- nicht zuletzt dank der von den massgebenden Personen in Berlin verfolgten Politik! -- sich an der Herrschaft gehalten haben, kann ich eine Politik nicht f?r richtig halten, die Russland und den Bolschewismus identifizierte und das im Augenblick unterdr?ckte nicht bolschewistische Russland glaubte ignorieren zu k?nnen. Kam aber der Umschwung, ohne dass wir vorher das Tischtuch zwischen uns und den Bolschewiki zerschnitten hatten, dann kam er gegen uns, und zwar unter unmittelbarer F?hrung der Entente, die offensichtlich auf eine solche Entwicklung hinarbeitete, um uns vor eine neue Ostfront zu stellen.
Die Meinung von der schwer gef?hrdeten Stellung der Bolschewikiherrschaft erfuhr f?r mich eine Best?tigung in dem Ersuchen Tschitscherins um unsere bewaffnete Hilfe. Nur wenn die Sowjetregierung selbst zu der Ansicht gekommen war, dass sie ohne unsere Hilfe verloren sei, konnte sie sich zu einem solchen Schritt entschlossen haben.
Sollten wir ihr diese Hilfe leihen, nicht nur gegen die Entente im Norden, sondern auch gegen die Kosaken im S?dosten, und uns damit auf Gedeih und Verderb mit den Bolschewiki verbinden? Oder sollten wir sie fallen lassen und den Anschluss, der von dem nichtbolschewistischen Russland bei uns gesucht wurde, gew?hren?
Die weit ?berwiegenden Gr?nde schienen mir f?r die letztere Alternative zu sprechen.
Wir mussten endlich aus der Zwiesp?ltigkeit heraus, dass wir in den von uns besetzten baltischen Gebieten, in Finnland, in der Ukraine, im Dongebiet und im Kaukasus die Bolschewiki bek?mpften und in Grossrussland gemeinschaftliche Sache mit ihnen machten.
Wir durften unser Verh?ltnis zu dem k?nftigen Russland nicht durch ein Kleben an den Bolschewiki aufs Spiel setzen.
Nur wenn es gelang, in Grossrussland selbst die Bolschewikiherrschaft zu ?berwinden, konnten wir auf ruhigere Verh?ltnisse im Osten und auf das Freiwerden eines grossen Teiles der dort verzettelten Divisionen rechnen.
Nur wenn an die Stelle des Bolschewikiregiments eine neue Ordnung der Dinge trat, die das von den Bolschewiki in Grund und Boden ruinierte russische Wirtschaftsleben wieder aufrichtete und uns die von den Bolschewiki fortgesetzt sabotierte M?glichkeit der Ankn?pfung von Handelsbeziehungen gab, konnten wir hoffen, aus den russischen Hilfsquellen und Vorr?ten Erleichterungen f?r unsere Wirtschaft und unsere Kriegf?hrung zu gewinnen. Bisher war alle Arbeit der zahlreichen wirtschaftlichen Sachverst?ndigen, die unserer Vertretung in Moskau zugeteilt waren, ebenso alle Bem?hungen der Kaufleute, die wir herangeholt oder zugelassen hatten, in allen den Monaten seit dem Abschluss des Brester Friedens g?nzlich fruchtlos gewesen. Nicht eine einzige Sendung von Nahrungsmitteln, Rohstoffen oder sonstigen Waren irgendwelcher Art war f?r Deutschland frei zu bekommen. Die ganze T?tigkeit unseres grossen Wirtschaftsstabes war nichts als ein Leeres-Stroh-Dreschen. Niemand sah eine Aussicht, dass sich unter der Herrschaft der Bolschewiki hieran etwas ?ndern w?rde.
Dazu kam schliesslich, dass die Bolschewiki nach wie vor mit einer kaum zu ?bertreffenden Offenheit ihre Absicht verk?ndigten -- auch mir pers?nlich gegen?ber --, Deutschland mit allen Mitteln zu revolutionieren, und dass wir nach den bisherigen Proben, die Lenin, Trotzki, Radek und Konsorten an Zielbewusstsein und Tatkraft abgelegt hatten, in keiner Weise berechtigt waren, diese Ank?ndigungen in den Wind zu schlagen.
Freilich, wenn wir von den Bolschewiki abr?cken und nicht ins Leere fallen wollten, dann mussten wir uns rechtzeitig mit den Elementen verst?ndigen, die f?r den Aufbau der neuen Ordnung in Betracht kamen.
Voraussetzung daf?r war allerdings -- das trat uns ?berall entgegen --, dass wir nicht nur diejenigen Teile der Zusatzvertr?ge fallen liessen, die eine weitere territoriale Verst?mmelung Russlands bedeuteten und als eine wirtschaftliche Auspl?nderung und Sabotierung Russlands aufgefasst wurden, sondern dass wir dar?ber hinaus unsere grunds?tzliche Bereitwilligkeit aussprachen, ?ber einzelne Bestimmungen des Friedens von Brest-Litowsk mit uns reden zu lassen. Vor allem wurde die Losl?sung von Estland und Livland sowie die Aufrechterhaltung der Trennung der Ukraine von Grossrussland als unm?glich, dagegen eine Verst?ndigung ?ber Polen, Litauen und Kurland als m?glich bezeichnet.
Im ?brigen war man der Ansicht, dass bei der akuten Zuspitzung der Lage ein deutliches Abr?cken unsererseits von den Bolschewiki gen?gen werde, um die Bewegung in Fluss zu bringen; gegebenenfalls w?rde eine milit?rische Demonstration unserer Streitkr?fte in der von den Bolschewikitruppen fast g?nzlich ger?umten Gegend von Petersburg gen?gen, um den Sturz der Bolschewiki zu besiegeln.
Ich berichtete ?ber meine Eindr?cke und meine Auffassung an das Ausw?rtige Amt und bat um die Erm?chtigung, mit den Letten, Sibiriern und den Anschluss an uns suchenden politischen Gruppen auf Grund der von diesen als notwendig angedeuteten Zugest?ndnissen Verhandlungen zu f?hren und der Sowjetregierung zu dem mir als richtig erscheinenden Zeitpunkt die Verlegung der deutschen Vertretung nach Petersburg oder einem anderen nahe an der Grenze gelegenen Platz anzuk?ndigen.
Ich hielt es f?r notwendig, die Erm?chtigung f?r die Verlegung unserer Vertretung von Moskau in diesem Zusammenhang noch einmal ausdr?cklich zu erbitten, obwohl mir der Staatssekret?r des Ausw?rtigen Amtes vor meiner Abreise von Berlin in diesem Punkt freie Hand gegeben hatte. Denn damals wurde in der Besprechung zwischen dem Staatssekret?r und mir die Frage der Wegverlegung nur vom Standpunkt der pers?nlichen Sicherheit des Personals der Mission betrachtet, w?hrend nunmehr der politische Zweck eines solchen Schrittes -- das demonstrative Abr?cken von den Bolschewiki --, der bei den Antr?gen der Moskauer Mission in Berlin bisher ?berh?rt worden war, wieder in den Vordergrund r?ckte.
Das Ausw?rtige Amt erteilte mir die nachgesuchte Erm?chtigung zu den von mir empfohlenen Verhandlungen nicht, machte vielmehr das rasche Zustandekommen der Zusatzvertr?ge zum Angelpunkt seiner Politik; ferner wiederholte es das Anheimstellen, Moskau mit dem Personal der Vertretung zu verlassen, wenn mir das aus Sicherheitsgr?nden angezeigt erscheine.
Ich antwortete, dass nach meiner Ansicht die Zusatzvertr?ge mitsamt dem Brester Friedensvertrag bei der Fortsetzung der von Berlin befohlenen Politik Makulatur werden w?rden; ein Verlassen Moskaus durch mich und das engere Personal der Mission werde, auch wenn mit Sicherheitsgr?nden motiviert, als Abr?cken von den Bolschewiki wirken; nur aus pers?nlichen Sicherheitsgr?nden w?rde ich deshalb Moskau nicht verlassen.
Auch gegen?ber meinen erneuten Vorstellungen beharrte das Ausw?rtige Amt auf seinem Standpunkt; in der Frage des Wegganges von Moskau erteilte es mir jedoch jetzt die formelle Weisung, im Falle der Lebensgefahr f?r mich oder das Personal der Mission Moskau zu verlassen und einen gesicherteren Ort aufzusuchen. Schliesslich erhielt ich am 5. August die telegraphische Weisung, alsbald zur m?ndlichen Berichterstattung nach Berlin zu kommen und die Gesch?fte an Dr. Riezler zu ?bertragen, f?r den hinsichtlich des weiteren Verbleibens oder des Verlassens von Moskau die in dem obenerw?hnten Telegramm erteilte Weisung in Kraft bleibe.
Durch meine Berufung nach Berlin war die Frage meiner pers?nlichen Sicherheit ausgeschaltet. Es blieb mir aber die mir durch das Ausw?rtige Amt ausdr?cklich auferlegte Verantwortung f?r die Sicherheit meines umfangreichen Personals.
Bisher h?tte man mir bei einer Wegverlegung der Mission von Moskau den Vorwurf machen k?nnen, dass ich mich bei einem Entschluss von politischer Tragweite durch Gr?nde meiner pers?nlichen Sicherheit h?tte beeinflussen lassen. Allein schon dieser Gedanke hatte mich bestimmt, dem Dr?ngen meiner Mitarbeiter, sowohl der Offiziere wie auch der Zivilbeamten, ebenso den gutgemeinten Ratschl?gen anderer Personen, wie meines mit den Moskauer Verh?ltnissen gut vertrauten bulgarischen Kollegen Tschapratschikoff, zu widerstehen, obwohl die Dinge, wie sich aus folgender Tages?bersicht ergibt, sich stark zugespitzt hatten.
Am Montag, 29. Juli, dem Tag nach meiner Ankunft in Moskau, beschloss das Zentralkomitee der Linken Sozialrevolution?re in ?ffentlicher Versammlung eine Resolution, die die Ermordung des Grafen Mirbach billigte und zur Nachahmung aufforderte; die Resolution wurde am folgenden Tage in dem Moskauer Organ der Linken Sozialrevolution?re, der >>Znamja Borby<<, ver?ffentlicht.
Am Mittwoch, 31. Juli, erhielt ich am fr?hen Morgen die Nachricht von der Ermordung des Generalfeldmarschalls von Eichhorn in Kiew mit dem Zusatz, dass der unmittelbar nach der Tat festgenommene M?rder angebe, von dem Moskauer Komitee der Linken Sozialrevolution?re zu der Tat bestimmt worden zu sein.
Ich besuchte am Mittwoch nachmittag Herrn Tschitscherin, um ihn auf den unerh?rten Beschluss der Linken Sozialrevolution?re aufmerksam zu machen sowie um ihm von der Aussage des M?rders Eichhorns Kenntnis zu geben und ihm die notwendigen Konsequenzen anheimzustellen. Herr Tschitscherin sprach zun?chst formell sein Bedauern ?ber den Tod des Generalfeldmarschalls aus. Im ?brigen hatte er nur ein Achselzucken: Russland sei ein revolution?rer Staat mit Press- und Versammlungsfreiheit; er habe keine Mittel, um gegen Resolutionen der Linken Sozialrevolution?re einzuschreiten. Er konnte sich dabei nicht die Bemerkung versagen, es habe dem Generalfeldmarschall von Eichhorn nichts gen?tzt, dass in Kiew eine grosse deutsche Garnison stehe; ich k?nne daraus entnehmen, was das von uns urspr?nglich verlangte Bataillon f?r Moskau bedeute.
Am Vormittag des gleichen Tages hatte ich meinen t?rkischen Kollegen Ghalib Kemal Bey besucht und ihm zugesagt, dass ich den Abend bei ihm in einem kleineren Kreise verbringen werde. Wir hatten auf seinen Vorschlag verabredet, die Tatsache, dass ich zu ihm kommen w?rde, geheimzuhalten. Kurz vor der verabredeten Zeit erhielt ich von einer russischen Seite die Mitteilung, es sei bekannt, dass ich zur t?rkischen Gesandtschaft fahren wolle; unterwegs werde ein Anschlag auf mich ver?bt werden. Die Herren meiner Umgebung baten mich dringend, die Warnung ernst zu nehmen. Ich f?gte mich widerstrebend und blieb zu Hause. Gleich nach elf Uhr knallten Gewehrsch?sse und wurde Alarm geschlagen. Es war ein ?berfall auf den Lettenposten am Garteneingang unseres Geb?udes versucht worden. Etwa eine Stunde sp?ter wurde aus der gleichen Ursache nochmals alarmiert.
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