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Read Ebook: Moses Tod: Legende by Kayser Rudolf

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Ebook has 94 lines and 7399 words, and 2 pages

MOSES TOD

LEGENDE VON RUDOLF KAYSER

M?NCHEN KURT WOLFF VERLAG

B?cherei >>Der J?ngste Tag<<, Band 86

Gedruckt bei Poeschel & Trepte in Leipzig

Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G. M?nchen

F?r Werner Schendell in grosser Freundschaft

Und der Herr sprach zu ihm: Dies ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe, und gesagt: Ich will es deinem Samen geben. Du hast es mit deinen Augen gesehen; aber du wirst nicht hin?bergehen.

Also starb Mose, der Knecht des Herrn, daselbst im Lande der Moabiter nach dem Worte des Herrn.

Als man das Lager aufschlug, war es sp?ter Abend. M?digkeit und die Anstrengungen der letzten Tage warfen das Volk schnell in die gebr?unten Zelte. Nur Fl?che, Schmerzensschreie der M?tter und kleines Jammern der Kinder gingen noch hin und her, um in der ?bersternten Nacht dann zu versinken. Der Morgen setzte goldene Spitzen auf die Zelte, die langsam, eins nach dem andern, sich ?ffneten. Hagere M?nner, deren K?rper nur Ausdruck von Hunger und ?berdruss waren, traten, den Blick zu Boden gesenkt, hervor, sahen nach den Herden und liessen sich aus den wenigen Schl?uchen, die noch gef?llt waren, in kleine Holzgef?sse Wasser giessen.

Da brach pl?tzlich durch das sich noch im halben Schlummer dehnende Lager ein Schrei: hell wie der Schofarklang, der vor der Bundeslade daherzog, und innig wie unbesorgtes Kinderlachen. Jobab, der siebzehnj?hrige Sohn des Priesters Josef vom Stamme Levi, der seinen braunen K?rper wie jeden Morgen mit durchsengtem W?stensande wusch, hatte ihn ausgestossen. Von allen Seiten eilte man auf ihn zu. Selbst die am Rande des Lagers gelegenen Zelte hatten sich ge?ffnet. M?nner und Frauen st?rmten herbei, Greise und Kinder schl?rften langsamer nach.

Jobab stand auf einem Stein, jetzt v?llig vom Morgen ?berstrahlt. Sein braunes Auge starrte verz?ckt in die Ferne. Alles hing an seinem leicht ge?ffneten Mund, um den ein ?berm?tiges Lachen sich auszubreiten begann. Schliesslich wies er nach Osten: auf den hell ergl?henden Horizont.

Und da erkannten die sch?rferen Augen der Jungen, dass dort, wo die Welt durch die Himmelskugel abgeschlossen erschien, die W?ste sich wellig zu heben begann. Als ob ein Schl?fer am Morgen, nach einer guten Nacht, die Decke langsam von sich streift und am Fussende des Lagers auft?rmt, so hob sich die Erde, und je h?her die Sonne in den neuen Tag stieg, desto schwerer, breiter und zackiger empor. ?ber den Sand strich leiser Wind und trieb die K?rner dem fremden Wunder entgegen.

Da warfen M?dchen und J?nglinge ihre schmalen Leiber auf den Boden der W?ste und riefen dreimal, Angst in der Kehle und unterdr?cktes Weinen in der Stimme, den Namen Jahve den Erdt?rmen zu. Die ?lteren aber l?chelten. Freudig blickten sie sich an, ergriffen ihre harten H?nde und hoben dann sanft die Kinder empor.

Sie wussten, dass jene gewellte Mauer nicht der Thron Gottes sei. Sie dachten zur?ck an Mizrajim, an die breiten, schweren Gebirge, die das ?ppige Land vor der W?ste sch?tzten. Und auf ihren Lippen formten sie dies ungewohnte Wort >>Gebirg<< und sprachen es langsam und feierlich aus.

Das Gebirg aber begann zu wachsen. Die letzten Wolken fielen von seinen Spitzen. Im br?unlichen Licht des vollen Tages dehnte es sich in unendlicher Weite. Jeder begriff: die W?ste war hier zu Ende. Die lange Wanderung, auf der Generationen gestorben und geboren waren, hatte ihr Ziel erreicht. Jenseits dieser Mauer begann Verheissung und Gl?ck, das kanaanitische Paradies, in das Jahve sein Volk zur?ckzuf?hren versprochen hatte.

Da brach ein unendlicher Jubel im Lager aus. Schalmeien, Pauken und Schofare ert?nten. Alles verliess die Zelte. Selbst die Kranken und Sterbenden schleppten sich von den Lagern, um das Ende von Israels Leidensweg zu schauen. Neue Lieder wuchsen auf Gassen und Pl?tzen und wurden von allen gesungen. Hier kamen junge Menschen zusammen, rissen die verfallenen Fetzen ihrer Kleider vom Leibe und begannen jauchzende Reigen. Dort fielen Paare in liebende Umarmung. Statt Fluch, Erbitterung und Not standen helle Geb?rden und freudige Worte auf.

Man rief sich Belehrungen ?ber das Gebirge zu, die niemand glaubte. Jeder wusste genau, wie hoch und breit es sei und wie lange man noch bis zu seinem Fuss zu gehen h?tte. In einigen Gruppen gestikulierender M?nner schien sogar Streit hier?ber zu entstehen.

Als der Mittag kam, fand sich das Volk den neuen Erwartungen schon zugekehrter. Die Gespr?che gingen um die Gen?sse und Vorteile des reichen Landes, das sie in wenigen Tagen betreten w?rden. Von den vierzigj?hrigen Entbehrungen und Qualen sprach niemand mehr. Aber wie eine Erinnerung strahlte die W?ste ihre schmerzliche Sch?nheit aus.

In ihrer weiten Monotonie glich sie Gedanken, die ins Unendliche sich dehnten. Da war das grosse, braune, endlose Meer, durch das als schmales Rinnsal die Spuren eines wandernden Volkes sich zogen. Da war die schwere und tiefe Stille, die nur Schakale und g?ttliche Verheissung zerreissen konnten. Da war die Sch?nheit der Weite, Reinigung und Einsamkeit. ?ber die Landschaft hingen wie Abschiedsworte graue Wolkent?cher.

Einige J?nglinge hatten sich von den Zelten entfernt, lagerten sich auf einem erratischen Felsen und blickten schweigend zur W?ste hinab. Sie, die in der W?ste geboren und aufgewachsen waren, ihr junges Leben zwischen Auf- und Abbau der Zelte verbrachten, denen Wandern, stilles, schweres Wandern und der Glaube an Gott und Israels Zukunft einziger Lebensinhalt geworden waren -- sie hatten ihre Seele mit der Landschaft so gef?llt, dass Trennung unm?glich schien. Die Stille war in ihnen, wie sie in der Stille waren.

Nur einer von ihnen streckte ?ber die W?ste wie segnend seine H?nde aus, um sie dann langsam sinken zu lassen.

Da fingen alle zu beten an. Die schwere, heisse Luft saugte ihre Worte und Empfindungen auf wie der durchgl?hte Sand die Wasserreste. Ihre hellen Stimmen schwollen an, jubelten, klagten und sehnten sich. Irgend etwas ging in ihnen vor, das sie nicht benennen konnten.

Sie sahen sich schweigend an. Sie wussten, was jetzt geschah, war anderes und gr?sseres als die Trennung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Entscheidungen standen bevor, fast zu schwer f?r ihre schwache und hilflose Jugend. Weltenschicksal wollte sich an ihnen vollziehen. Gef?hle standen in ihnen auf, so m?chtig, weit und furchtbar, dass ihre Leiber wie unter einem Frost erschauerten. Sie konnten die Vergangenheit nicht von sich stossen; sie war ihnen mehr als Not und Entbehrung, sie war ihnen Leid, tiefes, verantwortungsvolles, letztes Inneres entbl?ssendes Leid.

Schliesslich sprach einer: >>Es ist nicht gut zu jubeln, weil wir die W?ste verlassen. Die W?ste ist sch?n.<<

>>Ja, sie ist sch?n,<< riefen sie alle und beugten sich tief ?ber die Landschaft wie ?ber den K?rper der Geliebten hin. Sie ahnten, dass das Wandern, das Fehlen jedes Genusses, das Hinziehen der Tage in unendlicher Gleichm?ssigkeit sie veredelt hatte; so standen sie fremd jenen gegen?ber, die Mizrajims Reicht?mer gekannt hatten und in Kanaan sie wiederzufinden hofften. Sie hatten ihr Leben nur Gott geweiht. Heiligkeit brannte in ihrem Blut. Erkenntnis lenkte ihren Willen, der weit ?ber irdische G?ter sich sehnte. Glauben verband sie einander zu einer Gemeinschaft, die, gef?hlt nur und nie genannt, kein anderes Ziel als dieses eine hatte: Gott.

Als sie ins Lager zur?ckkehrten, brach man die Zelte ab. Der letzte Teil der grossen Wanderung sollte beginnen.

Noch drei Tage und drei N?chte musste das Volk durch die W?ste ziehen, ehe es den Fuss des Gebirges erreichte. Dort angelangt, lebte man ganz in den Vorstellungen dessen, was jenseits der Berge auf Israel wartete. Alle Herrlichkeiten Mizrajims steigerte man zu einer phantastischen F?lle von Gaben, Freude und Sch?nheit und presste die Seelen so voll von ihnen, dass sie m?de wie ?berladene Weinst?cke sich neigten. Begehren gl?nzte von den Gesichtern und machte sie feindlich und verschlagen. Die Blicke suchten, dem Bruder die Pl?ne zu rauben, um alle Vorteile des gesegneten Landes auf sich vereinigen zu k?nnen. So wurden sie habgierig, z?nkisch und klein. Sie riefen sich Schimpfworte und Prahlereien zu.

>>Ich werde die gr?ssten Weiden am Flusse Jordan haben; Herden von Rindern, Schafen und Ziegen, unz?hlig wie die Herden des Stammvaters Abraham. Du aber wirst in der Stadt hausen, in einer engen, schmutzigen Kammer und dich k?mmerlich n?hren von deinem armseligen Handwerk.<<

>>An meiner T?r wirst du betteln, und ich werde dich fortpeitschen lassen wie einen r?udigen Hund.<<

>>Ich werde ein Handelshaus haben, das seine Karawanen nach Babylon, Damaskus und Kairo schickt.<<

>>Ich werde Gold aufh?ufen, gleissendes, gelbes Gold, zu Bergen, h?her als der Libanon, und wenn ich sterben werde, so nehm' ich das Gold und streu' es zuvor in den Jordan, damit niemand nach mir es haben wird.<<

Die Entbehrungen ihres bisherigen Lebens str?mten sich in solchen W?nschen aus. Ihre Herzen waren hart und verschlossen geworden, und wo sonst Hilfe und G?te waren, herrschte Neid und Misstrauen. So standen sie schon in dem Schatten kommenden Besitzes und waren eitel und schlecht. Sie klagten nicht mehr, aber sie beteten auch nicht mehr; sie tr?umten und planten, wie R?uber und Eroberer es tun.

Der letzte Abend in der W?ste war gekommen. Die Israeliten ruhten vor ihren Lagerfeuern und sprachen, zankten und ereiferten sich. Pl?tzlich erschien mitten in ihrem Kreis, steinern und gross, den breiten K?rper wie eine Br?cke zwischen Himmel und Erde gespannt, den Blick in jede Seele gewandt, Mose, ihr F?hrer.

Schnell waren die Gespr?che verstummt. Man versuchte, die schlechten Worte und Blicke zu verbergen, wie ein Dieb unter seinen Gew?ndern die gestohlenen Gegenst?nde verbirgt. Ein grosses und ?ngstliches Schweigen lagerte unter dem n?chtlichen Himmel.

>>F?hrer, sprich!<<

Mose machte eine Geb?rde, aber er sprach noch nicht. Auf seinem Gesicht stand tiefe Klarheit und Feierlichkeit. Er wandte sich Menschen, Bergen und W?ste zu, und jeder sah, dass ein Erlebnis seine Seele schwellte, gross und ersch?tternd wie einst am Sinai. Da erinnerte sich mancher an Moses Blicke und Worte, als er die Tafeln zerbrach, da das Volk von Gott abgefallen war. Furcht und Besch?mung griffen um sich. Viele empfanden Reue, viele Furcht vor kommenden Vorw?rfen, denn Mose kannte jede S?nde.

Sie lagerten sich in einem grossen Kreis. Die giftige Besitzgier war schnell verschwunden. Auf den Gesichtern stand Demut und Feierlichkeit. Alle empfanden ihr Auserw?hltsein durch Gott, ihre Gemeinschaft und Einsamkeit unter den V?lkern.

Mose trat in die Mitte des Kreises. Langsam und tr?umerisch erklangen die ersten Worte, um dann in m?chtiger Steigerung emporzubrausen. Doch kein Wort des Vorwurfs erklang.

>>Gesegnet seist du, Volk Israel, da das Ende deiner Wanderung erreicht ist. Zweimal wird die Sonne noch auf- und untergehen, dann schreitet dein Fuss ?ber ?ppiges Land, das Jahve, dein Gott, dir verheissen hat. Deine Herden weiden auf heimatlichem Boden, Brunnen rauschen in deinen D?rfern, jeder wird seinem Tagewerk nachgehen. So werdet ihr Ruhe und Freuden finden. Auch Gott wird zur Ruhe kommen, und seine Lade hinter Tempelmauern stehen. Vierzig Jahre habe ich dich durch W?ste und Entbehrung gef?hrt, wie Gott es befahl. Nun sind wir am Ende. Der Segen Jahves wird dich weiter geleiten.

Ich habe das Land eurer Kinder gesehen. Sonne strahlt ?ber Weiden und Seen. W?lder stehen tief und dunkel. Im Westen ergl?nzt das Meer. Jahreszeiten bescheren Bl?te, Frucht und Ernte. Ewiges Werden und Vergehen randet um Israel, und du wirst bleiben, mein sesshaftes Volk.

Doch meine Zeit ist erf?llt. Gottes H?nde graben mein Grab in den Bergen. Ihr zieht in das Land der Weiden und gr?nen Wiesen. Doch Gottes Wort lastet eisern auf euch. Ihr wart auserw?hlt unter allen V?lkern der Erde, den Geist zu erkennen und zu verk?nden. Verrat wird dennoch unter euch herrschen, und der Zorn Gottes, entflammt ?ber eure Untreue, euch strafen und in alle L?nder vertreiben.

Dich, Josua, Sohn Nuns, hat Gott erw?hlt, von nun an dieses Volkes F?hrer zu sein. Einsicht beleuchte deinen Weg. Kummer und Verzweiflung bleiben dir fern, bis auch an dich das Wort Gottes ergeht, das dich von den schwellenden Jordanufern fortruft in sein ewiges Reich.<<

Bei diesen Worten zitterte ein Volk. Abschied, Mahnung und Schicksal sprachen, fesselten Mensch an Mensch, gaben ihrem Leben Weite, Ungewissheit und Not.

Bruder, Schwester, Stunde, Land und Gott!

Alle Geheimnisse schwanden, W?nsche starben, Bilder l?sten sich ab. Erinnerungen standen auf, ?ngste zuckten, Stimmen jammerten, und alles schlug zusammen in dieser einen Erkenntnis, unwahrscheinlicher als Weltunterg?nge und Wundertaten: der F?hrer stirbt!

Da ist nicht Raum f?r ein anderes Gef?hl, da ist nicht Zeit f?r andere Gedanken, da ist nur Augenblick, weit, dumpf und gef?hrlich, und in seiner Mitte die eine Gestalt: schwer, gereckt, einsam, tausende Blicke tragend, Turm ?ber der W?ste, Mensch ?ber dem Volk.

Ein Schweigen griff um sich, das Blut und Atem stocken liess. In diesem Kauern, Liegen, Warten der Tausende geschah noch einmal Heiligkeit, Demut und Leid.

Ist das unser Ziel?

Wir Wanderer, Armen, Gott-Tr?ger am Tore des Paradieses. Wir braunen W?stentiere, hager, von Jahve getrieben und gef?hrt, auserkoren unter allen V?lkern der Erde. Fr?chte warten unser, Weide, Milch, Honig, ein gesegnetes Land. Aber der F?hrer schreitet nicht mehr voran, ebnet nicht Wege, l?sst Jahves Wort nicht steigen durch Gebirg, T?ler und Feinde. Wir sind die Verlassenen, die rissigen Tafeln der Verk?ndung, bl?kende Herde, beschwert und zerdr?ckt von der blutigen Last unseres Gottes.

Roter schwerer Abend an der Grenze Afrikas und Asiens. Dumpf fegte ein westlicher Wind Steine und Ger?usche in das Lager, knatterte ?ber die Zeltbahnen und lagerte sich dann, kosend und ges?nftigt, Mose zu F?ssen.

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