Read Ebook: Eine dänische Geschichte: Roman by Schopenhauer Adele
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Ebook has 499 lines and 45956 words, and 10 pages
>>Doch, lieber Herr, wir haben von Alters her Land in Pacht vom Herrn Grafen; obschon wir eines Theils losgekaufte Bauern sind, stehen wir ihm noch in Frohn und Zehnten. Der Herr aber ist glimpflich, allein der Vogt! Erbarme sich Gott! Ehmals, da wir Leibeigne waren, mag es noch schlimmer hergegangen sein; Grossvater hat uns oft geklagt, wie die Verwalter zu seiner Zeit den Bauern geschunden! Wie er in der Kornschatzung nicht nur geh?uftes Mass, sondern noch eine Zugabe f?r's Schwinden oder Senken habe liefern m?ssen -- wie nicht nur bloss die armen G?ule ihm zur Ackerfrohne eingespannt wurden, o nein, wie sie zum eignen Dienste jedes Knechtes, jeder Magd des Herrnhofes bereit sein mussten; konnte doch damals nicht einmal der Hundejunge zu Fusse durch das Moor, stand gleich der Bauer bis zum Kn?chel d'rin, und watete selbst schwerbelastet neben seinem Vieh, um das Getreide zur M?hle zu fahren, den Sand vom Strande zu holen f?r den Vogt -- o lieber Herr! es war eine harte, schwere Zeit! Selbst unsre liebe Gr?fin weiss ein Lied von ihr zu singen; helf' ihr Gott! und sie ist doch uns Allen eine so gn?dige Herrschaft!<<
So unbequem Thorald die Anrede der Dirne empfunden, so ganz verloren ihr frischer Reiz dem J?ngling gegen?ber blieb, so blitzstrahlartig traf ihn dieses Wort. >>Was meinst Du, M?dchen?<< fragte er harsch ihren Arm ergreifend, >>was soll das heissen?<<
>>O nichts f?r ungut, lieber Herr, verzeiht! Ihr wisst ja selber wohl, dass unsre Gr?fin die Tochter des Peter Owens ist, der den grossen Hof zu Engbolle in Pacht hat; es ist freilich nicht gut davon reden, die gn?dige Herrschaft h?rt's nicht gern; aber Ihr, was geht es Euch an! da droben zu Aalholm, ja, das ist etwas anders, ein Jeder sagt, es sei ein Nagel zum Sarg des Hochseeligen gewesen und geblieben!<< Sie hob den Krug, den sie neben sich auf einen Stein gestellt, m?hsam auf, um weiter zu gehen, Thorald stand ihr freundlich bei -- >>was hast Du denn da?<< fragte er zerstreut, all seine Gedanken waren noch bei ihrer Erz?hlung. --
>>Wasser vom B?renborn f?r Fr?ulein Helene.<<
>>Seit wann thust denn Du Schlossdienste?<<
>>Ei im Schloss bin ich wohl selten genug! Aber das Fr?ulein w?scht sich nur mit dem B?renborn, und wir T?chter der Frohn- und Festebauern m?ssen ihr Reihe herum das Wasser holen. Es ist freilich ein wenig weit,<< setzte sie hinzu, indem sie mit dem Sch?rzenzipfel die Stirne trocknete, >>es sind wohl anderthalb Stunden Wegs von uns aus dorthin, darum hat mir's warm gemacht!<< --
>>Aber wer hat Euch denn befohlen das Wasser zu holen?<<
>>Wer anders als der Vogt? die Herrschaft weiss wohl kaum davon! Er ist es noch von Alters her gewohnt, die Bauern zu Paaren zu treiben! Die Alten sind alle so; macht es doch unserer Gr?fin Vater nicht besser! Der nimmt das Joch aus Gewohnheit selbst ?ber den Nacken! Nun, kommt's nicht arg, f?gt man sich schon.<<
Lustig schritt sie mit ihrem Kruge weiter.
Die Gr?fin eines Pachters -- Peter Owens Kind? +Das+ also ist die unsichtbare dunkle Last, an welcher das arme Weib so schwer tr?gt? ihr Grossvater Leibeigener, der Vater Frohnpflichtiger, wenn auch wohl l?ngst abgekaufter Bauer -- und sie die Gutsherrschaft -- die +Gr?fin+! Also da sind wir +noch+? seufzte der junge Mann. O wahr, trotz den Bestrebungen der Edelsten unseres Volks, trotz Moltke, Reventlov und Colbiornsen +noch+ nicht weiter? Wie uns?glich langsam reift die Saat des Guten -- bedarf sie denn wirklich des blutgetr?nkten Bodens? --
In Italien und Frankreich, die er durchreis't, standen damals Bildung und Volksgesinnung auf einem so andern H?hepunkte. Napoleon hatte eben Italien unterjocht, indem er es republikanisirte; es war ein Lichtblick seines gewaltigen Lebens, -- die vorangegangenen Uebertreibungen der Schreckenszeit hoben die Gegenwart gl?nzender hervor; Jeder wollte dort wenigstens einen Theil der ihr entstr?menden Freiheit f?r seine oder seiner Kinder Existenz, w?hrend im Norden die Meisten vor dem Gedanken an die ihr gefallenen Opfer zur?ckbebten, und deren Vollgewinn in seiner damaligen Form kaum angenommen haben w?rden, h?tte er sich ihnen geboten.
Anders freilich dachte und f?hlte die Jugend, ihr war der Blutsaum des Gewandes der Freiheit Morgenr?the geblieben. Der gest?rte Zustand der aus ihren Angeln gerissenen Maschine, die wir B?rgerlichkeit nennen, erschien ihr minder grell und qualvoll, als den Alten, welche der verarmten Familienv?ter, der kinderlos gewordnen M?tter, der Gattinnen, die ihr Theuerstes auf der Guillotine verloren, gedachten. -- Frankreichs gl?nzende Redner hatten auch in D?nemark den heissen Durst nach einer nie empfundenen Gleichheit der St?nde erweckt, versprach er doch dem edlern Individuum den unermesslichen Reichthum einer vollst?ndigen Entfaltung, den der innerlich Hochbegabte am schmerzlichsten entbehrt, und heisser ersehnt, als der Bettler das materielle Gut des Vornehmen.
Dem rohen Rausch vernichtender, zerst?render Bestialit?t des franz?sischen P?bels lag eigentlich das n?mliche Gef?hl zu Grunde, das hier und da den Schw?rmer verleitete: eine Uebersch?tzung seiner selbst. Umsonst haben tausendj?hrige Erfahrungen uns die Lehre wiederholt, dass dem +wirklich+ bedeutenden Menschen, dem Genie, der vollst?ndigen Geisteskraft weder ?ussere Verh?ltnisse, noch irgend eine andre Zeitgewalt hemmende Fesseln anzulegen verm?gen; f?r die Meisten sind der obscure M?nch Luther, der Schiffsjunge Peter von Russland, und der uns viel n?her stehende Napoleon Bonaparte keine Beispiele.
Ist nun dem Menschenherzen so nat?rlich, im angeborenen Streben nach Gl?ck den gr?ssten Massstab f?r die eigenen Forderungen zu w?hlen, ohne sie mit den eigenen Leistungen irgend in ein Gleichgewicht zu bringen, um wie viel edler erscheinen jene seltenen Naturen, die ohne pers?nliches Bed?rfen, unter g?nstigen Verh?ltnissen, nur f?r die Menge fordern und, ihre Nation vertretend, sich selbst aufopfern f?r ein allgemeines Wohl! Fast alle wahren Wohlth?ter der Menschheit haben jedoch nicht bloss gewaltig, sondern eben so mild als besonnen gehandelt. Sie sind Sterne gewesen, welche nicht nur das Dunkel des Augenblicks durchleuchteten, sondern in jeder Nacht von neuem auftauchten und hinter den sie bergenden Wolken fortschimmerten, bis ihr Strahl sie zu durchbrechen vermochte.
Wie aber die Natur den festen Eichenwald gern mit V?geln und Schmetterlingen durchjauchzt und belebt, so stehen immer zwischen solchen ernsten, tiefen Charakteren, aus deren Reichthum Tausende ihren kurzen Lebensfaden spinnen, leichte harmlose Wesen, welche gern ?berall das Sch?nste und Beste f?rdern m?chten, es auch manchmal zu erfassen, in der Regel aber +nie+ es festzuhalten verm?gen.
Dieser h?chst nothwendigen Mehrzahl der Menschen, welche das eigentliche Element gesellschaftlicher Verbindungen ausmachen, werden allerdings nur die ihnen durch Geburt, Reichthum oder Zufall gegebenen Verh?ltnisse zum ?ussern Halt, daher die vielen Klagen ?ber verfehlte Existenz und gehemmtes Talent. Ich glaube aber, dass wir kein einziges Beispiel haben, dass die ganze Gesellschaftswelt, in Bausch und Bogen genommen, je im Stande gewesen ist, den Ausserordentlichen zu hemmen, das gesunde Genie zu zerst?ren! --
Thorald fand den Gang der Umst?nde zu langsam; ihn dr?ngte eine innere Unruhe zum Handeln; in Napoleon sah er den Retter der Welt. >>Der Schneckenlauf der Bildung meines Vaterlandes,<< sagte er, >>beut mir nur Kr?nkung und L?hmung meines Talents. Die Schwere veralteter Vorurtheile legt sich auf jede Hoffnung! Auch in Copenhagen schreitet die Kunst nur unter dem Schutz des Fabrikwesens vorw?rts. In Frankreich, in Italien entfaltet eine kr?ftigere Hand das Panier der Freiheit! Die ihr gefallenen Opfer schlummern unter der gr?nen Rasenh?lle, lebt noch irgend etwas von ihnen weiter in jener unendlichen Himmelsbl?ue voll unbekannter Welten, so ist dort das hienieden Unvermeidliche l?ngst verziehen. Uns bleibt die Sorge, es nicht unn?tz erscheinen zu lassen, den mit Feuer und Schwert bearbeiteten Acker zu bes?en! Der Verlust, den Tausende beweinen, muss zum Gl?cke Tausender erbl?hen. Auch ich kann nur dort mir ein Loos erschaffen, das Helenen anzubieten w?rdig.<<
Wenn sie aber mit Dir entfl?he! so dachte er in andern Momenten; allein wie sie erhalten, durch welche Mittel, -- ob sie reich ist? -- Ihm war die Frage nie eingefallen, er war zu sorglos dazu. Auch galten in D?nemark damals noch die Majorate und fast alle T?chter hochadliger Familien standen in dieser Hinsicht einander gleich. So schob er gern den Gedanken zur?ck, von Helenens Gelde zu leben, alles Andere wollte er ihr danken. Wenn er aber an Heirath dachte, -- und seit drei Wochen that er es st?ndlich, -- so schwebte ihm allemal ein Verh?ltniss vor, als Hofmaler, als bevorzugter K?nstler in einer k?niglichen Residenz. -- Dann durfte sein Ruhm neben der Geliebten Adel sich stellen; auf die aller nat?rlichste Weise vergass Thorald seine republikanischen Gesinnungen und dass er eben in der Nysteder Kirche sein +erstes+ historisches Gem?lde aufstellte!
Seine Arbeit vergass er indessen doch nicht; kaum war der erste Sonnenstrahl erwacht, so sass er auf seinem Ger?ste vor dem Altarblatte; was ihm ?berhaupt zu thun m?glich, war bald gethan. Er sass noch oben, als die angelehnte Th?r leise in ihren Angeln sich drehte, und Helene von ihrer Kammerjungfer begleitet in die Kirche trat; sie hatte Commissionen im St?dtchen gemacht, die offene Th?r bemerkt, und so war ihr pl?tzlich eingefallen, einen Augenblick einzutreten. -- Der ?bergl?ckliche K?nstler sprang zu ihr hinab, das Ger?st ward mit zitternden H?nden zur Seite geschoben, -- grosser Gott! auf dem Altar stand ihr Bild! Dass er sie als eine der Frauen dargestellt, welche die zusammensinkende Mutter unseres Herrn unterst?tzen, hatte an sich nichts den ernsten protestantischen Sinn Verletzendes -- und wie ein Strom st?rzte der Jubel ihr in's Herz!
Thorald dagegen stand mit gesenktem Blicke bebend ihr zur Seite, eine t?dtliche Bl?sse hatte seine Z?ge ?berdeckt -- er wagte nicht sie anzusehen. Endlich war der Zustand nicht mehr zu ertragen: er schlug die Augen auf -- Gott sei Dank, dass es eine Zeit im Menschenleben giebt, in welcher man keiner Worte bedarf, sich alles N?thige zu sagen! >>Aber,<< fuhr sie fort, nachdem er in ihrem Antlitz gelesen, was er zur Beseligung des Augenblickes bedurfte, >>was wird mein Bruder, was werden B?rger und Bauern sagen? ich bin es freilich nicht, denn die Maria Jacoba ist ja viel tausendmal sch?ner als ich, dennoch --<<
>>Helene! kann ich f?r die unbewusste Schuld? Des alten K?sters Tochter Johanna war die erste, welche mir es aussprach; ich wollte sogar diese mir aus dem Tiefsten meines Innern entquollene Aehnlichkeit zerst?ren, aber mir bebte die Hand, wie bei einer verruchten That, ich vermochte es nicht.<< Heisser err?thete das M?dchen, heftiger schlugen des K?nstlers Pulse: vor dem Altar sprachen sich Beider Herzen aus. Dem voltairisirenden J?ngling, der eben noch mit den Jacobinern zur >>G?ttin der Vernunft<< geschworen h?tte, trat die Liebe sanft, voll religi?ser Empfindungen, wie ein ihn heiligender Glaube in die unruhige Seele, und schuf sie um zum Tempel des innigsten, fr?mmsten Gef?hls.
Noch schwelgten die Liebenden im Anschauen ihres gegenseitigen Gl?cks, ohne im mindesten der Erde und ihrer conventionellen Bedingungen zu gedenken, als wiederum die Kirchenth?r in ihren schweren Angeln dr?hnte, diesmal aber heftig aufgerissen ward. >>Der Herr Graf,<< sagte das im Hintergrund vergessene Kammerm?dchen, >>der Herr Graf.<< Zum Gl?ck war sie eine Copenhagerin!
Graf Christian prallte zur?ck, als er das ergl?hte, bebende Paar in traulichem Beisammensein vor dem Altar erblickte; aber sein Gesicht nahm den Ausdruck des w?thensten Zornes an, als er die Aehnlichkeit mit seiner Schwester gewahrte, die momentan noch auffallender erschien, weil Helene zuf?llig mit aufw?rts gewandtem Haupte zu Thorald in die H?he sah, wie auf dem Bilde die Maria Jacoba zur Mutter Gottes.
>>Herr! was soll das?<< polterte der kaum seiner selbst M?chtige und dennoch innerlich Verlegene. Mit jedem Wort steigerte er sich mehr und mehr, um seiner Stimme Herr zu werden, >>Sie haben sich erlaubt, die Ihnen von mir und meiner Familie aufgetragene Arbeit zu missbrauchen, die Z?ge eines Fr?ulein von Gejern, wie die eines Modells zu einer Figur Ihres Gem?ldes zu benutzen! Sind Sie von Sinnen, auf diese Weise einen im ganzen Reich geachteten Namen zu prostituiren? Das Gem?lde muss fort von hier, oder die Z?ge dieser Martha -- oder wie sie heisst, m?ssen ver?ndert werden.<<
>>Herr Graf, diese Aehnlichkeit ist weder einem der mir aufgetragenen Familienportraits gestohlen, -- mein Altarblatt ist weit fr?her gemalt als jene, -- noch habe ich die Comtesse wie ein Modell zu behandeln gewagt. Wenngleich eine zuf?llige Aehnlichkeit die Z?ge meiner Jacoba versch?nt, so liegt darin nichts Entw?rdigendes. Meine Kunst ist heiligend, nicht befleckend! Rafael, Domenichino, del Sarto haben alle Grossen ihrer Zeit, den Papst, die F?rsten, die edlen Frauen aus k?niglichen Geschlechtern auf ihren Gem?lden verewigt. Wenn aus ihren Worten eine gewisse Unkenntniss dieser Umst?nde hervortritt, so muss ich dennoch anerkennen, dass Sie in andern gelehrten F?chern so Bedeutendes leisten, dass Ihnen f?r die Kunstgeschichte keine Zeit blieb -- gewiss w?rden Sie in Frankreich oder Italien --<<
>>Unsinn! Unsinn! Wir sind Protestanten, Herr Eynerssen, verstehen Sie das? ganze Protestanten, keine Halbkatholiken, keine De?sten, sondern Lutheraner! -- schon +das+ ?ndert unsere Verh?ltnisse! Wir sind D?nen! das ?ndert unsere Ansichten des Schicklichen; was in diesem Augenblicke in Frankreich und Italien, als die mit dem Blute des Adels ged?ngte Frucht h?herer Bildung gilt, vergeben Sie -- kann ich als d?nischer Graf weder ehren noch anerkennen! Da ich mir aber erlaube, ?ber meine vaterl?ndischen Zust?nde und die bei uns l?ngst festgestellten gesellschaftlichen Formen selbst?ndig zu urtheilen, so bitte ich Dich,<< -- fuhr er gegen das Fr?ulein gewandt fort -- >>um Deinen Arm, um Dich zur Kutsche zu geleiten. L?sst Du mir da die neuen Mecklenburger Rappen zwei Stunden an der Sonnengluth stehen, dass sie die Hufe sich zerschlagen! Ich werde mir das Weitere in Bezug auf Sie, Herr Eynerssen, und auf die Maria Jacoba vorbehalten. F?r jetzt ersuche ich Sie nur auf das Bestimmteste und H?flichste, es zu machen, wie Ihre Kunstvorfahren mehr als einmal gethan: durch einige wohlberechnete Pinselstriche, die, wie sie mich versichern, Comtesse Gejer ganz wider Ihren Willen zur Jacoba stempelnde Aehnlichkeit zu +vernichten+, und werde ich ferner stehenden Fusses mir erlauben, den Herrn Magistrat zu benachrichtigen, dass einige n?thige Retouchen die Enth?llung Ihres Altarblattes am Johannisfeste unm?glich machen und selbige um ein paar Tage hinausschieben; es sei denn, dass Sie mit diesen Aenderungen sogleich --<<
>>+Ich+ k?nnte mir vor Allem erlauben Ihnen zu bemerken, Herr Graf, dass ich vollkommen m?ndig und erfahren genug bin, dem Magistrat selbst vorzutragen, was ich f?r n?thig erachte<< -- --
In Todesangst blickte Helene, hinter dem Grafen halb verborgen, zum Geliebten hin?ber, noch ein Wort und der Bruch war unvermeidlich, unheilbar! --
>>Ich erlaube mir aber nur als K?nstler zu antworten, dass es zu dieser Aenderung +zu sp?t+ ist,<< fuhr Thorald fort, >>mein Bild ist seit mehreren Tagen vollendet, ich habe sogar eben einen ersten leichten Firniss dar?ber gezogen; Ew. Gnaden Kunstsinn und Geschmack werden Ihnen die Ueberzeugung davon geben, wenn Sie es einer n?hern Betrachtung w?rdigen.<<
Aber Geschmack und Kunstsinn des Grafen reichten keineswegs an die strenge Ansicht desselben in Betreff der Frauen-Ehre, deren Zartheit in seinen Augen jeder Hauch zu tr?ben vermochte; sie reichten eben so wenig an das beleidigte Gef?hl seines Adelstolzes. Auf's schmerzlichste erregt, war jetzt Graf Christian jeder Verlegenheit, aber auch jeder Schonung bloss, -- Wort um Wort flogen in immer verletzenderer Schnelle hin und wider, Christian vergass sich endlich so weit, den Maler daran zu erinnern, dass er, ausser der Verwendung des Bischofs zu Roeskilde, seiner eigenen Vermittlung die Bestellung des Altarblattes zu danken habe.
An dieser unseligen Mahnung brachen des J?nglings Fassung und alle Vors?tze seiner Liebe. Seine K?nstlereitelkeit war zu peinlich verletzt. Mit mehr Hochmuth als Stolz erkl?rte er die ganze Arbeit in Nysted f?r eine blosse Probe, die er mit seinem eigenen Talent gemacht, welche aber von dem kleinen St?dtchen einer unbedeutenden d?nischen Insel aus, keineswegs ihm als Kunstwerk grossen Ruf zu erwerben geeignet sei. Von Copenhagen her k?nne es allein ihm gelingen, sich in der Welt Bahn zu brechen; nur vom K?nigshofe stehe zu erwarten, dass etwas wirklich F?rderndes f?r seine Kunst gesch?he. Ungl?cklicher Weise setzte er dabei den ganzen langsamen Bildungsgang D?nemarks in ein h?chst ung?nstiges Licht, und vergass der ungeheuren Opfer, welche gerade jene Zeit dem h?hern Adel auferlegte; denn der junge Maler kannte die blutige Geschichte Frankreichs in ihrer grellen Buntheit besser, als die des eigenen Vaterlandes.
Graf Christian dagegen war mit dem tiefaufgew?hlten Boden vertraut, dem er Sch?tze der Erkenntniss entrungen, in welchem er zahllose Leichen seiner Jugendhoffnungen und manch' schmerzliches Verleugnen seines Familienstolzes geborgen. Die Wahrheiten, die er auf demselben angebaut, hatten l?ngst Frucht getragen. Unpraktisch im kleinen Thun des t?glichen Lebens, ungeschickt wie ein Kind in Handhabung des Zufalls und seiner fl?chtigen Gunst, wenn es seine eigne Pers?nlichkeit galt, war er in Bezug auf Staatsverh?ltnisse fest und klar. Als Theoretiker schloss er sich den bedeutendsten Reformatoren der Bauernsache an, als Individuum hatte er in Aus?bung des einmal Angenommenen nie das Billige verweigert. Ordnung und Freiheit waren ihm gleichbedeutend, er selbst hatte auf Laaland die ersten Schritte zu L?sung des Leibzwangs und des Gemeinbesitzes gethan, ja, zuerst Erbpacht auf seiner Herrschaft gew?hrt, aber dass er es gethan, verlangte er anerkannt zu sehen. +Nie+ war ihm eingefallen, seinem Range dabei etwas vergeben zu k?nnen, oder die gew?hrten +Menschenrechte+ als Aufhebung der seines +Adels+ anzusehen. So empfand er auch Thoralds Nichtbeachten des f?r ihn Geschehenen als schwarzen Undank, ja als Gemeinheit und Frechheit.
Sehr trocken fragte er den Maler, ob er von seiner Stelle aus, ohne Unterst?tzung des Adels, am Hofe Zutritt zu erlangen erwarte? Ob ihm das verwandtschaftliche Verh?ltniss zwischen seiner und des Bischofs Familie unbekannt sei, dass er auf die ihm in Bezug auf Comtesse Gejer eben mitgetheilten Bemerkungen so gar nicht achte, als m?ssten dieselben nicht in jenem Hause ihr Echo finden?
Es legte sich eine Art Geringsch?tzung in Ton und Haltung des Grafen, die f?r Thorald unertr?glich war. Als Christian seine durchaus verletzende Rede mit dem ?berm?thigen Rathe schloss, lieber bei dem macht- und geldlosen Adel der franz?sischen Emigranten, oder bei den Jacobinern die rasche Erf?llung seiner hochfahrenden Pl?ne zu suchen, brach Helene in Thr?nen aus; alle R?cksicht gegen den Bruder vergessend st?rzte sie auf den K?nstler zu, und beschwor ihn auf's z?rtlichste, sogleich die Kirche zu verlassen, diese Unw?rdigkeiten nicht l?nger anzuh?ren, das Unstatthafte in Christians Betragen um ihretwillen zu verzeihen.
Erschreckt starrte der Graf die Schwester an, das Unpassende des ganzen Auftritts fiel mit Zentnerschwere auf ihn und l?hmte ihm die Gedanken; in peinlicher Verlegenheit riss er den Arm des M?dchens an sich und f?hrte sie fast gewaltsam zum Wagen. Er war zu tief verletzt, um sich weiter auszusprechen, -- als das Z?fchen aber Miene machte, zu Fuss zu gehen, winkte er ihr peremptorisch zu, auf dem R?cksitz Platz zu nehmen.
Zu Haus angelangt, geleitete er Helenen bis in ihr Zimmer, an der Th?r desselben ergriff er heftig des Kammerm?dchens Arm. >>Ein anst?ndiger Dienstbote mischt sich nicht in seiner Herrschaft Angelegenheiten, und wo ihm der Zufall etwas offenbart, dass ihn nichts angeht, h?lt er das Maul! Verstanden Jungfer?<<
Marie k?sste schweigend dem Grafen die Hand, verbeugte sich demuthsvoll und folgte ihrem Fr?ulein, und so gross war des Gebietenden Gewalt, dass sie auch draussen bloss durch Seufzer dem sie dr?ckenden Geheimniss Luft gab. Graf Christian aber zog sich stumm in seine eigenen Gem?cher zur?ck und erschien erst Mittags, um dem Brahe Trollenburg bei Tische die Honneurs zu machen.
Aufschreiend in wildem Schmerz, warf sich der allein in der Kirche zur?ckgebliebene Thorald auf die Stufen des Altars nieder. Was er selbst zuerst als nothwendig und schicklich empfunden, erschien ihm nun masslose Tyrannei. War ihm fr?her Helene theuer gewesen, so hatte jetzt ihr Selbstvergessen um seines, des armen K?nstlers willen, dem hochm?thigen Bruder gegen?ber, seine Neigung zur heftigsten Leidenschaft erh?ht. -- Mit anbetender Inbrunst blickte er auf das Bild, das ihr Antlitz ihm vergegenw?rtigte -- etwas an demselben zu ?ndern war zum Sacrilegium geworden, aber nun wollte er es gar nicht mehr der Kirche lassen, er wollte es mit sich fortnehmen, nach Deutschland oder Frankreich. -- In w?sten, undeutlichen Tr?umen verging ihm der Tag. --
Es war gegen Abend; die Sonnenstrahlen durchbohrten mit langen gelben Streiflichtern die schmalen Bogenfenster, und streiften die mit grauem Sandstein umr?nderten Gew?lbbogen; an den hohen Pfeilerb?ndeln, an den Seitench?ren hin, am Metall des Altarkreuzes, an den messingenen Leuchtern spielten hell aufblitzende Lichtpunkte -- draussen wurde es allm?lig still; die Leute kehrten von der Landarbeit heim. Langsam verstummend sank die gelbrothe Sonnenscheibe zur?ck in ihr von Nebeln umflortes Meeresbett.
Noch immer lag Thorald regungslos, mit sich selber uneins an derselben Stelle. Eine kleine weiche Hand fasste, ihn aufr?ttelnd, seine Schulter. >>Lieber Herr! Ihr seid gewiss erkrankt! H?ttet ihr nur laut gerufen, ich habe vor der Hausth?re mein Garn geweift, ich h?tte Euch sicher vernommen. Es hat sich keiner hieher in die dunkle Kirche getraut. Als aber der Vater heimkam zum Abendbrot und die offne Th?re gewahrte, Herr Je! hat er mich gescholten! Ich glaubte Euch nun fort und des Zuschliessens vergessen. -- Kommt, steht auf, ich st?tze Euch, kommt mit nach Hause! dann koche ich Euch Lindenbl?thenthee, das w?rmt; die alte Halle ist so eisig kalt! K?nnt Ihr Euch aufrichten? O mein Gott! bald h?tt' ich's vergessen: auch einen Brief habe ich an Euch, von Schloss Aalholm; der G?nsebub' hat ihn gebracht -- aber was ist Euch? Wo wollt Ihr denn hin? Herr Eynerssen! Herr Thorald! Wartet doch!<< -- Johanna hatte gut rufen und schelten: Thorald, der Helenens Handschrift erkannt, st?rzte pl?tzlich wie von Feuersgluth durchstr?mt fort, ohne auf sie zu h?ren, um in abgeschlossener Stille, fern von jedem st?renden Menschenblick, das verh?ngnissvolle Blatt zu lesen.
Erst nachdem die Gesellschaft auseinandergegangen und Jeder auf sein Zimmer sich zur?ckgezogen, trat Graf Christian bei Helenen ein. -- Finster, mit umw?lkter Stirn und zusammengezogenen Brauen, n?herte er sich dem M?dchen und setzte sich in der Mauervertiefung des Fensters ihr gegen?ber, in einen altv?trisch geschnitzten Sessel, den er vorz?glich gern bei allen Familienmittheilungen einzunehmen pflegte.
Helene war innerlich entschlossen, all sein Thun l?cherlich zu finden, sie hatte sich mit Uebermuth und Unverletzbarkeit ger?stet, und bot ihm ruhig die heitre Stirn.
Ehe aber noch der etwas Verlegene den Anfang seiner beabsichtigten Rede gefunden, begann sie selbst: >>Erlaube mir, lieber Christian, uns beiden ein Wort Verschwendung zu sparen. Deine Absicht ist, mir mein Betragen in der Kirche, Herrn Eynerssen gegen?ber vorzuhalten und mich zu fragen: ob ich um die Dich so scharf verletzende Aehnlichkeit meiner Z?ge mit denen einer seiner heiligen Frauen gewusst -- oder gar sie gebilligt. Beides kann ich verneinen; ich hatte keine Ahnung davon, ehe ich die Kirche betrat. Das Uebrige aber l?sst sich mit einem einzigen Worte abthun: ich +liebe+ Thorald Eynerssen!<<
Christian ward bleich; auch er hatte in seiner Jugend empfunden, wie jetzt Helene! er f?hlte, dass sie festen Willens auf den Ereignissen seines fr?heren Lebens fusse; ein schneidendes Weh trat ihm an's Herz, und riss gespenstisch all die Leichen l?ngst abgestorbener Schmerzen an's Licht. Seine fr?he Heirath mit der Tochter eines Feste-Bauers, dem sein Vater, Graf Thugge, die Freiheit geschenkt, hatte ihn elend gemacht; sie hatte ihn f?nfzehn Jahre lang dem v?terlichen Hause entfremdet! Der alte Graf hatte den Feste-Bauer zum Pachter eines seiner H?fe angenommen -- so hatte die ungl?ckselige Neigung der jungen Leute sich entsponnen. F?nfzehn lange Jahre hatte Christian in J?tland in tiefster Abgeschlossenheit und dr?ckender Armuth verlebt, unerbittlich vom Vater verstossen -- verflucht! -- Und dieser Vaterfluch war seiner liebebed?rfenden Seele zu einer sein ganzes Dasein ?berschattenden Wolke geworden, und blieb es, selbst als er endlich des Vaters Vergebung gewann! --
In der ?den Einsamkeit der rauhen Haide, in Mariager, einem elenden, kleinen St?dtchen, das dem tief einschneidenden Fi?rd durch einen kleinen Seehafen seinen Unterhalt abgewinnt, ohne alle gewohnten Bequemlichkeiten, ohne irgend eine Lebensgier, sah der Arme seine ganze Jugend verstreichen! Mit t?glichen Geldverlegenheiten um's t?gliche Brot k?mpfend, sass er freund- und freudelos der Gattin allein gegen?ber: unter Standesgenossen ein Bauer, -- unter Bauern ein Bettelgraf! Von Menschen umgeben, deren ganze Industrie sich auf den Hausfleiss grober Webereien und Fertigung schwerer Holzschuhe erstreckt, blieb er allem Umgang fern. Stolz und versch?chtert zugleich, fand seine ohnedies scheue Natur ?berall Widerspr?che, die ihn schmerzten. Seine Leidenschaft hatte der Besitz abgek?hlt, was an ihr durch ?ussern Widerstand zu phantastisch-sch?ner Uebertreibung aufgeschossen, wie eine Wunderbl?the -- war fruchtlos abgewelkt: seine Ehe war kinderlos geblieben. Er liebte seine sanfte treue Gattin, allein in der immergleichen unpoetischen Stille ihres Zusammenlebens, traten oft Pausen des Verstehens, schmerzliche L?cken ein; der Tag ward lang, riesig gedehnt ?berwuchs ihn der fr?hbeginnende nordische Abend, das Bed?rfniss die Zeit auszuf?llen machte sich geltend.
Der junge Mann fing an zu lesen, aus Holstein, Schleswig und Copenhagen B?cher sich zu verschreiben, eifrig zu studiren, ?ber m?hsam errungener Kenntniss zu br?ten.
Nun vergass er die Kr?nkungen der Welt, verschmerzte die Trennung von den Seinen -- allein er vergass auch seine Frau; er versank in tiefsinniges Forschen, vergrub sich in Geschichte und Philosophie. -- Eva erschrak als sie pl?tzlich entdeckte, dass sie eifers?chtig sei. Eifers?chtig! und nicht mehr wie ehemals auf eine sch?ne Dirne, deren Augen Christian gelobt, deren schlanken Leib er im >>Fangtanz<< fester umschlossen -- sondern auf seine von ihr abgewandte Seele, auf seine B?cher und Plancharten, um seiner nun ganz von der ihren abgel?s'ten Existenz willen. O wie lange Tage weinte die arme Eva -- er merkte es nicht einmal! wie weinte sie, dass sie nicht klug, nicht unterrichtet genug sei f?r ihren Christian!
Endlich begann sie Unterricht zu suchen, sich eifrig mit Stundennehmen abzuqu?len, um ihm nachzustreben, ihn wieder verstehen zu lernen. Es vergingen viele Monate ehe sie nothd?rftig Schreiben und Lesen sich angeeignet, -- er aber hatte schon wieder andere Interessen gewonnen, trieb jetzt Physik und Astronomie, machte Experimente -- und Schulden, um sich vermittelst der Schiffsgelegenheit des kleinen Hafens ausl?ndische Schriften und astronomische Instrumente kommen zu lassen. Wieder war er ihr in endloser Weite voran! Sie litt sehr! Endlich bemerkte er es.
-- Das Alles und weit mehr noch glitt mit grausenhafter Geschwindigkeit Christians innerem Auge vor?ber; als er das leibliche aufschlug, sass seine Schwester, den einen Fuss hochgestellt und auf das Knie den Arm gest?tzt, in dessen Hand das rothgeweinte Antlitz ruhte, mit dem eigenwillig kecken Ausdruck in den Z?gen, den er an sich selber kannte! An dem n?mlichen Fenster hatte er tausend Mal so gesessen und in der n?mlichen Stellung starr auf das mondlichte, hochaufwogende Meer geschaut, -- wie eben jetzt Helene! --
Denn die kaum minutenlange Pause zwischen ihrer kecken Anrede und des Bruders z?gernder Antwort, hatte auch ihr das Herz wach ger?ttelt; die angenommene Heiterkeit war ausgel?scht, der nackte, bittere Trotz an deren Stelle getreten. Fest entschlossen f?r ihr Gl?ck zu k?mpfen, f?hlte sie darum nicht minder den Druck lastender Erinnerung. Auch des ihr drohenden harten Widerstandes war sie mit tiefstem Grauen sich bewusst -- sah sie doch t?glich dem stillen Vergehen ihrer Schw?gerin, der immer zunehmenden K?lte zwischen den Eheleuten zu, sie musste es sich eingestehen, dass aus Christians eigenen Erfahrungen der furchtbarste Feind ihr erwachse.
Auch war der schon bei ihrer Geburt halb Verwais'ten ein entsetzliches Bild von des Vaters Zorn gegen Christian geblieben, das mit dem seltsamen Lebenswandel des seit ihrer Mutter Tode ganz Vereinsamten in Verbindung stand, -- das Urtheil der ganzen Familie betrachtete damals den verbannten Sohn wie etwa einen Pestkranken; niemand von den Geschwistern, den Vettern und Basen hatte ihn wiedergesehen, niemand nannte ohne besondere N?thigung Christians Namen! die andern Br?der, jetzt beide an reiche, wenngleich b?rgerliche Frauen verm?hlt, waren damals noch zu jung zum heirathen. Der blosse Gedanke an eine Verbindung mit einer kaum dem Leibzwang entrissenen Bauerndirne, war ihnen emp?rend und l?cherlich zugleich; mit ausgelassenem Hohn erz?hlten sie einander von einem Vetter des M?dchens, den der Vogt mit Peitschenhieben zum zw?lfj?hrigen Soldatendienste gezwungen, eines leichten Vergehens halber ihn vom Hof gejagt und unter die Miliz gesteckt -- dem Kinde war die Geschichte immer peinlich gewesen. Die b?sen Buben hatten es dann erst recht geneckt, >>w?rst +Du+ es, P?ppchen, und nicht unser Aeltester, wir drehten Dir lieber den Hals um, eh' wir die Schande noch einmal erlebten!<< >>Ja<<, sagte lachend der Andere, >>das w?re auch noch schlimmer, unser Blut adelt das Weib an unserer Seite und l?sst unsern S?hnen den Namen des Vaters, aber so ein B?rgerl?mmel machte +sie+ zu seines Gleichen.<< Helenchen hatte nicht verstanden was sie meinten, aber die Angst hatte ihr Thr?nen erpresst.
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